Ich begrüße euch zu einem weiteren Teil der Urlaubsbibelschule. Wir haben das hier immer schön organisiert. Ich hoffe, dass es gut ist, auch wenn es über zwei Jahre geht. Das war in Ordnung und konnte dann etwas intensiver sein.
Das Schöne daran ist, dass es normalerweise immer einen biblischen Teil gibt. Was sage ich sonst noch dazu? Einen unbiblischen? Nein, einen unbiblischen Buchteil gibt es nicht. Dann könnte ich sagen, es gibt einen anderen Themenbereich aus dem Bereich der Theologie, und dieser wird jetzt stärker die systematische Theologie betreffen.
Man unterteilt die Theologie im Studium in verschiedene Bereiche. Da gibt es einmal die exegetischen Fächer. Das ist das, was ihr heute Morgen gemacht habt: ein biblisches Buch intensiver unter die Lupe zu nehmen und zu sehen, was darin steht. Bei den exegetischen Fächern gibt es das Alte Testament und das Neue Testament. Das ist auch nicht schwer zuzuordnen.
Neben der exegetischen Arbeit gibt es die praktische Theologie. Diese werden wir in dieser Woche nicht intensiv besprechen. Praktische Theologie beinhaltet zum Beispiel, wie man predigt, also Homiletik, oder Kinderarbeit, Katechetik, Pädagogik, Frauenarbeit und so weiter. Es geht um die praktische Anwendung in der Gemeinde und im christlichen Leben.
Daneben gibt es noch die historische Theologie. Dazu würde ich euch gerne etwas weitergeben, aber in dieser Woche ist das nicht dran. Die historische Theologie umfasst vor allem die Kirchengeschichte, aber nicht nur. Auch die Theologiegeschichte gehört dazu.
Der Unterschied besteht darin, dass die Kirchengeschichte beschreibt, wie der Verlauf innerhalb der Geschichte gewesen ist, mit wichtigen Ereignissen. Die Theologiegeschichte beschreibt dagegen, wie sich bestimmte Überzeugungen verändert haben. In der katholischen Kirche nennt man das Dogmengeschichte, weil die katholische Kirche Dogmen, also Lehrsätze, formuliert hat. Diese sind erst im Laufe der Jahrhunderte entstanden.
Das, was heute die katholische Kirche vertritt, hat sie vor tausend Jahren noch nicht vertreten. Hier muss man deutlich unterscheiden. Viele der Dogmen der katholischen Kirche sind sogar erst wenige Jahrhunderte alt, wie zum Beispiel das vielen bekannte Unfehlbarkeitsdogma des Papstes. Dieses wurde erst im Ersten Vatikanischen Konzil 1870, also in den Siebzigerjahren des 19. Jahrhunderts, verabschiedet. Das heißt, es ist nicht einmal 150 Jahre alt.
Manche Dinge, die heute typisch zur katholischen Kirche gehören, werden in der Dogmengeschichte behandelt. Da die evangelischen Kirchen keine Dogmen haben, nennen sie das Theologiegeschichte. Das heißt, es ist die Geschichte der Theologie und wie sie sich entwickelt hat.
Zur historischen Theologie gehört auch die Missionsgeschichte. Diese beschäftigt sich speziell mit der Entwicklung und Verbreitung des christlichen Glaubens weltweit. Das ist also ein weiterer Bereich der historischen Theologie.
Dazu gehört auch die Konfessionskunde, zumindest zum Teil. Sie behandelt, wie die Konfessionen entstanden sind. Das liegt allerdings an der Grenze zum Bereich der systematischen Theologie.
Systematische Theologie beschäftigt sich damit, was die Bibel systematisch über ein bestimmtes Thema sagt. Beispiele dafür sind Gott, Jesus Christus, Gemeinde, Liebe, Freude, Hölle, Sünde oder Erlösung. Dabei betrachtet man nicht nur einzelne Bibelstellen, sondern versucht, einen Gesamtüberblick über das Alte und Neue Testament zu gewinnen.
Die einfachste Form der systematischen Theologie ist, eine Konkordanz zu benutzen. Man schlägt zum Beispiel unter dem Stichwort „Freude“ nach und sieht sich die ausgewählten Verse im Alten und Neuen Testament an, die sich auf dieses Thema beziehen.
Zur systematischen Theologie gehört auch die Ethik, die man oft unter dem Begriff Dogmatik zusammenfasst. Dogmatik ist nicht Dokumentgeschichte, sondern die Darstellung einzelner Lehren und Aussagen der Bibel im Zusammenhang. Man könnte es so zusammenfassen: Dogmatik beantwortet die Frage „Was soll ich glauben?“. Dabei geht es nicht nur um einzelne Bibelverse, sondern um das Gesamtbild, zum Beispiel den Glauben an Gott als Schöpfer der Welt, seine unendlichen Eigenschaften oder den Glauben an Jesus Christus.
Ethik ist ebenfalls Teil der systematischen Theologie, beantwortet aber die Frage „Was soll ich tun?“. Es geht also nicht nur darum, was man glauben soll, sondern auch darum, wie dieser Glaube im Leben relevant wird. Ethik ist stärker auf das praktische Handeln ausgerichtet.
Darüber hinaus gibt es die Apologetik. Diese beschäftigt sich nicht damit, was man glauben oder tun soll, sondern damit, wie man den Glauben gegenüber Angriffen von außen verteidigt. Auch das zählt zur systematischen Theologie.
Ein weiterer Bereich der systematischen Theologie, mit dem wir uns hier stärker beschäftigen, ist die Sektenkunde. Allerdings ist der Begriff „Sektenkunde“ heute eigentlich problematisch. Würden wir uns in einem akademischen Seminar befinden, würde ich nicht von Sektenkunde sprechen. Warum? Das werde ich gleich noch ausführlicher erklären. Kurz zusammengefasst liegt es daran, dass der Begriff „Sekte“ heute sehr unscharf geworden ist.
Unscharf bedeutet, dass niemand mehr genau weiß, was darunter zu verstehen ist. Sekten sind immer „die anderen“. Das ist eine zu einfache Sichtweise. Ich habe bisher noch keinen getroffen, der von sich selbst gesagt hätte: „Ich gehöre zu einer Sekte.“ Wenn man zum Beispiel Zeugen Jehovas oder Mormonen fragt, sagen sie: „Nein, wir sind keine Sekte.“ Der Begriff „Sekte“ ist heute ein Kampfbegriff und wird oft zur Diffamierung verwendet. Deshalb lässt er sich nicht mehr neutral definieren.
Ähnlich ist es mit anderen Begriffen, die durch häufigen Gebrauch ausgeweitet und damit entwertet wurden. Ein Beispiel ist der Begriff „Fundamentalismus“. Als Kirchengeschichtler kann ich sagen, dass „Fundamentalismus“ ursprünglich ein historisch genau fassbarer Begriff ist. Er bezeichnet eine Bewegung amerikanischer Evangelikaler zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Diese veröffentlichten über etwa zehn Jahre eine Schriftenreihe mit dem Titel „The Fundamentals“. In diesen Schriften wurden Glaubensgrundlagen besonders hervorgehoben, vor allem als Abgrenzung zur Bibelkritik.
Aufgrund dieser Schriftenreihe nannten sich einige konservative Evangelikale „Fundamentalisten“ und verstanden sich als Vertreter dieses Fundaments. Diese Bedeutung war über 40 bis 50 Jahre bekannt, interessierte aber kaum jemanden. Hätte man in den 1950er oder 1960er Jahren jemanden gefragt, was ein Fundamentalist ist, hätten die meisten keine Antwort gewusst.
Heute erscheint uns der Begriff vertraut, weil er Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre immer unschärfer wurde. Er wurde nicht mehr nur auf diese Gruppe amerikanischer Evangelikaler angewandt, sondern auf andere religiöse Bewegungen übertragen. Besonders bekannt wurde der Begriff durch die Übertragung auf islamische Gruppen.
So werden heute oft Fundamentalisten und Salafisten gleichgesetzt. Vor zehn Jahren wusste kaum jemand, was Salafisten sind, heute meint fast jeder Deutsche, es zu wissen. Fragt man aber genauer nach, wann die Salafisten entstanden sind, was ihre Grundlagen sind und ob sie Sunniten oder Schiiten sind, stoßen viele an ihre Grenzen. Der Begriff „Fundamentalismus“ wurde also ausgeweitet und dadurch teilweise unbrauchbar.
Ähnlich ist es mit dem Begriff „Sekte“. Ursprünglich hatte er eine eng umrissene Definition. Heute wird diese Definition jedoch nicht mehr vertreten, weil der Begriff in der breiten Diskussion anders wahrgenommen und verwendet wird.
Zum Beispiel gibt es eine Übersetzung eines englischsprachigen Buches über Sekten mit dem Titel „Das große Buch der Kulte“. Im englischsprachigen Raum spricht man von „cults“, also Kulten, und insbesondere von „destructive cults“, also destruktiven Kulten. Diese entsprechen dem, was man ursprünglich als Sekten bezeichnet hat.
Im deutschsprachigen Raum hat sich jedoch ein anderer Begriff durchgesetzt. In einem neuen Buch über Sekten findet man den Begriff „Sekte“ kaum noch. Stattdessen heißt es „Lexikon christlicher Kirchen und Sondergemeinschaften“. Der Begriff „Sondergemeinschaften“ ist heute gebräuchlicher und klingt deutlich neutraler.
Wenn man jemanden fragt, ob er zu einer Sondergemeinschaft gehört, denkt man vielleicht erst mal, das klingt komisch. Doch viele würden zustimmen, wenn sie sagen, sie gehören etwa zu den Mennoniten, Brüdern oder Baptistengemeinden. Auch das sind Sondergemeinschaften. Es kommt immer darauf an, wovon man abgrenzt. „Sondergemeinschaft“ klingt weniger abwertend und wird deshalb heute oft verwendet.
Das ist allerdings nicht immer so. Wenn jemand provozieren will, wird der Begriff „Sekte“ weiterhin benutzt. Zum Beispiel gibt es ein Informationsblatt des Ministeriums in Schleswig-Holstein mit dem Titel „Checkliste für unbekannte Gruppen“. Dort heißt es „Sekten versprechen viel“ und es wird beschrieben, woran man eine Sekte erkennen kann. Hier wird der Begriff also noch verwendet.
Auch in Arbeitsgruppen über Sekten oder in der Politik und breiten Öffentlichkeit schwankt die Verwendung. In populärwissenschaftlichen oder journalistischen Medien wird der Begriff „Sekte“ häufig noch benutzt, weil er mehr Aufmerksamkeit erzeugt. Wenn man „gefährliche Sondergruppe“ sagt, klingt das eher neutral oder technisch. „Gefährliche Teufelssekte“ klingt dramatischer und verkauft sich besser, ähnlich wie Schlagzeilen in Boulevardmedien.
Deshalb ist der Begriff „Sekte“ nicht tot. Wir werden ihn hier immer wieder verwenden. Aber man sollte wissen, dass er in der akademischen Öffentlichkeit kaum noch gebraucht wird, weil er zu unscharf geworden ist.
Ich habe eine grundsätzliche Frage: Kann man den Begriff „systematische Theologie“ so definieren, dass er sich aus der Schrift heraus entwickelt hat, oder ist es eher eine Einstellung von Menschen, wie sie an die Bibel herangehen?
Das Ziel der systematischen Theologie ist es, aus der Bibel heraus Lehren zu erarbeiten. Allerdings werden wir das in jedem Bereich der Theologie, auch bei der Exegese, nie hundertprozentig durchhalten können. Das werdet ihr auch merken, wenn ihr hier durch die Apostelgeschichte geht. An einzelnen Stellen muss ich immer Parallelen suchen, um etwas zu interpretieren. Wenn ich ein bestimmtes Wort erklären will, frage ich mich: Wie erkläre ich das? Ich muss sehen, ob es woanders gebraucht wird.
Das heißt, auch die Exegese kann sich nicht nur auf den abgegrenzten Text beschränken, sondern muss immer den Kontext berücksichtigen. Zu Recht sagen wir ja auch: Wenn jemand mit einer seltsamen Lehre kommt, dann frage ich, ob der Kontext beachtet wurde. Wenn man nur eine einzelne Stelle isoliert betrachtet, kann man zu ganz seltsamen Ergebnissen kommen. Das werden wir gerade bei den Sekten feststellen. Sie nehmen häufig einzelne Bibeltexte, lösen sie aber aus dem Zusammenhang und kommen so zu merkwürdigen Ergebnissen.
Auch wenn ich Exegese betreibe, ist es immer eine Mischung. Ich will aus der Bibel etwas herausarbeiten, bringe aber auch immer schon etwas mit an den Text heran. Genauso ist es bei der systematischen Theologie: Meistens fange ich an, systematische Theologie zu betreiben, wenn ich schon viel in der Bibel gelesen habe. Dabei bin ich geprägt durch die Gemeinde, meine eigene Tradition, mein Denken, meine Erwartungen und so weiter. Das bin ich mir manchmal bewusst, manchmal nicht. Und mit diesen Prägungen gehe ich immer schon an die systematische Theologie heran.
Das heißt, wenn wir jetzt neutral sehen wollten, was Freude ist, dann würden wir alle Verse im Alten und Neuen Testament sammeln, die über Freude sprechen. Das erste Problem ist schon: Die meisten von uns sprechen kein Griechisch und Hebräisch. Wir nehmen also deutsche Übersetzungen, die aber nicht immer dasselbe griechische oder hebräische Wort wiedergeben. Das ist schon die erste Hürde. Das ist eine menschliche Auswahl, die nicht genau zutrifft. Deshalb müssten wir das Griechische und Hebräische heranziehen, wenn es denn denselben Begriff gibt.
Das zweite Problem ist: Wie gehen wir mit dem Alten und Neuen Testament um? Denn automatisch sagen einige: Bestimmte Dinge aus dem Alten Testament gelten nicht mehr. Sonst müssten wir ja heute noch Opfer bringen, denn das steht doch da. Wir haben aber schon im Kopf die Zuordnung: „Altes Testament, was Opfer angeht, gilt heute nicht mehr.“ Auch das ist eine Interpretation, die wir an den Text herantragen.
Insofern ist das nie ganz trennbar: Wir bringen immer ein Stück weit etwas mit. Und hoffentlich – und hier liegt der Ansatz der Ehrlichkeit – müssen wir bereit sein, das, was wir mitbringen, auch durch das zu korrigieren, was wir in der Bibel finden.
Die Gefahr der systematischen Theologie besteht darin, dass jemand ein fertiges Denkmodell mitbringt, eine ganz fertige Theologie, und dann die Bibelstellen, die nicht passen, so lange umbiegt oder weginterpretiert, bis sie wieder ins System passen. Das ist die Gefahr. Aber ohne ein Denkmodell geht es nicht. Wir haben immer eines mit. Keiner von uns geht als kleines Kind ohne irgendein Vorverständnis an die Bibel heran.
Die meisten von uns sind in ihrer Familie groß geworden, haben vom Glauben gehört, Hunderte von Predigten gehört, die uns geprägt haben, Bücher gelesen, die uns geprägt haben. Keiner von uns geht neutral an die Bibel heran. Selbst wenn wir es versuchen wollten, müssten wir wieder ein System entwickeln, mit dem wir das ordnen.
Zum Beispiel: Wie legen wir die Bibel aus? Gibt es spätere Offenbarungen, die frühere korrigieren? Oder stehen alle auf derselben Ebene? Sind manche Aussagen bildlich oder übertragen zu verstehen, andere wörtlich? An manchen Stellen muss das so sein. Wir sehen einige Aussagen in Visionen, da denken wir: Das sind Bilder. Wenn dann von Drachen die Rede ist, wird das oft gedeutet. Der Drache steht für den Teufel.
Oder die Gleichnisse Jesu: Will Jesus wirklich etwas über Gartenbau sagen, oder will er etwas über die Gemeinde sagen? Wenn wir als Christen groß geworden sind, ordnen wir das sofort zu. Aber auch das ist schon eine Entscheidung, die wir getroffen haben. Wenn Jesus eine Geschichte über einen Baum erzählt, der das Reich Gottes ist, sagen wir wahrscheinlich alle: Dieser Baum ist kein wirklicher Baum, sondern steht für etwas. Jesus sagt das ja im Kontext vom Reich Gottes, und das ist nicht in erster Linie Gartenbaukunde. Aber auch das ist Interpretation.
Oder nehmen wir das Abendmahl bei den Katholiken. Die Katholiken sagen: „Das ist mein Fleisch und das ist mein Blut.“ Vertreten hier alle die Transsubstantiationslehre? Die meisten wahrscheinlich nicht. Aber warum? Da steht doch „das ist mein Blut“. Wir sagen eigentlich, das meint symbolisch, es steht nicht „es bedeutet“, sondern „es ist“. Ihr geht also schon mit einem Muster daran: „Nein, das ist nur ein Symbol.“ Aber das ist eine Interpretation. Dort steht nicht wörtlich „es ist nur ein Symbol“.
Ich will jetzt nicht sagen, ihr müsst katholisch werden. Ich sage nur: Wir gehen alle mit einer gewissen Systematik an den Text heran, bewusst oder unbewusst. Und ich würde euch raten, macht es lieber bewusst. Denn dann könnt ihr es auch begründen oder über Bord werfen, wenn es falsch ist.
Schwierig ist es bei jemandem, der das nicht bewusst tut. Der tritt dann häufig auf mit dem Argument: „Das ist doch nur das, was in der Bibel steht.“ Aber es ist eben nicht nur das, was in der Bibel steht. Nur wenn wir selbst erkennen, dass wir schon etwas mitbringen, was wir an die Bibel herantragen, sind wir auch in der Lage, das zu erkennen und möglicherweise in Frage zu stellen oder zu überarbeiten.
Wenn wir es nicht erkennen, halten wir immer das, was wir meinen, für das, was wörtlich da steht. Und wir verstehen dann nicht, warum andere Christen das nicht genauso sehen, obwohl sie denselben Text lesen. Dann lesen wir: „Da steht doch...“ Was bedeutet das? Und der andere sagt: „Nein, da steht doch...“ Und beide meinen, sie seien biblisch.
Auch die Katholiken haben ihr Problem in der Interpretation. Wir könnten jetzt sehen, dass Jesus das Brot nahm und sagte: „Nehmt hin.“ Aha, es ist doch Brot und nicht Fleisch. Das ist dann ihr Problem. Aber unser Problem ist, dass da steht: „Es ist mein Fleisch.“ Und damit müssen wir richtig umgehen.
Von daher macht die systematische Theologie beides. Sie will – das ist das Ziel – möglichst gut aus der Bibel herausarbeiten. Aber sie braucht auch immer schon einen sogenannten hermeneutischen Schlüssel, also etwas, das wir an die Bibel herantragen.
Zum Beispiel: Das Alte Testament wird zum Teil im Neuen Testament erfüllt und gilt für uns dann nicht mehr in derselben Intensität. Das ist zum Beispiel eine Diskussion mit Adventisten: Müssen wir den Sabbat halten? Atheisten sagen: „Da steht doch Sabbat halten, warum haltet ihr ihn nicht?“ Wir sagen: Im Neuen Testament sagt Paulus zum Beispiel, niemand solle euch wegen Sabbaten ein schlechtes Gewissen machen.
Es gibt also andere Stellen, die für das Sabbatgebot relevant sind. Deshalb brauchen wir beides: Das, was wir mitbringen, und das, was wir aus der Bibel herausarbeiten.
Das, was ich euch jetzt gesagt habe, ist das, was bibeltreue Evangelikale tun. Wenn man systematische Theologie an der Universität betreibt, ist das etwas ganz anderes. Dort hat das häufig mit der Bibel gar nichts mehr zu tun. Es ist dann eine Mischung aus christlicher Philosophie und weltlicher Philosophie.
An der Universität lernt man, was Drewermann, Lüdemann, Bultmann und Pannenberg sagen, vergleicht das miteinander und versucht, alles in ein einheitliches System zu bringen. Ein paar Bibelverse sind auch dabei, aber sie sind eher sekundär wichtig.
An der Universität würdet ihr also etwas ganz anderes hören, wenn es um systematische Theologie geht. Wer das gerne einmal kennenlernen möchte, kann ich ein paar Bücher empfehlen, die ihr in der Woche lesen könnt, um zu sehen, wie akademische systematische Theologie aussieht.
Deshalb spricht man von dem, was wir jetzt tun, wenn wir systematische Theologie betreiben, auch eher von biblischer Dogmatik oder biblischer systematischer Theologie. Ein Universitätstheologe würde sagen: „Das spielt doch alles keine Rolle. Wir müssen in der heutigen Diskussion dabei sein.“
Die heutige Diskussion wird von Soziologen, Pädagogen und Philosophen bestimmt, mit denen müssen wir mitmischen und diskutieren. Aber nicht mit dem Argument: „In der Bibel steht...“ Nein, was in der Bibel steht, sind altorientalische religiöse Vorstellungen, die heute nicht mehr von Belang sind.
Deshalb müssen wir immer aufpassen: In der akademischen Universitätstheologie in Deutschland ist systematische Theologie etwas ganz anderes, als ich sie jetzt definiert habe. Ich habe sie definiert, wie sie seit zweitausend Jahren in der christlichen Kirche praktiziert wird.
Denn diese Art von systematischer Theologie, die mehr mit Philosophie und anderen Gesellschaftswissenschaften verbindet, ist erst etwa zweihundert Jahre alt und nicht weltweit so verbreitet.
Ja, das war jetzt eigentlich nur der ganz, ganz erste Anfang, um überhaupt deutlich zu machen, worüber wir reden. Jetzt müsste ich erst einmal vielleicht noch sagen, wer ich bin und was ich mit euch in dieser Woche vorhabe. Das könnte euch auch interessieren.
Also erst einmal war das nur eine kleine Einführung, die euch so einen Vorgeschmack liefert. Mein Name ist Michael Kotsch. Viele von euch kenne ich ja schon, einige von euch scheint es, als ob wir uns schon immer kennen – also schon seit ziemlich langer Zeit. Einige von euch habe ich früher mal in Familienfreizeiten getroffen, bei einigen war ich schon mal zuhause oder zumindest in der Gemeinde, und das finde ich eine schöne Sache.
Von daher hoffe ich, dass wir neben dem reinen Unterricht während der Woche auch noch persönliche Kontakte haben werden, also dass wir etwas miteinander zusammensitzen und uns austauschen können. Dafür ist das in der Größe der Runde auch durchaus noch möglich.
Ich unterrichte hier an der Bibelschule Brake seit siebzehn Jahren. Mir kommt das nicht lange vor. Allerdings, wenn ich merke, dass manche meiner Schüler gerade erst geboren wurden, als ich hier angefangen habe – also nicht ganz, aber bald ist es so weit – dann komme ich mir schon ziemlich alt vor. Dann denke ich mir: Hey, wie alt bin ich denn? Da sind Schüler, die sind zwanzig, und als sie drei Jahre alt waren, war ich schon am Unterrichten. Dann fühlt sich das wieder alt an.
Wenn ich auf die ganze Kirchengeschichte schaue, die über zweitausend Jahre umfasst, sind siebzehn Jahre auch nicht viel. Ob ihr das als viel oder wenig empfindet, überlasse ich euch. Bei mir hängt das von der Stimmung ab: Manchmal denke ich, „so lange schon“, manchmal denke ich, „gerade erst angefangen“.
Ich unterrichte seit einigen Jahren hier an der Bibelschule Brake. Neben den Sondergemeinschaften unterrichte ich Apologetik, das heißt die Verteidigung des christlichen Glaubens. Ich unterrichte Konfessionskunde, also was die verschiedenen christlichen Gemeinschaften und Kirchen lehren. Außerdem unterrichte ich Kirchengeschichte, einige Bereiche der Ethik, insbesondere Medizinethik, also medizinethische Fragen, und Religionskunde, das heißt fremde Religionen.
Vorher habe ich in Basel studiert, an der heutigen STH, früher hieß sie Veta. Dort habe ich Theologie studiert. Später habe ich an der Universität Basel noch einmal Theologie, vergleichende Religionswissenschaft und Ökologie studiert.
Seitdem ich hier unterrichte, lebe ich auch in der Gegend, 18 Kilometer entfernt, mit meiner Familie. Wir haben drei Kinder, die langsam älter werden und uns immer wieder vor Herausforderungen stellen. Darüber werden wir wahrscheinlich auch noch austauschen können, denn ich weiß, einige von euch haben auch Kinder, die ihren Weg gehen. Bei manchen ist es richtig toll, ihnen zuzuschauen, bei manchen weniger. So geht es mir bei unseren Kindern manchmal auch: Über manche Dinge freue ich mich, über andere nicht.
Meine Frau kommt aus Frankreich. Wir haben uns während des Studiums in Basel kennengelernt. Im Moment ist ihr Hauptberuf Mutter und Hausfrau. Sie arbeitet zu Hause mit den Kindern. Unser jüngster Sohn ist zwölf, die nächste Tochter sechzehn, und die älteste ist achtzehn beziehungsweise bald neunzehn.
Was ich darüber hinaus tue: Ich bin ab und zu unterwegs für Seminare oder Schulungen bei Gemeinden oder Institutionen. Am vergangenen Wochenende habe ich zum Beispiel einen Kurs bei der Evangelikalen Akademie in Wien gegeben. Das war eine interessante und schöne Erfahrung.
Ich habe auch einige Bücher geschrieben, was viele von euch wissen. Zwischendurch werde ich sicherlich auch mal auf das eine oder andere Buch zu sprechen kommen, gerade wenn es thematisch passt.
In dieser Woche habe ich vor, euch heute Morgen eine Einführung in den Bereich der Sondergemeinschaften zu geben. Ich will darüber sprechen, was das überhaupt genau ist. Außerdem will ich erläutern, warum wir uns damit auseinandersetzen und einige Punkte ansprechen, wie wir mit Sondergemeinschaften umgehen.
Das wird das Programm heute Morgen sein. Meiner Vermutung nach werden wir nicht viel mehr schaffen, denn dann ist die Zeit wahrscheinlich vorbei. Falls doch, fangen wir schon an mit einer Sondergemeinschaft.
Ich habe nämlich vor, euch in dieser Woche einige Sondergemeinschaften etwas genauer vorzustellen. Ich sage „etwas genauer“, weil über viele dieser Sondergemeinschaften dicke Bücher geschrieben wurden. Ich könnte euch die ganze Woche nur über die Zeugen Jehovas oder die Mormonen oder eine andere Sondergemeinschaft erzählen. Das wäre aber zu intensiv und zu viel. Dafür seid ihr wahrscheinlich nicht gekommen.
Stattdessen werde ich euch jeweils in ein bis zwei Stunden eine dieser Sondergemeinschaften vorstellen: einmal geschichtlich, also wie sie entstanden sind und was passiert ist, dann inhaltlich, also was sie lehren. Dabei werde ich mich besonders auf das konzentrieren, was sie anders lehren als andere Gruppen – also das Besondere, das Außergewöhnliche.
Ich werde nicht bei jeder Gruppe sagen, dass sie an Gott, Engel oder Sünde glauben, denn das tun viele dieser Sondergemeinschaften. Stattdessen will ich euch auf das aufmerksam machen, was das Außergewöhnliche und Andersartige ist.
Neben den klassischen Sondergemeinschaften werde ich euch auch ein, zwei Gruppen vorstellen, die ihr möglicherweise noch nicht kennt. So wird deutlich, dass es nicht nur ein, zwei oder drei Gruppen gibt, die man sonst hört, sondern durchaus mehrere.
Ich will auch darauf eingehen, dass es immer die Gefahr gibt, dass auch aus christlichen Kreisen, unter anderem aus evangelikalen Kreisen, neue Sondergemeinschaften entstehen können. Und das nicht nur theoretisch, sondern praktisch immer wieder passiert.
Wir können nicht immer nur sagen, „das sind die anderen irgendwo“. Auch christliche Gemeinden können in Gefahr geraten, zu einer Sondergemeinschaft zu werden. Ich werde auf einige Punkte aufmerksam machen, die wir besonders beachten sollten, damit das möglichst nicht passiert – weder in unserem Umfeld noch anderswo. Wenn wir das erkennen, können wir Hilfestellung anbieten.
Ich habe bereits mit einigen Leuten gesprochen, die in solchen christlichen Gruppierungen waren, die gläubige Christen beinhalten, aber eigentlich auf dem Weg zum Sektiratum waren – mit Volldampf. Einige sind davon wieder weggekommen, das gibt es auch. Es gibt sektiererische Gruppierungen, die sich korrigieren lassen und zum wahren Glauben zurückfinden – das ist eine gewisse Bandbreite.
Worauf ich auch eingehen werde, ist ein Thema, das ich gerade am Wochenende in einem Buch gelesen habe. Es geht um Verschwörungen beziehungsweise Verschwörungstheorien oder besser Verschwörungsmythen. Das ist auch eine Form von Religiösität, die ich im weiteren Bereich zu Sondergemeinschaften zählen werde.
Das heißt, es sind Gedankenmodelle, die dieselbe Funktion haben wie religiöse Gedankenmodelle: die Welt zu interpretieren, zu verstehen, einzuordnen und den Verlauf der Geschichte zu begreifen. Viele Menschen nutzen sie heute als Ersatzreligion, obwohl sie keine klassischen Religionen sind.
Ich erwähne das deshalb, weil ich glaube, dass wir seit einigen Jahren ein neues Aufblühen von Verschwörungstheorien erleben. Diese haben sich zum Teil, und das ist ein zusätzlicher Grund, auch im christlich-evangelikalen Bereich verbreitet oder sind dabei, sich zu verbreiten.
Ich weiß, dass ich mich damit auf gefährliches Terrain begebe, weil es sein kann, dass einige von euch glühende Vertreter einer Verschwörungstheorie sind. Nun meint eben der Opus Dei, die Freimaurer, die Illuminaten oder sonst jemand, der die Welt regiert.
Das kann sein, dann müssen wir eben etwas miteinander diskutieren. Das ist nicht schlimm. Es geht mir nicht darum, dass wir hier nur in einer postmodernen Harmonie reden, sondern dass es euch auch herausfordert, nicht nur an Stellen zu sein, wo „die anderen“ böse sind, sondern auch zu erkennen, wo etwas verändert, korrigiert oder vorgebeugt werden muss.
Tatsächlich gibt es eine ganze Geschichte der Verschwörungstheorien, und ich werde darauf eingehen, dass sie weltweit sehr ungute Auswirkungen gehabt haben. Verschwörungstheorien – nicht die Verschwörungen selbst – sind weltweit verantwortlich für Millionen von Toten. Das muss ich ganz deutlich sagen.
Das ist nicht nur irgendwo. Ich gehe dem mal nach, das ist ein interessantes Hobby. Verschwörungstheorien sind verantwortlich für Millionen von Toten, weil Menschen glauben, dass Aliens gelandet sind, die andere Menschen töten wollen, oder politische Attentate verüben, weil sie denken, in einem Politiker sei ein Alien.
Verschwörungstheorien sind nicht nur Pillepalle, sondern beeinflussen das Denken der Menschen und haben große Auswirkungen auf deren Leben und Handeln.
Deshalb will ich mich damit beschäftigen, nicht nur als akademische Diskussion, sondern weil es immense Auswirkungen hat. Ich glaube, es ist gut für uns, uns damit auseinanderzusetzen.
Neben dem, was wir hier besprechen, habe ich auch normalerweise am Abend etwas angesetzt. Wenn euch das zu viel wird, müsst ihr sagen, dass ihr mehr Pause braucht. Das ist in Ordnung.
Ich gehe davon aus, dass ihr hier zur Urlaubsbibelschule kommt. Ich betone mehr das Bibelschule, den Urlaub lege ich so am Rand. Deshalb werde ich das Lernen in den Vordergrund stellen.
Ihr müsst keine Bedenken haben: Wenn ihr sagt, das ist mir zu viel und ich brauche mehr Urlaub, dann macht das. Am Ende bekommt ihr kein Zertifikat. Wenn ihr wollt, kann ich ein Zertifikat am Computer entwerfen. Dafür können wir auch einen wohlklingenden Titel erfinden. Wenn ihr das nicht braucht oder eure Wände schon voll sind mit solchen Diplomen, lassen wir das.
Es geht mehr darum, dass ihr angeregt und weitergeführt werdet auf eurem Glaubensweg. Das soll hoffentlich passieren, damit ihr gestärkt in eure Verantwortung in der Gemeinde zurückgehen könnt.
Ihr könnt all das nutzen, was ich anbiete, ihr seid aber nicht gezwungen, das zu tun. Nicht, dass ihr am Ende sagt: Wie schlimm, jetzt muss ich die ganze Zeit nur arbeiten. Ihr könnt, ihr dürft, aber ihr müsst nicht.
Das sage ich für das, was ich noch vorschlage. Am Abend lade ich euch herzlich ein, mit dabei zu sein.
Der Heinz hat auch ein Programm aufgehängt, da steht das mit drauf. Hat er das nicht aufgehängt? Dann werde ich das vielleicht noch nachholen.
Heute Abend ist bei der parallel laufenden Frauenfreizeit ein Missionsabend geplant. Ich habe gedacht, den wollen wir nicht überschneiden. Deshalb gebe ich euch die Zeit, wenn ihr wollt, am Missionsabend teilzunehmen. Er wird voraussichtlich in der Kapelle stattfinden.
Das ist aber das einzige Mal, wo wir so direkt etwas zusammen machen, weil ich da keine Konkurrenzveranstaltungen anbieten will.
An den anderen Abenden möchte ich euch gerne zwei zusätzliche Stunden anbieten. Das soll nicht zu viel werden, zum Beispiel von halb acht bis neun Uhr. Danach kann man noch einen Spaziergang machen oder etwas anderes tun, um etwas zu vertiefen.
Morgens ist unsere Zeit relativ knapp bemessen.
Am Nachmittag biete ich euch auch jeweils etwas an. Wenn ihr wollt, könnte ich euch einen Vortrag darüber halten, wie man am intensivsten lernt.
Lehrer wissen, dass Schüler am besten lernen, wenn sie Dinge selbst erarbeiten. Ihr wisst das vielleicht auch: Sachen, die man hört, behält man viel weniger als das, was man selbst erarbeitet.
Deshalb möchte ich euch in dieser Woche zwei Aufgaben geben, die eng begrenzt sind. Für die eine Aufgabe möchte ich euch heute Nachmittag Arbeitszeit einräumen, also nach dem Kaffeetrinken.
Ich lade euch dann in die Bibliothek ein. Das heißt, ich werde nach dem Kaffeetrinken bis zum Abendessen oben in der Bibliothek sein, um euch zu helfen, wenn ihr recherchiert.
Was ist die Aufgabe? Die Aufgabe ist, dass ihr alleine oder in einer kleinen Gruppe – zum Beispiel als Ehepartner oder zwei, drei Leute zusammen – eine Sondergemeinschaft, die euch besonders interessiert, untersucht.
Ihr sollt recherchieren, wie sie entstanden ist, was sie lehrt, und was wir als Christen darauf antworten können.
Diese drei Punkte: Geschichte, Lehre und unsere Antwort und Reaktion.
Allerdings verbiete ich euch jetzt in meiner Autorität als Lehrer, eine der großen Gruppen zu nehmen. Warum? Weil das erstens langweilig ist, und zweitens werde ich diese großen Gruppen ja auch noch vorstellen. Dann habt ihr das doppelt und dreifach.
Außerdem kennt ihr diese Gruppen zum Teil schon.
Ich möchte euch sensibilisieren, euch mal in eine relativ unbekannte Gruppe einzuarbeiten. Das hilft euch, neue Sekten besser erkennen zu können.
Sonst stoßt ihr irgendwann auf eine Gruppe mit einem interessanten Namen und könnt nicht zuordnen, ob das eine Sekte ist oder nicht.
Ihr ahnt vielleicht schon, dass es sich um eine Sekte handelt, sonst würde ich euch die ja nicht nennen. Aber ihr sollt herausfinden, warum und was problematisch ist.
Wir haben oben bei der Bibliothek Literatur, die ihr nutzen könnt, ebenso das Computersystem und das Internet.
Ihr müsst das nicht in einer langen Ausarbeitung machen, sondern ich stelle es mir als kleines Referat vor.
Im zweiten Teil der Woche werden wir einige dieser Referate hören. Nicht alle können halten, weil wir zu viele sind. Ich werde dann stellvertretend einige auswählen.
Die Referate sollen etwa zehn Minuten dauern. Es soll also nicht wahnsinnig lang sein.
Wenn ihr sagt, warum nur zehn Minuten, ich möchte auch eine Stunde reden, ist das verständlich. Ich würde euch das auch gerne erlauben. Aber unsere Zeit ist begrenzt.
Wir haben für Sektenkunde jeden Morgen zwei Stunden, abends noch mal gelegentlich zwei Stunden. Das ist nicht viel.
Zehn Minuten sind angemessen, eine Viertelstunde ist auch kein Problem.
Jetzt fragt ihr euch vielleicht, welche Gruppen das sein könnten, wie ihr eine Gruppe suchen sollt, die ihr nicht kennt.
Dafür bin ich da, ich berate euch und nenne euch Gruppen.
Zum Beispiel wäre das „Universelles Leben“ eine Untersuchung wert. Das ist in Deutschland sehr verbreitet, hat Zehntausende Anhänger, aber wenige kennen es. Ursprünglich hieß es „Heimholungswerk Jesu Christi“.
Eine andere Gruppe wäre „Viat Lux“. Von Uriella habt ihr vielleicht schon mal gehört. Das ist auch so eine Gruppe. Uriella ist eine Prophetin, die eine Zeitlang viel in den Medien war. Sie trägt ein weißes Gewand und hat schwarze, wallende Haare.
Eine weitere Gruppe wären die Raelianer, benannt nach Rael. Das ist eine UFO-Sekte, die in Frankreich entstanden ist und auch in Deutschland regelmäßige Treffen hat.
Auch die Anthroposophen wären interessant. Sie sind zwar schon älter, aber sehr agil und weit verbreitet. Man trifft sie häufig. Deshalb lohnt es sich, sie kennenzulernen. Ich werde sie im Unterricht nicht besprechen können.
Wenn ihr in diesem Buch nachschaut, findet ihr eine ganze Liste von Sondergruppen. Das ist nicht die vollständige Liste, aber schon sehr umfangreich. Pro Seite sind etwa dreißig Gruppen aufgeführt, und es gibt noch mehr.
Es gibt also eine große Auswahl.
Die „Emerging Church“ zählt hier nicht dazu, denn das ist ein Gemeindebaukonzept, über das man kontrovers diskutieren kann. Es wäre spannend, aber mehr für ein anderes Seminar.
Die Emerging Church wird nicht als Sondergruppe bezeichnet, weil sie sich nicht stark von christlicher Dogmatik unterscheidet, sondern eher darin, wie sie Dinge umsetzen und anwenden.
Wenn ihr unsicher seid, fragt mich. Ich sage euch, ob sich das lohnt oder nicht.
Ich werde hier die Zeugen Jehovas, die Neuapostolische Kirche, die Mormonen und die Adventisten behandeln. Das wird der Schwerpunkt sein.
Das sind vier Hauptgruppen mit vielen Mitgliedern, denen jeder von euch früher oder später begegnen wird.
Wenn ihr Fragen zu anderen Gruppen habt, werde ich auch eine Stunde für Rückfragen einräumen.
Dann gehe ich auf Gruppen ein, die wir sonst nicht ansprechen, zum Beispiel Scientology.
Scientology ist auch eine bekannte Gruppe, die ich aber aus Zeitgründen nicht behandeln werde.
Sie ist spannend und manchmal randlich skurril.
Auch die Vereinigungskirche von Sun Myung Moon ist relativ verbreitet, früher mehr als heute. Das ist ebenfalls eine Sondergruppe.
Es gibt einige Sekten, die heute in Deutschland verbreitet sind.
Damit komme ich gleich zu einer Quizfrage, weil ich gerade dabei bin.
Was meint ihr, wie viele Sondergruppen so in Deutschland aktiv sind?
Es gibt keinen Preis dafür, es geht nur um euer Gefühl.
Wie viele Gruppen, Sondergruppen, also Sekten gibt es in Deutschland?
Weltweit ist das schwieriger zu sagen, da gibt es keine genaue Zahl.
Aber in Deutschland?
Das klingt fast wie ein Wettbieten, manche schätzen immer höher.
Ich kann euch sagen: Die wahre Zahl ist noch höher als tausend.
Ich sage euch das, damit ihr seht, dass wir hier nur an der Oberfläche kratzen.
Natürlich muss man sehen, dass manche dieser Sekten nur 50, 60 oder 100 Anhänger haben und nur regional bedeutsam sind.
Ihr kennt sie kaum, wenn ihr nicht an dem Ort wohnt.
Zum Beispiel gibt es hier in Lemgo eine Niederlassung der Schaffranecks. Das ist eine kleinere Gruppe, aber immerhin einige hundert Leute.
Die Schaffranecks sind eine Sondergemeinschaft mit Niederlassungen hier und im Schwarzwald.
Wenn ihr in Hamburg wohnt, habt ihr meist nichts mit ihnen zu tun, außer sie tauchen mal bei großen Veranstaltungen auf und machen mit Transparenten auf sich aufmerksam.
Oder in Süddeutschland habt ihr vielleicht mit Ivo Sasek und der organischen Christusgeneration zu tun. Das ist auch so eine Gruppe, die man untersuchen könnte.
Sie wildern gerade stark in evangelikalen Gemeinden, besonders in Gemeinden, die traditionsbewusst oder streng sind.
Das ist eine aktive Gruppe, die am Rande des evangelikalen Bereichs steht.
Insgesamt rechnen Fachwissenschaftler mit mehr als tausend Sondergruppen in Deutschland.
Das ist eine Schätzung, denn es gibt keine genaue Zählung.
Das liegt auch daran, dass jedes Jahr neue Gruppen entstehen, die erst keiner kennt.
Manche Sekten schließen sich zusammen, andere verändern sich oder gehen unter.
Es ist ein ständiger Prozess.
Nicht alle Gruppen existieren seit Jahrhunderten.
Manche Sekten sind mehrere Jahrhunderte alt, andere sind relativ jung.
Ich gebe euch heute Nachmittag die Aufgabe, wenn ihr wollt, in der Bibliothek an einer solchen Sondergemeinschaft zu arbeiten und zu recherchieren.
Macht euch Notizen, die ihr nicht abgeben müsst, aber als Grundlage für ein Kurzreferat nutzen könnt.
Wie ist die Gruppe entstanden? Was lehrt sie? Wie sollen wir als Christen darauf reagieren? Wo geben wir Antworten, warum sagen wir, dass etwas falsch ist? Wie soll man mit den Anhängern umgehen?
Ihr müsst keine Spezialisten sein, sondern sollt lernen, wie man sich einer Gruppe annähert und sie untersucht.
Vielleicht lest ihr euch fest und arbeitet bis spät in die Nacht, das ist auch erlaubt.
Nach dem Kaffeetrinken, etwa um halb vier, bin ich oben in der Bibliothek.
Die Bibliothek ist ein Stockwerk hoch, wenn ihr hier ins Treppenhaus geht, links.
Die Bibliothek ist dann offen, ich mache die Lichter an und sitze im Bibliotheksbüro.
Wenn ihr Fragen habt, kommt zu mir, dann können wir die Sachen ausarbeiten.
Wir haben auch Wireless-Laden, ihr könnt euren Computer nutzen.
Wenn ihr keinen habt, kann ich euch vielleicht einen zur Verfügung stellen.
So machen wir das.
Was habe ich noch vor?
An einem Nachmittag möchte ich mit euch eine Diskussionsrunde machen, um über einen theologischen Bereich zu sprechen.
Für die, die schon bei Familienfreizeiten waren, weiß ich, dass sich das meistens spannend entwickelt.
Dafür reserviere ich einen Nachmittag.
Wahrscheinlich biete ich auch einen weiteren Unterrichtsnachmittag an. Ich sage euch heute Abend, was genau.
Außerdem möchte ich mit denen, die wollen, eine Exkursion zu den Zeugen Jehovas machen.
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das am Mittwoch oder Donnerstag ist. Ich schaue noch ins Programm.
Die Zeugen Jehovas haben abends ein Versammlungsbuchstudium an einer Predigtschule, der theokratischen Predigtschule.
Dort möchte ich mit euch hingehen, damit ihr seht, wie ihre Veranstaltungen ablaufen.
Aber die Zeugen Jehovas werden ihren Termin nicht verschieben.
Wir gehen ohne Anmeldung hin, um das normale Leben zu sehen, nicht eine Werbeveranstaltung.
Ich kenne den Leiter der Zeugen Jehovas hier vor Ort. Wir verstehen uns gut, nicht theologisch immer, aber persönlich.
Wir gehen nicht hin, um zu stören oder zu diskutieren, sondern als Beobachter.
Wenn jemand auf euch zukommt, könnt ihr diskutieren, aber wir wollen zuhören.
Nachher setzen wir uns zusammen und besprechen, was uns aufgefallen ist, was besonders war, was ähnlich oder anders ist.
Ich werde den Leiter vielleicht spontan fragen, ob er uns Rede und Antwort steht.
Ich frage ihn nicht vorher, damit sie nicht vorbereitet sind.
Wir wollen das ganz normale Leben sehen.
In Lemgo ist das möglich.
Wenn wir mehr Zeit hätten, würde ich auch gerne zu Veranstaltungen der Mormonen oder der Neuapostolischen Kirche mitgehen.
Das ist spannend, aber die haben während der Woche weniger Veranstaltungen.
Da müssten wir am Sonntagmorgen hingehen, und da seid ihr hier nicht mehr.
Deshalb ist das schwierig.
Aber mit den Zeugen Jehovas können wir das machen.
Am Donnerstagnachmittag machen die Frauen einen Ausflug.
Die, die wollen, können sich anschließen.
Ich werde eine Alternative anbieten.
Donnerstagnachmittag ist also Ausflugstag.
Außerdem gebe ich euch noch einen Studiennachmittag.
Der erste Studiennachmittag ist für die Sektenarbeit.
Den zweiten Studiennachmittag müssen wir noch terminieren. Wahrscheinlich Mittwoch.
Das wird eng, aber ihr bleibt ja eine Woche länger.
Ich möchte euch eine zweite Aufgabe geben: Ihr sollt eine Verschwörungstheorie entwerfen.
Ich werde euch erklären, wie das geht und warum.
Ich will nicht, dass ihr Leute irreführt, sondern dass ihr versteht, wie das funktioniert.
Wenn man selbst eine Verschwörungstheorie entworfen hat, erkennt man leichter die Fehler und Defizite bei bestehenden Theorien.
Die meisten sind nach einem ähnlichen Muster aufgebaut und wirken auf den ersten Blick überzeugend.
Es gibt Bücher mit vielen Fußnoten und Zitaten, die inhaltlich Unsinn sind, aber überzeugend wirken.
Ich nehme euch mit in diese Thematik.
Falls ihr nicht kreativ genug seid, entwerfen wir zusammen eine.
Ich habe schon ein paar Ideen.
Bitte veröffentlicht diese Theorien nicht im Internet.
Egal wie verrückt eine Theorie ist, sie findet Anhänger.
Vor einigen Jahren haben Studenten die Bielefeld-Verschwörung erfunden.
Die behauptet, die Stadt Bielefeld gäbe es gar nicht.
Das sollte zeigen, wie absurd solche Theorien sein können.
Inzwischen gibt es ganze Internetseiten, die das ernsthaft vertreten.
Manche Leute kämpfen dafür und sagen, dass alle Bilder gefälscht sind.
Wenn du sagst, du warst in Bielefeld, bist du ein Verschwörer.
Das Besondere ist, dass man auch für verrückte Theorien Anhänger findet, wenn man sie einigermaßen intelligent begründet.
Ist man dann wieder raus aus Bielefeld? Ja, keine Sorge, ich zeige euch den Ausweg.
Ich hoffe, ihr habt dabei auch etwas Spaß.
Ich gebe euch ein paar Tricks, wie ihr vorgehen könnt.
Das hilft auch, um reale Verschwörungstheorien zu enttarnen und zu verstehen.
Wir können dann Argumentationsmuster wiedererkennen.
Am Ende der Woche können wir eure Ergebnisse vorstellen.
Das wird fast wie ein bunter Abend, nicht nur todernst.
Ich hoffe, ihr löst die Theorien am Ende auf.
Wir wollen nicht mit zwanzig neuen Verschwörungstheorien nach Hause gehen und davor warnen, Angst zu haben.
Es gibt schon genug solcher Warnungen.
Ich bekomme alle zwei, drei Wochen Hinweise auf neue Weltverschwörungen und Untergänge.
Die sind in der Regel nicht gefährlich.
Ab und zu gehe ich ihnen nach.
Bisher haben sich alle als falsch herausgestellt.
Manche sind einfach zu widerlegen, weil die Fakten falsch sind.
Andere sind komplizierter, weil sie seit Jahrhunderten existieren.
Es gibt natürlich auch wirkliche Verschwörungen.
Verschwörungen gibt es seit Beginn der Weltgeschichte.
Das Wort bedeutet, dass Leute heimlich ihre Interessen durchsetzen wollen.
Die meisten Verschwörungen sind politisch oder wirtschaftlich.
Zum Beispiel Kartellabsprachen.
Das sind echte Verschwörungen.
Verschwörungstheorien dagegen machen oft Angst vor Dingen, die es nicht gibt.
Das Faszinierende ist, dass sie endlos überleben.
Am besten kann man Theorien verteidigen, die es gar nicht gibt, weil man in der Realität nichts findet, was dagegen spricht.
Zum Beispiel die Idee, dass Außerirdische auf der Erde gelandet sind.
Ich weiß nicht, ob jemand von euch das vertritt.
Es gibt ganze Bücher darüber, einige habe ich gelesen.
Wenn man einmal in diesem Denken drin ist, hat man eine eigene Ordnung, die sich bestätigt.
Millionen Menschen sind Anhänger.
Um das Jahr 2000 gab es in den USA einen Boom: Millionen Amerikaner glaubten, von Außerirdischen entführt worden zu sein.
Psychologen spezialisierten sich darauf, diese „Entführungsopfer“ zu behandeln.
Das war eine ernste Zeit.
Es gab wissenschaftliche Kongresse darüber.
Heute lachen viele im Abstand von zehn Jahren darüber.
Niemand hat je einen Außerirdischen gesehen oder eingesperrt.
Fotos, die es gibt, sind oft mit Photoshop gemacht.
Das ist kein Problem, denn Fotos kann man heute von allem machen.
Ein englischer Fußballprofi hat seine eigene Theorie: Die Welt wird von Echsen beherrscht.
Diese Echsen sollen menschliche Körper angenommen haben.
Er benennt Politiker, die angeblich Echsen sind.
Manche lachen darüber, aber es gibt Menschen, die das ernst nehmen.
Einige haben Anschläge auf Politiker verübt, weil sie glauben, diese seien Echsen.
All diese Theorien existieren real.
Tausende Menschen glauben daran.
Es gibt Kongresse, Bücher, Internetseiten.
Manche haben Unterhaltungswert, aber wir müssen sie auch ernst nehmen.
Wir müssen verstehen, wie solche Theorien entstehen und wie wir zwischen seriösen und unseriösen Informationen unterscheiden.
Das werde ich euch später kurz erläutern.
Dann gibt es eine Aufgabe, eine Verschwörungstheorie zu entwerfen.
Damit sind wir am Ende meines Plans für die Woche.
Ich bin meistens optimistisch, dass das klappt.
Während der Woche merken wir, was möglich ist.
Ein paar Eckpunkte stehen fest: die einzelnen Sekten, die ich vorstelle, die Aufgaben.
Wenn die Zeit nicht reicht, haben wir immer noch den Abend.
Und wenn ihr dann noch Zeit habt, von zehn Uhr abends bis acht Uhr morgens, könnt ihr weiterarbeiten.
Gerade diese Themen erfordern, dass sich der wirkliche Gläubige unter das Blut Jesu Christi stellt und um Heil bittet, denn die Gefahr ist real.
Viele dieser Themen sind nicht nur intellektuelle, sondern auch geistliche Auseinandersetzungen.
Das lesen wir auch in der Bibel.
Vielleicht nehme ich das gleich zum Anlass, jetzt zu fragen: Was ist eigentlich eine Sekte?
Das ist nämlich auf mehreren Ebenen wichtig. Der Begriff Sekte oder Sondergruppe – wenn wir jetzt den neueren Begriff nehmen – wurde ursprünglich zur Zeit des Neuen Testaments benutzt, um eine politische Partei zu bezeichnen. Das war dann eigentlich etwas ganz anderes, als wir es heute verstehen.
Übrigens spricht man bis heute in der Religionswissenschaft manchmal noch von hinduistischen oder buddhistischen Sekten. Der europäische Leser, der das liest, denkt sich oft: „Ah, das sind jetzt auch so wie Zeugen Jehovas.“ Das ist damit aber gar nicht gemeint. Gemeint sind verschiedene Lehrgruppen innerhalb des Buddhismus oder Hinduismus. Zum Beispiel hat der Hinduismus keine große Gruppe wie etwa der Katholizismus mit allem, was daneben existiert. Im Hinduismus gibt es viele kleine Gruppen, Gurus und Yogis, die alle ihre Interpretation des Buddhismus vertreten, und die nennt man dann eben Sekten.
Das liegt an der Struktur dieser Religion, die anders ist. Es gibt dort nicht so etwas wie einen Papst oder eine Kirche, eine hinduistische Kirche gibt es nicht. Stattdessen gibt es einzelne Tempel, in denen wiederum mehrere verschiedene Götter verehrt werden, und es gibt verschiedene Tempel. Die Struktur ist also ganz anders, und man spricht mehr von Sekten als einzelnen Lehrgruppierungen innerhalb eines bestehenden Gesamtsystems. Das war auch das, was man in der Politik meinte, wenn man von Sekten sprach – also politische Sekten, politische Gruppen.
Die katholische Kirche hat eine andere Interpretation von Sekte. Sie leitet den Begriff vom lateinischen „secare“ ab, was so viel wie „abschneiden“ oder „trennen“ bedeutet. Nach katholischer Auffassung ist eine Sekte eine Splittergruppe, die sich abgespalten hat. Sprachlich ist diese Definition durchaus möglich. Allerdings glaube ich, dass die katholische Kirche das nicht aus neutralem akademischem Interesse so formuliert hat, sondern dass es im Grunde eine Art Selbstrechtfertigung ist.
Denn die katholische Kirche geht selbstverständlich davon aus, dass sie das Ursprüngliche ist. Alle, die sich von ihr getrennt haben, sind dann Abspaltungen vom Ursprünglichen und deshalb Sekten. Das ist natürlich bequem. Man kann sagen: „Aha, wir brauchen gar keiner Gruppe mehr nachzugehen, wir müssen uns weder mit den Evangelischen noch mit den Orthodoxen noch mit sonst jemandem auseinandersetzen, denn das sind ja Abspaltungen vom Ursprünglichen und deshalb Sekten.“ Sekten ist negativ belegt.
Die katholische Kirche benutzt diesen Begriff nicht neutral, sonst könnte man sagen: „Okay, die haben sich abgespalten.“ Heißt das, dass sie richtig oder falsch sind? Nein. In der katholischen Interpretation heißt das: Abspaltung vom Ursprünglichen ist falsch. Das ist übrigens die Auffassung, die die katholische Kirche bis heute offiziell vertritt. Es gibt keine Kirche außerhalb der katholischen.
Man muss nicht einmal mehr sagen, nur die anderen sind falsch. Die offizielle Lesart ist: Es gibt keine Kirche außer der katholischen. So sagt die katholische Kirche zur evangelischen Kirche: Die evangelische Kirche ist keine Kirche, sondern eine religiöse Gemeinschaft. Das ist nicht dasselbe. Die katholische Kirche nimmt für sich in Anspruch, die einzige Kirche zu sein, die je existiert hat, nämlich die römisch-katholische. Alles andere sind nur religiöse Gemeinschaften.
Somit bist du als Evangelischer auf derselben Ebene wie die Zeugen Jehovas oder sonst was – nur etwas näher bei der katholischen Kirche und etwas weiter weg. Das ist der einzige Unterschied. Die katholische Definition von Sekte ist also: Abspaltung, und hier ist gemeint Abspaltung von der ursprünglich katholischen Kirche.
Wir haben zwei Begriffe: den Begriff der Häresie und den Begriff des Schismas. Darauf komme ich später noch zu sprechen.
Ich wollte sagen, das war eigentlich schon so zeitgemäß. Man sprach da von der Sekte der Naschariner oder der Pharisäer oder der Sadduzäer. Sie kamen erst bald gewonnen, ja. Man muss nämlich immer nach dem Ursprung fragen: Wer urteilt denn? Richtig.
Da kommen wir auf ein Problem dieser Definition zu sprechen: Eigentlich könnte jede religiöse Gruppierung als Abspaltung bezeichnet werden. Wenn du einen orthodoxen Theologen fragst – griechisch-orthodox oder russisch-orthodox –, der würde sagen, die katholische Kirche hat sich abgespalten. Denn die Orthodoxen nehmen für sich in Anspruch, die ursprüngliche Kirche zu sein. Dann sieht das plötzlich für die Katholiken komisch aus, nicht?
Oder die Kopten sagen, sie seien die ursprüngliche Kirche. Die äthiopische Kirche sagt, sie sei die ursprüngliche, die Armenier sagen dasselbe. Es gibt also mehrere, die miteinander konkurrieren. Dann werden jeweils die anderen als Abspaltungen dargestellt, während die eigene Gruppe die ursprüngliche ist.
Wenn wir das nicht nur organisatorisch, sondern auch lehrmäßig fassen, würde auch Martin Luther sagen: „Wir kommen ja zurück zum Ursprung, und die katholische Kirche ist von dem Ursprung abgespalten.“ Das heißt, ich muss das nicht nur organisatorisch sehen, sondern kann es auch lehrmäßig lesen.
Dann sagt die evangelische Kirche: „Wir haben am Evangelium festgehalten“ – deshalb nennt sie sich ja evangelisch – „und die katholische Kirche hat sich vom Evangelium abgespalten und sich durch Sonderlehren getrennt.“
Wenn ich diese Abspaltung vom Ursprünglichen als Ausgangsbasis nehme, dann ist es nicht eindeutig, welche nun wirklich die ursprüngliche Kirche war – organisatorisch das erste Problem. Zweitens: Warum sollte ich diese Definition organisatorisch fassen? Ich könnte sie auch lehrmäßig fassen.
Dann würden wir als Evangelikale wahrscheinlich sagen: Wir sind am nächsten bei der Urgemeinde, und die anderen sind alle abgespalten. Wir haben in den Pharisäern gesagt: „Ihr Ottern, warum legt ihr den Leuten so besondere Sätze auf, die gar nicht von Gott sind?“
Wenn das Lehrmäßige als Ausgangspunkt genommen wird, dann sieht die Sache anders aus.
Wenn wir das Ganze noch religionswissenschaftlich betrachten, müssten wir sagen: Ist das gesamte Christentum eine Sekte? Denn die Christen sind ursprünglich eine Abspaltung von den Juden. Die erste Gemeinde bestand ausschließlich aus Juden. Der Unterschied bestand darin, dass sie an den Gott des Alten Testaments glaubten, aber davon überzeugt waren, dass der Messias schon gekommen sei. Die Juden heute glauben hingegen, der Messias sei noch nicht gekommen. Das ist der große Unterschied.
Dann merken wir, dass diese Unterscheidung von Sekte nicht mehr sehr viel bringt, wenn wir sie heranziehen.
Ich nenne euch diese Definition, weil sie weit verbreitet ist, gerade von der katholischen Kirche stark gefördert wird. Die katholische Kirche hat etwa die Hälfte aller Christen weltweit als Mitglieder. Das heißt, alle anderen orthodoxen, evangelischen, reformierten und Freikirchler bilden die andere Hälfte.
Man geht davon aus, dass weltweit etwa 1,1 bis 1,2 Milliarden Menschen katholisch sind. Damit ist die katholische Kirche die größte religiöse Organisation überhaupt – nicht nur die größte religiöse, sondern die größte Organisation der Welt.
Es gibt keine andere Organisation, die größer ist als sie.
Hier würde ich den Begriff Sekte nicht benutzen, weil er hier nicht hilfreich ist. In der Öffentlichkeit stößt er auf Unverständnis. Das heißt, wir werden mit niemandem darüber reden können, außer mit ein paar anderen Evangelikalen. Denn wenn man irgendwo in der Öffentlichkeit sagt, die katholische Kirche sei eine Sekte, versteht das keiner. Niemand weiß, was man damit sagen will. Sekte ist normalerweise eine kleinere Gruppe, die irgendwie seltsam oder skurril ist.
Deshalb würde ich die katholische Kirche so nicht als Sekte bezeichnen. Das heißt nicht, dass ich sage, in der katholischen Kirche wird alles richtig gelehrt – das würde ich nicht behaupten. Aber ich würde sie nicht als Sekte bezeichnen.
Darüber hinaus ist auch das riesige Problem, dass kaum jemand genau sagen kann, was die katholische Kirche überhaupt lehrt. Wenn wir jetzt Konfessionskunde hätten, müsste ich ausführlich erzählen, was die katholische Kirche lehrt. Denn in dieser Kirche mit über einer Milliarde Mitgliedern findest du völlig unterschiedliche Sachen. Du findest Okkultisten, aber auch Leute, die du umarmen könntest und sagen würdest: „Du bist mein Bruder.“ Du findest dort alles Mögliche, weil die Kirche so groß ist. Es gibt nicht „das ist katholisch“.
Wenn ihr das meint und genügend Geld habt, nehme ich euch mit nach Südamerika, nach Brasilien, wir schauen uns die katholische Kirche dort an, wir schauen die katholische Kirche in Lemgo an, und ihr würdet denken, das kann doch gar nicht dieselbe Organisation sein. Das ist eine vollkommen andere Sache. Der Glaube drückt sich ganz anders aus, die Menschen leben ganz anders.
Das ist aber eine andere Frage, das wäre Konfessionskunde.
Ich nenne euch nicht alle Definitionen von Sekte. Die zweite Definition, die ich euch nenne, ist heute sehr stark verbreitet – nicht von der katholischen Kirche, sondern in der säkularen Öffentlichkeit. Säkulare Öffentlichkeit bedeutet Politik, Bildung, Universitäten und Medien.
Dort gibt es eine gemeinsame Definition von Sekte, die soziologisch geprägt ist. Sekte wird dort nicht als Abtrennung vom Ursprünglichen verstanden, sondern als eine Gruppe, die gesellschaftlich schädlich ist.
Deshalb berichten die Medien meistens von Sekten als skurrilen Gruppen, die verrückte Dinge tun, Menschen ausbeuten, unterdrücken, Kinder schlagen. Das ist tatsächlich so und wird betont. Kinder schlagen gilt als ein Zeichen von Sekten in den Medien heute.
Ich habe zum Beispiel in einer Dokumentation gesehen, dass große Sender ehemalige Zeugen Jehovas eingeladen haben. Die berichteten, was schlimm war: Die Eltern zwangen sie, sie durften nicht in die Disko gehen, wurden geschlagen, mussten immer zum Gottesdienst gehen. Solche Dinge wurden aufgezählt.
Bei allem, was diese ehemaligen Zeugen Jehovas beschrieben haben, dachte ich mir: Das könnte genauso gut ein Kind aus einer evangelikalen Gemeinde sein. Garantiert. Warum? Weil hier lediglich soziologische Prinzipien genannt wurden.
Soziologische Kriterien haben mehr damit zu tun, wie du dein Glaubensleben lebst und wie sehr sich dieses Leben vom Mainstream unterscheidet. Das ist entscheidend. Es wird nicht neutral bewertet, sondern danach, wie sehr sich das Leben dieser Gruppe vom gesellschaftlichen Mainstream unterscheidet.
Je mehr sich das unterscheidet, desto interessanter ist das für Medien und Politiker. Deshalb bekommen solche Gruppen, die gesellschaftlich eher von geringer Bedeutung sind, wie die Scientologen, viel Aufmerksamkeit. Die Scientologen sind so eine typische Sekte mit Unterdrückung, Leuten, die zusammengeschlagen oder ermordet werden, mit skurrilen Dingen, Ausbeutung und Gehirnwäsche.
Das ist für Medien und Politiker ein typisches Beispiel für eine Sekte. Und ich glaube, sie ist auch eine Sekte.
Andere Gruppen, wie zum Beispiel die Neuapostolische Kirche – wie oft taucht die denn in den Medien auf? Wie oft hört man von Politikern, dass die Neuapostolische Kirche eine Sekte sei? Dabei ist die Neuapostolische Kirche innerhalb Deutschlands viel einflussreicher und wichtiger als die Scientologen.
Die Scientologen sind nur spannender, weil sie skurril und komisch wirken. Deshalb werden sie genannt.
Um die Größenordnung zu verdeutlichen: Die größte deutsche Sekte, was wir als klassische Sekte bezeichnen, ist die Neuapostolische Kirche. Sie hat in Deutschland etwa 350.000 Mitglieder.
Jemand, der sich nicht mit religiösen Größenordnungen auskennt, sollte wissen: Die größte deutsche Freikirche, die Baptisten, haben gerade einmal 84.000 bis 85.000 Mitglieder. Das heißt, die Neuapostolische Kirche ist ungefähr viermal so groß.
In den Medien tauchen die Neuapostolischen so gut wie nie auf. Warum? Weil sie nicht so skurril sind und nicht so verrückt wirken.
Die Zeugen Jehovas sind schon ein bisschen komisch und tauchen daher häufiger auf. Sie sind in Deutschland die zweitgrößte Sekte, mengenmäßig sehr einflussreich. Jeder hat mit ihnen schon mal zu tun gehabt. Sie haben etwa 160.000 Mitglieder, also noch doppelt so viel wie die größte deutsche Freikirche.
Nur um die Größenordnung zu verdeutlichen: Das ist nicht vergleichbar mit den Mitgliedern der katholischen und evangelischen Kirche, die zusammen etwa 26 Millionen Mitglieder haben.
Der große Unterschied besteht aber darin, dass die meisten Mitglieder der katholischen und evangelischen Kirche darin geboren sind und nicht engagiert sind. Wenn man die Zahl der Gottesdienstbesucher betrachtet, ist sie viel niedriger – meist vier bis sechs Prozent der Mitglieder besuchen regelmäßig den Gottesdienst.
Die größte sektiererische Gruppe in Deutschland ist die Neuapostolische Kirche, die zweitgrößte die Zeugen Jehovas. Die Scientologen haben je nach Schätzung vielleicht 10.000 bis 15.000 Mitglieder. Das ist natürlich auch viel, und sie sind keine netten Leute, sie versuchen Einfluss zu nehmen. Das will ich nicht herunterspielen, aber mengenmäßig haben sie deutlich weniger Einfluss als viele andere Gruppierungen in Deutschland.
Wenn man gerade ein Buch über die Scientologen gelesen hat, bekommt man oft den Eindruck, sie seien überall. Man sieht, wo sie überall sind, und wird fast zum Fachidioten. Aber wenn man danach ein Buch über Muslime liest, denkt man: „Oh, die Muslime sind überall.“ Dann liest man ein Buch über die Katholiken und merkt: „Die Katholiken sind überall.“
Wenn man zehn verschiedene Bücher gelesen hat, ist man wieder auf Normalmaß. Dann merkt man: Sie sind zwar präsent und haben Einfluss, aber die Welt ist nicht nur Scientology.
Das passiert schnell, wenn man sich auf eine Gruppe konzentriert und sich hineinarbeitet. Man sieht dann nur diese Gruppe und nicht den Gesamtzusammenhang.
Übrigens gibt es dasselbe Phänomen auch für uns als evangelikale Christen – im Positiven. Wer sich nur in evangelikalen Kreisen aufhält, hat manchmal den Eindruck, die ganze Welt sei evangelikal, weil er nur diese sieht.
In der Realität sind die Evangelikalen in Deutschland eine kleine Gruppe mit relativ geringem gesellschaftlichem Einfluss.
Ich finde es oft faszinierend, manchmal richtig süß, wenn einige Journalisten Angst vor den evangelikalen Fundamentalisten schüren. Neulich gab es einen Artikel in der Zeit, der behauptete, sie unterwanderten die ganze Politik und bekämen überall Einfluss.
Da denke ich manchmal: Einige unserer Gegner sehen uns als viel mächtiger und einflussreicher an, als wir wirklich sind. Wenn man sich die Gemeinden anschaut, denkt man: Überleben wir überhaupt noch? Die Leute kommen nicht mehr, richten sich nicht danach, glauben nur halb. Aber manche Gegner sehen das als wahnsinnig gefährlich an, als würden wir alles unterwandern.
Ich würde sogar sagen: Schön wäre es, wenn wir diesen Einfluss hätten, den manche Journalisten uns zuschreiben. Aber der ist leider nicht da. Wir können dafür beten, aber er ist noch nicht da.
So kann es auch mit jemandem passieren, der sich nur auf Scientology konzentriert. Der hat hinterher den Eindruck, Scientology sei überall. Aber um realistisch zu bleiben: Das ist nur eine von über tausend sektiererischen Gruppierungen, die alle um Einfluss ringen.
Das gilt hier speziell für Deutschland. In jedem Land ist die Situation etwas unterschiedlich.
Bei den Neuapostolischen ist das eine Sonderstellung in Deutschland, denn sie sind die erfolgreichste deutsche Sekte. Wenn wir stolz sein können im Sektenbereich, dann auf die Neuapostolischen – das war ein Scherz.
Die meisten Sekten kommen aus Amerika – Zeugen Jehovas, Mormonen und so weiter. Hier haben wir eine richtig deutsche Sekte, die sogar weltweit expandiert.
Aber ich merke schon, die Begeisterung springt nicht über. Muss auch nicht.
Vor der Pause will ich euch noch etwas vorlesen, was von offiziellen staatlichen Stellen herausgegeben wird. Es gibt ein Handbuch dazu, ein DIN-A4-Heft, das für Lehrer gedacht ist. Das hier ist für Schüler.
Ähnliches ist auch in Schleswig-Holstein und Sachsen herausgegeben worden. Drei Bundesländer haben sich koordiniert und ähnliche Faltblätter herausgegeben, die mehrfach überarbeitet wurden.
Das Grundprinzip wird hier deutlich: Wie definiert man Sekte soziologisch?
Hier sind insgesamt 17 Punkte erwähnt. Am Ende steht: „Schon bei einem Punkt Vorsicht!“
Das heißt, schon bei einem Punkt sollte man vorsichtig sein.
Das hier bekommt ein Schüler oder jemand auf der Straße, um über Sekten aufgeklärt zu werden. Das wurde offiziell politisch vom Ministerpräsidenten Schleswig-Holsteins herausgegeben. Ähnliches gibt es auch in anderen Bundesländern.
Es geht mir nicht um jede Einzelheit, sondern um das Prinzip, wie man Sekte definiert.
Ich lese euch das mal vor und möchte, dass ihr mir zwei Dinge beantwortet: Erstens, wie viele Punkte auf eure Gemeinde zutreffen. Zweitens, welches Bild von guter Religiosität sich dahinter verbirgt.
Hier wird ein Bild von schlechter Religiosität dargestellt. Schlechte Religiosität ist sektiererisch. Deshalb: „Schon bei einem Punkt Vorsicht!“
Dahinter verbirgt sich ein Bild davon, wie Religiosität aussehen sollte, wenn sie nicht sektiererisch ist. Das sollt ihr mir hinterher auch beschreiben.
Also, Aufgabenstellung klar: Ihr hört zu und sagt mir hinterher, wie viele Punkte auf eure Gemeinde zutreffen und wie gute Religiosität aussieht.
Ich finde allein diese Grafiken schon schön. Leider habe ich sie nicht hier, kann sie aber auslegen.
Erster Punkt: Bei der Gruppe findest du exakt das, was du bisher vergeblich gesucht hast. Sie weiß erstaunlich genau, was dir fehlt.
Ist das bei eurer Gemeinde so? Kommt jemand neu dazu und findet, was er gebraucht hat? Wirklich? Denk daran: Schon bei einem Punkt Vorsicht!
Zweiter Punkt: Schon der erste Kontakt eröffnet dir eine völlig neue Sicht der Dinge. Du denkst an Evangelisation, legst jemanden an und es könnte passieren, dass er eine vollkommen neue Sicht bekommt.
Dritter Punkt: Das Weltbild der Gruppe ist verblüffend einfach und erklärt jedes Problem. Zum Beispiel: Gut und Böse. Da wird definiert: Das ist gut, das ist böse.
Vierter Punkt: Es ist schwer, sich ein genaues Bild von der Gruppe zu machen. Du sollst nicht nachdenken und prüfen. Deine neuen Freunde sagen: „Das kann man nicht erklären, das musst du erleben. Komm gleich mit in unser Zentrum.“
Fünfter Punkt: Die Gruppe hat einen Meister, ein Medium, einen Führer oder Guru, der allein im Besitz der ganzen Wahrheit ist.
Jesus sagt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit.“ Ein Führer, der allein im Besitz der ganzen Wahrheit ist, wird bewusst nicht erwähnt.
Sechster Punkt: Die Lehre der Gruppe gilt als einzig ewig wahres Wissen. Die etablierte Wissenschaft, das rationale Denken und der Verstand werden als Verkopfung, negativ, satanisch oder unerleuchtet abgelehnt.
Hier gibt es eine Grafik: Ein Mensch lächelt, klappt seinen Kopf auf, und das Gehirn fällt heraus.
Ich kenne einige Gemeinden, in denen das genauso läuft. Stellst du eine Frage, heißt es: „Das ist eine Anfechtung des Teufels, darüber darfst du nicht nachdenken.“
Oder: „Glaubst du an die Evolutionstheorie?“ Wenn nicht, wird die etablierte Wissenschaft als falsch angesehen.
Wenn ihr sagt, das trifft bei euch nicht zu, wie sieht es denn mit der Evolutionstheorie aus? Das ist etablierte Wissenschaft.
Siebter Punkt: Kritik durch Außenstehende wird als Beweis betrachtet, dass die Gruppe Recht hat. Du wirst angegriffen, also hast du Recht.
Hier gibt es eine Grafik: Die Welt treibt auf eine Katastrophe zu, und nur die Gruppe weiß, wie man die Welt retten kann.
Neunter Punkt: Deine Gruppe ist die Elite, und die übrige Menschheit ist krank und verloren, solange sie nicht mitmacht beziehungsweise sich retten lässt.
Zehnter Punkt: Du sollst sofort Mitglied werden.
Das war fast der einzige Punkt, bei dem ich dachte: Unsere Gemeinde macht das nicht.
Elfter Punkt: Die Gruppe grenzt sich von der übrigen Welt ab, etwa durch Kleidung, Ernährungsvorschriften, eigene Sprache, strenge Reglementierung zwischenmenschlicher Beziehungen.
Zwölfter Punkt: Die Gruppe will, dass du alte Beziehungen abbrichst, weil sie deine Entwicklung behindern.
Manche Gemeinden machen das, manchmal auch zu Recht. Stell dir vor, jemand kommt aus der Diskoszene, bekehrt sich. Was würdest du ihm raten? Weiter zu seinen alten Freunden gehen? Oder sagen: „Lass das, es gibt sinnvollere Sachen“?
Dreizehnter Punkt: Dein Sexualverhalten wird dir exakt vorgeschrieben, etwa durch Partnerwahl, Leitung, Gruppensex oder totale Enthaltsamkeit.
Manche Sachen haben wir vielleicht weniger Probleme in unserer Gemeinde, aber Sexualität vorschreiben – zum Beispiel Homosexualität ablehnen oder kein Sex vor der Ehe – ist schon eine Vorschrift.
Vierzehnter Punkt: Die Gruppe füllt deine gesamte Zeit mit Aufgaben: Verkauf von Büchern, Zeitungen, Werben neuer Mitglieder, Besuch von Kursen usw.
Das ist typisch bei den Zeugen Jehovas.
Wie viele Veranstaltungen habt ihr in eurer Gemeinde während der Woche? Manche haben nur ein oder zwei. Aber in einer ordentlichen Spätaussiedlergemeinde gibt es am Wochenende drei Gottesdienste, und während der Woche Chor-, Jugend-, Mitarbeiter-, Bibel- und Gebetsstunden, Kinderstunden.
Fünfzehnter Punkt: Es fällt schwer, allein zu sein. Jemand aus der Gruppe ist immer bei dir.
Hier gibt es eine lustige Grafik: Jemand sitzt auf dem Klo, und neben ihm steht jemand und hält Wache.
Sechzehnter Punkt: Wenn du zweifelst oder der versprochene Erfolg sich nicht einstellt, bist du selbst schuld, weil du dich nicht genug eingesetzt hast oder nicht stark genug glaubst.
Das trifft einige charismatische Geschwister besonders stark, etwa bei Krankheiten.
Siebzehnter Punkt: Die Gruppe verlangt strikte Befolgung ihrer Regeln und Disziplinen als einzigen Weg zur Rettung. Es gibt nur eine Rettung, und das ist jetzt das und das, und das musst du tun.
Am Ende: „Schon bei einem Punkt Vorsicht!“
Das heißt, wenn eines dieser Kriterien auf eine Gruppe zutrifft, sollte man vorsichtig sein. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass man sich in einer Sekte befindet.
Das ist eine staatliche Definition, nicht von Atheistenvereinigungen oder ähnlichem.
Jetzt wäre meine Frage: Wie viele Punkte treffen auf eure Gemeinde zu? Mehr als einer? Einigen wir uns auf mehr als einer.
Wenn ich unsere Gemeinde anschaue, die vielleicht besonders „schlimm“ ist, würde ich sagen, wahrscheinlich zwei Drittel der Punkte treffen zu. Manche Punkte wollen wir auch so. Wir wollen, dass Leute neue Sichtweisen bekommen, dass sie zuordnen, was richtig und falsch ist. Wir glauben, dass es eine Katastrophe gibt, auf die die Welt zusteuert. Das ist unsere Überzeugung.
Hier wird etwas als Sekte vorgestellt, das ich als soziologische Kriterien bezeichne – also äußere Formen, wie eine Gruppe auftritt. Inhaltlich wird nichts gesagt, was sie vertreten.
Es werden äußere, formale Aspekte genannt, die eine Gruppe zur Sekte machen.
Meine zweite Frage: Was ist nach diesen Kriterien die positive Religion, also die gute Religiosität – die das alles nicht erfüllt? Wie sollte Gemeinde nach diesen Prinzipien aussehen?
Man könnte sagen: Es gibt keine ethischen Maßstäbe, jeder macht, was er will, du gehst nicht hin, verbringst wenig Zeit, hast keine Wahrheit, jeder hat seine eigene Wahrheit.
Das sind eigentlich die Grundprinzipien.
Hier wird deutlich: Dahinter steht der Säkularismus. Alles, was Säkularismus und Pluralismus in Frage stellt, wird als Sekte bezeichnet.
Der Pluralismus sagt: Alles ist wahr, jeder in der Gesellschaft hat seine Wahrheit. Wenn du diese Grundüberzeugung in Frage stellst, bist du ein Sektierer.
Diese Diskussion wird nicht auf neutraler Ebene geführt.
Ihr dürft nicht die Illusion haben, dass die entscheidenden staatlichen Stellen evangelikal denken. Sie denken, das Weltbild, das sie mitgeprägt haben, ist der Normalfall. Alles, was zu stark davon abweicht, gilt als gesellschaftsschädlich oder sektiererisch.
Ein anderer Begriff wäre „fundamentalistisch“.
Ich teile diese Definition nicht. Die Katholiken teilen sie auch nicht, die sagen ja die Abtrennung. Ich frage: Welche Definition teile ich?
Ich teile die Auffassung, dass Sekte das ist, was die Bibel nennt – früher Häresie, heute Irrlehre. Das ist ein biblischer Begriff. In der Bibel wird häufig von Irrlehre gesprochen.
Der entscheidende Punkt ist: Das Falsche erkennt man selten am äußeren Erscheinungsbild, sondern eher daran, was gelehrt und weitergegeben wird.
Ist es die Wahrheit, von der Jesus spricht, oder weicht es in grundlegenden Fragen von dieser Wahrheit ab?
Ich betone: grundlegend.
Der Unterschied zwischen den Konfessionen – Mennoniten, Methodisten, Baptisten, freien Evangelischen, Reformierten – liegt oft in Details. Zum Beispiel, ob man einmal oder dreimal tauft oder im Namen des Vaters oder des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Christen können sich darüber streiten. Juden streiten sich untereinander noch mehr. Es gibt die Ironie: „Hast du zwei Juden, entstehen drei Synagogen.“ Juden zerstreiten sich alle untereinander, kaum einer ist einer Meinung.
Manchmal habe ich den Eindruck, Christen sind nicht weit davon entfernt. Es gibt viel Auseinandersetzung, oft überflüssig.
Falls ihr noch einen Streit in der Gemeinde braucht, kann ich euch ein paar Punkte nennen, über die ihr diskutieren könnt.
Ich erinnere mich an eine Gemeinde, die sich über die Frage spaltete, ob man zum Abendmahl Saft oder Wein nimmt.
Das ist eine wichtige Frage, ich will nicht sagen, sie ist unwichtig. Man kann darüber sprechen, ich habe auch meine Meinung.
Meine Meinung – obwohl nicht alle in meiner Gemeinde sie teilen – wäre eher für Wein. Vielleicht habt ihr Anhänger, die sagen: „Nein, nicht bei uns.“ Aber ich mache deshalb keine eigene Gemeinde auf.
Ich sage auch nicht, du bist Irrlehrer, weil du Saft beim Abendmahl nimmst.
Es gibt gute theologische Gründe für Wein, aber das macht niemanden zur Sekte.
Sekte ist da, wo bei grundlegenden, heilsrelevanten Lehren Abweichungen von der Bibel wahrgenommen werden.
Alle christlichen Gruppierungen stützen sich auf die Bibel – auch wenn du sagst, die Katholiken tun es nicht. Frag den Papst im Katechismus, er sagt: Die Grundlage der christlichen Lehre ist die Bibel.
Das sagen Evangelische, Katholiken, Orthodoxe und Freikirchen alle.
Natürlich müssen wir Anfänger das durchschauen.
Ich glaube, die grundlegenden biblischen Wahrheiten kann jeder Anfänger relativ schnell verstehen.
Entscheidend ist: Gibt es ein Abweichen, ein grobes Abweichen von den grundlegenden Lehren der Bibel?
Wir können kurz zusammenfassen: Was sind die grundlegenden oder heilsrelevanten Aussagen der Bibel?
Ich würde sie nicht als „die Grundlegenden“ bezeichnen, sondern als die wichtigsten.
Grundlegend sind zum Beispiel:
Damit haben wir schon fast alle grundlegenden, heilsrelevanten Aussagen.
Es gibt natürlich viele andere wichtige Dinge für Christen, aber die sind sekundär. Darüber entscheidet sich nicht, ob du Christ bist oder nicht.
Kannst du Christ sein, ohne eine Gemeinde zu besuchen? Ja, das ist möglich, aber es ist falsch.
Es gibt Christen, die glauben zum Beispiel, man brauche noch eine Glaubenstaufe. Ich nenne das eine verrückte Sache.
Wenn jemand sagt, du wirst nur gerettet mit der Glaubenstaufe, dann ist das sektiererisch. Weil es das Heil betrifft.
Die meisten Pfingstler, die ich kenne, sagen nur, es ist eine zusätzliche Glaubensart. Die einen sind gerettet, die anderen haben den Heiligen Geist.
Das ist eine falsche Lehre, aber keine heilsrelevante.
Wenn jemand privat den Sabbat hält, kannst du das tun, auch wenn ich es für falsch halte.
Wenn aber jemand sagt: Wer den Sabbat nicht hält, geht verloren, dann ist das sektiererisch.
Es gibt eine gewisse Spannbreite.
Ich würde sagen: Es gibt heilsrelevante Lehren.
Ich behaupte, alle christlichen Kirchen vertreten diese heilsrelevanten Lehren.
Das hat mir vorhin jemand über die katholische Kirche gesagt.
Ich kann euch aus dem Katechismus der katholischen Kirche all diese Punkte nennen. Das glauben alle Katholiken und bekennen es im apostolischen Glaubensbekenntnis.
Die Katholiken haben das Problem, dass sie einige zusätzliche Lehren haben, die vieles verwässern und verschieben.
Manche Katholiken glauben nicht einmal, was die Kirche sagt, sondern viel Unsinn.
Zum Beispiel sagt die katholische Kirche offiziell: Man darf Heilige nicht anbeten.
Einige Katholiken tun das trotzdem, dürfen es aber eigentlich nicht.
Warum? Die Kirche sagt: Du darfst sie verehren, aber nicht anbeten. Anbeten darfst du nur Gott, verehren darfst du die Heiligen.
Erklär das mal einem normalen Gemeindeglied, das Heilige anbetet.
Ich will die katholische Kirche nicht verteidigen, sondern sagen: Wir können messen, ob die grundsätzlichen, prinzipiellen Lehren der christlichen Kirche berücksichtigt werden oder nicht.
Wir können nur von Sekte sprechen bei einer Gruppe, die christlich sein will.
Wir können nicht sagen, die Muslime seien eine Sekte. Die Muslime sind eine andere Religion, die nicht Christen sein wollen und nicht an die Bibel glauben.
Das Gleiche gilt für Buddhisten. Es gibt buddhistische Sekten, die bestimmte buddhistische Grundüberzeugungen nicht teilen.
Es gibt christliche Sekten, die Christen sein wollen, aber die Grundüberzeugungen des christlichen Glaubens nicht teilen.
Daran müssen wir sie messen, nicht an ihrem äußeren Auftreten.
Wenn du jemanden hast, der gläubig ist und seinen Nachbarn ermordet – ist er Christ oder nicht?
Mittagessen.
Was soll ich sagen? Ihr seid so fleischlich gesinnt, ja.
Gut, ich lasse mich überzeugen. Es ist in Ordnung. Es war nicht ganz ernst gemeint.
Es ist vollkommen gerechtfertigt, danke für den Hinweis.
Wir machen hier Schluss.
Wer will, sehe ich heute Nachmittag um halb vier in der Bibliothek zur Ausarbeitung eines Kurzreferats über eine Sekte.
Heute Abend gibt es die Missionsstunde.
Morgen sehen wir uns wieder zum Unterricht.
Spätestens morgen sage ich euch, an welchem Abend wir unsere Exkursion zu den Zornjobers machen. Wer mitgehen will.
An den anderen Abenden plane ich, den Unterricht fortzusetzen – jeweils nur zwei Stunden, nicht viel –, damit wir noch einige Gruppen intensiver besprechen können. Sonst wird es zu eng und ich kann euch zu wenige Gruppen vorstellen.
Ach so, ja, ich würde sagen: Nein, das ist nicht so. Ich würde sagen, jemand ist Christ, wenn er bekehrt ist und das glaubt.
Nicht die Tat macht einen Menschen zum Christen, sondern der Glaube, sagt die Bibel deutlich.
Im Alten Testament gibt es zum Beispiel David, der als Vorbild des Glaubens genannt wird, obwohl er mehrfacher Mörder ist.
Das heißt: Es gibt Christen, die Sünde tun, und Nichtchristen, die Sünde tun.
Sünde ist falsch, ganz eindeutig. Aber Sünde ist nicht das Entscheidende, was Menschen zum Christen macht.