Für diejenigen, die am Wochenende nicht dabei waren, herzliche Grüße von meinen Geschwistern in Wuppertal-Bahnen und von den Geschwistern der gefährdeten Höfe Kurswechsel.
Es ist uns ein Anliegen, dass viele Menschen in Deutschland auch für diese Arbeit beten. Die Mitarbeiter brauchen viel Gebet, denn es gibt nicht nur schöne Zeiten, sondern auch frustrierende Phasen. Also nicht frostige, sondern frustrierende Zeiten.
Gestern haben wir uns mit dem Thema Vergebung beschäftigt. Ich habe bereits gestern Abend gesagt, dass das heutige Thema eine Fortsetzung dessen ist, was ihr gestern gehört habt. Wer gestern nicht dabei sein konnte, kann sich drüben bei der Technik die Aufzeichnungen holen und sie sich noch einmal ansehen.
Ich habe der Technik die PowerPoint-Präsentationen gegeben, damit sie diese als PDF auf die CDs legen können. So könnt ihr sie euch ebenfalls ansehen.
Von Vergebung zur Versöhnung: Ein weiterführender Blick
Heute gehen wir einen Schritt weiter und sagen: Vielleicht gibt es noch mehr als Vergebung. Wenn wir uns gestern damit beschäftigt haben, wie Gott uns vergeben hat und wie wir uns gegenseitig vergeben, könnte man meinen, das sei schon das absolute Highlight. Aber Gott hat noch mehr, und dieses „Noch mehr“ heißt Versöhnung.
Ich weiß nicht, wer von euch sich damit schon einmal auseinandergesetzt hat. Ich muss ehrlich sagen, früher habe ich immer gedacht, Versöhnung sei das Gleiche wie Vergebung – nur ein anderes Wort, vielleicht ein bisschen veralteter, und man gebraucht es nicht so häufig. Aber ich habe festgestellt, dass die Bibel große Unterschiede macht.
Das Thema heute lautet: Wie geschieht echte Versöhnung? Was ist bei der Versöhnung anders als bei der Vergebung? Versöhnung mit Gott, Versöhnung zwischen Mensch und Mensch und was ist der Dienst der Versöhnung?
Ich möchte zunächst vier Bibelstellen vorstellen, die von Versöhnung sprechen und verschiedene Aspekte der Versöhnung beleuchten. Wer seine Bibel dabei hat, kann es kontrollieren. Für die, die zu faul sind, können Sie auch hier vorne mitlesen. Es ist immer gut, wenn man seine Bibel dabei hat, denn man sollte zwar dem glauben, der vorne steht, aber es ist noch besser, selbst zu kontrollieren.
Die erste Stelle finden wir in Kolosser 1,19. Dort lesen wir: „Denn es gefiel der ganzen Fülle und damit ist Gott gemeint, in ihm, dem Herrn Jesus, zu wohnen, und durch ihn alles mit sich zu versöhnen, indem er Frieden gemacht hat durch das Blut seines Kreuzes.“
Einen ähnlichen Gedanken finden wir im Römerbrief, Kapitel 5. Dort heißt es in Vers 11: „Wir rühmen uns auch Gottes durch unseren Herrn Jesus Christus, durch den wir jetzt die Versöhnung empfangen haben.“
Die dritte Stelle, die wir uns ansehen wollen, steht in 2. Korinther 5, Vers 20: „So sind wir nun Gesandte an Christi statt, indem Gott gleichsam durch uns ermahnt: Wir bitten für Christus, lasst euch versöhnen mit Gott.“
Die vierte Bibelstelle finden wir im Matthäusevangelium. Jesus sagt in Matthäus 5, Vers 23: „Wenn du deine Gabe darbringst zu dem Altar und dich dort erinnerst, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, so lass deine Gabe dort vor dem Altar und gehe vorher hin, versöhne dich mit deinem Bruder und dann komm und bring deine Gabe dar.“
Ich würde vorschlagen, dass wir zu Beginn noch ein Lied miteinander singen. Das habt ihr in euren Liederbüchern, ich habe gesehen, Nummer 249. Ich habe es aber auch hier vorne. Das Lied heißt „Wie ein Fest nach langer Trauer“. Ich gehe davon aus, dass ihr das könnt. Es sind drei Strophen.
Danke. Ich habe gedacht, eigentlich könnte ich mich jetzt widersetzen, oder? Der Inhalt dieses Liedes sagt eine ganze Menge aus, und ihr habt wahrscheinlich gemerkt, dass dort Vergleiche und Bilder gebracht werden, um auszudrücken, was Versöhnung ist.
Irgendwo merken wir oder ahnen wir, dass das etwas Wunderschönes sein muss – so richtig frische, freie Luft, wie heute Morgen. Man tritt vor die Tür und kann so richtig durchatmen.
Ein Beispiel aus der Gemeinde: Versöhnung als lebendige Erfahrung
Ich möchte ein Beispiel aus einer kleinen Gemeinde geben, die ich erlebt habe und bei der ich sagen würde: Das ist Versöhnung.
In dieser kleinen Gemeinde hatten zwei Brüder Schwierigkeiten miteinander – so etwas soll ja vorkommen, Schwestern gibt es auch. Es war zu verletzenden Worten gekommen. Man ging sich aus dem Weg, war verbittert und sprach nicht mehr miteinander. Diese Auseinandersetzung lastete schwer auf der kleinen Gemeinde.
Dann konnte der Herr endlich im Herzen des einen arbeiten. Er ging zu dem anderen Bruder und bat um Vergebung. Auch der andere Bruder kam innerlich zur Einsicht und bat seinerseits um Vergebung. Sie beteten miteinander und gaben sich die Hand.
Man könnte sagen: Dann ist doch alles gut, oder? Doch am nächsten Sonntagmorgen geschah etwas Besonderes. Das Brot wurde gebrochen und ging durch die Reihen. Als das Brot zu dem einen Bruder kam, beobachteten die Geschwister genau, was nun geschah.
Der Bruder nahm den Teller, stand auf, ging hinüber zu dem Bruder, mit dem er die Auseinandersetzung gehabt hatte, und reichte ihm das Brot. Dieser nahm davon und reichte es dem Bruder zurück. Jetzt nahm auch er davon. Sie gaben sich die Hand und aßen gemeinsam von dem Brot.
Dann ging das Brot weiter durch die Reihen. Dabei wurde kein Wort gesprochen, aber alle hatten miterlebt, wie nach der Vergebung echte Versöhnung stattgefunden hatte. Über das Geschehene wurde nie mehr gesprochen.
Habt ihr so etwas schon einmal erlebt? Können wir ahnen, dass danach frische Luft in der Gemeinde war? Ich hoffe, bei euch ist frische Luft.
Dann ist dieser Vortrag Prophylaxe. Sollte das nicht der Fall sein, ist es vielleicht Hilfe.
Versöhnung als weiterführende Dimension der Vergebung
Was ist Versöhnung? Wir haben bereits gesehen, was Vergebung bedeutet. Gestern haben wir festgestellt, dass es Vergebung sowohl zwischen Gott und Menschen als auch zwischen Menschen untereinander gibt. Versöhnung möchte uns einen weitergehenden Aspekt der Vergebung aufzeigen.
Zu Beginn haben wir vier Bibelstellen gelesen, die uns drei unterschiedliche Schwerpunkte der Versöhnung zeigen. Die ersten beiden Bibelstellen, die wir in Kolosser 1 und Römer 5 gelesen haben, sprechen von der Versöhnung des Menschen mit Gott. Dies nehmen wir in der Regel sehr gerne in Anspruch. Heute Morgen haben wir dem Herrn gedankt, dass er für uns gestorben ist und uns mit Gott versöhnt hat. Dafür sind wir dankbar, und das nehmen wir gerne an.
Wir merken: Versöhnung ist zunächst einmal eine Angelegenheit zwischen Gott und Menschen, bei der eigentlich nur Gott der Handelnde ist. Wir Menschen können eigentlich gar nichts dazu tun. Wir können nur Danke sagen.
Der zweite Aspekt, den wir in 2. Korinther 5 gelesen haben, spricht vom Dienst der Versöhnung – ein anderes Wort für Evangelisation. Das ist unser Teil, damit andere Menschen mit Gott versöhnt werden. Wir sind Gesandte an Christi statt: „Lasst euch versöhnen mit Gott.“ Wenn wir selbst erlebt haben, wie wir mit Gott versöhnt wurden, ist es eigentlich logisch, dass wir das allen Menschen erzählen wollen.
Manchmal wundere ich mich, wie schweigsam Christen sein können. Ich habe manchmal den Eindruck, als hätten viele Christen einen Vorhang vor dem Mund. Spricht man über einen Fußballverein, können sie alle reden. Wird eine Krankheit angesprochen, reden sie alle mit. Am Arbeitsplatz sprechen Männer über Autos, Sport und Frauen – da sind sie gesprächig. Aber sobald es um das Größte geht, nämlich dass wir mit Gott versöhnt sind, bleiben uns die Worte im Hals stecken. Das ist seltsam.
Die letzte Bibelstelle, die der Herr Jesus selbst zitiert hat, Matthäus 5, sagt, dass Gott von uns, die wir mit ihm versöhnt sind, erwartet, dass wir uns auch untereinander versöhnen. Jesus macht dabei eine klare Rangordnung deutlich. Er spricht hier natürlich zu den Israeliten seiner Zeit, die gewohnt waren, zum Altar oder zum Tempel zu gehen, wenn sie Gott begegnen wollten. Wir kommen heute in die Gemeinde, um Gott zu begegnen. Gott oder der Herr Jesus sagt hier: Wenn du mir begegnen willst, dann ordne erst die Dinge mit deinem Bruder oder deiner Schwester.
Ich denke, das ist eine ganz wichtige Sache. Daraus wird deutlich, dass wir besonders den dritten Aspekt der Versöhnung heute betrachten wollen. Versöhnung ist mehr. Wir haben gesehen, Versöhnung ist mehr als Vergebung. Versöhnung ist mehr als ein Waffenstillstand.
Denn oft ist das bei der Vergebung so: Es kann vorkommen, dass man „Knies miteinander“ hat – so sagt man das bei uns. Ich weiß nicht, wie man das in Bayern sagt – irgendetwas stimmt nicht in der Chemie zwischen zwei Menschen. Dann sagt man: „Na ja, wir sind Christen, wir müssen uns ja vergeben.“ Also geht man hin, gibt dem anderen die Hand, sagt „Entschuldigung“ und meint, alles sei wieder in Ordnung. Aber man merkt, wie wir gestern gesehen haben, dass man dem anderen nicht richtig in die Augen schauen kann.
Deshalb ist es praktisch, dass ihr hier zwei Ausgänge habt. Wozu braucht man in der Gemeinde zwei Ausgänge? Hier hat man die Chance, sich nicht zu begegnen. Es ist zwar ein bisschen brenzlig, denn wer hinten rausgeht, kommt irgendwann wieder zurück. Aber vielleicht kann man sich ja so geschickt an der Kaffeetasse festhalten, bis... ja, das ist dann ein Waffenstillstand.
Da ist etwas nicht wirklich geregelt. Man hat sich zwar gegenseitig gesagt: „Vergib mir, alles klar“, und doch merkt man, dass etwas nicht stimmt. Da fehlt Versöhnung.
Versöhnung ist mehr als ein erzwungener Friede. Versöhnung bedeutet wieder vollstes Vertrauen. Und im Grunde wünschen wir uns genau das.
Die Bedeutung von Versöhnung im Alten Testament
Und damit wir verstehen, was die Bibel mit Versöhnung meint, untersuchen wir zuerst, wie der Begriff im Alten Testament gebraucht wird und danach, wie er im Neuen Testament verwendet wird.
Im Alten Testament wird im Hebräischen der Ausdruck Kippur oder Kippär verwendet. Das bedeutet so viel wie „eine Sache zudecken“. Das können viele Menschen – dafür brauchen sie einen großen Teppich, unter den man alles kehrt. Man deckt etwas zu, lässt Gras darüber wachsen, und alles ist verborgen.
Bei manchen Christen hat man den Eindruck, der Teppich liegt inzwischen so dicht unter der Decke, dass man sich bücken muss. Das ist aber keine Demut, sondern einfach nur „unter den Teppich kehren“. Das Wort Kippur bedeutet also „eine Sache zudecken“. Manche sind darin wahre Weltmeister.
Ein schönes Bild dazu finden wir in 3. Mose 16. Ich habe heute Morgen in der ersten Stunde schon einen Vers daraus gelesen. Der große Versöhnungstag heißt Jom Kippur-Tag. Das ist sozusagen der große „Zudeck-Tag“, an dem die Sünden des Volkes zugedeckt wurden.
Aber das wurde nicht einfach nur so gemacht, indem man eine große Decke darüber breitete und dann nicht mehr darüber sprach. Ich möchte euch jetzt einmal ein Bild von der sogenannten Stiftshütte, dem Heiligtum Gottes in der Wüste, geben.
Das war ein großer Bezirk, ungefähr so groß wie ein Fußballfeld, umzäunt mit einem weißen Vorhang von zweieinhalb Metern Höhe. Man konnte nicht darüber hinwegsehen, aber es war keine Mauer. Man konnte also hören, was drinnen geschah, und auch drinnen hören, was draußen passierte. Trotzdem war es ein abgesonderter Bezirk.
Es gab nur einen Eingang. Wenn ein Israelit mit Gott in Berührung kommen wollte, musste er durch diesen Eingang in den Vorhof eintreten.
Stellen wir uns vor, wir sitzen in einem Hubschrauber und blicken von oben herunter. Dann sehen wir dieses Bild. Ich habe hier jetzt mal die Decken über der Stiftshütte weggenommen, damit man in die beiden Räume hineinschauen kann.
Ihr seht, auf der linken Seite steht das größte Gerät, das es dort gab: der Brandopferaltar. Dahinter ist ein rundes Gerät, das Waschbecken. Dann kommt die Stiftshütte mit zwei Räumen. Der größere Raum ist das Heiligtum, der kleinere das Allerheiligste.
Ihr seht, im größeren Raum stehen drei Möbelstücke, im kleineren nur eines.
Der Israelit, der Gott begegnen wollte, kam also durch den Eingang in den Vorhof. Er durfte aber nicht weiter als bis zum Brandopferaltar gehen. Wenn er gesündigt hatte, musste er ein Opfer bringen. Das Tier wurde geschlachtet und auf dem Brandopferaltar verbrannt.
Das hat nicht schön gerochen. Wenn Fleisch gebraten wird, riecht es gut, aber wenn es verbrennt, riecht es unangenehm. Doch Gott sagt, das ist für ihn ein duftender Wohlgeruch.
Gott hat eine andere Nase als wir, weil er weiß: An dieser Stelle stirbt ein Tier anstelle des Sünders. Das war die einzige Möglichkeit, wie ein Sünder Vergebung bekommen konnte.
Bei Gott konnte man nicht einfach sagen: „Entschuldige, entschuldige, entschuldige.“ Für deine Sünde musste jemand sterben.
Hast du schon einmal darüber nachgedacht, wie viele Tiere du hättest schlachten müssen für all das, was du in deinem Leben verbrochen hast? So ein riesiger Vierhirte kannst du gar nicht werden, oder?
Der Israelit kam also und ging dorthin. Alles Weitere musste dann der Priester erledigen.
Der Priester ging vom Altar zum Waschbecken. Er musste sich selbst waschen, bevor er in die Gegenwart Gottes treten durfte. Von dort aus ging er dann in das Heiligtum. Er durfte aber nicht weiter als bis in das Heiligtum gehen.
In den kleinen Raum, das Allerheiligste, durfte nur einmal im Jahr der Hohepriester eintreten – an diesem einen großen Festtag, dem Jom Kippur-Tag.
Dann durfte er in die Gegenwart Gottes treten und Sühnung für die Sünden des Volkes tun. Gott wollte damit alle Sünden des Volkes ungeschehen machen.
Der Hohepriester musste dorthin gehen mit dem Blut eines Ziegenbocks. Um euch das etwas besser vorzustellen, habe ich hier ein Modell für diesen großen Versöhnungstag.
Es waren zwei Ziegenböcke notwendig. Zuvor musste noch ein junger Stier geopfert werden, weil auch der Hohepriester Sünden hatte und zuerst seine Sünden vergeben bekommen musste.
Danach mussten zwei Ziegenböcke gebracht werden. Der eine Ziegenbock – alles ist sehr umständlich, wenn man das alles liest. Seid froh, dass das heute nicht mehr nötig ist.
Der Hohepriester legte seine Hände auf den Kopf des einen Ziegenbocks und bekannte darauf alle Sünden des Volkes. Könnt ihr euch vorstellen, wie lange das gedauert haben muss, wenn er allein schon deine Sünden darauf hätte sagen müssen?
Dann wurde dieser Ziegenbock, auf dem symbolisch alle Sünden lagen, in die Wüste geschickt.
Was wollte Gott damit sagen? Das Sprichwort „jemanden in die Wüste schicken“ kennt man heute noch. Das heißt: Deine Sünden sind weg.
In der Wüste starb das Tier. Gott wollte damit deutlich machen: Deine Sünden sind aus meinen Augen verschwunden.
Der zweite Ziegenbock musste geschlachtet werden. Das Blut wurde aufgefangen, und der Hohepriester tat es in eine Schale.
Dieses Blut sollte er dann in die Gegenwart Gottes bringen, sozusagen als Beweis, dass ein Tier für alle Sünder gestorben war.
Wir sagen, das ist kompliziert, oder?
Warum tut Gott das so? Warum sagt Gott nicht einfach: „Schwamm drüber, die Sache ist erledigt, vergessen wir es“?
Weil Gott heilig ist. Ich glaube, wir haben heute vergessen, wie heilig Gott ist.
Gott kann nicht einfach die Augen zudrücken und sagen: „Jo, du bist so ein netter Kerl, ich lasse mal fünf gerade sein.“
Das verstehen wir normalerweise unter Vergebung. Aber Gott ist heilig. Gott muss Sünde strafen, und es muss jemand für dich sterben.
Wir haben gestern schon gesehen: Vergebung ist brutal und radikal, und es gibt keine Ausnahme.
Der Hohepriester ging also mit dem Blut zuerst in den ersten Raum, das Heiligtum.
Hier ein Blick in das Heiligtum: Auf der linken Seite steht der goldene Leuchter, auf der rechten Seite der sogenannte Schaubrotisch.
Vorne, vor dem Scheidevorhang, der das Allerheiligste abtrennt, steht der goldene Räucheralter.
Dort sollte der Hohepriester zu Gott beten und die Anliegen des Volkes vor Gott bringen.
Dann musste der Hohepriester seine schöne, vornehme Kleidung ablegen und sich ganz in Weiß kleiden.
Gott wollte damit deutlich machen: Vor mir kannst du dich nicht produzieren, du kannst nicht glänzen. Einfach nur ganz schlicht, ganz in Weiß.
Leg deine vornehme Kleidung ab, vor mir bist du nichts.
Dann ging der Hohepriester hinein in das Allerheiligste. Dort stand die sogenannte Bundeslade.
Das ist ein Kasten aus Holz, der innen und außen vergoldet war. Auf dem Deckel waren zwei Cherubim.
Damit ihr euch das besser vorstellen könnt, hier noch einmal im Detail.
Die Bundeslade als Symbol göttlicher Gnade
Was war das für ein geheimnisvoller Kasten? Gott sagte: „Das ist mein Thron.“ Du denkst vielleicht, das ist ein komischer Thron, oder? Wie kann man da überhaupt sitzen? Wofür sind die Stangen da? Wofür sind die Engel da? Warum ist das überhaupt ein Kasten und was ist in diesem Kasten?
Die Bibel beschreibt es genau. In dem Kasten waren drei verschiedene Dinge: Ein Krug mit Manna zur Erinnerung daran, dass Gott das Volk vierzig Jahre lang in der Wüste ernährt hatte. Dann ein Stab, der Aaron gehörte und der gesprosst hatte. Damit machte Gott deutlich, dass Aaron die Legitimation hatte, hoher Priester zu sein. Und schließlich waren dort die beiden Gesetzestafeln, auf denen Gott die zehn Gebote geschrieben hatte.
Wir würden solche Dinge als Andenken in einer Vitrine aufbewahren, oder? Damit man sie sehen und bewundern kann. Gott aber tut sie in einen Kasten und legt einen Deckel darauf. Man könnte fragen: „Gott, warum versteckst du diese wichtigen Dinge?“ Kann jemand von uns die zehn Gebote wirklich halten? Hast du das schon mal versucht? Hast du schon mal versucht, mit dem ersten Gebot anzufangen? Wie lautet es? „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben.“ Kann man das wirklich? Wir versuchen es immer wieder, zumindest ein bisschen, vielleicht sonntags. Aber schon beim ersten Gebot müssten wir sagen: „Das schaffen wir nicht.“
Gott hatte gesagt: „Tue das, und du wirst leben.“ Die Schlussfolgerung daraus ist: Wenn du es nicht tust, was passiert dann? Du musst sterben. Und wir sagen: „Gott, so radikal kannst du doch nicht sein, oder? Das kann doch keiner halten. Wozu hast du dann das Gesetz gegeben?“
Gott möchte damit deutlich machen, dass wir es nicht schaffen und dass wir zu ihm kommen und sagen: „Gott, ich packe es nicht.“ Damit nicht alle Menschen bestraft werden und sterben müssen, legt Gott seine Forderungen, sein Gesetz, in den Kasten und deckt es zu.
Man könnte sagen, er tut zwei Engel darauf, die Cherubim, die darauf achten, dass niemand den Deckel hochhebt. Und Gott setzt sich darauf – das ist sein Thron. An das Gesetz kommt kein Mensch heran, außer Gott selbst steht auf. Gott hält also seine Forderung unter Verschluss, sonst müssten alle Menschen sterben. Das ist Gnade, oder?
Darum nennt die Bibel diesen Deckel, der darauf liegt – wie Paulus es im Römerbrief nennt – den Sühne- oder Gnadenstuhl, den Versöhnungsdeckel. Der Zudeckdeckel macht deutlich: Es ist Gnade, dass Gott seine Forderungen zudeckt, sonst müssten wir alle sterben.
Aber warum kann Gott seine Forderungen zudecken? Gott ist heilig. Im Alten Testament gab es deshalb Opfer, bei denen Tiere sterben mussten, damit Gott gnädig sein konnte. Im Neuen Testament musste der Herr Jesus sterben, damit das einmal für alle Mal geschieht. Wer sich dafür weiter interessiert, sollte den Hebräerbrief lesen. Dort beschreibt der Schreiber ausführlich, wie der Herr Jesus diese Aufgabe übernommen hat.
Im Alten Testament durfte einmal im Jahr der Hohepriester in das Allerheiligste, in die Gegenwart Gottes, treten, um für die Sünden des Volkes Sühne zu leisten. Und Gott vergab, weil ein anderer starb. Dieser Deckel der Bundeslade macht deutlich, was das Wort Versöhnung bedeutet: Gott deckt zu.
Gott ist selbst die Garantie dafür, dass wir Menschen nicht sterben müssen.
Versöhnung im Neuen Testament: Eine völlige Veränderung
Jetzt werfen wir einen Blick ins Neue Testament. Das Neue Testament ist in Griechisch geschrieben. Verständlicherweise wird für das Wort Versöhnung ein anderes Wort verwendet, nämlich das griechische Wort Katalasso.
Interessanterweise bedeutet Katalasso im Neuen Testament etwas anderes als das hebräische Wort im Alten Testament. Das griechische Wort Katalasso heißt so viel wie „eine Sache völlig verändern“.
Diese Aussage finden wir in verschiedenen Bibelstellen. Wir haben bereits Römer 5 gelesen und auch Kolosser 1. Ich möchte noch einmal die Stelle aus Kolosser 1 vorlesen: „Denn es gefiel der ganzen Fülle, also Gott, in dem Herrn Jesus zu wohnen und durch ihn alles mit sich zu versöhnen, indem er, also der Herr Jesus, Frieden gemacht hat durch das Blut seines Kreuzes.“
Wir verstehen jetzt, dass im Alten Testament durch das Blut des Ziegenbocks Gott versöhnt wurde. Der Herr Jesus hat durch sein Blut, das er am Kreuz vergossen hat, uns mit Gott versöhnt – allerdings auf eine andere Weise als im Alten Testament.
Im Alten Testament wurde die Sache zugedeckt, während der Herr Jesus durch sein Blut die Situation völlig verändert hat. Das heißt, Gott selbst hat die Versöhnung vollbracht, nicht wir. Er vergibt uns nicht nur unsere Sünden, sondern möchte, dass wir ihm wieder in die Augen schauen können.
Wir erinnerten uns gestern an die Situation, in der Gott zu Kain sprach, bevor er seinen Bruder Abel umbringt: „Wenn die Sünde vor der Türe lauert, ist dein Angesicht gesenkt.“ Wenn etwas zwischen Menschen nicht stimmt, können sie sich nicht in die Augen schauen. Das hat Gott so in uns eingeprägt.
Gott möchte, dass wir Menschen ihm wieder in die Augen schauen können – dass Versöhnung stattfindet. Wer schon einmal unter Menschen Versöhnung erlebt hat, weiß, wie schön das ist. Wenn man sich wieder mit offenem Blick ansehen kann, so möchte Gott, dass wir in einem solchen Verhältnis zu ihm stehen.
Vergebung ist also nicht das eigentliche Ziel, sondern nur das Mittel zum Zweck der Versöhnung. Die Vergebung der Sünden ist im Grunde die Voraussetzung dafür, dass wir mit Gott versöhnt werden. Oft bleiben wir jedoch bei der Vergebung stehen und denken, das sei schon das Nonplusultra.
Gott möchte eine völlig neue Beziehung zu uns Menschen haben – eine Liebesbeziehung, eine Beziehung des Vertrauens. Und Gott selbst hat diese Versöhnung vollbracht.
Noch einmal: Die Vergebung räumt das Hindernis, die Sünde, weg. Wir haben gesehen, dass Gott sie in die Tiefe des Meeres wirft, damit eine innige, offene Beziehung entstehen kann – sprich: Versöhnung.
Wenn wir verstanden haben, dass wir mit Gott versöhnt sind, werden wir nicht schweigen können. Wir werden bestrebt sein, dass auch andere Menschen mit Gott versöhnt werden.
Nochmal die Stelle aus 2. Korinther 5: „So sind wir nun Gesandte an Christi statt, in dem Gott gleichsam durch uns ermahnt: Wir bitten für Christus, lasst euch versöhnen mit Gott.“
Versöhnung untereinander: Voraussetzungen und Herausforderungen
Nun möchte ich mit euch durchgehen, wie Versöhnung untereinander stattfinden kann. Dabei merken wir, dass Versöhnung untereinander nur möglich ist, wenn wir zuvor mit Gott versöhnt sind. Es ist uns also klar, dass wir Christen uns gegenseitig vergeben sollen, doch oft bleiben wir dabei stecken.
Oft sagen wir, wir können dem anderen nicht vergessen, und spüren noch immer Groll in unseren Herzen. Vielleicht wollen wir auch gar nicht vergessen, was der andere uns angetan hat. Nach außen hin sagen wir: „Ja, wir vergeben dir“, aber innerlich tragen wir den Groll weiter.
Was machen Christen heutzutage? Viele wechseln die Gemeinde, so wie andere ihre Hemden wechseln. Sie wechseln einfach die Gemeinde, weil sie nicht bereit sind, sich zu versöhnen. Das ist heute ja auch einfach, denn wir sind alle motorisiert. Ob du nur nach Kempten fährst oder woanders – unsere Autos sind im Grunde ein Hindernis für Versöhnung.
Gott will mehr. Er möchte, dass die mit Gott Versöhnten auch miteinander versöhnt sind. Ich möchte euch ein Beispiel aus der Bibel vorstellen, aus dem Alten Testament, aus 1. Mose 32. Wahrscheinlich kennen viele von euch diese Geschichte.
Die beiden Brüder Jakob und Esau – das war wie Feuer und Wasser. Zwei Charaktere, die kaum unterschiedlicher sein könnten. Esau war ein richtiger „Jung“, der schon als Kind mit Fröschen in der Tasche und Regenwürmern ankam. Jakob hingegen war das liebe „Jaköble“, das immer bei der Mutter in der Küche an der Schürzentasche hing. Er war der Lieblingssohn seiner Mutter, während Esau der Lieblingssohn des Vaters war. So ist das oft, oder?
Mutter Rebekka hatte Jakob offenbar erzählt, was Gott über ihn gesagt hatte. Jakob dachte sich: Den Segen, den mein Vater von seinem Vater bekommen hat, den will ich auch haben. Zusammen mit seiner Mutter hat er dann ausgeheckt, wie er diesen Segen vom Vater bekommen könnte. Er hat den Vater kräftig beeinflusst, und dann kam es zum Streit: Sein Bruder Esau war sauer, stinksauer, und sagte, eines Tages werde ich meinen Bruder umbringen.
Rebekka bekam das mit und sagte zu Jakob: „Hau ab!“ Also waren sie nicht der Meinung, dass es gut wäre, wenn die beiden sich vergeben und versöhnen. Also wechselte Jakob die Gemeinde – er haut ab, nach Mesopotamien, hunderte Kilometer entfernt.
Doch ist das Problem gelöst, wenn einer flieht? Nein, denn man nimmt sich ja selbst mit. Das verstehen viele nicht. Flucht ist keine Lösung. Man denkt, Distanz hilft, aber man nimmt sich selbst mit.
Jakob war ein Schlitzohr durch und durch. Er versuchte es bei seinem Onkel Laban, der genauso schlau war wie er. Zwei Schlitzohren – das konnte nicht gut gehen. Nach 21 Jahren griff Jakob wieder in dieselbe Trickkiste und flieht erneut. Manche haben das als Lebensprinzip: Wenn etwas nicht funktioniert, flüchte.
Jakob flieht zurück, und dann wird es hochinteressant, wenn man Kapitel 32 liest. Hinter ihm ist Esau, die Grenze nach hinten ist Laban. Die Grenze ist also zu, er kann nicht mehr zurück. Dann begegnen ihm Engel Gottes auf dem Weg, rechts und links – das heißt, Jakob kann weder nach rechts noch nach links ausweichen.
Er bekommt die Nachricht, dass Esau mit 400 Leuten kommt. Könnt ihr euch vorstellen, wie das ist? Es ist wie eine Mausefalle: hinten zu, seitlich zu, und von vorne wird es enger. Jakob kann sich ausrechnen, dass es irgendwann knallt. Wohin soll er noch fliehen? Nach hinten geht nichts, zur Seite nicht, nach vorne auch nicht.
Was macht man in so einer Sackgasse? Am besten mit dem Kopf gegen die Wand, oder? Jakob überlegt, ist kreativ und denkt an Flucht nach vorne. Aber wie kriegt er seinen Bruder dazu? Er packt ein Bestechungsgeschenk. Bestechungsgeschenke funktionieren manchmal.
Die Bibel beschreibt, dass er zweihundert Ziegen, zwanzig Böcke, zweihundert Schafe, zwanzig Widder, dreißig Kamele, vierzig Kühe, zehn Stiere, zwanzig Eselinnen und zehn junge Esel einpackt – insgesamt fünfhundertvierzig Stück Vieh, alle mit rosa Schleifchen, Geschenkpapier, Geschenkware, keine Handelsware. Er schickt das mit Dienern zu Esau. Das lässt sich etwas kosten.
Wir merken: Er möchte sich irgendwie mit seinem Bruder versöhnen. Er schickt ihm ein Geschenk. Wenn man jemandem ein großes Geschenk macht, dann ist dem der Mund gestopft – zumindest wenn er es annimmt. Jakob versucht es, aber so ganz sicher ist er sich nicht. Er kennt seinen Bruder – Esau ist ein harter Knochen.
In der Nacht betet Jakob zum ersten Mal. Ich habe diese Geschichte einmal in einem Hochsicherheitsgefängnis in Budapest erzählt, vor all den schweren Jungs. Ich sagte ihnen, ihr sitzt am sichersten Platz Ungarns, hier kann euch nichts passieren. Sie waren unruhig, doch ich sagte: „Ich sage euch eine Stelle, die in diesem sichersten Gefängnis undicht ist.“ Könnt ihr euch vorstellen, wie die Wärter nervös wurden? Sie hatten scharfe Hunde, Gummiknüppel und Pistolen dabei und gingen in Habachtstellung.
Dann erzählte ich die Geschichte und sagte: „Ihr seid hier von allen Seiten eingeschlossen, aber ein Weg ist frei – der Weg nach oben.“ Das ist der Weg, den Jakob in dieser Nacht beschritten hat.
Wir versuchen oft, aus einer Zwickmühle einen Ausweg zu finden. Gott sagt: „Warum in solchen Umständen? Melde dich doch bei mir!“ Jakob betet: „Herr, mir ist Angst, mein Bruder Esau kommt mit vierhundert Leuten, mir schwant nichts Gutes.“
Dann ringt er in dieser Nacht mit Gott. Er weiß: Wenn ich jetzt klein beigebe, dann muss ich Gott nachfolgen, den Kopf unter den Arm nehmen. Er ringt die ganze Nacht, und Gott ist stärker. Gott lässt sich mit sich ringen, wie ein Ringkämpfer. Als der Morgen anbricht, macht Gott ein Ende. Er tippt Jakob an die Seite, an der Hüfte, und Jakob hinkt fortan.
Gott gibt ihm ein Andenken für sein weiteres Leben. Bei jedem Schritt weiß Jakob: Gott hat mich angerührt. Vielleicht hast du eine Krankheit oder etwas anderes, wo du merkst, dass Gott mit dir gesprochen hat. Manchmal brauchen wir solche Zeichen.
Jakob klammert sich an Gott und sagt: „Ich lasse dich nicht los, du hast mich gesegnet.“ Ich finde diese Geschichte so dramatisch, weil ich mich darin wiederfinde. Wie schwer tue ich mich, mich wirklich an Gott zu klammern.
Am nächsten Tag trifft Jakob Esau. Esau sagt: „Was soll ich mit dem Krempel? Was soll ich mit all dem Vieh?“ Jakob drängt ihn: „Nimm es doch an.“ Mich wundert, dass Jakob nicht noch etwas als Zugabe gegeben hat. Schließlich sagt Esau: „Gut, wenn du unbedingt willst, dann nimm es.“
Die beiden nehmen sich in den Arm. War das Vergebung? War das Versöhnung? Sie werden später gesagt haben, sie hätten sich umarmt. Aber Jakob hat nicht gesagt: „Esau, bitte vergib mir.“ Über das Geschehene wurde nicht gesprochen. Man tut, als wäre alles in Ordnung.
Kennen wir das? Dann sagen Geschwister: „Wir haben uns umarmt, wir sind zusammen auf die Knie gegangen.“ Ihr hättet besser auf die Knie gehen sollen als nur zusammen. Merkt ihr, das war keine Versöhnung, sondern ein Waffenstillstand. Die beiden gehen wieder auseinander und treffen sich später nur noch bei der Beerdigung der Mutter. So ist es oft auch bei uns. Das war keine Versöhnung.
Jakob hatte versucht, etwas zuzudecken. Eine ähnliche Situation – darauf gehe ich jetzt nicht ein, das würde zu lange dauern – ist bei Josef und seinen Brüdern, nur ein paar Kapitel weiter in 1. Mose. Auch dort liegen sie sich in den Armen und weinen, es geht ihnen ans Herz. Aber die Brüder sagen nicht: „Josef, bitte verzeih uns, dass wir dich damals verkauft haben.“ Nichts, keine Versöhnung. Man hat die Vergangenheit zugedeckt, Schluss, man redet nicht mehr darüber, „vergiss es“.
Die Bibel möchte uns deutlich machen: Versöhnung ist anders. Das zeigt der Herr Jesus im Neuen Testament. Für mich ist das erstaunlich in Johannes 21, wie Jesus mit seinem Jünger Petrus umgeht.
Petrus hatte Jesus wenige Tage zuvor verleugnet – im Hof des Hohenpriesters. Er sagte: „Ich kenne den nicht“, und verfluchte sich sogar. Dabei hatte er vorher großspurig gesagt: „Ja, ich gehe mit dir ins Gefängnis, ich gehe mit dir in den Tod.“ Jesus sagte: „In dieser Nacht wirst du mich dreimal verleugnen.“ Petrus entgegnete: „Du kennst mein Herz nicht.“
Am Ostermorgen suchte Petrus Jesus auf. Was sie miteinander sprachen, steht nicht in der Bibel. Aber die Reaktion am See Tiberias in Johannes 21 zeigt mir, dass die Sache zwischen Jesus und Petrus in Ordnung gekommen ist.
Wir würden sagen: „Dann ist doch alles gut.“ Nein, offensichtlich hatte Jesus Petrus vergeben, aber es hatte noch keine Versöhnung stattgefunden.
Am See Tiberias sind die Jünger auf dem Schiff, haben nichts gefangen. Jesus steht am Ufer und fragt: „Kinder, habt ihr etwas zu essen?“ Sie sagen: „Nein.“ Jesus sagt: „Werft das Netz auf der anderen Seite aus.“ Jeder Fischer würde sagen: „Herr Zimmermann, bitte bleib bei deinen Leisten!“
Doch sie tun es, und es sind so viele Fische im Netz, dass sie es nicht mehr ziehen können. Sie holen die Kollegen mit einem anderen Boot, und gemeinsam schleppen sie das Netz an Land. Johannes sagt: „Das ist der Herr, so ein Wunder macht nur der Herr.“
Petrus springt sofort ins Wasser und schwimmt Weltmeister-verdächtig ans Ufer. Die anderen Jünger sitzen beim Frühstück. Jesus fragt Petrus: „Liebst du mich?“ Wir würden sagen: „Herr Jesus, ist das nicht peinlich? Bringst du jetzt die Sache im Hof des Hohenpriesters zur Sprache?“
Wir würden wahrscheinlich sagen: „Petrus, liebst du mich? Wie war das vor ein paar Tagen? Wie hast du das gemeint?“ Und wir würden im Erdboden versinken vor Scham.
Jesus sagt nur: „Petrus, liebst du mich?“ Petrus schaut auf den Boden, wird verlegen, und sagt: „Herr, du weißt, dass ich dich mag.“ Er traut sich nicht zu sagen: „Ich liebe dich.“ Wäre er Bayer gewesen, hätte er gesagt: „Ich mag dich.“ Aber jemanden zu mögen ist nicht dasselbe wie jemanden zu lieben.
Jesus fragt noch einmal: „Petrus, liebst du mich?“ Petrus antwortet: „Herr, du weißt, dass ich dich mag.“ Dann fragt Jesus: „Petrus, magst du mich?“ Da bricht Petrus zusammen, weil er merkt: In diesem Moment kommt Jesus auf seine Stufe herunter und rehabilitiert ihn vor den anderen.
Das ist Versöhnung. Jesus tut so, als wäre nichts gewesen, weil er vorher mit ihm gesprochen hat und Vergebung stattgefunden hat. Aber Jesus gibt ihm Vertrauen. Er sagt nicht: „Petrus, du hast mich dreimal verleugnet. Jetzt setzen wir dich drei Jahre auf die Reservebank, und dann sehen wir, wann du wieder spielen kannst.“ Nein, er gibt ihm sofort Aufgaben.
Ich finde das fantastisch. Versöhnung bedeutet, dem anderen wieder volles Vertrauen zu schenken. Und du sagst: „Das ist unmöglich! Jesus, hast du denn vergessen, wie er versagt hat?“ Sieh, das ist Versöhnung.
Vergebung nimmt die Sünde weg. Versöhnung lässt uns wieder in die Augen schauen.
Ich habe einen schönen Spruch von Jay Adams gefunden. Er sagte einmal: „Vergebung ist wie Unkrautjäten, aber danach muss das Feld neu bestellt werden.“ Das heißt, ich muss wieder Vertrauen aufbauen.
Merken wir, wie schwer uns das fällt? Du sagst: „Aber was der mir angetan hat!“ Und dann dauert das und dauert das und dauert das. Ich finde es fantastisch, wie Jesus Vertrauen wieder in uns setzt.
Du sagst: „Aber wenn der andere nicht zur Versöhnung bereit ist, was mache ich dann?“ Paulus sagt: „So viel an euch liegt, lebt mit allen Menschen in Frieden.“ Das heißt, wenn wir die Versöhnung von Gott annehmen, sollten wir zur Versöhnung und zu neuen Vertrauensbeziehungen unter Geschwistern immer bereit sein.
Gott geht so mit uns um. Wenn Gott mich nicht versöhnt hätte und wenn Gott nicht ständig sein Vertrauen in mich setzen würde, dann wäre ich klein mit Hut. Ich bin genauso ein Versager wie ihr auch. Dass ich hier stehe, liegt nicht daran, dass ich besser bin als ihr.
Ich wünsche mir, dass wir begreifen, wie groß die Versöhnung Gottes ist und dass wir auch anderen vergeben und ihnen mit Versöhnung begegnen und wieder Vertrauen schenken können.
Du sagst: „Der andere hat mich so enttäuscht.“ Ja, hast du Jesus nicht auch enttäuscht?
Mir geht es oft so: Wenn ein neuer junger Mensch zu uns in die Gefährdetenhilfe kommt, sieht der manchmal erschreckend aus. Dann stelle ich mir vor, was Jesus aus ihm machen kann. Und wenn ich euch so ansehe, stelle ich mir vor, was Jesus aus dir machen könnte. Bist du bereit dazu? Sag einfach ja.
Wir haben das Lied schon gesungen. Vielleicht streicht es euch im Liederbuch an und lest es euch immer wieder durch. Versöhnung ist das Schönste, was wir auf Erden haben können.
