Bevor wir nun in unser nächstes Thema einsteigen, möchte ich noch auf zwei Bücher hinweisen, die wir gerne empfehlen möchten.
Das erste Buch ist ein Restposten, wie der Name schon sagt, fast vergriffen. Die Auflage wurde zu Beginn sehr gut und schnell verkauft, da einige versucht haben, dieses Buch quasi zu verbieten oder seine Auslieferung zu verhindern. Es trägt den Titel "Gefährliche Stille" und ist die erste gemeinsame Veröffentlichung des Malachi-Kreises. Darin geht es um bestimmte mystische Tendenzen und andere Probleme, die während des sogenannten offiziellen Jahres der Stille in evangelikale Kreise hineingetragen wurden.
Wer sich informieren möchte über das Problem der Mystik, über die Frage, wie der Zeitgeist evangelikale Gemeinden an verschiedenen Stellen angreift, und auch über die Frage, was es bedeutet, im biblischen Sinne stille zu werden vor Gott, der findet in diesem Buch Orientierung und Ermutigung.
Noch lieber empfehle ich das zweite Buch, das ebenfalls das Thema Stille behandelt. Es orientiert sich am Gebetsleben Jesu. Dieses Buch ist der neue Bestseller von Wolfgang Bühne: "Das Gebetsleben Jesu – Ermutigung und Herausforderung".
Ich denke, jeder, der es bereits gelesen hat, wird mir zustimmen, dass dieses Buch tatsächlich beides bewirkt: Es ermutigt und spornt an, im Gebet treuer zu werden. Gleichzeitig ist es eine starke Herausforderung, sich selbst zu prüfen und das eigene Gebetsleben im Licht des Wortes Gottes und vor allem im Licht des Vorbildes Jesu zu betrachten.
Ich möchte dieses Buch sehr herzlich empfehlen. Es kostet sechs Euro fünfzig und kann eine wirkliche Ermutigung sowie eine Frischzellenkur für das eigene Gebetsleben sein.
Vom Alltag zur biblischen Botschaft: Ein Skandal am Steuer und das Kreuz als Anstoß
Heute Morgen, als wir hier nach Bielefeld an diesen wunderschönen Ort kamen, mussten wir alle, von der einen oder anderen Seite, denke ich, die Detmolder Straße durchqueren. Diese Detmolder Straße ist gespickt mit vielen Ampeln. Ich hoffe, die meisten waren nicht rot. Bei uns in Hannover gibt es natürlich auch rote Ampeln.
Von einer roten Ampel möchte ich zu Beginn besonders erzählen. Es ist eine rote Ampel in der Innenstadt von Hannover, nahe dem Rathaus. Wenn man an dieser Ampel rechts abbiegt, gelangt man zum Maschsee. Im Hintergrund wartet schon die AWD Arena, also das Stadion von Hannover 96.
Diese Ampel ist berühmt geworden, als sie rot war. Ampeln werden natürlich immer nur berühmt, wenn sie rot sind. Denn an dieser Ampel hat sich im Februar letzten Jahres ein handfester Skandal ereignet. Jetzt werden einige schon schalten.
Die damalige Bischöfin der hannoverschen Landeskirche, Margot Käßmann, ist nachts bei Rot einfach über diese Ampel gefahren. Nun, das wäre noch nicht das Schlimmste gewesen. Ein Polizist hatte ihr Verkehrsvergehen beobachtet und den Wagen angehalten. Als sie die Tür öffnete, kam ihm ein gewisser Alkoholgeruch entgegen. Es wurde eine Blutprobe entnommen, die 1,54 Promille ergab.
Natürlich hat man der Bischöfin sofort den Führerschein entzogen. Bis heute ist nicht bekannt, wer der ominöse Mann war, von dem Frau Käßmann in jener Nacht begleitet wurde. Zwischenzeitlich kam in Hannover das Gerücht auf, es habe sich um Altbundeskanzler Gerhard Schröder gehandelt. Das ist allerdings bis heute nicht erhärtet worden, es bleibt ein gewisses Rätsel.
Das Ganze war ein richtig schöner, handfester Skandal. Und bis heute fahren manche Hannoveraner ein Stückchen langsamer, wenn sie an der Käßmann-Ampel vorbeikommen.
Menschen lieben Skandale, und Medienmacher lieben Menschen, die Skandale lieben, weil sie damit gutes Geschäft machen. Allerdings müssen wir eine Einschränkung bedenken: Menschen lieben Skandale, solange sie selbst nicht davon betroffen sind.
Der Apostel Paulus hat den Tod unseres Herrn und das Kreuz, an dem unser Herr starb, und die Botschaft von diesem Kreuz als einen Skandal bezeichnet. Im Griechischen heißt Skandalon „Stein des Anstoßes“, Gegenstand der Entrüstung, Ärgernis.
Und das ist ein Kernthema in der Bibel: Das Kernthema der Bibel ist ein Skandal. So schreibt Paulus in 1. Korinther 1,23: „Wir predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Skandal und den Griechen eine Torheit.“
Also die einen regen sich darüber auf, und die anderen machen sich darüber lustig. Aber kaltlassen kann dieser Skandal keinen, der ihn jemals verstanden hat.
Ja, Menschen lieben Skandale. Aber diesen Skandal, sagt Paulus, lieben die Menschen nicht. Warum nicht? Könnte es eben gerade an dem Grund liegen, den wir schon benannt haben: Viele Menschen merken, bei diesem Skandal bin ich nicht nur Zuschauer, ich betrachte ihn nicht nur einfach von außen, sondern ich hänge irgendwie persönlich mit drin in diesem Skandal.
Warum sonst würden sie sich so aufregen?
Man muss zugeben: Selbst innerhalb der evangelikalen Reihen ist in den letzten Jahren ein eigentümlicher Streit über diesen Kern des Evangeliums entstanden. Wenigstens hier hatte man sich in früheren Jahren doch noch einig geglaubt.
Das ist ja anders als bei Themen wie Taufe, Gemeindeverständnis oder Endzeitlehre. Da waren die Auffassungsunterschiede normal, aber doch nicht hier im Kern des Evangeliums. Diese Bastion evangelikaler Gemeinsamkeit schien unerschütterlich.
Heute ist manches anders geworden, und es ist lebenswichtig für uns als Gemeinde Jesu Christi, dass wir uns immer wieder vergewissern, was die Bibel an dieser Stelle wirklich lehrt.
Darum ist das heute Nachmittag mein wichtigster Punkt. Wenn Sie mitschreiben wollen, so ist Teil A dieses Vortrags, der größte Teil, überschrieben mit dem Motto: „Der Skandal des Evangeliums“.
Es wird dann noch einen kleineren Teil B geben, aber das ist das Wichtigste: der Skandal des Evangeliums.
Die historische Perspektive auf den Skandal des Kreuzes
In Rom wurde auf einem der sieben Hügel, dem sogenannten Palatinhügel, ein berühmtes Graffiti entdeckt. Es handelt sich um eine Kritzelzeichnung an der Wand, die etwa aus dem zweiten oder dritten Jahrhundert nach Christus stammt.
Dieses Graffiti zeigt eine Gestalt, die an einem Kreuz hängt und einen Eselskopf hat. Daneben steht ein offensichtlich junger Mann, der zu diesem Kreuz hinblickt. Darunter ist in dicken griechischen Buchstaben geschrieben: „Alexamenos betet zu seinem Gott.“
Es handelt sich um eine Spottzeichnung. Ein Gott, der es zulässt, dass man ihn kreuzigt, wird als Esel dargestellt. Wer zu so einem Gott noch betet, gilt als doppelter Esel.
Die Botschaft vom gekreuzigten Christus hat von Anbeginn Ärger ausgelöst. Sie führte zu Widerspruch und Spott. Für den einen war sie ein Skandal, für den anderen eine Torheit.
Wir müssen nun klären, warum das so ist, was genau passiert ist und worin der Skandal des Evangeliums vom Kreuz besteht. Ich möchte dies in einigen Sätzen zusammenfassen. Erster Satz, bitte mitschreiben.
Die vier Dimensionen des Skandals am Kreuz
1. Der stellvertretende Sühnetod am Kreuz
Erstens geschah am Kreuz ein stellvertretender Sühnetod. Das ist das Erste, was wir festhalten: Am Kreuz nahm jemand eine Todesstrafe auf sich und sühnt eine Schuld.
Paulus schreibt dazu in Galater 3,13: Christus hat uns erlöst vom Fluch des Gesetzes, indem er zum Fluch für uns wurde. Er hat den Fluch getragen und auf sich genommen.
Und wisst ihr, was diesen Vorgang so brisant macht? Derjenige, der getroffen wurde, war völlig sündlos. Er war absolut rein und ganz und gar ohne jede Schuld. Persönlich hätte er diese Strafe niemals verdient. Gerade deshalb konnte er sie stellvertretend für dich und mich tragen.
Für sich selbst brauchte er keine Sühne, für sich selbst hatte er keine Schuld zu bezahlen. Sein ganzes Leben war frei und unverbraucht. Dennoch opferte er sein sündloses Leben für uns am Kreuz. Er lieferte sich selbst an den Galgen.
Was der Prophet Jesaja mehr als siebenhundert Jahre zuvor angekündigt hatte, steht in Jesaja 53: Die Strafe liegt auf ihm. Daraufhin sagte der Herr Jesus später von sich selbst in Markus 10,45: Der Menschensohn, also er selbst, ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben als Lösegeld für viele hinzugeben.
Und das, liebe Leute, ist das Wichtigste am Kreuz. Nicht, dass Jesus uns dort etwas zeigen wollte, sondern was er dort für uns tut. Er gibt sich selbst.
Doch damit nicht genug: Der, der dort hängt und unter grausamen Schmerzen erstickt, ist Gottes eigener Sohn. Deshalb schreibt Paulus in Philipper 2,5-8 in einem Loblied auf Christus: Obwohl er in göttlicher Gestalt war, also Gott war, erniedrigte er sich selbst und wurde gehorsam bis zum Tod, ja zum Tod am Kreuz.
Der Tod am Kreuz ist eine Steigerung des Todes, denn er war grausam, entwürdigend und brutal. Jesus wurde gehorsam – aber wem? Dem Vater.
Doch wie konnte der Vater so etwas fordern? Das gehört zum Skandal des Evangeliums. Erstens: Am Kreuz geschah ein stellvertretender Sühnetod.
2. Das Kreuz entlarvt meine Schuld
Wir fragen uns: Warum geht uns das so gegen den Strich? Warum können so viele Menschen diesen Skandal kaum ertragen?
Das führt uns zum Zweiten, was diesen Skandal ausmacht: Das Kreuz Jesu entlarvt meine Schuld.
Wir wissen aus allen historischen Darstellungen des Kreuzes, dass das, was dort geschieht, grausam, brutal und blutig ist. Nicht umsonst galt die Kreuzigung damals als die härteste Form der Todesstrafe. Der Politiker Cicero hat seine römischen Mitbürger eingeschworen, es sei unter ihrer Würde, bei einer Kreuzigung auch nur zuzusehen.
An diesem Kreuz zeigt mir der heilige Gott ungeschminkt, was? Er zeigt mir, wie schlimm es um mein Leben steht und wie erbärmlich mein Zustand ist! Das macht die Sache so ärgerlich: Er sagt mir an diesem Kreuz, das wäre dein Platz, wenn es nach Recht und Verdienst ginge.
Das Kreuz Jesu entlarvt meine Schuld. Am Kreuz Jesu siehst du Gottes Urteil über dein Leben. Dort erkennst du, dass dein Problem nicht nur ein paar einzelne Sünden und Fehler sind. Du bist nicht nur fehlerhaft, sondern im Kern deines Wesens verdorben.
Das zeigt uns Jesus am Kreuz. Du hast nicht nur einzelne Gebote missachtet, sondern dein Herz ist feindlich gegen deinen Schöpfer gerichtet – egal, ob du das weißt oder nicht, es ist so (vgl. Römer 5,8; Römer 5,20).
Ihr Lieben, lasst uns das nie vergessen: Wir sind nicht Sünder, weil wir einzelne Sünden tun. Vielmehr tun wir einzelne Sünden, weil wir im Kern unseres Wesens Sünder sind. Und diese Sünde richtet sich immer gegen Gott persönlich. Gott nimmt das sehr persönlich.
Psalm 51,6 bekennt David: „Gegen dich allein habe ich gesündigt und übel getan vor dir.“ Wir alle kennen auch die Worte Jesu im Gleichnis vom verlorenen Sohn, als der Heimkehrer sagt (Lukas 15,18): „Ich habe gegen den Himmel gesündigt, gegen dich.“
So hält uns das Kreuz schonungslos den Spiegel vor. Es sagt dir: Dein Verhältnis zu deinem Gott ist so belastet und zerstört, dass nicht weniger als dieses Opfer nötig war, um deine Schuld zu begleichen.
Schonungslos und illusionslos beschreibt die Bibel, wohin dieser Weg am Ende führt: in die ewige Trennung von Gott, in den ewigen Tod, in die Verdammnis, in die Hölle, wie Jesus das genannt hat.
Nun stellt sich die Frage: Wie reagieren wir darauf?
Der Liederdichter Philipp Friedrich Hiller hat angesichts dieser Wahrheit über Gottes Erbarmen gesungen:
„Ich hatte nichts als Zorn verdient und soll bei Gott in Gnaden sein.
Gott hat mich mit sich selbst versöhnt und macht durchs Blut des Sohns mich rein.
Wo kam dies her, warum geschieht’s? Erbarmung ist’s und weiter nichts.“
Er hatte das begriffen und Gottes Diagnose zugestimmt. Er sträubte sich nicht mehr dagegen. So empfand er am Ende nicht mehr Beleidigung, sondern Begnadigung und Erleichterung.
Aber dazu muss Gott uns die Augen öffnen, damit wir das am Kreuz sehen und Gott dafür danken können.
Wo das nicht geschieht, wo jemand seine Sünde nicht einsehen kann, wo sich jemand weigert, dem Urteil vom Kreuz Recht zu geben, da wird auch das Dritte nicht verstanden, was zum Skandal des Kreuzes gehört.
3. Das Kreuz offenbart Gottes Wesen
Also, erstens geschah am Kreuz ein stellvertretender Sühnetod. Zweitens entlarvt das Kreuz meine Schuld. Und jetzt, drittens – und Leute, das ist auch so unendlich wichtig – offenbart das Kreuz Jesu Gottes Wesen.
Was ist das für ein Gott, der die Kreuzigung nicht nur zulässt, sondern sie offenbar aktiv in seine Pläne mit einbezieht? Ein Gott, der so weitsichtig ist, dass er die Kreuzigung sogar durch die Propheten Jahrhunderte vorher ankündigen lässt? Diese Art des Todes für seinen Sohn, als diese Todesstrafe in Israel noch gar nicht bekannt war – was ist das für ein Gott?
Der katholische Theologe und Psychologe Eugen Drewermann hat sicherlich vielen aus dem Herzen gesprochen, als er sagte: „Der Gedanke, dass Gott einen Menschen töten muss, um sich mit der Welt zu versöhnen, macht mir Gott nicht vertrauenswürdig, sondern lässt ihn blutrünstig, barbarisch und drohend erscheinen.“
Das ist die Sichtweise des natürlichen, selbstgerechten Menschen. Aber auch wer nicht so dreist urteilt wie Drewermann, steht irgendwann vor diesen Fragen: Warum kann Schuld nur durch Strafe gesühnt werden? Und warum muss es ausgerechnet dieser grausame Kreuzestod sein, den Jesus für mich erduldet? Warum vergibt Gott nicht – wie es ein evangelischer Theologe gefordert hat – grundlos und bedingungslos, ohne Blut, ohne Sühne? Warum?
Die Bibel sagt uns warum, und es ist entscheidend, dass wir das verstehen. Der lebendige Gott, sagt die Bibel, ist so heilig, so vollkommen, dass er Schuld nicht stehen lassen kann. Der persönliche Gott, dem du dein Leben verdankst, ist so völlig rein, dass neben ihm und in seiner Gegenwart keine Form von Schuld und kein Böses auch nur ansatzweise bestehen kann.
Verstehst du? Würde Gott Schuld ungesühnt auf sich beruhen lassen, würde er aufhören, der heilige Gott zu sein. Wir müssen das verstehen: Gottes heiliger Zorn über die Sünde gehört untrennbar zusammen mit Gottes Vollkommenheit, Gottes Reinheit und Gottes Herrlichkeit.
Deshalb ist das Kreuz auch ein Zeuge für die unendlich große Ehre Gottes, ein Zeuge für die unendlich herrliche Reinheit und Herrlichkeit Gottes. Das Kreuz offenbart Gottes Wesen. Das Kreuz führt mir vor Augen: Ja, sieh hin, Gottes Ehre ist so groß, dass nicht weniger als der Tod seines Sohnes nötig war, um diese Ehre zu verteidigen.
So groß ist Gottes Ehre, weniger als der Kreuzestod hätte nicht gereicht. Alles darunter hätte nicht genügt. Das ist alternativlos. Heute sagen uns Politiker ja oftmals, eine Entscheidung sei alternativlos, wenn sie eine Diskussion abwürgen wollen. Aber diese Entscheidung war wirklich alternativlos, als der Herr Jesus im Garten Gethsemane (Matthäus 26) den Vater im Himmel fragte, ob es einen anderen Weg als dieses grauenvolle Kreuz gäbe.
Da hat der Vater im Himmel ihm deutlich gemacht: Nein, dieser Weg ist alternativlos.
So offenbart das Kreuz Gottes Wesen – seine Ehre, seine Herrlichkeit, seine Reinheit. Aber das Kreuz offenbart uns auch seine Liebe. Denn in diesem gekreuzigten Sohn kommt der Vater auf uns zu.
Ja, was Gott dem Abraham noch erspart hatte – nämlich seinen Sohn als Opfer darzubringen –, das nimmt er nun selber auf sich. Und darum kann Paulus das in 2. Korinther 5 so wunderbar auf den Punkt bringen. Das ist einer der programmatischen Abschnitte zum Evangelium.
Bitte, wer die Bibel dabei hat, kann kurz aufschlagen: 2. Korinther 5,17-21.
Da sagt Paulus: „Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden. Aber das alles von Gott, der uns mit sich selber versöhnt hat durch Christus und uns das Amt gegeben hat, die Versöhnung zu predigen. Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selbst und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu. Er hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter an Christi Statt; denn Gott ermahnt durch uns: Lasst euch versöhnen mit Gott! Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.“
Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selbst und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu. Versteht ihr, was das heißt? Gott lastet meine Sünde stellvertretend seinem Sohn an. In Vers 14 sagt Paulus noch: „Einer starb für alle.“ Und dieser Stellvertreter erfährt die ganze Last und Grausamkeit der Sünde und Schuld mit voller Wucht.
Jesus zieht sich unsere Schuld an, gewissermaßen trägt er sie auf dem Leib. Er wird für uns zur Sünde gemacht, sagt Paulus in Vers 21. Er trägt nicht nur die Sünde, er wird zur personifizierten Sünde – er, der niemals Sünde hatte.
Was für ein grausamer Kontrast!
Paulus sagt hier in 2. Korinther 5: Sieh genau zum Kreuz, da siehst du Gott gewissermaßen in einer Doppelrolle. Und es ist wichtig, dass du das genau festhältst: Gott ist beides zugleich.
Gott ist derjenige, der versöhnt werden muss, und Gott ist derjenige, der die Versöhnung selber bewirkt. Er ist beides: der zu Versöhnende und der Versöhner.
Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selbst. Er hat es getan.
Er ist der, der versöhnt werden muss, weil er der Heilige ist. Und er ist der, der die Versöhnung bewirkt, weil er der einzige Retter ist, der die Macht hat, Sünde zu brechen.
Wir Menschen stehen dieser Eigendynamik der Schuld völlig hilflos und ausgeliefert gegenüber. Das ist wie ein Sog, dem wir nicht entkommen können.
Aber Gott allein hat die Macht – der Vater und der Sohn haben die Macht –, die Sünde und ihr Zerstörungswerk zu überwinden. Und aus lauter Liebe setzt er diese Macht für dich ein.
Der Vater springt selbst in die Bresche, um den Schaden zu heilen.
Die alten Christen haben gesagt: Golgatha war eine Idee des Vaters. Er ist nicht der harte Gott, der aus der Distanz ein Menschenopfer fordert und so lange schnaubt und wütet, bis es endlich gebracht wird. Er ist nicht der harte Gott, der von seinem Sohn erst mühsam umgestimmt werden müsste, damit er die Menschheit nicht verdammt.
Nein, der Vater versöhnt die Welt mit sich selbst durch den Sohn. Er zahlt aus Liebe den höchsten Preis, den es gibt.
Und damit wahrt Gott beides: Er wahrt den Anspruch seiner völligen Heiligkeit und den Anspruch seiner vollkommenen Liebe.
Ich habe eine alte Geschichte von einem Fürsten gefunden, die diese spannungsvolle Verbindung von Liebe und Gerechtigkeit illustriert:
In einem Fürstentum war ein schwerer Diebstahl begangen worden, der nach dem geltenden Gesetz mit einer stattlichen Anzahl von Peitschenhieben bestraft werden musste.
Man suchte den Dieb, und endlich fand man die alte Mutter des Fürsten als Täterin.
Das brachte diesen Fürsten in große Bedrängnis: Liess er seine Mutter straffrei ausgehen, wäre er total unglaubwürdig, und sein ganzes Gesetz hätte keine Gültigkeit mehr.
Ließ er die Bestrafung der Mutter hingegen zu, würde sie das nicht überleben.
Nun kämpfte der Fürst mit diesem Anspruch von Gerechtigkeit und Liebe, bis ihm der rettende Einfall kam: Er selbst würde sich stellvertretend für seine Mutter an den Pranger stellen und die Peitschenhiebe selber ertragen.
Und so geschah es.
Dadurch wurde den Untertanen klar, dass die Gesetze des Landes gelten und die Gerechtigkeit gewahrt ist. Aber seine Mutter lernte neu die Liebe und Barmherzigkeit ihres Sohnes kennen.
Damit war sowohl dem Anspruch der Gerechtigkeit als auch dem Motiv der Liebe Genüge getan.
Hätte Gott in seiner Heiligkeit nur Recht und Gesetz gelten lassen, dann hätte er uns vernichten müssen.
Aber Gott fand diesen Weg, bei dem er sowohl seine Heiligkeit als auch seine Liebe zu uns in gleicher Weise wahren konnte.
Allerdings ist der Vergleich mit dem Fürsten auch nur ein schwacher Vergleich, denn der wirkliche Preis, den Gott zahlt, ist ein ungleich höherer.
Er hat sich nicht nur auspeitschen lassen, er gab sich selbst in seinem Sohn.
So offenbart das Kreuz das Wesen Gottes als heilig, herrlich, vollkommen gerecht und voller Liebe.
4. Das Kreuz drängt zur Bekehrung
Und zum Schluss macht Paulus in 2. Korinther 5 noch einen letzten Punkt deutlich, der den Skandal des Evangeliums vervollständigt.
Erster Punkt: Am Kreuz geschah ein stellvertretender Sühnetod. Zweitens entlarvt das Kreuz meine Schuld. Drittens offenbart das Kreuz Gottes Wesen. Und viertens und letztens drängt das Kreuz zur Bekehrung.
Das Kreuz drängt zur Bekehrung. Paulus führt diesen Gedanken weiter aus. Er macht deutlich: Gott hat alles zu unserer Versöhnung getan. Aber was tut er jetzt? Nun gießt er seine Versöhnungstat von damals in eine Versöhnungsbotschaft, die zu allen Zeiten verkündigt werden soll.
Nochmal 2. Korinther 5,19: Gott hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. Das ist jetzt die Folge. Er hat die Welt mit sich selbst versöhnt, und nun hat er unter uns das Wort von der Versöhnung aufgerichtet – die Mitteilung von dieser Versöhnung.
Paulus sagt: So sind wir, wir Christen, wir Verkündiger, jetzt Botschafter an Christi Statt. Denn Gott ermahnt durch uns. So bitten wir nun an Christi Statt: Lasst euch bitte versöhnen mit Gott.
Vom Kreuz und vom leeren Grab strömt ein frischer Wind der Rettung in die Welt. Gott richtet das Wort von der Versöhnung auf, so wie die Soldaten das Kreuz aufgerichtet haben. So richtet Gott jetzt das Wort von der Versöhnung auf, damit wir es alle anschauen können – auch hier in Bielefeld.
Dieses Wort von der Versöhnung ist nicht nur eine sachliche Information. Es ist auch eine theologische Lehraussage, die Mitteilung eines historischen Ereignisses. Aber seht hin, was Paulus sagt: Es ist zugleich eine dringende, herzliche Einladung, dass du dein Leben darauf baust und dich persönlich diesem Retter, Jesus Christus, mit Haut und Haaren, mit Leib und Leben anvertraust.
So bitten wir nun als Botschafter an Christi Statt: Gott ermahnt durch uns, lasst euch versöhnen mit Gott! In dem Moment wird das dunkle, brutale Geschehen vom Kreuz erkennbar als Evangelium – als eine gute Nachricht.
Ja, das gehört auch zum Skandal des Evangeliums: Es drängt dich zur Bekehrung. Paulus plädiert hier wie ein Arzt, der seinem Kranken gut zureden will. So bitten wir nun als Christen die Stadt: Lass dich bitte versöhnen mit Gott, bevor es zu spät ist.
Sehen Sie, was Paulus nicht sagt: Er sagt nicht „Versöhne dich endlich mit Gott“ – das könnten wir gar nicht. Stattdessen sagt Paulus: Häng dich an Jesus! Das bedeutet: Glaube, vertraue dich ihm an, verlasse dich darauf, dass das, was er damals mit seinem Sühnetod getan hat, heute für dich ausreicht, um dich in den Himmel zu bringen und dich schon heute zu Gottes Kind zu machen. Dann wirst du versöhnt.
An anderer Stelle benutzt Paulus ein anderes Bild, vor allem im Römerbrief, aber auch hier kommt das Wort am Ende vor: „Dann wirst du gerechtfertigt“, sagt er. Das heißt: Wenn du dich an Jesus hängst, wirst du freigesprochen von deiner Schuld. Dann wirst du für gerecht erklärt, obwohl du eigentlich nicht gerecht bist. Das geschieht aufgrund des Opfers, das er für dich gebracht hat. Wenn du dich an ihn hängst, hast du seine Gerechtigkeit.
Das ist das Wunder des Kreuzes.
Vom Müll zum Schatz: Die Verwandlung durch das Kreuz
Anfang November wurde in der Kunsthalle der Universität Kiel eine Kunstausstellung eröffnet. Wissen Sie, unter welchem Motto diese Ausstellung steht? "From trash to treasure" – das bedeutet so viel wie "Vom Müll zum Wertgegenstand".
Vielleicht kennen Sie diese bestimmte Richtung in der Kunst, bei der alte Gegenstände, die der Normalbürger für Müll hält – und die ja irgendwo auch Müll sind –, künstlerisch aufbereitet, arrangiert, beschriftet oder neu angeordnet werden. So wird aus dem vermeintlichen Abfall plötzlich Kunst.
Vielleicht können Sie aus den alten Plastikbechern hier auch noch Kunst machen und sie nach Kiel verkaufen, wer weiß. In der Ankündigung heißt es dazu: „Aus dem Abstoßenden wird das Anziehende, aus dem Schäbigen das Wertvolle, aus dem Bedeutungslosen das Bedeutungsvolle.“
Wie soll das gehen? Der Text erklärt: Durch die künstlerische Geste. Durch die neue Anordnung, durch den neuen Zusammenhang. Als ich das las, musste ich an das Bild denken: Aus Müll wird Gold.
Unser Herr investiert dabei jedoch nicht einfach nur eine künstlerische Geste, sondern er gibt alles. Deshalb ist das, was er aus uns macht, nicht einfach nur eine neue Anordnung, keine Verzierung und keine bloße Umwidmung unseres Lebens. Er verwandelt wirklich den Müll unserer Schuld, sodass wir seine Kinder werden dürfen.
Wir sind tot in unseren Sünden. Die Bibel sagt nicht, dass der Mensch ohne Gott Müll ist – er bleibt Gottes Geschöpf. Auch Nichtchristen können unendlich viel Wertvolles zu dieser Welt beitragen. Aber in geistlicher Hinsicht ist unser Leben ohne Jesus vor Gott Müll, geistlich gesehen.
Paulus sagt, wir sind tot in Sünden. Es gibt nichts zu beschönigen. Wir sind Feinde Gottes. "From trash to treasure" – das ist der Skandal des Kreuzes. Dort geschah ein Sühnetod. Das Kreuz entlarvt meine Schuld, es offenbart Gottes Wesen und drängt zur Bekehrung.
Die Bewahrung des Evangeliums durch die Jahrhunderte
Und dann sorgt unser Herr dafür, dass diese Botschaft durch die Jahrhunderte hindurch erhalten bleibt. Dass sie unverändert bleibt, zeigt sich zum Beispiel im Spiegel der Lieder, die über die Jahrhunderte gesungen wurden.
Im siebzehnten Jahrhundert singt Paul Gerhardt: „Nun, was du, Herr, erduldet, ist alles meine Last. Ich habe es selbst verschuldet, was du getragen hast. Schau her, hier stehe ich, Armer, der Zorn verdienet hat, gerechten heiligen Zorn Gottes. Gib mir, o mein Erbarmer, den Anblick deiner Gnad.“
Ein Jahrhundert später dichtet Konrad Allendorf im achtzehnten Jahrhundert: „Jesus ist kommen ein Opfer für Sünden. Sünden der ganzen Welt trägt dieses Lamm. Sündern die ewige Erlösung zu finden, stirbt es aus Liebe am blutigen Stamm. Abgrund der Liebe, wer kann dich ergründen? Jesus ist kommen ein Opfer für Sünden.“
Wieder ein Jahrhundert danach heißt es bei Philipp Spitter: „Wo ist solch ein Herr zu finden, der, was Jesus tat, mir tut, mich erkauft von Tod und Sünden mit dem eigenen teuren Blut? Sollte ich dem nicht angehören, der sein Leben für mich gab? Sollte ich ihm nicht Treue schwören, Treue bis in Tod und Grab?“
So klingt es durch die Jahrhunderte hindurch. Sie alle haben sich diesem Skandal unterworfen. Sie haben sich diesem Evangelium anvertraut, diesem Jesus, den das Evangelium predigt. Und wir dürfen heute hier in Bielefeld zum Beispiel genau das gleiche, das identische Evangelium verkünden wie Paulus, Petrus, die Reformatoren, die Puritaner, John Wesley, George Whitefield, Spurgeon, Martin Lloyd-Jones und viele andere bis heute.
Das ist alles andere als selbstverständlich. Seit dem ersten Jahrhundert wird das Kreuz, das Evangelium des Kreuzes, unter Beschuss genommen. Dieses Evangelium wird seit dem ersten Jahrhundert verwässert, vermischt, verfälscht, verleumdet, verharmlost und verkauft. Schon Paulus wusste davon zu berichten, und die Attacken sind bis heute nicht zum Ende gekommen.
So unterschiedlich all diese Angriffe auf das Kreuz auch sein mögen, sie haben eines gemeinsam: Sie beschönigen, sie verharmlosen den Skandal des Kreuzes.
Darum möchte ich euch zum Schluss noch ein paar Beispiele zeigen. So wisst ihr, was ich meine, und vor allem seid ihr in eurem Umfeld sensibel und wachsam, wenn der Skandal des Kreuzes beschönigt oder verändert wird.
Damit kommen wir zum kürzeren Abschlusskapitel.
Die Entskandalisierung des Christentums: Beispiele und Herausforderungen
Das erste Kapitel lautete „Der Skandal des Evangeliums“. Diesen Teil B könnte man nun „Die Entskandalisierung des Christentums“ nennen.
Die Geschichte der Irrlehren könnte man als eine lange, lange Geschichte der Entskandalisierung des Evangeliums beschreiben. Was dabei besonders alarmierend ist: Die Speerspitze solcher Angriffe reicht inzwischen längst in die Reihen der Evangelikalen hinein, und die Einschläge kommen immer näher.
Hier einige Beispiele:
Es begann schon mit den Jüngern selbst. Noch bevor die Kreuzigung stattfand, versuchten die Jünger, diese zu verhindern. „Das widerfahre dir nur nicht“, sagte Petrus (vgl. Matthäus). Zu diesem Zeitpunkt hätten die Jünger alles gegeben, um den Skandal des Kreuzes zu verhindern.
Ein zweites Beispiel ist die Bibelkritik im weitesten Sinne. Bis heute setzen sich Vertreter der Bibelkritik immer wieder dafür ein, die Sühne-Bedeutung des Todes Jesu aus der Verkündigung zu verbannen. Rudolf Bultmann steht dabei für viele. Er sagte: „Dass ein menschgewordenes Gottwesen durch sein Blut die Sünden der Menschheit sühnt, ist primitive Mythologie.“ Ähnlich schreibt der Benediktinerpater Anselm Grün: „Gott, der den Tod seines Sohnes braucht, um uns vergeben zu können, das wäre ein sadistischer Gott. Das Kreuz ist nicht die Bedingung, dass Gott uns vergibt.“ Anselm Grün ist immer wieder Gastautor in der evangelikalen Zeitschrift „Aufatmen“.
Drittes Beispiel: Der Nachfolger von Frau Kessmann als höchster Repräsentant der evangelischen Landeskirchen in Deutschland, Präses Nikolaus Schneider. Dieser Präses hat, soweit ich weiß, keine rote Ampel überfahren, aber das Stoppschild der Irrlehre. Bereits 2009, lange vor seiner Wahl, distanzierte sich Schneider in einem öffentlichen Statement von der Lehre, dass Jesus am Kreuz stellvertretend die Strafe der Menschen auf sich genommen habe. Er sagte: „Gott braucht kein Sühnopfer.“
Viertes Beispiel: Oft wird das Kreuz nur als eine Demonstration von Gottes Liebe und Solidarität verstanden und nicht als Bezahlung für unsere Schuld. Diese Sicht gab es schon im Mittelalter. Die These lautet: Am Kreuz demonstriert Gott seine Liebe. In seiner Hingabe will er unsere Gegenliebe wecken, um uns von der Sünde unserer Lieblosigkeit zu befreien. Das Kreuz habe also keine direkte Wirkung, die Sünde zu beseitigen, sondern eher eine indirekte, pädagogische Wirkung. „Sieh dir den liebenden Gekreuzigten an.“
Kennst du das nicht aus Predigten heute? Oft wird mit bester Absicht so gepredigt: Am Kreuz beweist Jesus, wie sehr Gott uns liebt. Am Kreuz zeigt er dir, wie wichtig du ihm bist. Er nimmt diese Qualen auf sich und ruft dir vom Kreuz her zu: „Ich bin für dich da, ich erwarte dich mit offenen Armen, ich bete auch noch für die, die mich töten. Du musst nicht an meiner Liebe zweifeln, du musst nicht in deinem Hass zugrunde gehen, denn ich warte am Kreuz auf dich.“
Das ist eine sehr gutwillige, werbende und warmherzige Rede vom Kreuz. Aber die Sache der Versöhnung mit Gott, dass da einer hängt, der für mich die Strafe bezahlt, wird nicht gesagt. Es wird nicht gesagt, warum Jesus eigentlich sterben musste, nämlich als Sühne für meine Schuld. Das Kreuz symbolisiert etwas, zeigt etwas, demonstriert etwas – aber am Kreuz geschieht mehr.
Fünftes Beispiel: Das Buch „Die Hütte“. Viele Christen haben es gelesen, ohne zu merken, was darin eigentlich passiert. William Paul Young schrieb diese vermeintlich harmlose Geschichte zunächst für seine eigenen Kinder. Dann wurde sie, oh Wunder, ein Welterfolg. Dieses Buch zeichnet ein völlig schiefes, lächerliches Bild des lebendigen Gottes.
Zum Thema lässt Young seine Gottesfigur Folgendes sagen: „Ich bin nicht so, wie du glaubst, Mackenzie. Ich brauche die Menschen nicht für ihre Sünden zu bestrafen. Die Sünde trägt ihre eigene Strafe in sich, sie verzehrt dich von innen heraus, aber es ist nicht meine Absicht, jene zu bestrafen, die sündigen“, so der Gott der Hütte.
Als der Autor in einem Interview gefragt wurde, wie er zum Sühnetod stehe, antwortete er frank und frei: „Warum sollte der Vater seinen Sohn bestrafen?“ Der Journalist fragte nach, ob das Kreuz nicht ein Ort der Bestrafung für unsere Sünde sei. Young antwortete sehr bestimmt: „Nein, ich würde nicht zustimmen. Ich bin nicht für die stellvertretende Sühne.“ Wer sein Buch gelesen hat, weiß das auch.
Sechstes Beispiel: Die sogenannte neue Paulusperspektive, vertreten von einigen Neutestamentlern. Einer der Hauptvertreter ist N. T. Wright. Er schrieb ein Buch mit dem Titel „Was Paulus wirklich sagte“, an das viele Teile dieser neuen Paulusperspektive anknüpfen.
Wright sagt im Grunde, die Reformatoren hätten Paulus völlig falsch verstanden, vor allem im Hinblick auf die Rechtfertigungslehre oder Versöhnungslehre. Bei der Rechtfertigung gehe es nicht in erster Linie darum, wie ein einzelner Mensch mit dem heiligen Gott versöhnt und gerettet wird. Das eigentliche Thema sei vielmehr die Klärung des Verhältnisses zwischen Juden und Heiden.
Wright erklärt, die Rechtfertigungslehre habe wenig mit persönlicher und individueller Errettung von Sünde und Schuld zu tun. Vielmehr gehe es darum, dass die Heiden auch in Bundesgemeinschaft mit Gott stehen können. Die Gemeinschaftsperspektive sei das Entscheidende bei der Rechtfertigungslehre und wichtiger als die Frage des persönlichen Heils für den Einzelnen.
Daraus folgert Wright eine massive ökumenische Konsequenz. Er sagt, das Thema Glauben und Werken, das zwischen Evangelischen und Katholiken stand, sei nicht das große Thema bei Paulus. Es gehe nicht darum, dass wir allein durch Christus am Kreuz gerettet werden. Vielmehr sei die Rechtfertigungslehre eine ökumenische Lehre: „Wir müssen an einen Tisch – Juden, Christen und Heidenchristen – also alle, die an Jesus glauben, gehören zusammen.“ Was das im Einzelnen bedeutet, wird nicht genauer gesagt.
So rückt man das Kreuz als den Sühneort aus der Mitte.
Siebtes Beispiel: Die sogenannte Emerging Church Bewegung – auch ein Thema für einen eigenen Kongress. Doch immer wieder zeigt sich in Veröffentlichungen von Vertretern dieser Bewegung ein gespaltenes bis kritisches Verhältnis zum Sühnetod Jesu und zur rettenden Wirkung seines Kreuzes.
Brian McLaren lässt in einem seiner Bücher den Protagonisten Folgendes über den Kreuzestod sagen: „Das hört sich lediglich wie eine weitere Ungerechtigkeit in der kosmischen Gleichung an. Das hört sich wie göttlicher Kindesmissbrauch an, nicht wahr?“
Rob Bell, ein weiterer Vertreter, versucht die biblische Lehre vom doppelten Ausgang Himmel oder Hölle als unchristlich abzulehnen. Er veröffentlichte sein neuestes Buch im evangelikalen Brunnen Verlag und war einer der gefeierten Hauptredner beim letzten Willow Creek Jugendkongress in Düsseldorf im Mai.
Die Kernthese seines Buches lautet: „Wir müssen nicht vor Gott gerettet werden. Gott und sein Zorn sind für den Sünder keine Gefahr.“ In einem Werbespot zu diesem Buch sagt er unter anderem: „Billionen von Menschen werden für immer in der Hölle leiden? Das wird in Zweifel gezogen. Millionen von Menschen haben gelernt, das Zentrum des Evangeliums von Jesus bestehe darin, dass man in die Hölle kommt, wenn man nicht an Jesus glaubt. So entsteht zwangsläufig der Gedanke, dass Jesus uns vor Gott retten müsse. Aber was für ein Gott wäre das, vor dem man gerettet werden muss? Wie könnte dieser Gott jemals gut sein, und wie könnte man ihm jemals vertrauen? Und wie könnte daraus jemals eine gute Nachricht werden?“ Er hätte genauso gut sagen können: „Wie könnte aus dem Evangelium vom Kreuz jemals eine gute Nachricht werden?“
Ein weiteres Beispiel aus der Emerging Church: Wolfgang Bühne bringt immer einen Stapel mit guten Büchern hier nach oben, ich bringe jetzt einen Stapel mit lauter nicht empfehlenswerten Büchern. Umso wichtiger ist es, dass Wolfgang Bühne immer empfehlenswerte Bücher mitbringt – das ist die Werbestrategie des Malachi-Kreises.
Ein letztes Beispiel aus der Emerging Church-Bewegung: Tobias Feix, einer der wichtigsten Vertreter in Deutschland, schrieb in einem Artikel, den er zusammen mit Johannes Reimer herausgegeben hat. Johannes Reimer ist auch ein wichtiger Protagonist dieser Richtung.
Feix sagte unter anderem: „Weder Evangelisation noch soziale Aktion können für sich alleine stehen. Das ist falsch.“ Das heißt, Evangelisation könne nie für sich alleine stehen, wenn nicht auch soziale Aktion dabei ist. Dahinter steht das Credo, das uns in vielen aktuellen Konzepten begegnet: Zur Mission gehört auch von Anfang an gleichwertig der Einsatz für eine bessere Welt.
Das stimmt nicht. Wir haben gehört: Wenn Menschen mit dem Schöpfer des Lebens versöhnt werden, ändert sich ihr praktisches Leben. Dann werden sie wertvollere Unterstützer des Lebens hier auf Erden. Dann können sie Not nicht einfach ungerührt anschauen.
Aber das Wichtigste, was ganz am Anfang steht, ist nicht die Veränderung und Verbesserung dieser Welt, die sowieso vergeht. Entscheidend ist und bleibt, dass Menschen gerettet werden für die Ewigkeit und nicht verloren gehen in der Hölle. Mission steht immer vor sozialer Aktion.
Diese biblische Grundgleichung wird im evangelikalen Bereich in den letzten Jahren massiv zerstört. Achten Sie darauf – lassen wir uns das nicht unterjubeln.
Vorletztes Beispiel: Ein Buch vom Negativstapel, erschienen bei Knauer: „Lieber Bruder in Rom – ein evangelischer Brief an den Papst“. Dieses Buch wurde anlässlich des Papstbesuchs im letzten Monat herausgegeben.
Auch Evangelikale veröffentlichten Briefe an den Papst, etwa Christine Schürmacher oder Markus Spiker, Ulrich Parzany, Roland Werner. Sie alle schreiben an den lieben Bruder in Rom und setzen in diesem Buch offensichtlich voraus, dass man demselben Evangelium verpflichtet sei, dass es eine grundsätzliche Einigkeit im Hinblick auf das Evangelium gebe.
Parzany schreibt: „Ich hätte nicht gedacht, dass ich als evangelischer Christ einmal den Papst bitten würde, die Evangelisation in Europa stärker voranzutreiben.“ Nein, das hätte ich auch nicht gedacht, dass du das früher mal machen würdest. Aber bitte schön: Wie kann jemand das Evangelium in Europa vorantreiben, wenn er aufgrund seiner Lehre davon ausgeht, dass das Kreuz Christi nicht ausreicht, um einen Menschen zu retten?
Wie soll das bitte gehen? Das Kreuz ist ergänzungsbedürftig laut katholischer Doktrin. Das hat jemand wunderbar klar ausgedrückt, der hier in der Nähe lange Zeit als theologischer Lehrer tätig war: Helmut Frey, der Alttestamentler aus Bethel. Er hat es wunderbar auf den Punkt gebracht.
Er sagte: „Im Katholizismus nimmt Jesus eine andere Stellung ein als in der Bibel. Zwar steht er offiziell in der Mitte, aber weil die Bedeutung seines Kreuzestodes nicht in der Tiefe erkannt wird und weil der Schluss nicht gezogen wird aus der Einmaligkeit und Genügsamkeit seines Erlösungswerkes, wird Jesus durch Zwischeninstanzen in den Herzen der Menschen aus der Mitte gedrängt: durch die kirchliche Kirche, die sein Werk auf Erden fortführt, durch den Papst, der seine Person auf Erden vertritt, durch Maria, die ihn im Himmel umstimmt, durch Heilige, die als kleine Schutzgötter geduldet werden, durch die Priester, die uns Beistand leisten. So werden Jesu Hoheit und seine Liebe verdunkelt. Man fasst nicht, dass alle Zwischen- und Nebeninstanzen hinweggefegt sind, dass am Kreuz das Gericht über die Welt vollstreckt ist und dass wir im Glauben wiedergeboren sind – allein durch Jesus. Der Katholizismus ist ein beständiger Kampf gegen das ‚Jesus allein‘. Und wer mit dem Katholizismus gemeinsam das Evangelium treiben will, verändert unter der Hand das Evangelium, auch wenn er das nicht will.“
Letztes Beispiel: Der sogenannte Kodex für Weltmissionen, der jetzt in aller Munde ist. Ich nehme an, Sie haben das auch mitbekommen: Im Juni haben drei große Organisationen erstmals eine gemeinsame Erklärung veröffentlicht – der liberale ökumenische Rat der Kirchen in Genf, der päpstliche Rat für den interreligiösen Dialog und die weltweite evangelische Allianz für die Evangelikalen.
Sie haben eine gemeinsame Erklärung herausgegeben, die sie „Empfehlungen für einen Verhaltenskodex für Missionen“ nennen. Und der Satz, auf den die Evangelikalen so stolz sind, steht am Anfang: „Mission gehört zutiefst zum Wesen der Kirche.“ Das ist ja schön, aber was ist jeweils mit Mission gemeint?
Der Katholizismus meint Mission als das Ziel, Menschen unter das Dach der römisch-katholischen Mutterkirche zu führen. Was ist mit Mission gemeint?
Dieses Papier ist auf evangelikaler Seite vor allem von dem Vorsitzenden der Theologischen Kommission der Allianz, Professor Thomas Schirrmacher, mit erarbeitet und propagiert worden. Es enthält einige gute Aussagen, aber auch sehr viel Undeutliches.
In diesem Papier wird kein einziges Mal vom Kreuz Christi als Versöhnungsort gesprochen – kein einziges Mal! Einmal kommt das Wort Kreuz vor: „Das unser Zeugnis auch zum Kreuz führen kann“, das heißt ins Leid, aber es ist nicht vom Kreuz Christi die Rede.
Wie wird Jesus bezeichnet? Von Jesus heißt es: „Jesus Christus ist der Zeuge schlechthin. Christliches Zeugnis bedeutet, Anteil an seinem Zeugnis zu haben, das sich in der Verkündigung des Reiches, im Dienst am Nächsten usw. zeigt.“ Aber Christus ist doch nicht in erster Linie der Zeuge, er ist der Erlöser.
Dieses Dokument soll nun in den eigenen Reihen verbreitet werden. So wenig vom Kreuz und so viel vom interreligiösen Dialog.
Wir sollen also darauf eingestimmt werden, vor allem bei der Bewältigung der politischen Aufgaben vermehrt mit den anderen Religionen zusammenzuarbeiten. Da heißt es: „Interreligiöse Zusammenarbeit ist eine wesentliche Dimension einer solchen Verpflichtung.“ An anderer Stelle heißt es, wir sollen die anderen Religionen immer besser kennenlernen – und zwar aus der Sicht von Angehörigen dieser Religionen.
Die Bibel sagt aber, dass wir die anderen Religionen immer besser kennenlernen sollen aus Gottes Sicht. Das nenne ich einen Unterschied.
Ein schwieriges Papier, in dem letztlich die biblische Deutung fehlt. Positiv ist, dass die Religionsfreiheit festgeschrieben werden soll – aber um welchen Preis?
Die Evangelikalen erwecken den Eindruck, als hätten sie dasselbe Evangelium wie der ökumenische Rat der Kirchen und der Katholizismus. Sie erwecken den Eindruck, als könne man unter Absehung vom Kreuz über Missionen nachdenken und einen Verhaltenskodex für Missionen verfassen.
Und so nebenbei werden die Evangelikalen in diesem Verhaltenskodex für Missionen darauf eingeschworen, sich stärker für interreligiöse Zusammenarbeit zu öffnen.
Neun Fälle: Die Jünger selbst, die Bibelkritik, der EKD-Ratsvorsitzende, das Mittelalter-Kreuz als Demonstration, „Die Hütte“, die neue Paulusperspektive, die Emerging Church Bewegung, die Papstbriefe, der Kodex für Missionen – und wir könnten diese Reihe noch weiter fortsetzen.
Entskandalisierung des Evangeliums an allen Fronten.
Ich bin überzeugt: Nicht alle, die sich an dieser Entwicklung beteiligen, sind sich dessen bewusst. Im Gegenteil, viele von ihnen wollen dem Evangelium wirklich dienen – das möchte ich überhaupt nicht in Abrede stellen.
Und doch ändert das nichts daran, dass sie durch bestimmte Entscheidungen und Veröffentlichungen dazu beitragen, dass die Gemeinde Jesu zunehmend verwirrt wird. Es wird immer schwerer, das echte, skandalöse Evangelium vom unechten, abgeschliffenen Evangelium zu unterscheiden.
Wir dürfen hier keine Kompromisse eingehen. Entweder wir geben das Evangelium auf – oder wir kämpfen für das Evangelium. Mit geistlichen Mitteln, niemals mit Gewalt, aber mit geistlichen Mitteln. Und zwar für jeden einzelnen Punkt des Evangeliums: dafür, dass das Kreuz ein Sühnetod war, dafür, dass es die Schuld des Menschen entlarvt, dafür, dass es Gottes Wesen offenbart und dafür, dass dieses Kreuz uns Sünder zur Bekehrung drängt.
Die Attacken hören nicht auf. Man kann sagen: Die Einschläge kommen näher. Die schleichenden Veränderungen des Evangeliums, die Verwässerung des Evangeliums, die leichte Verschiebung des Evangeliums dringen immer frecher in die Reihen der Evangelikalen ein.
Wir haben eine Verantwortung. Wir können uns dieser Verantwortung nicht entziehen. Wir müssen reden, aber vor allem mit unserem Herrn selbst reden. Wir müssen ihn immer wieder innig bitten, dass er sich über diese Situation erbarmt.
Wir dürfen nicht schweigen. Es geht bei dieser Auseinandersetzung nicht um Rechthaberei. Es geht nicht darum, dass wir uns irgendwie theologisch profilieren. Es geht um die Liebe zu den Menschen, denen wir das echte Evangelium schulden.
Es geht um die vielen, die durch diese Entwicklung verwirrt werden und plötzlich ganz selbstverständlich sagen: „Ja klar, soziale Aktionen und Evangelisation sind genauso wichtig.“
Und vergesst das bitte nicht: Es geht um die Liebe zu unserem Herrn, der am Kreuz alles für uns gegeben hat. Es ist sein Evangelium. Es ist sein Evangelium. Es geht um seine Ehre, und ihm wollen wir treu bleiben, ihm wollen wir gehören – mit unserem Herzen und mit unserem Verstand.
Schlussgebet und Bekenntnis zum Skandal des Kreuzes
Darum schließe ich mit Versen von Friedrich von Bodelschwingh dem Jüngeren, der ebenfalls hier in der Region in Bethel Geschichte geschrieben hat. Er hat sich mitten in den Wirren der Nazizeit zum Skandal des Kreuzes bekannt. Möge es geschenkt werden, dass auch dies unser Gebet wird.
Nun gehören unsere Herzen ganz dem Mann von Golgatha, der in bitteren Todesschmerzen das Geheimnis Gottes sah. Das Geheimnis des Gerichts über alle Menschen Schuld, das Geheimnis neuen Lichtes aus des Vaters Ewigkeit.
In heiliger Stille stehen wir auf Golgatha und schweigen. Tief und tiefer neigen wir uns vor dem Wunder, das geschah, als der Freie zum Knecht wurde und der Größte ganz gering. Er ging als Gerechter in des Todes Rachen für die Sünder.
Obwohl tausend Todesnächte über Golgatha liegen, und die Lügenmächte der Hölle fern und nah triumphieren, dringt dennoch Christus als Überwinder durch das Sterbenstor. Die Sonne des Todeskünders führt zum Licht empor.
Nun müssen die Feinde schweigen vor dem Sieg von Golgatha. Die begnadigte Gemeinde sagt zu Christi wegen Ja: Ja, wir danken deinen Schmerzen. Ja, wir preisen deine Treue. Ja, wir dienen dir von Herzen. Ja, du machst einst alles neu.
