Gott wird Mensch – Leben und Lehre des Mannes, der Retter und Richter, Weg, Wahrheit und Leben ist.
Episode 334: Jesus geht auf dem See, Teil 5.
Einführung in die Frage der Bibelauslegung
Lassen Sie uns heute mit einer Frage beginnen: Darf man die Bibel eigentlich so auslegen, wie ich das in den letzten Episoden getan habe? Darf ich ein Ereignis aus dem Leben von Petrus nehmen und es einfach auf mich anwenden?
Meine übliche Antwort darauf wäre: Nein, das darf man nicht. Was ein Mensch mit Gott erlebt, ist zunächst einmal sein persönliches Erleben mit Gott. Es ist deshalb falsch, wenn man sich hinstellt und denkt: David hat den Goliath überwunden, also darf ich davon ausgehen, dass auch ich jeden Goliath, sprich jedes Problem, überwinden kann. Das wäre ein falsches Denken.
Es ist deshalb falsch, weil es keine Auslegung, also keine Exegese, ist, sondern eine Narzigese. Das Wort Narzigese setzt sich zusammen aus den Worten Narzissmus und Exegese. Wer Narzigese betreibt, liest sich in die Bibel hinein. Das Denken läuft dann so: Überall dort, wo Menschen mit Gott tolle Sachen erleben, bin auch ich gemeint. David erschlägt den Goliath, und deshalb darf ich davon ausgehen, dass auch ich meinen nächsten Goliath überwinden werde. Ich muss nur im Glauben meine fünf glatten Steine finden.
Das klingt gut und führt bestimmt dazu, dass ich mich gut fühle. Aber es hat zwei Probleme. Erstens werde ich zum Zentrum der Bibel. Was ich aber nicht bin, auch wenn der Zeitgeist mir einreden will, dass sich alles um mich dreht. Das Wort Gottes tut das nicht. Wenn schon, dann dreht sich die Bibel um Jesus, aber bestimmt nicht um mich.
Ich bin bestenfalls ein Werkzeug in Gottes Hand, das er benutzt, um sein Reich zu bauen.
Die Gefahr einseitiger Übertragung biblischer Erlebnisse
Und zweitens: Es werden immer nur die angenehmen Stellen übertragen. Es gibt aber auch Glaubenshelden, von denen in Hebräer 11,37-38 gesagt wird, dass sie gesteinigt, zersägt wurden, den Tod durch das Schwert starben, in Schafspelzen und Ziegenfellen umhergingen, Mangel litten, bedrängt und geplagt wurden. Sie, deren die Welt nicht wert war, irrten umher in Wüsten, Gebirgen, Höhlen und den Klüften der Erde.
Was Gott mir an Leid zumutet und an Rettung schenkt, das ist seine Sache.
Zurück zu unserer Frage: Darf ich die Erfahrungen, die Petrus auf dem See macht, einfach so auf mich übertragen? Die Antwort ist sibyllinisch: Ja und Nein.
Nein, das darf ich nicht, weil Petrus Erfahrungen macht, die sonst niemand in der Bibel macht. Nur weil er auf dem Wasser gehen kann, heißt das noch lange nicht, dass diese Art von Wunder zum Standardprogramm der Nachfolge für alle Jünger gehört.
Ja, ich darf es wohl, wenn ich nicht das Erlebnis selbst übertrage, sondern das Prinzip dahinter.
Natürlich muss ich bei der Übertragung und Anwendung vorsichtig sein. Wer aus einem Erzähltext geistliche Prinzipien ableitet, tut gut daran, seine Theologie nicht nur auf den Erzähltext zu stützen. Und er muss – David lässt grüßen – die Grenzen seiner Auslegung anerkennen. Vor allem dann, wenn er Erzähltexte wählt, in denen Gott mächtig und wundersam wirkt.
Ich hoffe sehr, dass mir das in meiner Auslegung gelungen ist. Falls nicht – und jeder Prediger kann sich mal vertun – bitte ich um Nachsicht.
Die biblische Erzählung vom Gehen Jesu auf dem See
Kommen wir zum dritten Blick auf die Geschichte von Jesus, der auf dem See geht. Johannes 6,16-21.
Als es Abend geworden war, gingen seine Jünger hinab an den See. Sie stiegen in das Boot und fuhren über den See nach Kapernaum. Es war bereits dunkel, und Jesus war noch nicht zu ihnen gekommen.
Der See war aufgewühlt, weil ein starker Wind wehte. Nachdem sie etwa fünfundzwanzig oder dreißig Stadien gerudert hatten, sahen sie Jesus auf dem See gehen. Er kam nahe an das Boot heran, und sie fürchteten sich.
Jesus aber sprach zu ihnen: „Ich bin es, fürchtet euch nicht.“ Sie wollten ihn nun in das Boot nehmen. Sogleich war das Boot am Land, wohin sie fuhren.
Besonderheiten des Johannesevangeliums in dieser Erzählung
Eine Vorbemerkung
Es fällt auf, dass Johannes überhaupt die Speisung der Fünftausend und das Gehen Jesu auf dem See Genezaret erwähnt. Er ist ansonsten fast schon peinlich darauf bedacht, nur solche Ereignisse zu berichten, die keiner der anderen Evangelisten anführt.
Es darf uns daher nicht verwundern, dass er hier einen Aspekt beleuchtet, der von Matthäus oder Markus überhaupt nicht erwähnt wird. Diesen Aspekt finden wir ganz am Ende seiner Erzählung.
Die Erzählung klingt ansonsten wie eine verkürzte Version der Berichte der anderen Evangelisten. Zum Höhepunkt kommt Johannes in Kapitel 6, Verse 20 und 21: „Er aber spricht zu ihnen: Ich bin es, fürchtet euch nicht!“ Sie wollten ihn nun in das Boot nehmen, und sogleich war das Boot am Land, wohin sie fuhren.
Das ist der Höhepunkt, den sonst keiner der anderen berichtet. Die Jünger wollen Jesus ins Boot nehmen. Obwohl Johannes das nicht erwähnt, gibt es bei den anderen Evangelisten noch den Punkt, dass sich der Wind legt, die Jünger weiterhin Angst haben und vor Jesus niederfallen, indem sie ihn als Sohn Gottes ehren.
Doch all das spielt für Johannes keine Rolle. Sein Höhepunkt lautet: „Und sogleich war das Boot am Land, wohin sie fuhren.“
Die drei Lektionen aus der Geschichte vom Gehen Jesu auf dem See
Wir haben im Blick auf die ganze Geschichte, in der Jesus auf dem See geht, inzwischen schon zwei große Lektionen gelernt – jedenfalls hoffe ich das.
Die Lektion aus Markus besteht darin, dass wir mitten im Sturm begreifen müssen, dass Jesus da ist. Wir müssen lernen, den Sturm mit den Augen von Jüngern zu sehen, die wissen, dass ihr Meister gar nicht weit entfernt auf dem Wasser geht.
Und was ist mit meiner Angst? Sie kommt womöglich daher, dass ich noch nicht völlig verstanden habe, wer Jesus ist – nämlich derjenige, der einfach alles kann.
Die Lektion aus Matthäus besteht darin, dass wir den Sturm als Chance begreifen dürfen, Neues zu wagen. Probleme sind dazu da, Gottes Einladung zu hören, selbst Schritte auf dem Wasser zu wagen.
Mitten im Sturm können wir neue Verhaltensweisen ausprobieren, ein bisschen mehr so reagieren, wie Jesus es getan hätte. So stellen wir fest, dass Gottes Wort tragfähig ist und mich genau dort trägt, wo meine Furcht mich untergehen lässt.
Und was ist die Lektion aus Johannes? Johannes will uns beibringen, dass wir mitten im Sturm, mitten auf dem See, wenn wir Jesus haben, am Ziel sind. Und sogleich war das Boot am Land, wohin sie fuhren.
Die Bedeutung der Johannes-Lektion für das Leben im Sturm
Warum ist diese Lektion so wichtig?
Im Sturm denken wir häufig, dass uns der Sturm daran hindert, unser Ziel zu erreichen. Probleme sind die Dinge, die uns daran hindern, unsere Lebensziele zu verwirklichen. Deshalb konzentrieren wir uns so sehr aufs Rudern, weil wir glauben, dass wir irgendwo hinmüssen.
Aber was wäre, wenn ich sagen würde: Mit Jesus in meinem Lebensboot bin ich bereits am Ziel? Was wäre, wenn ich den Druck loslassen könnte, mich selbst ans Ziel bringen zu müssen? Was wäre, wenn ich mich mitten in den Problemen des Lebens schon am Ziel wüsste – genau dort, wo Gott mich haben möchte?
Was würde das mit meinem Leben machen, wenn ich das glauben könnte?
Die Antwort: Es würde enormen Druck nehmen. Wenn ich das glauben könnte, wäre ich im wahrsten Sinne des Wortes mitten im Sturm ruhig, weil Jesus bei mir ist.
Abschluss und praktischer Impuls
Was könntest du jetzt tun? Du könntest darüber nachdenken, welche der drei Lektionen für dich am wertvollsten ist. Was möchtest du für dich mitnehmen?
Das war es für heute.
Tipp: Bete viel und konkret für die Politiker in Deutschland. Sie brauchen Weisheit, Gesundheit, Integrität, gute Berater, gläubige Freunde und noch vieles mehr.
Der Herr segne dich, lasse dich seine Gnade erfahren und lebe in seinem Frieden. Amen.