Die Bedeutung und Herausforderung des Wortes Gnade
Das Wort Gnade ist eines der größten und faszinierendsten Worte im Christentum. Gleichzeitig ist Gnade aber auch das gefährlichste Wort im Christentum. Die Frage ist: Wozu brauchen wir überhaupt Gnade? Was ist Gnade überhaupt?
Gnade ist ein Wort, das nicht ganz eindeutig verstanden wird. Wir brauchen es auch im Alltag ab und zu, doch es wird mit verschiedenen Bedeutungen gefüllt. Was genau ist Gnade? Warum brauchen wir sie?
Ich glaube, um Gnade zu verstehen, muss man zuerst verstehen, was Sünde ist. Wenn ich Sünde nicht verstehe, kann ich Gnade nicht verstehen. Wir haben gestern bereits kurz über die Herkunft des Bösen gesprochen. Gäbe es das Böse nicht oder wäre es nicht in diese Welt eingetreten, dann hätten wir Gnade nie kennengelernt.
Das heißt nicht, dass der Sündenfall gut war, positiv oder von Gott gewollt. Absolut nicht. Dennoch hat die Herkunft der Sünde bewirkt, dass Gott begnadigt. Begnadigt werden kann nur jemand, der etwas falsch gemacht hat. Das heißt: Wäre nie etwas falsch gelaufen, würden wir das gnädige Herz Gottes vielleicht nicht in diesem Ausmaß kennen.
Natürlich wissen wir nicht, wie es gewesen wäre, wenn es anders gekommen wäre. Ähnlich ist es, wenn du mich fragst: Wie wäre es, wenn ich nicht die Hannelore geheiratet hätte? Dann hätte ich vielleicht jemand anderen geheiratet oder keine. Aber das weiß man nicht.
Ähnlich verhält es sich hier. Um das Prinzip von Gnade zu verstehen, muss man Sünde verstehen.
Das Missverständnis von Sünde und ihre wahre Bedeutung
Und Sünde ist ein Wort, das absolut missverstanden wird. Wenn ich jetzt Zettel herumreichen würde und jeder darauf in einem Satz schreiben müsste, was Sünde ist – ich gebe dir mal fünf Sekunden zum Nachdenken –, was würdest du schreiben? Wie würdest du es in einem Satz formulieren? Nur für dich selbst.
Wir würden viele verschiedene Antworten bekommen. Du hast das Wort Sünde bestimmt schon oft gelesen oder gehört, wenn du in die Kirche gehst – falls du in die Kirche gehst – oder wenn du die Bibel liest. Aber was ist Sünde wirklich?
Das heutige Verständnis von Sünde ist zum Großteil folgendes: Es ist das, was attraktiv, aber verboten ist. Es ist Sünde, wenn etwas sehr verlockend ist, man es aber nicht tun darf. Und wenn du es dann doch tust, bist du ein Sünder.
Ein einfaches Beispiel: Wenn ich in Deutschland mit dem Auto zweihundert Kilometer pro Stunde fahre – das finde ich übrigens super, ich wünsche mir, das wäre überall so – dann ist das meistens kein Problem. Wenn ich aber in Österreich genau gleich weiterfahre – bei uns sind die Autobahnen ähnlich breit wie bei euch – machst du genau dasselbe in Deutschland und in Österreich, dann wirst du aufgehalten und bist ein Verkehrssünder.
Es ist nämlich attraktiv, so schnell zu fahren, aber es ist verboten. Und wenn du es trotzdem tust, bist du ein Verkehrssünder. Oder du willst vor dem Geschäft parken, weil es dann nicht so weit zu laufen ist, aber das ist verboten. Dann bist du ein Parksünder.
Alles, was attraktiv, aber verboten ist, wird heute als Sünde bezeichnet. Oder du willst abnehmen, aber dummerweise liegt Schokolade auf deinem Bett. Dann isst du die Schokolade – oder zwei – und bist ein Sünder. „Jetzt habe ich schon wieder gesündigt.“ Das ist attraktiv, aber verboten.
Das funktioniert mit fast allem, ob es ums Überziehen des Kontos geht oder andere Dinge.
Das Problem ist: Dieses Verständnis von Sünde bringt uns auf die völlig falsche Spur. Denn Sünde ist nach der Bibel in erster Linie keine moralische Sache. Sünde bedeutet nach der Bibel, dass der Mensch sich von Gott abgewandt hat und selbst Gott sein will, ohne Gott.
Er ist von Gott weggegangen. Dieses Weggehen nennt die Bibel Sünde.
Gott schuf den Menschen als sein Ebenbild, so steht es in Genesis 1. Aber der Mensch begnügte sich nicht damit, Ebenbild zu sein. Er wollte das Abbild von Gott sein. Er wollte ohne Gott wie Gott sein – das Abbild Gottes und nicht nur sein Ebenbild, also nicht in Beziehung zu Gott.
Dieser Beziehungsbruch, dieses Hinausgehen von Gott, das nennt die Bibel Sünde.
Die Konsequenzen der Sünde und die Notwendigkeit der Gnade
Und darum lesen wir zum Beispiel in Römer 5,12 eine sehr schöne Formulierung. Paulus sagt dort: Durch einen Menschen ist die Sünde in die Welt gekommen, und durch die Sünde der Tod. So ist der Tod zu allen Menschen durchgedrungen, weil sie alle gesündigt haben.
Durch einen Menschen ist die Sünde – nicht Sünden, sondern die Sünde – in die Welt gekommen. Ein Mensch, Adam, ist von Gott weggegangen. Übrigens bedeutet Adam ja „Mensch“. Das war nicht nur ein Vorname, sondern steht für den Menschen allgemein.
Man könnte fragen: Der Mensch hat sich von Gott getrennt – aber was ist daran so tragisch? Ich trenne mich ja ständig von etwas. Wenn du jetzt im Urlaub bist, hast du dich von deinem Zuhause in Deutschland getrennt. Das ist doch nicht so schlimm, im Gegenteil, es ist ganz nett. Manche fahren ihr Auto in den Graben, trennen sich vom Auto und leben trotzdem weiter – wenn es gut ausgeht. Manche lassen sich sogar von ihrer Frau scheiden, trennen sich von ihr und leben trotzdem halbwegs weiter.
Die Frage ist also: Was ist so tragisch daran, wenn ich mich von Gott trenne? Warum ist das eine Tragödie?
Die Tragödie ist deshalb so schlimm, weil Gott Leben ist. Wenn du dich vom Leben trennst, was bleibt dann? Der Tod.
Darum ist die Sünde so tragisch: Durch dieses Weggehen vom Leben, von dem, der Leben ist, hast du den Tod bewirkt. Niemand hat den Tod erfunden – das haben wir gestern schon besprochen. Der Tod ist eine Konsequenz davon: Wenn du vom Leben weggehst, gehst du in den Tod.
Deshalb heißt es auch: Durch einen Menschen ist die Sünde in die Welt gekommen, und mit der Sünde der Tod. Das ist dieses Weggehen von dem, der unser Leben ist.
Wir nennen das die Erbsünde – ein Begriff, den ihr wahrscheinlich schon mal gehört habt. Weil wir alle gesündigt haben, sind wir alle von Gott weggegangen. Im Römerbrief lesen wir: „Niemand fragt nach Gott, keiner sucht ihn.“ Und tatsächlich ist es so, dass Menschen, die nach Gott fragen, die Ausnahme sind.
Schau mal in deinem Umfeld, in deiner Firma: Wie viele fragen dort nach Gott? Es ist nicht die Regel, sondern die Ausnahme.
Das heißt, wir haben gesündigt und sind alle von Gott weggegangen.
Interessant ist auch: Kein Mensch stirbt für seine Sünden. Das ist ein falsches Bild, das wir oft haben. Wir denken, wenn ich ein großer Sünder bin, wird Gott mich bestrafen, und wenn ich ein riesengroßer Sünder bin, wird Gott mich töten.
Die Antwort ist: Nein, das ist falsch. Gott wird dich nicht töten. Die Sünde hat dich bereits getötet.
Wir lesen im Römerbrief, auch in Römer 6,23, einen ganz wichtigen Vers: „Denn der Lohn der Sünde ist der Tod.“
Warum sterben wir? Nicht, weil Gott uns bestraft, weil wir moralisch schlechte Menschen sind, sondern weil der Sünder sich von Gott getrennt hat. Darum geht er in den Tod. „Der Sünde Sold ist der Tod.“
Die Gnadengabe Gottes aber ist ewiges Leben in Christus.
Gott tötet keinen einzigen Menschen. Die Sünde tötet den Menschen.
Darum hat Jesus sehr oft im Johannesevangelium gesagt: „Ihr werdet in euren Sünden sterben, wenn ihr nicht umkehrt.“ Du stirbst nicht für deine Sünde, du stirbst in deinen Sünden. Du bist bereits tot, weil du von Gott weggegangen bist. Wenn du vom Leben weggehst, bist du tot.
Das ist die Logik der Sünde.
Gnade als Rückkehr zur Gemeinschaft mit Gott
Und wenn man das versteht – wenn man versteht, dass Sünde bedeutet, die Gemeinschaft mit Gott aufzugeben, von Gott wegzugehen –, dann versteht man auch Gnade. Sünde heißt also, sich von Gott abzuwenden. Wenn ich das begreife, dann verstehe ich auch Gnade.
Gnade bedeutet, dass Gott mir, der ich von ihm weggegangen bin, nachgeht, mich ruft, anklopft und sagt: „Komm doch zurück zu mir!“. Er öffnet mir den Weg. Und genau das nennt die Bibel Gnade. Sünde ist das Weggehen von Gott, Gnade ist, dass Gott uns von sich aus zurückholt zum Leben. Das ist Gnade.
Darum sagt Johannes in Johannes 1,16-17: „Denn aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, und zwar Gnade um Gnade. Das Gesetz wurde durch Mose gegeben, die Gnade und die Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden.“
Gnade ist ein gewaltiges Geschenk, weil Gott Menschen begnadigt, die es nicht verdient haben. Wenn du die Bibel liest, ist das eigentlich sehr ermutigend für mich. Wenn du dir die Menschen anschaust, die Gott begnadigt hat, kommst du zum Schluss: Ich bin auch einer. Ich qualifiziere mich dafür.
Ich habe da ein paar Namen aufgeschrieben: Jakob war ein Lügner. Wer die Bibel liest, kennt diese Namen. Wenn nicht, hör einfach zu. Mose war ein Mörder, genauso wie David und Paulus. Simon liebte Huren und hatte dazu noch lange Haare – das war damals nicht gut angesehen. Ja, genau, da haben wir schon wieder so einen.
Aber schau: Er war auch einer von ihnen. Also qualifizierst du dich auch. Die Nazarener waren nicht gerade die Guten, gell? Hoseas Frau war eine Prostituierte. Wenn du die Bibel liest, steht das alles drin.
Elija war ein Selbstmordkandidat. Jeremia war depressiv. Jesaja predigte nackt – das habe ich noch nie getan. Jona rannte vor Gott weg. Petrus war ein jähzorniger Typ. Die Jünger sind beim Beten eingeschlafen – falls dir das mal passiert, bist du in guter Gesellschaft.
Simeon war fanatisch. Nathanael war zynisch. Martha sorgte sich um alles. Maria war faul. Die Samariterin schlief mit mehreren Männern. Matthäus war ein Dieb. Und warum ich das sage: Das sind alles Menschen, die von Gott begnadigt wurden. Sie sind alle dabei, weil Gott Gnade schenkt.
Die Herausforderung der Gnade für fromme Menschen
Und wisst ihr, hier liegt das Problem bei frommen Menschen: Sie haben ein Problem mit Gnade, weil Gnade total ungerecht erscheint. Da gibt es zum Beispiel den braven Familienvater, der sich bemüht, gut und redlich zu leben – und das ist auch gut so. Dann gibt es aber auch den unmöglichen Typen, der dennoch begnadigt wird und zu Christus findet. Und beide stehen genau gleich da.
Das ist das Faszinierende daran. Jemand hat einmal gesagt, das Kreuz sei der große Gleichmacher. Dort sind alle gleich. Aber das irritiert uns, besonders wenn wir fromm sind, weil wir denken, Gott sollte doch diejenigen, die sich bemühen, ein bisschen mehr belohnen.
Hier liegt das Problem: Du kannst dir Gnade nicht verdienen. Gnade ist ein Geschenk. Wenn du zu Weihnachten zwei Kinder hast, von denen eins brav ist und das andere dauernd Schwierigkeiten macht, und du gibst beiden ein Geschenk von gleichem Wert, dann ist das Gnade. Da gibt es keinen Unterschied. Und das irritiert uns.
Was jetzt das Problem ist – und das ist eigentlich meine Botschaft – erlebe ich immer wieder in verschiedenen christlichen Gemeinschaften, in denen ich unterwegs bin. Ich habe das Vorrecht, viele Gemeinschaften kennenzulernen. Manche sind ganz auf Gnade ausgerichtet, und zumindest einige in solchen Gemeinschaften verstehen Gnade als einen Freibrief zu sündigen. Weil sie begnadigt sind, meinen sie, sie könnten tun und lassen, was sie wollen. Das ist Gnade.
Gnade wird dann missbraucht als Freibrief zum Sündigen. Wenn ein Mensch, der begnadigt wurde, nicht versteht, dass er begnadigt wurde, um wieder in Gemeinschaft mit Gott zu leben, dann wird Gnade zu einer billigen Sache. Dann heißt Gnade: Ich bin begnadigt, ich bin nicht unter dem Gesetz, ich bin unter Gnade. Für mich gibt es keine Regeln mehr. Ich bin ein freier Mensch und kann als Christ tun und lassen, was ich will.
Das habe ich schon öfter gehört, und manche Christen leben auch so. Sie missverstehen den Neuen Bund als Freibrief zu sündigen. Wenn das der Fall ist, ist es fast klüger, zum Alten Testament zurückzugehen. Ich glaube nicht, dass es klüger ist – das wäre falsch gesagt. Ich will es so ausdrücken: Ich kann verstehen, warum manche christlichen Gemeinschaften zum Gesetz zurückgehen und sagen: Wenn du Christ bist, dann musst du das und das tun und dich so und so benehmen.
Seht ihr, das Gesetz gibt uns Richtlinien, an denen wir uns orientieren können – ob wir es schaffen oder nicht, ist eine andere Frage. Aber wir richten uns wenigstens danach. Gnade dagegen ist so frei und offen, dass viele nicht wissen, was sie damit anfangen sollen. Deshalb wird sie entweder missbraucht oder missverstanden.
Manche Pfarrer und Prediger predigen über Gnade, und alles, was die Zuhörer hören, ist: „Oh, ich kann leben, wie ich will.“ Deshalb gehen manche zurück zum Gesetz. Dann heißt es ungefähr so: „Gott liebt dich.“ Und sie sagen: „Ja, genau, das gefällt mir, super.“ „Gott ist gnädig.“ „Ja, genau, das ist mein Gott.“ „Gott will dich verändern.“ „Ja, das ist nicht unbedingt nötig, denn ich bin ja begnadigt.“ „Gott will etwas Neues mit dir tun.“ „Ja, das brauche ich auch nicht, weil ich Christ bin.“ Das ist das Ende vom Gesetz. Alle jubeln: „Super, kein Gesetz mehr!“ Aber es besteht kein Interesse daran, dass Jesus in mir wirkt und ich in sein Ebenbild verwandelt werde.
Ein negatives Beispiel in der Bibel haben wir auch – dazu kommen wir noch. Es waren die Christen in Korinth, die Gnade total missverstanden haben. Ich komme gleich darauf zurück.
Seht ihr, die Sache ist: Gnade befreit uns nicht für die Sünde, sondern von der Sünde. Gnade ist kein Freibrief, um zu sündigen, sondern Gottes Möglichkeit, mich von der Sünde zu befreien. Das ist die gute Botschaft.
Die vier Merkmale eines Lebens ohne Gott anhand von 1. Mose 1
Um ein besseres Verständnis zu ermöglichen, möchte ich kurz erläutern, wie Sünde aussieht, wenn ein Mensch sich von Gott abwendet und autonom, also nur für sich selbst verantwortlich, leben will. Wie zeigt sich ein solches Leben? Ich nenne euch vier Punkte, an denen man das ganz leicht erkennen kann. Das ist völlig unkompliziert, und gerade deshalb gefällt es mir.
Ich nehme dafür das erste Kapitel im Buch Genesis (1. Mose) und lese drei Verse daraus vor. Aus diesen drei Versen lassen sich mindestens vier Dinge ableiten, die zeigen, wie Sünde aussieht. Das ist nicht kompliziert, auch wenn du müde bist, wirst du es verstehen.
Im 1. Mose 1,26-28 heißt es:
„Und Gott sprach: Lasst uns Menschen machen, nach unserem Bild, uns ähnlich. Sie sollen herrschen über die Fische im Meer, über die Vögel des Himmels, über das Vieh und über die ganze Erde, über alle kriechenden Tiere, die auf der Erde sich regen. Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bild, nach dem Bild Gottes schuf er ihn, als Mann und Frau schuf er sie. Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch, und füllt die Erde und macht sie euch untertan.“
Aus diesen Versen lernen wir mindestens vier Dinge.
Erstens: Wenn Gott uns in seinem Ebenbild geschaffen hat, dann hat er den Menschen extrem kreativ geschaffen. Wenn du das erste Kapitel der Bibel liest, in dem die Schöpfung von Erde und Himmel beschrieben wird, stellst du fest, dass Gott wahnsinnig kreativ ist. Er hat Blumen, Tiere, Sonne, Planeten und vieles mehr geschaffen. Gott ist also unendlich kreativ.
Da wir nun in seinem Ebenbild geschaffen sind, sollten wir erwarten, dass auch wir sehr kreativ sind. Doch wie sieht diese Kreativität aus, wenn ein Mensch sich von Gott abwendet und diese Kreativität egoistisch und egozentrisch wird? Wie zeigt sie sich?
Der Mensch bleibt kreativ, weil er so geschaffen ist, aber nicht mehr zum Aufbau, sondern zur Zerstörung. Er handelt nicht ehrlich und liebevoll miteinander, sondern rechtfertigt sich selbst. Dazu möchte ich eines sagen: Unsere alte Natur ist nie so korrupt wie dann, wenn wir uns rechtfertigen. Darin sind wir Weltmeister – du und ich.
Ein Beispiel: Stell dir eine Skala von eins bis zehn vor. Eins steht für das, was du weißt, das richtig, gerecht und ehrlich ist. Zehn steht für das, was du genau weißt, dass es falsch, gemein und hässlich ist. Wir haben die Kreativität, uns von eins bis zehn zu bewegen, ohne es zu bemerken. Wisst ihr warum? Weil wir wahnsinnig kreativ sind und jeden kleinen Schritt rechtfertigen. Wenn wir dann bei zehn angekommen sind, sind wir schockiert und sagen: „Da wollte ich nie hin.“ Wir sehen uns als Opfer und können nicht verstehen, wie wir dort gelandet sind – gerade weil wir so kreativ sind und uns selbst rechtfertigen.
Ich nehme ein Beispiel: Ehebruch. Du heiratest jemanden, beide sind gläubig, und du sagst dir: „Eins ist hundertprozentig, das weiß ich, und das will ich: Ich will meinem Ehepartner immer treu sein und ihn lieben.“ Doch einige Jahre später kriselt es in der Ehe, und plötzlich lernst du jemanden anderen kennen. Der erste Schritt ist oft: „Ich rede halt mal mit dem.“ Das ist ja nichts Falsches, das ist völlig okay. Dann triffst du die Person auf einen Kaffee. Kaffee trinken ist ja keine Sünde, oder? Du kannst Kaffee trinken mit wem du willst, das ist völlig normal und sogar christlich, mit jemandem Kaffee trinken zu gehen.
Dann macht man gemeinsam eine Aktivität. Schritt Nummer drei: Das ist ja nicht falsch, ich kann ja auch mal etwas mit jemand anderem machen. Schließlich hält man auch mal Händchen. Händchen halten ist doch noch keine Sünde, oder? Nicht so tragisch. Schritt für Schritt rechtfertigen wir unser Verhalten.
Wenn du dann bei zehn angekommen bist, bist du schockiert: Wie konnte ich hierher kommen? Dabei wolltest du das doch nie sein. Schau dir mal Filme an: Wer will schon der gemeine, hinterhältige Ehebrecher sein? Niemand. Du willst der Held sein, der die Situation rettet und gut herauskommt. Warum wirst du dann zum gemeinen, hinterhältigen Ehebrecher? Weil du wahnsinnig kreativ bist. Das ist die Kreativität im gefallenen Zustand – Gott hat uns so geschaffen.
Zweitens: Gott hat uns mit Autorität und Kraft geschaffen. Er hat gesagt: „Macht euch die Erde untertan.“ Das ist eine enorme Autorität, die Gott uns gegeben hat. Das bedeutet, wir sollen die Welt hegen, pflegen, bewahren und beschützen, so wie Gott sie gemacht hat. Wir sollen sie schön gestalten.
Wie sieht die korrupte Version davon aus? Indem wir die Welt ausbeuten, sie kaputtmachen und sie unseren egozentrischen Wünschen unterwerfen. Dabei zerstören wir sie für die nächste Generation. Das ist die korrupte Version.
Drittens: Gott hat uns geschaffen, um in Beziehungen zu leben. „Lasst uns Menschen machen, nach unserem Bild!“ Das heißt, der eine Gott lebt in Beziehung, und Gott hat den Menschen so geschaffen, dass er ebenso als Gegenüber in Beziehung lebt.
Wie sieht die korrupte Version davon aus? Wir vernachlässigen und zerstören Beziehungen, verletzen Menschen. Wir haben ein falsches Selbstbild – entweder Stolz oder Minderwertigkeitsgefühle. Wir haben ein falsches Bild vom Nächsten: Er ist jemand, den ich für meine eigenen Ziele benutze. Und wir haben ein falsches Bild von Gott. Das ist die korrupte Version, wenn Beziehungen zerbrechen.
Viertens: Gott hat uns als sexuelle Geschöpfe erschaffen. Interessanterweise ist das erste Gebot, das Gott den Menschen gab, die Aufforderung, Sex miteinander zu haben, Kinder zu bekommen und sich einander zu erfreuen. Gott schenkt uns Kreativität, Autorität, Beziehungen und Sexualität – speziell, damit Mann und Frau eins werden und sich einander erfreuen können.
Sexualität ist eine Gabe Gottes, ein heiliger Akt.
Wie sieht die korrupte Version aus? Du brauchst nur in die Welt zu schauen: Wir verkaufen das, was schön und heilig ist, billig und dreckig. Das ist die korrupte Version. Die säkulare Welt spricht sehr viel über Sex. Du kannst kaum eine Straße entlanggehen, ohne halbnackte Frauen oder Ähnliches auf Plakaten oder in Zeitschriften zu sehen. Die Welt spricht viel darüber, aber nicht hilfreich.
Blöderweise hat die Kirche dies vernachlässigt. Die Kirche sollte über Sex sprechen, denn es ist ein Geschenk Gottes, etwas Heiliges und Schönes. Doch so sieht die korrupte Version aus.
Die Korruption der Gemeinde in Korinth als Beispiel für Missbrauch der Gnade
Und jetzt möchte ich euch etwas zeigen, was mich fasziniert. Es dauert nicht mehr allzu lange. Schlagt bitte mal auf, wer eine Bibel dabei hat, 1. Korinther Kapitel 1, denn die Christen in Korinth sind in all diesen Punkten korrupt geworden. Sie haben jeden einzelnen dieser vier Punkte total missbraucht.
Zum Beispiel erstens: Sie haben Beziehungen nicht gepflegt, sondern kaputtgemacht. In 1. Korinther 1,10 schreibt Paulus an diese Christen: „Ich ermahne euch aber, Brüder, durch den Namen unseres Herrn Jesus Christus, dass ihr alle einmütig redet und nicht Spaltungen unter euch seien.“
Was waren die Spaltungen? Geht runter zu Vers 12: „Ich meine aber dies, dass jeder von euch sagt: Ja, ich gehöre zum Paulus, ich aber zu Apollos, ich aber zu Kephas, das ist der Petrus, ich aber zu Christus.“
In dieser einen Christengemeinde, die klein war – am Anfang ungefähr fünfzig Gläubige – gab es schon vier verschiedene Konfessionen. Die einen sagten: Ja, ich bin ein Paulusanhänger, der andere ein Petrusanhänger, der nächste ein Apollosanhänger, und wieder ein anderer sagte: Ich gehöre zu Christus.
Da gab es Spaltungen, sie haben miteinander gestritten. Übrigens: Die Vielfalt der Konfessionen ist entweder unsere größte Stärke oder unsere größte Schwäche. Es kommt darauf an, ob du sie als positiv siehst oder ob du gegen die anderen kämpfst.
Was haben die Korinther gemacht? Sie haben gegenseitig Spaltungen verursacht.
Das Zweite, was sie gemacht haben, war sexuelle Perversion. In Kapitel 5 kannst du es nachlesen. Das war ziemlich pervers, das sagt Paulus sogar. In 1. Korinther 5,1 heißt es: „Überhaupt hört man, dass Unzucht unter euch sei, und zwar eine solche Unzucht, die man selbst unter den Nationen, unter den Heiden, nicht findet: dass einer seines Vaters Frau hat.“
In dieser Kirchengemeinde hat einer mit seiner Stiefmutter geschlafen, und das war cool, weil sie dachten: Wir sind unter Gnade, ich bin ja frei, ich kann tun, was ich will, ich bin begnadigt.
Sexuelle Perversion und Ausartung: Übrigens gab es zu der Zeit in den heidnischen Gebieten Griechenlands die sogenannte Tempelprostitution. Das war ein religiöser Akt. Wenn ein Mann mit einer Tempelprostituierten geschlafen hat, galt das als religiöse Handlung. Die Christen dachten sich, wenn das für die Heiden gut ist, ist es für uns wieder gar nicht schlecht. So haben sie viele Mitglieder bekommen. Und das wurde nicht nur toleriert, sondern gefeiert – das war die Freiheit der Gnade.
Dritter Punkt: Die Glaubensgeschwister haben sich gegenseitig vor Gericht gezogen. In Kapitel 6 kannst du es nachlesen. Paulus ist schockiert, dass sich Christen gegenseitig vor heidnischen Richtern verklagen. Er sagt: „Warum lasst ihr euch nicht lieber Unrecht tun, als dass ihr so etwas Beschämendes tut?“ Die Christen sind also gegenseitig vor Gericht gegangen.
Und das Vierte noch: Dann kannst du im Kapitel 11 nachlesen, was beim Abendmahl geschah. Sie haben sich betrunken und voll gegessen. Das Abendmahl zu der Zeit war nicht die Hostie, die wir heute kennen. Es gab Brot, Saft oder Wein, und es war ein richtiges Essen mit viel Wein.
Einige kamen schon früher zum Abendmahl, haben sich am Buffet vollgefuttert und den ganzen Wein ausgetrunken, waren betrunken. Die, die später kamen, hatten weder etwas zu essen noch zu trinken. Das kannst du in Kapitel 11 nachlesen. Paulus nennt das eine Katastrophe und verurteilt ihr Verhalten.
Das waren die Christen in Korinth.
Ich habe jetzt eine Frage: Wie würdet ihr eine Kirchengemeinde bezeichnen, die zwei Straßen weiter von euch beheimatet ist, deren Mitglieder sich beim Abendmahl betrinken und allen anderen alles weggessen, die gegenseitig vor Gericht gehen, die in sexueller Perversion leben und die in sich Spaltungen haben, die jeder sieht?
Ich glaube, wir würden eher negative Ausdrücke verwenden, wie Scheinheilige oder ähnliches.
Und jetzt kommt das Faszinierende – und das ist der Punkt: Wisst ihr, wie Paulus diese Christen genannt hat? Er hat sie genannt: „Ihr Heiligen, ihr seid Heilige.“
Jetzt geht mal zum ersten Korintherbrief Kapitel 1. Dort lesen wir, dass Paulus an diese, was man sagen muss, furchtbare Christengemeinde schreibt. Nichts wird in diesem Brief beschönigt. Und als einleitende Worte sagt er:
„Paulus, berufener Apostel Christi Jesu durch den Willen Gottes, und Sostenes, der Bruder, an die Gemeinde Gottes, die in Korinth ist, den Geheiligten in Christus Jesus, den berufenen Heiligen, samt allen, die an jedem Ort den Namen unseres Herrn Jesus anrufen.“
Vers 3: „Gnade euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Ich danke meinem Gott allezeit euretwegen für die Gnade Gottes, die euch gegeben ist in Christus Jesus.“
Wisst ihr, was mich hier fasziniert? Paulus nennt diesen wilden Haufen, die sich Christen nennen, „berufene Heilige“.
Was heißt heilig? Heilig heißt ganz einfach „abgesondert“ oder „beiseite gestellt“ für Gott.
Und er sagt zu ihnen: Ihr seid Heilige. Er erinnert sie daran, was sie in Christus sind, nämlich geheiligt, abgesondert für Gott in Jesus Christus.
Und wisst ihr, was hier so gewaltig ist? Gott gibt uns nie auf. Er erinnert uns daran, was wir geworden sind in Jesus, völlig egal, wie weit wir uns wegbewegt haben mögen. Und er ermutigt uns, es besser zu machen in Christus Jesus, weil wir heilig sind.
Die zentrale Botschaft des Korintherbriefs: Gemeinschaft mit Jesus Christus
Ich möchte euch ermutigen, dies wirklich durchzustehen. In den ersten neun Versen lesen wir achtmal den Namen Jesus Christus. Wisst ihr warum?
Die Korinther haben sich über noch etwas gestritten: über die Gaben des Geistes. Kapitel zwölf und vierzehn könnt ihr nachlesen. Sie stritten darüber, welche Gabe größer ist und welche weniger groß. Und wisst ihr, woran sich Paulus erinnert? Freunde, die Gaben sind schön, aber der Heilige Geist ist dazu da, um euch Jesus Christus lieb zu machen.
In den ersten neun Versen wird achtmal der Name Jesus Christus genannt. Doch sie haben vergessen, worum es eigentlich geht: Es geht um Christus. Stattdessen haben sie sich in alle möglichen Dinge verrannt und nennen das noch geistlich.
In den ersten sieben Versen lesen wir dreimal das Wort Gnade. Hier ist ein wichtiger Punkt: Obwohl Paulus sieht und es ihm wehtut, wie diese Christen die Gnade missbrauchen, kehrt er keine Minute zum Gesetz zurück – niemals! Er sagt nicht: „Ihr seid Christen, jetzt müsst ihr aber aufpassen und das und das und das tun.“ Er bleibt bei der Gnade, egal wie sehr sie auch missbraucht wurde.
Vers 9 ist für mich der Höhepunkt des ganzen Briefes. 1. Korinther 1,9: „Gott ist treu, ihr nicht, aber Gott ist treu, durch den ihr berufen worden seid, wozu? In die Gemeinschaft seines Sohnes Jesus Christus, unseres Herrn.“ Wisst ihr, wozu ihr berufen seid? Zur Gemeinschaft mit Jesus Christus. Das ist eine Bestimmung. Wenn du das versäumst, hast du Gnade missverstanden.
Und seht ihr, Gnade ist kein Freibrief zu sündigen. Vielleicht noch ein hilfreiches Beispiel zum Abschluss, dann bin ich fertig: Gnade ist genauso wenig ein Freibrief zum Sündigen wie dein Führerschein ein Freibrief ist, Unfälle zu machen.
Wenn du einen Führerschein hast, kann es natürlich sein, dass du einen Unfall verursachst. Aber der Führerschein gibt dir nicht das Recht, Unfälle zu verursachen. Er gibt dir das Recht, mit anderen Autofahrern respektvoll unterwegs zu sein und aufeinander Acht zu geben.
Genauso ist es mit Gnade. Gnade ist nicht das Recht zu sündigen. Ja, als begnadeter Christ wirst du sündigen, du wirst vielleicht einmal einen Unfall haben. Aber es ist nicht das Recht zu sündigen, sondern das Recht, frei zu sein.
Abschlussgebet und persönliche Entscheidung für die Gnade
Und ich möchte jetzt zum Abschluss noch gemeinsam beten. Vielleicht sagt der eine oder andere von euch: Herr Jesus, ich möchte heute mein Denken ändern. Ich möchte um Vergebung bitten, wo ich deine Gnade missbraucht habe – für meine egozentrischen Wünsche, die weder mir noch anderen helfen.
Ich möchte wirklich aus dieser Gnade leben, um in Gemeinschaft mit dir zu sein. Dabei sage ich ganz bewusst: Ich möchte mein Denken ändern und mit dir leben. Wer das möchte, kann das gerne mitbeten.
Du weißt selbst genau, wenn Gott dich meint. Dann weißt du es. Dann widerrufe den Missbrauch der Gnade und freue dich an der wahrhaftigen Gnade.
Lieber Herr, ich bin ein Heiliger, ich bin ausgesondert, um jeden Tag mit Jesus zu leben. Ich bin dazu auserwählt, jeden Tag mit Jesus unterwegs zu sein. Die Gemeinschaft mit Jesus ist mein Weg und mein Ziel im Leben.
Es ist ein Leben voller Liebe und Freude, und danach sehne ich mich mehr als nach allen anderen Dingen in dieser Welt. Mit Gottes Hilfe wähle ich diesen Lebensstil – den Lebensstil der Gnade, den Lebensstil der Gemeinschaft mit Jesus Christus, zu dem du mich berufen hast.
Denn bei dir möchte ich für immer sein.
Wir beten noch in der Stille weiter.
Danke, Herr, dass du mein Gebet erhörst, weil du im Heiligen Geist anwesend bist. Segne uns, bewahre uns und gib uns gute Gedanken, Herr. Amen.
