Historischer Hintergrund und die Entstehung des Zeitgeists
Anfang des neunzehnten Jahrhunderts war Europa eine turbulente Zeit. Wahrscheinlich gab es, wie zu allen Zeiten, viele neue Entwicklungen. Die Menschen hatten noch eifrig über die Französische Revolution diskutiert, die jedoch gerade erst vorüber war. Statt der französischen Revolutionäre hatte sich Napoleon als Kaiser der Franzosen etabliert.
Napoleon wollte nicht nur Kaiser der Franzosen sein, sondern ganz Europa erobern. Am Ende führte das dazu, dass er mit seiner großen Armee vor Moskau und auch in Moskau stand und fast ganz Europa erobert hatte. Unter anderem hatte er die meisten deutschen Länder erobert. Damals gab es ja kein einheitliches Deutschland, sondern viele verschiedene deutsche Länder.
Unter anderem war er in Preußen einmarschiert. Der damals bekannteste deutsche Philosoph, Hegel, kommentierte das, als er Napoleon dort einreiten sah, mit den Worten: „Das ist der Zeitgeist zu Pferde.“ Er sah Napoleon als Inbegriff dessen, was die Zeit, in der er lebte, ausmachte. Das meinte er damit.
Dass ich das zitiere, ist kein Zufall. Der Begriff „Zeitgeist“ ist nicht uralt, sondern wurde durch den Philosophen Hegel erfunden. Er ist derjenige, der diesen Begriff kreiert hat. Heute scheint es uns selbstverständlich, als ob es den Begriff schon immer gegeben hätte, doch es ist ein relativ junger Begriff. Gerade die Entstehungszeit, auf die der Begriff zurückgeht, ist interessant.
Hegel wollte mit „Zeitgeist“ etwas beschreiben: Menschen einer Zeit sind fest von etwas überzeugt, das ihr Denken, ihre Wertvorstellungen und ihr Alltagsverhalten bestimmt. Oft wissen sie selbst nicht, woher das kommt. Dann gibt es manche Menschen, in denen sich dieser Zeitgeist kristallisiert und realisiert. Sie sind ganz typisch für diesen Zeitgeist und gelten als Aushängeschilder dafür. Viele Menschen kopieren diese Personen, übernehmen deren Denken oder werden stark von ihnen beeinflusst.
Zeitgeist gibt es auch heute. Allerdings sieht er heute natürlich anders aus als vor zweihundert Jahren.
Die biblische Geschichte von Sadrach, Mesach und Abednego als Beispiel für Zeitgeist-Konflikte
Ich möchte zu Beginn einen Bibeltext lesen, und zwar einen aus dem Alten Testament, der, so glaube ich, auch etwas mit dem Zeitgeist zu tun hat. Es ist ein Text aus dem Buch Daniel, Kapitel 3.
Hier geht es eigentlich gar nicht so sehr um Daniel selbst, sondern um seine drei Freunde. Dennoch ist es Teil des Buches Daniel. Die Geschichte ist einigen wahrscheinlich bekannt: König Nebukadnezar von Babylon ließ ein großes Standbild errichten.
Es handelt sich um einen längeren Abschnitt, den ich trotzdem vollständig lesen möchte, da es sich um eine Geschichte handelt.
Der König Nebukadnezar ließ ein goldenes Standbild anfertigen, sechzig Ellen hoch und sechs Ellen breit. Dieses stellte er in der Ebene Dura in der Provinz Babel auf.
Dann ließ der König Nebukadnezar die Satrapen, Vorsteher und Statthalter, die Räte, Hofschranzen, Richter und Gerichtsbeamten sowie alle Provinzvorsteher versammeln, damit sie zur Einweihung des Bildes kämen, das er aufgestellt hatte.
Sobald alle versammelt waren und vor dem Bild standen, das Nebukadnezar aufgestellt hatte, rief der Herold mit gewaltiger Stimme:
„Das lasst euch gesagt sein, ihr Völker, Stämme und Sprachen! Sobald ihr den Klang der Hörner, Flöten, Zithern, Lauten, Harfen, Sackpfeifen und aller Art von Musik hören werdet, sollt ihr niederfallen und das goldene Bild anbeten, das König Nebukadnezar aufgestellt hat.
Wer aber nicht niederfällt und anbetet, der soll augenblicklich in den glühenden Feuerofen geworfen werden.“
Daraufhin fielen zur bestimmten Zeit, als alle Völker den Klang der Hörner, Flöten, Zithern, Lauten, Harfen und aller Art von Musik hörten, alle Völker, Stämme und Sprachen nieder und beteten das goldene Bild an, das König Nebukadnezar aufgestellt hatte.
Deswegen traten zur selben Stunde etliche chaldäische Männer herzu und verklagten die Juden. Sie ergriffen das Wort und sprachen zum König Nebukadnezar:
„O König, mögest du ewig leben! Du hast den Befehl gegeben, dass jeder Mann, der den Klang der Hörner, Flöten, Zithern, Lauten, Harfen und Sackpfeifen und aller Art von Musik hört, niederfallen und das goldene Bild anbeten soll. Wer aber nicht niederfällt und anbetet, der soll in den glühenden Feuerofen geworfen werden.
Nun sind da jüdische Männer, die du über die Verwaltung der Provinz Babel bestellt hast: Sadrach, Mesach und Abednego. Diese Männer, o König, achten nicht auf dich, dienen deinen Göttern nicht und beten das goldene Bild nicht an, das du aufgerichtet hast.“
Da befahl Nebukadnezar mit grimmigem Zorn, dass man Sadrach, Mesach und Abednego kommen lasse. Zugleich wurden jene Männer vor den König gebracht.
Nebukadnezar ergriff das Wort und sprach zu ihnen: „Sadrach, Mesach, Abednego, geschieht es vorsätzlich, dass ihr meinem Gebot nicht dient und das goldene Bild nicht anbetet, das ich habe aufrichten lassen?
Nun, wenn ihr bereit seid, sobald ihr den Klang der Hörner, Flöten, Zithern, Harlauten, Harfen, Sackpfeifen und aller Art von Musik hören werdet, niederzufallen und das Bild anzubeten, das ich gemacht habe, dann ist es gut.
Wenn ihr aber nicht anbetet, so sollt ihr augenblicklich in den glühenden Feuerofen geworfen werden.
Und wer ist der Gott, der euch aus meiner Hand erretten könnte?“
Sadrach, Mesach und Abednego antworteten und sprachen zum König Nebukadnezar:
„Wir haben es nicht nötig, dir darauf ein Wort zu antworten. Wenn es so sein soll, unser Gott, dem wir dienen, kann uns aus dem glühenden Feuerofen erretten, und er wird uns bestimmt aus deiner Hand erretten, o König.
Und auch wenn es nicht so sein sollte, so wisse, o König, dass wir deine Götter nicht dienen und auch das goldene Bild nicht anbeten werden, das du hast aufstellen lassen.“
Da wurde Nebukadnezar voll Wut, und das Aussehen seines Angesichts veränderte sich gegen Sadrach, Mesach und Abednego.
Dann redete er und gab den Befehl, man solle den Ofen siebenmal heißer machen, als man es sonst zu tun pflegte. Den stärksten Männern seines Heeres befahl er, Sadrach, Mesach und Abednego zu binden und sie in den glühenden Ofen zu werfen.
Diese Männer wurden gebunden und in ihren Mänteln, Beinkleidern, Turbanen und Gewändern in den glühenden Feuerofen geworfen.
Weil der Befehl des Königs dringend war und der Ofen übermäßig geheizt wurde, tötete die Feuerflamme jene Männer, die Sadrach, Mesach und Abednego hinauftrugen.
Diese drei Männer aber fielen gebunden in den glühenden Feuerofen.
Da erschrak König Nebukadnezar und stand rasch auf. Er sprach zu seinen Räten: „Haben wir nicht drei Männer gebunden ins Feuer geworfen?“
Sie erwiderten: „Gewiss, o König!“
Er antwortete: „Siehe, ich sehe vier Männer mitten im Feuer frei herumwandeln, und es ist keine Verletzung an ihnen. Die Gestalt des Vierten gleicht einem Sohn der Götter.“
Darauf trat Nebukadnezar vor die Öffnung des glühenden Feuerofens und rief:
„Sadrach, Mesach und Abednego, ihr Knechte Gottes des Allerhöchsten, tretet heraus und kommt her!“
Da kamen Sadrach, Mesach und Abednego aus dem Feuer hervor.
Daraufhin versammelten sich die Satrapenvorsteher und Statthalter samt den Räten des Königs. Sie schauten diese Männer an, deren Leiber das Feuer nicht verletzt hatte. Ihre Haupthaare waren nicht versengt, und die Kleider waren unverändert. Man bemerkte nicht einmal einen Brandgeruch an ihnen.
Da ergriff Nebukadnezar das Wort und sprach:
„Gepriesen sei der Gott von Sadrach, Mesach und Abednego, der seinen Engel gesandt und seine Knechte errettet hat, die auf ihn vertrauten, das Gebot des Königs übertraten und ihre Leiber hingaben, weil sie keinen anderen Gott verehren und anbeten wollten als ihren Gott allein.
Von mir wird eine Verordnung erlassen werden, dass jeder, der gegen den Gott von Sadrach, Mesach und Abednego leichtfertig spricht, in Stücke gehauen und sein Haus zu einem Misthaufen gemacht werden soll.
Denn es gibt keinen anderen Gott, der so erretten kann wie dieser.“
Daraufhin machte der König Sadrach, Mesach und Abednego groß in der Provinz Babel.
Die Bedeutung und Interpretation der Geschichte im Kontext von Zeitgeist
Ja, soweit diese ganze Geschichte. Irgendwie ist das ja ziemlich beeindruckend, was da passiert. Für viele von uns wirkt das fast wie ein Märchen. Man denkt sich: Hier ist ein glühender Feuerofen, und dann steigen die da hinein – und es passiert ihnen gar nichts.
In der Praxis ist das jedoch nicht zum Nachahmen empfohlen. Falls hier jetzt jemand denkt: „Das möchte ich doch auch gerne mal ausprobieren, wie groß ist Gott, zünden wir mal zuhause das Haus an und steigen dann da rein“ – macht das nicht. Denn im Normalfall werdet ihr in einem brennenden Haus verbrennen. So war es damals ja auch ganz genau.
Im Nachhinein lässt sich die Geschichte schön erzählen, aber ursprünglich war sie relativ tragisch. Wir erleben hier drei junge Männer, die als Geiseln – so könnte man das sagen – mit nach Babylon genommen wurden. Das lesen wir ja schon ab dem ersten Kapitel. Zusammen mit Daniel kamen sie dahin. Man wollte eine Art Durchmischung des babylonischen Reiches erreichen. Ziel war es, die verschiedenen Völkerschaften miteinander zu vermischen, damit sich keine unterschiedlichen Gruppen bilden oder Bürgerkriege ausbrechen.
Also nahm man die jungen Männer aus verschiedenen Teilen des Reiches, führte sie in die Hauptstadt und wollte sie prägen nach dem Zeitgeist der Babylonier. Sie sollten die Sprache, Kultur und Sitten kennenlernen und auch ausgebildet werden. Nun waren sie schon ausgebildet, das liegt ja alles zurück.
Hier wollte man auch einen einheitlichen Herrscherkult vermitteln. Es musste etwas geben, das alle Völker zusammenbindet. Dazu wurde ein Standbild aufgerichtet. Wir lesen von sechzig Ählen Höhe, umgerechnet sind das siebenundzwanzig Meter. Also eine ganze Menge.
Ich weiß nicht genau, wie hoch eure Gemeinde ist. Wenn ich schätzen müsste: ungefähr zwei Meter hier, dann vielleicht vier Meter da, und sechs Meter oben. 27 Meter wären dann ungefähr vier- bis fünfmal so viel. Also das ist schon ziemlich groß.
Aber es musste ja auch groß sein. Erstens war Nebukadnezar der mächtigste König seiner Zeit. Zweitens gab es viele Völkerschaften ringsherum. Wir lesen ja immer von „allen Völkern“ und „allen Vertretern“. Das war eine riesige Masse – nicht nur wenige Menschen wie heute Abend hier, sondern Tausende, die versammelt waren.
Übrigens war so etwas damals durchaus üblich. Viele Könige ließen sich Standbilder bauen und sich selbst auch als Götter verehren. Wir wissen das beispielsweise von den Pharaonen in Ägypten. Dort war das ganz ähnlich. Auch andere babylonische Könige machten das.
Vermutlich war dieses Standbild ein Bild von Nebukadnezar selbst. Er war kein bisschen schüchtern und ließ sich gerne auch als Gott anbeten – meine Spekulation. Aber es entspricht dem, was damals in diesem Kulturkreis üblich war.
Das Bild wurde in einer weiten Ebene aufgestellt, um einen noch stärkeren Eindruck zu hinterlassen. Stellt euch eine große, flache Ebene vor, und dort steht ein riesengroßes Standbild, 27 Meter hoch, golden. Vermutlich war es nicht durch und durch aus Gold, sondern außen mit Blattgold belegt – so wie man das zum Beispiel in Asien bei einigen Buddha-Statuen kennt. Dort gibt es auch haushohe Buddha-Statuen mit Blattgold, die richtig schön glänzen.
Damit sollte gezeigt werden: „Boah, ist das hier ein Gott, den wir da haben!“ Die Leute sollten beeindruckt werden. All die Vertreter des Volkes, hohe Persönlichkeiten, Regierungsbeamte, Militärs, Gebildete, Künstler – alle waren anwesend, um dieses Bild zu feiern.
„Da sehen wir unseren Gott, da sehen wir den, der uns alle vereint. Das gibt uns Zukunft. Hier ist die Stärke unseres Landes.“ Die Musiker spielten, die Beamten standen da und achteten darauf, dass alles seine Richtigkeit hatte. Nebukadnezar war ebenfalls dabei.
Nun stellen wir uns die große Menge vor, die da war. Es waren Tausende, die zur Einweihung des Bildes gekommen waren. Es sollte ein großer Staatsakt sein. Und dann fallen alle auf den Boden nieder, um das Bild anzubeten.
Da muss es schon ein bisschen ärgerlich gewesen sein, dass drei Männer stehen blieben. Das fällt auf. Wenn alle niederknien und nur drei stehen bleiben, fällt das auf. Und wir merken sofort: Das ärgert die anderen.
Sie sagen: „Ihr seid anders, das gibt es ja nicht! Was bildet ihr euch eigentlich ein? Alle wissen hier, was der König von euch will. Nur ihr wollt eine Extrawurst. Ihr bleibt stehen.“
Sofort kommen diese Leute zum König und schleimen ein bisschen herum: „Oh, großer König, weißt du, wir wollen ja nichts Böses sagen, aber da sind so ein paar Männer, die hören nicht auf dich.“
Eigentlich müssten wir sagen: „Hey, ihr Schleimer, seid doch ruhig. Es ist doch total egal, wenn der König es nicht gemerkt hat.“ Aber die wollten diese lästigen Konkurrenten loswerden. Darum ging es.
Sie dachten: „Jetzt haben wir was in der Hand. Diese Juden haben schon Karriere gemacht, der König mag sie gerne, jetzt können wir sie fertig machen.“
Natürlich steigt der König darauf ein. Er war ein bisschen selbstverliebt und holte die drei Männer zu sich. Sie hatten sich ja in den vorherigen Kapiteln schon als Mitarbeiter bewährt. Deshalb gibt er ihnen eine letzte Chance: „Na ja, ihr seid aus Israel, vielleicht habt ihr nicht ganz verstanden, worum es hier geht. Ich erkläre es euch noch mal: Wenn die Musik ertönt, dann zack, auf die Knie, und dann ist alles in Ordnung. Ich vergesse alles.“
Immerhin bekamen sie eine neue Chance. Ich weiß nicht, ob ihnen da die Knie gezittert haben. Mir hätten sie gezittert. Ich hätte mich vielleicht freundlich verabschiedet und gesagt: „König, ich bin gerade krank, ich müsste woanders hin.“ Aber das ging nicht. Sie mussten bleiben.
Jetzt ist es ihre letzte Chance. Sie wissen: „Entweder das oder tot.“ Das ist so ähnlich, als stündest du heute einem islamistischen Terroristen gegenüber und er sagt: „Bist du Christ? Wenn ja, wirst du erschossen.“ Da zu sagen: „Ich bin Christ“ ist heikel, oder?
Theoretisch würden wir hier in der warmen Gemeinde natürlich alle sagen: „Wir machen das vielleicht.“ In der Realität wäre ich mir da nicht so sicher. Manche denken vielleicht innerlich: „Lieber hier leugnen und überleben, ich kann ja später Buße tun.“ Das wäre eine Möglichkeit.
Ich wäre nicht mal böse, wenn ihr das tättet. Ich habe es ja auch gerne, wenn ihr alle mit mir zusammen seid und wir noch feiern können. Sie hätten auch sagen können: „Herrgott, du weißt ja, wir wollen dir noch dienen, auch in Zukunft. Hier machen wir mal Zugeständnisse, wir beten da mal, aber innerlich bleiben wir bei dir.“ Das wäre eine Möglichkeit.
Aber genau das tun sie nicht. Sie wissen nicht, wie es am Ende ausgeht. Ihre Antwort ist: „Wir erbitten dem König gegenüber nichts.“ Sie versuchen gar nicht erst zu verhandeln, nicht zu sagen: „Okay, König, wir knien uns halb hin.“ Sondern: „Nein, wir machen das nicht. Selbst wenn wir dabei umkommen, wir glauben an einen König, an einen Gott, der uns retten kann.“
Doch sie sagen auch: „Selbst wenn Gott uns nicht rettet.“ Hier gab es keine sichere Zusage von Gott, dass sie nicht umkommen würden. Sie sagen: „Selbst wenn wir sterben, sind wir bereit, uns Gottes Ordnung zu unterwerfen. Lieber vertrauen wir auf Gott als auf die Anerkennung des Königs und der ganzen Bevölkerung.“
Sie tun das. Es wird dramatisch berichtet. Der König lässt aus Wut noch mehr anheizen. Die Soldaten berichten, dass einige schon umgekippt sind, nur als sie in die Nähe des Ofens kamen.
Dann geschieht die überraschende, eigentlich unmögliche Wendung. Das soll uns deutlich machen: Das geht nicht mit rechten Dingen zu. Sie hatten keinen Teflonanzug an, um sich zu schützen, sondern trugen ganz normale Kleidung – sogar babylonische Kleidung.
Es wird erwähnt, sie hatten Turbane auf, lange Kleidung und Bärte. Und dann das Wunder: Nichts passiert. Sogar noch ein Vierter ist da, scheinbar ein Engel oder jemand, der sie schützt.
Jetzt geht es bei dem stolzen Nebukadnezar genau ins Gegenteil. Ich möchte gern das Gesicht derer sehen, die vorher diese drei Juden angeklagt hatten, wenn Nebukadnezar seine Schlussrede hält und sagt: „Wer hier irgendetwas gegen die Götter der Juden sagt, dem wird der Kopf abgehauen und das Haus zerstört.“
Oh, die werden jetzt sicher still gewesen sein, vermute ich. Peinlich berührt sind sie in die Ecke gegangen und sagten: „Wir doch nicht! Wir haben doch nichts gegen die Juden gesagt, wir wollten nur dem König helfen.“
Plötzlich dreht sich das Ganze um. Weil Gott eingegriffen hat, wird Nebukadnezar klar: Hier ist eine Macht, die noch größer ist als seine eigene. Er kann befehlen, Leute umzubringen, aber der Gott, der eingreift, kann sie vor dem Befehl des Königs retten.
Eine beeindruckende Angelegenheit. Wie gesagt, ich lese diese Geschichte lieber, die sich hier vor rund 2500 Jahren zugetragen hat, als dass ich sie selbst erlebt hätte. Damals mit dabei gewesen zu sein wäre interessant, aber auch heikel – zumindest wenn man nicht weiß, wie es am Ende ausgeht.
Zeitgeist und seine Auswirkungen auf Gesellschaft und Individuum
Jetzt stellt sich vielleicht der eine oder andere die Frage: Was hat diese durchaus spannende und dramatische Geschichte mit der Frage „Christ und Zeitgeist“ zu tun? Ich glaube, einiges.
Denn hier wird ja ein Zeitgeist betrieben. Es wird beschrieben, dass alle Leute gleich denken – Gleichschaltung, alle handeln gleich. Und wie handeln sie? So, wie König Nebukadnezar es will. Er ist der Chef, der bestimmt, was läuft. Und alle sind bereit, sich dem zu unterwerfen. Wenn du es nicht tust, gibt es sogar einige, die dich zwingen wollen, dich zu unterwerfen.
Die meisten machen mit, weil es ihnen Spaß macht. Sie finden das irgendwie auch toll – ein schönes Fest, eine große Show. Sie genießen das auch. Wahrscheinlich hat Nebukadnezar gute Musiker ausgewählt und danach ein Festbankett veranstaltet. Das war ja eine große Feier, die auch Spaß macht.
Aber die Leute, die nicht mitmachen, die ärgern. Und dann gibt es einige, die diese Menschen mit Gewalt dazu zwingen wollen, genau das zu denken und zu tun, was alle anderen auch machen.
Warum? Weil es den Rest ärgert, wenn jemand nicht mitmacht. Vielleicht denken manche sich: „Ich würde ja auch gern etwas anderes machen, aber ich traue mich nicht.“ Vielleicht haben manche sogar ein schlechtes Gewissen und denken: „Eigentlich würde ich Nebukadnezar oder das Standbild hier gar nicht gerne anbeten.“ Aber sie machen es trotzdem nicht anders.
Die Reaktion der meisten Menschen ist dabei nicht Toleranz, also: „Okay, ihr seid halt anders.“ Sondern zu allen Zeiten war es so, dass Menschen, die aus der Reihe tanzen, versuchen, einen hinter die Ohren zu geben oder Schlimmeres. Man will sie wieder auf Kurs bringen.
Im Grunde genommen ist genau das das, was wir als Zeitgeist bezeichnen. Der Zeitgeist kann manchmal lieb und sanft daherkommen, aber meistens steckt dahinter eine massive Gewalt.
Denk daran: Wenn du nicht so denkst wie wir, dann hast du Probleme. Dann werden dir alle möglichen Schwierigkeiten bereitet.
Hier zeigt sich eines der Probleme, wenn wir nicht bereit sind, bei einem Zeitgeist mitzumachen.
Zeitgeist in der Gegenwart: Chancen und Herausforderungen
Nun, wenn wir in die Gegenwart kommen, müssen wir feststellen, dass der Zeitgeist manchmal eine schwierige Angelegenheit ist. Warum? Weil der Zeitgeist nicht immer negativ ist. Ich möchte nicht sagen, dass jede neue Entwicklung und jeder neue Trend gleich schlecht ist – also alles, was die große Masse von Menschen um uns herum macht.
Sonst könnte ich ja sagen: Die große Masse der Menschen ist heute wild auf Bildung. Das wird uns in der Politik ja gesagt – lebenslanges Lernen. Da könnte ich sagen, das ist ein Trend oder der Zeitgeist momentan, zumindest in Deutschland. Aber dieser Zeitgeist ist nicht schlimm, er ist auch nicht falsch, sondern gut. Darüber können wir froh sein.
Es gibt also Dinge im Zeitgeist, die positiv sind. Wir dürfen nicht generell sagen, alles, was neu ist, ist schlecht, und der Zeitgeist von vorgestern sei gut. Manche meinen, dass es vorgestern, als sie jung waren, keinen Zeitgeist gab. Natürlich gab es den, nur einen anderen. Und der war nicht besser.
Manchmal hast du ihn vielleicht nicht erkannt, weil du selbst darin groß geworden bist. Den neuen Zeitgeist erkennst du, weil er fremd ist, und darin erkennst du auch Gefahren. Wenn wir den Zeitgeist überprüfen wollen, brauchen wir eine Position außerhalb der Zeit. Diese Position haben wir allein, indem wir ins Wort Gottes hineinschauen und dort einen ideologiekritischen Maßstab haben – sowohl gegen den Zeitgeist von gestern als auch gegen den von heute.
Dann müssen wir analysieren, was der Zeitgeist ist. Wir müssen feststellen, ob er gegen das Wort Gottes und die Prinzipien, die Gott uns gibt, ist, oder ob er möglicherweise sogar dafür ist – oder vielleicht neutral. All das gibt es.
Es gibt Dinge im Zeitgeist, die neutral sind. Diese nehmen wir zur Kenntnis, wir können sie übernehmen. Manchmal ist es sogar nett, es gefällt uns allen, aber im Grunde genommen macht es keinen großen Unterschied.
Beispiele für neutralen Zeitgeist im Alltag
Also beispielsweise bestimmte Dinge in der Architektur. Wenn man sich ein wenig mit Architektur beschäftigt, kann man relativ genau datieren, wann ein Gebäude gebaut wurde.
Wäre das Gebäude beispielsweise in den Achtzigerjahren errichtet worden, dann hätte man oben überall Holzverkleidungen gesehen. Das kennt man noch von sogenannten Profilbrettern oder Ähnlichem. Oder eigentlich ist das heute nicht mehr so modern, da müsste ich noch mal draußen schauen.
Habt ihr bei eurem Eingang so einen Bogen aus roten, also dunkelroten Steinen draußen vor der Tür? Ja, das wäre jetzt eigentlich der Zeitgeist. Das hat ja sogar Lidl oder Aldi, oder zumindest Lidl, das sieht man überall. Trendmäßig setzt man ein paar Farbtupfer, besonders Dunkelrot ist momentan noch etwas, aber auch das nicht mehr ganz so neu – seit fünf, sechs Jahren ist das richtig im Trend.
Jetzt kann man fragen: Ist das falsch? Dürfen Christen keinen roten Bogen vor die Tür machen? Da müssen wir sagen: Klar können wir das machen, das ist nicht schlimm und auch nicht gegen die Bibel.
Das gilt auch für andere Dinge, zum Beispiel an der Kleidung. Ich weiß nicht, ob hier ein paar jüngere Leute sind, aber bei ihnen sind seit einigen Jahren Kapuzenpullis wieder angesagt. Wisst ihr, dass hinten an manchen Kleidungsstücken so eine Kapuze hängt? Ich habe als kleiner Junge auch welche getragen. Meiner war orangenfarben, und meine Eltern mochten das gar nicht, weil ich die Kapuze manchmal über den Kopf zog. Heute sind Kapuzenpullis wieder modern, so wie manche Sachen aus den Siebziger- und Achtzigerjahren.
Oder was langsam auch wieder in Mode kommt, also was Zeitgeist ist, sind Bärte. Eine Zeit lang waren Bärte völlig out, total unmodern. Wer einen Bart hatte, galt als von gestern. In dieser Zeit hat meine Frau auch gesagt, ich solle meinen Bart abrasieren. Ich hatte damals einen Bart, der auch schon in den 80er Jahren modern war, einen großen Vollbart. Sie meinte: „Michael, du siehst so alt mit dem Bart aus.“ Aus Liebe zu meiner Frau habe ich meinen Bart seit über 20 Jahren abrasiert.
Ich habe mal überschlagen: Aus Liebe zu ihr investiere ich jeden Morgen zwei, drei, vier Minuten fürs Rasieren. Rechnet man das auf ein Jahr hoch, mal 365 Tage, mal zehn Jahre, dann ist das doch schon ein ganzes Opfer, oder was meint ihr? Ein ziemliches Zeitopfer, denn mit Bart hatte ich weniger Aufwand – einmal in der Woche ein wenig trimmen, das war in Ordnung. Aber Rasieren dauert viel länger.
Ihr müsst mich jetzt nicht bemitleiden oder beglückwünschen, auf jeden Fall mache ich es aus Liebe zu meiner Frau, weil sie sagt, es sieht hübscher aus, also lasse ich den Bart weg. Im Moment wäre der Zeitgeist eher wieder Bart – mit verschiedenen Varianten wie Schnurrbart oder Vollbart.
Die Frage ist nun: Ist dieser Zeitgeist schlecht? Da würden wir sagen: nicht schlecht, aber auch nicht gut – er ist einfach anders. Die Zeit verändert sich, und manche Dinge in unserer Welt sind neutral. Man kann sagen: Der Zeitgeist ist neutral. Es ist nicht an sich schlimm, sondern es kommt darauf an, wie wir damit umgehen.
Wenn du deinen Bart nicht pflegst und er zur Brutstätte von Läusen wird, dann ist das schlecht. Aber das liegt nicht am Bart, sondern an der Pflege.
Ich meine das gar nicht so weit hergeholt. Letztes Jahr war ich in Rumänien und habe einige Gemeinden besucht, besonders in einem armen Dorf in der Nähe von Moldawien. Es ist immer eine Überwindung, in die Wohnungen hineinzugehen, aber ich möchte den Geschwistern und Menschen nahekommen und mit ihnen reden.
Bisher hatte ich jedes Mal, wenn ich zurückkam, Flöhe. Warum? Weil es in den Wohnungen von Flöhen wimmelt. Sobald ich mich hinsetze, kommen sie. Beim ersten Mal dachte ich noch, warum juckt es mich so an den Beinen und Füßen überall? Da habe ich nebenbei einen Floh gesehen. Jetzt weiß ich Bescheid: Jedes Mal, wenn ich zurückkomme, desinfiziere ich erst mal meine Kleidung und mache alles ordentlich sauber. So etwas gibt es eben.
Was gibt es sonst noch für neutrale Dinge? Zum Beispiel die Nutzung elektronischer Medien. Das ist ein Zeitgeist, das wisst ihr ja heute, das macht fast jeder.
Zeitgeist bedeutet ja, dass jeder so denkt, handelt und es toll findet. Die Nutzung elektronischer Medien ist heute Zeitgeist. Natürlich trifft ein neuer Zeitgeist immer jüngere Menschen stärker als ältere, weil diese ihn frisch kennenlernen.
Wir sind alle von einem älteren Zeitgeist geprägt, und den Neuen ärgert man erst einmal: „Warum muss das sein?“ Die Jüngeren finden das toll, aber wenn sie älter werden, gefällt ihnen der Zeitgeist, der danach kommt, nicht mehr. Das ist immer dasselbe.
Wahrscheinlich sagen wir deshalb in Deutschland auch „Handy“, weil das Handy bei vielen jungen Leuten mit der Hand festgewachsen ist. Achtet mal darauf: Ihr werdet kaum einen jungen Menschen irgendwo sehen ohne Handy. Probiert mal, einem das wegzunehmen – das geht nicht. Eher könnt ihr sonst etwas machen, aber das Handy nicht wegnehmen.
Mir fiel neulich auf, als ich in der Großstadt in der U-Bahn unterwegs war: Vor einigen Jahren lasen die Leute in der U-Bahn noch Bücher, Zeitungen oder Ähnliches. Heute hat etwa die Hälfte der Leute starr auf ihr Smartphone geschaut. Selbst verliebte Paare – da dachte ich, viele umarmen sich vielleicht, schauen sich tief in die Augen, aber nein: Jeder hat sein Smartphone und tippt und wischt. Manchmal habe ich den Eindruck, sie reden sogar über das Smartphone miteinander. Sie sitzen nebeneinander, aber es ist spannender, sich Nachrichten zu schreiben. Dann merken sie: „Ah, du bist ja da.“ Das ist so ein Trend, ein Zeitgeist in elektronischen Medien.
Jetzt stellt sich die Frage: Ist das prinzipiell gegen die Bibel? Da würde ich sagen: Eigentlich nicht. Auch hier kommt es darauf an, wie du damit umgehst.
Die elektronischen Medien können super toll sein. Wir können sie nutzen, um das Evangelium in Gegenden zu verbreiten, in denen es verboten ist, als Missionar hinzugehen. Man kann heute durch elektronische Medien viele Predigten herunterladen, auch gute, und sie Tag und Nacht anhören.
Du kannst sie nutzen, um mit Freunden, die du im Urlaub kennengelernt hast, zu kommunizieren, ohne lange Briefe zu schreiben. Schnell hin und her schreiben, ermutigen und füreinander beten – super toll.
Manche sagen: „Michael, weißt du nicht, dass es auch Gefahren gibt?“ Ja, klar gibt es Gefahren. Aber das Medium an sich ist nicht das Problem, sondern wie du damit umgehst.
Klar, manche Menschen werden süchtig, manche schreiben Unsinn. Aber diese Menschen waren vorher vielleicht schon süchtig nach Romanen. Vor 200 Jahren gab es eine richtige Epidemie, bei der in christlichen Kreisen vor dem Lesen von Romanen gewarnt wurde, weil sie die Seele vergiften und den Geist vernebeln.
Wenn du Tag und Nacht Romane liest, ist das nicht besser als den ganzen Tag auf Facebook zu sein. Das war vor 200 Jahren so, und heute ist es nicht besser.
Menschen geraten immer in Süchte. Wenn man eine wegnimmt, kommen andere. Und Unsinn gab es auch vor 200 Jahren, nur wurde er nicht auf Facebook geschrieben, sondern in Büchern.
Oder findet ihr etwa die Schriften von Lenin toll? Lenin hat nicht auf Facebook geschrieben, sondern Bücher. Damit hat er den Tod von rund sechzig Millionen Menschen verursacht – das ist nicht wenig. Und das allein durch Bücher und Propagandaschriften.
Deshalb würde ich sagen: Das ist ein Zeitgeist, den wir positiv oder negativ nutzen können. Als Christen müssen wir nicht dagegen kämpfen, sondern einfach richtig damit umgehen.
Es gibt manche Dinge im Zeitgeist, zum Beispiel in der Wohnungsbauweise, der Einrichtung der Wohnung, der Farbe der Möbel oder ähnliches. Da können wir sagen: Das ist halt so, man kann mitmachen, muss aber nicht. Das müssen wir nicht zum Glaubenskampf erklären.
Das ist nicht so wie bei Daniels Freunden. Ich habe ja gerade vorgelesen: Sie waren gekleidet wie damals die Leute in Babylon. Sie haben nicht darum gekämpft, jüdische Mode zu tragen. Da steht, dass sie Turban trugen, der normalerweise nicht in Israel üblich war, aber sie haben ihn getragen – genauso die anderen Kleidungsstücke.
Das war scheinbar nicht entscheidend, warum? Weil die Bibel darüber nichts sagt.
Wenn die Bibel Kleidungsstücke nennt, sollen wir uns danach richten. Wenn sie keine Kleidungsstücke nennt, dann gilt: In der Bibel steht nichts darüber, ob du schwarze Pullis tragen darfst oder nur weiße, ob es ein Hemd sein muss, ob es oben zugeknöpft sein muss oder nicht. Also kannst du das durchaus so machen, wie es die Leute tun – und das tun wir ja auch.
Die meisten von euch sind heute gekleidet wie der durchschnittliche Mittelstandsbürger in Deutschland auch. Wenn ihr meint, das sei nicht so, dann schaut euch mal um. Ich sehe hier kaum jemanden, der im Langburnus ist, wie Araber, oder Frauen, die im Sari sind. Das wäre auch eine interessante Idee, aber ihr seid gekleidet wie der Durchschnitt in Deutschland.
Ich sage Durchschnitt, denn ihr seid ja nicht alle ausgefallene Rockertypen oder so. Der normale Durchschnittsbürger in Deutschland kleidet sich eben mit Pulli, Hemd, kurzgeschnittenen Haaren, ordentlicher Hose und Schuhen – und das ist kein Problem.
Jetzt könnten wir sagen: Dann gibt es mit dem Zeitgeist ja gar kein Problem. Ja, ich könnte das sogar noch deutlicher machen.
Manchmal ist der Zeitgeist sogar in unserem Interesse, und wir können uns darüber freuen. Zum Beispiel leben wir heute in einem Zeitgeist, in dem Menschen wieder eher offen sind für religiöse Fragen. Das ist ein Zeitgeist.
Ich erinnere mich gut an Gespräche in den Achtziger- und Neunzigerjahren. Da war die Diskussion viel stärker: „Es gibt keinen Gott“ und „Das ist alles falsch“ – vehement.
Wenn ich heute auf der Straße mit Leuten spreche, sind meistens die älteren Leute völlig verschlossen und wollen vom Glauben nichts wissen. Die Jüngeren hingegen sind offener und sagen: „Erzähl mal, das ist ja interessant.“ Viele junge Leute haben keine Ahnung von religiösen Dingen, gehen nie in die Kirche, aber sie finden es interessant.
Warum? Weil sie ohne festgeprägte Formen aufgewachsen sind, mit dem Gedanken, dass man tolerant sein muss, dass man erst mal zuhört, was der andere sagt.
Vor zwei Generationen waren viele Menschen intoleranter. Sie hatten ihre Überzeugung und setzten sie durch. Heute ist das anders.
Wenn du dann erklärst, was du glaubst, wird ein jüngerer Kollege am Ende sagen: „Ist ja interessant, schön für dich, das war es.“ Er sagt nicht mehr: „Du blöder Kerl, du musst aufhören.“ Das kommt heute selten vor.
Die Älteren machen so etwas eher. Wenn du aber sagst: „Das musst du auch glauben“, ist die Toleranz natürlich vorbei. Dann wird gesagt: „Nee, für mich ist das nichts.“ Für dich okay, wenn du Frieden damit hast und es dir Spaß macht.
Das ist eher die Haltung der Jüngeren. Und dieser Trend ist positiv. Den können wir nutzen, damit Leute nicht generell ablehnen, sondern sich zumindest mal anhören.
Ich erlebe das auch im Internet, wenn ich mit jungen Leuten über den Glauben diskutiere. Viele junge Leute, die nie in eine christliche Gemeinde gehen, sind offen, sich zumindest mal etwas anzuhören. Das finde ich positiv als Trend, als Zeitgeist.
Eine andere Sache des Zeitgeistes finde ich ebenfalls positiv: Viele junge Leute legen heute mehr Wert auf Authentizität. Das war in früheren Generationen nicht so.
Frühere Generationen waren mehr Schein als Sein. Nach außen musste es stimmen, was innen war, spielte keine große Rolle. Das hätte niemand so gesagt, aber genau so war es.
Viele haben nach außen die heile Familie vorgespielt, während sie sich intern gegenseitig gezickt oder geschlagen haben. Das wollen junge Leute heute nicht mehr, und der Zeitgeist will das auch nicht.
Er sagt: Sei echt, sei authentisch, sag, was du denkst. Das hat manchmal auch Nachteile, weil man manchmal besser schweigen, nachdenken und runterkommen sollte, ehe man etwas sagt. Aber generell ist es besser, wenn niemand etwas vorspielt, sondern ehrlich sagt, was er denkt.
Ich erinnere mich an ein Beispiel: Meine Frau betreut einige ältere Leute, unter anderem eine ältere Frau. Der Mann und die Frau sind verheiratet, wohnen in einer schönen Villa in unserer Gegend. Der Mann war wirtschaftlich erfolgreich, hat einen großen Garten und alles schön gestaltet.
Aber er verbietet seiner Frau, draußen in den Garten zu gehen. Warum? Weil sie seit einem Jahr im Rollstuhl sitzt. Was könnten die Nachbarn denken? Bei uns ist doch alles perfekt, und eine Frau im Rollstuhl passt nicht zu einem perfekten Leben mit tollem Garten und schöner Villa.
Das war der Zeitgeist von früher: Hauptsache, die Nachbarn denken gut über mich. Das ist heute nicht mehr Zeitgeist. Heute sagt man eher: Sei echt!
Viele suchen das, auch wenn nicht alle jüngeren Leute so sind. Sie streben danach und schätzen das mehr.
Hier sind Aspekte des Zeitgeistes, die gut sind, und darüber können wir uns freuen. Eigentlich ist es das, was Gott auch will: dass wir echt sind, sagen, was wir denken, wer wir sind, was wir empfinden – und nicht nur vorspielen, damit andere einen positiven Eindruck haben.
Hier zwei Beispiele, bei denen der Zeitgeist sogar positiv ist: Menschen sind wieder eher bereit, über religiöse Fragen zu sprechen – nicht unbedingt sich zu bekehren, aber zumindest darüber zu reden.
Oder Menschen sind eher bereit, zu sagen, was sie denken, fühlen und empfinden. Sie sind nicht mehr so bereit, etwas vorzuspielen. Das ist eine positive Tendenz.
Das trifft natürlich nie auf alle Menschen zu, aber der Zeitgeist ist verbreitet, und das finde ich erst einmal gut.
Was wir sicherlich auch schätzen, ist, dass für viele Menschen heute Freunde eine viel größere Rolle spielen.
Freunde pflegt man auf unterschiedliche Weise: Man trifft sie, schreibt im Internet usw. Aber auch das spielt eine größere Rolle. Nicht nur „arbeiten, arbeiten, bis ich tot umfalle“, sondern Freizeit und Freunde sind wichtig.
Wenn ihr eine Umfrage macht, zum Beispiel die Shell-Studie zur deutschen Jugend, dann steht bei den meisten jungen Leuten bis 25 Jahren Freizeit und Freunde höher im Kurs als Erfolg im Beruf.
Das könnten einige von euch vielleicht sagen, falls ihr alte Schwaben seid. Ich würde sagen: „Schaffe, schaffe, Häusle bauen, schaffen ist wichtig.“ So ein bisschen steckt das ja auch in mir, obwohl ich kein Schwabe bin.
Aber andererseits muss ich sagen: Ein bisschen hat dieser Zeitgeist ja auch Recht. Wir leben ja nicht, um zu bauen, sondern wir bauen, um zu leben.
Bei manchen ist das nicht ganz klar, aber das ist eine Herausforderung. Letztendlich ist klar: Ihr werdet mit eurer Seele in die Ewigkeit gehen, nicht mit eurem Haus.
Das ist sehr klar. Das Haus ist zum Wohnen und Leben da, und das ist in Ordnung.
Hier sind manche Jüngere...
