Als Jesus Christus vor über zweitausend Jahren am Kreuz hing, waren viele Menschen froh, dass er endlich weg war – darunter die Pharisäer, die Schriftgelehrten und vielleicht 98 Prozent des Volkes. In dieser Einsamkeit und Verzweiflung rief er einen Satz aus, über den wir über alle Maßen dankbar sein können.
Ich habe viel darüber nachgedacht – über diesen einen Satz: „Ich habe Durst, ich habe Durst.“ Stellen Sie sich das einmal vor: Das ist Jesus, der Zimmermann, der das ruft. Das ist Jesus, der Mensch, nicht der Gottessohn. So habe ich das für mich in der dunklen Stunde interpretiert, als unser Sohn damals starb.
Alle anderen Worte am Kreuz sind ja irgendwie noch besser und passen besser: Vergebung für den Sünder – „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“; oder die Verheißung des Paradieses, als der Verbrecher sagt: „Denk an mich, denk an mich“, und Jesus antwortet: „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.“ Auch die Fürsorge für seine Mutter ist bemerkenswert.
Selbst der Aufschrei „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ birgt noch eine Kraft in sich. Doch bei „Ich habe Durst“ ist er ganz Mensch. Ich habe das für mich so interpretiert, dass er uns damit deutlich machen wollte: Ich bin Mensch, und ich habe die Welt, vor der du stehst, mit allen Lasten, Krankheiten, Ungerechtigkeiten, Verbrechen, Gemeinheiten und Verlogenheiten kennengelernt.
Ich kenne dich, ich weiß, wo du mitkämpfen musst. Jesus, der Erlöser, stand mitten in der Welt, in der wir auch stehen. Er stand den gleichen Problemen gegenüber, die wir auch kennen. Jesus kennt unerträgliche Tage – und unerträgliche Tage sind bei ihm am allerbesten aufgehoben.
Die menschliche Seite Jesu in der Verzweiflung
Was trägt an unerträglichen Tagen? Über dem Leben von uns allen schwebt immer die Angst, leiden zu müssen. Wir hoffen, dass leidvolle Erfahrungen uns und unseren Familien erspart bleiben. Doch wir wissen auch, dass wir nichts in der Hand haben. Keiner von uns weiß, ob er morgen Abend noch in der gleichen Runde sitzen wird wie heute.
Es sind nicht die großen Katastrophen, die unser Leben in den Abgrund stürzen – wie Flugzeugabstürze, Vulkanausbrüche, Erdbeben oder Terroranschläge. Der Herr Jesus bewahre uns davor, dass wir in solche Situationen geraten. Vielmehr sind es bei uns eher die kleinen, persönlichen Katastrophen, die nie erwähnt werden und die oft nur einen selbst treffen.
Der Tod eines lieben Menschen ist im ersten Moment natürlich eine Revolution. Unser Sohn ist zum Beispiel schon seit 16 Jahren tot. Viele kennen ihn gar nicht mehr. Dann gibt es Situationen wie die Hochzeit unseres jüngsten Sohnes. Abends liegst du im Bett und denkst: „Mensch, wenn er jetzt noch leben würde, wäre er auch verheiratet.“ Aber daran denkt keiner mehr – weder meine Frau noch ich, noch unsere Kinder. Und das war es dann auch, kein anderer.
Viele kennen auch Scheidungen, unheilbare Krankheiten – wie wir es eben gehört haben – oder erleben Grausamkeiten. Menschen verlieren Freunde, Freunde wenden sich ab, es werden Geschichten erzählt, Lügen verbreitet und so weiter. All das bringt Dunkelheit und Krise in unser persönliches Leben.
Wenn unsere Welt zerbricht, scheint es, als könnte nichts auf der Welt sie jemals wieder zusammenfügen.
Der Umgang mit Leid und die Frage nach dem Warum
Ich möchte den Vortrag mit einem Bibeltext aus dem Römerbrief beginnen. Es ist ein außergewöhnlicher Text aus dem achten Kapitel, Römer 8,28. Es ist nur ein Vers. Später werde ich noch einige Verse aus dem Psalm vorlesen.
Hier schreibt der Apostel Paulus an die Römer: „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, die nach seinem Ratschluss berufen sind.“
Ich werde dir diesen Vers am Ende meiner Predigt noch einmal erläutern und etwas dazu sagen. Es ist ja ein unvorstellbarer Text, wenn man ihn zum ersten Mal hört: „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen.“
Für den, der an Gott glaubt, bricht beim Erleben von Leid oft eine ganze Glaubenswelt zusammen. Wenn man ganz real erfahren muss, dass Gott nicht eingegriffen hat oder nicht so eingegriffen hat, wie man es sich am allerliebsten gewünscht und erbeten hat, ist das schwer zu ertragen.
Leid wird in erster Linie nur von der eigenen Person subjektiv erfahrbar. Trauer vollzieht sich in unterschiedlichen Phasen. Als Manuel damals tot war, etwa nach drei, vier Monaten, habe ich zu meiner Frau Gabi gesagt: „Komm, lass uns doch mal essen gehen, wir müssen einfach mal raus hier, irgendwohin.“
Meine Frau antwortete: „Nein, ich kann nicht. Ich kann mir das jetzt überhaupt nicht vorstellen, jetzt essen zu gehen.“ Vierzehn Tage später sagte sie: „Wolfgang, Manuel ist jetzt fünf Tage tot, lass uns doch einfach mal in den Kino gehen.“
Ich antwortete: „Nein, das kann ich nicht. Unmöglich.“ Vor zwei Wochen hätte ich das vielleicht nie gesagt, aber im Moment ging es nicht. Das ist auch ein Problem zwischen Ehepaaren.
Deshalb kann dieser Vortrag keine hundertprozentige Antwort geben. Er ist nur ein schwacher Versuch, etwas von dem weiterzugeben, was uns 1999, als Manuel krank wurde, tröstete. Er hatte zwei Rückfälle, 2004 eine Knochenmarktransplantation ohne Erfolg. Am 29. Januar 2005 starb er in den Armen meiner Frau.
Dieser Vortrag besteht ausschließlich aus Gedanken, die meiner Frau und mir am Krankenbett und am Sterbelager unseres Sohnes gekommen sind. Ich hoffe – und ich habe auch dafür gebetet, gemeinsam mit meiner Frau –, dass diese Gedanken Sie vielleicht jetzt oder in der Zukunft trösten, falls Sie hoffentlich nicht, aber wir wissen es ja nicht, in eine ähnliche Situation kommen.
Alles, was uns in den langen Krankheitsjahren und auch den Jahren danach bewegt hat, habe ich aufgeschrieben. Dabei habe ich es mit der Hoffnung verbunden, dass meine Gedanken Sie dem Herrn Jesus ein kleines bisschen näherbringen.
Die Herausforderung der Warum-Frage und der Umgang mit Einsamkeit
Mit dem Leid kommen Fragen, und dann fragt man sich: Warum? Doch diese Fragen kann keiner beantworten. Fragen, die keiner beantworten kann, machen einen schutzlos. Sie machen einen mürbe und vielleicht auch wütend.
Wenn ich keinen Halt habe, möchte ich mein Unglück am liebsten abgeben. Abgeben und hinterfragen – abgeben an Menschen, die mir helfen könnten. Dabei fange ich an, andere Menschen zu hinterfragen, die moralisch vielleicht nicht so hochtrabend gelebt haben wie ich.
Oft habe ich zu meiner Frau gesagt: „Mensch, jetzt machen wir natürlich auch die Arbeit bei der Gefährdetenhilfe, aber ich habe so viele Leute kennengelernt, die hätten leben können. Die hätten leben können, und sie haben sich für den Tod entschieden, indem sie bei uns nach drei, vier Monaten wieder ausgezogen sind. Drei, vier Tage später – und manchmal schon am selben Tag – waren sie betrunken in Pforzheim am Bahnhof. Sie haben uns beleidigt und uns am Telefon die Schuld für ihr ganzes Elend zugeschoben.“ Ja, diese Menschen haben gelebt. Und unser Sohn musste sterben.
Die Hauptfrage für mich war natürlich immer: Warum lässt Gott das zu? Warum? Mein einziger Halt, den ich hatte, wurde in Frage gestellt. Die allergrößte Einsamkeit kam eigentlich nicht aus der Isolation von Verwandten, Freunden oder Leuten, von denen ich dachte, sie hätten sich ja mal melden können. Nein, die größte Einsamkeit und der schlimmste Frust für mich entsprang dem nagenden Gefühl, von Gott ganz verlassen zu sein – in den ersten Tagen, als Manuel tot war, oder auch als er krank wurde.
Und die lange Krankheitsgeschichte – sechs Jahre zu Hause. Die Männer, die Drogen genommen haben, die getrunken haben, die beaufsichtigt werden mussten. Dann die weiten Fahrten nach Tübingen, manchmal täglich, wochenlang hin und her, hin und her, hin und her. Wenig Geld. Viele haben uns unterstützt, denen bin ich von Herzen dankbar, sonst hätten wir das alles überhaupt nicht geschafft. Aber dieses Gefühl, der innere Stress zwischendrin, Predigensonntags: von Gott verlassen zu sein.
Da muss man aufpassen, dass man nicht auf eine Stufenleiter steigt, die immer weiter nach unten führt. Die erste Stufe ist die Isolation. Einer, der immer nur jammert und immer nur seine Krankheitsgeschichte erzählt – mit dem will niemand mehr etwas zu tun haben. Da sagt man: „Der kennt ja nur seinen Krebs“, oder „Der kennt nur die Insolvenz seiner Firma“, oder „Der schwätzt nur vom Herzinfarkt“ und so weiter.
Die zweite Stufe ist die Einsamkeit. Wer sich unverstanden fühlt und denkt: „Der interessiert sich ja gar nicht für meine Geschichte“, den lässt man in Ruhe. Und so hindert man 90 Prozent seines Umfeldes. Dann wird man immer einsamer. Man wimmert sich selbst in diese Einsamkeit hinein.
Als Nächstes kommt die Bitterkeit. Ich bin bitter mit Gott. Warum? Warum lädt Gott mir solch eine Last auf? Oder ich frage mich: Wie reagieren meine Mitmenschen? Ich habe mir mehr erhofft an Zuspruch – und dann kommt nichts.
Die vierte Stufe sind die Schuldzuweisungen. Man kommt auf die Idee, aus dem Nichts heraus, weil man sich übereinander geärgert hat, zu sagen: „Na ja, vielleicht bist du ja auch ein bisschen mitschuldig daran, weil du so und so gehandelt hast.“ Und dann muss man aussteigen. So weit darf man es gar nicht kommen lassen.
Wir geraten in einen großen Erklärungsnotstand, weil das Bedürfnis nach Antworten so groß ist. Wenn wir keine wirklichen Antworten finden, fangen wir an, uns vielleicht irgendwo selbst Antworten zurechtzuzimmern.
Am Anfang habe ich so gedacht, das sei vielleicht gar nicht so furchtbar verkehrt und so furchtbar schlimm. Wenn man nach Antworten sucht, findet man natürlich keine. Aber sich dann trotzdem irgendwo vielleicht an irgendetwas klammert und festhält – das kann helfen.
Sieben persönliche Erfahrungen im Umgang mit Leid
Ich möchte in sieben kurzen Punkten darlegen, was meine Frau und mich in diesen Zeiten wirklich getragen hat, was uns durchgetragen hat – ganz ehrlich und persönlich, besonders an unerträglichen Tagen.
Zunächst haben wir die Warum-Frage zugelassen. Häufig hört man von Christen und gläubigen Menschen, man dürfe nicht nach dem Warum fragen. Gott sei allmächtig, er schicke Krankheitszeiten, Zeiten der Besinnung und des Aufbruchs. Deshalb dürfe man nicht fragen, warum, weil Gott eben Gott ist.
Ich persönlich sehe das anders. Jede unbeantwortete Warum-Frage stört die Ordnung in unserem Leben. Wir leben alle in der Hoffnung, in einer Welt zu leben, die ordentlich und schön ist, in der alles sinnvoll eingeteilt ist, alles seinen Platz hat und dort bleibt. Für alles gibt es eine Erklärung und einen triftigen Grund – vor allem eine logische Erklärung. Unsere Welt soll logisch erklärbar sein.
Wir stellen immer wieder fest, dass Lügen kurze Beine haben. Wir sehen, dass die Tüchtigen Erfolg haben und die Faulenzer irgendwann unter die Räder kommen. Wenn mein Auto nicht anspringt, liegt es am leeren Tank oder der Batterie. Und wenn in unserer Wohnung die Lichter ausgehen, dann vermutlich wegen eines Kurzschlusses. Nur beim Tod unseres Sohnes und seiner langen Krankheitszeit gab es keinen logischen Grund. Das war ein Widerspruch, mit dem wir einfach irgendwie fertig werden mussten.
Ich dachte mir immer: Wenn ich die Warum-Frage beantworten kann, dann kann ich so ein Unglück beim zweiten Mal verhindern. So wie wenn jemand in einem Teich oder Brunnen ertrinkt und ich deshalb einen großen Zaun darum baue, damit es nicht noch einmal passiert. Ich wollte die Ursache finden, wissen, warum es so passiert ist. Vielleicht wollte ich auch durch die Beantwortung der Warum-Frage von meiner Schuld freigesprochen werden – zumindest teilweise.
Mir ist ein besonders grausames Schicksal in der Uniklinik in Tübingen noch lebhaft vor Augen. Ein Mann teilte sich sein Zimmer mit einem kleinen Jungen, der ebenfalls Krebs hatte und sehr schlecht aussah. Die Eltern waren verzweifelt. Die Eltern waren geschieden, und sie trafen sich am Krankenbett des Jungen wieder – der nach langer Zeit starb. Die Mutter sagte mit Tränen: „Vielleicht war unsere Scheidung der Grund.“ Warum ist das passiert? Vielleicht, weil wir uns getrennt haben. Wie sehr hat der Junge darunter gelitten? Hat er geweint? Ich konnte kaum mit ihm sprechen, und wir sprachen auch wenig miteinander. Dafür unterhielten wir uns mit der Mutter. Das war fürchterlich.
Am Sterbelager meines Kindes wieder zueinanderfinden – ob das wirklich geschah, kann ich nicht sagen. Aber sie trafen sich nach langer Zeit wieder. Vielleicht brauchte ich auch so eine moralische Wiedergutmachung. Irgendwie schien alles meine Schuld zu sein, zumindest teilweise, wenn nicht ganz. Ich habe viel mit meiner Frau Gaby darüber gesprochen, und vielleicht tue ich das auch heute noch manchmal. Manchmal nehmen wir uns in den Arm und trösten uns. Dann fallen einem Dinge ein, wenn wir darüber sprechen.
Ich denke dann: Wenn ich doch nicht so oft weg gewesen wäre. Wie oft war ich unterwegs, hielt Vorträge, leitete Gottesdienste? Meine Frau war mit den Kindern, mit Manuel, mit dem Hund allein. Ich war unterwegs. Warum habe ich das damals überhaupt gemacht? Ich weiß es nicht. Vielleicht war es Flucht.
Wir wohnten am Bodensee, als Manuel klein war – vielleicht drei Jahre alt, ein kleines Kerlchen mit blonden Haaren. Wir hatten wenig Geld, ich studierte noch. Eines Tages wollte er ein Eis haben. Wir kauften ihm ein kleines Eis am Stiel. Danach wollte er noch eins. Ich sagte, nein, das reicht. Dieses kleine Erdbeereis fiel mir später wieder ein, und ich hatte das Gefühl, es klagt mich an: „Warum hast du mich nicht gekauft? Ich hätte es doch gerne gegessen.“
Oder einmal wollte Manuel einen kleinen roten LKW, der vielleicht vier D-Mark kostete. Er wollte ihn unbedingt haben, aber ich kaufte ihn nicht. Ich sagte, er könne ja nicht alles haben. Diese Einstellung habe ich heute noch. Aber im Nachhinein denke ich: „Den blöden LKW hättest du doch kaufen können.“
Irgendwie ist alles meine Schuld. Warum? Ich weiß es nicht. Vielleicht will ich auch Gott rechtfertigen. Ich kann das alles so nicht stehen lassen.
Der Umgang mit unpassenden Trostversuchen und die Bedeutung von ehrlichem Hadern
Ein Nachbar, also nicht ein direkter Nachbar von uns, sondern jemand aus dem Dorf, hat uns einmal getroffen. Er sprach uns direkt an, und das war, glaube ich, noch bevor der Mann beerdigt wurde. Die Situation war also noch sehr präsent.
Er sagte: „Ja, was hast du denn jetzt von deinem Gott, den du jeden Sonntag verkündigt hast? Früher war er anscheinend ein frommer Mann, aber er ist in seinem Leben gebrochen. Er hatte alle Bücher verschenkt, die er besaß.“ Dann fragte er mich: „Ja, was hast du denn jetzt von deinem Gott? Wo ist dein Gott denn jetzt? Du bist doch jeden Sonntag für ihn unterwegs, bist ständig irgendwo und immer der Herr Jesus, der Herr Jesus. Ja, wo ist der Herr Jesus denn jetzt? Hat er dir deinen Sohn genommen, den Erstgeborenen? Wie kannst du so stark sein und dann stirbt ein Kind? Was ist das für ein Gott?“
Das hat er uns mehrmals gesagt: „Was ist das denn für ein Gott?“ Ich wollte Gott verteidigen. Ich wollte nicht, dass auch noch über Gott gelacht wird. Die Situation an sich war ja schon schwer genug, aber jetzt auch noch über Gott zu lachen. Seine Liebe zu mir – die war da. Ich habe nie an Gott gezweifelt, ob es ihn gibt oder nicht. Ich wusste, dass es ihn gibt. Nur den Schritt, das Leid zu verstehen, habe ich nicht verstanden.
Der Oxforder Evolutionsbiologe Richard Dawkins sagt in seinem Buch „Der Gotteswahn“: „Ich bin ein Gegner der Religion. Sie lehrt uns, damit zufrieden zu sein, dass wir die Welt nicht verstehen und damit auch das Leid nicht verstehen können.“ Ich habe das Buch nicht komplett gelesen, nur Auszüge daraus.
Leid ist eine unbekannte, unerklärliche Größe in unserem Leben. Der tiefste Grund dafür ist wohl, dass ich mit dem Unerklärlichen einfach nicht leben kann – und doch leben muss. Ich kann nicht, aber ich muss. Unsere Computer- und Fernsehwelt duldet nichts Geheimnisvolles. Alles muss auseinandergenommen, analysiert, durchleuchtet, fotografiert, identifiziert und klassifiziert werden. Nur den Tod und die Not, die damit verbunden sind, und die Krankheit kann ich nicht erklären.
Man hat das Gefühl, schutzlos ausgeliefert zu sein. Trotzdem hat es uns gutgetan, uns über die Warum-Frage zu unterhalten: Warum, warum, lieber Herr Jesus, warum? Ich habe damals immer wieder gehört: „Geh nicht hin, frag nicht nach dem Warum, die kannst du nicht beantworten.“ Ja, das habe ich natürlich auch gemerkt. Die kannst du nicht beantworten. Aber ich habe auch gelesen, dass Jesus am Kreuz nach dem Warum gefragt hat: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Matthäus 27,46).
Als der Kelch des Zornes Gottes ausgeschüttet wurde, als der lebendige Gottessohn im Garten Gethsemane kniend betete – so stelle ich mir das vor – und ihm der Angstschweiß wie Blut zur Erde tropfte, vielleicht war es auch wirklich Blut. Angst vor den Nägeln hatte der Herr Jesus keine Angst, da bin ich mir ziemlich sicher. Auch vor der Peitsche hatte er keine Angst, das war natürlich nicht angenehm. Aber Angst hatte er vor dem Kelch des Zorns, der über ihm ausgeschüttet wurde.
Die Sünde, die die ganze Welt getragen hat, hat er in diesen Momenten so richtig deutlich zu spüren bekommen. Das war der Zorn Gottes, der Kelch des Zorns. Sehen Sie, wir haben die Warum-Frage zugelassen, auch weil es viele Psalmen gibt, in denen nach dem Warum gefragt wird. Einer der bekanntesten Psalmen ist der Psalm 88. Er ist berühmt, weil er kein gutes Ende hat.
Manchmal ist es so, dass am Anfang die Warum-Frage steht, dann eine Erklärung geliefert wird, und zum Schluss heißt es: „Aber Gott hat dich trotzdem lieb.“ Aber in diesem Psalm ist das nicht so. Ich kann hier noch ein paar Verse daraus vorlesen.
Befreiung von unpassenden Trostversuchen
Zweiter Punkt: Wir haben uns von Möchtegern-Tröstern befreit.
Einer hat uns einen Brief geschrieben und meinte, ihr habt doch nur noch zwei wunderbare Kinder. Vater im Himmel hatte nur einen Sohn, den er auf diese Erde geschickt hat, und der hier umgebracht wurde. Ihr habt doch noch zwei: Katharina hier und Elias, der sitzt da hinten irgendwo. Das hat mich nicht getröstet, im Gegenteil, es hat mich wütend gemacht.
Ein anderer schrieb in seiner Beerdigungsanzeige: „Mit großer Bestürzung habe ich gelesen, dass euer Sohn gestorben ist. Meine herzliche Teilnahme. Aber nichtsdestotrotz muss das Leben weitergehen. Wann können Sie uns die Hecke schneiden? Bitte rufen Sie mich umgehend an.“ Da ist mir fast die Schädeldecke geplatzt.
Ich bin ja cholerisch veranlagt, aber ich will das jetzt nicht weiter vertiefen. Es klingt alles so, als würde sich der andere über unser Leid lustig machen.
Dann gab es Anrufe. Wenn man so im frommen Sektor unterwegs ist und auch bekannt ist, bekommt man eine Menge Anrufe. Ein Anrufer kannte einen hochcharismatischen Wunderprediger, einen gläubigen Christen, einen sehr großen und berühmten Mann in der Schweiz, der darauf spezialisiert ist, Krebskranke zu heilen. Er sollte kommen und für meinen Sohn beten.
Da habe ich gesagt, das mache ich nicht. Da war ich mir sofort sicher, ich brauchte meine Frau gar nicht zu fragen. Hinterher habe ich mit ihr darüber gesprochen, sie hat auch mal telefoniert, aber wir haben gesagt, wir machen das nicht.
Dann hieß es: „Ihr habt doch nichts mehr zu verlieren.“
Ich sagte: Natürlich haben wir noch etwas zu verlieren. Wir haben noch zwei Kinder. Wenn jetzt einer aus der Schweiz anreist und dort ein großes Spektakel veranstaltet, und mein Sohn trotzdem nicht gesund wird, dann sagt Katharina hinterher: „Ja, selbst der hat es nicht geschafft.“ Sie waren ja noch klein, Elias war drei Jahre jünger als meine Tochter. Da will ich mit Gott nichts mehr zu tun haben.
Das haben wir zu verlieren, und deswegen will ich nicht, dass du kommst. Wir sterben ja nicht an irgendeiner Krankheit. Ich habe Manuel immer gesagt: Wenn du sterben musst, dann stirbst du nicht an dem Krebs. Du stirbst, weil Gott oder wenn Gott deinem Leben ein Ende setzt, dann stirbst du. Wenn Gott deinem Leben kein Ende setzt, dann bist du unsterblich, bis zu dem Zeitpunkt, an dem Gott sagt: „Jetzt ist Schluss.“
„Ihr habt nichts zu verlieren.“ Und dann hieß es hinterher: „Dann wollt ihr ja gar nicht, dass euer Kind gesund wird.“ Da war ich nicht einverstanden. Ich habe mich darüber auch sehr geärgert. Ich hörte natürlich zu, weil ich unter Schock stand.
Manchmal hilft eigentlich nur eine radikale Trennung von Leuten, die es nicht gut mit einem meinen. Die einem irgendwelche Pseudotipps geben, YouTube-Filmchen zuschicken, die man sich angucken soll, obwohl man von Anfang an mit gesundem Menschenverstand weiß, dass das gar nicht funktionieren kann.
Schlimm ist es natürlich, wenn ein Ehepartner auf solche Versprechen einfällt und der andere es nicht will. Das war bei uns zum Glück nicht der Fall.
Ehrliches Hadern mit Gott als Ausdruck von Vertrauen
Drittens: Wenn ich überhaupt hadere, dann bin ich nach etwa zwei, drei Monaten zu der Erkenntnis gekommen, dass ich mit Gott hadern will. Ich will mit Gott schimpfen, weil Gott der Einzige ist – oder ich sage: Jesus, weil Jesus der Einzige ist, der meinen grenzenlosen Frust aushalten kann. Diese Erkenntnis muss allerdings wachsen; am Anfang hatte ich sie nicht.
Ich möchte ein Beispiel erklären, das ich aber schon in den vorangegangenen Abenden erzählt habe, daher lasse ich es jetzt aus Zeitgründen weg. Wenn ich nachts nicht schlafen konnte und im Bett auf dem Rücken lag, die Hände gefaltet, habe ich immer gebetet. Das hat mir immer geholfen. So konnte ich mit Gott sprechen, wie mit meiner Frau oder meinem Freund. Das war für mich einfacher. Dann konnte ich auch schimpfen und sagen: „Warum, Herr Jesus, warum hast du das zugelassen? Warum?“ Hier war für mich alles aus den Fugen geraten. Ich konnte die ganze Palette an Gefühlen und Worten heruntersagen. Und ich glaube, jedes Gebet hat der Herr Jesus gehört.
Er hat den Mann nicht wieder gesund gemacht. Ich bin davon ausgegangen, dass er das nicht konnte. Ich war also im Sarg und wurde zum Friedhof gefahren, bin dicht hinter dem Sarg hergegangen. Ich traue Gott alles zu, ich traue Jesus alles zu. Ich habe immer noch meine Hand auf den Sarg gelegt, weil ich dachte: „Vielleicht wacht er ja auf.“ Aber natürlich ist es nicht passiert. Trotzdem traue ich Gott das zu.
Hinterher lag ich dann im Bett und sagte: „Herr Jesus, warum hättest du das machen können? Die Macht hast du.“ Diese Macht habe ich Jesus auch nie abgestritten. Ich habe mir gesagt, ich will mit Gott sprechen – und nicht mit Menschen. Denn Menschen können mir in verschiedenen Situationen einfach nicht helfen. So wie Jakob, der den Segen Gottes regelrecht abtrotzte.
Ich denke an Hiob, der immer mit Gott sprach, und an den Psalmisten im Psalm 88. Ich lese Ihnen einen Vers daraus vor: „Herr, Gott mein Heiland, ich schreie Tag und Nacht vor dir, lass mein Gebet doch vor dich kommen, neige deine Ohren zu meinem Schreien, denn meine Seele ist übervoll an Leid, mein Leben ist nah an der Grenze des Todes. Ich bin denen gleich, die nicht geachtet werden, die in die Grube fahren, ich bin wie ein Mann, der keine Kraft mehr hat.“
Daran konnte ich mich gut identifizieren. Über weite Strecken hinweg hatte ich keine Kraft. Es gibt genauso viele Klage- und Protestpsalmen, wie es Lob- und Anbetungspsalmen gibt – vielleicht extra für die, die leiden. Diese Psalmen sind gute Begleiter in der Finsternis.
Nach Monaten, vielleicht so sechs Monaten, weiß ich nicht genau, habe ich für mich eine Entdeckung gemacht. Zum ersten Mal habe ich ganz bewusst darüber nachgedacht: Ich möchte Gott auch umsonst treu sein, wie Hiob. Dahin kam ich, als ich meinen Kummer immer frei laufen ließ. Ich wollte Gott dienen, weil Gott Gott war, der den Himmel und die Erde geschaffen hat.
In dieser Zeit wurde mir auch dieser Vers, dieser Ausruf von Jesus, „Ich habe Durst“, richtig bewusst. Ich wollte Gott dienen, weil Gott Gott ist – und nicht, weil er mich in erster Linie segnen soll oder weil er Manuel wieder gesund machen soll. „Machst du Manuel gesund, dann bete ich dich an.“
Hinter der Herausforderung Satans bei Hiob liegt diese Frage, die direkt dahintersteht: Der Satan sagt, der Teufel ist doch kein Wunder zu Gott im Himmel, dass Hiob ihn lieb hat. So wie du ihn geschaffen hast, kann er ja gar nicht anders.
Dann gibt es diese vierfache Prüfung, die jetzt zu lang wäre, im Detail zu erzählen: Seine Kinder sterben, sein Hab und Gut wird weggenommen, seine Frau stellt sich gegen ihn, und zum Schluss wird er noch von einer Plage mit Eitergeschwüren heimgesucht. Und dann dieser wunderbare Satz: „Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen, der Name des Herrn sei gelobt.“
Ich habe dann für mich gedacht, das ist vielleicht eine andere Frömmigkeit, aber eine echtigere Frömmigkeit, ein echterer Glaube, eine echte Hingabe. Ich möchte Gott dienen und ihm weiterhin gehorsam sein, meine Kinder im Glauben an den einen Auferstandenen erziehen – auch wenn er mir nicht das gegeben hat, was ich mir so sehr gewünscht habe.
Gott sagt: Hiob dient mir, weil ich Gott bin – und nicht, weil ich ihm die Dinge gebe, die er haben will, weil ich ihn belohne. Damit beginnt dann die Frage: Wer ist bereit, Gott umsonst zu dienen?
Die Schwierigkeit, Gottes Wege zu verstehen
Sehen Sie, wenn man einen Garten hat und jemanden einstellt, der keine Ahnung davon hat, dann soll diese Person das Unkraut herausziehen. Hat sie jedoch keine Ahnung, zieht sie alles heraus. Sie zieht dann auch die Möhren und die Blumen heraus und reißt schließlich alles heraus. Hinterher sieht der Garten aus wie Kraut und Rüben.
Genau das machen wir, wenn wir anfangen, Gott vorzuschreiben, was er tun und lassen soll. Wir sind nicht in der Lage, Gut und Böse genau auseinanderzuhalten.
Ich habe mich in den letzten Monaten und Jahren immer wieder gefragt, ob ich heute der Mensch wäre, der ich bin, wenn mein Sohn überlebt hätte. Ich weiß es nicht. Natürlich bin ich nicht froh darüber, dass er tot ist. Ach, wie gern hätte ich ihn bei mir. Wie gern würde ich wissen, ob er jetzt verheiratet wäre, ob er Kinder hätte und was er beruflich gemacht hätte.
Er war seit seinem dreizehnten Lebensjahr schwach und kränklich. Er hatte immer wieder Chemotherapie, eine Glatze, einen dicken Kopf, trug ständig eine Mütze und litt unter Halsschmerzen sowie Geschwüren am ganzen Körper. Eigentlich wusste man von Anfang an, dass er nicht mehr gesund werden würde. Man wollte es nur nicht wahrhaben.
Zwischendurch ging es ihm ein paar Wochen lang gut, aber dann kam immer wieder ein Rückfall.
Die Hoffnung auf Sicherheit und Heimat im Glauben
Fünftens: Was ist mein größtes Glück nach mittlerweile sechzehn Jahren? Mache ich mir noch andere Gedanken? Mein größtes Glück ist vielleicht auch mein größtes Unglück.
Dass unser Sohn sterben musste, ist furchtbar, unbeschreiblich, grausam, und der Schmerz sitzt immer noch tief. Sein Sterben dauerte eigentlich sechs Jahre – von der Diagnose bis zum Tod immer diese Wahnsinnsungewissheit.
Aber jetzt ist er in Sicherheit. In Sicherheit, liebe Gemeinde, liebe Schwestern, liebe Brüder, in Sicherheit. Was ist das für ein Satz? Er ist in Sicherheit. Das ist doch das, was jeder gute Vater will, was mir doch eigentlich das Allerwichtigste ist.
Sehen Sie, ich bin von Jesus total überzeugt, total. Und weil ich von Jesus total überzeugt bin, gehe ich davon aus, dass es den Himmel gibt. In dem Himmel werden sich die Menschen aufhalten, die Jesus hier auf der Erde gedient haben, die ihn geliebt haben.
Und da ist der Manuel jetzt. Er ist angekommen, er ist zu Hause, er ist da, wo wir eigentlich alle hinwollen. Das stammt nicht von mir, das ist der Onkel meiner Frau. Er ist auf uns zugekommen und hat gesagt: „Wolfgang, um den brauchst du dir keine Sorgen mehr zu machen. Der nimmt keine Drogen mehr, der heiratet nicht mehr die falsche Frau, seine Firma muss keine Insolvenz mehr anmelden.“ Er hat so sechs oder sieben Sachen aufgezählt, und da habe ich hinterher gedacht: Mensch, das stimmt. Der Manuel ist zuhause, er ist da, wo er hingehört.
Denken Sie an das Bild, das ich Ihnen gestern gezeigt habe, da mit Katharina in Kanada, wo ich das kleine Täfelchen hatte, auf dem stand: „Ich bin’s, dein Papa“, weil ich dachte, sie kennt mich ja nicht mehr. Und dann kommst du aus dem Terminal raus, wirfst ihr einen riesigen Rucksack zu, und sie fällt mir um den Hals und sagt: „Ach Papa, was soll das alberne Schild? Wenn ich dich nicht mehr kennen würde, aus Millionen Menschen hätte ich dich rausgekannt.“ So wird es auch sein, wenn wir mal in den Himmel gehen.
Ich kann manchmal überhaupt nicht verstehen, dass Leute so permanent und vehement ohne Gott und ohne Glauben leben wollen und andere noch verachten, wenn sie beten. Die Sache mit Jesus stimmt.
Ich habe zum Mahnen immer gesagt: Jesus ist Zimmermann. Das war er vom Beruf, mehr hat er ja eigentlich nicht gelernt, er hat nicht studiert. Er war auch nicht irgendwo im therapeutischen Sektor unterwegs, er war einfach nur Zimmermann, aber er war auch der Sohn Gottes.
Ich habe zu Manuel gesagt: „Manuel, weißt du, der Herr Jesus ist Zimmermann, der weiß doch, was du brauchst.“ Und wenn der Vater im Himmel, der Herr Jesus, dir ein Haus baut oder eine Wohnung – so wie es immer im Johannesevangelium steht –, er sagt ja, er geht voraus, um uns eine Wohnung zuzubereiten. Und wenn er die fertig hat, dann kommt er zurück und holt uns.
Ich gehe fest davon aus. Ich glaube auch, dass das nächste große Ereignis für uns Christen die Entrückung ist. Das heißt, bei der Entrückung werden zuerst die, die gestorben sind, auferstehen und von Herrn Jesus nach Hause geholt. Dann die, die noch leben.
Das ist so eine Belohnung. Die mussten sterben, da werden sie vielleicht zuerst geholt. Ich weiß nicht, ob es stimmt, aber ich glaube, dass es so ist. Und dann fängt die Trübsalszeit an.
Aber ich habe zu Manuel gesagt: „Pass auf, der Herr Jesus weiß doch, der hat immer von einem Blockhaus geträumt, der weiß das mit einem dicken Kamin drin. Er wollte in Kanada als Trapper in der Wildnis leben.“
Ich sage: „Wenn du so ein Haus haben willst, dann baut Herr Jesus dir das.“ Da kommst du dann rein, und da kannst du dich hundertprozentig darauf verlassen, dass Jesus dir nicht eben vor so einem Stahlbeton einen viereckigen Klotz hinstellt, sondern eine Wohnung, die auf deine Bedürfnisse zugeschnitten und zugerichtet ist.
Die Bedeutung von Liebe und Vergebung im Glauben
Und dann sechstens: Da ist ja noch die Frage: „Hast du mich lieb?“ Ich frage das oft meine Frau und muss immer hören, ob sie mich jetzt noch lieb hat oder ob sie wieder irgendwo im Busch ist. Dann laufe ich durchs ganze Haus und suche sie. Schließlich finde ich sie irgendwo beim Wäscheaufhängen, und sie sagt: „Ich bin im Büro.“
In meinem nächsten Vortrag wollte ich das mal umarbeiten. Ich wollte nur ganz kurz hören: „Hast du mich noch lieb?“ Ach, sagt die Gattin jedes Mal: „Wolfgang, und wie, und wie!“ Wenn wir dann gerade denken, wir sind alleine und keiner von den Männern schaut zu, dann kommt irgendwo der Benni oder so um die Ecke. Dann geben wir uns schnell ein Küsschen, und ich gehe wieder ins Büro, während Gaby weiter die Wäsche aufhängt. Ja, dann bin ich froh und glücklich.
Wissen Sie was? Deswegen kann meine Frau sich auch schon mal einen dicken Fehler erlauben. Da würde ich nie etwas sagen, weil sie mich lieb hat. Sie erlaubt sich eigentlich keine Fehler, aber sie könnte es. Oder ich könnte mir Fehler erlauben. Ich erlaube mir ja viele. Und meine Frau verzeiht sie mir, weil sie mich lieb hat.
So ist es auch mit Herrn Jesus. Den habe ich lieb. Ich habe den Herrn Jesus richtig lieb in meinem Herzen, tief drin. Das ist der geheime Motor meines Lebens.
Jetzt kann ich sagen: Ich verstehe die Sachen mit Manuel überhaupt nicht. Ich verstehe sie nicht. Aber der Herr Jesus hat mich lieb, und ich habe ihn auch lieb. Es war kein Fehler, den er ihm gemacht hat. Er hat sicher irgendetwas dabei gedacht.
Aber dann kann ich den Manuel abgeben. Ich kann abgeben und sagen: „Herr Jesus, so wie es ist, ist es gut so.“ Je mehr Gemeinschaft ich mit Gott habe, desto mehr kann ich ihm vertrauen. Und je mehr ich ihm vertraue, desto weniger brauche ich ihn vielleicht zu verstehen. Das ist wie ein Kreislauf.
Wenn ich das begriffen habe, dann ist, glaube ich, auch innerer Frieden wieder möglich. Warum es so gekommen ist, weiß ich nicht. Aber in diesem Wachstumsprozess sind wir reingekommen, meine Frau und ich.
Je mehr ich Jesus vertraue, desto weniger brauche ich ihn zu verstehen. Das hängt natürlich mit der Gemeinschaft zusammen. Je mehr Gemeinschaft ich mit Jesus habe, desto mehr kann ich ihm vertrauen und desto lieber habe ich ihn auch. Denn ich merke ja, dass er in meinem Leben aktiv ist.
Jesus kann man erleben. Es ist kein toter Glaube. Ich lese in der Bibel, und das ist nicht wie ein Grimms Märchenbuch. Ich mache jeden Morgen eine Andacht mit den Männern. Ich gehe davon aus und merke, dass das lebendige Wort Gottes ist.
Sonst könnte ich ja auch hier eine Geschichte aus Grimms Märchen lesen: „Bäumchen rüttel dich und schüttel dich, wirf Gold und Silber über mich.“ Na ja, da könnte Volker lange warten, bis die Bäume Gold und Silber über ihn ausschütten. Das wird nicht passieren.
Aber wenn ich zu Volker sage: „Wenn du für deine Probleme betest, dass Jesus dir hilft, dass du deinen Führerschein wiederkriegst“, dann wird sich irgendetwas tun. Nicht immer alles so, wie wir uns das vorstellen, aber da wird sich etwas tun.
Du kannst Jesus erleben, wenn du mit ihm lebst.
Die Verheißung der göttlichen Fürsorge trotz Leid
Und dann, siebtens und letztens, der unglaublichste Bibelvers, den ich eben vorgelesen habe. Ich lese ihn noch einmal vor: „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Ratschluss berufen sind.“
Ich habe diesen Bibelvers damals vorwärts und rückwärts gelesen. Ich habe ihn in allen Übersetzungen studiert und alle Kommentare, die mir zur Verfügung standen, zu diesem Vers angeschaut.
Dann habe ich mir gedacht: Wenn das wahr ist, was hier steht – dass alle Dinge zum Besten dienen –, wenn das wirklich wahr ist, dann sind meine Klagen über mein Leben und über Gott, so verständlich sie auch am Anfang sein mögen, eigentlich überflüssig. Oder besser gesagt: nicht berechtigt will ich nicht sagen, denn wir alle jammern ja, ich vielleicht ganz vorneweg. Aber sie sind überflüssig.
Wenn das wirklich wahr ist, dann habe ich vielleicht gar kein Recht, mit Gott oder über Gott, über Jesus verbittert und über mir geschehenes Unrecht wütend zu sein. Wenn das wirklich wahr ist, bedeutet das, dass selbst der Schmerz, den Gabriel und ich in den Monaten und Jahren nach Manuels Tod durchmachen mussten – als wir, ich sage es mal, einen lieben Traum begraben haben –, uns das irgendwann zum Besten dienen muss.
Vielleicht ist das ja auch mein Dienst bei den Männern: dass wir uns immer noch gut verstehen, dass wir Freunde haben, die zu uns halten, und dass uns das zum Besten dient.
Ich weiß ja nicht. Gott ist allmächtig, und Sie könnten jetzt sagen: Ja, hätte Gott das nicht auch anders regeln können? Hätte Manuel groß werden lassen können? Hätte er eine Familie haben können? Und trotzdem wäre jetzt alles so, wie es ist. Klar, das hätte passieren können.
Aber ich habe mir gedacht: Wenn dies wirklich wahr ist, dann wäre ich, wenn Gott auch nur einen Schmerz, ein Herzeleid oder eine Enttäuschung aus meinem Leben herausnehmen würde, weniger als die Person, die ich jetzt bin. Und weniger als die Person, die ich nach Gottes Willen sein soll. Mein Dienst für ihn wäre dann weniger, als er gewollt hat.
Wenn das wirklich wahr ist, dann kann ich über allen Schmerz, über allen Frust, über alle Tränen, die Traurigkeit, über offene Gräber und schlaflose Nächte hinwegsteigen. Dann kann ich oben auf dem Ascherhaufen stehen und rufen: Alles, vor allem das Schwere, soll mir zum Besten dienen. Amen!
Abschließende Gedanken und Einladung zum Glauben
Jetzt sind die Evangelisationsabende hier in Egenhausen zu Ende. Ich weiß nicht, ob Sie mit allem einverstanden waren. Ich mache ja auch Fehler und bin kein großartiger Theologe. Trotzdem möchte ich mich bedanken – für die Freundlichkeit, die freundlichen Gesichter und das Lächeln, das man trotz Maske bei vielen Menschen gesehen hat.
Am Ende, bei meinem letzten Vortrag hier, möchte ich Ihnen noch einmal zurufen: Die Sache mit Jesus stimmt. Jesus lebt tatsächlich. Das ist nicht nur irgendein Gedanke oder eine Idee, die man sich irgendwann ausgedacht hat. Manchmal denkt man, dass alles zusammenbricht, oder man kann doch nicht so leben, wie man eigentlich sollte. Aber die Sache mit Jesus stimmt.
Das, was in der Heiligen Schrift steht, stimmt auch. Wissen Sie, wo ich das am stärksten gemerkt habe? Als mein Sohn starb. Er starb in den Armen meiner Frau. Sie hielten ihn ganz fest, und er rang nach Luft, schnappt nach Atem und fing an zu röcheln. Meine Frau sagte: „Wolfgang, er stirbt, er stirbt.“
Etwa zehn Minuten bevor er starb, öffnete er noch einmal weit die Augen. Er schaute seine Mama an und sagte: „Mama, gleich bin ich bei Jesus.“ Dann röchelte er noch ein paar Mal und sagte schließlich: „Ich muss aufstehen.“ Das waren seine letzten Worte. Meine Frau sagte: „Manu, du kannst nicht aufstehen. Bleib liegen, ich halte dich fest, bleib liegen.“ Und dann war er tot.
Sehen Sie, angesichts des herannahenden Todes macht ein Neunzehn- oder Achtzehnjähriger seinen Eltern keinen Mut mehr. In so einem Moment sagt man das, wovon man zu einhundert Prozent überzeugt ist. Mein Sohn hat einen schönen Tod gehabt, einen guten. Wenn man die ganzen Zeiten der Chemotherapie einmal weglässt, war das Sterben an sich gut und schnell. Er hat nicht gelitten.
Als er tot war, spürte ich tief in meinem Herzen: Die Sache mit Jesus stimmt, und zwar zu einhundert Prozent.
Ich möchte Sie heute Abend noch einmal einladen: Wenn Sie Fragen haben – vielleicht zum Leben, zum Tod oder zu anderen Themen – sprechen Sie die Menschen an, die dafür zuständig sind. Und wenn Sie Jesus noch nicht richtig kennen und eine Entscheidung für ihn treffen möchten, dann schlägt jetzt Ihre größte Stunde im Leben.
Denn die Sache mit Jesus stimmt tatsächlich. Ein leiser Ruf vom anderen Ufer.