Falsche Motive bei der Evangeliumsverkündigung
Wir sind im Philipperbrief, Kapitel 1, gestern bei Vers 17 stehen geblieben. Dabei haben wir uns mit der Frage beschäftigt, die Paulus aufwirft: Nicht jeder, der das Evangelium predigt, tut dies aus reinen Motiven. Es gibt Menschen, die aus eigensüchtigen Gründen handeln, um selbst einen Vorteil daraus zu ziehen.
Dieser Vorteil kann zum Beispiel Ansehen sein. Wir sehen das bei den falschen Propheten, die etwa in Korinth auftreten. Auch die falschen Apostel, die im 2. Korintherbrief erwähnt werden, haben wahrscheinlich in erster Linie aus eigenem Ansehen gehandelt. Paulus schreibt an mehreren Stellen, dass er sich nicht mit den sogenannten „Superaposteln“ oder „Überaposteln“ vergleicht, wie manche sie übersetzen. Diese tun es vor allem, um groß herauszukommen.
Solche Motive gibt es natürlich auch heute noch, vielleicht nicht so sehr in Deutschland. Hierzulande ist es nicht besonders populär, Christ zu sein – zumindest an den meisten Orten. Es sei denn, man hält gerade eine Rede beim Evangelischen Kirchentag oder ähnlichen Veranstaltungen. Dann kann jeder Politiker noch einmal betonen: „Ja, ich bin auch Christ.“
Wenn wir jedoch die Situation in den USA betrachten, sieht das anders aus. Dort gibt es in den letzten Jahrzehnten kaum einen Präsidenten, der nicht sagt: „Ich bin wiedergeborener Christ.“ Egal, wo man hinschaut, wird der Glaube öffentlich betont – auch wenn die Politik danach nicht immer christlich ist. In den USA ist es üblich, sich zum Glauben zu bekennen. Dabei muss man genau hinsehen und hinhören: Ist das wirklich aus ernsthaften Motiven? Ist es echt? Oder geht es nur um den eigenen Vorteil? Vielleicht wollen sie dadurch Millionen von Christen als Wähler gewinnen und so ihre Interessen besser durchsetzen.
Ich werde heute Morgen nicht behaupten, der Präsident sei wirklich Christ oder nicht. Das können wir aus der Ferne sowieso nicht beurteilen. Wie sollten wir per Telepathie in das Herz eines Politikers schauen? Aber eines ist offensichtlich: In den USA würde niemand Präsident werden, wenn er offen sagen würde, er sei Atheist und halte nichts vom Glauben. Das ist dort schlicht unmöglich. Hier zeigt sich also deutlich, dass manche aus eigenem Ansehen handeln.
Es gab auch solche, die das Evangelium verkündeten, um daraus finanziellen Gewinn zu ziehen. Paulus erwähnt im 2. Korintherbrief, dass er nie etwas von der Gemeinde in Korinth genommen hat. Er arbeitete stets als Zeltmacher, um seinen eigenen Lebensunterhalt zu verdienen. Die einzige Ausnahme war die Gemeinde in Philippi, von der er einmal Unterstützung annahm. Doch um dem Vorwurf entgegenzuwirken, er tue es nur für eigene Zwecke, betonte Paulus, dass er grundsätzlich selbst für sich sorgt.
Ich meine, mich zu erinnern, dass in der Didache, einer frühchristlichen Schrift, steht, dass umherreisende Prediger höchstens einen Tag verköstigt und beherbergt werden sollen. Danach müssen sie weiterziehen. Das zeigt uns, dass es offenbar schon in der nachapostolischen Zeit Leute gab, die sich in einer Gemeinde eingenistet haben. Sie verlangten materielle und finanzielle Versorgung, ohne ihrer täglichen Arbeit nachzugehen. Sie lebten von der Gemeinde.
Das kann ein Grund für falsche Motive sein – echte und falsche Motive liegen also nah beieinander.
Paulus’ Haltung gegenüber falschen Motiven
Interessant finde ich, wie Paulus in Vers 18 darauf reagiert. Er sagt: "Was tut's aber? Wenn nur Christus verkündigt wird, auf jede Weise, es geschehe zum Vorwand oder in Wahrheit, so freue ich mich darüber."
Diese Gegner, von denen zuvor erwähnt wurde, dass sie aus eigenen Motiven handeln, wirft er sogar vor, manche täten es, um Paulus zu schaden. Sie wollen ihm Trübsal bereiten in seiner Gefangenschaft (Vers 17), weil er ihnen nicht untersteht. Das ist ein weiterer Grund für ihr Verhalten. Paulus aber lässt sich davon nicht treffen. Es gibt Menschen, die sich in den Vordergrund drängen wollen, um Paulus beiseite zu schieben – doch er bleibt unberührt davon.
Das ist eine große Herausforderung. Nicht nur, wenn Menschen, die sich Christen nennen, mit falschen Mitteln kämpfen, sondern auch, dass wir selbst nicht in Versuchung geraten, mit denselben Mitteln zu kämpfen. Die Gefahr besteht darin, dass jemand in der Gemeinde versucht, durch üble Nachrede seine Position oder sein Ansehen zu verbessern. Schnell könnten wir als Christen in Versuchung geraten zu denken: "Dann mache ich es eben genauso." Davor müssen wir uns hüten.
Auf der anderen Seite zeigt Paulus, dass er sich nicht einmal davon treffen lässt. Er ergreift nicht nur diese menschlichen Mittel nicht, sondern lässt sich auch nicht davon berühren. Hier wird bei Paulus sehr deutlich seine Selbstlosigkeit. Letztendlich kommt es doch gar nicht auf ihn an. Was immer wieder durchscheint in diesem ganzen Kapitel, ist die Überzeugung, dass Gott so groß ist und alles gebrauchen kann. Es gibt nichts, was der Hand Gottes entgleiten könnte.
Das ist ein theoretischer Satz, der bei Paulus hier ganz praktisch durchdekliniert wird. Zum einen in Bezug auf seine Gefangenschaft – das hatten wir gestern besprochen. Er sagt, obwohl er gefangen ist und es so aussieht, als ob sein Auftrag von Gott verhindert wird, dient das Gefängnis doch Gott. Wir haben gestern einige Gründe genannt, warum das so ist: Er predigt den Soldaten und höher gestellten Richtern, die Gemeinden werden herausgefordert. Paulus nimmt einen bewussten Blickwechsel vor. Er könnte jetzt aufzählen, wie schlecht es ihm geht und warum Gott das zulässt, aber das tut er nicht.
Auch in der nächsten Phase tut er das nicht, wenn er sagt, dass es falsche Lehrer gibt, die aus falschen Motiven predigen. Wieder lässt er sich davon nicht treffen. Er sieht es im Hinblick darauf, dass Gott größer ist und selbst das gebrauchen kann, wenn ein Mensch falsch handelt. Das heißt nicht, dass dieser Mensch nicht zur Verantwortung gezogen wird. Niemand sollte schnell die Entschuldigung nehmen: "Ich lebe aus menschlichen Motiven, kämpfe für meinen eigenen Vorteil, das macht nichts, weil Christus verkündigt wird." Für den Plan Gottes mag das egal sein, aber für das persönliche Gericht nicht – und auch nicht für die anderen.
Das wäre so, als würde Judas sagen: "Irgendjemand musste ja Jesus verraten, also habe ich das eben getan." Und hinterher wäre es gut herausgekommen, weil alle ihre Erlösung Judas verdanken. So steht es im Judas-Evangelium. Vielleicht habt ihr mitbekommen, dass dieses Evangelium im letzten Jahr entdeckt wurde. Keine Sorge, es wurde nicht von Judas selbst geschrieben – der war schon lange tot, als es veröffentlicht wurde. Es erschien Anfang des dritten Jahrhunderts. Judas hatte sich kurz nach der Gefangennahme Jesu das Leben genommen.
Im Judas-Evangelium wird Judas als Held dargestellt, der den Plan Jesu richtig begriffen hat. Die anderen Jünger wollten Jesus nur schützen, Judas aber erkannte, dass Jesus für unsere Sünden sterben musste und hat ihn deshalb ausgeliefert. Das ist jedoch nicht die Wahrheit. Was sagt Jesus zu Judas? Genau: "Nicht wir dabei." Und Judas wäre besser gar nicht geboren worden – ein sehr starkes Urteil. Judas selbst erlebt das, weshalb er in Verzweiflung Selbstmord begeht. Er sieht sich nicht als Held.
Hier merken wir: Gott gebraucht auch falsches Verhalten, aber das heißt nicht, dass der Mensch schuldlos ist. Gott kann alles gebrauchen. So konnte Gott auch Nebukadnezar gebrauchen, um das Volk Israel zu strafen, weil er es wollte. Das heißt aber nicht, dass Nebukadnezar schuldlos wäre für das, was er tut.
Es gibt immer wieder Beispiele in der Kirchengeschichte. Eine Frau in der Nähe von Zürich, in der Erweckungsbewegung des 19. Jahrhunderts, meinte, sie hätte den Auftrag, ihre Schwester zu erschlagen – und tat es. Sie sagte, Gott habe ihr das gesagt. Natürlich wurde das weder vor irdischem Gericht noch vor Gottes Gericht gelten. Das war Wahnidee. Wenn Gott handelt, dann durch legitime Wege. Wenn wir etwas Böses tun, das biblisch nicht legitim ist, sind wir dafür verantwortlich.
Wir müssen also deutlich unterscheiden: Wenn Paulus hier sagt: "Was soll's, ist doch egal", bezieht sich das nur auf seine Situation. Er fühlt sich nicht angegriffen und sagt, Gott kann alles gebrauchen. Das ist keine Rechtfertigung dafür, dass jemand nicht in Sünde ist oder dass derjenige, der aus falschen Motiven predigt, nicht zurechtgewiesen werden müsste. Wenn wir so jemanden in der Gemeinde haben oder vermuten, müssen wir das Gespräch suchen, denn das ist Sünde.
Trotzdem kann Gott auch durch Menschen wirken, die in Sünde sind. Diese Erkenntnis müssen wir alle früher oder später haben. Ohne diese Erkenntnis würde die Gemeinde nicht existieren. Denn wer von uns ist sündlos? Wer hat keine Sünde, durch den Gott wirken könnte? Dann gäbe es keine Prediger, keine Ältesten, keine Missionare. Die großen Reformatoren und Helden der Vergangenheit hatten auch Sünde in ihrem Leben. Soweit wir wissen, haben sie sie nicht dauerhaft gepflegt, aber sie sind immer wieder gefallen und hatten Probleme in ihrer Beziehung zu Gott – genauso wie in der Bibel.
Wichtig ist, dass sie sich korrigieren ließen. Und wichtig ist, dass Gott trotzdem wirkt. Das ist keine Rechtfertigung für Sünde, aber selbst wenn etwas falsch läuft, wirkt Gott trotzdem. Wir müssen Sünde bekennen, bereuen und darauf aufmerksam machen.
Die schwierige Frage ist natürlich, wie wir in der Gemeinde erkennen, ob jemand aus eigensüchtigen Motiven handelt. Manchmal ist es nur eine Ahnung, weil der Heilige Geist uns das offenbart. Dann merken wir, dass etwas komisch ist. Manchmal merken wir es, wenn Menschen zu sehr menschliche Mittel einsetzen, um ihre Interessen durchzusetzen. Ich habe es erwähnt: Wahlkampf vor der Ältestenwahl, üble Nachrede oder Ähnliches.
Manchmal merken wir es auch, wenn wir nachfragen, wie jemand mit Problemen umgeht, und die Antwort nur Management-Tipps sind, wie "Denk nicht dran", "Meditiere mal", "Hör schöne Musik" oder "Vergiss es einfach". Dann merken wir, dass keine geistliche Haltung dahintersteckt, sondern rein menschliche Vorgehensweisen. Da muss eine Korrektur her.
Auch wenn eine Korrektur notwendig ist – in unserem Leben und im Leben der Menschen um uns herum, die falsch handeln – ist die Sichtweise von Paulus für uns wichtig. Wir müssen uns nicht in sinnlose Streitigkeiten verstricken lassen. Wir können auch sagen: Das ist nicht meine Aufgabe, die ganze Welt zu korrigieren oder zu jedem Kommentar abzugeben. Wenn Gott wirkt, müssen wir manches einfach Gott überlassen.
Beruflich tue ich das häufiger, weil ich unter anderem Konfessionskunde und Sektenkunde unterrichte. Da gibt es viel Unsinn in verschiedenen Konfessionen und Sekten. Wenn ich zu all dem immer etwas sagen wollte, hätte ich mein Leben lang nichts anderes zu tun, als zu sagen: "Oh, der Prediger dort ist total falsch, und diese Lehre in dem Buch ist falsch." Leider gibt es viel Falsches auch im christlichen Bereich.
Aber manchmal braucht es innere Gelassenheit, um zu sehen: "Okay, das ist da, aber ich bin nicht für alles verantwortlich." Gott hat die Gemeinde schon zweitausend Jahre bewahrt und wird sie wahrscheinlich auch noch die nächsten zehn Jahre bewahren – auch ohne meine Erkenntnis oder meinen prophetischen Blick.
Das heißt nicht, dass wir leichtfertig sein sollen und alles egal ist. Nein. Aber wir können uns entlasten: Wir sind nicht für alles verantwortlich. Wir müssen nicht jeden Kampf aufnehmen und nicht auf jede Provokation reagieren. Das ist wichtig.
Warum? Weil ich letztendlich nicht für mich kämpfe, sondern für Gott. Gott steht für seine Sache ein. Häufig sind gerade diejenigen, die sich in sinnlose Streitigkeiten verstricken lassen, diejenigen, die eigentlich nicht für Gott kämpfen, sondern für sich selbst. Wenn sie dann angegriffen werden oder sich angegriffen fühlen, schlagen sie umso stärker zurück, weil es um sie und ihren Vorteil geht.
Wir müssen natürlich unterscheiden: Paulus sagt, es ist egal, wer da predigt – die Hauptsache ist, dass das Evangelium verkündigt wird. Das sagt er nur bezüglich falscher Motivation, nicht bei Irrlehre. Wenn jemand in der Gemeinde sagt: "Jesus ist nicht Gott" oder "Die Bibel ist falsch", können wir nicht einfach sagen: "Ach, schwamm drüber, Hauptsache es wird gepredigt." Nein, da müssen wir eingreifen. Das tut Paulus auch an verschiedenen Stellen.
Hier geht es nur um das verkündigende Evangelium aus falscher Motivation. Insofern könnten wir sogar sagen, dass Menschen, die aus falscher Motivation predigen, für uns ein Vorteil sein können. Sie stellen uns in Frage und fordern uns heraus, unsere eigene Motivation zu überprüfen.
Soweit Vers 18 – das ist sozusagen der Abschluss von Paulus’ Beschäftigung mit der Frage, wie das Evangelium weiterläuft, während er in Gefangenschaft ist. Das umfasst die Verse 12 bis 18: Wie läuft das Evangelium weiter, wo Paulus in Gefangenschaft ist?
Paulus’ Zuversicht trotz Gefangenschaft
Jetzt gibt es eine nächste Einheit, das ist dann Vers 19 bis Vers 26. Die lese ich auch gerade mal im Zusammenhang, und dann können wir uns das ein bisschen näher vor Augen führen. Also Ende 18, Anfang 19 dann.
Aber ich werde mich auch weiterhin freuen, denn ich weiß, dass mir dies zum Heil ausgehen wird durch euer Gebet und durch den Beistand des Geistes Jesu Christi. Wie ich sehnlich warte und hoffe, dass ich in keinem Stück zu Schanden werde, sondern dass frei und offen wie alle Zeit, so auch jetzt Christus verherrlicht werde an meinem Leib, es sei durch Leben oder durch Tod. Denn Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn.
Wenn ich aber weiterleben soll im Fleisch, so dient mir das dazu, mehr Frucht zu schaffen, und so weiß ich nicht, was ich wählen soll. Denn er setzt mir beides hart zu: Ich habe Lust, aus der Welt zu scheiden und bei Christus zu sein, was auch viel besser wäre. Aber es ist nötiger, im Fleisch zu bleiben, um eueretwillen. Und in solcher Zuversicht weiß ich, dass ich bleiben und bei euch allen sein werde, euch zur Förderung und zur Freude im Glauben, damit euer Rühmen in Christus Jesus größer werde durch mich, wenn ich wieder zu euch komme.
Das Thema wird insofern fortgesetzt, dass er sich weiter mit seinem Dienst beschäftigt. Der erste Teil des Kapitels war ja die Beschäftigung mit der Gemeinde, der zweite Teil jetzt sein Dienst, inwiefern er durch seine Gefangenschaft behindert wird. Und jetzt geht die Frage weiter, wie die Zukunft mit seinem Dienst aussieht. Das ist also ein fließender Übergang.
Und wenn er dann Ende Vers 18 sagt: „So freue ich mich da, na, wie ist das hier? Aber ich werde mich auch weiterhin freuen“, dann bezieht sich das einerseits auf das, was kommt, und andererseits auf das, was gerade vorhersteht.
Vorher sagt er, dass eine ganze Menge Leute predigen aus falschen Motiven. Da könnten wir sagen, das ist auch so eine Art Abschluss. Aber ich werde mich trotzdem freuen, weiterhin, auch wenn die das aus falschen Motiven tun und ich sie nicht hindern kann daran, ich werde mich trotzdem freuen.
Wir können es aber auch genauso gut beziehen auf das, was hier jetzt nämlich kommt: Egal wie sein Prozess ausgeht, ich werde mich weiter freuen.
Und dieses „Ich werde mich freuen“, wenn Paulus das hier so sagt, drückt ja auch ein bisschen aus: „Ich kann mich mitentscheiden, mich zu freuen.“ Also sozusagen „Ich will mich freuen“ steckt da drin. Das ist nicht etwas, was automatisch geschieht, was er prophetisch sagt, sondern etwas, was er willensmäßig beeinflussen kann.
Und hier die Herausforderung für uns auch: Haben wir diesen Vorsatz, haben wir diesen Willen, ich will mich freuen, selbst wenn äußerlich erst mal gar nichts so aussieht, als ob man sich darüber freuen kann? Und das gilt ja, wie gesagt, auch für die, die aus falschen Motiven predigen, auch über meine Situation der Gefangenschaft.
Und dieses „Ich will mich auch freuen“ dekliniert er hinterher durch: Ich will mich freuen, wenn ich sterben muss, ich will mich freuen, wenn ich weiterleben darf. Also hier ist für ihn nicht das eine die totale Katastrophe und das andere das Glück – „Aha, Gott hat mein Gebet erhört, ich werde frei“, oder „Nein, Gott hat mein Gebet nicht erhört, ich werde umgebracht“ –, sondern beides ist von Gott, und über beides kann er sich freuen.
Ich glaube, das ist so eine Frage der Grundmotivation: Nicht nur auf unser äußeres Leben zu schauen, die äußeren Daten, mit denen wir uns beschäftigen, die äußeren Einflüsse, sondern diese innere Grundhaltung zu haben.
Dieses Freuen ist bei ihm ja auch immer ein Freuen in Christus. Das kommt ja hier im Brief häufiger vor: in Jesus Christus, im Herrn, in Christus. Dass er diese Freude haben kann, weil er in Jesus lebt und weil er dieses Vertrauen hat, dieses Wissen, dass alles zum Besten dient denen, die Gott lieben.
Und deshalb, egal was rauskommt, das versucht er ja hinterher auch noch zu erklären.
Dann Vers 19: „Denn ich weiß, dass mir dies zum Heil ausgehen wird.“ Also dies hier bezieht er sich jetzt wahrscheinlich stärker auf seine Gefangenschaft. Also dies wird mir zum Heil ausgehen.
Hier wird noch nicht unbedingt gesagt, dass er freigelassen wird. Also er will damit nicht sagen, ich bin mir sicher, ich werde freigelassen. Das erwähnt er nachher ja auch, es könnte auch sein, dass er dabei umkommt.
Sondern er sagt: Egal was dabei herauskommt, ich weiß ja, Gott hat die Sache in der Hand, und egal was herauskommt, es wird zu meinem Wohl sein. Gott ist immer noch Herr der Lage.
Es ist auch nicht einfach bloß ein Schicksalsglaube, wie „so etwas, was passiert, wird passieren“, so auch nicht, sondern es ist das Vertrauen auf einen allmächtigen Herrscher, die Souveränität Gottes, der nichts entgleitet.
Und er sagt jetzt auch, es wird mir zum Heil ausgehen. Was sind für ihn Werkzeuge, die dazu beitragen? „Durch euer Gebet und durch den Beistand des Geistes Jesu Christi.“
Also es kommt nicht einfach automatisch, sondern Gott benutzt die Gebete der Gläubigen, und Gott baut Paulus auf durch die Wirkung des Heiligen Geistes. Und das ist ganz losgelöst erst mal von dem, was äußerlich dann tatsächlich geschieht.
Wenn hier steht, es wird mir zum Heil ausgehen, dann ist das das griechische Wort Soteria, was dahintersteht.
Und dieses Soteria kann einerseits Gesundheit und Wohlergehen meinen. Das ist hier wahrscheinlich nicht gemeint, denn er weiß, er ist in Gefangenschaft, er rechnet später damit, möglicherweise umgebracht zu werden. Also dass es rein körperliches Wohlergehen meint, ist hier eher unwahrscheinlich.
Was auch mit gemeint sein kann, ist dabei die himmlische Erlösung. Das ist das, was häufig im Neuen Testament gemeint ist, und wahrscheinlich ist das ein Aspekt, der hier stark mit drinsteht. Nämlich egal was herauskommt, es wird dazu dienen, dass ich in der Ewigkeit bei Gott bin.
Gott benutzt das, um mich zu verändern, so wie er mich haben will. Das scheint da mit drin zu stecken.
Soteria kann auch einfach bedeuten, dass Gott etwas Positives schafft, generell. Also das heißt, geistliches Leben fördert oder sonst etwas, und das könnte hier auch mit drinstehen. Also nicht nur das ewige Heil, sondern auch das geistliche Wohl auf der Erde.
Das Körperliche spielt hier wahrscheinlich eine untergeordnete Rolle.
Wenn er vom Gebet spricht, dann merken wir, dass Paulus immer wieder auf Gebete anderer angewiesen ist, und zwar nicht nur als Floskel. Das kann ja schnell als Floskel kommen, „Ja, er betet für mich“, sondern ihm ist das wirklich ein ernsthaftes Anliegen.
Wir haben schon seine Gebetshaltung der Gemeinde gegenüber kennengelernt, aber wir sehen auch, dass er immer wieder bittet, dass andere für ihn einstehen in der Gefangenschaft.
Ich habe ja schon darauf hingewiesen, dass Paulus auch andere Briefe in der Gefangenschaft geschrieben hat. Ich lese jetzt zum Beispiel aus 1. Thessalonicher 5, Vers 25: „Liebe Brüder, betet auch für uns!“ Hier die Aufforderung: Paulus betet für uns, ich brauche das!
2. Thessalonicher 3, Vers 1: „Weiter, liebe Brüder, betet für uns!“
Und dann kommen noch konkrete Anliegen dabei.
Römer 15, Verse 30 und 31: Wieder dasselbe. Paulus fordert auf: „Brüder, betet für uns!“ Also das ist ihm ein wichtiges Anliegen.
Und hier lesen wir: Das dient ihm selbst dazu, dass Gott ihn weiterführt im Glauben, durch euer Gebet und durch den Beistand des Heiligen Geistes.
Paulus’ sehnliches Warten und Hoffnung
Dann kommen wir zu Vers 20: „Wie ich sehnlich warte und hoffe, dass ich in keinem Stück zu Schanden werde, sondern dass frei und offen, wie alle Zeiten, so auch jetzt Christus verherrlicht werde an meinem Leib, sei es durch Leben oder durch Tod.“
Dieses sehnliche Warten wird durch ein griechisches Wort ausgedrückt, apokradikia. Es meint den konzentrierten Blick auf eine Sache, nach der man sich sehnt. Dabei lässt man alles andere zurück und konzentriert sich ganz auf diese eine Sache. Dieses sehnliche Warten und Hoffen kommt hier zum Ausdruck. Man spürt, dass er schon sehr darauf brennt, dass es endlich zum Ende kommt.
Paulus erwähnt mehrfach, dass er schon zwei Jahre in dieser Situation ist. Das ist eine lange Zeit, in der er sich mit dieser Ungewissheit auseinandersetzt und immer noch nicht weiß, wie es ausgehen wird. Er wartet und hofft darauf, dass er nicht zu Schanden wird. Das heißt, er sieht, dass er im Kampf steht – innere Anfechtungen und äußere Bedrängnisse sind da. Er bittet Gott, dass es doch jetzt zum Ende kommen möge. Egal, was passiert, Christus wird verherrlicht, sei es durch sein Leben oder durch seinen Tod.
Deshalb sagt er hier auch „an meinem Leib, durch Leben oder durch Tod“. Wenn er stirbt, wird Gott verherrlicht, weil er treu geblieben ist als Märtyrer. Wenn er weiterlebt, kann er in der Zukunft weiter predigen. Das steckt hier mit dahinter.
Für Paulus ist das eine schwierige Situation. Wir kennen ihn aus der Apostelgeschichte als einen Aktivisten, der ständig unterwegs ist und immer neue Pläne hat. Jetzt hat er eine Zwangsruhe verordnet bekommen. Dass er darauf hofft und sich danach sehnt, ist wahrscheinlich nicht nur eine geistliche Motivation, sondern kommt auch aus seiner Persönlichkeit.
Und das sehen wir auch hier wieder: Er stellt sich als Knecht Christi vor, wie in Kapitel 1, Vers 1. Hier kommt es erneut zum Ausdruck: Er will sich ganz Gott unterordnen, egal was Gott macht. Wenn Gott will, dass er sterben soll, dann stirbt er eben. Wenn Gott will, dass er leben soll, dann lebt er eben. Er stellt sich ganz unter den Willen Gottes und sieht Gott nicht als Wunscherfüller.
Ich glaube, das ist auch eine Herausforderung für uns: Wenn wir in Schwierigkeiten sind, sollten wir immer beides im Blick behalten. Es ist legitim, unsere Wünsche zu äußern – etwa: „Mach mich frei, mach mich gesund, gib mir eine Arbeitsstelle“ oder Ähnliches. Aber wir sollten auch im Blick haben, dass Gott sich in unserem Leben auch durch das Gegenteil verherrlichen kann.
Darum sollten wir darum bitten, dass wir das erkennen und uns nicht entmutigen lassen, wenn es nicht so läuft, wie wir uns das vorstellen. Wir sollten nicht denken, dass Gott versagt hat, nur weil die Dinge anders verlaufen als erhofft.
Dann folgt Vers 21: „Denn Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn.“
Leben und Sterben in Christus
Christus ist mein Leben – da stellt sich die Frage, was damit eigentlich ausgesagt werden soll. Ich glaube, mit dieser Aussage meint Paulus, dass Christus am Anfang seines Lebens steht. Wie wir im Kolosserbrief lesen, ist Christus derjenige, durch den alles geschaffen wurde. Johannes Kapitel 1 bestätigt das ebenfalls: Alles, was geschaffen ist, ist durch Jesus geschaffen.
Jesus ist auch der Anfang des geistlichen Lebens. Deshalb sagt Paulus: Christus ist mein Leben. Er weiß zudem, dass er in Ewigkeit bei Gott und mit Christus leben wird. Sein Leben endet also nicht mit dem Verlassen des Körpers hier auf der Erde. Deshalb sagt er: Christus ist mein Leben. Das bedeutet, er sieht nicht so stark darauf, dass das irdische Leben zu Ende geht. Egal, was passiert, Christus ist sein Leben, und das kann ihm niemand nehmen. Selbst wenn man ihn schlägt oder umbringt, bleibt Christus sein Leben – es geht weiter.
Paulus rechnet viel stärker mit dem Aspekt der Ewigkeit, des Himmels und der Herrlichkeit, als wir es vielleicht im Alltag gewohnt sind. „Sterben ist mein Gewinn“ – das heißt nicht, dass Paulus lebensmüde oder suizidgefährdet ist. Vielmehr steht hier im Mittelpunkt: Wenn ich sterbe, was lasse ich denn schon zurück? Paulus ist alt, krank, wir lesen das an verschiedenen Stellen in seinen Briefen. Er erlebt ständige Anfeindungen und ist zwei Jahre in Gefangenschaft. Was hat er hier auf der Erde noch zu genießen? Er weiß, dass der Himmel viel besser ist. Deshalb sagt er: Sterben ist mein Gewinn. Nicht aus Selbstmordgedanken, sondern weil im Himmel alles viel besser sein wird.
Deshalb sieht Paulus den Tod nicht als schlimm an, sondern denkt sogar, dass es für ihn ein Vorteil wäre. Für die Gemeinde sagt er das nicht, aber für sich selbst schon. Diese Ausrichtung auf den Himmel, die Freude auf das Leben bei Gott, ist etwas, womit wir heute oft ringen. Zumindest geht es mir oft so, weil wir in einer Umgebung leben, in der es viel Positives gibt, das uns Freude bereitet.
Wir leben nicht in einem Land, in dem wir täglich ums Überleben kämpfen müssen, um unser Schälchen Reis zu bekommen. Hier an der Bibelschule haben wir vier gut zubereitete Mahlzeiten, wahrscheinlich mehr als uns gut tut, können uns ausruhen, genießen nette Gemeinschaft, schönes Wetter und Natur. Die meisten von uns sind relativ gesund. Es gibt also viel Grund zur Freude.
Wenn wir uns zu sehr auf das Irdische konzentrieren, kann die Freude am Jenseits, am Himmel, verloren gehen. Darauf müssen wir aufpassen – besonders in unserem Leben. Wir sollen uns nicht erst dann auf den Himmel freuen, wenn wir ganz unten sind, also krank und voller Schmerzen. Nein, wir sollten uns schon jetzt freuen und sagen: Ja, ich bin froh und sehne mich danach, in Ewigkeit bei Gott zu sein, weil das noch viel besser sein wird. Das hat Paulus vor Augen.
Also: Christus ist mein Leben, Sterben ist mein Gewinn. Wenn ihr das nicht direkt nachvollziehen könnt und sagt, euch gefällt es hier in Prag auch noch gut, ist das nicht schlimm und auch nicht ungeistlich. Aber nebenbei sollten wir den Blick darauf nicht verlieren, dass der Himmel noch viel besser ist.
„Sterben ist mein Gewinn“ sagt Paulus auch im Blick auf die Auferstehung. Wir lesen das im 1. Korinther 15,51 und folgende: „Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden, und zwar plötzlich, in einem Augenblick, bei der letzten Posaune. Denn die Posaune wird erschallen, die Toten werden auferstehen, unverweslich, und wir werden verwandelt werden. Denn dies Verwesliche muss Unverweslichkeit anziehen, und dies Sterbliche muss Unsterblichkeit anziehen.“
Es geht noch weiter, und in Vers 55 heißt es: „Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?“ Hier macht Paulus deutlich, dass Jesus der Sieger über die Macht des Todes ist. Deshalb brauchen wir keine Angst mehr vor dem Tod zu haben.
Paulus beschreibt hier zwei Hoffnungen. Wenn er davon spricht, dass er Lust hat, abzuscheiden, dann meint er das gleich in Vers 23: „Wenn ich aber weiterhin im Fleisch leben soll, dient mir das dazu, mehr Frucht zu bringen. Ich weiß nicht, was ich wählen soll.“
Wenn Paulus die Wahl hätte – was er weiß, dass er nicht hat, weil Gott alles in der Hand hält –, würde er nicht wissen, ob er lieber im Himmel bei Christus sein oder noch länger auf der Erde bleiben soll. Dabei hat er nicht die Annehmlichkeiten des irdischen Lebens im Blick. Manchmal könnten wir das durchaus als Grund nehmen, noch etwas länger hier zu bleiben.
Wenn ich mich selbst betrachte, freue ich mich auf die Zukunft. Ich freue mich auf die weitere Freizeit, darauf, wie die Kinder groß werden, auf den nächsten Urlaub im kommenden Jahr, auf die Arbeit zwischendurch und darauf, wenn die Schüler im Herbst wiederkommen. Es gibt viele Dinge, auf die ich mich freue.
Manchmal denke ich auch: Wie wird es sein, wenn ich alt bin, vielleicht Rentner, nur Zeit für mich habe und nur das tun kann, was ich gerne möchte, vielleicht nur in den Urlaub fahre. Ich weiß nicht, ob es euch auch so geht, solche Zukunftsträume, wie es sein könnte, wenn ich erst mal diese Hürde überwunden habe und das Negative weg ist. Ob sich das je erfüllt, wissen wir nicht. Aber das ist eine Freude, die Paulus gar nicht meint.
Denn diese Freude konzentriert sich nur auf das Irdische – auf meinen Vorteil, mein Interesse, mein Wohlergehen. Paulus sagt: „Soll ich in den Himmel gehen oder auf der Erde bleiben? Für eueretwillen bleibe ich.“ Hier merken wir, dass Paulus einen ganz anderen Blickwinkel hat. Er denkt nicht egoistisch: Für mein Interesse würde ich gern noch etwas länger auf der Erde bleiben und das Leben genießen. Nein, er bleibt, weil die Gemeinde ihn noch braucht. Er ist für sie da.
Das stellt uns vor die Frage: Wie haben wir unser Leben geplant? Was ist uns wichtig? Worauf freuen wir uns? Wofür wollen wir eigentlich hier auf der Erde sein? Der Zeitgeist, in dem wir leben, ist sehr selbstbezogen. Das heißt: Du musst an dich selbst denken, sonst tut es keiner. Du musst dein Leben selbst gestalten und dein Glück darin finden.
Paulus’ Blick ist ein ganz anderer. Er sagt: Wenn ich weiterleben soll, dient mir das dazu, mehr Frucht zu bringen. Die Perspektive ist also nicht: Ich lebe noch ein paar Jahre länger, um Urlaub zu machen, ein Buch zu lesen, schön essen zu gehen oder Zeit mit der Familie zu verbringen. Diese Dinge sind nicht schlecht, aber die Motivation, hier zu leben, ist bei Paulus eine andere.
Das stellt uns vor die Frage, wie wir unsere Zeit einteilen, wie wir unser Geld verwenden und welche Lebensziele wir haben. Sind sie auf das Irdische ausgerichtet, das vergänglich ist? Natürlich spielt das eine Rolle und macht auch mal Spaß. Paulus freut sich auch über nette Gemeinschaft und gutes Essen. Aber das Wesentliche, der Grund, warum man noch länger auf der Erde ist – und auch der Grund, warum du heute noch hier bist, egal wie alt du bist – ist, dass du für Jesus Frucht bringen sollst.
Darauf sollten wir unser Leben ausrichten und prüfen, inwiefern das, was wir tun, dazu dient oder nicht. Nicht so sehr im Sinne von: Ist das noch erlaubt? Tut mir das gut? Macht das Spaß? Will Gott mir alles verbieten, was Spaß macht?
Neulich habe ich ein Zitat von Édith Piaf gelesen, vielleicht kennt ihr sie als französische Chansonsängerin. Sie ist schon lange tot, aber sehr bekannt. Sie sagte: „Moral ist das Verbot von allem, was Spaß macht.“
Das ist keine große Philosophie, aber es ist die Überzeugung, die viele Menschen um uns herum haben. Moral, Ethik oder Gottesordnungen werden oft als Verbote von allem gesehen, was Spaß macht. Diese Auffassung haben manchmal sogar Christen.
Man denkt dann: Jetzt muss ich immer kämpfen, wie viele Teile meines Lebens gebe ich denn Jesus? Das, was keinen Spaß mehr macht, was mühsam ist, immer Gottesdienst, Bibellesen, Beten – alles anstrengend, aber notwendig, um sich den Himmel zu erkaufen. Und wie viel Zeit bleibt mir dann noch für mich, um Spaß zu haben?
Paulus’ Motivation ist völlig anders. Er versteht diese Sichtweise nicht. Er sagt: Ich lebe doch in Christus. Christus ist heute Morgen da, wenn ich aufstehe, mittags, wenn ich sitze, beim Einkaufen, bei der Arbeit – überall ist Christus da. Sein Leben hat in erster Linie das Ziel, für Jesus Frucht zu bringen. Deshalb ist das für ihn auch die Motivation, noch länger auf der Erde zu bleiben.
Er sagt: Ich weiß nicht, was ich wählen soll. Für ihn persönlich wäre es besser, bei Christus zu sein. Aber dann könnte er keine Frucht mehr für Jesus bringen. Es setzt ihn innerlich sehr unter Druck: Er hat Lust, aus der Welt zu scheiden und bei Christus zu sein, was viel besser wäre. Aber es ist notwendiger, im Fleisch zu bleiben – um eures Willen.
Das griechische Wort, das Paulus verwendet, ist „analien“. Es bedeutet so viel wie: ein Lager aufzulösen oder die Vertäuung eines Schiffs vor der Abfahrt zu lösen. Dieses bildhafte Wort beschreibt seine Lust, abzuscheiden – nicht im Sinne von „Lust zu sterben“, sondern die Lust, endlich den Anker zu lichten und in den Himmel zu fahren.
Seine Motivation ist also nicht die Abneigung gegen das irdische Leben, sondern die Freude, bei Gott zu sein. Das steckt in diesem Wort und zeigt die Stärke seiner Sehnsucht. Es wäre für ihn besser, denn er hätte kein Leiden mehr, keine Schmerzen und müsste sich nicht mehr mit Geschwistern streiten oder ärgern.
Aber es ist notwendig, im Fleisch zu bleiben – um eures Willen. Die Motivation ist nicht, hier zu bleiben, weil es ihm gut geht, sondern weil die Gemeinde in Gefahr ist und er sie weiterbringen möchte. Das zeigt die Sorge eines Vaters, der für seine Kinder sorgt und das Beste für sie erreichen will.
In Vers 25 heißt es: „Und in solcher Zuversicht weiß ich, dass ich bleiben und bei euch allen sein werde, euch zur Förderung und zur Freude im Glauben.“ Wenn Paulus hier von Zuversicht spricht, meint er keine absolute Sicherheit. Nach seinem inneren Ringen merkt er: Mein Egoismus, sterben zu wollen, muss ich zurückstellen. Gott hat noch einen Auftrag für mich auf der Erde.
In der Apostelgeschichte lesen wir später nichts mehr darüber. Sie endet mit der römischen Gefangenschaft des Paulus. Aus der Kirchengeschichte wissen wir aber, dass Paulus später freikam, noch eine Reise durch Kleinasien unternahm – möglicherweise auch nach Philippi – und sogar nach Spanien missionierte. Einige Jahre später wurde er während der neronischen Verfolgung in Rom hingerichtet.
Diese Zuversicht, die Paulus durch den Heiligen Geist bekam, war also richtig. Es war noch nicht sein Zeitpunkt zu sterben. Er hatte noch einige Jahre, um das Evangelium im Römischen Reich zu verbreiten.
Paulus wusste also, dass er bei der Gemeinde bleiben und sie fördern würde, zur Freude im Glauben. Er wollte die Gemeinde weiter voranbringen, damit sie die Macht Gottes stärker erkennen. Das bedeutet: Erstens dient seine Befreiung zur Förderung des Glaubens, denn so erkennen die Gläubigen die Größe Gottes. Gott kann sogar jemanden aus dem römischen Gefängnis befreien.
Zweitens kann Paulus, wenn er frei ist, zu ihnen kommen, predigen und sie ermutigen. Dadurch wächst die Gemeinde.
Die Freude der Gemeinde und ihr Wachstum hängen also sowohl vom Eingreifen Gottes im Leben des Paulus als auch von dem ab, was Paulus predigen kann. Auf diese beiden Punkte liegt der Wert, der der Gemeinde dient.
Schließlich fragt Paulus, wozu das alles gut ist: zur Förderung des Glaubens und zur Freude im Glauben – damit „euer Ruhm in Christus Jesus größer werde durch mich, wenn ich wieder zu euch komme.“
Mit „Ruhm“ meint Paulus nicht sich selbst, sondern Gott. Er möchte den Leuten dienen, damit sie nicht sagen: „Was für ein toller Mensch, der uns im Glauben weitergebracht hat.“ Sondern sie sollen sagen: „Wie groß ist Gott, der diesen Menschen in unserem Leben gebraucht hat, damit wir vorankommen, Fehler erkennen, Buße tun, gesund werden oder auf andere Weise geholfen werden.“
Das Ziel ist, dass Gott erkannt wird und der Glaube zur Ehre Gottes gefestigt wird.
Paulus hat hier schon wieder die Zuversicht, dass er zu ihnen zurückkommen wird. Er glaubt, dass Gott ihm die Möglichkeit geben wird, die Gemeinde erneut zu besuchen und zu stärken.
Aufforderung zum würdigen Leben und Einheit
Wandelt nur würdig des Evangeliums Christi, damit, ob ich komme und euch sehe oder abwesend von euch höre, ihr in einem Geist steht und einmütig mit uns kämpft für den Glauben des Evangeliums.
Wenn er hier sagt: „Wandelt nur würdig des Evangeliums Christi“ und danach hinzufügt, dass es egal ist, ob er bei ihnen ist oder nicht, schließt er die Frage ab, ob er noch einmal zu ihnen kommen wird. Er sagt, dass er wahrscheinlich kommen wird, weil Gott ihm das deutlich macht. Aber er fordert sie auf, jetzt schon würdig des Evangeliums zu wandeln. Sie sollen nicht darauf warten, dass er sie erst ermahnen oder ihnen dabei helfen muss.
Diese Herausforderung richtet sich auch an uns. Es setzt voraus, dass die Philipper damals nicht alle würdig des Evangeliums wandelten. Das wirft die Frage auf, ob es möglich ist, dass wir als Christen nicht würdig des Evangeliums leben.
Was bedeutet es, würdig des Evangeliums zu wandeln? Ich habe den Eindruck, Paulus hat hier die besondere Situation der Philipper im Kopf. Philippi war eine römische Kolonie, und viele der Philipper waren römische Staatsbürger. Ein römischer Staatsbürger zu sein, war eine besondere Ehre, die man entsprechend leben musste.
Ich habe das ja vorgelesen aus Apostelgeschichte 16: Als der Kerkermeister von Philippi merkt, dass die Gefangenen entkommen sind, denkt er, er habe versagt. Er fühlt sich seiner Ehre als römischer Soldat nicht mehr würdig und will sein Leben beenden. Darin steckt die Idee, würdig zu wandeln entsprechend der Stellung, in der man steht.
Wir müssen uns fragen: Was bedeutet es, würdig des Evangeliums oder würdig als Christ zu leben? Das heißt zum Beispiel, frei von Süchten und Abhängigkeiten zu leben. Wenn ich sage, Jesus hat mich befreit und ich bin Sklave Jesu, sollte sich das in meinem Leben zeigen. Wenn ich aber noch Sklave anderer Dinge bin, die mich binden, dann bin ich unwürdig als Diener Jesu.
Es gibt viele Dinge, die uns binden können. Das muss nicht Alkohol, Drogen oder Zigaretten sein. Heutzutage sind zahlreiche Suchtverhalten bekannt, auch unter Christen. Zum Beispiel Spielsucht: Menschen, die beim Lottoschein automatisch ankreuzen oder an Preisausschreibungen teilnehmen, ohne es kontrollieren zu können.
Fernsehsucht ist ebenfalls weit verbreitet. Manche zittern schon, wenn sie den Fernseher einschalten oder ausschalten müssen. Auch das ist eine Abhängigkeit.
Ein Beispiel aus der Bibelschule: Ein Schüler hatte Probleme mit Spielsucht, speziell Internetspiele wie „World of Warcraft“. Er kam nicht davon los, vernachlässigte Aufgaben und spielte nachts, obwohl er schlafen sollte.
Das Schwierige an Abhängigkeiten ist, dass man meint, nicht anders zu können. Man fühlt sich davon aufgesogen und hat keine freie Entscheidung mehr. Doch die meisten Menschen wollen sich das nicht eingestehen. Ich habe kaum jemanden getroffen, der sich selbst zu Beginn seiner Abhängigkeit eingestand, abhängig zu sein.
Viele, die fünf Stunden am Tag fernsehen, sagen: „Ich kann jederzeit abschalten, wenn ich will.“ Oder sie rechtfertigen ihr Verhalten, weil es so wichtig erscheint. Ähnlich bei Internetnutzung oder Alkohol: Manche behaupten, sie könnten jederzeit aufhören und trinken nur zum Genuss.
Deshalb gilt: Wenn ihr wissen wollt, ob ihr abhängig seid, fragt lieber einen Außenstehenden als euch selbst. Wir neigen dazu, uns selbst zu belügen.
Es gibt auch Sexsucht. Männer, die fremdgehen, sind häufiger betroffen als Frauen. Frauen wiederum können sich in romantische Phantasien flüchten und massenhaft Liebesgeschichten konsumieren, um sich wegzuträumen. Auch das kann eine Form von Sexsucht sein.
Männer konsumieren oft Bilder oder besuchen Prostitution. Auch das ist eine Sucht, die Menschen unbefriedigt zurücklässt. All das ist ein Zeichen dafür, nicht würdig des Evangeliums zu wandeln.
Würdig zu sein heißt aber auch, dass die Menschen in meinem Reden, Denken und Handeln etwas von der Größe Gottes sehen. Wenn ich immer nur über mich selbst rede, bin ich nicht würdig, Knecht Christi zu sein, sozusagen Stellvertreter Gottes auf Erden.
Das betrifft unser ganzes Leben: Zeiteinteilung, die Worte, die ich benutze, wie ich rede – ist das würdig des Evangeliums oder nicht? Würdig heißt, dass alles zusammenpasst und keinen Widerspruch bildet. Wenn die Menschen merken, dass das nicht stimmt, ist das nicht würdig.
Wenn unsere Nachbarn sagen: „Wenn der Christ so ist, will ich nicht Christ sein“, dann sind wir nicht würdig. Das stimmt nicht, egal ob wir sagen, die hätten Unrecht. Wenn viele das denken, sollten wir uns fragen, ob wir wirklich würdig leben.
Nicht immer haben Kritiker Recht. Oft wissen Arbeitskollegen besser, was Christen tun sollten, und haben Vorstellungen, die mit Christsein nichts zu tun haben. Zum Beispiel denken sie, Christen müssten immer tauschen, unbezahlte Überstunden machen oder sich nie beschweren, wenn sie beschimpft werden. Das stimmt nicht, aber es geht darum, wie wir reagieren und mit Menschen umgehen.
Würdig des Evangeliums zu leben heißt, würdig als Bürger des Reiches Gottes zu sein. Ein Zeichen dieser Würdigkeit ist, dass ihr in einem Geist steht und einmütig seid. Das kommt in Kapitel 2, Vers 2 nochmal vor: „So macht meine Freude dadurch vollkommen, dass ihr eines Sinnes seid.“
Paulus erinnert sich hier sicher an Jesu Worte aus Johannes 17, dem hohenpriesterlichen Gebet, wo Jesus betet: „Vater, mache sie eins, damit die Welt erkennt, dass sie deine Kinder sind.“ Einheit unter Christen ist sehr wichtig.
Würdig des Evangeliums zu sein heißt, in einem Geist zu stehen und Einigkeit zu haben. In einem Geist zu stehen bedeutet, nicht den Geist der Welt, sondern den Geist Christi zu haben, der uns antreibt.
Es heißt auch, sich nicht in ständigen Streitereien aufzureiben. Ich habe mit jemandem gesprochen, einem Muslim, der zu Recht sagte, Christen seien für ihn nicht glaubwürdig, weil sie so zerstritten sind. Niemand weiß, was Christen wirklich glauben, und die verschiedenen Gruppen laden immer dazu ein, zu ihnen zu kommen.
Erschreckenderweise gibt es im Christentum viele Konfessionen. Konfessionskundler schätzen, dass es etwa 30 verschiedene christliche Konfessionen gibt. Das ist kein Zeichen von Einheit.
Gott hat uns zusammengefügt, aber das heißt nicht, dass wir immer alle in einer Gemeinde sein müssen. Es gab immer wieder den Traum, alle müssten an einem Ort vereint sein. Das muss nicht sein, aber Einigkeit heißt, nicht ständig gegen andere Christen zu kämpfen.
Paulus fordert, dass wir in keinem Stück Erschrecken vor den Widersachern zeigen, was ein Anzeichen der Verdammnis für sie ist, für uns aber der Weg zur Seligkeit. In einem Geist sollen wir sein und für das Evangelium kämpfen.
Hier wird der Begriff des Kampfes erneut aufgegriffen. Wir haben es mit Widersachern zu tun. Als Christen müssen wir realisieren, dass Kampf und Auseinandersetzung der Normalfall sind.
Manche Christen meinen, es wäre normal, wenn alle sie akzeptieren und zujubeln. Paulus sagt hier aber: Wenn ihr nicht in Auseinandersetzung seid, ist wahrscheinlich euer christliches Leben tot. Dabei geht es nicht um persönliche Eigenheiten, sondern um den Glauben.
Jesus sagt, auch er wurde verfolgt, und euch wird es genauso ergehen. Paulus sagt: „Lasst von den Widersachern, was ihnen ein Anzeichen der Verdammnis ist, euch aber ein Zeichen der Seligkeit sein.“ Ein Zeichen eurer Seligkeit ist, dass ihr Widersacher habt.
Vorher spricht Paulus vom Kampf für den Glauben des Evangeliums. Wir sind in einer Auseinandersetzung. Deshalb, wenn es Sendungen im Fernsehen gibt, die von bösen Fundamentalisten sprechen, sollten wir uns nicht zurückziehen und vorsichtiger werden. Sondern erkennen, dass das normal ist.
Ob in ARD, Arte oder ZDF – solche Sendungen gibt es immer wieder. Versucht nicht, euch herauszureden und zu sagen, ihr gehört nicht dazu. Auch wenn manche seltsame Typen interviewt werden, müsst ihr damit rechnen, als Christen Kampf zu haben.
Wenn ihr keinen Kampf habt, redet ihr wahrscheinlich gar nicht von Jesus oder habt euch einen weichgespülten Jesus des Zeitgeistes gemacht. Es gab immer wieder verschiedene „Jesusse“: den nationalsozialistischen, romantischen, aufklärischen, kommunistischen, feministischen und homosexuellen Jesus.
Diese Jesusse provozieren nicht, da braucht man nicht zu kämpfen. Der biblische Jesus aber provoziert. Da gibt es nur: Du stehst dafür oder dagegen. Das wirst du auch in deinem Leben erleben.
Wenn du keine Konfrontation hast, solltest du prüfen, ob etwas nicht stimmt. Vielleicht bist du zu harmoniesüchtig.
Euch ist es gegeben, um Christi willen nicht nur an ihn zu glauben, sondern auch um seines Willens zu leiden. Euch ist es gegeben, für Jesus zu leiden.
Hier wird vorausgesagt, dass Christen leiden werden. Es geht nicht um Leiden wegen Dummheit, sondern um Leiden um Jesu Willen. Leiden kann sogar ein Geschenk Gottes sein, das Perspektiven verändert.
Man kann danken, wenn Arbeitskollegen einen anranzen, weil man vom Glauben spricht. Oder wenn Eltern, die nicht gläubig sind, sich beschweren. Leiden um Jesu Willen kann auch Krankheit sein, wie Paulus in Gefangenschaft.
Habt denselben Kampf, den ihr an mir gesehen habt und nun von mir gehört habt. Ihr habt denselben Kampf wie ich. Paulus kämpft im Gefängnis, ihr kämpft in Freiheit um des Evangeliums willen.
Die letzten Verse 27 bis 30 zeigen uns: Als Christen sind wir würdig des Evangeliums, und das heißt Einheit, nicht Süchte, Streit unter Christen und Kampf für das Evangelium bedeutet Auseinandersetzung mit Widersachern in der Welt.
Wir dürfen uns nicht wundern, sondern müssen damit rechnen und diesen Kampf aufnehmen. Aber nicht mit unlauteren Mitteln wie Unterdrückung, wie im Mittelalter bei der Inquisition, oder wie die „Army of God“ in den USA, die Abtreibungsärzte erschießen.
Das sollten Christen nicht tun. Wir kämpfen geistlich – mit Worten, in der Öffentlichkeit, im Gebet, in persönlichen Kontakten und in unserem Leben, indem wir so leben, wie Jesus es will, anders als die Welt.
Zum Schluss bete ich: Vater im Himmel, vielen Dank für das Vorbild des Paulus. Ich bitte dich, gib uns Gelassenheit, wenn wir Menschen sehen, die aus eigensüchtigen Motiven das Evangelium verkündigen. Lass uns sagen: „Sei es drum, du kannst es gebrauchen.“
Ich bitte dich, dass unser Vertrauen in dich und deine Macht wächst, dass wir sehen, du kommst zum Ziel, egal was um uns herum geschieht.
Herr Jesus, gib uns die Gelassenheit des Paulus, egal ob wir leben oder sterben, ob wir 90 Jahre alt werden oder im nächsten Jahr sterben müssen. Lass uns sehen, dass du uns gebrauchen kannst, egal ob wir arbeitslos sind oder einen guten Job haben, gesund oder krank.
Gib uns Weisheit und Vertrauen wie Paulus es hatte. Schenke uns die Sehnsucht nach dem Himmel, unserer himmlischen Heimat. Male uns vor Augen, was du für uns vorbereitet hast, damit wir es in unseren Lebensplan einbinden.
Lass uns nicht nur für eigene Ziele leben, sondern Frucht bringen für dich.
Herr Jesus, ich bitte dich für uns alle: dass wir würdig leben, würdig des Evangeliums als deine Kinder. Bewahre uns davor, uns in unsinnigen Streitereien zu verlieren und uns selbst in den Mittelpunkt zu stellen.
Gib uns Mut und Weisheit für den Kampf, den wir führen, damit wir Menschen erreichen, dich groß machen und sie aufmerksam machen können, dass das, was du sagst, wahr ist.
Sei uns nahe in diesem Kampf, zuhause, am Arbeitsplatz, wenn wir mit Anfechtungen des Teufels, mit Arbeitskollegen oder Verwandten zu tun haben.
Amen.