Investitur

Konrad Eißler

Die Himmelfahrt Jesu als Investitur Christi ist weithin unbekannt. Deshalb will sie dieser Text wieder bekannt machen und in Sachen Himmelfahrt Nachhilfeunterricht erteilen. Heute ist Christus ins höchste Staatsamt, ins höchste Kirchenamt und ins höchste Rechtsamt eingeführt worden. - Predigt zum Himmelfahrtsfest aus der Stiftskirche Stuttgart


Investitur heißt Einkleidung, liebe Gemeinde. Investitur meint aber Einführung in ein kirchliches Amt. Investitur bedeutet in jedem Fall eine festliche Angelegenheit. Zum Beispiel die Investitur eines Pfarrers. Endlich hat der altverdiente Seelsorg­er die Segel gestrichen und dem Jüngeren das Ruder des Gemeindeschiffes überlassen. Mit seiner Familie ist er ins frisch gestrichene Pfarrhaus eingezogen und hält nun seine erste Predigt. Die fast vollzählig erschienene Gemeinde singt erwartungsfroh: “Tut mir auf die schöne Pforte, führt in Gottes Haus mich ein.” Es ist festlich, wenn ein Pfarrer investiert wird. Oder zum Beispiel die Investitur eines Dekans ins Dekansamt. Alle Fragen, ob der oder jener besser in den Bezirk passe, sind vom Tisch. Aus allen Gemeinden sind Vertreter in die Dekanatsstadt geeilt, um die Einsetzung mitzuerleben. Zwanzig Pfarrer ziehen mit dem neuen Mann in die Kirche ein. Es ist feierlich, wenn ein Dekan invest­iert wird. Oder zum Beispiel die Investitur eines Prälaten ins Prälatenamt. Der Landeskirchenausschuss hat auf Vorschlag des Bischofs entschieden. Die ganze Region begrüßt in einem Fest­gottesdienst ihren neuen Seelsorger. Zeugenworte und Grußworte unterstreichen die überörtliche Bedeutung dieses Tages. Es ist bewegend, wenn ein Prälat investiert wird. Oder zum Beispiel die Investitur eines Bischofs ins Bischofsamt. Die Synode hat sich nach vielen Wahlgängen auf einen Kandidaten geeinigt. In der Hauptkirche des Landes sind mindestens die Hälfte der Plätze für die geladenen Gäste reserviert. Ein brausender Introitus empfängt den Festzug hoher Purpur-, Würden- und Kreuzträger. Eine ganze Landeskirche freut sich mit. Es ist gewaltig, wenn ein Bischof investiert wird.

Nun aber, liebe Gemeinde, ist heute nicht nur die Investitur eines Pfarrers oder eines Dekans oder eines Prälaten oder gar eines Bischofs, sondern des Christus. Himmelfahrt ist die Investitur des Christus ins Christusamt. Was müsste bei uns abgehen, wenn Christus die schwierige Mission auf Erde erfüllt hat? Was müsste bei uns vorgehen, wenn er das bittere Ende vom Karfreitag zum triumphalen Anfang an Ostern gemacht hat? Was müsste bei uns losgehen, wenn Christus, weil er gehorsam war bis zum Tode, erhöht und ihm ein Name gegeben wird, der über alle Namen ist? Es ist festlich, feierlich, bewegend und gewaltig zugleich, wenn Christus investiert wird, aber wie traurig sieht das bei uns aus! Der Festtag ist zu einem Ausschlaftag geworden. Der Feiertag ist zu einem Ausruhtag verkommen. Der Himmelfahrtstag ist zu einem Ausflugstag heruntergewirtschaftet.

Wilhelm Löhe, der geistvolle Prediger aus Bayern konnte noch sagen: “Seit die Morgensterne den Herrn der Schöpfung lobten, war kein Tag gewesen wie der Himmelfahrtstag. Das ist das größte Fest, ja mit diesem Festtag begann im Himmel ein immerwährendes Fest, des Lobgesänge bis heute nicht verstummt sind, ewig nicht verstummen werden.” Wir haben keine Ahnung mehr vom Glanz dieses Tages. Wir haben keinen Begriff mehr vom Jubel dieses Festes. Wir haben keinen blauen Dunst mehr vom Lobpreis des Himmelfahrtfestes. Warum? Darum! Die Einführung ist uns aus dem Blick gekommen. Die Einsetzung ist uns aus dem Sinn gekommen. Die Himmelfahrt Jesu als Investitur Christi ist weithin unbekannt. Deshalb will sie dieser Text wieder bekannt machen und uns in Sachen Himmelfahrt Nachhilfeunterricht erteilen. Heute ist Christus ins höchste Staatsamt, ins höchste Kirchenamt und ins höchste Rechtsamt eingeführt worden. Denken wir darüber nach.

1. Christus ins höchste Staatsamt investiert

Denken wir an einen Bürgermeister. Er ist der Chef im Rasthaus und trägt die Verant­wortung für die ganze Stadt. Aber daneben gibt es andere Städte, in denen er keinen Sitz und keine Stimme hat. Dann denken wir an einen Landrat. Der ist der Chef im Landratsamt und hat im Landkreis das Sagen. Aber daneben gibt es andere Landkreise, in denen er nichts zu sagen und zu suchen hat. Dann denken wir an einen Ministerpräsidenten. Der ist Chef im Schloss und regiert ein großes Bundesland. Aber daneben gibt es andere Bundesländer, die ihren eigenen Präsidenten gewählt haben. Dann denken wir an einen Bundespräsidenten. Der ist Chef im Palais und repräsen­tiert eine ganze Republik. Aber daneben gibt es andere Republiken, Königreiche, Staatengebilde, die nur auf ihr Staatsoberhaupt hören. Keiner hat allein das Sagen. Niemand hat allein das Wort. Jeder hat nur eine begrenzte Macht. Es gehört geradezu zum Wesen aller Stadt-, Kreis-, Land- und Bundesämter, dass sie ausschließ­lich eine Teilmacht besitzen. Das höchste Staatsamt jedoch besitzt die Allmacht. Es ist durch keine Wahl besetzt worden. Es ist in keinem Staatsvertrag ausgehandelt worden. Es ist mit keiner Weltrevolution zur Beglückung der Menschheit installiert word­en. Gott selber hat es im Himmel eingesetzt und mit seinem Sohn Jesus Christus besetzt. Nun ist er zuständig für alle Reiche. Kein Bereichlein kann eine Unabhängigkeitserklärung beschließen und sich aus dem Gottesreich verabschieden. Kein Großreich kann seine Massen marschieren lassen und sich als tausendjähriges Reich brüsten. Jedes Reich ist auf Sand gebaut und fällt eines Tages übereinander. Das Reichsressort ist von Jesus besetzt. Nun ist er auch zuständig für alle Gewalten. Kein winziges Kind­lein unter dem Herzen der Mutter kann durch rohe Gewalt getötet werden, ohne dass an höchster Stelle Alarm ausgelöst wird. Kein alter Mensch kann durch sanfte Gewalt der Kinder beiseite oder abgeschoben werden, ohne dass dies dem Herrn zu Herzen geht. Mit aller Gewalt setzen wir ohnehin nichts durch. Das Gewaltres­sort ist in von Jesus besetzt. Nun ist er auch zuständig für alle Mächte. Kein Machtmensch, in Familie, Geschäft oder Berufsleb­en, auch wenn er sich noch so aufspielt, kann mir gefährlich werden, wenn ich unter seiner Macht stehe. Keine Krankheitsmacht, auch wenn sie alle Ärzte zur Machtlosigkeit verdammt, kann mir letztlich schaden, wenn ich diesem Mächtigen traue. Mächte haben ausgespielt, bevor sie sich aufspielen. Das Machtressort ist von Jesus besetzt. Nun ist er auch zuständig für alle Herrschaften. Keine Sünde kann mich zwingen, dass ich ihr botmäßig werde. Keine Todesmacht kann mich fesseln, dass ich im Grabe bleibe. Alle Herrschaften müssen den Hut nehmen. Das Herrschaftsressort ist von Jesus besetzt. Es gibt keine Ressorts mehr, in denen er nicht Chef ist. Jesus Christus herrscht als König, alles, alles, alles ist ihm untertänig. Christ ist ins höchste Staatsamt in­vestiert.

2. Christus ins höchste Kirchamt investiert

Denken wir an einen Landesbischof. Er ist der Hirte auf der Gänsheide und hat es mit manchem schwarzen Schaf und manch sturem Bock zu tun. Aber daneben gibt es viele andere Weiden, auf denen andere Hirten ihren nicht leichten Dienst tun. Oder denken wir an einen Erz­bischof. Er ist der Oberhirte in einem großen Bistum und muss schauen, wie er seine Schäflein zusammenhält. Aber daneben gibt es Bistümer, die außerhalb seiner Hirtengewalt liegen. Oder denken wir an einen Papst. Er ist der Heilige Vater auf dem Heiligen Stuhl und spricht zuweilen ex cathetra über eine weltumspannende Kirche. Aber daneben gibt es andere Päpste, Religionsführer, Ayatollahs, die dasselbe Recht in Anspruch nehmen. Wenn wir nach denen “da oben” schauen, die in den Kirchen das Kreuz tragen, dann werden wir den nie ausmachen können, der das höchste Kirchenamt führt. Jesus ist aufgefahren gen Himmel, das heißt, dass er ganz oben sitzt, als Hohepriester, wie es Paulus sagt, als Erzhirte, wie es Petrus schreibt, als Bischof eurer Seelen, wie wir es in den kleinen Briefen des Neuen Testaments lesen. Wir müssen also zu dem da ganz oben schauen, der das Kreuz in den Himmel getragen hat und dann werden wir den erkennen, der der Kopf der Kirche ist, denn “Gott hat ihn gesetzt der Gemeinde zum Haupt über alles.”

Manche denken, er sei nur der Fuß, auf dem die Kirche stehe. Es gebe so einen christlichen Grund und Boden, einen abendländischen Humus, auf dem alles Mögliche und Unmögliche ins Kraut schießt oder gar wunderlich blüht. Jesus aber ist nicht der Fuß, er ist das Haupt der Gemeinde. Manche denken, er sei nur die Hand, die gebende und helfende Hand, die die Kirche bieten müsse. Alles erschöpfe sich in der Nächsten­liebe und mehr als einen Diakonieverein benötige man ohnehin nicht. Jesus aber ist nicht nur die Hand, er ist das Haupt der Gemeinde. Manche denken, er sei nur der Mund, den die Kirche aufreißen müsse. In Jesu Namen müsse gegen die Reichen und Ausbeuter und Umweltzerstörer lauthals protestiert werden. Kirche als Vormund der Entrechteten und Ausgebeuteten. Jesus aber ist nicht nur der Mund, er ist das Haupt der Gemeinde. Manche denken, er sei nur ein Teil der Kirche. In anderen Religionen sei er auch stückweise zu finden. Deshalb könne es gar keine Mission geben, sondern nur den Dialog der Religionen, in dem der kosmische Christus wie in einem Puzzle zusammengesetzt wird.

Aber Jesus ist nicht ein Teil, er ist das Haupt der Gemeinde. Ohne Jesus als alleiniges Haupt ist die Kirche kopflos und rennt hier hin und da hin. Ohne Jesus als alleiniges Haupt ist die Kirche enthauptet und damit als Leichnam reif für den Abdecker. Ohne Jesus als alleiniges Haupt ist die Kirche tot. Nun aber hat er das höchste Kirchenamt übernommen und seine Gemeinde kann sich dessen gewiss sein: Der Herr ist mein Hirte. Und wenn es überall an Mitarbeitern und Mitstreitern fehlt, mir wird nichts mangeln. Und wenn es überall aus dunklen und giftigen Quellen sprudelt, er führet mich zum frischen Wasser. Und wenn sich überall Holzwege und Sackgassen auftun, er führet mich auf rechter Straße. Und wenn falsche Propheten von links und rechts einbrechen, fürchte ich kein Unglück. Und wenn Leid und Tränen in Strömen fließen, dein Stecken und Stab trösten mich. Und wenn uns Hunger und Durst plagt, du schenkest uns voll ein. In seiner Gemeinde bleiben wir im Hause des Herrn immerdar. Dort ist Christus ins höchste Kirchenamt investiert.

3. Christus ins höchste Rechtsamt investiert

Denken wir noch an den Richter am Amtsgericht, aber der hat als Berufungsinstanz einen Richter am Landgericht über sich, und der einen Richter am Oberlandesgericht und der wiederum einen Richter am Bundes­gerichtshof. Aber auch der ist nicht oberster Richter, höchster Rechtsprecher, letzte Instanz. Gott hat an Himmelfahrt eine allerletzte Instanz installiert. Jesus wurde eingesetzt zu seiner Rechten im Himmel und damit für alles Recht zuständig erklärt. Das höchste Rechtsamt hat er inne und eines Tages werde ich dort vorgeladen sein. Auf dem Sitzungsplan steht mein Name. Zum Aufruf kommt mein Fall. Keiner kann sich drücken. Keiner kann sich entschuldigen. Keiner kann sich aus dem Staub machen. Auf jeden Fall ist mein Fall dran. “Es ist dem Menschen gesetzt, einmal zu sterben, danach aber das Gericht.” Dann wird meine Akte aufgeschlagen, so groß wie eine Bibliothek, Wort für Wort im Originalton festgehalten, “denn es ist kein Wort auf meiner Zunge, das der Herr nicht wisse”. Dann wird das Verhör beginnen: Warum hast du das gedacht? Warum hast du das gemacht? Warum hast du das gesagt? Warum? Warum? Warum? Dan werde ich auf tausend nicht eins antworten können und als Plädoyer nur die vier Worte stammelnd über die Lippen kriegen: “Sei mir Sünder gnädig.” Dann wird der Herr aufstehen. Dann wird das Urteil gefällt werden. Dann fällt der Blitzstrahl göttlichen Zorns in mein Leben: “Verdammt in alle Ewigkeit.” Ehrlicherweise habe ich nichts anderes verdient, aber gnadenweise. Das höchste Rechtsamt kann zum höchsten Gnadenamt werden, wenn er meinen Namen kennt und ich ihm gehöre. Eine Generalamnestie wird es nicht geben, aber um Jesu Sterben willen eine Begnadigung. Der Bannstrahl wird auf das Kreuz geleitet und ich bin frei zum ewigen Leben.

Ich bin in einem Amtsgericht aufgewachsen. Ein armer Schlucker von Schneidermeister war wegen Betrugs angeklagt. Völlig geknickt schlich er sich zur Verhandlung. Plötzlich hörten wir ihn durch das ganze Haus rufen: “Freigesproch­en!” Er stürzte auf die Straße und rief es den Passanten zu: “Freigesprochen!” Er war vor Freude außer Rand und Band: “Freige­sprochen!”

Liebe Freunde, wenn der wegen eines Freispruchs solchen Lärm anstellte, wie müsste es uns nach Freispruch vor dem höchsten Rechtsamt zumute sein? Welche Freude müsste uns erfüllen, welcher Jubel müsste uns durchdringen, welche Seligkeit müsste um uns sein: “Freigesprochen trotz Beweisen”! Denn wenn er nicht mehr gegen uns ist, was in aller Welt mag uns dann noch schrecken?

Heute ist Christus in höchste Rechtsamt investiert, und in höchste Kirchenamt und ins höchste Staatsamt. Himmelfahrt heißt Investitur Christi ins Christusamt. Was für ein Fest!

Amen

[Anmerkung: “Gänsheide” ist eine Halbhöhenlage in Stuttgart, wo der Oberkirchenrat der Evangelischen Landeskirche in Württemberg seinen Sitz hat.]

[Predigtmanuskript; nicht wortidentisch mit der Aufnahme]