Liebe Gemeinde,
man kann ja nicht alles wissen. Das wurde mir deutlich, als mich ein Gemeindeglied fragte: Warum gibt es eigentlich neben dem Pfingstsonntag auch noch den Feiertag Pfingstmontag? Ich wusste es auch nicht.
Aber es gibt ja das moderne Nachschlagewerk Wikipedia. Ich habe es aufgeschlagen und nach sehr vielen nichtssagenden, klugen Worten stand dort: „Dieser Tag dient der Vertiefung der Lehre vom Heiligen Geist.“ Da hatte ich es.
Ich wollte dann auch nachschlagen, was Wikipedia im Internet über den Heiligen Geist weiß. Dort stand: „Der Heilige Geist ist die dritte Person der Trinität, also der Dreieinigkeit, seit dem vierten Jahrhundert. Dem großen Bekenntnis der Christenheit, dem Niceno-Constantinopolitanum, gilt der Heilige Geist als die dritte Person der Dreieinigkeit. Die Vorstellung vom Heiligen Geist weicht im Christentum wesentlich ab von den Geistvorstellungen in anderen Religionen.“
Jetzt war ich so klug wie zuvor. Es ist wie bei vielen Erklärungen: Mit vielen Worten wird etwas gesagt, das an uns vorbeirauscht und uns nicht wirklich hilft, in der Tiefe etwas zu erfassen.
Die Herausforderung, den Heiligen Geist zu verstehen
Den Heiligen Geist erfassen wir nicht durch Definitionen. Es ist zwar lobenswert, wenn Menschen darüber nachdenken, was einzelne Theologen und Theologien über den Heiligen Geist denken. Doch durch solches Nachforschen kann man sich den Heiligen Geist auch vom Leib halten.
Durch Definitionen können wir nicht erfassen, was der Heilige Geist ist. In der Bibel wird der Heilige Geist immer mit Zeitwörtern, also mit Tunwörtern oder Verben, beschrieben. Es wird dargestellt, was er tut, was er schafft, worauf er schaut und worüber er traurig ist.
Der Heilige Geist Gottes wirkt und möchte uns erfassen, möchte uns durchströmen. Das hat der heilige Herr Jesus gemeint, als er seinen Jüngern vor seinem Abschied von dieser Erde sagte: „Wenn aber der Tröster kommen wird, den ich euch senden werde vom Vater, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, der wird Zeugnis ablegen von mir.“
Der Heilige Geist wird der Kronzeuge sein, der auf Jesus hinweist, der ihn groß macht und den Menschen verdeutlicht, was man an Jesus hat. Dazu ist der Heilige Geist da. Er wird von sich selbst wegsehen. Nicht er ist wichtig, sondern er wird wie ein Scheinwerfer Jesus ins Licht stellen.
Persönliche Erfahrungen mit dem Heiligen Geist
Jetzt darf ich Ihnen am Pfingstmontag einfach erzählen, wie ich das erlebt habe.
Vor 66 Jahren, im Jahr 1946, fand der erste Nachkriegslandesposaunentag in Ulm statt. Die Innenstadt von Ulm war total zerstört, nur das Münster stand noch. Von der Zahl her gesehen waren die damals versammelten beinahe zweitausend Posaunenbläser kläglich im Vergleich zu den über zehntausend, die sich in vier Wochen zum Landesposaunentag versammeln werden. Auch im Vergleich zur rhythmisch gekonnten Spielweise der heutigen Bläser war damals das Spielen der Posaunen eher konventionell.
Es war zwar etwas Besonderes, dass das auf tausend Jahre konzipierte Reich Adolf Hitlers nach zwölf Jahren weggefegt war. Es war auch etwas Besonderes, dass vielen Teilnehmern die Tränen der Bewegung in die Augen trieben. Nach den Jahren der Verfolgung und Unterdrückung konnte sich die evangelische Jugend wieder sammeln und die Gemeinde Jesu konnte öffentlich den Münsterplatz bekennen.
Aber das Besondere war die Losung, die uns Schwaben natürlich zu Herzen ging, weil sie aus dem Lied des schwäbischen Dichters Philipp Friedrich Hiller stammte: „Jesus Christus herrscht als König“. Doch all das war gar nicht das Besondere, auch nicht das Zusammenläuten der damals noch übrig gebliebenen Münsterglocken.
Das Besondere war, dass vielen der Teilnehmer von diesem Tag an Ende Mai 1946 der Entschluss für ihr Leben galt: „Ehret, liebet, lobet ihn!“ Es war vom Geist Gottes gewirkt. Man konnte es nicht durch Posaunenklänge oder durch die Regie des Tages bewirken. Der Geist Gottes will Jesus groß herausbringen.
Vielleicht ist auch gerade dieses Lied „Jesus Christus herrscht als König“ etwas Besonderes.
Am Himmelfahrtstag habe ich in unserem Altenzentrum einen kranken Menschen besucht. Er war liebenswert, aber eigentlich kaum mehr ansprechbar. Ich habe überlegt, was ich tun soll. Dann habe ich den ersten Vers angestimmt: „Jesus Christus, Herrscher König“. Dieser alte, weggetretene Mensch griff daraufhin nach einer Strickleiter, die früher Galgen genannt wurde, aber das sagen wir heute nicht mehr. Er ergriff die Sprossen und zog im Takt mit: „Ehret, liebet, lobet ihn.“
Dann war diese Krankenstube erfüllt vom Geist Gottes, wie ich es sonst noch nie erlebt habe. Wo Jesus verherrlicht wird, da ist der Heilige Geist. Da will der Geist Gottes dafür sorgen.
Ja, in unserem alten Gymnasium in Stuttgart durften wir jeweils zur Weihnachtszeit das Weihnachtsoratorium aufführen. Bei der letzten Aufführung, bei der unser alter Oberstudiendirektor noch dabei war, kurz vor seiner Ruheversetzung, unterbrach er uns plötzlich mitten im Oratorium durch ein Handzeichen. Er stieg auf die Kanzel der Markuskirche, und wir dachten, er wolle eine Rede halten. Aber er sagte nur: „Das noch einmal, dass dieses arme Knäblein unser Trost und Freude sein soll, dazu den Satan zwingen.“ Das sei wichtig, sagte er.
Mit einem Mal war die Markuskirche in Stuttgart, so hatte ich den Eindruck, nicht bloß erfüllt vom Jubel der jugendlichen Stimmen und von der Begeisterung unseres Singens, sondern da wurde Jesus verehrt. War der Geist Gottes da, dass dieses schwache Knäblein unser Trost und Freude sein soll, dazu den Satan zwingen.
Es ist erstaunlich, dass in den letzten Wochen immer wieder ehemalige Konfirmanten an mich schreiben – so die Summe eines Lebens, oft aus großer Not heraus –, um noch einmal ihrem Konfirmationspfarrer zu schreiben.
Einer der Menschen, der mir geschrieben hat, bezeugte, dass er ganz tief in seinem Leben in Verwirrung geraten sei. Wir führten einen Briefwechsel, hin und her, ich versuchte, ein paar kluge Antworten und Ratschläge zu geben. Dann kam ein Brief: „Ich bin so tief im Schlamassel, ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich machen soll.“ Da habe ich einfach das Buch „Jesus, unser Schicksal“ von Wilhelm Busch, inzwischen in der 46. Auflage erschienen, in einen Umschlag gepackt. Schon zwei Tage später kam eine Postkarte, auf der bloß stand: „Ich bin schon auf Seite 59.“
Man kann sich fragen, warum Gott manchen Verkündigern die Gegenwart des Heiligen Geistes geschenkt hat. Hier in Korntal war das ganz wichtig: die Evangelisation dort am Bahnhof mit James Radleff. Wie viele Mitarbeiter und Mitglieder unserer Gemeinde damals vom Geist Gottes ergriffen wurden, aber auch wie viele Menschen bis hinein in unsere Gemeinde ergriffen und gesegnet wurden von dem Zeugnis von Wilhelm Busch, Jugendpfarrer in Essen.
Die Essener Jugend hat immer gesagt: Manche rühmen sich, das älteste Gebäude in Deutschland zu haben, wir haben den ältesten Jugendpfarrer in Deutschland, der mit 66 noch Jugendpfarrer war, von seiner Kirchenleitung vergessen und gedemütigt. Bei seiner Abschiedspredigt sagte er: „Es gibt große Redner, die ein weites Register von Themen beherrschen. Ich habe immer bloß ein Trompetchen gehabt: Meine Seele soll sich rühmen des Herrn Jesus.“ Und das war sicher das Geheimnis: Allein Jesus groß herauszubringen. Da lässt sich der Heilige Geist nieder, da bestätigt der Heilige Geist.
Vor wenigen Tagen haben wir ebenso eindrücklich wie bei der großen Beerdigung unseres lieben Bruders Ulrich Laukenmann in Unterrixingen ein Gemeindeglied beerdigt, das mit 62 Jahren an Krebs verstorben ist. Es war eine große Trauergemeinde mit eindrücklichen Liedern, Zeugnissen und Nachrufen.
Aber über dieser Versammlung auf dem Friedhof in Unterrixingen lag eine Atmosphäre der Gegenwart des Heiligen Geistes. Ich kann nicht sagen, ob es die Predigt, die Lieder oder die Nachrufe waren, sondern das, was von den Gemeindedienstmitarbeitern, den Besuchsdienstgruppen, der Jungschar, dem Jugendkreis und der Frauenfrühstücksgruppe bezeugt wurde.
Diese Frau Christa Fleckhammer hat uns immer nur eins wichtig gemacht: dass wir an ihm bleiben, dem treuen Heiland. Der Geist Gottes wird mich verherrlichen, wenn das über einem Menschenleben deutlich wird. Das ist wichtig.
Ich durfte einfach ein bisschen erzählen, was ich erlebt habe.
Die Bedeutung des Alten Testaments für das Verständnis des Heiligen Geistes
Wie hat die erste Christenheit das erlebt? Wahrscheinlich haben wir den Bericht aus der Apostelgeschichte 2 vor Augen: das Brausen vom Himmel wie eines gewaltigen Windes. Dann wird sehr zurückhaltend, ohne unnötige Ausschmückungen, erzählt, was geschah. Es gibt kein großes Halleluja-Rufen, sondern die großen Taten Gottes werden bezeugt.
In der Bibel wird uns ausführlicher als nur durch diese Umstände – das Brausen des Windes und die Feuerzungen, von denen uns gestern Pfarrer Hägele so eindrücklich mit dem Bild von Karl Hemmeter erzählt hat – Vers für Vers berichtet, dass die Apostel Petrus und Johannes plötzlich das Alte Testament zitierten. Damals sagte man noch „die Schrift“. Sie zeigten, dass erfüllt wird, was bei Joel gesagt ist, was David vorausgesagt hat und was im Propheten Jesaja steht.
Das Alte Testament ist kein reines Moralbuch, das uns in erster Linie beibringen will, wie anständig und textliebend wir sein sollen. Es ist vielmehr wie ein Bündel von Scheinwerfern, die seit dem Kommen Jesu plötzlich aufleuchten und uns erkennen lassen, dass Jesus im Licht dieser großen Erwartungen steht.
Erst wenn wir uns wieder ins Alte Testament hineinbegeben, werden wir begreifen, was wir an Jesus haben. Dort gab es ein tiefes Sehnen nach wahrer Erlösung – eine Erlösung, die ganz anders ist als die herrliche Befreiung aus Ägypten. Wir müssen erlöst werden von unserer alten Art; es muss jemand kommen, der uns befreit von unserem Wesen.
Im Alten Testament gibt es quer durch die Schriften ein Sehnen nach dem richtigen König, nach dem Hirten, der die Richtung angibt und für uns sorgt. Es ist ein Sehnen nach der Gerechtigkeit, die Gott uns gibt. Wir können versuchen, gerecht und anständig zu sein, aber Gott hat angekündigt, dass das noch einmal etwas anderes sein wird, wenn er seine Gerechtigkeit über uns legt.
Es herrschte die Erwartung, dass der Herr unsere Gerechtigkeit sein wird. Alles, was die Apostel uns im Neuen Testament in den Briefen sagen, ist im Grunde nichts anderes, als dass sie uns im Licht der Scheinwerferbatterie des Alten Testaments deutlich machen: Das haben wir an Jesus, dem Erlöser, dem wahren König, dem Hirten, der uns Gerechtigkeit schafft.
Was muss das für ein Aufatmen gewesen sein! So etwa beim Apostel Paulus, als er den Korinthern schrieb, dass Jesus Christus uns von Gott zur Weisheit gemacht ist. Ein großer Teil des Alten Testaments ist Weisheitsliteratur. An unserer alten Lateinschule stand über dem Eingang das schöne Wort eingegraben: „Die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang.“ Es gab also ein Sehnen nach Weisheit.
Jesus Christus ist uns gemacht zur Weisheit, zur Gerechtigkeit, zur Heiligung und zur Erlösung. Alles, was im Alten Testament über das Sehnen nach Klugheit gesagt wird, ist oft so begrenzt, dass Gott uns klug macht, empfindsam für das Richtige. Doch es bedeutet auch, dass Gott uns erlöst von dem, was uns oft wie mit Seilen hinunterzieht – in Schwermut und Angst. Jesus ist uns gemacht zur Erlösung, zur Heiligung und zur Gerechtigkeit.
Dr. Ludwig Raff, der große Missionspionier, der hier in Korntal wohnte, schrieb in einem seiner letzten Seelsorgebriefe aus der Görlitzstraße an ein Seelsorgekind: „Meine Art ist noch so verderbt wie vor fünfzig Jahren“, musste er sagen. „Sie ist noch verderbter als in meiner Jugendzeit.“ Wie sehr ist er angewiesen auf die Gerechtigkeit, die Jesus für ihn ist! Da hat einer schon aus dem Alten Testament heraus, durch den Geist Gottes, verstanden.
Der Geist Gottes knüpft gerne im Alten Testament an. Der Apostel Paulus schrieb in 2. Timotheus 3,16: „Alle Schrift ist von Gott eingegeben.“ Er meint damit das Alte Testament. Es wird durchatmet, sodass plötzlich etwas lebendig für uns wird.
Wir kommen aus einer Zeit, die viele Eltern erlebt haben, in der das Alte Testament grenzenlos verachtet wurde. Mir erscheint es heute so, als ob die Nachwirkungen dieser Zeit noch spürbar sind: Das Alte Testament wird oft nur noch als ein geschichtliches Buch angesehen, das gar nicht mehr verstanden wird. Dabei sagt Jesus: „Die Schrift zeugt von mir.“ Er fordert uns auf, in der Schrift, im Alten Testament, zu lesen.
In der Zeit der Verachtung des Alten Testaments als ein „Judenbuch“, das wir mit unserer germanischen Moral nicht mehr brauchen, hat eine kleine Gruppe aus der Bekennenden Kirche das Alte Testament hochgehalten. Sie riefen: „Seid zu Hause im Alten Testament, damit der Heilige Geist euch zeigen kann, was wir an Jesus haben.“
Wenn ich die Lieder von Rudolf Alexander Schröder, Jochen Klepper und Arno Pötzsch lese, die in jener Zeit entstanden sind, spüre ich Substanz. Nicht nur Substanz, sondern vom Heiligen Geist durchhaucht. Diese Menschen haben das Alte Testament erlebt und sich von der Bewegung hin zu Jesus mitreißen lassen.
Der Heilige Geist reicht nicht nur in die Emotion hinein, sondern auch in klar denkende Zusammenhänge. Es wäre schade, wenn das Alte Testament heute in der Christenheit als Wegwerfartikel oder als Rarität verstanden würde – als ein Kursbuch von anno dazumal, das Sammler irgendwo aufstöbern und hochhalten.
Nein, das ist das Instrument, das Gott benutzen will, durch das er seinen Heiligen Geist strömen lassen will. Nicht umsonst sind so viele alttestamentliche Worte uns wichtig, weil wir spüren, dass der Geist Gottes daran angeknüpft hat: „Fürchte dich nicht, ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.“ Es heißt: „Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber mein Bund soll nicht hinfallen, meine Gnade soll nicht von dir weichen.“
Der Geist Gottes will das Alte Testament benutzen. So hatten es die ersten Christen erlebt, dass ihnen plötzlich etwas aufgeschlossen wurde.
Die Bedeutung der Schrift und das Erbitten des Heiligen Geistes
Und es ist wichtiger als all das, was ich Ihnen erzählt habe und was ich erlebt habe: Die Schrift, die von mir zeugt. Sucht in der Schrift, hat Herr Jesus angewiesen.
So wie es auch in dem Wort heißt, das uns heute am zweiten Pfingsttag wichtig gemacht werden soll: Wenn der Tröster kommen wird, den ich euch vom Vater senden werde, den Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, wird er Zeugnis von mir ablegen. Er wird mich bezeugen.
Schön und gut. Aber wie werden wir teilhaftig? Wie bekommen wir diesen Heiligen Geist?
Ein Onkel von mir, der als junger Bräutigam weit entfernt vom christlichen Glauben war, aber nun in eine fromme Familie einheiraten wollte, hat seiner zukünftigen Schwiegermutter fast zynisch gesagt: „Wie kann man denn den Heiligen Geist bekommen?“ Da hat sie nur gesagt: „Um den darf man bitten.“
Jesus hat gesagt: „Wenn ihr den Vater bitten werdet, wird er euch den Heiligen Geist geben.“ So einfach ist es.
Vater, dein Geist ist willkommen, auch in unserer Wohnung. Wir brauchen ihn – in meinem Leben, in meiner Verzagtheit, in der Schwachheit meines Alters. Ich brauche ihn, Vater, gib ihn mir!
Der Vater wird den Geist geben, im Strogoi Express, jedes Mal rechts eine Spalte, die mit dem geistreichen Satz schließt: „So sei es!“
Liebe Brüder und Schwestern, so ist es: Wenn ihr den Heiligen Geist vom Vater erbitten werdet, wird er ihn euch geben. So ist es. Amen.