Einführung: Die Kindheit Jesu im biblischen Kontext
Gott wird Mensch – Leben und Lehre des Mannes, der Retter und Richter, Weg, Wahrheit und Leben ist.
Episode 58: Der Zwölfjährige im Tempel
Nachdem wir uns in zwei Episoden mit falschen Berichten über die Kindheit des Herrn Jesus beschäftigt haben, soll es heute in der Bibel weitergehen.
In den außerbiblischen Kindheitsberichten ist der kleine Jesus häufig ein Kind, für das es ganz normal ist, Wunder zu tun. In der Bibel hingegen ist davon nicht nur nicht die Rede, sondern der Apostel Johannes beschreibt das erste Wunder, das Jesus tut. Dieses Wunder geschieht nach seiner Taufe, also zu einem Zeitpunkt, als Jesus etwa dreißig Jahre alt war.
Dieses Wunder ist die Verwandlung von Wasser in Wein auf der Hochzeit zu Kana. Nachdem der Speisemeister den Bräutigam dafür tadelt, den besseren Wein bis zum Schluss zurückgehalten zu haben, lesen wir in Johannes 2,11: „Diesen Anfang der Zeichen machte Jesus zu Kana in Galiläa und offenbarte seine Herrlichkeit, und seine Jünger glaubten an ihn.“
Es scheint, als wäre der Heilige Geist erst nach der Taufe auf Jesus herabgekommen. Das ist deshalb wichtig, weil Jesus seine Wunderwerke eben nicht aus sich selbst tut, sondern in der Kraft des Heiligen Geistes. So passt es auch, dass die Verwandlung von Wasser in Wein in Kana als das erste oder als der Anfang der Zeichen bezeichnet wird.
Der kleine Jesus hat also noch keine Wunder getan.
Die Reise zum Passafest und die Bedeutung des Alters
Aber kommen wir zu einer Geschichte, die uns Lukas aus der Kindheit Jesu berichtet. In Lukas 2, Verse 41 und 42 heißt es: „Und seine Eltern gingen alljährlich am Passafest nach Jerusalem. Und als er zwölf Jahre alt war, gingen sie hinauf nach der Gewohnheit des Festes.“
Im Judentum ist es üblich, dass Jungen ihre Religionsmündigkeit mit dreizehn Jahren feiern. Der damit verbundene Begriff Bar Mitzwa, übersetzt „Sohn des Gebots“, beschreibt neben dem Tag selbst und der Feier auch einen Status der Verantwortlichkeit, in den der junge Mann nun vor Gott eintritt.
Er ist jetzt ein Erwachsener oder ein Bar Onushin, ein Sohn der Strafe. Das bedeutet, dass er für sein Tun zur Rechenschaft gezogen werden kann. Auch wenn die Verwendung des Begriffes Bar Mitzwa im heutigen Sinn erst im Mittelalter entstand, können wir davon ausgehen, dass zur Zeit Jesu ein sehr ähnliches Denken vorhanden war.
Etwa mit zwölf oder dreizehn Jahren wurden Jungen verantwortlich. Und genau in diesem Alter ereignet sich im Leben des Herrn Jesus etwas Merkwürdiges.
Das Verweilen Jesu in Jerusalem und die Suche seiner Eltern
Als sie die Tage vollendet hatten, blieb der junge Jesus bei ihrer Rückkehr in Jerusalem zurück, ohne dass seine Eltern es bemerkten. Sie glaubten, er sei in der Reisegesellschaft. Deshalb gingen sie etwa eine Tagereise weit und suchten ihn unter Verwandten und Bekannten.
Als sie ihn dort nicht fanden, kehrten sie nach Jerusalem zurück und suchten ihn weiter. Maria, Josef, ihre Kinder sowie viele Freunde und Bekannte waren zum Passafest in Jerusalem versammelt. Eine Woche lang wurde gefeiert, dann machte man sich wieder auf den Heimweg.
Doch Jesus blieb in Jerusalem. Nachdem Maria und Josef ihn nicht gefunden hatten, kehrten sie ebenfalls nach Jerusalem zurück, um ihren Sohn zu suchen.
Jesus im Tempel: Verständnis und Fragen
Lukas 2,46-47: Und es geschah, dass sie ihn nach drei Tagen im Tempel fanden, wie er inmitten der Lehrer saß, ihnen zuhörte und sie befragte. Alle aber, die ihn hörten, gerieten außer sich über sein Verständnis und seine Antworten.
Ich weiß nicht, ob euch noch die Zitate aus dem Kindheitsevangelium des Thomas im Ohr sind. Das hier ist der nüchterne biblische Bericht.
Jesus sitzt bei den Lehrern, hört zu und stellt Fragen. Was die Leute beeindruckt, ist sein Verständnis und seine Erklärungen.
Jesus ist nicht das Wunderkind, das schon alle Lösungen kennt, weil es über esoterisches Extrawissen verfügt. Vielmehr ist Jesus ein junger Mann, der für sein Alter außergewöhnlich viel versteht und tief durchdachte Antworten gibt.
Die Reaktion der Eltern und Jesu Antwort
Lukas 2,48: Und als sie ihn sahen, wurden sie bestürzt. Seine Mutter sprach zu ihm: „Kind, warum hast du uns das getan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht.“
Man kann sich gut vorstellen, wie sehr sich die Eltern von Jesus Sorgen gemacht haben. Drei Tage lang wussten sie nicht, wo ihr Sohn war und was ihm zugestoßen sein könnte. Doch schließlich fanden sie ihn im Tempel.
„Warum hast du uns das getan?“ – eine Frage, die jede Mutter in dieser Situation gestellt hätte.
Lukas 2,49: Und er sprach zu ihnen: „Was ist der Grund, dass ihr mich gesucht habt? Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meines Vaters ist?“
Was für eine Antwort! Mit seinen Worten sagt Jesus: „Ihr habt mich gesucht, okay. Aber warum seid ihr nicht gleich darauf gekommen, im Tempel zu suchen?“
Aus der Antwort des Herrn Jesus wird deutlich, dass er den Begriff „Vater“ anders verwendet als seine Eltern. Maria sagt: „Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht.“ Für sie ist Josef sein Vater. Jesus hingegen nennt Gott seinen Vater.
Das ist spannend, weil sich sofort die Frage stellt, woher er das weiß. Wir können es natürlich nicht genau sagen.
Das Bewusstsein Jesu über seine göttliche Herkunft
Es kann sein, dass Maria Jesus über die Umstände seiner Geburt aufgeklärt hatte und er dieses neue Wissen nun einfach anwendet. Ebenso gut ist es möglich, dass sich in Jesus ein allmähliches Verstehen seiner besonderen Beziehung zu Gott entwickelt.
Ich weiß nicht genau, wie ich das beschreiben soll, aber als ganz normaler Mensch ist Jesus gleichzeitig ein Aspekt der Dreieinigkeit. Jesus ist nicht nur Mensch, sondern in seiner Menschlichkeit offenbart sich eine Person – und diese Person ist der Schöpfergott.
„Ich und der Vater sind eins.“ „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen.“ Das sind Worte, die Jesus später verwenden wird, um sein Verhältnis zum Vater zu beschreiben.
Nun steht die Frage im Raum, wie sich in Jesus das Wissen um sein göttliches Wesen entfaltet hat. Wann wusste Jesus, dass er ein besonderer Mensch war? Damit meine ich nicht die Wunde oder die Tatsache, dass Jesus Wunder in der Kraft des Heiligen Geistes tut – so wie jeder andere Gläubige auch.
Vielmehr stellt sich die Frage: Wie fühlt es sich an, wenn die Persönlichkeit, die in mir heranwächst, sich als der Charakter des Schöpfergottes entpuppt? Was bedeutet es, sich der Tatsache bewusst zu werden, dass ich Gott, das Wort, bin, aber in der Existenzform eines Menschen?
Wie wird man sich dessen bewusst? Spürt man das irgendwann? Oder bekommt man Offenbarungen? Wir wissen es nicht. Doch im Alter von zwölf Jahren erleben wir einen Jesus, der sich seiner besonderen Beziehung zu Gott bewusst zu sein scheint.
Die Reaktion der Eltern und das weitere Leben Jesu
Lukas 2,50: „Und sie, das sind die Eltern, verstanden das Wort nicht, das er zu ihnen redete.“
Das ist irgendwie schade, aber auch verständlich. Vielleicht liegt es daran, dass Jesus über zehn Jahre einfach nur ihr Kind war. Sie hatten seine Windeln gewechselt und ihm das Sprechen beigebracht. Sie hatten gesehen, wie er lesen lernte und ein Handwerk erlernte. Für sie war er mehr ihr Sohn als der Sohn Gottes.
So heißt es dann am Ende von Lukas 2, die Verse 51 und 52: „Und er ging mit ihnen hinab und kam nach Nazareth. Dort war er ihnen untertan. Seine Mutter bewahrte alle diese Worte in ihrem Herzen. Und Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gunst bei Gott und den Menschen.“
Abschlussgedanken: Jesu Vorbild und persönliche Reflexion
Zwei letzte Gedanken
Im Gegensatz zu dem aufmüpfigen Kind, wie es in außerbiblischen Berichten über die Kindheit Jesu dargestellt wird, heißt es hier, dass Jesus seinen Eltern untertan war. „Ihr Kinder, gehorcht euren Eltern im Herrn, denn das ist recht“, schreibt der Apostel Paulus. Der Herr Jesus ist darin tatsächlich allen Kindern ein Vorbild.
Dann heißt es weiter: Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gunst bei Gott und Menschen. Lukas lässt uns einen Blick in seine Kindheit werfen, der zeigt, wie früh er sich seiner besonderen Beziehung zu Gott bewusst war. Gleichzeitig ist dieser Punkt der Erkenntnis nicht der Endpunkt, sondern Teil einer Entwicklung.
Der Herr Jesus musste älter werden, an Weisheit zunehmen und den Umgang mit Gott und den Menschen erlernen. Er ist wirklich ganz Mensch und gibt uns mit seinem Leben deshalb ein Vorbild.
Was könnte man jetzt tun? Man könnte darüber nachdenken, welche Persönlichkeit man hat. Wann und wie ist man sich seiner Einzigartigkeit bewusst geworden?
Das war es für heute. Falls man in puncto Gottesdienstbesuch immer noch Konsument ist oder ihn nicht so ernst nimmt, könnte man das ändern.
Der Herr segne dich, erfahre seine Gnade und lebe in seinem Frieden. Amen.
