Einführung in die rettende Gnade Gottes
Unser Predigttext steht im Titusbrief. Wenn Sie jetzt in den ausgelegten Bibeln nachschlagen, finden Sie ihn im Neuen Testament auf Seite 227, Titus 2,11-14.
Denn es ist erschienen, sagt Paulus im Rahmen seiner Ermahnungen und konkreten Ratschläge für ein christliches Verhalten im Alltag: die rettende Gnade Gottes für alle Menschen. Sie will uns dazu erziehen – hier merkt man den Einfluss der modernen Pädagogik. Früher hieß es: Sie nimmt uns in Zucht. Das will heute niemand mehr hören, aber vielleicht ist es bei uns Christen manchmal ganz nötig, dass man uns ein Zaumzeug ins Maul legt und uns bremst.
Die Gnade Gottes will uns dazu erziehen, dem Leben ohne Gott und den weltlichen Begierden abzusagen. Stattdessen sollen wir besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt leben. Dabei warten wir auf die Erfüllung der seligmachenden Hoffnung: das Erscheinen der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilandes Jesus Christus.
Jesus hat sich selbst für uns dahingegeben, um uns von aller Ungerechtigkeit zu erlösen. Er will sich ein reines Volk als sein Eigentum schaffen, das bemüht ist, gute Werke zu tun.
Eine bewegende Liebesgeschichte als Gleichnis
Liebe Gemeinde,
ich möchte Ihnen zuerst eine Liebesgeschichte erzählen. Die schönste Liebesgeschichte haben Sie hoffentlich selbst erlebt oder erleben Sie gerade. Meine Geschichte ist eine traurige Liebesgeschichte.
Sie spielte irgendwo im großen deutschen Osten. Dort war ein junger, lediger Pfarrer in das damals riesige Pfarrhaus eingezogen. Wenn er allein über die knarrenden Böden ging, dachte er: „Das stimmt, was in der Bibel steht. Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei.“ In seinen Gedanken war immer wieder ein Gesicht, das er nicht vergessen konnte – das einer jungen Frau. Doch er wagte nicht, auf sie zuzugehen. Sie stammte aus einer Adelsfamilie.
Aber manchmal, wenn die Liebe stark drängt, nimmt man sich ein Herz. So schrieb er einen Brief, sauber und schön. Darin sagte er, er wolle sie nicht weiter belästigen. Er habe über diese Sache gebetet und wenn es sein soll, werde sie ihm antworten. Wenn er aber nichts von ihr höre, wolle er dies als Zeichen nehmen und unverheiratet durchs Leben gehen.
Gerade als er den Brief fertig geschrieben hatte, klingelte es an der Tür. Sein Kollege vom Nachbarort kam vorbei. Sie sprachen ein paar Worte, und der Kollege erzählte, dass er gerade auf dem Weg in die Stadt sei. Der Pfarrer dachte, das sei ein wichtiger Brief, den könne er nicht der Post anvertrauen. Also gab er ihn seinem Kollegen mit, damit dieser ihn mitnehme.
Der Kollege stutzte etwas, als er die Adresse las: Fräulein so und so. Dennoch steckte er den Brief wohlverwahrt in seine Tasche. Nun wartete der verliebte Brautwerber eine Woche lang auf eine Antwort. Jeden Morgen, wenn der Briefträger kam, war keine Antwort da. Er wollte noch eine zweite Woche warten, dann eine dritte. Nach Monaten gab er sich geschlagen und dachte: „Nun hat es Gott so gefügt, es hat nicht sein sollen. Ich muss ledig bleiben.“ Das fiel ihm sehr schwer.
Jetzt ahnen Sie vielleicht, wie die Geschichte weitergeht. Achtzehn Jahre später hatte die Frau des Kollegen oben auf dem Speicher unter den alten Anzügen aufgeräumt, wie man so sagt. Plötzlich hörte sie ein Knistern in einem alten Gehrock. Sie zog einen Brief heraus – an das Fräulein, an das die ganze Geschichte gerichtet war. Der Brief steckte in der Tasche ihres Mannes.
„Ach so, das ist ja gar nicht seine Schrift“, sagte sie. „Was tut der Brief in deiner Tasche?“ Da fiel es ihm ein: Er hatte ihn hinten in die Tasche des alten Gehrrocks gesteckt.
Die Geschichte ist so gruselig, grausam und zynisch, weil sie doch mit einem Happy End endet. So erzählt man sie einer Caterpille, dass sie sich nach 18 Jahren noch gefunden haben. Das finde ich das Schlimme an der Geschichte, denn ich finde es so gemein.
Die zerstörerische Kraft menschlicher Nachlässigkeit
Wissen Sie nicht, dass ein Mensch durch seine Nachlässigkeit das Leben anderer zerstören kann? Wir sagen so gern bei unseren menschlichen Schwächen: „Das ist eben eine mir angeborene Wesensart, dafür kann ich nichts, ich bin nun mal so.“ Und genau das entschuldigen wir so gerne und meinen, das sei nicht schlimm.
Doch die kleinen Versäumnisse unseres Lebens wirken oft sehr belastend auf die Menschen, die um uns herum leben. Es gibt viele Menschen auf der Welt, die eine große, heimliche Sehnsucht nach Jesus haben. Dennoch werden sie von dem abgestoßen, was sie an uns Christen sehen – an den vielen kleinen Schwächen. Sie denken: „Denen kann man nicht vertrauen. Dem Wort kann man nicht glauben.“ Das ist so schwer zu ertragen, dass unser christliches Leben so wenig vom neuen Leben mit Jesus zeigt.
Lassen Sie mich zuerst dazu sprechen: Wir sind oft so harmlos, wenn wir evangelisieren oder heute Nachmittag wieder auf die Straße gehen und predigen. Die Menschen sind gar nicht so ungeschickt. Sie achten nicht nur auf die Worte, sondern oft viel mehr auf das Leben. Sie fragen sich: „Was ist da los bei dem?“ Und dann spüren sie, dass es bei uns eine große Lüge gibt.
Wir reden große Worte, leben aber selbst so wenig von dem neuen Leben. Wir handeln ganz anders, als wir sprechen. Das empfinden die Menschen, die nicht bei Gott sind, viel klarer als wir selbst. Sie sagen, wir seien verlogene Pharisäer, täuschende Leute, Betrüger – gerade weil sie die Dissonanz zwischen Wort und Tat so deutlich sehen.
Die Gefahr der kleinen Schwachstellen im Glaubensleben
Vor vielen Jahren, als wir im Schwarzwald unser neues Pfarrhaus bezogen hatten, fuhren wir einmal in den Urlaub. Das ist ja immer eine besondere Situation. Die, die es jetzt noch vor sich haben, wissen, dass es ein kleiner Stress ist, bis man alles zum Schluss erledigt hat.
An was muss man noch alles denken? Wasserhähne schließen, Schlauch bei der Waschmaschine abschalten, dann jemandem den Schlüssel bringen, der die Blumen gießt, die Haustür fest verschließen, damit kein ungebetener Gast hereinkommt. Alles war tipptopp fertig. Man kann ja neurotisch werden bei dem Geschäft, bis alles erledigt ist.
Endlich fuhren wir los. Es war wunderschön, und wir freuten uns auf die Urlaubstage. Doch schon zwei Tage später rief die Polizei an: Bei uns war eingebrochen worden. An eins hatten wir gar nicht gedacht: Da waren Fenster in der Waschküche, durch die der Schlauch in den Garten hinausging. Das musste man offen lassen. Der Architekt und der Glaser sagten, das sei einbruchssicher.
Wir dachten nicht, dass die schlauen Burschen vom Einbruch das mit einem Handgriff öffnen und einsteigen würden. Wir waren so harmlos und haben nicht daran gedacht, dass jemand ums Haus herumschleicht. Dann war eine Verwüstung da, wie ich sie noch nie gesehen hatte: Jedes Einmachglas zerbrochen, jede Tüte in der Küche aufgerissen. Aus lauter Ärger, dass man bei uns keine Wertsachen fand, entstand ein schreckliches Chaos.
Seitdem habe ich mir zur Regel gemacht, auf die kleinen Einfallstüren aufzupassen, denn das ist riskant. Dort ist der Einstieg möglich.
Die vielen Christen, die von Jesus abgefallen sind, sind nicht abgefallen, weil sie sich offen gegen Jesus erklärt hätten. Wenn man sich umschaut, wie viele uns verlassen haben, und sie fragt: „Wir haben Interesse an Jesus, wir wollen ihm gehören wie eh und je, warum ist euer Glaubensleben erlahmt?“ – dann erkennt man die Ursache.
Der Teufel geht umher wie ein brüllender Löwe. Er sucht in einem Leben, das Jesus gehört, einen Spalt, wo er eindringen kann. Das ist oft ein Stück unseres ungeheiligten Lebens: ein Streit, Missgunst, Unreinigkeit. Dann werden wir besetzt von einer unheimlichen Macht, die uns sofort aus der Bahn werfen kann.
Das ist die grausame Lebensgeschichte, die sich dauernd ereignet. Wir haben diese Gebiete immer auf die Seite geschoben und gesagt: „Da sind wir noch nicht so weit mit der Heiligung, das nehmen wir noch nicht jetzt so ernst, das wird schon irgendwie werden.“
Der Teufel wartet nur darauf, wenn er irgendwo einen Spalt erwischt, wo er in unser Leben eindringen kann. Mit einer unheimlichen Kraft nimmt er Besitz von uns und verwüstet unser Leben.
Warnende Beispiele aus der Bibel
In der Bibel finden sich viele Beispiele großer Menschen, die im Glauben weit größer waren als wir heute. Besonders denke ich immer wieder an Esau. Gott hatte ihm eine außergewöhnliche Körperkraft gegeben. Er war ein Jäger, der draußen lebte. Dieses Leben war wie ein Überlebenstraining, ähnlich dem der Wyckliff. Diese müssen im Freien schlafen, sich im Urwald versorgen und sogar Meerschweinchen braten. Genau so ein Leben lag Esau am Herzen. Er war ein robuster, behaarter Bursche, der genau das Richtige für ihn war.
Doch Esau hatte auch einen ungezügelten Appetit. Ich esse auch gerne, doch sein Appetit war maßlos. Für diesen Appetit gab er sein Erstgeburtsrecht her, an dem der Segen Gottes hing. Für eine einfache Nudelsuppe hätte ich es noch verstanden, vielleicht auch für eine Erbsensuppe – ich bin Schwabe, das können Sie sicher nachvollziehen. Aber er gab es einfach her, nur wegen des Essens. In diesem Augenblick war ihm das Erstgeburtsrecht völlig egal, und sein Leben konnte von Gott nicht mehr gesegnet werden.
Sind wir selbst so genau oder so harmlos? Unter den ersten Christen gab es nicht nur Menschen, die uns heute als vorbildlich erscheinen. Da waren auch Ananias und Saphira. Sie waren nicht böse, aber eitel. Sie täuschten die Gemeinde, und das war der Grund, warum Gott sie aus der Gemeinde auslöschte.
Auch Simson ist ein Beispiel. Er war von Gott dazu bestimmt, Heiland zu sein – ein Retter des Volkes Israel in der Bedrängnis. Doch Simson hatte eine merkwürdige Veranlagung, die vererbt war. Wenn er ein Mädchen sah, konnte er sich nicht mehr beherrschen. Eine Gier ergriff ihn, die er nicht unter Kontrolle des Geistes Gottes bringen konnte.
So sehen wir diesen Mann, der eigentlich ein Werkzeug Gottes sein sollte, plötzlich willenlos im Schoß seiner Frau liegen. Dadurch wurde seine ganze Sendung zerstört.
Die Bedeutung der Zucht im christlichen Leben
Wenn Paulus dem jungen Mitarbeiter Titus das Wort der Zucht nahelegt, dann ist ihm eines besonders wichtig: Unser Leben soll brauchbar werden für Gott. Wir sollen Diener Gottes sein – nicht nur mit Worten, die viel Lärm machen, sondern mit unserem Leben und all den Gaben, die er uns geschenkt hat.
Doch wie gehen wir mit unseren Schwachstellen um? Das ist mein zweiter Punkt.
Wir alle machen im Christenleben denselben Fehler: Sobald wir unsere Schwachstellen erkennen, setzen wir automatisch unser ganzes Vertrauen auf unseren energischen Willen. Wir nehmen die Peitsche in die Hand und sagen: „Jetzt muss sich in meinem Leben etwas ändern.“
Ich weiß, dass viele, treu wie sie sind, sofort umschalten und sagen: „Jetzt sehe ich wieder meine Schwächen vor mir, ich will nach Hause gehen und das verbissen abstellen.“ Doch so rennen sie nur ins Unglück.
Mit ihrem Willen können sie viel erreichen – vielleicht gute Schulzeugnisse erringen oder eine gute Stellung im Beruf erlangen. Aber mit ihrer Energie und Willenskraft können sie nicht gegen die dunklen Kräfte in ihrem Leben ankämpfen. Ihr Wille reicht nicht aus, sie sind viel zu schwach dafür. Also lassen sie das!
Deshalb bin ich auch froh, dass in diesem neuen Luthertext nicht mehr das Wort von der Zucht steht. Bei Zucht denke ich immer an Zuchthaus. Das ist ein unheimlicher Gedanke, als ob Gott uns ins Zuchthaus nehmen würde oder als ob er die Peitsche schwingen würde. Das passt absolut nicht.
Kritik an modernen Vorstellungen von Leistung und Disziplin
Ich mag es überhaupt nicht, wenn heute für das Christenleben Beispiele aus dem Sport herangezogen werden. Haben Sie letzte Nacht die Übertragung der Eröffnungsfeier gesehen? Hoffentlich nicht. Es war zwar ganz interessant, ich bin um halb fünf wach geworden und habe ein Stück davon angesehen. Aber dann habe ich es wieder abgeschaltet, denn es war nicht wirklich der Rede wert.
Wenn man sich den modernen Sport anschaut, vor allem in den nächsten Tagen bei der Olympiade, dann hat das mit Sport kaum noch etwas zu tun. Es ist eher eine Art Menschenschinderei. Da möchte ich lieber in einer Hühnerlegfabrik arbeiten, als so ein hochgezüchteter Sportler zu sein. Diese Athleten bekommen Spezialfutter und absolvieren sechs bis acht Stunden Krafttraining am Tag. Schon die zwölfjährigen Mädchen werden an das Reck gestellt und ihre zierlichen Körper werden so trainiert, bis sie Bandscheibenschäden haben und ihr Leben lang auf Krücken angewiesen sind.
Das ist Hochleistungssport, ein Training, bei dem wirklich etwas gefordert wird. Vor kurzem hat der Vater einer Radsportlerin aus Stuttgart im Fernsehen gesagt, dass im Sport nur jemand Erfolg hat, wenn er „Biss“ hat. Der Reporter fragte, was „Biss“ bedeutet. Er antwortete: Wenn jemand bis an den Punkt kommt, an dem er nicht mehr weiterkann, und dann trotzdem noch weitermacht, dann leistet er etwas, das über das hinausgeht, was normalerweise möglich ist. Ohne diesen „Biss“ braucht man gar nicht erst anzutreten.
Wenn das das Christenleben ist, dann kann ich aufhören. Und dann können Sie aufhören. Jesus aber ist auf die Schwachen und Müden zugegangen. Wir sollten das Beispiel vom Sport, vom Laufen auf der Rennbahn, nicht zu oft verwenden, denn sonst entsteht ein Missverständnis. Jesus hat die Müden gerufen und gestärkt.
Die Zucht Gottes als liebevolle Veredelung
Und was ist dann mit der Zucht?
Stellen Sie sich einmal einen Gärtner vor. Er steht vor einem wilden Busch und veredelt ihn. Mit Geduld und Liebe züchtet er daraus einen wunderbaren Rosenbusch. Er nimmt das Messer zur Hand und schneidet einige wilde Triebe ab.
Jetzt wissen es die Hobbygärtner unter uns besser. Ich möchte es nicht weiter ausführen, sonst mache ich es vielleicht falsch. Ich habe keinen Garten mehr, aber Sie wissen, wie man das macht: die Veredelung, wie man daraus eine schöne Blume züchtet. Genau das ist gemeint.
Nun muss ich es Ihnen sagen: Die Gnade Gottes nimmt uns in diese Zucht. Wie wird ein Leben neu? Jesus hat es selbst in einem Beispiel dargestellt, das man nicht besser ausdrücken kann. Der zerlumpte Sohn kehrt aus der Ferne heim. Als er das Vaterhaus sieht, stürzt der Vater ihm entgegen und nimmt ihn in die Arme.
Wenn Sie Schwachstellen in Ihrem Leben haben, geben Sie bitte niemals den Rat an andere weiter. Es gibt so viele unbarmherzige Christen, die andere zurechtweisen und sagen: „Jetzt musst du dagegen kämpfen, jetzt musst du wollen, jetzt musst du ganz fest dahinter sein.“ Nein! Werfen Sie sich mit Ihrer Unreinheit in die Arme Jesu. Legen Sie ihm zu Füßen Ihre Schwäche, Ihre Untreue, Ihre Unpünktlichkeit. Legen Sie Jesus alles hin!
Die Gnade Gottes nimmt uns in Zucht – diese unbegreifliche Liebe, wie der Vater den zerlumpten Sohn in die Arme nimmt, ihm ein neues Kleid anzieht, ihn an den frisch gedeckten Tisch setzt, ihn bewirtet und sagt: „So, jetzt iss und trink, jetzt kommt Neues.“
Die Herausforderung eines reinen Lebens im Alltag
Ach, es ist in unserem Leben oft so schlimm, dass immer wieder Dinge Raum gewinnen, die vor Gott nicht recht sind. Im Christenleben gibt es eine Fülle von Dingen, mit denen wir den Namen Jesu lästern und in unserer Umgebung einen schlechten Eindruck hinterlassen. Für viele andere stellen wir so einen schlechten Geruch dar.
Umso mehr sind wir dankbar, dass in unserer Jahreslosung steht: Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht. Auch nicht, dass wir heute hier sitzen und sagen: „Oh, wie werde ich mit meinem Christenleben durchhalten können, wo ich doch so eine schwache Persönlichkeit bin und mein Wille immer wieder so leicht umgeworfen wird?“
Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Zucht. Er will uns mit seinem Geist erfüllen und unser Leben so in Besitz nehmen, dass Neues geschehen kann.
Wie war das, als dieser zerlumpte Sohn zu Hause beim Vater saß? Musste ihm der Vater nicht doch eine Gardinenpredigt halten und sagen: „Du, jetzt muss ich dir mal sagen, wie die Sitten bei uns zu Hause sind“? Ich meine, immer wieder wissen Christen gar nicht mehr, was Gnade heißt.
Ein persönliches Erlebnis als Beispiel für Gnade
Als ich meinen Führerschein frisch gemacht hatte, nahm ich eines Tages den VW mit zur Schule. Die Lehrer brauchten das Auto für einen Transport und fragten mich. Ich war sehr stolz, denn wir hatten damals zu Hause einen Käfer – genau dieses Auto nahm ich mit. Meine Eltern hatten sicher nur schwer ein herzensgutes Ja dazu gesagt.
Als ich losfuhr, schaute die ganze Klasse zu. Ich legte den Rückwärtsgang ein, und Sie ahnen es schon: Hinter mir stand ein kleines Pösschen. Durch das kleine Fenster des VW-Käfers sah man das Pösschen nicht. Das Ergebnis war ein zerstörtes Auto, als ich nach Hause kam.
Das wäre alles nicht schlimm gewesen, wenn ich das nötige Kleingeld für die Reparatur gehabt hätte. Dann hätte ich es eben reparieren lassen müssen. Ich musste meinen Eltern davon erzählen und sie um Vergebung bitten. Vergessen Sie nicht, wie schwer mir das damals fiel. Ich dachte, meine Eltern könnten sich auf mich verlassen. Doch sie konnten es nicht.
Aber es war beeindruckend, wie die Eltern den Schaden bezahlt haben. Ich glaube, das hat mir mehr beigebracht, sorgfältig zu fahren, als sechs Fahrschulen nacheinander. Es war eine Erfahrung, die mir gezeigt hat, wie Güte aussieht – und diese möchte ich nicht enttäuschen.
Die Kraft der Liebe Jesu zur Veränderung
In unserem Leben gibt es keine Kraft, die uns verändern kann, außer dem neuen Erleben der Liebe Jesu. Diese Liebe nimmt uns in Zucht, damit wir das gottlose Wesen verleugnen. Wir sollen einen klaren Schnitt machen zwischen den Praktiken der Sünde und dem, was Jesus in unserem Leben will.
Wenn ich jetzt daran denke, wie viele von Ihnen in einem merkwürdigen Hin und Hergerissen sein leben müssen, dann möchte ich sagen: Lassen Sie sich hinreißen, damit Sie endlich mit Ihrem Leben brauchbar werden für den Dienst Jesu!
Ergötzen Sie sich heute nicht nur an der Aussendung einer Missionarin. Vielmehr sollen Sie selbst ein Werkzeug Gottes sein! Gott will Sie brauchbar machen.
Denken Sie dabei nicht an große Dinge, denken Sie jetzt nicht an die Molukken! Denken Sie an Stuttgart, an Ihren Arbeitsplatz und an Ihre Familie. Was hat Gott dort noch vor? Was will er durch Sie wirken?
Er braucht Menschen, die er ganz mit seinem Geist erfüllt und heiligt. Das will er bei Ihnen tun.
Die Kraft Gottes im Vergleich zur Naturgewalt
Ich bin einmal mit meiner Frau durch die Trümmer von Pompeji gewandert. Das ist eine beeindruckende Stadt, wie man sie wieder ausgegraben hat, nachdem die Asche des Vesuvs über sie gefallen war. In kurzer Zeit erstickte das ganze Leben dort.
Besonders interessant fand ich, wie der Führer erklärte, dass der Vesuv früher ein viel höherer Berg war. Man vermutet, er war fast doppelt so hoch. Man hatte keine Ahnung, welche enorme Energie unter seinem Gipfel lag. Dann entlud sich diese Energie in einem Augenblick.
Für junge Christen ist das oft schwer nachzuvollziehen. Sie sagen: „Ich kann Jesus nicht dienen, ich spüre in mir einen brodelnden Vulkan. Ich habe eine Leidenschaft, ich habe eine Gier.“ Wenn sich diese Leidenschaft in Sünde entlädt, richtet sie großen Schaden an – besonders, wenn man Jesus gehört hat.
Das sind unheimliche Kräfte. Doch wie wunderbar ist es, wenn diese gewaltige Energie unter die Kontrolle Jesu kommt! Wenn Energie in unserer energiearmen Zeit entladen wird, aber unter Kontrolle, dann wirkt sie heilsam für die Welt. So können gute Werke entstehen, wie es heißt: „Damit ihr gute Werke wirken könnt.“
Christus hat sich dahingegeben, damit unser Leben sein Eigentum wird. Er möchte, dass wir bemüht sind, gute Werke zu tun. Dazu braucht er uns – und dazu sendet er uns. Amen.