Aventspost

Konrad Eißler
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Der Bischof von Sardes erhält eine Adventspost, die ihn erbleichen lässt: Du bist tot, lieber Bischof, mitsamt deiner Gemeinde. Diese Post hat ihren Weg als Sendschreiben auf alle Kanzeln weltweit gefunden: Ist unser Glaube frisch und lebendig? Sind wir hellwache Christen? Prüfen wir uns selbst! - Adventspredigt aus der Stiftskirche Stuttgart


Der Slogan der Bundespost: “Schreib mal wieder!” schlägt in der Adventszeit voll durch. Briefträger gehören zu den meist belasteten Berufen in diesen Wochen. Kaum ein Zeitgenosse geht bei der morgendlichen Postbescherung leer aus. Bunte Prospekte kommen, die jedem Leser in eingänglicher Sprache klarmachen, dass es ohne die holzgedrechselte Pfeffermühle und handgemalte Gebirgslandschaft kein fröhliches Weihnachten geben kann. Dicke Kataloge kommen, die jeden Menschen zutiefst verunsichern, der bis dahin meinte, eigentlich wunschlos glücklos zu sein. Tönende Briefkarten kommen, der neueste Hit, die jedem Empfänger sofort mit “Leise rieselt der Schnee” in den Ohren liegen. Dann kommen Weihnachtskarten der Freunde, die unter wechselnden Schneelandschaften mit gleichem Text zum Fest grüßen. Dann kommen Wunschzettel der Patenkinder, die sich in diesem Jahr bescheiden nur ein Zehngangrad und eine Skiausrüstung wünschen. Dann kommen Rundbriefe der Verwandten, die auf 10 Seiten alle 40 Urlaubstage des alten Jahre einzeln Revue passieren lassen. Und dann flattert noch die Ankündigung der Großtante ins Haus, dass sie ihren diesjährigen Weihnachtsbesuch - der letzte steckt noch allen in den Knochen von einer auf drei Wochen auszudehnen gedenke: Freude, Freude über Freude!

Adventspost in allen Variationen, aber keine solche, wie sie der Bischof von Sardes in seinem Posteingang vorgefunden hat. Nachdem er das rote Siegellack aufgebrochen, das schöne Pergamentpapier entfaltet und die wenigen Zeilen überflogen hatte, wurde er bleich im Gesicht. Da schrieb kein kleines Licht, sondern der mit sieben Sternen. Da grüßte kein von allen guten Geistern Verlassener, sondern der die sieben Geister Gottes hat. Da meldet sich kein liebes Besüchlein an, sondern der lebendige Herr selbst zur Stelle: Du bist tot, lieber Bischof, mitsamt deiner Gemeinde. Du hast zwar einen bekannten Namen und eine gute Presse, aber du bist tot. Du bekennst dich zu Gottes Wort und seinen Geboten, aber du bist tot. Du faltest die Hände und beugst die Knie, aber du bist tot. Du feierst schöne Gottesdienste und Bibelstunden, aber du bist tot.

Man kann also religiös funktionieren und doch geistlich tot sein. Man kann also kirchlich operieren und doch geistlich abgestorben sein. Man kann also vor der Gemeinde eine Persönlichkeit sein und doch vor Gott ein Leichnam. Am liebsten hätte der Würdenträger diese Adventspost als Irrläufer wieder in den Auslauf getan. Aber die Adresse mit dem bekannten Namen und dem berühmten Ort war eindeutig. Dann hätte der Purpurträger diese Adventspost gerne “z.d.A.” zu den Akten geschrieben. Aber Mahnschreiben kann man nicht als Geheimschreiben im Archiv verschwinden lassen. Schließlich hätte der Amtsträger dieser Adventspost schnell schriftlich widersprochen. Aber dieser Absender nimmt keine Einsprüche entgegen. So blieb das Mahnschreiben zunächst wie ein Totenschein auf dem Schreibtisch des Bischofs liegen. Dann wanderte es als Visitationsschreiben zu den Kirchenältesten der Gemeinde Sardes. Und von dort nahm es seinen Weg als Sendschreiben auf alle Kanzeln der weltweiten Christenheit.

Deshalb liegt es heute als Prüfschreiben hier. Muss uns kein Totenschein ausgestellt werden? Ist unser Glaube frisch und lebendig? Sind wir hellwache Christen? Prüfen wir uns an den drei Vorwürfen, die den Gemeindegliedern von Sardes und ihrem Bischof gemacht wurden. Ihr seid Christen nur dem Namen nach. Ihr seid Christen nur dem Schein nach. Ihr seid Christen nur der Kartei nach. Namenschristen, Scheinchristen, Karteichristen aber sind tot.

1. Ihr seid Christen nur dem Namen nach

Schaut auf eure Adligen, sagt der ortskundige Schreiber in seiner aufrüttelnden Adventspost. Ihr kennt doch ihren Stammbaum? Der geht zurück auf den bedeutendsten König von Sardes, nämlich König Krösus. Menschen aus aller Welt strömten herbei, um vor ihm auf die Füße zu fallen. Selbst eine Persönlichkeit wie der hochbegabte Solon aus Griechenland ließ es sich nicht nehmen, diese Krone mit einem Besuch zu ehren. Die Adligen haben einen Krösus-Stammbaum.

Dann kennt ihr doch ihr Stammwappen? Das Goldzeichen leuchtet vom Gipfel des Tmolusgebirges. Der sagenhafte Reichtum ist sprichwörtlich geworden. Die Adligen haben ein Goldwappen.

Und dann kennt ihr doch ihr Stammhaus? Das alte Gemäuer ist zwar vom Erdbeben zerstört worden. Der Neubau jedoch hat wieder Mittelpunktsfunktion. Die Adligen haben ein Zentralgebäude.

Was für eine Vergangenheit, aber was für eine Gegenwart? Der Krösus, ist nur noch eine nette Legende. Das Goldzeichen ist nur noch eine hübsche Dekoration. Das Haus ist nur noch ein interessantes Museum. Der alte Geist ist längst ausgezogen. Sie haben den richtigen Stammbaum, sie haben das richtige Stammwappen, sie haben das richtige Stammhaus, aber sie sind richtig degeneriert. Adlige nur dem Namen nach.

So gibt es Christen nur dem Namen nach, in Sardes und in Stuttgart auch? Unser Stammbaum geht auf den bedeutendsten König aller Könige, nämlich Jesus von Nazareth, zurück. Unser Wappen ist das strahlende Kreuz vom Gipfel des Golgathaberges. Unser Haus ist die Zentralkirche des ganzen Landes. Was für eine Vergangenheit, aber was für eine Gegenwart? Der Christus verkommt zu einer netten Weihnachtslegende. Das Kreuzzeichen entwertet zum jugendlichen Modeschmuck. Die Stiftskirche wird vielen zum Stadtmuseum. Der Heilige Geist scheint dem Irrgeist und Zeitgeist und Ungeist Platz zu machen. Gläubige mit richtigem Stammbaum, mit richtigem Wappen, mit richtigem Haus, aber richtig degeneriert. Christen nur dem Namen nach.

Genau die aber werden hier angerufen: Kehrt um zu Jesus, dem Christus! Kehrt um zu Jesus, dem Sohn Gottes! Kehrt zum zu Jesus Christus, dem König des Advents! Er kennt jede beim Namen. Auch den, der keinen großen Namen hat. Er ruft jeden beim Namen, auch den, der selten oder gar nie angerufen wird. Er behält jeden Namen, auch den, der so schnell wieder vergessen wird. Denke an sein Wort: Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.

Kehrt um zu Jesus Christus, dem Mann am Kreuz. Er kennt jeden in seiner Sünde, auch den, der es verdrängen will. Er ruft jeden mit seiner Sünde, auch den, der eine weiße Weste vorgibt. Er will jedem vergeben, auch dem, dem kein Mensch mehr vergeben kann, Denkt an sein Wort: “Wenn deine Sünde blutrot wäre, so soll sie doch schneeweiß werden.”

Kehrt um zu Jesus Christus, dem Herrn der Kirche! Er kennt jeden unter seiner Last, auch den, der darunter zusammenbricht. Er ruft jeden mit seiner Last, auch den, der jede Hoffnung aufgegeben hat. Er will Lasten abnehmen und tragen. Denkt an sein Wort: “All eure Sorgen werfet auf ihn, denn er sorgt für euch!” All ihr Namenschristen, kehrt um!

2. Ihr seid Christen nur dem Schein nach

Schaut auf eure Soldaten, fährt der informierte Schreiber in seiner unbequemen Adventspost fort. Ihr kennt doch ihren Wachturm? Der verbaut den steilen und schwierigen Aufstieg zur Stadt auf dem 500 m hohen Gebirgsausläufer. Dann kennt ihr doch ihre Wachhäuschen? Die stehen an den vielen Rissen und Spalten des mächtigen Vorgebirges. Und dann kennt ihr doch ihre Wachuniformen? Die glitzern im Strahl der Sonne oder im Licht der Lagerfeuer. Was für ein Schein, aber was für ein Sein? Bei der Belagerung durch feindliche Truppen, und so berichtet es der Geschichtsschreiber Herodot, gelingt es dem mutigen Hyerodes, die Felsspalte zu durchklettern. Oben angelangt stellt er fest, dass die ganze Wachmannschaft schläft. So wird das uneinnehmbare Sardes eingenommen. Sie haben den richtigen Wachturm, sie haben die richtigen Wachhäuschen, sie haben die richtigen Uniformen, aber sie sind richtig eingeschlafen. Wachsoldaten nur dem Schein nach.

So gibt es Christen nur dem Schein nach, in Sardes und in Stuttgart auch? Unsere Bibel schreibt: Der Herr ist nahe. Unser Glaubensbekenntnis sagt: “Von dannen er wiederkommen wird”. Unser Gesangbuch singt: “Bald wird erscheinen Gottes Sohn.” Was für ein Schein, aber was für ein Sein? Viele Christen sind eingeschlafene Wachposten. Sie haben die richtige Bibel, die haben das richtige Bekenntnis, die haben das richtige Gesangbuch, aber sie sind richtig eingeschlafen. Sie merken gar nicht, wie der Teufel selbst den Sandmann spielt, um uns träumen zu lassen. Er hat ein brennendes Interesse daran, dass wir nicht auf dem Posten sind. Er legt es drauf an, dass wir von Vorgängen im Reich Gottes nichts mitbekommen. Er hat bei frommen Siebenschläfern leichtes Spiel. Schlafende Wachposten sind gesuchte Vorposten der Hölle. Deshalb bei Glühwein, Zimtstern und Glocken, die süßer nie klingen: “Schlaf in himmlischer Ruh!” Christen nur dem Schein nach.

Genau die aber werden hier angerufen: Wach auf! Gott will keine Träumer. Wach auf! Christen sind keine Schlafmützen. Wach auf! Das Reich Gottes verträgt keine Morgenmuffel. Christen müssen aufstehen, wenn sie ihre Pflicht nicht versäumen wollen. Abraham stand auf, und verließ seine Heimatstadt Ur. Israel stand auf und zog durch die Wüste. Jesaja stand auf und warnte sein Volk. Johannes stand auf und bereitete den Weg des Herrn. Die Jünger standen auf und bezogen Posten. Es ist an uns, alle warmen Nester zu verlassen und dem zur Hand zu gehen, der unsere Hilfe braucht. Geschlagene sind unter uns, die nicht weiterwissen. Schwermütige sind unter uns, die im Tief stecken. Arbeitslose sind unter uns, die keine Stelle haben. Verängstigte sind unter uns, die nicht an Morgen denken können. Wach auf und stärk das andere, das sterben will! Wer einnickt oder gar die Decke über die Ohren zieht, hat seine Lebensaufgabe verschlafen. All ihr Scheinchristen wacht auf!

3. Ihr seid Christen nur der Kartei nach

Schaut auf eure Bürger, fügt der bohrende Schreiber in seiner unerwarteten Adventspost an. Ihr kennt doch ihre Meldeliste? Die Bürokratie in Sardes ist perfekt. Ihr kennt doch ihre Steuerliste? Die Verträge geben einen ganz schönen Batzen. Ihr kennt doch ihre Honoratiorenliste? In Wachs eingedrückt lagert sie im Gouverneurspalast. Was für eine Kartei, aber was für eine Partei? Die meisten leben gar nicht in Sardes. Sie wohnen und arbeiten in Philadelphia oder Pergamon. Aber Bürger von Sardes zu sein ist “in”. Es gehört sich einfach, diesem erlauchten Kreis anzugehören. Dafür lässt man etwas springen. Sie haben die richtige Anmeldung, sie haben die richtige Steuernummer, die haben den richtigen Listenplatz, aber sie sind richtig fremd. Bürger nur der Kartei nach.

So gibt es Christen nur der Kartei nach, in Sardes oder in Stuttgart auch? Viele leben gar nicht in der christlichen Gemeinde. Sie haben ihren Kopf und ihr Herz ganz woanders. Aber Mitglied der Kirche zu sein ist “in”. Es gehört sich einfach, einer Konfession anzugehören. Dafür zahlt man auch seinen Obulus. Wieviele haben die richtige Taufbescheinigung, die richtige Mitgliedschaft, die richtige Steuernummer, aber sie sind richtig fremd? Christen nur der Kartei nach. Genau die aber werden hier angerufen: Hört her! Gott kennt keine Wachsplatten, die unter Hitze verlaufen. Hört her! Gott kennt keine Steuerlisten, die dauernd verändert werden. Hört her! Gott kennt überhaupt keine Namensregister, weder auf Papier noch auf Tonträger, die wir angelegt haben. Spätestens beim letzten Advent sind sie alle gelöscht. Er hat ein Buch des Lebens, in dem nicht die Mitglieder einer Kirche, sondern die Glieder seines Leibes verzeichnet sind. Und das sind die, die auf seinen Namen getauft, zu seinem Namen bekehrt, durch seinen Namen befreit und in seinem Namen geborgen sind. Denn wenn ich dort mit dem Blut des Sohnes eingetragen bin, gehöre ich ihm für Zeit und Ewigkeit. Dann mögen sie mich ganz unten auf die Warteliste für Studienplätze setzen, dann mögen sie mich ganz oben auf der Abschussliste im Betrieb schreiben, dann mögen sie mich ganz neu in die Krankenliste des Hospitals aufnehmen, ja, dann mögen sie mich sogar im Totenregister eintragen, wenn ich im Buch des Lebens stehe, falle ich nie, denn “Jesus lebt, mit ihm auch ich, Tod, wo sind nun deine Schrecken? Er, er wird auch mich, von den Toten auferwecken.” All ihr Karteichristen, all ihr Scheinchristen, all ihr Namenschristen, all ihr Christen hört! Diese Adventspost kann jedem zum Leben helfen.

Amen


[Predigtmanuskript; nicht wortidentisch mit der Aufnahme]