Der Predigttext für den heutigen Sonntag in Vokavi, dem ersten Sonntag der Passionszeit, ist Matthäus 4,1-11. Es handelt sich um die Versuchung Jesu.
Die Versuchung Jesu in der Wüste
Dann wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, um vom Teufel versucht zu werden.
Nachdem er 40 Tage und 40 Nächte gefastet hatte, war er hungrig. Da trat der Versucher zu Jesus und sagte: „Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden.“
Er aber antwortete: „Es steht geschrieben: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt.“
Daraufhin führte ihn der Teufel mit sich in die Heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels. Er sagte zu ihm: „Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hin, denn es steht geschrieben: ‚Er wird seinen Engeln deinetwegen Befehl geben, und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du mit deinem Fuß nicht an einen Stein stößt.‘“
Jesus antwortete ihm: „Es steht auch geschrieben: Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.“
Dann führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit. Jesus hat die Schönheit der Welt ganz bestimmt auch empfunden – die Kultur, die Kunst und all das, was diese Welt an Schönem bieten kann.
Der Teufel sagte zu ihm: „Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest.“
Jesus antwortete: „Weg mit dir, Satan! Denn es steht geschrieben: Du sollst den Herrn, deinen Gott, anbeten und ihm allein dienen.“
Da verließ ihn der Teufel, und siehe, Engel traten zu ihm und dienten ihm.
Eröffne uns durch dein Wort die Augen, damit wir erkennen und verstehen, was du uns sagen willst. Amen.
Die Realität des Teufels in der modernen Welt
Da schlagen wir heute Morgen die Bibel auf und lesen plötzlich vom Teufel. Jetzt Hand aufs Herz: Wie ist das in unserer aufgeklärten Zeit? Glaubt der moderne Mensch noch, dass es einen Teufel gibt? Dass es ein Kasperletheater, die Großmutter vom Teufel, noch gibt und man den Kindern schon hier die Harmlosigkeit nimmt, das ist klar.
Aber wenn wir miteinander reden, haben wir manchmal auch eine Scheu, ganz unbefangen von dieser Macht des Bösen zu sprechen. Dass wir oft Menschen als unheimlich und dunkel empfinden, das kommt heute sehr oft vor, auch in den großen Spannungen unserer Welt.
Ich finde es immer noch großartig, dass uns die Bibel diese wichtige Offenbarung gibt: Es gibt einen Teufel, den Satan. Darum haben wir nie das Recht, über einen Menschen das Urteil zu fällen, weil wir immer noch wissen, wie unheimlich auch die Verbrechen oder das Böse sind, das jemand tut. Der Mensch könnte noch unterschieden werden. Da könnte eine Befreiung geschehen. Einer könnte heraustreten aus diesen Bindungen des Bösen.
Gerade in unserer Zeit, die oft so gerne wieder im Frontdenken schwarz-weiß malt, wo man die Vernichter der Welt und die Bösen anprangert, die Krieg führen, und so schnell mit dem Finger darauf zeigt – ich finde es gut, dass die Bibel uns das zeigt: Nein, das ist die Macht des Bösen, die Menschen besetzen kann und mit sich führt.
Die Versuchung als Realität in der Welt und im Alltag
Jetzt ist es wichtig, dass wir diesen neuen Blick auf die Welt auch einmal von hier, von diesem Gottesdienst, mit in den Alltag nehmen. Wenn wir die Welt sehen, in ihrer ganzen Schönheit, der Größe der Welt, der Macht der Welt und den ungeheuren Möglichkeiten. Oder die Welt, die uns manchmal solche Sorgen bereitet, in der Angst, wohin diese Welt wohl läuft.
Kann der Teufel sagen: „Das gehört alles mir“? Hat niemand ihm einzureden, was er lacht und sagt? „Ihr Christen jedoch, weg! Was wollt ihr denn alles? Hört auf mein Kommando!“ Die Menschen, die Herrschenden, nicht nur in der Politik, sondern überall – in den Familien, bei Jugendlichen, in der jungen und alten Generation, in den Fabriken und Büros und auch in den Kirchen.
Meinen Sie, dem Teufel sei nicht Tür und Tor geöffnet? Dass er in ihrem Herzen nicht auftrumpfen und sagen kann: „Ich hab sie alle in meiner Hand, sie tanzen alle nach meiner Pfeife“? So sagt es die Bibel. Und wir sind so schrecklich harmlos. Wir lachen ein bisschen, sagen, wir hätten gar nicht mehr gewusst, dass man heute unter Christen noch vom Teufel reden kann.
Wir sagen, wir spüren da gar nichts mehr. Wir spüren auch keine Versuchungen, keine Auseinandersetzungen, keine Kämpfe und ringen nicht mit dieser Macht. Weil wir so harmlos sind. Gibt es keine Auseinandersetzungen mehr? Ist alles sehr still geworden? Der Teufel kann sich ins Fäustchen lachen und sagen: „Hab’ ich sowieso alle schon in der Tasche.“
Die Präsenz des Teufels in der Geschichte der Menschheit
Das steht nicht nur hier im Evangelium vom Teufel, sondern auch zu Beginn der Menschheitsgeschichte. Als die ersten Menschen diese Welt betraten, lebten sie in einer unmittelbaren Verbindung mit Gott. Diese Verbindung war ohne Bruch und ohne Sünde.
In dem Augenblick trat der Teufel ein, mit dem einzigen Ziel, die Menschen aus dieser engen Verbindung mit Gott herauszubringen. Danach wird es still um den Teufel. Er muss nicht mehr erwähnt werden, weil er von da an alles steuert – bei Kain und Abel und bei den unheimlichen Ereignissen um Noah und die Sintflut.
Plötzlich fragen die Menschen: Wo ist Gott? Ist das Problem der Teufel? Fürchte ich mich nicht? Oder weiß ich gar nicht, ob es Gott gibt, weil wir so weit von ihm entfernt sind?
Dann beginnt Jesus in seiner irdischen Gestalt zu wirken. Er breitet das Reich Gottes in dieser dunklen Welt aus. Es wundert uns daher nicht, dass der Teufel noch einmal mit einem Generalangriff beginnt.
Versuchungen erleben nur Menschen, die ganz nah bei Gott leben und ungebrochen in seinen Geboten stehen. Jesus wird diesen Versuchungen ausgesetzt. Das muss uns sehr erschrecken, wenn wir sagen: „Ich habe gar keine Kämpfe, bei mir gibt es keine Spannungen, bei mir ist alles sehr problemlos.“
Jesus ging in die Versuchungen hinein. Wie hat er gelitten! Die ganze Leidenszeit, die vor uns liegt, können wir auch so verstehen, dass sie von Anfang an die Wirksamkeit Jesu begleitet. So heißt es im Glaubensbekenntnis: „Gelitten unter Pontius Pilatus.“ Jesus hat unter den unheimlichen Angriffen der Finsternis gelitten, bis hinein in jene letzte Nacht vor seiner Hinrichtung in Gethsemane.
Dort betet er: „Vater, du musst mich jetzt hindurchtragen durch diese Dunkelheit.“ Sein fleischliches Denken wollte einen anderen Ausgang. Doch Jesus bittet: „Herr, trage du mich hindurch durch diese Versuchungen. Dein Wille geschehe!“
Wir sind deshalb, so hoffe ich, auch Versuchungen ausgesetzt. Denn der Teufel will uns herausbrechen aus der Nachfolge Jesu und in seinen Machtbereich, in seine Herrschaft überziehen.
Die Tücke der Versuchungen
Jetzt möchte ich Ihnen zuerst zeigen: Versuchungen sind tückisch. Warum sind Versuchungen so tückisch? Wir stellen uns das oft so vor, dass die Bedrohung unseres Glaubens von einem gottlosen Menschen kommen könnte, der uns unter Druck setzt. Oder wir denken, die schlimmste Bedrohung für die christliche Gemeinde käme von tyrannischen Staaten, die die Verkündigung des Evangeliums verbieten. Dann kommt vielleicht ein Polizist und sagt, der Gottesdienst darf nicht mehr stattfinden, die Versammlung wird aufgelöst.
Doch auch das sollten Sie wissen: Die Gemeinde Jesu wurde dadurch noch nie zerstört. Wo wirklich glaubende Menschen sind, da werden sie umso kühner und unerschrockener reden. Aber Jesus hat uns immer wieder davor gewarnt, dass die gefährlichsten Versuchungen aus der Gemeinde Jesu selbst hervorgehen. „Aus eurer Mitte werden solche aufstehen, die verkehrte Lehren reden.“
Warum sollten wir wachsam sein? Als der Teufel mit Jesus redete, hatte er keine groben Worte, sondern benutzte frommen Wortschatz. Er spricht mit Jesus über die Gottes Sohnschaft. Er leugnet sie nicht. Er weiß genau, dass Jesus der Sohn Gottes ist. Doch er stellt eine kleine Frage und sagt: „Ich erinnere dich daran.“ Der Teufel weiß, dass Jesus der Sohn Gottes ist – das ist für ihn völlig klar. Aber er setzt eine Frage in die Welt, die die Menschen in ihr Denken hineinbekommen. Nun fordert er Jesus heraus und sagt: „Bist du Gottes Sohn, dann zeig doch deine Macht!“
Wie schwer muss diese Versuchung für Jesus gewesen sein? Er hat am Unglauben seiner Jünger gelitten. Wäre Jesus ein kleiner Machthaber gewesen, hätte er Feuer vom Himmel regnen lassen können, sodass die Jünger erstarrt wären vor Staunen über seine Majestät. Doch er geht verhüllt in der Knechtsgestalt den Leidensweg, wo sie ihm ins Gesicht spucken, ihn mit Ruten schlagen, die Dornenkrone aufs Haupt setzen und sagen: „Wenn du doch der Sohn Gottes bist, dann steig doch vom Kreuz herunter!“
Was Jesus diese Versuchung durchlitten hat, zeigt doch seine Gottes Sohnschaft. Er hat das für uns getan. Denn wie oft bedrängt uns das? Wenn Jesus mich liebt, dann muss er doch diese Last von meinem Rücken nehmen. Wenn Jesus wirklich bei mir ist, wenn er mich wirklich segnet, dann muss er doch dieses Problem bei meinen Kindern lösen, diese Schwierigkeit im Beruf wegnehmen.
Spüren Sie, wo die Versuchung so tückisch ist? Natürlich kann Jesus Wunder tun, und er tut Wunder. Aber der Versucher will das als Herausforderung haben, an einer Stelle, wo Gott es nicht will. Denn Gott hat es auch bei seiner Gemeinde und bei seinen Jüngern immer wieder so gehalten, dass er uns in seiner Nachfolge durchs Leiden führt.
Früher habe ich mir als junger Mensch auch immer vorgestellt, dass Jesus uns vielleicht alle Tage herrlich und in Freuden leben lässt und uns dann irgendwann im hohen Alter plötzlich hinwegnimmt, ohne dass wir spüren, wie den alten Henoch. Doch Gott hat es anders vorgesehen: Wir sollen ihn bekennen und rühmen, auch unter den Leiden unseres Lebens.
Dann kommen die Versuchungen, die sagen: „Bist du Gottes Sohn? Wenn du an Jesus glaubst, müsste sich das auch in deinem Leben lösen lassen.“ Diese Versuchungen sind heute wirklich bedrohlich. Nehmen Sie nur einmal die Rede vom Brot. Nicht nur, dass das Jesus selbst persönlich berührt hat, sondern das ist längst zu einer Schicksalsfrage der Christen geworden.
Keiner von uns kann unberührt bleiben, wenn er die grässlichen Bilder von hungernden Menschen sieht. Was sollen wir tun? Natürlich tun wir alles, was möglich ist. Aber wir merken, dass wir gar nicht viel können. Unsere Arme reichen nicht weit genug, unsere Hände sind nicht voll genug.
Dann hört man manchmal: Wäre es in einer solchen Zeit des Hungers nicht besser, keine Kirchen mehr zu bauen, sondern das eingesparte Geld zur Linderung des Hungers einzusetzen? Da stellen sich ganz andere Fragen. Man sagt: Die Glaubensdinge sind doch nicht wichtig, zuerst muss der Magen gefüllt sein.
Ja, das ist wichtig, und wir tun es auch. Jesus hatte den Mut, dem Versucher zu sagen: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.“ Dieser Satz hat heute in unserer Zeit eine enorme Sprengkraft. Es ist schlimm, wenn Christen in ihrer Hilfe in der dritten Welt nur Brot allein geben. Denn das kann den Menschen letztlich nicht helfen.
Selbst wenn Hunderte und Tausende in der dritten Welt durch unsere Hilfe zu kleinen Unternehmern werden, so werden sie am Ende doch die gleichen Ausbeuter sein, wenn ihr Herz nicht verwandelt ist und wenn Jesus, der König, ihr Leben nicht verändert.
Darum gibt es auch im Missionsdienst für uns immer nur diese Verbindung. Das ist auch der Grund, warum wir unser kleines Werk geschaffen haben: Hilfe für Brüder, damit das Brot für die Welt ergänzt wird. Damit nicht nur Hilfen für den Leib gegeben werden, sondern auch Kirchen gebaut, Prediger und Evangelisten gefördert werden – zur Ergänzung.
Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.
Die Geduld Gottes in den Tiefen des Lebens
Es ist immer wieder eine Versuchung, zu sagen: „Diese Sache steht bei mir so bedrohlich da, sie bewegt mich sehr stark. Ich leide so sehr an dieser Krankheitsnot oder an diesem großen Problem. Vielleicht betrifft es auch eine Berufsstellung oder etwas, das wir dringend brauchen.“
Doch Jesus hat keine Eile, uns in solchen Momenten ein Wunder zu schenken. Nicht, weil er es nicht könnte, sondern weil er es nicht will, weil es nicht dem Willen des Vaters entspricht in diesem Augenblick. Warum führt er uns durch diese Tiefen? Man muss nur Gott fragen: Er hat einen Plan mit uns. Und denen, die Gott lieben, muss alles zum Besten dienen – auch ein schwerer Weg, den wir gehen.
Ganz ähnlich war es bei der zweiten Versuchung Jesu. Der Teufel führte Jesus hinauf auf die Zinne des Tempels. Sie standen dort oben. Man muss wissen, dass die alte Mauer, wenn man heute an der Klagemauer steht, noch etwa 25 Meter in die Tiefe ging. Es war eine majestätisch hohe Mauer, die wir heute nicht mehr sehen, wenn wir nach Jerusalem pilgern.
Oben auf dieser großen Mauer stand Jesus, und unten liefen die Festpilger. Der Teufel forderte ihn auf: „Mach doch dieses eine tolle Wunder, das auch skeptische Menschen im 20. Jahrhundert noch einmal zu dir hinführt. In den Zeitungen steht, dass du die Leute doch nur mit einem Wunder überzeugen könntest.“
Doch Jesus antwortete: „Weg, Satan!“ Die Gemeinde Jesu wird ihr Wort immer nur sagen können. Das geschieht durch unser kümmerliches Zeugnis, durch unser brüchiges und anstößiges Leben. Zwar geschehen hier und da Wunder, doch die Ungläubigen können dadurch nicht fesselt und fasziniert werden.
Alles andere sind typische Versuchungen: „Lasst doch die Finger davon weg, lasst doch die Finger davon weg!“
Die Schwachstellen des Menschen als Angriffspunkte
Wir versuchen, uns in Versuchungen zu erkennen. Ich möchte jetzt zwischen verschiedenen Arten unterscheiden.
Versuchungen üben einen gefährlichen Druck auf uns aus. Ich weiß nicht, wann sie zuletzt Hunger hatten. Das Gemeine daran ist, dass diese Versuchungen uns an unseren leiblichen Schwachstellen packen können. Jesus hat diese Schwachheiten selbst gefühlt.
Jetzt müssen wir ganz privat und vertraut miteinander weiterreden, unter vier Augen. Denn in unserem Leben gibt es so viele Schwachstellen, an denen wir im Glauben immer wieder scheitern.
Der Jakobusbrief, den wir dort oben auf dem Michelsberg gelesen haben, hat uns ebenfalls tüchtig zugesetzt. Er nennt die Dinge sehr klar beim Namen. Und daran leiden wir. Es gibt überall Stellen, an denen wir schwach sind.
Beim einen ist es das Geld, bei einem anderen die dunkle Fantasie, und bei einem dritten der Zorn. Immer wieder zeigt sich, wo der Glaubensgehorsam und das Leben getrübt werden. Der Teufel kennt genau diese Schwachstellen.
So war es schon bei Kain, als Gott zu ihm sprach: „Die Sünde liegt vor der Tür, und sie will dich beherrschen.“ (1. Mose 4,7). Die Sünde will durch diese Tür in unser Leben eindringen. Wenn ein Spalt offensteht, kann der Teufel hineingreifen, uns bei unseren Schwachstellen packen und wir sind ihm hilflos ausgeliefert.
Schwachstellen? Zum Beispiel, wenn wir Hunger haben und Nein sagen müssen. Besonders deutlich wird das bei der dritten Versuchung, die Jesus auf dem Berg erlebte, als er alle Reiche der Welt sah.
So etwas kann nur der Teufel uns zeigen: eine Multimediaschau der ganzen Welt in all ihrer faszinierenden Schönheit. Dann sagt er zu Jesus: „Du bist doch eigentlich gekommen, vor 2000 Jahren, so würde ich es heute sagen, um in dieser Welt ein Reich aufzubauen. Schau dir mal an, was davon übrig geblieben ist. Wie kümmerlich sieht es aus! Und die paar, die heute Morgen ihr Gesangbuch in der Hand haben, sehen auch nicht gerade ermutigend aus. Ist das alles, was von dir geblieben ist? Ich habe dir ein tolles Angebot: Bete mich an und dir wird alles gehören.“
Nicht nur Jesus wurde von dieser Versuchung bedrängt, sondern wir sind ihr alle schon lange erlegen. Wie hat das auf uns in unserer Jugend gewirkt? Ihr jungen Leute, wir verstehen euch. Wir wissen noch genau, wie wir alles vor uns sahen und immer dachten: Warum will uns da einer einschränken? Kann ich nicht mein Glück finden? Kann ich nicht das Leben ergreifen? Ich gehe in die Welt – was bietet sie mir? Ein Leben steht mir offen.
Nur eine kleine Verbeugung – das ist gar nicht viel vor dieser Welt. Und dann hat sie uns umwickelt. Wir bekommen gar nichts geschenkt, wir sind die Geknechteten. Mit dem kleinsten Stückchen Geld sind wir schon die Gejagten und Gefesselten. Wir können uns kaum mehr aus diesem Griff lösen.
„Das alles will ich dir geben.“ Nein, nichts bekommen wir geschenkt, wir werden gefangen gehalten. Wir kommen in eine Diktatur hinein. Das ist das Furchtbare: Wir meinten, in der großen Freiheit, die uns heute offensteht, dürfen wir alles einmal ausprobieren. Doch plötzlich merken wir: Wir sind gar nicht frei, es zu probieren.
Seitdem wir jenes Buch gelesen und diesen Film gesehen haben, ist unser Kopf wie besetzt. Dann kommen diese Bilder immer wieder und wir können uns nicht mehr lösen. Wir haben gar nicht gedacht, dass es so ist: Wenn wir nur einen Schritt hineingehen, einen kleinen Kniefall machen, dann sind wir schon gefangen.
Vergesst das nicht, wie im Jahr 1962 in Dresden. Ein Pastor sprach dort über diese Stille. Es war der Sonntag nach meinem theologischen Examen, und ich war in die DDR gefahren, um dort Gemeinschaft zu haben. Dort wurde über diesen Schrifttext gepredigt, und das war für jeden verständlich.
Der Anspruch war: Du musst nur eine kleine Verbeugung machen. Der Staat will alles und die Kirche einwickeln. Oft muss ich daran denken, wie aktuell das ist. Und ich dachte: Bei uns ist es ja noch viel aktueller – diese Welt, die uns schon lange fesselt. Nicht bloß fasziniert, sondern im Griff hat.
Das gilt für Christen noch viel mehr, die sagen: „Ich möchte auch missionarisch die Welt gewinnen. Ich möchte die Menschen gewinnen.“ Ja, ich muss nur eine kleine Verbeugung machen, nur an einer Stelle ein Stück der Klarheit des Evangeliums weglassen.
Sie müssen immer vom Gericht sprechen. Sie müssen immer sagen, dass Menschen verloren gehen, wenn sie Jesus verstoßen. Können Sie die Welt gewinnen, wenn Sie das tun? Dann werden alle bereit sein, das Christentum anzunehmen.
Sie müssen nur ein paar anstößige Stellen weglassen und alle können sie gewinnen. Und doch haben sie alles verloren – ihren Sendungsauftrag. Und ihr wollt?
Die Überwindung der Versuchungen durch das Wort Gottes
Einen gefährlichen Druck üben die Versuchungen aus, besonders wenn sie noch als „ein letztes Mal“ erscheinen. Wie können wir Versuchungen überwinden? Wir sind Versuchungen ausgesetzt, solange wir nicht unter dem Herrschaftsbereich des Teufels leben. Dann werden wir massiv von ihnen heimgesucht. Aber was können wir tun?
Es ist bemerkenswert, dass Jesus freiwillig in die Versuchungen hineinging. Ich möchte sagen: Jesus hätte ausweichen können. Er hätte sie umgehen können, aber er wollte es nicht. Er wollte alle Leiden dieser Welt durchstehen. Er wollte versucht sein – für sie, für uns –, damit wir wissen, dass wir siegen können. Einen Augenblick, in dem wir sagen können: „Weg, Satan!“ und ihn von uns werfen. Im Urtext heißt es, dass er ihn von sich warf. Das sollen auch wir können – durch die Macht Jesu.
Darum ist Jesus in die Versuchungen hineingegangen. Nun wollen wir wissen: Ich kann das so nicht, absolut nicht! Wie macht man das? Achten Sie mal darauf, wie Jesus die Versuchung durchlitten hat. Wie hat er sie überwunden? Nicht mit logischem Verstand. Wir meinen oft, wenn wir die Versuchung durchschauen, dann hätten wir sie schon geschafft. Von wegen! Die Versuchungen setzen viel öfter bei unseren Gefühlen an, auch bei unseren frommen Gefühlen.
Jesus hat die Versuchungen auch nicht durch Engelsmacht bestanden. Er hätte ja Engel herbeirufen können, eine ganze Legion, um den Teufel in die Flucht zu schlagen, damit er gar nicht erst kommen kann. Wir meinen oft, Gott müsse uns einen äußeren Schutz geben oder eine ganz besondere Stärke. Das tut gut, aber er lässt uns mit unserer ganzen Schwachheit da. Was können wir also gegen Versuchungen tun?
Jesus sagte nur dreimal: „Es steht geschrieben.“ So wie es die Fundamentalisten sagen: „Es steht geschrieben.“ Und jetzt merken Sie, was Jesus für eine Meinung von der Bibel hat. Wenn Sie nur denken, die Bibel könnten Sie nach Ihrem Gutdünken anpassen und ein paar Stellen revidieren, dann sind Sie nicht mehr gerüstet für die Versuchung.
Jesus hat diese Versuchungen, auch in seiner Todesstunde, nur mit Bibelworten durchstehen können – wortwörtlich. Und nur wenn Sie die Worte parat haben und wissen, was in der Schrift steht, erkennen Sie, wo die Versuchung liegt. Eine Christenheit, die an verschiedenen Stellen ihre eigenen Gedanken über die Schrift setzt – oder ihre Propheten, Visionen oder was auch immer –, wird immer Schiffbruch erleiden. Sie wird eine leichte Beute für den Versucher werden.
„Es steht geschrieben“ – wider alle Hungergefühle, wider alle Schwachheit des Fleisches – „es steht geschrieben“. Wir wissen, dass Jesus auch gezittert hat und zaghaft war. Das war die Schwachheit des Fleisches. Aber mit dem Wort hat er dem widerstanden. Dann können auch Sie sagen, wenn die Versuchungen an Sie kommen: „Ich kenne den Weg.“
Ist es bei Ihnen ein Problem Ihrer Reinheit, Ihrer Gedanken? Ist es bei Ihnen ein Problem der Treue, dass Sie einem Menschen für Ihr Leben die Treue geschworen haben und diese nicht halten? Wo liegt Ihre Schwachheit? Stellen Sie diese Worte daneben. Wenn Sie von diesem Wort abweichen, das Wort nicht mehr so haben, wie es in der Schrift steht, sind Sie verloren.
Das ist das Einzige, worauf der Teufel zurückweicht: wenn Sie Jesu Worten folgen und am Wort bleiben. Interessant ist, dass er gesagt hat: „Bist du Gottes Sohn?“ Und Jesus hat mit ihm keine theologische Diskussion geführt. Er hat gezeigt: Das ist mein lieber Sohn, der im Wort Gottes bleibt und treu ist.
Darin zeigen wir, dass wir Gottes Kinder sind: indem wir sein Wort treu behalten und bewahren und dem Teufel keinen Raum geben. Nicht nur mit dem Mund bekennen, sondern – wie es im Jakobusbrief heißt – nicht nur Hörer, sondern auch Täter dieses Wortes sein.
Die Verheißung der Reinigung und Erneuerung
Ich möchte am Ende noch einmal sagen und daran erinnern, wie ich diesen Gottesdienst begonnen habe. Wir sind Menschen, die viele Wunden tragen und viele stille Momente in unserem Leben haben, in denen wir gesündigt haben.
Heute ist der Hohepriester hier, der uns abwaschen und reinigen will. Er möchte festmachen, dass wir in dieser Welt als solche stehen, die sich nicht mehr verführen lassen. Wir sollen uns nicht mehr von dem Blick der Welt faszinieren oder bestechen lassen.
Wir stehen in dieser Welt und tun ihren Dienst, aber nicht als Abhängige. Wir sind Menschen des Reiches Gottes. Der Herr Jesus will das heute aus uns machen. Er will uns reinigen, erneuern und gebrauchen.
So können wir sagen: „Hebe dich weg, Satan!“
