Herzlich willkommen zu diesem Gottesdienst! Wir wünschen Ihnen einen gesegneten Sonntag.
Wir beginnen den Gottesdienst jetzt mit dem Morgenlied 345. Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Unsere Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.
Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll.
Wir wollen beten:
Herr, wir preisen Dich, dass Du schon längst vor uns da bist und dass diese Welt Dein Eigentum ist. Unser Leben gehört Dir.
Vergib uns, Herr, dass wir Deinen Besitzanspruch verweigern und ablehnen wollen, weil wir selbst Herr sein möchten.
Wir bitten Dich, dass Du Dich in Gnade uns zuwendest und in diesem Gottesdienst zu uns redest.
Wir beten einen Augenblick in der Stille.
Herr, rede und schweige nicht! Amen!
Gottes Wort und die Realität des Volkes Israel
Wir hören ein Wort von großer Tiefe aus dem Propheten Jeremia, Kapitel 8. Dort spricht Gott zu Jeremia und durch ihn zu seinem Volk:
So spricht der Herr: Wo ist jemand, der gefallen ist und nicht gern wieder aufstehen möchte? Wo ist jemand, der irregeht und nicht gern wieder zurechtkommen will? Warum will dieses Volk in Jerusalem immer weiter irregehen? Sie halten so fest am falschen Gottesdienst, dass sie nicht umkehren wollen.
Ich sehe und höre, dass sie nicht die Wahrheit sprechen. Es gibt niemanden, dem seine Bosheit leidtut, und der sagt: „Was habe ich doch getan?“
Der Storch unter dem Himmel kennt seine Zeit, ebenso der Schurzelschaube, der Kranich und die Schwalbe. Sie halten die Zeit ein, in der sie wiederkommen sollen.
Aber mein Volk will das Recht des Herrn nicht kennen und hat das Gesetz des Herrn nicht. Wie könnt ihr sagen: Wir sind weise und haben das Gesetz des Herrn bei uns? Ist doch lauter Lüge, was die Schreiber daraus machen!
Die Weisen müssen zu Schanden werden, erschrecken und gefangen genommen werden. Denn was können sie Weisheit lehren, wenn sie das Wort des Herrn verwerfen?
Darum will ich ihre Frauen den Fremden geben und ihre Äcker denen, die sie verjagt haben. Denn sie gieren alle, klein und groß, nach unrechtem Gewinn.
Priester und Propheten gehen mit Lügen um und heilen den Schaden meines Volkes nur oberflächlich, indem sie sagen: „Friede, Friede!“ – und doch ist kein Friede.
Dein Wort ist unseres Fußes Leuchte und ein Licht auf unserem Weg. Amen.
Die Berufung Samuels und Gottes Reden
Wir sprechen über die Geschichte des Samuel im Alten Testament, genauer in 1. Samuel 3. In der Nacht hat Gott den jungen Samuel angesprochen. Nun folgt der Inhalt der Botschaft:
Und der Herr sprach zu Samuel: „Siehe, ich werde etwas tun in Israel, wovon jedem, der es hören wird, die Ohren gellen werden. An dem Tag will ich über Eli, den Hohenpriester im Heiligtum in Silo, kommen lassen, was ich gegen sein Haus geredet habe. Ich will es anfangen und vollenden, denn ich habe ihm angesagt, dass ich sein Haus für immer richten will, um des Schuldwillens, dass er wusste, wie sich seine Söhne schändlich verhielten, und ihnen nicht Einhalt geboten hat.
Darum habe ich dem Hause Eli geschworen, dass die Schuld des Hauses Eli nicht gesühnt werden solle, weder mit Schlachtopfern noch mit Speisopfern, immerdar.“
Samuel lag bis an den Morgen und tat dann die Türen auf am Hause des Herrn. Samuel aber fürchtete sich, Eli anzusagen, was ihm offenbart worden war. Da rief ihn Eli und sprach: „Samuel, mein Sohn!“ Er antwortete: „Siehe, hier bin ich.“
Eli fragte: „Was war das für ein Wort, das er dir gesagt hat? Verschweige es mir nicht! Gott tue dir dies und das, wenn du mir etwas von all den Worten versweigst, die er dir gesagt hat.“
Samuel sagte Eli alles und verschwieg ihm nichts. Eli aber sprach: „Es ist der Herr, er tue, was ihm gefällt.“
Die verschiedenen Weisen, wie Gott spricht
Redet Gott nun wirklich, oder sprechen letzten Endes doch nur die Christen, die Pfarrer und so weiter? Redet Gott selbst, oder bleibt es dabei, dass die Menschen nur über Gott reden? Die Bibel sagt uns im Blick auf das Reden Gottes dreierlei, das man im Auge behalten muss, um sozusagen das Gelände abstecken zu können, auf dem wir uns bewegen. Diese drei Aussagen sind die Grundlage unseres Verständnisses.
Erstens: Gott kann schweigen. Gott kann schweigen. Das zeigt sich in einer Vorgeschichte auf schreckliche Weise. Da läuft der ganze religiöse Betrieb mit Gottesdiensten, Opfern, Priestern, Gesängen und wer weiß, was sonst noch alles. Es heißt, das Wort Gottes war selten, es gab keine Reden und kein Hören Gottes – Gott schweigt. Das ist Gericht. Und solches Gericht ist immer ganz gemütlich, jedenfalls zunächst. Wir finden nichts schöner, als wenn wir ungestört unseren eigenen Gedanken nachhängen können, unsere eigenen Wege gehen. Wenn Gott schweigt, dann kann man das machen: ungestört leben, Religion betreiben und was auch immer. Gott redet einem nicht rein. Die Bibel sagt, dies aber ist der Anfang der Hölle: Gott schweigt.
Der zweite Punkt ist: Gott ruft persönlich, und er ruft leise. Was soll ich sagen? Er ruft auch missverstehbar. So wie in jener Nacht, als er dreimal den Jungen Samuel ruft. Samuel hört den Ruf, denkt aber immer nur, der Priester ruft, und läuft hin und sagt: „Hier bin ich, was hast du? Was soll ich machen? Tabletten holen oder was?“ Da denkt der alte Herr, Samuel habe irgendwelche Bekümmernisse der Nacht oder was abzuholen. Gott ruft, aber Samuel kennt das nicht und versteht es nicht. Er merkt irgendetwas, aber missdeutet es. Gott ruft, aber er ruft leise, missverstehbar und geduldig, bis der Junge hört und sagt: „Rede, Herr, dein Knecht hört.“
Gott redet auch. Das gehört zu diesem zweiten Punkt dazu. Er redet auf eine Weise, dass er völlig am Apparat vorbeigeht – am religiösen Apparat, an denen, von denen man meint, sie hätten es abonniert, dass Gott mit ihnen spricht. Über Dulci redet. Eli hört nichts, seine ganze Priesterschaft hört nichts, niemand in Israel hört. Ganz abseits steht ein Junge, den im Grunde keiner ernst nimmt. Ach, du Bote aus dem Tempel – das war Samuel nämlich. Zu ihm redet Gott, während er sonst das ganze Volk Gottes anschreit. Gott redet ganz besonders. Er ruft persönlich, er ruft menschlich, bei denen, bei denen man es gar nicht erwartet. Er ruft geduldig und wartet immer und immer wieder auf Antwort.
Die dritte Form des Redens, die hier genannt wird, ist: Gott redet unerträglich. Gott redet unerträglich. Schon das Reden über sein Reden wird in den Ohren gellen. In beiden Ohren gellen heißt es hier in diesem Bibeltext. Das Reden über sein Reden, nicht direkt, sondern wenn er sagt: „Siehe, ich werde etwas tun in Israel, wovon jeder, der es hören wird“ – also wenn man von dem Handeln Gottes reden wird – „wird es in beiden Ohren gellen.“ Was heißt das, in beiden Ohren gellend? Das heißt, hier kann man nicht mehr zuhören. Hier gibt es nichts mehr zum Zuhören. Wenn es gellend in den Ohren ist, dann kann man nicht mehr zuhören, sondern hält sich nur noch die Ohren zu, weil es nicht mehr auszuhalten ist, so sagt er.
Es gäbe also ein Reden Gottes, das so schrecklich eindeutig ist, dass es nichts mehr zum Zuhören gibt. Man soll sich nur noch die Ohren zuhalten. Das sind die drei Eckpfeiler: Gottes Schweigen, Gottes versöhnliches, geduldiges, stilles, missverstehbares, überhörbares Reden und Gottes unerträgliches Reden, das die Ohren so gellen lässt, dass nichts mehr zum Zuhören da ist, sondern alles nur noch zum Weglaufen.
Die Herausforderung des Redens Gottes für unser Verständnis
Es mag sein, dass diese Art, vom Reden Gottes zu sprechen, uns manchmal fremd ist. Wenn man das Reden Gottes von vornherein immer als ein sanftes, erbauliches und anregendes Geschehen versteht, erwartet man, dass es uns etwas gibt, dass es uns innerlich bewegt.
Man kann von jedem anstehenden Gottesdienst und von jeder anstehenden Schau erwarten, dass sie uns etwas gibt, uns anspricht. So haben wir im Grunde unmerklich das Reden Gottes, wenn es überhaupt passiert, in die Kategorie Unterhaltung und Erbauung eingeordnet.
Dabei gibt es natürlich auch das gellende Reden Gottes oder das Schweigen Gottes. Das Wort ist nicht immer ein reißendes oder spannendes Erlebnis.
Ich sage das vorweg, weil diese Geschichte, die ich heute auszulegen habe, ein gründliches Vorzeichen braucht. Es ist eine erschütternde Botschaft, eine erschütternde Botschaft, die Gott dem jungen Samuel sagt und die er weiter zu sagen muss. Deshalb möchte ich das darüber setzen: eine erschütternde Botschaft.
Die Botschaft Gottes an Eli: Verspielte Vergebung
Was ist der Inhalt, was sind die Reaktionen? Erste verspielte Vergebung.
Was in diesem Text steht, scheint dem Evangelium völlig zu widersprechen. Die Botschaft, der Kern der Botschaft Gottes an Eli, den Priester, und seine Familie – diesen leitenden Mann des Volkes Gottes damals – lautet endgültig: Keine Vergebung, keine Versöhnung mehr für Eli und Co. Das ist die Botschaft.
Warum? Gott sagt es dir. Für die Schuld in seiner Familie sind sich die beiden Söhne, die das Priesteramt betrieben, schuldig. Sie haben den Dienst missbraucht zur persönlichen Bereicherung unter dem Deckmantel der Religiosität. Sie haben jede Sauerei betrieben, und alles war recht, was sie reicher machte und ihnen Lustgewinn brachte. Das machten sie ganz frech und offen, sie waren völlig unbekümmert.
Die Anklage Gottes gegen den alten, blinden Eli ist, dass er die Schuld seiner Familie, seiner Kinder, kannte und nichts dagegen getan oder gesagt hat. In einer Formulierung im Hebräischen heißt es in diesem Text, dass er die Gotteslästerung seiner Söhne kannte. Hier heißt es bei Luther, dass sie Schändliches getan haben, die Gotteslästerung seiner Söhne, und er nichts dagegen unternahm.
Wenn man erst Samuel Kapitel 2, also das vorherige Kapitel, liest, findet man eine Geschichte, in der Gott schon einmal einen Propheten zu Eli geschickt hat und ihm sagte, was kommen wird. Dort ist die Anklage zusammengefasst in dem Satz: „Du ehrst deine Söhne mehr als mich.“ Ein liebevoller, alt werdender, verständnisvoller Vater, der viel Rücksicht auf seine Söhne nimmt – aber keine Rücksicht auf Gott. „Du ehrst deine Söhne mehr als mich.“
Dann sagt Gott den Satz: „Wer mich ehrt, den will ich auch ehren; wer mich verachtet, der soll verachtet werden.“
Jetzt ist das Unheimliche: Eli ist als hoher Priester der Inhaber und Verwalter des ganzen Versöhnungs- und Vergebungsdienstes, den es in Israel gibt. Gott hat diesen Dienst eingerichtet und ihm geschenkt als eine Quelle, wo Menschen wirklich zurechtkommen und Neuvergebung bekommen.
Eli ist der Bevollmächtigste Beauftragte für diesen Versöhnungsdienst am Heiligtum mit den Opfern, mit den Gottesdiensten und dem Zuspruch der Vergebung. Tag für Tag kamen Menschen, bekannten ihre Schuld, brachten die Opfer dar, und es war die Aufgabe von Eli, die Vergebung im Namen Gottes zuzusprechen. Das ist Eli.
Wer diesen Dienst handhabt, der ganz dicht dran ist am Vergebungs- und Versöhnungsdienst Gottes, soll selbst nichts mehr davon abbekommen. Er hat die Vergebung verspielt. Wieso? Wenn er so etwas zulässt, ist das furchtbar.
Muss man denn doch damit rechnen, dass Gott irgendwann die Geduld verliert? Dass man die Sache aussitzen kann? Jeder, der ein Gewissen hat, den Gottes Geist angerührt hat und der etwas getan hat, kennt diese peinigenden Zweifel. Man fragt sich: „Es geht nicht mehr. Nach allem, wie das immer und immer wieder in meinem Leben falsch gelaufen ist, wo ich Vergebung in Anspruch genommen habe, aber weiter drauflosgelebt habe, hat sich im Wesentlichen doch nichts geändert. Ich bin immer wieder in die gleichen Dinge reingerutscht, und ich habe es ja auch gewollt. Es ist nicht nur, als wäre mir der Verkehrsunfall passiert. Ich habe es auch geliebt.“
Dann kommt irgendwann der Gedanke: „Du kannst doch nicht immer wieder sündigen und Vergebung in Anspruch nehmen. Gott lässt sich doch nicht so mit sich spielen. Irgendwann ist doch der Geduldsschaden da, oder?“
Was ich jetzt sagen möchte, ist sehr schwer, und ich fürchte, es könnte missverstanden werden. Deshalb bitte ich um sorgfältiges Zuhören und Nachdenken.
Die Sünde Elis besteht nicht darin, dass in seinem Leben zu oft und zu lange Versagen gewesen wäre und Gott nicht mehr so viel Geduld gehabt hätte. Das ist nicht der Grund. Gott trägt keinen Papierträger, der ihm platzt.
Das Problem, die Sünde Elis, ist, dass die Sünde in seinem Leben und seiner Umwelt nicht als Sünde anerkannt wird. Nicht, dass Sünde, die passiert, nicht mehr vergeben wird, sondern dass er, der fromme Mann, der Priester, Sünde nicht mehr Sünde nennt. Stattdessen beschönigt, verniedlicht und erklärt er sie, zeigt Verständnis dafür, anstatt Bekenntnis und Vergebung zu fordern.
Der Versöhnungsgottesdienst mit dem Zuspruch der Vergebung, die Abendmahlsfeier, wird als Deckmantel der Sünde gebraucht, unter dem man beharrlich das, was Sünde ist, vor Gott beibehält.
So sind eben die Söhne Elis. Eli sagt: „Ach, die jungen Leute heute, das ist anders als bei uns früher. Wir konnten das alles noch ganz eng sehen, aber heute ist das nicht mehr so. Die Zeiten ändern sich, und man hat andere ethische Moralmassstäbe, zum Beispiel in der Sexualität.“
Die beiden Söhne lebten sich da besonders schlimm aus, sagt die Bibel, auch in Fragen des Eigentums und Besitzes. So ist das eben immer. Ich zitiere hier keine Argumente des 20. Jahrhunderts, sondern kurz vor 1000 vor Christus.
Was passiert in dieser Geschichte? Man muss sich vorstellen: vor König Saul, also vor etwa 3000 Jahren, ewig die gleiche Leier: „Die Zeiten haben sich geändert, die jungen Leute und neue Maßstäbe, man kann das nicht mehr so eng sehen.“ Da sagen wir als Eltern Ja und Amen zu allem, was läuft, zu allem, was läuft.
Das ist die Sünde Elis: Sünde wird nicht mehr Sünde genannt, sondern beschönigt, verniedlicht, verharmlost. Ehebruch, Kavaliersdelikte, Fremdgehen, mit Freundinnen zusammen schlafen und umgekehrt – das geht einfach, ist eben gesellschaftliche Veränderung. Eigentumsfragen werden sehr locker gesehen.
Das ist der Punkt bei Eli: Er nennt Sünde nicht mehr Sünde. Er nimmt Vergebung in Anspruch, geht zum Abendmahl, bringt Opfer dar, lobt Gott – alles läuft. Aber ganz bestimmte Dinge, die Gott Sünde nennt, werden gar nicht als Sünde bekannt, sondern entschuldigt.
Man kann mit Gottes Heiligkeit und seiner Vergebung nicht spielen. Und es gibt an irgendeinem Punkt die Stelle, wo es heißt: Über dem Haus Elis, der die Versöhnung und Vergebung dauernd bei sich hatte, aber sie nicht in Anspruch nahm für ganz bestimmte Dinge, weil er sagte: „Das ist keine Sünde, ich brauche keine Vergebung dafür.“
Denn Vergebung kann man nicht bekommen, wenn man überzeugt ist, dass gar keine Sünde da ist. Die Vergebung ist da, handgreiflich, ganz nah, aber Eli nimmt sie nicht, weil er seine Sünde nicht als Sünde bekennt.
Jenseits von Vergebung, jenseits von Bekenntnis der Schuld und Vergebung der Schuld gibt es keine Rettung. Täuschen wir uns nicht: Es gibt keinen Weg der Lösung für unsere Probleme und unsere Verlorenheit außerhalb von Bekenntnis und Vergebung.
Verspielte Vergebung heißt im wörtlichen Sinne: Sie ist da, Gott hat sie nicht entzogen, aber sie wird nicht genutzt. Weil Sünde verputzt wird, anstatt bekannt zu werden, wird Vergebung nicht in Anspruch genommen, sondern verspielt.
Das ist eine schütternde Botschaft.
Bevor wir in der zweiten Funken dann sagen, warum mir das so am Herzen liegt: Wir haben inzwischen die Neuen, wir haben 112.
Immer wenn ich dein Wort höre. Erste Strophe und Refrain singen wir.
„Immer wenn ich dein Wort höre, Herr, erkenne ich mich. Dann sehe ich, dass ich versage. Herr, erbarme dich, Herr, erbarme dich, Herr, erbarme dich. Zu meinem Leben musst du mir geben deinen Frieden jeden Tag. Zu meinem Leben musst du mir geben deinen Frieden jeden Tag.“
Die Last der Wahrheit und die Reaktion Samuels
Eine erschütternde Botschaft bedeutet erstens verspielte Vergebung und zweitens die Last der Wahrheit. Ich sehe den Jungen dort liegen. Er hatte im Vorraum des Tempels kein eigenes Zimmer, sondern nur eine Luftmatratze hingelegt. Er war ein ganz weißlicher, eifriger Typ. Ein herrlicher Mitarbeiter, so jung wie er war. Seine Arbeit morgens war es, die Tür am Tempel zu öffnen. Es war wie ein Zelt, das heilig umschlossen war.
In dieser Nacht konnte er kein Auge mehr zumachen. Normalerweise wäre er, wenn er nicht schlafen könnte, eine Runde im Morgengrauen Fußball spielen gegangen – mit irgendeiner Blechbüchse. Aber er traute sich nicht aufzustehen, weil er dachte: Wenn ich schon wach bin und aufstehe, werde ich gefragt. Dieser kommende Tag war ihm furchtbar.
Er trug eine Botschaft in sich, die er gehört hatte – eine furchtbare Botschaft für ihn. Dann steht er auf und sagt sich: „Ich muss da irgendwann mal aufstehen.“ Das hilft dir alles nichts. Man kann die Probleme nicht lösen, indem man im Bett bleibt, auch wenn das ein altes Rezept ist. Am liebsten möchte man sich die Bettdecke über den Kopf ziehen und gar nicht auftauchen.
Dann sehe ich ihn, wie er so ein bisschen zögerlich und verlegen ist, immer nach unten schaut, fleißig nach unten guckt, durch das Gelände streift und einen großen Bogen macht. Er denkt: Zum Glück ist Elia ja blind, vielleicht sieht er mich nicht so schnell. Doch mit der klaren Sensibilität des erblindenden alten Menschen führt er Samuel, und dann ruft er ihm zu: „Stelken!“
Es ist eine erschütternde Szene. Man könnte meinen, wenn Gott zu einem Menschen geredet hat, dann ist dieser voll Freude. Das ist doch toll, Gott hat gesprochen. Aber das ist überhaupt nicht toll, das ist schrecklich. Es tut ihm weh, es brennt ihn. Er möchte die Botschaft zerquetschen, verdrücken, irgendwie wieder loswerden.
Was soll Samuel, dieser Junge, mit dieser Botschaft jetzt machen? Es ist doch kein Evangelium, keine gute Nachricht, die er sagen kann. Es ist keine Frohbotschaft, sondern eine Drohbotschaft, eine Gerichtsbotschaft, kein Nutzen. Nein, so will ich das mal sagen. Man tröstet sich ja ganz schnell mit einer billigen Ausrede.
Wie sieht diese Ausrede aus? Man sagt: „Das ist altes Testament, jüdische Rache, Gott und so. Zum Glück sind das überholte Geschichten. Im Neuen Testament reden wir jetzt immer vom lieben Gott. Wir haben das Evangelium zu sagen, die gute Nachricht.“ Das wird mir immer mehr klar.
Die Übersetzung des Ausdrucks „Evangelium“ mit „gute Nachricht“ trifft den Sachverhalt nicht. Das Evangelium ist keine gute Nachricht im Sinne von angenehm, bequem, schön oder gefällig. Es geht nicht darum, ob es gefällt, sondern ob es wahr ist.
Das Evangelium hat immer als Inhalt das Todesurteil, die Todesbotschaft mit drin, das Todesurteil Gottes. Samuel ist nicht von der finster-fanatischen Sorte, die sagt: „Jetzt habe ich eine anständige Gerichtsbotschaft. Wie hauen wir jetzt wie der Kutscher die Peitsche auf die Gäule, so hauen wir die im Gelände herum.“ So richtig genüsslich, sadistisch, dass es nur so kracht. Oder dass er mit der Gerichtsbotschaft spät wie ein rotziger Junge ein paar dicke Steine in die nächsten Scheiben wirft.
Man spürt bei Samuel zwei Dinge. Man spürt, wie er leidet, weil er eine unbequeme Gerichtsbotschaft sagen muss – einem Mann, den er sehr, sehr liebt und schätzt. Ganz wichtig: Es muss eine Wahrheit gesagt werden, die nicht gefällt. „Verlorene Menschen, da ist keiner, der Gutes tut, auch nicht einer, da ist keiner, der Gerechtes tut, auch nicht einer“, sagt die Hosea an verschiedenen Stellen.
Eine Botschaft muss gesagt werden, auch wenn sie nicht gefällt. Aber sie muss gesagt werden, wie Samuel sagt, zu Menschen, um die man leidet, die man schätzt, die man ehrt, die man liebt. Diese Botschaft Gottes ist eine schwere Botschaft, aber kein Stein, wie irgendein Köter hinterhergeschmissen wird.
Man spürt bei Samuel etwas anderes als Scheu vor Gott und seiner Botschaft. Es ist kein leichtfertiges Umgehen damit. „Herr, was hast du mir gegeben?“ Es sprudelt nicht so einfach aus ihm heraus. Er spürt die schwere Last der Wahrheit.
Was er jetzt tut, ist typisch für die Art und Weise, wie Gott möchte, dass wir seine Boten sind: in Liebe, in Hochachtung vor den Menschen, denen wir es zu sagen haben. So ist dieser unsichere Junge Samuel das Urbild eines guten Zeugen für jeden.
Er spürt die Last der Wahrheit. Wie oft ist es so, dass wir mit dem Evangelium hantieren und hausieren gehen, als wäre das unsere knackige Idee, die wir da gebastelt hätten. Wir spüren nicht die Last der Wahrheit.
Im Evangelium wird das Todesurteil über einen Menschen verkündet und die freisprechende Rettung. Aber es ist der heilige Gott, der hier redet. Es ist eine Last der Wahrheit. Das sage ich nicht leichtfertig.
Die Reaktion auf Gottes Gericht und die Hoffnung im Kreuz
Drittens und letztens: Das Einzige, was uns bleibt – wie soll man auf eine solche Botschaft reagieren? Die Botschaft lautet: Das Gericht ist nicht abzuwenden. Es gibt keine Möglichkeit, dem Gericht zu entkommen.
Man könnte meinen, er hätte auf mildernde Umstände plädieren können. Das wäre auch verständlich gewesen. Schließlich muss man doch sagen dürfen, dass man nicht für alles verantwortlich gemacht werden kann, was erwachsene Söhne tun. Kann der alte Mann da wirklich haftbar gemacht werden? Es gibt viele Gründe, mildernde Umstände für Eli einzufordern.
Doch dieser versagende alte Mann zeigt plötzlich eine Größe, Klarheit und Vorbildlichkeit, die nicht zu übertreffen ist. Der entscheidende Punkt ist: Er hört die Botschaft, das Todesurteil über sich, und sagt: „Der Herr ist es, der Herr ist es, er tut, was ihm gefällt.“ Er sucht keine Ausflüchte, gibt Gott Recht und macht sich keine Illusionen mehr. Er sagt klar: Ja, das ist das Ende. Kein Schritt weiter, kein Ausweg mehr für einen Menschen, kein Weg mehr.
Das ist unsere Situation. Meist sehen wir sie harmloser. Wir sagen: Natürlich haben wir alle Fehler, und wir sind sündig und schwach. Deshalb brauchen wir Vergebung und Hilfe. Dabei sind wir tief überzeugt, dass es angemessen ist, dass Gott uns schnell hilft, damit wir zurechtkommen. So denken wir hoffnungsvoll, so schlimm kann es nicht sein, als dass nicht noch jemand etwas reparieren könnte.
Eli ist an dem Punkt, an dem er sagt: Hier ist nichts mehr zu reparieren. Ich kann nichts mehr tun außer, mich dem Todesurteil Gottes zu stellen. Ja, Herr! Keine Ausrede, keine Beschönigung, keine Entschuldigung. Klare Erkenntnis: Alles, was an Vergebungspraktiken da war – Opfer und so weiter – zieht nicht mehr. Nichts hilft mehr, Ende der Sendung.
Diese Erkenntnis wurde noch einmal von einem Menschen so drastisch formuliert. Er sagte: „Wir aber leiden, was wir verdient haben, ohne Entschuldigung, ohne Beschönigung, ohne Rechtsabschätzung.“ Es war einer der beiden Männer, die mit Jesus gekreuzigt wurden – eine ehrliche Haltung: „Ja, Herr, dein Todesurteil ist gerecht. Wir leiden, was wir verdient haben.“ Keine Anklage: „Wie kann Gott so etwas zulassen? Womit habe ich das verdient?“
Solche Reaktionen verraten meist, dass wir uns im Grunde für grundgerechte und gute Menschen halten und Gott Vorwürfe machen, weil er uns nicht anständig genug behandelt. Doch dieser Mann sagt: „Wir leiden, was wir verdient haben“, und das direkt ins Gesicht des gekreuzigten Jesus hinein. Und die Geschichte geht weiter.
Das Gericht ist unausweichlich. Daran wird nichts geändert. Das Gericht über unser Leben ist unausweichlich. Jesus sagt nichts dagegen. Also ist alles nicht so schlimm? Nein, es ist unausweichlich, aber Jesus trägt es. Das Gericht wird von Gott an Jesus vollzogen. Der Mann, der sich dem unterwirft, sagt: „Wir leiden, was wir verdient haben.“ Durch den Zuspruch der Freiheit erhält er die Zusage: „Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“
Das Einzige, was bleibt, ist, Gott Recht zu geben. Ende der Sendung. Hier ist die Sackgasse, aus der kein menschlicher Schritt herausführt. Erst in dem Augenblick, in dem ich Gott so uneingeschränkt Recht gebe, kommt Gottes stellvertretendes Gericht an Jesus voll zum Zuge. Dann gibt es eine Rettung aus dem Tod, die niemand selbst schaffen kann, die aber hundertprozentig ist.
Doch erst in dem Moment, in dem sich jemand so unter dieses Todesurteil beugt, wird er die Freiheit erfahren. Wer immer nur meint, Vergebung sei ein bisschen moralische Kosmetik an seinem Leben oder eine Entwicklungshilfe für ein noch etwas unterentwickeltes moralisches Leben, der hat nicht verstanden. Er wird auch die größte Rettungstat Gottes nicht richtig erfassen unter dieser Botschaft.
Gott bewahre uns davor, dass die Weichheit und der Zuspruch der Vergebung der Sünden und die Feier des Mahls zum Deckmantel für bekennbare und entschuldigte Sünden werden. Wir verspielen die Vergebung, wenn wir das tun. Aber wir sollen wissen, dass wir unter dem Kreuz Jesu sagen dürfen: Herr, wir erleiden, was wir verdient haben. Du hast es.
Gebet um Umkehr und Dankbarkeit
Wir wollen beten.
Du hast uns über alle Maßen gütig und geduldig behandelt. Du hast uns noch Raum zur Buße gegeben und Güte erfahren lassen, obwohl wir es nicht verdient hatten.
Herr, gib uns den Spielraum zur Umkehr!
Ich danke dir, dass du an unserer Stelle gestorben bist.