Einführung in die Frage nach dem Reich Gottes
Als Jesus von den Pharisäern gefragt wurde, wann das Reich Gottes komme, antwortete er ihnen: Das Reich Gottes kommt nicht mit erkennbaren Zeichen. Man wird auch nicht sagen: „Siehe hier ist es“ oder „da ist es“, denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch. Manche erinnern sich vielleicht, dass sie in ihrer Jugend eine andere Übersetzung kannten, die hier möglich ist: „Das Reich Gottes ist inwendig in euch.“ Darauf möchte ich später noch eingehen.
Ich lese aus Lukas 17, Vers 20-24, das Evangelium vom heutigen Sonntag. Dort sagt Jesus zu den Jüngern: „Es wird die Zeit kommen, in der ihr euch danach sehnen werdet, auch nur einen der Tage des Menschensohnes zu sehen. Aber ihr werdet ihn nicht sehen, und sie werden zu euch sagen: ‚Siehe da!‘ oder ‚Siehe hier!‘ – geht nicht hin und lauft ihnen nicht nach. Denn wie der Blitz aufblitzt und von einem Ende des Himmels bis zum anderen leuchtet, so wird der Menschensohn an seinem Tage sein.“ Das Wort „Menschensohn“ benutzte Jesus gern, weil es nach der alttestamentlichen Prophetie das Wort vom wiederkommenden Weltenrichter war, der das Heil Gottes am Ende der Tage bringt. Herr, hilf uns, dass wir dieses Wort jetzt auch verstehen. Amen.
Fast täglich findet irgendwo auf der Welt ein Putsch statt, Sie wissen, wie das abläuft: Ein festgelegtes Ritual. Panzer fahren im Morgengrauen auf und besetzen wichtige Verkehrsknotenpunkte der Hauptstadt, Behörden werden gestürmt, neue Machthaber ziehen ein, die Armee wird vereidigt. Nach einigen Tagen in den Amtsstuben werden die Fotos des Staatspräsidenten ausgetauscht, und dann geht alles wieder seinen gewohnten Gang.
Man fragt sich: Was ist eigentlich anders geworden? Was hat sich verändert, abgesehen davon, dass Personen ausgetauscht wurden? Wir sehnen uns ja in dieser Welt nach einer Umwälzung, die den Namen Revolution wirklich verdient. Nicht nur, dass ein paar neue Personen an der Macht sitzen, sondern dass die Welt von Grund auf verändert wird. Solch eine Umwälzung lieben wir, wo wir sagen können: Dort herrscht wirklich Gerechtigkeit, und nicht, dass Korruption im neuen Gewand wiederkehrt. Dort wird den Elenden und Armen wirklich geholfen, dort wird sich den Bedrängten angenommen, und dort herrschen Liebe, Frieden und Verstehen.
Gerade wir Christen haben diese Sehnsucht. Sie lebt schon aus den Prophetien des Alten Testaments von der Königsherrschaft Gottes. Das war im Volk Israel in Fleisch und Blut, das kannte man, das hörte man immer wieder am Sabbat: Gott wird selbst diese große Umwälzung schaffen, das muss einmal kommen. Das ging durch die Jahrhunderte.
Erst in unserem Jahrhundert sind einige Beherzte daran gegangen und sagten: Da brauchen wir keinen Gott mehr dazu, das machen wir selbst. Wir machen das Reich Gottes mit Menschengewalt. Sie wissen, wie viele Millionen Menschen im Namen eines säkularisierten Gottesreiches in den Tod und ins Blut getreten wurden.
Diese Vorstellung des Gottesreiches hat über die Jahrhunderte die Menschen beflügelt. Ich denke daran, wie in Württemberg selbst, in unserer kleinen Lokalgeschichte, die Leute auf dem Dorf in ihrer Bibel gelesen haben, wenn sie unter ihrem Despoten, unter dem Landesfürsten, gelitten haben. Wenn Gottes Wort sagt: „Es wird die Zeit kommen, da werden die Fürsten fürstliche Gedanken haben“, dann konnte ein Flattich seinem Herzog das entgegenwerfen, weil er aus dem Wort Gottes lebte. Er sagte: Fürst, was ist denn euer absolutistisches Reich, Majestät, das ihr hier baut? Ein Stück Hoffnung – da haben Menschen es gewagt, ihr Leben zu opfern.
Warum lohnt es sich, für Gerechtigkeit zu kämpfen? Warum lohnt es sich, für das Gute sein Leben zu wagen? Weil Gott die Verheißung gegeben hat, dass am Ende doch sein Reich kommt. Darum stimmt es nicht, dass man sich irgendwo anpassen muss – an die Lüge, an die Gewalt, an den Druck. Das wäre kurzsichtig, nur für die paar Jahre, in denen man Karriere machen kann.
Ein Christ weiß, wir müssen auf die Weite der Zeit hin denken, wenn Gottes Reich kommt. Und Jesus sagt uns heute Morgen in diesem Wort nicht nur den Pharisäern, sondern auch uns: Passt auf, dass ihr nicht nur an eine ferne Zukunft denkt. Da wird es erfüllt werden. Heute ist dieses Reich schon angebrochen, heute ist es mitten unter euch. Dann wäre es nur ein Traum vom Sankt-Nimmerleins-Tag. Heute ist es schon da.
Aber Jesus verzichtet auf Panzer und Gewehre, auf die ganzen Statussymbole der Herren dieser Welt. Dieses Reich ist verborgen. Dennoch ist es voll da, und eines Tages wird es für alle Menschen sichtbar werden.
Gerade habe ich Ihnen meine vier Teile gesagt. Die möchte ich nun in Ruhe entfalten und erklären, was ich damit meine.
Das Erste: Das Reich Jesu steht fest, es ist schon mitten unter uns. Wenn Sie so wollen, die Umwälzung ist geschehen und der Putsch ist passiert. Die Machtverhältnisse dieser Welt sind schon geändert. Das ist natürlich ein Thema, bei dem Sie verstehen, dass manche der Predigthörer Jesu auch damals sagten: Das ist nichts für mich, das verstehe ich nicht. Da sitzt doch noch der Statthalter Pilatus an der Macht, wir werden täglich von der fremden Armee terrorisiert, dort sind die alten Unrechtsstrukturen unserer Welt. Ist es nicht bloß ein Betrug, ein Wort, eine Besänftigung der Gemüter?
In diesem Predigttext ist das ja so abgegrenzt nach der Ordnung unserer Kirche, aber im nächsten Vers, den ich jetzt noch hinzuziehen möchte, sagt Jesus: „Der Menschensohn muss zuvor noch viel leiden.“ Wenn Sie fragen, warum Jesus noch so viel Böses in der Welt geschehen lässt, dann, weil auch die Macht des Satanischen in dieser Welt noch ausreifen muss. Das soll Christen immer recht mutig und unerschrocken machen. Wir wissen, es müssen gewisse Dinge noch ans Licht treten, damit der Traum von der Humanität des Menschen nicht weiter so erbärmlich geträumt wird.
Jesus redet doch davon, dass das Reich Gottes herbeigekommen ist. Johannes der Täufer hat schon gesagt, draußen im Jordan, in der Wüste, ist es ganz nahe. Jetzt kommt Jesus und sagt: Es hat begonnen, es ist mitten unter euch. Macht die Augen auf, ihr werdet es sehen.
Als Johannes der Täufer dann seine Freunde schickte, um zu fragen: „Ist das jetzt wirklich das Reich?“, sagte Jesus: Macht die Augen auf, ihr seht doch das Reich Gottes, ihr seht es, wie es geschieht.
Nun müssen Sie das noch im Zusammenhang der Zeitgeschichte sehen. Die Pharisäer seiner Zeit, gläubige Menschen, hofften in besonderer Weise auf die Verheißungen Gottes. Die Prophetenworte von der kommenden Gottesherrschaft, wo der Friede anbricht, auch über die leidende Welt der Kreatur – ich möchte jeden Umweltschützer bitten, einmal zu lesen, wie die Bibel das in einem großen, einheitlichen Zusammenhang sieht, wie das bis in die unterdrückte Tierwelt hineinreicht.
Sie hofften, eines Tages müsse das doch kommen. Und das war die Frage an Jesus: Wenn du schon von der Gottesherrschaft redest und das zum Zentralthema machst, wann kommt sie? Erzähl mir davon!
Jesus sagt: Sie ist mitten unter euch. Das war unfassbar. Dann müsste er doch das Joch der Römer abschütteln! Das war doch die schlimmste Not: Das Volk Gottes wurde von der feindlichen Macht ausgebeutet und entehrt. Selbst in der Nähe des Heiligtums trieben römische Soldaten ihr Unwesen in der heiligen Stadt Jerusalem, wo doch die Ankunft des Messias erwartet wurde.
Jesus, der von der nahen Gottesherrschaft sprach, sprach ganz vorsichtig. Er sagte, die Gottesherrschaft ist da, aber das Wort „Messias“ nahm er nie in den Mund, es sei denn, er erlaubte es einmal Petrus, der dann schweigen musste. Jesus wusste, dass auch wir Christen eine gefährliche Veranlagung haben, das Reich Gottes fortwährend mit politischen Bestrebungen der Gegenwart zu verbinden. Das wird immer wieder vermischt.
Jesus wehrte sich nicht, als beim Einzug in Jerusalem die Menschen ihn begrüßten und sofort dachten: Sicher bricht jetzt die Herrschaft der Himmel an. Sie verstanden nicht, wie wir am letzten Sonntag aus der Bergpredigt gehört haben, dass die Gottesherrschaft sich dort ereignet, wo Jesus seine Seligpreisungen verkündigt. Diesen kleinen Unterschied merkten sie nicht: Jesus will die Gottesherrschaft nicht in äußerer Pracht darstellen, sondern verhüllt; und doch ereignet sich die Herrschaft Gottes.
Als Jesus hinausgeht vor die Stadt, wo draußen Kranke am Straßenrand sitzen, legt er ihnen die Hand auf und heilt sie – Zeichen der Gottesherrschaft. Jesus ist gekommen, die Werke des Teufels zu zerstören. Das geschieht auf wunderbare Weise, als wenn das Haus eines Schwarzhändlers namens Zachäus sich plötzlich ändert und dieser Mann anfängt, in seinen Kontenbüchern nach der Barmherzigkeit und Gerechtigkeit Gottes zu leben. Da ereignet sich die Gottesherrschaft mitten in dieser Welt.
Wir müssen aufpassen, dass wir die Herrschaft Gottes nicht nur an politischen Strukturen messen. Ob wir die nicht manchmal überschätzen – die Personen der Staatspräsidenten, die Parteien, die an die Macht kommen –, ob wir uns darin verbeißen und meinen, darin liege das ganze Heil.
Jesus sagt: Das Reich Gottes ereignet sich für den, der die Augen aufmacht. Schaut euch um! Und da steht er da, der armselige Jesus. Bis heute, bis ins 20. Jahrhundert, ist es kaum anders: Die Welt nimmt kaum Notiz davon.
Was geschieht schon, wenn ihr da predigt? Wenn ihr von Jesus verkündet, was geschieht da Großes? Wenn ihr betet und euch in seinem Namen versammelt? Wenn ihr eure armseligen Missionsboten in die Welt hinaus schickt? Was geschieht da? Wir sagen stolz: Das Reich Gottes geschieht, und es geschieht wunderbar auch in unseren Tagen.
Ein zweiter Satz: Das Reich Gottes ist verborgen. Es könnte natürlich ein Trick sein. Man traut ja auch den christlichen Verkündigern vielleicht mit Recht nicht immer. Man denkt: Ein Trick in der Verkündigung, man redet groß vom Reich Gottes, und wenn es hart auf hart kommt, sagt man, es könne man nicht sehen, es sei verborgen.
Aber ich habe Ihnen gerade gesagt: Man kann es sehen. Jesus hat es auch den Freunden von Johannes dem Täufer ausrichten lassen: Macht die Augen auf, was da geschieht! Er weist uns auf kleine, nach den Maßen der Welt unscheinbare Dinge hin, die doch in seiner Geschichte viel, viel größer sind.
Dann lernen wir, die Weltgeschichte neu zu sehen und zu deuten. Wir sehen, wie Reiche kommen und gehen, wie große Veränderungen geschehen, und dann sagen wir: Es waren nicht die größten Ereignisse in der Weltgeschichte, sondern einzelne Menschen, die sich der Gottesherrschaft verpflichtet wussten und in Liebe und Treue ihr Leben hingaben.
Ich wollte von großen Gestalten erzählen, von Franz von Assisi und Bodelschwing, und wie sie hießen. War das nicht groß, dass Menschen die Gottesherrschaft lebten, ohne Rücksicht darauf, ob sie sich durchsetzt?
Jesus hat uns gewarnt: Passt auf! Das Reich Gottes kann man nicht so beobachten, dass man genau sagen kann: Da ist es, eng umrissen. Das ist schwierig für uns, die wir unsere Kirche so lieben. Es kommt immer wieder vor, dass wir unsere kirchlichen Zusammenschlüsse, Gemeinden, Organisationen mit dem Reich Gottes gleichsetzen. Dann werden Menschen enttäuscht und sagen: Ist das die Gottesherrschaft? Da sehen wir so viel Menschelei! Ist das Tarifrecht und Besoldungsrecht wirklich nach der Königsherrschaft Gottes geordnet, nach Liebe und Barmherzigkeit? Sind die Personen, die hier wirken – und wir selbst –, nicht unheilige, sündige Menschen?
Jesus warnt uns: Passt auf, lasst euch von niemandem verführen. Das Reich Gottes ist zwar sichtbar und doch verborgen. Man kann es nicht klar umreißen, man kann nicht mit dem Finger darauf deuten.
Es gibt immer wieder viele, die in übersteigerter Frömmigkeit meinen, sie könnten das Reich Gottes für sich beanspruchen und sagen: Wir haben es hier, wir verwirklichen es. Und es mag sein, dass solche Gruppen und Zusammenschlüsse für kurze Zeit recht anziehend wirken.
Neulich habe ich die Geschichte der Templer in Württemberg gelesen. Das entstand aus einer Erweckung heraus. Aber sie verließen bald die warnenden Stimmen der Väter, separierten sich von Korntal und der Gründung der Brüdergemeinde draußen und bauten auf dem Salon in Ludwigsburg ihre Heilsgemeinde. „Wir machen das Reich Gottes.“ Dann wanderten sie nach Palästina aus, um dort das Reich Gottes in Herrlichkeit zu vollenden.
Leider ist nicht mehr viel übrig geblieben von den Anfängen des Glaubens. Jesus warnt hier vor all diesen Versuchen, das Reich Gottes darzustellen.
Ich will Ihnen die Freude nicht nehmen: Das Reich Gottes ist verborgen und doch sichtbar.
Ich war als Schüler gerne im Haus meiner Großmutter auf der Schwäbischen Alb. Es war immer eindrucksvoll, wenn sie Gespräche unter Verwandten unterbrach und sagte: „Er zählt jetzt etwas von den Siegen im Reich Gottes.“ Es gibt ja auch viel zu erzählen von Schwierigkeiten im Reich Gottes, in der Kirche oder in der Welt.
Schlagen Sie heute die Zeitung auf, hören Sie die Nachrichten, erzählen Sie mir etwas von den Siegen im Reich Gottes! Dann erzählt der eine, wie er an der Universität in der Mensa Gespräche geführt hat und plötzlich merkt, wie das Wort Jesu ihn trifft. Oder eine Fürsorgerin erzählt, wie sie in einer Familie Frieden und Versöhnung stiften durfte.
Das Reich Gottes ist sichtbar, aber immer nur in ganz kleinen Zeichen in unserer Welt. Es ist verborgen, es ist da, es ist Realität, und doch nur in zarter Weise sichtbar.
Wir wollen uns hüten, immer wieder zu meinen, wir könnten es in Deckung bringen mit unseren Organisationen. Und doch weiß ich, dass es hier und da auch durch unseren schwachen und dürftigen Dienst hindurch geschieht.
Jesus ist König und will herrschen. Er tut das in einer ganz behutsamen, verdeckten Weise auch heute.
Dritter Satz: Dennoch ist das Reich Gottes voll da. Wir sehen heute immer wieder ungeduldige Christen, die ehrlich bemüht sind, das Reich Gottes herbeizwingen zu wollen.
Ich habe Gespräche geführt, besonders auch im Ausland. Es bedrängt vor allem junge farbige Christen in aller Welt sehr, dass man meint, das Reich Gottes müsse man jetzt durchsetzen, sich der Mittel dieser Welt bedienen, Gewalt anwenden, die Waffe ergreifen und das Reich Gottes erzwingen.
Es ist genauso falsch, zur Verteidigung unseres Reiches Gottes hier im Westen die Waffen zu fordern. Nicht die Kirche ruft zur Verteidigung der Güter des Reiches Gottes und der Bibel auf. Ich habe in Russland nie dazu aufgerufen, dass Christen die Waffen ergreifen und das System stürzen sollen.
Das ist immer eine Versuchung: Müssen wir nicht etwas tun, um das Reich Gottes und die Gerechtigkeit, die Zerbrechung der unrechten Strukturen durchzusetzen? Müssen wir das nicht jetzt machen, uns verbünden mit anderen Gruppen und es wenigstens herstellen?
Jesus hat gewarnt. Ich fürchte, dass auch heute manche kurzschlüssige Bibelauslegung dazu verleitet, dass Menschen meinen, sie könnten das Reich Gottes sichtbar im 20. Jahrhundert darstellen.
Manchmal steht das auch in gut gemeinten kirchlichen Aktivitäten, wenn man Angst hat, es sei ein falsches Reichsgottesverständnis da, das sich letztlich deckt mit einem Weltreich, das in der Bibel so gar nicht verheißt ist.
Sie erinnern sich, dass wir früher in unseren Lutherbibeln den Satz Jesu anders übersetzt hatten: Das Reich Gottes ist mitten unter euch, und das Reich Gottes ist inwendig in euch.
Im Griechischen steht dort „enthos“. Wer Griechisch kann, weiß, dass das gar nicht so falsch übersetzt ist: Das Reich Gottes ist inwendig in euch. Da deutet Jesus schon das Behutsame an, das Schwierige, mit dem Finger darauf zu zeigen, das Schwierige, es nach außen darzustellen.
Warum wurde das verändert? Es gab eine große theologische Diskussion. Man sagte: Bei „inwendig in euch“ klingt es so gefährlich, als sei es nur ein Seelenzustand oder eine Gemütsverfassung. Das wäre schlimm, wenn das Reich Gottes nur so im Herzen bei uns ruhen würde, also eine gottesdienstliche Handlung oder Frömmigkeit, die man tut, wenn man betet, und sobald man draußen in der Welt ist, hat man wieder Teil an all den Ungerechtigkeiten.
Darum hat man es verändert, mit Recht.
Aber ich bitte Sie, beide Bedeutungen in Ihrem Ohr mitzuhaben. Sonst gibt das Griechische nicht richtig wieder, was Jesus meint.
Jesus meint wirklich, dass das Reich Gottes inwendig in uns ist. Aber das, was in uns ist, muss durchschlagen, wenn es lebt. Es ist unmöglich, dass Sie das in Ihrem Herzen einschließen wie in einem Tresor.
Das wäre furchtbar, wenn Sie die Gottesherrschaft nur in Ihrer Frömmigkeit trügen, ohne dass sie Ihre Gedanken, Ihre Vorhaben, Ihre Planungen, Ihre Geschäfte prägt.
Wenn Jesus von der Gottesherrschaft inwendig oder mitten unter uns redet, meint er doch, dass in uns eine große Veränderung geschieht.
Wir haben alle Schwierigkeiten, das nach außen zu stellen. Wir wollen jetzt nicht mit dem Finger auf andere zeigen und sagen: Das sind die scheinheiligen Christen. Wir haben alle Mühe und leiden darunter, dass es uns nur schwer gelingt.
Ich wollte das ganz anders darstellen, aber das Reich Gottes hat seinen Landeplatz inwendig in uns.
Ich erinnere an eine Predigt des unvergesslichen Theologen und Denkers Karl Heim. Er hat es so beschrieben – am liebsten hätte ich es ihm vorgelesen, aber vielleicht wäre dann die Wirkung verloren gegangen:
Unser Leben ähnelt einer lauten Straße. Was wusste Karl Heim damals schon von unseren lauten Straßen, in denen wir heute leben, wie in der Hohenheimer Straße, wo Autos vorbeiflitzen, eins ums andere, wo die Geschäfte sind und Menschen herauf und herunter eilen?
Und dann sagt er: An dieser Straße steht ein kleines Kirchlein. Da kann man hineingehen, macht die Tür zu, und plötzlich ist man in Frieden.
In dieser scheinbar anstößigen Weise spricht Karl Heim davon: In unserem Leben, wo so viele schlimme und aufregende Dinge passieren, wo wir durch so viel Leiden und Schrecken hindurchgehen – das war eine Predigt, die, meine ich, in der Kriegszeit gehalten wurde – da ist ein Heiligtum: das Reich Gottes inwendig in dir.
Jesus will in dein Leben hinein, er macht in deinem Herzen Wohnung. Wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist?
Es ist immer nur ein Schritt, einzukehren in diese Stille.
Karl Heim spricht davon, wie wir jetzt herausfinden müssen, wie wir aus den Bedrängnissen, aus dem, was uns bekümmert, herauskommen und mitten im Tag, im Gewühle der Arbeit, Stille finden in diesem Heiligtum Gottes, eintreten und vor ihm stehen in der Gottesherrschaft.
Wo Sie dieses Heiligtum inwendig in sich kennen, da können Sie es auch öffnen und diesen Schein hinausfallen lassen in die lärmende Straße, in der Sie zu tun haben.
Karl Heim meinte nicht, dass man es einschließen soll in dieses Kirchlein, sondern dass es hinausdringen muss, diese Gottesherrschaft in die Welt hinein.
Ich bin bei mir sehr bedrückt, wenn ich das so anspreche, weil es Ihnen vielleicht hilfreich wird: In unserem Leben wird dieses Gottesreich, wo Jesus angefangen hat, uns zu verändern, in uns oft blockiert.
Jesus hat darauf hingewiesen, dass unreine Gedanken, böse Gedanken, Neid, Geiz und Hass das Reich Gottes unmöglich machen, weil dann er keinen Raum mehr in uns hat.
Darum ist es so wichtig, dass wir hier zu klaren Verhältnissen kommen. Das knüpft an die Predigt vom letzten Sonntag an: Dass bei uns geordnet wird, damit die Gottesherrschaft in uns durchbrechen kann, aus diesem Heiligtum in uns hinausgehen kann.
Man kann das Reich Gottes blockieren, man kann es verhindern. Ein Streit ist, als ob in dem Kirchlein an der lauten Straße zwei hereinkommen und sich drinnen prügeln. Diese Auseinandersetzung, die hineinklingt bis ins Heiligtum, diese unrechten Dinge, die unser Leben begleiten, die Gedanken, die dazu nicht passen.
Unser Leben muss von innen heraus in der Gottesherrschaft neu werden.
Darum hat Jesus so klar gesagt: Ihr könnt das Reich Gottes gar nicht sehen, wenn ihr nicht von neuem geboren seid, wenn nicht inwendig in euch die große Veränderung geschieht, dass Jesus Christus als Herr in euer Leben einzieht und Besitz nimmt von eurem Herzen, euren Gedanken und eurem Willen.
Dann wird alles neu, unsere Empfindungen werden anders, unser Gefühl wird neu. Wir bekommen einen neuen Blick für die Welt und sind zugerüstet, taugliche Bürger dieses vergehenden Weltreiches zu sein und unseren Dienst hier zu tun.
Ich will nur noch einen letzten Gedanken anschließen, den vierten: Einmal wird es strahlend hell überall.
Jesus hat den Pharisäern gesagt – ich übersetze das mal etwas salopp: Schade, dass er es nicht heute säen kann. Schade, wenn ihr heute nicht seht, wo das Reich Gottes sich in unseren Tagen ereignet, auch in den vielen Missionsberichten, die wir haben, in manchem treuen Dienst, wo wir die Hände falten und miteinander beten und Jesus unsichtbar unter uns ist – das Reich Gottes mitten in dieser Welt, welch ein Geschenk!
Dann redet mir nicht mehr von irdischen Revolutionen, ängstigt mich nicht mehr mit dem Schweren, was geschieht. Dann sind Krebs und Krieg nicht mehr das Dauerthema unseres Lebens, sondern das Reich Gottes.
Wir sind doch die Freudenboten, die der Welt etwas Wichtiges zu sagen haben. Aber die Pharisäer verstanden es nicht.
Jesus sagte ihnen: Ihr werdet euch sehnen, einen Tag des Menschensohnes zu sehen, und werdet ihn nicht sehen. Das ist das Schlimmste, wenn die Welt durch Katastrophen und dunkle Leiden geht.
Heute Morgen kam die Bilanz: Wie viele Millionen Menschen in den nächsten Jahren verhungern. Furchtbar! Und sie sehen nichts vom Tag des Sohnes, nichts vom Reich Gottes.
Das Allerschlimmste ist auch, dass unsere Freunde und Bekannten letztlich keine Hoffnung haben, dass sie ersticken in Ängsten vor Umweltschmutz, Kernenergie und Zerstörung der Welt und nichts vom Reich Gottes wissen, das doch anbricht.
Wir fragen ungeduldig: Wann kommt es denn? Es ist doch Zeit, komm bald, Herr Jesu!
Das ist der Schrei eines jeden echten Christen, der sagt: Die Leidenszeit dieser Welt kann nicht noch verlängert werden.
Jesus sagt: Wie ein Blitz wird das Ende kommen, und es wird leuchten wie in der Nacht, wenn ein Blitz herunterfährt und man schnell die Hausdächer, Straßen und Hügel in der Ferne in hellem Licht sieht.
So wird es sein, wenn das Reich Gottes wirklich kommt. Dann wird es sichtbar sein über der ganzen Welt.
Wir können unsere Straße fröhlich ziehen, weil wir wissen: Das kommt. Wie und wann Jesus ein tausendjähriges Reich bringt, dann das Ende, den neuen Himmel und die neue Erde – das ist mir nicht mehr so wichtig.
Ich bin froh, heute zu diesem Reich Gottes zu gehören.
Ich frage Sie: Haben Sie da klare Verhältnisse geschaffen? Welches Bürgerrecht haben Sie? Nach welchem Bürgerrecht leben Sie? Leben Sie nach den Maßstäben dieser vergehenden Welt, oder ist Ihr Blick schon auf das Reich Gottes ausgerichtet? Liegt dort Ihre ganze Aktivität? Fühlen Sie sich verpflichtet, die Gesetze und Gültigkeiten des neuen Reiches schon zu leben?
Es ist wunderbar, wenn wir durch diese Welt ziehen, manchmal durch schwere, dunkle Täler gehen und dennoch unsere Häupter fröhlich erheben, weil wir wissen: Die Erlösung naht.
Die Leute werden sagen, wir träumen irgendwo von einer fernen Welt. Hoffentlich sagen sie das.
In dieser Welt haben wir keine größere Hoffnung, als Zeichen zu setzen. Aber wir freuen uns, dass Jesu Reich sichtbar kommt – nicht dann, wenn unsere Bemühungen zusammenklingen, sondern wenn er seine neue Welt herbeibringt.
Das ermutigt uns, heute nicht mutlos zu werden, auch mit kleinen Taten, auch mit dem Wenigen, das ich tun kann.
Er will uns heute befähigen, für sein Reich schon zu leben.
Wir dürfen rufen: Komm bald, Herr Jesu! Amen.
Die Gefahr menschlicher Versuche, das Reich Gottes zu erzwingen
Erst in unserem Jahrhundert sind einige Beherzte daran gegangen und haben gesagt: Wir brauchen keinen Gott mehr, das machen wir selbst. Wir wollen das Reich Gottes mit Menschengewalt errichten.
Sie wissen, wie viele Millionen Menschen im Namen eines säkularisierten Gottesreiches in den Tod getrieben und in Blut getränkt wurden. Diese Vorstellung vom Gottesreich hat über die Jahrhunderte hinweg die Menschen beflügelt.
Ich denke daran, wie in Württemberg, selbst in unserer kleinen Lokalgeschichte, die Leute draußen auf dem Dorf in ihrer Bibel gelesen haben. Sie litten unter ihrem Despoten, dem Landesfürsten. Gottes Wort sagt: „Und es wird die Zeit kommen, da werden die Fürsten fürstliche Gedanken haben.“
Ein Flattich konnte seinem Herzog dies entgegenschleudern, weil er aus dem Wort Gottes lebte. Er sagte: „Fürst, was ist denn Ihr absolutistisches Reich, Majestät, das Sie hier bauen? Ein Stück der Hoffnung.“
Dort haben Menschen es gewagt, ihr Leben zu opfern. Warum lohnt es sich, für Gerechtigkeit zu kämpfen? Warum lohnt es sich, für das Gute sein Leben zu wagen? Weil Gott die Verheißung gegeben hat, dass am Ende doch sein Reich kommt.
Darum stimmt es nicht, dass man sich irgendwo anpassen muss – an die Lüge, an die Gewalt, an den Druck. Das wäre kurzsichtig und nur für die paar Jahre bestimmt, in denen man Karriere machen kann.
Ein Christ weiß, dass wir auf die Weite der Zeit hin denken müssen, wenn Gottes Reich kommt.
Das Reich Gottes ist schon angebrochen und mitten unter uns
Jesus sagt uns heute Morgen in diesem Wort nicht nur zu den Pharisäern, sondern auch zu uns: Passt auf, dass ihr nicht nur an eine ferne Zukunft denkt, in der das Reich erfüllt wird.
Heute ist dieses Reich bereits angebrochen, es ist mitten unter euch. Wäre es nur ein Traum vom Sankt-Nimmerleins-Tag, dann wäre es noch nicht da. Aber heute ist es schon da.
Jesus verzichtet auf Panzer, Gewehre und all die Statussymbole der Herren unserer Welt. Dieses Reich ist verborgen, doch es ist voll da. Eines Tages wird es für alle Menschen sichtbar werden.
Gerade habe ich Ihnen meine vier Teile genannt. Diese möchte ich nun in Ruhe entfalten und Ihnen erklären, was ich damit meine.
Das Reich Gottes steht fest und hat die Machtverhältnisse verändert
Das Reich Jesu steht fest; es ist schon mitten unter uns. Wenn man so will, ist die Umwälzung geschehen und der Putsch vollzogen – die Machtverhältnisse dieser Welt haben sich bereits geändert.
Das ist natürlich ein Thema, bei dem Sie verstehen, dass manche der Zuhörer Jesu auch damals sagten: „Das ist nichts für mich, das verstehe ich nicht.“ Da sitzt doch noch der Statthalter Pilatus an der Macht, täglich werden wir von der fremden Armee terrorisiert, und die alten Unrechtsstrukturen unserer Welt bestehen weiterhin. Ist das nicht bloß ein Betrug, nur ein Wort, eine Beruhigung der Gemüter?
In diesem Predigttext wird das ja so abgegrenzt nach der Ordnung unserer Kirche. Doch im nächsten Vers, den ich jetzt noch hinzuziehen möchte, sagt Jesus: „Aber des Menschen Sohn muss zuvor noch viel leiden.“ Wenn Sie fragen, warum Jesus noch so viel Böses in der Welt geschehen lässt, dann liegt das daran, dass auch die Macht des Satanischen in dieser Welt noch ausreifen muss. Das soll Christen immer recht mutig und unerschrocken machen. Wir müssen wissen, dass gewisse Dinge noch ans Licht treten müssen, damit der Traum von der Humanität des Menschen nicht weiter so erbärmlich geträumt wird.
Jesus redet davon, dass das Reich Gottes herbeigekommen ist. Johannes der Täufer hat schon gesagt: „Draußen im Jordan, in der Wüste, ist es ganz nahe.“ Jetzt kommt Jesus und sagt: „Es hat begonnen, es ist mitten unter euch. Macht die Augen auf, ihr werdet es sehen.“ Als Johannes der Täufer dann seine Freunde schickt und fragen lässt: „Ist das jetzt wirklich das Reich?“, sagt Jesus: „Macht doch die Augen auf, ihr seht doch das Reich Gottes, ihr seht es doch, wie es geschieht.“
Sie müssen das noch im Zusammenhang mit der Zeitgeschichte sehen. Die Pharisäer seiner Zeit, die gläubigen Menschen, hatten damals die Verheißungen Gottes in ganz besonderer Weise erhofft. Die Prophetenworte von der kommenden Gottesherrschaft, wo der Friede anbricht – auch über die leidende Welt der Kreatur. Ich möchte jeden Umweltschützer bitten, einmal nachzulesen, wie die Bibel das in einem großen einheitlichen Zusammenhang sieht, sogar bis in die unterdrückte Tierwelt hinein.
Sie hatten erhofft: Eines Tages muss das doch kommen. Und das war die Frage an Jesus: „Wann kommt denn das? Wenn du schon von der Gottesherrschaft redest und dies zum Zentralthema machst, wann kommt die Gottesherrschaft? Erzähl es mir doch!“ Und Jesus sagt: „Sie ist mitten unter euch.“
Das war unfassbar. Dann muss er doch das Joch der Römer abschütteln, denn das war die schlimmste Not: dass das Volk Gottes von der feindlichen Macht ausgebeutet und entehrt da steht. Selbst in der Nähe des Heiligtums trieben die römischen Soldaten ihr Unwesen in der heiligen Stadt Jerusalem, wo doch die Ankunft des Messias erwartet wurde.
Deshalb wissen Sie, dass Jesus, der von der nahen Gottesherrschaft sprach, sehr vorsichtig formulierte. Er sagte, die Gottesherrschaft ist da, aber er hat das Wort „Messias“ nie in den Mund genommen. Nur Petrus durfte es eines Tages aussprechen. Doch Jesus befahl ihm, zu schweigen, weil er wusste, dass auch wir Christen eine gefährliche Veranlagung haben: das Reich Gottes ständig mit den politischen Bestrebungen der Gegenwart zu verbinden. Das wird immer wieder vermischt.
Jesus widersprach nicht, als beim Einzug in Jerusalem die Menschen ihm entgegentraten und sofort dachten: „Er spricht doch von der Gottesherrschaft, sicher bricht sie jetzt an, die Herrschaft des Himmels.“ Sie verstanden nicht, wie wir am letzten Sonntag bei der Bergpredigt wieder gehört haben, dass die Gottesherrschaft sich genau dort ereignet, wo Jesus seine Seligpreisungen verkündete.
Diesen kleinen, aber wichtigen Unterschied haben sie nicht bemerkt: Jesus wollte die Gottesherrschaft nicht in äußerer Pracht darstellen, sondern verhüllt. Und doch ereignet sich die Herrschaft Gottes.
Als Jesus dann vor die Stadt hinausging, wo draußen Kranke am Straßenrand saßen, legte er ihnen die Hand auf und heilte sie – Zeichen der Gottesherrschaft. Jesus ist gekommen, um die Werke des Teufels zu zerstören. Das geschieht auf wunderbare Weise, zum Beispiel als das Haus eines Schwarzhändlers namens Zachäus umkehrt. Plötzlich beginnt dieser Mann, in seinen Kontenbüchern nach der Barmherzigkeit und Gerechtigkeit Gottes zu leben. Da ereignet sich die Gottesherrschaft mitten in dieser Welt.
Wir müssen aufpassen, dass wir die Herrschaft Gottes nicht immer nur an politischen Strukturen messen. Ob wir diese nicht manchmal überschätzen – die Personen der Staatspräsidenten, die Parteien, die an die Macht kommen. Ob wir uns nicht auch darin verbeißen und meinen, darin liege das ganze Heil.
Jesus sagt: „Das Reich Gottes ereignet sich für den, der die Augen aufmacht. Schaut euch doch um!“ Und da steht er da, der armselige Jesus. Bis heute, sogar ins zwanzigste Jahrhundert hinein, ist es kaum anders geworden: Die Welt nimmt kaum Notiz davon.
Was geschieht denn schon, wenn ihr predigt? Wenn ihr von Jesus verkündet? Was geschieht Großes, wenn ihr betet und euch in seinem Namen versammelt? Wenn ihr eure armseligen Missionsboten in die Welt hinaussendet? Was geschieht denn da?
Und wir sagen stolz: Es geschieht das Reich Gottes. Und es geschieht wunderbar, auch in unseren Tagen.
Das Reich Gottes ist verborgen und nicht immer klar erkennbar
Ein zweiter Satz, den ich abgrenzen möchte, soll deutlicher machen, dass das Reich Gottes verborgen ist.
Es könnte natürlich ein Trick sein, wenn man jetzt sagt, man traut ja auch den christlichen Verkündigern vielleicht mit Recht nicht immer etwas Gutes zu und denkt dann, das sei ein Trick in der Verkündigung. Man redet groß vom Reich Gottes, und wenn es zum Hauen und Stechen kommt, sagt man, das kann man nicht sehen, das ist verborgen. Doch man kann es sehen. Das habe ich Ihnen gerade gesagt: Man kann es sehen.
Jesus hat es auch den Freunden von Johannes dem Täufer ausrichten lassen: „Mach mal die Augen auf, was da geschieht!“ Er weist uns auf kleine, nach weltlichen Maßstäben unscheinbare Dinge hin, die in seiner Geschichte viel, viel größer sind. Und dann lernen wir, die Weltgeschichte ganz neu zu sehen und zu deuten.
Wir sehen, wie Reiche kommen und Reiche gehen, wie große Veränderungen geschehen. Und dann auf einmal sagen wir: Man war nicht das Allergrößte in der Weltgeschichte, sondern einzelne Menschen, die sich der Gottesherrschaft verpflichtet wussten und in Liebe und Treue ihr Leben hingaben.
Dann wollte ich von den großen Gestalten erzählen, von Franz von Assisi und Bodelschwing, und wie sie hießen. War das nicht groß, dass Menschen die Gottesherrschaft lebten, ohne Rücksicht darauf, ob sie sich durchsetzt?
Jesus hat uns gewarnt. Er hat gesagt, ihr müsst nur aufpassen: Das Reich Gottes kann man doch nicht in dieser Form beobachten, dass man genau sagen kann: Da ist es eng umrissen. Das ist schwierig für uns, die wir ja unsere Kirche so lieben. Denn es kommt immer wieder das Missverständnis vor, dass wir unsere kirchlichen Zusammenschlüsse, unsere Gemeinden, unsere Organisationen mit dem Reich Gottes gleichsetzen.
Dann werden Menschen enttäuscht und sagen: Ist das die Gottesherrschaft? Da sehen wir so viel Menschelei! Ist denn das Tarifrecht und das Besoldungsrecht wirklich nach der Königsherrschaft Gottes geordnet, nach Liebe und Barmherzigkeit bei uns? Sind die Personen, die hier wirken, und wir selbst nicht unheilige, sündige Menschen?
Da hat uns Jesus gewarnt: Passt auf, lasst euch von niemandem verführen! Das Reich Gottes ist zwar sichtbar und doch verborgen. Man kann es nicht klar umreißen, man kann nicht mit dem Finger darauf deuten.
Es gibt immer wieder viele, die in einer übersteigerten Frömmigkeit meinen, sie könnten das Reich Gottes für sich beanspruchen und sagen: Wir haben es hier, wir verwirklichen es.
Es mag sein, dass für kurze Zeit auch solche Gruppen und Zusammenschlüsse recht anziehend wirken. Ist das nicht das Reich Gottes, das sich da versammelt? Neulich habe ich die Geschichte der Templer in Württemberg gelesen. Das war ja aus einer Erweckung heraus entstanden. Aber sie haben bald die warnenden Stimmen der Väter verlassen, sich dann ganz von Korntal und der Gründung der Brüdergemeinde draußen separiert und auf dem Salon in Ludwigsburg ihre Heilsgemeinde gebaut: „Wir machen das Reich Gottes.“
Dann sind sie ausgewandert, hinunter nach Palästina, um hier das Reich Gottes in Herrlichkeit zu vollenden. Es ist leider nicht mehr viel übrig geblieben von den Anfängen des Glaubens.
Jesus warnt hier vor all diesen Versuchen, zu meinen, das darstellen zu können. Ich will Ihnen die Freude nicht nehmen: Das Reich Gottes ist verborgen und doch sichtbar.
Ich war als Schüler gerne im Hause meiner Großmutter auf der Schwäbischen Alb. Es war für uns immer eindrucksvoll, wenn sie die Gespräche, wenn Vettern und Basen sich getroffen hatten, unterbrochen hat und sagte: „Erzählt jetzt etwas von den Siegen im Reich Gottes.“ Es gibt ja auch viel davon.
Von Schwierigkeiten im Reich Gottes zu erzählen oder in der Kirche oder in der Welt und Böses – schlagen Sie heute die Zeitung auf, hören Sie die Nachrichten – erzählen Sie mir etwas von den Siegen im Reich Gottes!
Dann erzählt der eine, wie er in der Mensa der Universitäten Gespräche geführt hat mit einem anderen und plötzlich merkt, wie das Wort Jesu ihn trifft. Oder eine andere Fürsorgerin erzählte, wie sie in einer Familie Frieden und Versöhnung stiften durfte.
Das Reich Gottes ist sichtbar, aber immer nur in ganz kleinen Zeichen in unserer Welt. Es ist verborgen, es ist da, es ist Realität, und doch ist es nur in ganz zarter Weise sichtbar.
Wir wollen uns auch hüten, immer wieder zu meinen, wir könnten es in Deckung bringen mit den Organisationen. Und doch weiß ich, dass es hier und da auch durch unseren schwachen und dürftigen Dienst hindurch geschieht.
Jesus ist König und will herrschen. Und er tut das in einer ganz behutsamen, verdeckten Weise auch heute.
Das Reich Gottes ist voll da, aber nicht durch Gewalt zu erzwingen
Dennoch ist das Reich Gottes voll gegenwärtig. Auch heute begegnen wir immer wieder ungeduldigen Christen, die in ehrlichem Bemühen meinen, sie müssten das Reich Gottes herbeizwingen.
Ich habe viele Gespräche geführt, besonders im Ausland. Dort bedrängt es vor allem farbige junge Christen weltweit. Sie glauben, um das Reich Gottes wirklich durchzusetzen, müssten sie sich für eine kurze Zeit der Mittel dieser Welt bedienen. Zum Beispiel Gewalt anwenden, die Waffe ergreifen und so das Reich Gottes erzwingen.
Das ist jedoch ebenso falsch, wie zur Verteidigung unseres Reiches Gottes hier im Westen zu den Waffen zu greifen. Ich fordere nicht, dass man zur Verteidigung des Reiches Gottes die Waffen erhebt. Auch die Kirche ruft nicht dazu auf, die Güter des Reiches Gottes und der Bibel mit Gewalt zu verteidigen.
In Russland habe ich niemals dazu aufgerufen, dass Christen die Waffen in die Hand nehmen und das System stürzen sollen. Das ist immer eine Versuchung: Müssen wir nicht etwas tun, um das Reich Gottes und die Gerechtigkeit durchzusetzen? Müssen wir nicht jetzt handeln, uns mit anderen Gruppen verbünden und das Reich wenigstens vorübergehend herstellen?
Jesus hat davor gewarnt. Ich fürchte, dass auch heute manche kurzschlüssige Bibelauslegung Menschen dazu verleitet, zu glauben, sie könnten das Reich Gottes sichtbar im 20. Jahrhundert darstellen.
Manchmal zeigt sich dies auch in gut gemeinten kirchlichen Aktivitäten, bei denen Angst mitschwingt. Ist hier nicht ein falsches Reich-Gottes-Verständnis vorhanden? Ein Verständnis, das sich letztlich mit einem Weltreich deckt, wie es in der Bibel niemals verheißen wurde?
Die innere Wirklichkeit des Reiches Gottes
Ich habe mich vorhin daran erinnert, dass wir früher in unseren Lutherbibeln einen bestimmten Satz Jesu anders übersetzt hatten: „Das Reich Gottes ist mitten unter euch“ und „Das Reich Gottes ist inwendig in euch“.
Im Griechischen steht dort „enthos“. Wer Griechisch kann, weiß, dass „inwendig in euch“ gar nicht so falsch übersetzt ist. Jesus deutet hier schon etwas Behutsames an. Es ist schwierig, genau zu sagen, was er meint, und noch schwieriger, das nach außen darzustellen.
Warum wurde die Übersetzung verändert? Es gab eine große theologische Diskussion, und es ist gut, wenn man davon weiß. Man sagte, bei „inwendig in euch“ klingt es gefährlich, als ob das Reich Gottes nur ein Seelenzustand oder eine Gemütsverfassung wäre. Das wäre schlimm, denn dann wäre das Reich Gottes nur eine gottesdienstliche Handlung oder eine Frömmigkeit, die man beim Beten zeigt. Sobald man aber draußen in der Welt ist, hätte man wieder Teil an all den Ungerechtigkeiten.
Darum hat man die Übersetzung mit Recht verändert. Trotzdem möchte ich bitten, dass Sie beide Bedeutungen im Ohr behalten. Sonst gibt man das Griechische nicht richtig wieder. Jesus meint wirklich, dass das Reich Gottes inwendig in uns ist. Aber das, was in uns ist, muss doch durchschlagen, wenn es lebt. Es ist unmöglich, das Reich Gottes in Ihrem Herzen einzuschließen wie in einem Tresor.
Das wäre furchtbar, wenn Sie die Gottesherrschaft nur in ihrer Frömmigkeit trügen. Dann würden Ihre Gedanken, Vorhaben, Planungen und Geschäfte nicht davon geprägt sein. Wenn Jesus von der Gottesherrschaft „inwendig“ oder „mitten unter uns“ redet, meint er doch, dass in uns eine große Veränderung geschieht.
Wir alle haben Schwierigkeiten, das nach außen hin zu zeigen. Wir wollen jetzt gar nicht mit dem Finger auf andere zeigen und sagen, das sind scheinheilige Christen. Wir haben alle Mühe und leiden darunter, dass es uns nur so schwer gelingt.
Ich wollte das ganz anders darstellen, aber das Reich Gottes hat seinen Landeplatz inwendig in uns.
Lassen Sie mich eine Predigt des unvergesslichen Theologen und Denkers Karl Heim zitieren. Am liebsten hätte ich sie ihm vorgelesen. Aber vielleicht wäre dann auch ein Stück der Wirkung verloren gegangen. Er sagt: Unser Leben ähnelt einer lauten Straße.
Was wusste Karl Heim schon von unseren lauten Straßen, in denen wir heute leben, wie zum Beispiel der Hohenheimer Straße, wo die Autos vorbeiflitzen, eins ums andere? Dort sind Geschäfte, und die Menschen eilen auf und ab die Straße entlang.
Dann sagt Karl Heim: An dieser Straße steht ein kleines Kirchlein. Da kann man hineingehen, macht die Tür zu und plötzlich ist man in Frieden. In dieser fast anstößigen Weise spricht Karl Heim davon: In unserem Leben, wo so viele schlimme und aufregende Dinge passieren, wo wir durch so viel Leiden und Schrecken hindurchgehen – das war eine Predigt, die, meine ich, in der Kriegszeit gehalten wurde – da ist ein Heiligtum: das Reich Gottes inwendig in dir.
Jesus will in dein Leben hinein und macht in deinem Herzen Wohnung. „Wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist?“ Und er sagt, es ist immer nur ein Schritt, einzukehren in diese Stille.
Karl Heim spricht davon, wie wir jetzt besonders herausfinden müssen, wie wir aus den Bedrängnissen und dem, was uns bekümmert, herauskommen. Wie wir mitten im Tag, im Gewühle der Arbeit, Stille finden können in diesem Heiligtum Gottes, einkehren und vor ihm stehen in der Gottesherrschaft.
Wenn Sie dieses Heiligtum inwendig in sich kennen, können Sie es auch öffnen und den Schein hinausfallen lassen in diese lärmenden Straßen, mit denen Sie zu tun haben. Karl Heim meinte nicht, dass man es in diesem Kirchlein einschließen soll. Nein, es muss hinausdringen, diese Gottesherrschaft muss in die Welt hinein.
Ich bin bei mir sehr bedrückt, wenn ich das so anspreche, weil es Ihnen vielleicht hilfreich wird: In unserem Leben wird dieses Gottesreich, mit dem Jesus angefangen hat, uns zu verändern, oft blockiert.
Jesus hat darauf hingewiesen, dass unreine Gedanken, die von uns ausgehen – böse Gedanken, Neid, Geiz und Hass – das Reich Gottes sehr unmöglich machen. Denn dann hat es keinen Raum mehr in uns.
Darum ist es so wichtig, dass wir hier zu ganz klaren Verhältnissen kommen. Damit knüpfen wir an die Predigt vom letzten Sonntag an: Es muss bei uns geordnet werden, damit die Gottesherrschaft in uns durchbrechen kann und aus diesem Heiligtum in uns hinausgeht.
Man kann das Reich Gottes blockieren und verhindern. Ein Streit ist wie wenn in dem Kirchlein an der lauten Straße zwei hereinkommen und sich drinnen prügeln. Diese Auseinandersetzung, die hineinklingt bis ins Heiligtum, diese unrechten Dinge, die unser Leben begleiten, die Gedanken, die dazu nicht passen.
Unser Leben muss von innen heraus in der Gottesherrschaft neu werden.
Darum hat Jesus so klar gesagt: Ihr könnt das Reich Gottes gar nicht sehen, wenn ihr nicht von neuem geboren seid, wenn nicht inwendig in euch die große Veränderung geschieht, dass Jesus Christus als der Herr in euer Leben einzieht und von eurem Herzen, euren Gedanken und eurem Willen Besitz nimmt.
Dann wird alles neu. Unsere Empfindungen werden anders, unser Gefühl wird neu. Wir bekommen einen neuen Blick für die Welt.
Wir sind dann zugerüstet, taugliche Bürger dieses vergehenden Weltreiches zu sein und unseren Dienst hier zu tun.
Die endgültige Offenbarung des Reiches Gottes
Und ich möchte nur noch einen letzten, vierten Gedanken anschließen: Einmal wird es strahlend hell überall sein. Jesus hat zu den Pharisäern gesagt – ich übersetze es mal ein bisschen salopp – „Schade, dass er es heute nicht säen kann.“ Schade, wenn Sie heute nicht sehen, wo das Reich Gottes sich in unseren Tagen ereignet.
Auch in den vielen Missionsberichten, die wir haben, in manchem treuen Dienst hin und her, wo wir die Hände falten und miteinander beten und Jesus unsichtbar unter uns ist – das ist das Reich Gottes mitten in dieser Welt. Welch ein Geschenk! Dann redet mir nicht mehr von irdischen Revolutionen, ängstigt mich nicht mehr mit dem Schweren, was geschieht. Dann sind Krebs und Krieg nicht mehr das Dauerthema unseres Lebens, sondern das Reich Gottes.
Wir sind doch die Freudenboten, die der Welt etwas Wichtiges zu sagen haben. Aber die Pharisäer verstanden es nicht. Dann hat Jesus ihnen gesagt: „Ihr werdet euch sehnen, einen Tag des Menschensohnes zu sehen, und werdet ihn nicht sehen.“ Das ist das Schlimmste, wenn die Welt durch Katastrophen und dunkle Leiden hindurchgeht.
Heute Morgen kam die Bilanz: Wie viele Millionen Menschen in den nächsten Jahren verhungern werden – furchtbar! Und sie sehen nichts vom Tag des Sohnes und nichts vom Reich Gottes. Das Allerschlimmste ist auch für unsere Freunde und Bekannten, dass sie letztlich keine Hoffnung haben. Sie ersticken in den Ängsten vor Umweltschmutz, Kernenergie und der Zerstörung der Welt und sehen nichts vom Wissen um das Reich Gottes, das doch anbricht.
Wir fragen dann ungeduldig: „Aber wann kommt es denn?“ „Es ist doch Zeit, komm bald, Herr Jesu!“ Das ist der Schrei eines jeden echten Christen, der sagt: Das kann doch nicht noch verlängert werden, die Leidenszeit dieser Welt.
Und dann sagt Jesus: Wie ein Blitz wird das Ende kommen. Dann wird es leuchten, wie in der Nacht, wenn ein Blitz herunterfährt und man geschwind die Hausdächer, die Straßen und alles in einem hellen Licht sieht – die Hügel in der Ferne. So wird es sein, wenn das Reich Gottes wirklich kommt. Dann wird es sichtbar sein über der ganzen Welt.
Wir können unsere Straße fröhlich gehen, weil wir wissen: Das kommt. Wie und wann Jesus ein tausendjähriges Reich bringt und dann das Ende und den neuen Himmel und die neue Erde – das ist mir dann gar nicht mehr so wichtig.
Ich bin so froh, dass ich heute zu diesem Reich Gottes gehören darf. Und ich möchte fragen: Haben Sie da klare Verhältnisse geschaffen? Welches Bürgerrecht haben Sie? Nach welchem Bürgerrecht leben Sie? Leben Sie nach den Maßstäben dieser vergehenden Welt, oder ist Ihr Blick schon auf dieses Reich Gottes ausgerichtet? Liegt dort Ihre ganze Aktivität? Fühlen Sie sich verpflichtet, diese Gesetze und Gültigkeiten des neuen Reiches schon zu leben?
Es ist doch auch wunderbar, wenn wir durch diese Welt ziehen, manchmal durch schwere, dunkle Täler, traurige, dunkle Täler gehen und trotzdem unsere Häupter fröhlich erheben, weil wir wissen: Es naht die Erlösung. Die Leute werden meinen, wir träumen irgendwo von einer fernen Welt – sagen wir hoffentlich.
In dieser Welt haben wir keine größere Hoffnung, als noch Zeichen zu setzen. Aber wir freuen uns, dass Jesu Reich sichtbar kommt. Nicht dann, wenn unsere Bemühungen zusammenklingen, sondern wenn er seine neue Welt herbeibringt.
Das ermutigt uns, heute nicht mutlos zu werden, auch mit der kleinen Tat, auch mit dem Wenigen, was ich tun kann. Er will uns heute dazu befähigen, für sein Reich schon zu leben.
Wir dürfen rufen: Komm bald, Herr Jesu! Amen!
