Seid ihr wieder fit? Habt ihr vielleicht einen Erweckungskaffee getrunken? Ja, das zweite Thema heute Vormittag lautet: Wie führe ich ein seelsorgerliches Gespräch?
Ich werde euch jetzt nicht, wie ihr sicher schon bemerkt habt, feste Regeln geben und sagen, womit man anfängt, womit man aufhört und so weiter. Stattdessen möchte ich euch grundsätzlich zeigen, wie man vorgehen kann. Es gibt nämlich ganz unterschiedliche Menschen und Charaktere. Und ebenso verschieden ist, was den Einzelnen jeweils anspricht.
Wenn ich daran denke: Damals war ich 17 Jahre alt. Ich war in einem gläubigen Elternhaus aufgewachsen. Bei uns wohnten oft die sogenannten Reisebrüder, die Besuche in den Gemeinden machten. Die Älteren unter euch kennen sicherlich noch Bruder Fritz Statz. Er war früher Missionar im Kongo und hielt bei uns Bibelabende ab. Zwischendurch machte er auch einige Besuche.
Ich war etwa sechzehn oder siebzehn Jahre alt und saß im Wohnzimmer bei uns zu Hause. Plötzlich geht die Tür auf, und Fritz Statz kommt herein. Er war jemand, der sehr direkt war – geradeaus, ohne Umschweife. Er sagt: „Tarewart, hm, bist du bekehrt?“ Ich antworte: „Hm, bist du getauft?“ Er fragt weiter: „Hm, warum nicht?“ Er erwartete gar keine Antwort mehr, sondern ging wieder hinaus.
Auch das ist Seelsorge, oder? Diese Begegnung bewirkte bei mir, dass ich mir Gedanken über die Taufe machte. Aber ich würde diese Art von Seelsorge nicht unbedingt befürworten.
Es ist auch nicht gut, immer um den heißen Brei herumzureden und nicht ins Nadelöhr hineinzustechen. Solche Leute gibt es ebenfalls.
Ich möchte euch noch eine Begebenheit erzählen. Es geht um ein seelsorgerliches Gespräch – so etwas kann man einfach nicht nachmachen. Aber es zeigt, wie unterschiedlich solche Situationen sein können.
Ich habe viel von Friedel Pfeifer gelernt, dem Leiter der Gefährdetenhilfe Scheideweg. Er war ein sehr robuster Mann und immer geradeaus. Damals, als wir in Wuppertal unsere Missionsentscheide trafen, hatten wir auch Einsätze und offene Abende.
Mir war einer aufgefallen, der unsere Pflegetochter anbaggerte. Das war an sich kein großes Problem, denn unsere Pflegetochter war rothaarig oder, wie man bei uns in Barmen sagt, „fussig“. Sie fiel einfach auf, und der junge Mann machte kräftig Anstalten.
Ich stand dabei und sagte zu ihm: „Junge, lass die Finger von dem Mädchen! Ist sie dir?“ Er antwortete: „Das geht dich einen feuchten Kehricht an.“ Daraufhin sagte ich: „Aber eins sage ich dir: Wenn du sie anpackst, gehen wir beide aufs Pflaster.“
Anscheinend hat dieses Wort Eindruck gemacht. Ich bin froh, dass er es nicht ausprobiert hat, denn ich hätte wahrscheinlich den Kürzeren gezogen. Er sagte dann: „Okay.“
Am letzten Abend kam er zu mir und sagte: „Hey Macker, ich möchte mich bekehren.“ Ich erwiderte: „Du hast diese Woche gehört, wie das geht. Also komm.“ Wir gingen in den Jugendraum, knieten nieder, und er brachte sein Leben dem Herrn Jesus.
Ich fragte ihn: „Und jetzt?“ Er antwortete: „Junge, bitte, ich muss mein Leben verändern, ich weiß nur nicht wie.“
Damals hatten wir noch keine eigene Gefährdetenhilfe. Wir hatten bereits erste negative Erfahrungen mit Heavy-Metal-Fans gemacht, die wir in unsere Familien aufgenommen hatten. Also nahm ich ihn mit und fuhr mit ihm zu Friedel Pfeifer nach Scheideweg.
Nun muss ich sagen: Roland, so hieß er, war so ein echter Western-Typ. Also mit Lederhut, Lederjacke mit Fransen, Lederstiefeln, Agraffen unten – also diese Knöpfe darunter, damit man da doch richtig hört. So ein richtig cooler Typ.
Ich sitze mit ihm im Wohnzimmer bei Friedel. Friedel kommt rein und fragt: „Wer bist du?“ Ich antworte: „Ich bin Roland.“ Friedel sagt: „Ich habe nicht gefragt, wie du heißt, ich habe gefragt, wer du bist“, und zuckt mit den Schultern.
„Was kannst du? Kannst du Fußball spielen?“ „Nö.“ „Kannst du singen?“ „Weiß ich nicht.“ „Steh mal auf, bitte. Sing mal ‚Hänschen klein‘.“
Ich habe gedacht: Hey Friedel, verscheuchst du den jetzt? Also ich dachte, der geht gleich raus, oder? Und Roland steht auf. Ihr müsst euch das Bild vorstellen: Da im Wohnzimmer, gut, den Hut hat er abgenommen, aber der Western-Typ steht da im Wohnzimmer und fängt an, „Hänschen klein“ zu singen.
Da ist mir zum ersten Mal der Inhalt dieses Liedes aufgegangen. „Hänschen klein ging allein in die weite Welt hinein, Stock und Hut steht ihm gut, ist ja frohgemut, aber Mutti weint zu sehr, hat hier jetzt gern Hänschen mehr, da besinnt sich das Kind, läuft zurückgeschwind.“ Sieh mal, ich bin da – so fängt das hier an. Bis dahin war es gekommen, dann wusste ich nicht mehr weiter, ich auch nicht.
Friedel sagt zu ihm: „Bist du das?“ Er sagt: „Ja.“ „Ist deine Mutter stolz auf dich? Wie weit bist du von deiner Mutter weg?“ Da habe ich nur gedacht: Eigentümlich, oder? Ist das ein seelsorgerliches Gespräch? Das stellt man sich so gar nicht vor, oder?
Ich habe hinterher Roland gefragt: „Roland, warum bist du aufgestanden und hast ‚Hänschen klein‘ gesungen? Hast du dich nicht vergackert gefühlt?“ Er sagte zu mir: „Ich habe gemerkt, der interessiert sich für mich.“ Und ich glaube, da steckt eine Menge drin.
Es geht nicht darum, wie ich ein Gespräch führe. Es geht darum, dass der andere merkt: Er liegt mir am Herzen. Und das kann man nicht mit Worten vermitteln, oder? Das spürt ein anderer. Ob du drüberstehst, ob du ihn fertig machen willst oder ob du ihm helfen willst.
Friedel ist sehr hart mit ihm umgegangen. Er sagte: „Du willst hierherkommen, und ich soll dich aufnehmen? Wenn ich dich so ansehe, bist du ein mieser Typ. Willst du das überhaupt?“
Dann forderte er ihn auf: „Probier mal deine Stiefel aus, hier ist ein Mülleimer. Zieh deine Jacke aus, hier ist der Mülleimer.“ Roland zog daraufhin seine Stiefel und seine Jacke aus.
Friedel sagte: „Ich habe eine Kneifzange. Machst du die Klipser ab?“ Roland entfernte die Klipser. „Zeig mal dein Portemonnaie“, verlangte Friedel.
In solchen Situationen hat man im Portemonnaie meist kein Geld, oder? Aber dort befinden sich die Verbindungen, Kontakte und Adressen. Friedel sagte: „Räum auf, hier ist der Papierkorb. Wirf alles raus, was dich an dein altes Leben erinnert.“
Roland zog Dinge heraus und warf sie in den Papierkorb. „Bist du fertig? Hm, gib mal her. Brauchst du das noch? Brauchst du das noch? Willst du immer noch hierbleiben?“
Man würde sagen, das ist hart, oder? Das ist härter als Knast. Das sagen manche Jungs bei uns in der Gefährdetenhilfe auch. Für sie ist die Gefährdetenhilfe härter als Knast.
Warum? Wir haben keine Gitter vor den Fenstern, unsere Türen haben Klinken – das gibt es im Knast nicht. Aber wer in eine Gefährdetenhilfe kommt, hört mit dem Tag auf: kein Alkohol, kein Nikotin, keine Tabletten, keine Drogen, keine Musik mit Stöpseln im Ohr. Alle sagen, das ist härter als Knast.
Im Knast bekommst du Drogen, ja, Alkohol gibt es nicht, aber Drogen bekommst du immer unter der Hand. Es gibt keinen drogenfreien Knast in Deutschland. Nikotin kannst du am Automaten ziehen, Musik hören, Fernsehprogramme sind verfügbar, und das Essen ist sogar besser.
Das ist die Frage: Wie kannst du einem helfen? Diese Frage ist geblieben.
Friedel hatte gesagt: „Ich halte dich für vierzehn Tage zur Probe hier. In vierzehn Tagen sitzen wir wieder hier im Wohnzimmer. Eberhard, kommst du auch? Wenn er sich nicht benimmt, nimmst du ihn wieder mit.“ Nach vierzehn Tagen bin ich wieder da. Roland war begeistert und sagte: „Hier bleibe ich, hier bleibe ich.“
Friedel kommt rein und sagt: „Eberhard, packen, einen nehmen wir mit, er ist ein Mistkerl.“ Und Roland antwortet: „Aber Friedel, ich möchte hier bleiben.“ Friedel entgegnet: „Roland, du bist nicht ehrlich. Wir behalten nur ehrliche Leute. Wenn ich dir helfen soll, dann musst du ehrlich sein.“
Auch das ist ein wichtiger Punkt: Seelsorge funktioniert nur, wenn wir ehrlich miteinander sind. Die meisten Menschen spielen eine Rolle, oder? Man muss immer die schöne Fassade bewahren. Das ist häufig so.
Ich habe in den letzten Jahren sehr viele Eheberatungen durchgeführt. Dabei führe ich kein Gespräch nur mit einem Ehegatten. Denn wenn man nur einen hört, hat dieser immer Recht, oder? Das ist doch logisch. Deshalb frage ich oft: Würdest du das auch in Gegenwart deines Mannes oder deiner Frau sagen? Man muss immer beide Seiten hören. Und das funktioniert nur, wenn wir wirklich ehrlich miteinander sind.
In vielen Familien wird jedoch geschwiegen. Man redet um den heißen Brei herum und wird nicht konkret.
Es ist schon einige Jahre her, da fiel mir ein Bruder in der Gemeinde auf, dessen Gesicht immer aufgedunsener wurde. Damals saßen wir noch in der herkömmlichen brüderlichen Sitzordnung. Das hat den Vorteil, dass sich die Brüder gegenüber sitzen und man wenigstens die Hälfte der Brüder im Blickfeld hat.
Ich bin auf ihn zugegangen und habe gesagt, ich würde gern mal mit ihm sprechen. Er wurde sofort rot und weiß und wirkte sehr unruhig. Ich fragte: Ist etwas Besonderes? Darf ich dich besuchen kommen? Er antwortete: Ja, doch, soll meine Frau dabei sein? Ich sagte: Wenn ich dir die erste Frage gestellt habe, darfst du entscheiden, ob deine Frau dabei sein soll.
Ihr könnt euch vorstellen, wie unruhig er war.
Ich habe ihn besucht. Seine Frau verschwand in der Küche, wir saßen im Wohnzimmer. Ich sagte: Weißt du, ich möchte nicht um den heißen Brei herumreden. Du hast Probleme mit Alkohol. Sofort wurde er rot, dann wieder blass. Schließlich gab er zu: Ja, du hast Recht.
Ich sagte ihm: Jetzt kannst du entscheiden, ob bei dem weiteren Gespräch deine Frau dabei sein soll. Nach einem gemeinsamen Ringen sagte er: Ja, es ist vielleicht besser.
Ich ging in die Küche und sagte zu seiner Frau: Dein Mann möchte dir etwas sagen. Kommst du bitte?
Sie setzte sich ins Wohnzimmer. Ich sagte noch einmal: Dein Mann möchte dir etwas mitteilen.
Er saß auf der Couch und zählte das Muster auf dem Teppich. Schließlich sagte er: Schatz, ich habe Probleme mit Alkohol.
Da fing sie an zu weinen und sagte: Das weiß ich schon seit zwei Jahren.
Man merkt, wir reden nicht offen miteinander. Man kehrt alles unter den Teppich und versucht, nach außen hin alles schön zu vertuschen. Das darf ja nicht wahr sein, oder?
Nicht immer verläuft es so gut. Ich war bei einem Ehepaar, dessen Kinder mir erzählten, dass sie zu Hause nicht mehr aushalten. Ihre Mutter liegt jeden Samstag stockbesoffen in der Badewanne.
Als ich die Eltern besuchte, wurden beide sehr unruhig. Sie erklärten mir, dass das nicht stimmt. Die Mutter fühle sich nur unwohl, das seien die Wechseljahre.
Ich sagte ihnen, dass sie mir alles erzählen können, aber Gott weiß, was wirklich bei ihnen los ist. Ich kann niemanden zwingen. Außerdem bin ich nicht der Polizist der Gemeinde.
Wir können nur jemandem helfen, der sich auch helfen lassen will. Anders geht es nicht. Leider muss man manchmal sehr, sehr lange warten.
Wie oft bekomme ich Anrufe von Eltern, die sagen, sie könnten ihren Jungen nicht aufnehmen, obwohl dieser gefährdet ist und Hilfe bräuchte. Es wäre so schön, wenn man sie einfach einpacken, abtransportieren und behandeln könnte.
Aber das ist nicht möglich.
Wenn wir über seelsorgerliche Gespräche nachdenken, müssen wir uns zunächst fragen: Welche Probleme haben unsere Geschwister überhaupt? Das kennt ihr sicherlich auch. Es gibt Geschwister, die sind himmelhoch jauchzend, und andere, die sind zu Tode betrübt. Manche sind beides: Sonntags himmelhoch jauchzend, montags zu Tode betrübt – und das ganz unterschiedlich.
Wir müssen uns überlegen, woher die einzelnen Probleme der Geschwister kommen. Auf der einen Seite gibt es sicherlich Geschwister, die stolz sind, Hochmut zeigen, versuchen, sich selbst zu verwirklichen, in einer gewissen Oberflächlichkeit leben und die Welt liebgewonnen haben. Das erinnert an den Psalm 73, wo Asaf sagt: „Als ich die beobachtete, denen ging es gut.“ Und wie viele Geschwister gibt es auch in den Gemeinden, denen es gutgeht, zumindest äußerlich.
Kinder werden so erzogen: „Wehe, du benimmst dich in der Gemeinde nicht! Die Form muss stimmen.“ Ich habe kürzlich mit einem Arzt gesprochen. Er sagte, er habe eine Praxis in einem Villenviertel übernommen – eine Villa schöner als die andere, dicke Autos vor der Tür. Aber als Hausarzt, der Hausbesuche macht, hätte er nicht gedacht, wie viel Elend hinter diesen Türen verborgen ist. Liegt es daran, dass wir uns scheuen, Besuch einzuladen oder unangemeldeten Besuch zu empfangen? Alles muss nach außen seine Ordnung haben. Die Fassade muss stimmen, aber wie es dahinter aussieht, weiß niemand.
Wir haben von den Japanern gelernt, oder? „Keep smiling“ – immer lächeln. Wie es drinnen aussieht, geht niemanden etwas an. Wenn du die Geschwister zwischen Tür und Angel fragst: „Wie geht’s dir?“, bekommst du meist nur die Antwort „Gut“. Dann brauchst du dich nicht weiter zu unterhalten. Aber wenn du jemandem sagst „Vier minus“, würde das doch bedeuten, dass er sich erst Zeit nimmt, oder? Vielleicht fragst du auch: „Willst du es wirklich wissen? Ich lade dich mal ein.“
Auf der anderen Seite gibt es Geschwister, die mit Minderwertigkeitskomplexen, Depressionen oder mangelnder Heilsgewissheit kämpfen. Zum Glück sind Geschwister so unterschiedlich, oder? Das ist ja das Interessante an Gemeinden. Wir hätten uns niemals so zusammengefunden, wenn wir alle gleich wären. Wir sind so verschieden.
Wenn ich bei uns in die Gemeinde schaue, da sitzt der Unternehmer neben dem ehemaligen Junkie – und mein Herz jubelt. Wir haben keine Gemeinden wie Willow Creek oder Saddleback, die amerikanischen Megagemeinden, die nur einen bestimmten Typ Menschen ansprechen. Den „gläsernen Harry“, wie sie ihn nennen – eine Zielgruppe aus dem gehobenen Mittelstand, die auch kräftig Geld in den Kollektenbeutel werfen können.
Oh nein, Gemeinde ist vielfältig, und das ist schön. Aber dadurch gibt es in der Gemeinde natürlich auch vielfältige Probleme, ganz unterschiedlich. Die einen sind immer depressiv, als wäre das ganze Jahr November, und die anderen sind immer fröhlich, als wäre das ganze Jahr Mai.
Aber manche Ursachen liegen auch in verschiedenen Bereichen begründet. Welche Ursachen und welche Folgen haben Probleme?
Auf der einen Seite gibt es Ursachen von Problemen, die in deinem Charakter oder in deiner Erziehung liegen können. Auch falsche Freunde oder Beeinflussungen spielen eine Rolle. Vielleicht hast du auch ein falsches Gottesbild. Ich weiß nicht, wie du dir Gott vorstellst – ob er für dich ein liebender Vater ist oder eher wie ein Polizist.
Als unsere Pflegetochter zu uns kam, versuchte ich ihr deutlich zu machen, wie Gott ist, nämlich wie ein liebender Vater. Doch sie schaute mich mit ganz entgeisterten Augen an und sagte: „Wieso ist er immer besoffen?“ Sie kannte ihren Vater nur als Despoten und Betrunkenen. Sie hatte regelrecht Angst vor Gott.
Ich war einmal in Ungarn in einem Gefängnis, Kosmo Uzza, Trakt A, einem Hochsicherheitsgefängnis, in dem 150 Männer saßen. Im ersten Moment dachte ich, diesen Menschen möchte ich nachts nicht begegnen. Ich fragte die Männer: „Wer hatte einen guten Vater?“ Von den 150 meldeten sich nur zwei. Dann fragte ich weiter: „Und wer ist ein guter Vater?“ Auch diese beiden Hände gingen wieder nach unten.
Ich weiß nicht, welches Gottesbild du hast, aber darin liegt eine ganze Menge begründet – auch für dein Leben und dein Verhalten als Christ.
Ursachen für Probleme können falsche Moral sein. Man tut, was heute allgemein üblich ist, hat eine falsche Ethik oder trägt geheime Sünden mit sich. Ich möchte gar nicht wissen, wie viele Brüder heimlich im Internet surfen und sich entsprechende Seiten anschauen. Die Dunkelziffer ist riesig.
Vielleicht hast du Schuld gegenüber anderen. Vielleicht bist du auf der Suche nach Liebe und Geborgenheit. Oder du kannst nicht vergessen und nicht vergeben, und Groll macht sich in deinem Herzen breit.
Denk an eine Begebenheit: Viele kennen meinen Vater vielleicht noch. Er war sogenannter Reisebruder in den Brüdergemeinden und hat viele Gemeinden und Geschwister besucht. Er erzählte mir einmal, dass er in einer Gemeinde eine Schwester besucht hatte, die ein amputiertes Bein hatte. Sie klagte: „Warum hat Gott das zugelassen? Warum gerade mir?“
Mein Vater versuchte, sie zu trösten und auf Gott hinzuweisen. Er betete mit ihr. Nach einem Jahr kam er wieder in die Gemeinde und besuchte diese Schwester erneut. Sie sang das gleiche Lied, klagte und klagte. Wieder versuchte er zu trösten, zu beten und sie auf den Herrn hinzuweisen.
Als er im dritten Jahr wieder dorthin kam und diese Schwester erneut besuchte, klagte sie genauso. Er hörte sich ihr Klagelied an und sagte dann zu ihr: „Schwester, was erwartest du von Gott? Erwartest du, dass er das Bein wieder nachwachsen lässt?“
Die Schwester schaute ihn mit ganz entgeisterten Augen an. Sie sagte: „Das geht doch nicht.“ Er fragte weiter: „Was erwartest du denn dann?“
Vielleicht könnte man sagen, das war eine Schocktherapie. Doch plötzlich bekam sie dadurch einen völlig anderen Blick auf ihre Situation. Sie sagte: „Ja, es ist so, und jetzt nehme ich diese Situation an. Und jetzt schaue ich nach vorne.“
Was sind die Folgen von Problemen? In der Regel führt das zu Isolation. Sünde macht uns Menschen einsam, man zieht sich zurück. Vielleicht kennst du das: Du hast etwas getan, vielleicht jemandem deine Meinung gesagt, und fühlst dich dabei unwohl. Dann gehst du am nächsten Sonntag nicht zur Gemeinde – und auch am übernächsten nicht. Am dritten Sonntag überlegst du: Was sollen die Geschwister sagen, wenn ich schon zweimal gefehlt habe? Also bleibst du weiter weg. Am vierten Sonntag sagst du vielleicht: Warum kommen jetzt nicht endlich mal die Brüder und Schwestern? Die müssen doch merken, dass ich nicht komme, oder? So entsteht Isolation.
Vielleicht kennen Frauen das besonders: Tagträume – nicht nur junge Mädchen leben in einer Scheinwelt. Eine weitere Folge von Problemen oder auch von Sünden ist Oberflächlichkeit. Man liest nicht mehr die Bibel, weil man Angst hat, Gott könnte durch das Wort genau den wunden Punkt ansprechen. Also liest man sie nicht mehr. Das wäre so, als würde eine Hausfrau, die den Dreck in der Wohnung sieht, statt aufzuräumen und sauber zu machen, einfach das Licht ausmachen. Das wäre zwar eine Lösung, aber keine gute.
Oder man fängt an, das Christsein nur noch oberflächlich zu leben – ein leichtes Christsein. Wenn man mit einem bestimmten Punkt selbst nicht klarkommt und merkt: Ich schaffe das nicht, dann wird man gesetzlich und fordert von anderen, dass sie es auf jeden Fall tun. In der Regel ist es so, dass jemand, der sehr gesetzlich ist und auf die Form achtet, selbst Probleme hat, mit bestimmten Dingen klarzukommen. Er merkt: Ich muss mir selbst Gesetze machen, sonst hilft das nicht.
Gut, ich habe so etwas für mein Leben auch. Das ist manchmal gut: Man macht sich selbst bestimmte Grenzen, bestimmte Zäune, bei denen man sagt, da gehe ich nicht drüber hinaus. Ein Beispiel: Ich hatte früher ein Hobby. Manche Frauen wären froh, wenn ihr Mann nur so ein harmloses Hobby hätte wie Modelleisenbahn. Ich hatte eine herrliche Anlage auf dem Dachboden und habe dort Stunden um Stunden verbracht. Andere haben vielleicht einen Garten, andere gehen angeln oder machen etwas Ähnliches. Das ist ja nichts Schlimmes. Aber es hat mir einfach die Zeit geklaut.
Meine Frau hat gesagt: Du bist zwar zu Hause, aber du bist noch nicht wirklich zu Hause. Im Grunde hättest du Junggeselle bleiben können, oder? Weshalb bist du überhaupt mit mir verheiratet? Ich muss sagen, es ist mir sehr schwergefallen, die Modelleisenbahn einzupacken und in Vitrinen und Kartons zu verstauen. Eine kleine Vitrine hängt als Andenken noch im Wohnzimmer. Aber ansonsten habe ich mir ein Gesetz gemacht: Ich bleibe vor keinem Modelleisenbahngeschäft mehr stehen. Denn ich würde nicht nur meine Nase plattdrücken, sondern wirklich ins Träumen kommen.
Ich muss sagen, das ist eine riesige Versuchung. Im Augenblick ist gerade ein Modelleisenbahnclub im Vorderhaus der Gemeinde eingezogen. Das ist eine richtige Versuchung, jeden Sonntag und jede Woche zur Bibelstunde daran vorbeizugehen. Manchmal macht man sich, um selbst vor Versuchungen bewahrt zu bleiben, Leitplanken und Zäune.
Gesetzlichkeit wäre es, wenn ich jetzt sagen würde: Alle Christen dürfen nicht mehr vor dem Modelleisenbahngeschäft stehenbleiben. Das wäre eindeutig. Also hast du eine? Dann weiß ich, wo ich nicht hingehe. Gut, du wirst mich also wahrscheinlich versuchen. Aber ja.
Merke: Gesetzlichkeit entsteht in der Regel durch solche Dinge, bei denen ich selbst Probleme habe. Dann meine ich, alle anderen dürfen das auch nicht. Ein anderes Beispiel: Unsere Gefährdeten dürfen natürlich keinen Alkohol trinken. Als wir damals ein Mädchen in unsere Familie aufgenommen haben, habe ich gesagt: Mit dem Tag ist für mich Alkohol auch gestrichen. Die letzte Flasche, die ich noch im Kühlschrank hatte, habe ich ausgeleert und seitdem keinen Alkohol mehr getrunken. Ich möchte nach den gleichen Prinzipien leben wie die Gefährdeten, um ihnen sagen zu können: Man kann so leben.
Das hat zwar manchmal interessante Folgen. Man kommt durch die Gemeinden, wird eingeladen, bekommt ein leckeres Mittagessen, und dann fragt der Gastgeber nach einem schönen Rotwein. Ich sage: Nein, danke. Oh, hast du Probleme? Ja. Aber deswegen werde ich nicht fordern, dass alle Geschwister keinen Alkohol trinken. Jesus hat auch Alkohol getrunken, das weiß ich.
Gesetzlichkeit ist, wenn ich etwas auf andere übertrage, die vielleicht damit kein Problem haben. Werkgerechtigkeit, Heuchelei, Minderwertigkeitsgefühle oder Stolz, Suchtverhalten – all das sind mögliche Folgen von Problemen, die auftreten können.
Wir müssen uns das klar machen: In der Regel kommen Menschen zu uns und bitten um Hilfe. Dabei sieht man zunächst nur die Folgen und muss überlegen, was die Ursache ist. Das ist ähnlich wie beim Arzt. Wenn du Kopfschmerzen hast, hilft es nicht, wenn der Arzt dir nur Tabletten gegen die Schmerzen gibt. Das lindert zwar den Moment, aber die Ursache wird dadurch nicht behoben.
Genauso ist es in der Seelsorge. Man muss an die Ursache herankommen und überlegen, woran es liegt. Dazu braucht man oft – nein, immer – Gebet und die Hilfe des Herrn Jesus. Ich brauche die Abhängigkeit von ihm, um im Gespräch wirklich zum Kern zu kommen und nicht nur oberflächlich zu helfen.
Wie oft kommt ein Ehepaar und beklagt sich, dass sie nicht mehr miteinander können und auseinandergehen wollen. Ich frage dann nach dem Warum. Einmal sagte sie, er drehe immer die Zahnpastatube falsch zu. Er sagte, sie hänge die Bilder im Wohnzimmer extra schief auf, um ihn zu ärgern. Da dachte ich, bin ich hier im Kindergarten? Natürlich sind das nicht die Ursachen.
Die Ursachen liegen viel, viel tiefer, oft schon in der Verlobungszeit. Und wie schwierig das oft ist! Manchmal könnte man schier verzweifeln. Da kommt ein Ehepaar, das 52 Jahre verheiratet ist, und sagt, sie hätten seit 30 Jahren Krieg in ihrer Ehe. Sie bespitzeln sich gegenseitig, wer mehr telefoniert und mit wem. Das ist richtiger Psychoterror.
Ich habe die beiden gefragt: Wann seid ihr das letzte Mal übers Knie gelegt worden, mal richtig versohlt worden? Zugegeben, ich hatte Lust dazu, aber das macht man bei so alten Leuten ja nicht mehr. Dann habe ich ihn gefragt, warum er seine Frau damals vor 52 Jahren geheiratet hat. Jetzt haltet euch fest: Er sagte, es gab damals kein anderes Mädchen in der Jugendgruppe. Ich dachte, so ein Kompliment – Wahnsinn, oder?
Dann fragte ich sie, warum sie ihn geheiratet hat. Sie sagte, ihre Mutter meinte, er sei der Richtige. Was macht man mit solchen Leuten? Da möchte man am liebsten die Köpfe nehmen und zusammenschütteln und sagen: Wisst ihr, seit 52 Jahren akzeptiert der Herr Jesus eure Ehe. Warum ihr nicht?
Die Zeit von damals muss doch zu Ende sein. Dass man all die Jahre darüber nachdenkt, ob man den Richtigen oder die Richtige geheiratet hat, ist doch Unsinn. Nach 52 Jahren sollte man langsam vernünftig sein und mit dem Ist-Zustand zufrieden sein.
Wie können wir helfen? Möglichkeiten der Seelsorge
Seelsorge ist nicht nur das persönliche Gespräch. Sie findet auch in der Gemeinde und in Gruppen statt. Dabei meine ich nicht Gruppendynamik oder Ähnliches, sondern dass wir als Verantwortliche in der Gemeinde überlegen, welche geistliche Nahrung die Geschwister brauchen. Das ist Seelsorge, das ist Hirtendienst.
Ein Hirte muss dafür sorgen, dass die richtige Nahrung für die Schafe vorhanden ist. In vielen Gemeinden hört man: „Das macht der Heilige Geist.“ Doch meist versteht man darunter nicht wirklich die Wirkung des Heiligen Geistes, sondern eher einen Zufallsgenerator.
Wenn ich in einer Gemeinde predigen soll und frage, worüber ich sprechen soll, heißt es oft: „Lass es dir vom Herrn schenken.“ Das ist schön und gut, aber ich kenne die Geschwister doch überhaupt nicht. Die Verantwortlichen in der Gemeinde müssen wissen, was gerade ansteht, was die Geschwister brauchen, wo sie gefährdet sind und wo sie gefördert werden müssen. Das ist eine große Aufgabe, das ist Hirtendienst.
Das bedeutet nicht, dass alles bis ins kleinste Detail geplant werden muss. Aber wir müssen als Verantwortliche miteinander überlegen: Wie ist unsere Zusammensetzung als Gemeinde? Was brauchen die Menschen? Brauchen sie Ermutigung, Warnung oder Ermahnung? Was genau brauchen sie?
Oft hört man: „Ach, sagen wir von allem ein bisschen.“ Dann entstehen auch Predigten, die von allem etwas enthalten. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir uns darüber Gedanken machen. Das ist Seelsorge.
Zweitens findet Seelsorge in Kleingruppen statt, also in Jugendstunden, Hauskreisen, Bibelstunden, Frauenstunden oder sogar im Chor – falls es einen gibt. Auch dort ist Seelsorge wichtig. Wie leben wir miteinander? Was brauchen die Menschen?
Natürlich gibt es auch das Einzelgespräch unter vier oder sechs Augen. Es ist gut, wenn man mit Ehepaaren spricht und auch als Ehepaar mit anderen Ehepaaren.
Dazu zunächst eine ganz klare Warnung: Man sollte niemals sogenannte kreuzweise Seelsorge machen, also nicht einen Mann mit einer Frau und eine Frau mit einem Mann. Ich warne davor, weil ich mich selbst kenne und nicht weiß, was ich bei einer Frau bewirke, wenn ich mit ihr Seelsorge mache. Sie soll sich nicht zu mir bekehren, sondern zum Herrn.
Wie leicht ist es, dass eine Frau nur wegen der angenehmen Stimme eines Mannes in seine Seelsorge geht. Oder wie damals die Pflegetochter sagte, als sie zu einem Psychotherapeuten ging: „Warum gehst du dahin?“ – „Der hat so schöne Rehaugen.“
Persönliche Seelsorge sollte also stets unter vier oder sechs Augen stattfinden.
Und wie gehe ich dann vor? Nun, auf der einen Seite gibt es natürlich die Methode Holzhammer. Ich habe euch eben von dem Bruder Fritz Statz erzählt. Ein harter Klotz braucht manchmal auch einen harten Hieb und muss deutliche Worte hören. Aber normalerweise ist, glaube ich, das andere richtiger. Ich nenne sie die Methode Murmeltier.
Das muss ich erklären, wie ich dazu komme. Methode Murmeltier. Ich weiß nicht, wer von euch Fred Colvin aus Österreich kennt. Fred Colvin ist ein österreichisch-amerikanischer Christ oder ein amerikanisch-österreichischer Christ. Er lebt seit vielen Jahren in Österreich und hat dort viele Gemeinden gegründet. Das hat mich beeindruckt. Besonders seine Predigt über die Murmeltiere.
Ich weiß nicht, ob ihr diese Geschichte kennt. So etwas kommt auch selten in Gemeindekreisen vor. Er hat über ein Kinderbilderbuch gepredigt, das heißt „Peter und das Murmeltier“. Darin wird die Geschichte von einem kleinen Peter erzählt, der in einem Dorf in Bayern lebt. Eines Tages kommt ein Amerikaner mit einem großen Straßenkreuzer in das Dorf.
Der Amerikaner steigt aus und fragt Peter: „Ich habe einen kleinen Bub zu Hause und möchte ihm als Andenken aus Deutschland ein Murmeltier mitbringen. Du weißt doch, wo Murmeltiere leben. Fang mir eins und gib mir eins. Ich bezahle dir auch gut dafür.“
Peter geht also auf den Berg. Er weiß, wo die Murmeltiere sind. Er legt sich vor eine Höhle und wartet, dass ein Murmeltier herauskommt. Als das erste Murmeltier erscheint, springt er darauf zu. Doch das Murmeltier verschwindet wieder in der Höhle.
Peter sagt sich: So schaffe ich das nicht. Er legt sich vor das Loch der Murmeltiere und wartet und wartet und wartet. Endlich kommt das Murmeltier wieder heraus, und Peter liegt weiterhin da. Er beobachtet das Murmeltier. Das Murmeltier wird zutraulich, gewöhnt sich daran, dass Peter dort liegt. Es krabbelt über seinen Bauch, und Peter streichelt es.
Jetzt könnte er es fangen, aber er tut es nicht, weil er das Murmeltier liebgewonnen hat. Er wird es niemals dem Amerikaner verkaufen. Das war das Bilderbuch, über das Fred Colvin predigte. Er brauchte dieses Beispiel, um zu zeigen, wie man ein Herz gewinnt.
Ich brauche viel Geduld, und ich brauche eine Beziehung zu dem anderen. Ich muss den anderen kennenlernen. Seelsorge ist keine schnelle Sache zwischen Tür und Angel, sondern eine Angelegenheit von Vertrauen und Herz.
Deswegen nenne ich das die Methode Murmeltier. Vielleicht denkt ihr jetzt darüber nach, wie ich das Herz eines anderen gewinnen kann. Das geht nicht so einfach. Wie oft bekomme ich einen Anruf von irgendeiner Schwester: „Eberhard, kannst du nicht mal mit meinem Mann sprechen? Er benimmt sich unmöglich.“ So funktioniert das nicht.
Natürlich kann ich hingehen, auf den Tisch hauen und sagen: „Jungs, so geht das nicht!“ Aber dann wird bei ihm die Jalousie runtergehen, und ich bin das letzte Mal dort gewesen. Er wird dann böse auf seine Frau sein, die ihn verraten hat. Und es wird nur noch schlimmer.
Also: Methode Murmeltier. Wie gehe ich vor? Ich brauche viel, viel Liebe, Geduld, Verständnis und Gebet. Ich glaube, wir müssen mit dem Beten anfangen, bevor wir ein Gespräch führen.
Herr Jesus, öffne du mein Herz und öffne sein Herz. Ich muss ihn verstehen lernen und ihn erst einmal erzählen lassen. Hirten-Dienst und Seelsorge sind keine schnellen Angelegenheiten.
Ich habe das früher auch oft in unserer Gemeinde erlebt. Da wollte man kurz nach der Stunde noch mit einem Bruder reden. So zwischen Tür und Angel zieht man jemanden in eine Ecke und sagt: „Dem habe ich es aber gesagt!“
Francis Schaeffer hat einmal gesagt: „Du kannst einen anderen in die Ecke diskutieren, aber du hast sein Herz nicht gewonnen.“ Ein Mensch verändert sich nur, wenn das Herz gewonnen wird. Dann braucht man oft gar keine Worte mehr.
Denkt an die Begebenheit mit dem Herrn Jesus im Hof des Hohenpriesters. Petrus hatte versagt, ihn dreimal verleugnet. Was macht der Herr Jesus? Dreht er sich um und sagt: „Hey Petrus, wenn ich wieder auferstanden bin, dann reden wir!“?
Nein. Was tut der Herr Jesus? Er dreht sich um und schaut ihn nur an. Was war das für ein Blick? Es war kein strafender Blick. Petrus bricht zusammen, geht hinaus und weint bitterlich. Ein Blick – das war Seelsorge.
Seelsorge ist mehr als nur ein Gespräch. Es bedeutet, auf jemanden zuzugehen und zu fragen: „Kann ich mit dir reden?“ Gleichzeitig sollte man sich kein Gespräch aufdrängen lassen. Oft merkt man erst dann, dass man noch nicht wirklich am Herzen der Person angekommen ist.
Dabei ist es wichtig, zuhören zu können, zurückzufragen und gezielt Fragen zu stellen. Nimm dir Zeit! Seelsorge braucht Zeit.
Was heutzutage im christlichen Raum oft angeboten wird, nenne ich einfach „biblisch therapeutische Seelsorge“ (BTS). Das wird heute als Beruf ausgeübt. Man kann das im Internet nachschauen: Drei Viertel Stunde kosten oft fünfundsiebzig Euro.
Seelsorge ist kein Beruf und kein Broterwerb. Ich möchte es so ausdrücken: Seelsorge ist eigentlich das Serviceangebot der Gemeinde. Ich finde es eine Katastrophe, dass Deutschland mit Niederlassungen professioneller Seelsorger übersät wird. Christen gehen dorthin und bezahlen dafür.
Seelsorge ist etwas anderes. Sie gibt es nicht auf Krankenschein. Es geht darum, zuhören zu können, zurückzufragen und gezielt Fragen zu stellen.
Heute Nachmittag werden wir sehen, wie der Herr Jesus vorgegangen ist. Ich finde es faszinierend, wie er das gemacht hat. Das bedeutet, ich brauche viele Informationen, um zu erkennen, wo das eigentliche Problem liegt.
Dabei muss ich darauf achten, keine Schubladen zu haben, in die ich die Geschwister stecke. Für jede Schublade einen Bibelvers parat zu haben, ist ebenfalls keine Seelsorge. Hochmut und Bibelverse führen dazu, dass die Person einfach wieder nach Hause geht.
Nein, erst dann können wir gemeinsam nach Lösungen suchen. Ihr wisst auch, dass es am meisten wirkt, wenn jemand das Problem selbst erkannt, verstanden und die Lösung selbst gefunden hat.
Als mein jüngster Sohn zu mir kam und sagte: „Papa, ich habe eine Freundin“, war das für mich etwas Besonderes. Viele junge Leute trauen sich das heutzutage kaum noch zu sagen. Er war gerade in die Lehre gekommen. Ich sagte nicht: „Junge, du bist viel zu jung, mach erst mal Abstinenz und warte, bis die Ausbildung vorbei ist.“ Stattdessen lud ich das Mädchen ein, damit wir gemeinsam miteinander sprechen konnten. Sie war ebenfalls noch in der Ausbildung.
Wir saßen zusammen im Wohnzimmer. Sie kam aus der gleichen Gemeinde, sodass sie sich täglich sehen konnten. Natürlich hätte ich einen Verhaltenskodex aufstellen können, der genau regelt, wie sie sich verhalten sollen, damit sie „sauber“ in die Ehe gehen. Das habe ich aber nicht getan. Stattdessen bat ich sie, sich gemeinsam zu überlegen und aufzuschreiben, wie sie diese Zeit bis zur Ehe sauber gestalten können.
Sie legten sich selbst einen Kodex auf – und das hat ihnen geholfen. Ich glaube, das ist wichtig in der Seelsorge: den anderen so zu gewinnen, dass er versteht, was sich bei ihm selbst verändern muss. Gemeinsam sucht man Lösungen, erkennt und bekennt Sünden, bittet um Vergebung – nicht nur vor Gott, sondern auch vor den Menschen, denen man Unrecht getan hat.
Seelsorge bedeutet auch Belehrung über Gottes Gedanken. Mir ist besonders ein Vers aus Epheser 4,28 wichtig: „Wer gestohlen hat, stehle nicht mehr, sondern arbeite mit seinen Händen, damit er dem Bedürftigen mitteile.“ Das ist biblische Seelsorge.
Wer gestohlen hat – also jemand, bei dem alle beweglichen Dinge, die nicht festgenagelt sind, mitgingen – soll nicht mehr stehlen. Damit wären wir schon zufrieden, wenn jemand einfach nicht mehr stiehlt. Doch das ist nur Abstinenz, und das reicht der Bibel nicht. Abstinenz ist zu wenig, nur eine Sache nicht zu tun. Es wird weiter gesagt: „Sondern er arbeite mit seinen Händen.“ Die Hände, die vorher gestohlen haben, sollen jetzt etwas tun. Wenn sie arbeiten, können sie logischerweise nicht stehlen.
Das Ziel ist, dass derjenige, der vorher gestohlen hat, durch seine Arbeit anderen helfen kann – also dem Bedürftigen etwas mitteilt. Das ist biblische Therapie.
Auch in unserer suchtgefährdeten Hilfe sind wir nicht zufrieden, wenn jemand nur abstinent von der Droge ist. Man kann darauf achten, ob er beim nächsten Mal wieder rückfällig wird. Viel wichtiger ist, dass er lernt, sein Leben anders zu leben und ein anderes Verhalten an die Stelle des alten setzt.
Wenn jemand ein Problem hat, muss er begreifen: Wo liegt mein Problem? Und was muss ich tun, damit ich nicht wieder in diese Falle gerate?
Also noch einmal zu diesem Beispiel: Damals besuchte ich einen Bruder, der Probleme mit Alkohol hatte. Wir haben gemeinsam überlegt, warum er trinkt und was sein Problem ist. Er erzählte mir, dass sein Chef ihm einen jüngeren Arbeitskollegen vor die Nase gesetzt hatte, obwohl er eigentlich dachte, dass er selbst die Beförderung bekommen würde. Damit kam er nicht zurecht und war sehr frustriert.
Auf dem Nachhauseweg fuhr er immer an einer Kneipe vorbei und trank dort einen. Seine Frau hatte sich daran gewöhnt, dass er regelmäßig eine Stunde Überstunden machte und dann nach Hause kam. Natürlich war er so klug, dass er nach dem Alkoholgenuss etwas aß, damit der Geruch verschwand. Aber das fiel natürlich auch seiner Frau auf, wenn er immer „Sammelkasteln“ aß.
Wir überlegten gemeinsam, was geändert werden muss, damit dieser Frust verschwindet. Ich schlug ihm vor, zu seinem Chef zu gehen und ihn um eine andere Arbeit in einer anderen Abteilung zu bitten. So müsste er nicht ständig den Frust vor seiner Nase haben. Außerdem suchten wir gemeinsam eine alternative Route, damit er auf dem Nachhauseweg nicht an der Kneipe vorbeifahren musste.
Er nahm sich vor, seine Frau anzurufen, sobald er von der Firma losfuhr. So wusste sie, wann er zu Hause ankommt. Wir mussten gemeinsam überlegen, wie er sein Verhalten verändern kann, damit er nicht wieder in die gleichen Probleme gerät. Es ging darum, neue Verhaltensweisen einzuüben. Ich nenne das immer, dem anderen Hausaufgaben mitzugeben.
Seelsorge bedeutet nicht nur, mit jemandem zu sprechen und dann zu sagen: „Alles gut, jetzt gehst du nach Hause und machst weiter.“ Es ist ähnlich wie bei einem älteren Herrn, der schon mehrfach in der Alkoholentgiftung in Langenberg war. Jedes Mal, wenn er dort rauskam, sagte der Direktor des Krankenhauses zu ihm: „So, jetzt können Sie wieder normal trinken.“
Tja, der hatte quasi ein Abo auf die Entgiftung. Wenn nicht begriffen wird, dass man sein Leben verändern muss, hilft das nicht. Deshalb sind Hausaufgaben so wichtig.
Kurz gefasst: Zuhören, Gebet, Diagnose, Erkennen, der Ursache nachgehen, das Herz erreichen, Problemlösung und Begleitung.
Es kommt nicht darauf an, welche Worte ich verwende. Wichtig ist, dass wir die Herzen erreichen und Einsicht schaffen. Wir brauchen den Weg, den uns die Bibel immer wieder zeigt – den Weg über das Kreuz von Golgatha. Dort finden wir Einsicht, Buße, Vergebung und einen Neuanfang. Daraus erwachsen Kraft, Ziel und Motivation.
Noch einmal das, was ich zu Beginn gesagt habe: Seelsorge gibt sich nicht damit zufrieden, dass es unserer Seele gut geht, sondern dass Gott durch unser Leben verherrlicht wird. Jesus soll in unserem Leben Gestalt gewinnen. Er gehört auf den Thron unseres Lebens.
Zur Wiederholung: Im Mittelpunkt der Seelsorge steht nicht der Mensch, sondern Gott.
Ich danke euch. Entschuldigt, dass ich etwas Überstunden gemacht habe. Ihr habt euch das Mittagessen verdient.
Vielen Dank an Eberhard Platte, dass wir seine Ressourcen hier zur Verfügung stellen dürfen! Bücher und CDs können günstig erworben werden auf der Homepage von Eberhard Platte und in jeder Buchhandlung.