Unsere Sommerreihe Glückspilz geht weiter. Heute beschäftigen wir uns mit dem Glück und den Barmherzigen. Es handelt sich um eine Reihe über die Seligpreisungen. Hinter uns liegen bereits vier Schritte.
Die ersten vier Seligpreisungen, die ich beim letzten Mal zu erklären versucht habe, gehören eng zusammen. Es sind vier Schritte, die uns, wenn wir sie gegangen sind, zu Gott führen. Für Jesus gibt es kein Glück ohne Gott.
Der Mensch ist dafür gemacht, für Gott zu leben. Er ist geschaffen, mit Gott zu leben und seine Existenz vor dem Hintergrund der Ewigkeit zu verstehen. Dabei haben wir die Sicherheit, dass etwas kommt: ein Gericht, aber auch mehr.
Hinter dem Moment des Todes beginnt das eigentliche Leben erst. Es kann kein Glück geben, keinen Glückspilz auf dieser Erde, der das nicht verstanden hat. Keiner, der nicht begriffen hat, dass der allgegenwärtige, kleinliche Egoismus, der so viele Lebensbereiche prägt, am Ende nur kaputt und unzufrieden macht. Diesen Egoismus erleben wir bei vielen Menschen um uns herum.
Die innere Vorbereitung auf das Glück bei Gott
Die ersten vier Seligpreisungen beschäftigen sich deshalb ganz stark mit unserem Innenleben. Jesus fordert uns auf: Sei demütig, gib zu, dass du Gott brauchst und mit leeren Händen vor ihm stehst. Sei ehrlich und gib zu, dass du traurig bist, weil es in deinem Leben Dinge gibt, die einfach nicht in Ordnung sind. Erkenne an, dass du wirklich ein Stück weit kaputt bist, und stell dich dieser Traurigkeit.
Dann kommt das „Sei positiv“ – sei bereit, auf Gott zu hören und nimm das an. Der sanftmütige Moment ist der Augenblick, in dem wir bereit werden, Gott eine Chance zu geben und ihn wirklich an uns heranzulassen.
Beim letzten Mal, als wir uns die Seligpreisungen angeschaut haben, ging es darum, dich erst dann zufrieden zu geben, wenn du bei Gott angekommen bist. Es ist die Sehnsucht nach Gerechtigkeit. Lass dich nicht mit irgendetwas Billigem oder Drittklassigem abspeisen. Bleib an Gott dran. Ein Beispiel dafür ist Martin Luther: Wenn es dich Jahre deines Lebens kostet, bleib dran, bis du von Gott die Gerechtigkeit empfängst, die er dir schenkt – die Gerechtigkeit, die er selbst am Kreuz erworben hat. Bis zu dem Punkt, an dem das dein Eigentum wird und du mit Gott ins Reine gekommen bist.
Es geht hier um Dinge, die in uns geschehen: um Demut, um Traurigkeit, um Offenheit gegenüber Gottes Wort und um die Sehnsucht nach Gerechtigkeit.
Vom inneren Frieden zum praktischen Leben
Der zweite Teil der Seligpreisungen, der heute beginnt, umfasst die zweiten vier von insgesamt acht Seligpreisungen. Er beschäftigt sich stärker mit dem Alltag.
Okay, ich bin jetzt mit Gott ins Reine gekommen, aber wie soll ich als jemand, den Gott mit seiner Liebe beschenkt hat, jetzt leben? Wie geht das eigentlich?
Wir schauen uns heute den ersten Punkt an. In Matthäus 5,7 heißt es: „Glückselig sind die Barmherzigen, denn ihnen wird Barmherzigkeit widerfahren.“
Ich möchte mit euch zusammen das Gleichnis vom barmherzigen Samariter lesen. Es ist etwas länger, aber das macht nichts. Es steht in Lukas Kapitel 10.
Ich werde heute vier Punkte ansprechen. Drei davon möchte ich aus diesem Gleichnis zum Thema Barmherzigkeit herausziehen.
Ich weiß nicht, ob das mit dem Alter zu tun hat, aber im Moment lese ich die Evangelien mit sehr viel Gewinn. Gerade Eugen hat das angesprochen. Wenn man älter wird, haben die Texte einem oft noch deutlich mehr zu sagen als in jüngeren Jahren.
Das ist ganz merkwürdig. Auch dieses Gleichnis hier trifft einen viel persönlicher. Vielleicht merkt man auch, dass man nicht mehr so viel Zeit hat, all das umzusetzen, was in der Bibel steht. Deshalb wird einem vieles näher.
Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter
Lukas Kapitel 10, ab Vers 25 bis Vers 37 – das Gleichnis vom barmherzigen Samariter
Und siehe, ein Gesetzesgelehrter stand auf und versuchte Jesus. Er sprach: „Lehrer, was muss ich tun, um ewiges Leben zu erben?“
Jesus antwortete ihm: „Was steht im Gesetz geschrieben? Wie liest du?“
Der Gesetzesgelehrte antwortete: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen, mit deiner ganzen Seele, mit deiner ganzen Kraft und mit deinem ganzen Verstand und deinen Nächsten wie dich selbst.“
Jesus sagte zu ihm: „Du hast recht geantwortet. Tu dies, und du wirst leben.“
Doch der Mann wollte sich selbst rechtfertigen und fragte Jesus: „Und wer ist mein Nächster?“
Jesus antwortete mit einem Gleichnis: „Ein Mensch ging von Jerusalem nach Jericho hinab und fiel unter Räuber. Diese zogen ihn aus, versetzten ihm Schläge und ließen ihn halb tot liegen.
Zufällig kam ein Priester auf demselben Weg herab. Als er ihn sah, ging er auf der anderen Seite vorüber. Ebenso kam auch ein Levit an die Stelle, sah ihn und ging ebenfalls auf der anderen Seite vorüber.
Aber ein Samariter, der auf der Reise war, kam zu ihm. Als er ihn sah, wurde er innerlich bewegt. Er trat hinzu, verband seine Wunden, goss Öl und Wein darauf, setzte ihn auf sein eigenes Tier und brachte ihn in eine Herberge. Dort sorgte er für ihn.
Am nächsten Morgen zog er zwei Denare heraus, gab sie dem Wirt und sagte: ‚Sorge für ihn! Und was du noch dazu verwenden wirst, das werde ich dir bezahlen, wenn ich zurückkomme.‘
Was meinst du, wer von den Dreien war der Nächste des Menschen, der unter die Räuber gefallen war?“
Der Mann antwortete: „Der, der Barmherzigkeit an ihm übte.“
Jesus sprach zu ihm: „Geh hin und handle ebenso.“
Die Bedeutung der praktischen Liebe
Eine der Geschichten, bei der ich sagen würde, wenn man zehn Geschichten der Bibel kennt, hat sie eine große Chance, dabei zu sein.
Wir wollen vier Punkte aus dieser Geschichte mitnehmen.
Der erste Punkt betrifft die Frage, die der Gesetzesgelehrte hier stellt. Er fragt: „Was muss ich getan haben, um ewiges Leben zu erben?“
Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber wenn ich nicht wüsste, was dort steht, würde ich erwarten, dass Jesus jetzt einfach antwortet: „Du musst glauben.“ Doch das sagt er nicht.
Stattdessen fragt Jesus: „Was steht denn im Alten Testament? Was hast du da gelesen?“ Der Gesetzesgelehrte kennt sich tatsächlich gut aus – er verdient seinen Namen. Er antwortet, dass es zwei Gebote gibt. Das erste Gebot lautet: „Du sollst Gott lieben, und zwar von ganzem Herzen, mit allem, was du hast.“ Das zweite Gebot lautet: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“
Jesus stimmt dieser Antwort zu. Wie wir gerade gelesen haben, sagt er in Vers 28: „Du hast recht geantwortet, tu dies, und du wirst leben.“
Das bedeutet: Was Gott will, müssen wir ganz klar verstehen. Gott erwartet von den Menschen, die in den Himmel kommen wollen, eines ganz besonders: Liebe.
Praktische Liebe – Liebe zu Gott und auch Liebe zu den Menschen um uns herum.
Nichts anderes erwartet Jesus von diesem Mann, als Barmherzigkeit, also praktische, gelebte Liebe.
Barmherzigkeit als zentrales Gebot
Mit dieser Barmherzigkeit ist das so eine Sache. Im Matthäusevangelium, Kapitel 23, gibt es ein Kapitel, das viel Spaß macht zu lesen, weil die Pharisäer dort so richtig eins draufbekommen.
In Matthäus 23, den Weherufen gegen die Schriftgelehrten und Pharisäer, sagt Jesus auch etwas über Barmherzigkeit. In Vers 23 heißt es über die Schriftgelehrten und Pharisäer: „Ihr Heuchler, denn ihr verzehntet die Minze und den Anis und den Kümmel und habt die wichtigeren Dinge des Gesetzes beiseitegelassen.“
Ja, was sind denn bitteschön die wichtigen Dinge des Gesetzes? Dann sagt er hier das Gericht – das kann man auch mit Gerechtigkeit übersetzen, was ich ein bisschen passender finde – also die Gerechtigkeit und die Barmherzigkeit und den Glauben.
Du fragst Gott: „Sag mal, was ist dir eigentlich so richtig wichtig?“ Was denkst du? Jesus wird dir antworten: „Na ja, die wirklich wichtigen Dinge des Gesetzes haben zu tun mit Gerechtigkeit, sie haben zu tun mit Glauben und sie haben zu tun mit Barmherzigkeit.“
Du kannst Barmherzigkeit nicht streichen. Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Du kannst Barmherzigkeit einfach nicht streichen. Und es sind gerade die Pharisäer, also die Theologen ihrer Zeit, die einen Mangel an Barmherzigkeit, einen Mangel an dieser ganz praktischen Liebe aufweisen.
Barmherzigkeit statt äußerlicher Frömmigkeit
Springt mit mir bitte noch einmal in Matthäus 9, ab Vers 9. Dort geht es um etwas, das, wenn wir es uns bildlich vorstellen, unglaublich schön ist.
Als Jesus von dort weiterging, sah er in Matthäus 9, Vers 9 einen Menschen namens Matthäus am Zollhaus sitzen. Er spricht zu ihm: „Folge mir nach!“ Matthäus stand auf und folgte ihm. Das ist doch Wahnsinn! Jesus sagt zu Matthäus: „Lass dein altes Leben hinter dir, komm mit, werde mein Jünger.“ Und Matthäus macht das. Er ist begeistert.
In Vers 10 heißt es: „Und es geschah, als er in dem Haus zu Tisch lag, siehe, da kamen viele Zöllner und Sünder und lagen zu Tisch mit Jesus und seinen Jüngern.“ An anderer Stelle lesen wir, warum diese Menschen kommen: Das sind nämlich alles gute Freunde von Matthäus. Er hat sie eingeladen und sagt: „Hey, ihr könnt da etwas lernen, ihr müsst ihn kennenlernen.“ Und da sitzt Jesus mitten unter diesen Zöllnern und Sündern.
In Vers 11 lesen wir: „Und als die Pharisäer es sahen, sprachen sie zu seinen Jüngern: Warum ist euer Lehrer mit Zöllnern und Sündern? Das passt doch überhaupt nicht.“ Als Jesus das hörte, antwortete er: „Nicht die Starken brauchen einen Arzt, sondern die Kranken.“ Geht aber hin und lernt, was das heißt. Jetzt zitiert er aus dem Alten Testament: „Ich will Barmherzigkeit und nicht Schlachtopfer; denn ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder.“
Gott sagt also: „Ich will Barmherzigkeit und nicht Schlachtopfer.“ Gott möchte keine bloße Religiosität, keine äußere Form ohne wirkliches Interesse am Nächsten. Er sieht diese Frommen, die damit zufrieden sind, nur herumzufrömmeln und ihr frömmeliges Leben allein für sich zu leben. Sie blicken auf andere herab, und das missfällt Gott zutiefst. Besonders missfällt ihm, wie diese Menschen mit suchenden anderen Menschen umgehen.
Er sagt: Barmherzigkeit ist viel wichtiger als deine äußere Schur, diese Schlachtopfer, also die äußere Religiosität. Wenn du nur das Äußere hast – in unserem Fall wäre das der Besuch im Gottesdienst, in der Gebetsstunde oder die stille Zeit – und wenn das das Einzige ist, wenn der innere Kern fehlt, wenn das, was dem ganzen Leben Sinn gibt, fehlt, wenn die Barmherzigkeit fehlt, wenn die Motivation dahinter fehlt, wenn du nicht den Charakter Gottes in dir trägst, dann ist das alles umsonst.
Barmherzigkeit bedeutet ein tiefes Interesse am Nächsten. Genau das fehlt den Pharisäern hier, vor allem im Umgang mit solchen Leuten, die sich helfen lassen wollen.
Die Herausforderung, barmherzig zu leben
Überlege einmal: Du hast einen evangelistischen Hauskreis, und jemand sagt, dass du dich nicht mit Leuten treffen darfst. Darauf antwortest du: Entschuldigung, ja, genau dafür bin ich in dieser Welt – um mich mit Menschen über Gott zu unterhalten. Alles andere ist Unsinn.
Das „Ich möchte Barmherzigkeit und nicht Schlachtopfer“ kommt noch einmal bei Matthäus vor, und zwar in Matthäus 12. Ich werde das jetzt nicht vorlesen, aber dort sind die Jünger dabei, die Ähren abzupfen. Dann kommen die gleichen Leute wieder und sagen: „Ah, das geht doch nicht!“ Und genau das wird auch wieder kritisiert.
Leute, die keine Barmherzigkeit in ihrem Herzen haben, aber trotzdem religiös sind, sind oft geprägt von einer kleinlichen, gesetzlichen Denkweise. Diese wird zwar mit der Bibel begründet, ist aber eigentlich nicht wirklich biblisch.
Mein erster Punkt, der mir sehr wichtig ist – und vielleicht muss man erst vierzig Jahre alt sein, um ihn wirklich zu verstehen – lautet: Gott will Barmherzigkeit.
Egal, wie religiös wir in unserem Leben sind, egal, wie viele gute geistliche Bücher du schon gelesen hast, egal, wie viele Predigten du gehalten oder wie viele Kinderstunden du gemacht hast, egal, wie sehr du dich in die Vorbereitung des Gottesdienstes investiert hast – streich das alles mal kurz weg.
Akzeptiere, dass Gott Barmherzigkeit will. Er sagt, das ist ihm wichtig, das gehört für ihn zum Allerwichtigsten.
Die Frage nach dem Nächsten
Unser Gesetzesgelehrter hat das verstanden, und es hat bei ihm gezuckt. Er dachte: „Oh je, das ist ein ganz schöner Anspruch, mit dem Gott an mein Leben herankommt.“ Deshalb lautet seine nächste Frage – und das ist mein zweiter Punkt –: Wer ist denn mein Nächster?
Wenn Menschen hören, dass Gott von ihnen verlangt, andere Menschen zu lieben, wollen sie diesen Anspruch oft relativieren. Auch wir laufen Gefahr, das zu tun. Dann kommt die Frage: Wer ist denn mein Nächster? Diese Frage ist oft nicht ehrlich gemeint, sondern eher als Schlupfloch gedacht. Man sucht nach einer Ausrede, um nicht jedem helfen zu müssen. Ein Schlupfloch für den eigenen Egoismus.
Man möchte nicht allen Menschen gleichermaßen freundlich und hilfsbereit begegnen. Stattdessen teilt man in seinem Kopf Menschen in zwei Kategorien ein: Hier sind die Nächsten und dort die Nichtnächsten. Die Nächsten sind vorzugsweise Freunde oder Menschen, denen es „cool“ erscheint zu helfen, vielleicht weil man gesehen wird oder sich später etwas davon erhofft. Wenn jemand diesen Menschen hilft, könnten sie ja immer mehr bekommen und so weiter. Das sind die Nächsten. Die Nichtnächsten hingegen möchte man am liebsten ignorieren.
Was macht Jesus, als er das mitbekommt? Er erzählt dieses Gleichnis. Habt ihr euch mal gefragt, was der Knackpunkt an diesem Gleichnis eigentlich ist? Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter bewirkt vor allem eines: Es korrigiert die Sichtweise des Gesetzesgelehrten.
Die Frage, mit der er in das Gleichnis geht, lautet: Wer ist bitteschön mein Nächster? Was sagt Jesus am Ende? Nicht „Wer ist dein Nächster?“, sondern „Wem bist du Nächster?“ Ist euch das aufgefallen? Wem war der barmherzige Samariter denn der Nächste? Nicht „Wer ist mein Nächster?“, sondern „Wem bist du Nächster?“
Ich lege euch das noch einmal vor: Lukas 10,36 heißt es: „Was meinst du, wer von diesen dreien der Nächste dessen gewesen ist, der unter die Räuber gefallen ist?“ Also: Wem bist du Nächster?
Und das, was wir hier lernen müssen, geht etwa so: Ich suche mir meinen Nächsten nicht aus. Ich glaube, man kann immer von schlechten Vorbildern lernen. Ich habe wieder einmal so eine richtig blöde Erfahrung in der letzten Woche gemacht. Ich habe es mal wieder vermasselt.
Das ist immer toll: Du machst die Predigtvorbereitung und denkst dir: „Na klasse, hätte ich das mal vorgestern besser gemacht.“ Ich sitze oben, momentan sind alle Frauen weg, ich bin alleine, eine „Strohwitwe“. Ich kämpfe mich durch die Bröckchen der Vorbereitung zum Lukas-Evangelium. Es ist ein bisschen trocken, ich komme nicht richtig voran, bin etwas krank und frustriert, weil ich alleine bin. Ich habe einfach keine Lust auf Menschen.
Dann klingelt es. Draußen steht ein Alice-Vertreter. Das ist die Art Mensch, mit der ich ein Problem habe, weil ich keinen Telefonanschluss brauche und auch keine Flatrate. Ich habe das alles schon, und selbst wenn es fünf Euro billiger wäre, ist es mir die Zeit nicht wert, darüber nachzudenken.
Es ist hochgradig nervig, wenn solche Leute dann die Treppe hochkommen. Ich wohne im ersten Stock, stehe oben und sehe schon das Plastikschild und die Auswahl. Oh nein! Normalerweise versuche ich mit zwei Sätzen klarzumachen, dass ich nichts kaufen will, nichts brauche und einfach meine Ruhe habe, weil ich eigentlich arbeite. Doch er ließ sich nicht abwimmeln. Er kam bis ganz nach oben.
Ich dachte, ich hätte meinen Satz gesagt und wollte mich umdrehen, aber er kam immer noch hinter mir her. Tja, und dann war ich irgendwie nicht so freundlich. Er ist dann gegangen. Als er draußen war, dachte ich mir: Hm, irgendwie hast du jetzt kein gutes Gewissen.
Und das ist der Text dazu, der zwei Tage später kam: Genau das ist der Punkt. Du hast jemanden vor dir, der dir etwas verkaufen will, und du willst es nicht. Aber man kann ihm freundlich oder weniger freundlich begegnen.
In diesem Moment war dieser Alice-Vertreter mein Nächster. Und irgendwie habe ich die Situation vermasselt. Vielleicht will ich nicht so weit gehen, zu sagen, dass er sich auf der Stelle bekehrt hat. Aber vielleicht hätte man ein vernünftiges Gespräch mit ihm führen oder irgendetwas Nettes sagen können.
Stattdessen habe ich es geschafft, durch mein Verhalten ihm einen sehr merkwürdigen Eindruck von Kirche zu vermitteln. Ja, er klingelte unten, und am Türschild steht ja zweimal „Kirche“, weil wir Briefempfänger der Methodisten und der Römisch-Katholischen Kirche sind. Ich denke, das war einfach nicht gut.
Ich würde mir immer den Nächsten aussuchen, wissen Sie, und ich würde mir für ein Gespräch natürlich nie einen Alice-Vertreter aussuchen, weil zwischen ihm und mir weltlich einfach eine Distanz liegt. Ich habe meine Probleme mit solchen Leuten, die so offensiv auf einen zugehen und einen irgendwie erdrücken.
Trotzdem wäre das in diesem Moment mein Nächster gewesen. Und ich habe entschieden, mich auf das Gespräch nicht einzulassen. Ich habe es tatsächlich vermasselt. Deshalb ist das ein gutes Beispiel für das, was der barmherzige Samariter nicht gemacht hat.
Der zweite Punkt lautet also nicht: Wer ist mein Nächster? Sondern: Wem bin ich Nächster? Ich suche mir die Situation, in die Gott mich hineinstellt, um Barmherzigkeit zu üben, einfach nicht aus.
Ich muss akzeptieren, dass Gott mich in Situationen hineinstellt und von mir als einem Werkzeug, als einem Knecht, erwartet, dass ich entsprechend reagiere.
Das war der zweite Punkt. Also: Der erste Punkt – Gott will Barmherzigkeit. Der zweite Punkt – nicht „Wer ist mein Nächster?“, sondern „Wem bin ich Nächster?“
Barmherzigkeit als Zeit- und Kraftinvestition
Der dritte Punkt wird in der Geschichte sehr schön deutlich: Barmherzigkeit verschiebt sich. Warum habe ich den armen Kerl abgewimmelt? Und ich kann dabei durchaus deutlich sein. Warum? Weil ich ihm etwas nicht geben wollte – meine Zeit.
Entschuldigung, wir haben immer genug Zeit für ein gutes Gespräch, oder? Aber in dem Moment war ich nicht bereit, ihm von meiner Zeit etwas abzugeben. Der barmherzige Samariter nimmt sich Zeit.
Ich weiß nicht, ob ihr euch die ganze Geschichte mal überlegt habt: Du gehst irgendwo raus, und da liegt einer in den Büschen, halbtotgeschlagen, ohne Kleider. Du hast ja auch etwas anderes zu tun, als dich um jeden zu kümmern, der in den Büschen liegt. Du bist ja nicht umsonst unterwegs.
Du siehst den Mann und denkst dir: Okay, wenn ich mich jetzt um ihn kümmere, habe ich keinen blassen Schimmer, was da alles an Rattenschwänzen nachkommt. Ich muss erst einmal meine Zeit investieren. Definitiv komme ich heute Abend nicht da an, wo ich geplant hatte.
Das Nächste ist: Ich muss ihn anfassen. Das heißt, ich muss mich um ihn kümmern. Das bedeutet, dass der ganze Sabber, das getrocknete Blut, das an ihm klebt, der Dreck und was auch immer, erst einmal an meine Finger und an meine Kleidung kommt. Danach sehe ich auch ein bisschen so aus wie der, der da lag.
Dann hebe ich ihn auf meinen Esel, sorge dafür, dass ich nebenher laufen darf und dass er reiten kann. Davor habe ich mein Öl und meinen Wein investiert, also meine Hausapotheke aufgemacht – das muss ja auch alles nachgekauft werden.
Dann komme ich bei diesem Gasthaus an und bringe ihn dort unter. Danach zahle ich erst einmal. Dann sage ich dem Wirt: Ich muss natürlich auch erst einmal übernachten. Eigentlich ist das noch nicht gut, denn der wird noch eine Weile brauchen. Ich muss aber weiter, also lasse ich noch ein bisschen Geld da und sage dem Wirt: Wenn noch etwas ist, kümmere ich mich darum.
Und das alles macht der Samariter für einen Juden, wo er weiß – oder annehmen muss –, dass dieser Mann wahrscheinlich einfach vorbeigelaufen wäre, wenn er in den Büschen läge. Denn er kennt die Stelle aus Johannes 4, wo es so lapidar heißt, dass die Juden nicht mit den Samaritern verkehren.
Das ist die Stelle, an der die Frau am Jakobsbrunnen völlig konsterniert ist: „Du redest mit mir und lässt dir von mir etwas zu trinken geben? Du bist ein komischer Kauz.“ Und hier ist der Samariter, der das alles weiß – und er macht es trotzdem.
Barmherzigkeit ist Liebe in Aktion. Es ist unglaublich, was hier steht: Der Barmherzige ist mitfühlend und hilft, auch dann, wenn er von seinem Nächsten überhaupt keine Gegenleistung erwarten kann. Er weiß nicht, ob er irgendwann von diesem Juden ein Dankeschön hören wird. Er weiß nicht, ob er sein Geld zurückbekommt. Die Zeit ist sowieso futsch – und er macht es trotzdem.
Viele Leute sagen: Ich wünsche mir Gerechtigkeit im Leben. Und der Gerechte wird immer sagen: Wie du mir, so ich dir. Gott geht einen Schritt weiter. Er sagt: Mir ist Gerechtigkeit im Leben zu wenig, ich möchte Barmherzigkeit. Und der Barmherzige formuliert: Wie Gott mir, so ich dir.
Der Barmherzige hat einen Punkt nicht vergessen: Er lebt selbst jeden Tag von Gottes Barmherzigkeit. Ich hoffe, wir haben diesen Punkt auch nicht vergessen – dass es dir so geht, wie du gehst, dass du leben darfst, dass Gott bei dir ist, dass Gott mit dir ist. Das ist ein Ausdruck von Gottes Barmherzigkeit.
Und das ist mein vierter Punkt.
Der dritte Punkt war: Barmherzigkeit verschenkt sich. Gott will Barmherzigkeit. Gott zeigt dir den, an dem du barmherzig sein sollst. Barmherzigkeit verschenkt sich Stück für Stück – ohne Rücksicht auf Verluste.
Die eigene Bedürftigkeit von Gottes Barmherzigkeit
Und der vierte Punkt – und das ist jetzt ein Punkt, den wir hier nicht aus dem Gleichnis ziehen können, sondern aus unserer Seligpreisung: „Glückselig die Barmherzigen, denn ihnen wird Barmherzigkeit widerfahren.“
Der vierte Punkt lautet: Wir selbst brauchen täglich Gottes Barmherzigkeit.
Im Hebräerbrief wurde vorhin kurz zitiert. Im Hebräerbrief Kapitel 4 heißt es über das Gebet: „Lass uns nun mit Freimütigkeit hinzutreten zum Thron der Gnade.“ (Hebräer 4,16)
Freimütigkeit bedeutet, dass wir ohne Angst und ohne Zweifel unsere Hände falten und zu Gott beten. „Lass uns nun mit Freimütigkeit hinzutreten zum Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zur rechtzeitigen Hilfe.“
Was ist Gott für ein Gott?
In 2. Mose 34 stellt Mose die Bitte und sagt: „Ich möchte deine Herrlichkeit sehen.“ Gott braucht ein bisschen Zeit, um klarzumachen, dass Mose diesen Eindruck nur einmal erleben kann und danach sterben würde. Deshalb sagt Gott: „Nein, das machen wir lieber nicht.“
Aber dann sagt Gott etwas über sich selbst. Er lässt Mose von hinten den letzten Schein der Herrlichkeit sehen und beschreibt seinen Charakter: „Ich bin gnädig und barmherzig.“
Wenn du betest, trittst du vor einen gnädigen und barmherzigen Gott. Du trittst vor einen Thron der Gnade, wo du Barmherzigkeit empfangen möchtest.
Immer dann, wenn wir beten, wollen wir Gottes Barmherzigkeit.
Gott ist doch nicht gezwungen, mit uns freundlich umzugehen, sondern er tut es, weil es Ausdruck seines innersten Wesens ist. Gott würde sich selbst untreu werden, wenn er mit uns unbarmherzig umginge. Er ist Barmherzigkeit.
Jetzt macht Gott eines klar: Er möchte dir Barmherzigkeit schenken – jeden Tag neu. Komm mit all deinen Sorgen, komm mit deinen Problemen, gib sie bei ihm ab und lass dich beschenken.
Aber wenn du das tust, knüpft Gott an dieses Beschenken eine Bedingung. Er sagt: „Ich möchte dir von ganzem Herzen, weil du mein Kind bist, barmherzig sein. Aber bitte – wie heißt es hier: Glückselig die Barmherzigen, denn ihnen wird Barmherzigkeit widerfahren.“
Wenn du meine Barmherzigkeit suchst, dann sei doch selbst barmherzig. Wenn du mein Kind bist, dann zeige das in deinem Charakter. Lebe so, wie der Vater im Himmel lebt. Repräsentiere Gott tatsächlich in seinem ureigensten Charakter – und das bedeutet Barmherzigkeit.
Barmherzigkeit heißt: Ich liebe andere.
Warum? Weil ich Gott darstellen möchte. Weil ich Gott dankbar bin. Weil ich Gott liebe. Weil ich in mir die Liebe Gottes spüre, die mich dazu drängt, mich zu verschenken und nicht so zu bleiben, wie ich bin. Weil ich an dieser Stelle unbedingt einen Unterschied machen möchte.
Die tägliche Herausforderung der Barmherzigkeit
Und deshalb wünsche ich euch – ich wünsche es euch von ganzem Herzen. Meine Geschichte von dem Alice-Vertreter soll euch zeigen, dass das eine tägliche Herausforderung ist.
Ich wünsche es euch von ganzem Herzen, dass ihr ein Segen werdet für die Menschen, die Gott euch vor die Nase setzt. Ich wünsche uns, dass wir nicht wie der Priester und der Levit einfach achtlos an den verletzten Menschen vorübergehen.
Gott möchte Barmherzigkeit. Er entscheidet darüber, wen er uns treffen lässt. Am Kreuz hat Gott uns vorgemacht, wie weit Barmherzigkeit geht, wie bereit sie ist, sich zu verschwenden. Er knüpft seinen Umgang mit uns an unseren Umgang mit anderen.
In diesem Sinn lasst uns das für die nächste Woche aufgreifen und diese Seligpreisung von der Barmherzigkeit in die Tat umsetzen. Ich denke, es gibt für jeden von uns viele Möglichkeiten, barmherzig zu sein und Menschen mit der Barmherzigkeit Gottes zu begegnen.
