Es gibt viele Bereiche, in denen wir als Christen unterschiedlicher Meinung sind. Nehmen wir zum Beispiel den Lobpreis: Sollen wir in der Gemeinde auf zeitgemäßes Liedgut setzen, also eher moderne, neue Lieder singen, oder sollen wir vor allem die altbewährten Lieder bevorzugen?
Ich kann mir vorstellen, dass es hier unterschiedliche Meinungen gibt. Einige würden ersteres bevorzugen, andere eher letzteres. Wie sieht es mit dem Händeheben beim Lobpreis aus? Manche sagen, das sei für sie ein Ausdruck der Anbetung. Es läuft authentisch über ihr Herz, und sie beten damit Gott an. Andere wiederum empfinden das als fremd und finden es ungewohnt, so emotional beim Lobpreis zu sein.
Oder nehmen wir das Thema Alkoholkonsum. Ich spreche nicht von Besäufnis oder Alkoholmissbrauch, sondern von einem vorsichtigen, verantwortlichen Umgang mit Alkohol in einem geschützten Rahmen. Befürworten wir das, oder gibt es für uns nur totale Abstinenz – und zwar für jeden? Auch diese Frage wird unter bibeltreuen Christen unterschiedlich beantwortet.
Sollen Christen Chat-GPT nutzen? Einige sagen: „Oh, gefährlich, Finger weg!“ Andere sehen es als ein hilfreiches Werkzeug an. Was machen wir jetzt? Auch hier sind die Meinungen verschieden.
Medizinische Therapien – folgen wir den Empfehlungen der Ärzte oder vertrauen wir allein auf Gott und gehen nicht zum Arzt? Organspende ja oder nein? Verhütung ja oder nein? Wenn wir schon bei den heißen Eisen sind: Impfen gegen irgendeine Grippe – ja oder nein? All diese Fragen werden von wiedergeborenen und bibeltreuen Christen unterschiedlich beantwortet.
Die Frage ist: Wie gehen wir damit um? Wie gehen wir mit Meinungsunterschieden in Gewissensfragen um? Genau darum geht es in unserem heutigen Predigttext.
Mein Thema lautet: Einheit trotz Meinungsunterschieden. Wir sind im vierzehnten Kapitel des Römerbriefs angekommen. Die Römerreihe neigt sich langsam dem Ende zu, und ich möchte diese hier abschließen.
Vor uns liegt ein recht langer Gedankengang von Paulus, der erst in Kapitel 15, Vers 13 endet. Deshalb habe ich mich entschlossen, zu diesem langen Text eine Predigt zu halten. Das bedeutet, dass ich nicht auf jedes Detail eingehen kann, sondern vielmehr die Argumentationslinie von Paulus aufzeigen möchte.
Die Frage lautet: Wie kann man die Einheit in der Gemeinde nicht nur leben, sondern auch sichern, obwohl es innerhalb der Gemeinde unterschiedliche Meinungen gibt? Die Fragen, die ich gerade aufgeworfen habe, zeigen, dass es auch bei uns in der Gemeinde sehr unterschiedliche Ansichten gibt. Wie kann man trotzdem, trotz dieser unterschiedlichen Meinungen in Randfragen, die Einheit sichern und in der Gemeinde leben?
Diese Frage wird in unserem Text konsequent vom Evangelium her beantwortet. Paulus gibt der Gemeinde in Rom vier große Anweisungen. Die erste Anweisung lautet: Verurteilt einander nicht.
Schauen wir uns dazu die ersten sechs Verse an.
Den Schwachen im Glauben nehmt an und streitet nicht über Meinungen. Der eine glaubt, er dürfe alles essen, der Schwache aber isst kein Fleisch – schlechte Nachricht für Vegetarier? Nein, es geht um etwas anderes. Wer ist, der verachte den nicht, der nicht ist, und wer nicht ist, der richte den nicht, der ist, denn Gott hat ihn angenommen.
Wer bist du, dass du einen fremden Knecht richtest? Er steht oder fällt seinem Herrn, er wird aber stehen bleiben, denn der Herr kann ihn aufrechthalten. Der eine hält einen Tag für höher als den anderen, der andere aber hält alle Tage für gleich. Ein jeder sei seiner Meinung gewiss. Wer auf den Tag achtet, der tut es im Blick auf den Herrn. Wer ist, der ist im Blick auf den Herrn, denn er dankt Gott. Und wer nicht ist, der ist im Blick auf den Herrn nicht und dankt Gott auch.
Ihr Lieben, in der Gemeinde in Rom gibt es so viel Konfliktpotenzial innerhalb der Gemeinde. Paulus spricht hier von zwei Gruppen: einmal von den Starken im Glauben, aber auch von den Schwachen im Glauben. Konkret geht es hier um einen unterschiedlichen Umgang im Hinblick auf Essen und im Hinblick auf Feiertage.
Die Starken in Rom sagen: Wir dürfen alles essen, es ist alles rein. Die Schwachen sagen: Wir dürfen nicht alles essen, wir müssen uns an gewisse Speisegebote aus unserem jüdischen Background immer noch halten, und wir müssen gewisse Feiertage einhalten. Die Starken sagen, alle Tage sind gleich vor Gott.
Es gibt hier unterschiedliche Meinungen, die aufgrund des jüdischen Gesetzes vorhanden sind. Sollte ein Christ sich nach wie vor an die Speisevorschriften des Alten Testaments halten?
Ganz wichtig ist hier zu bemerken – und das ist extrem wichtig, um den ganzen weiteren Gedankengang zu verstehen: Hier in Rom ist nicht das Evangelium angegriffen. Also es geht auch bei den Schwachen nicht darum, dass sie denken, wir müssten es einhalten, um gerettet zu werden. Das glauben sie nicht. Da wären wir in Galatien, da sagt Paulus ganz klar: Es gibt nur ein Evangelium. Da ist Paulus nicht so entspannt.
Hier in Rom sagt er: Streitet nicht über Meinungen, ein jeder sei sich seiner Meinung gewiss. Das heißt, hier in Rom steht nicht das Evangelium auf dem Spiel, hier in Rom steht die Einheit der Gemeinde auf dem Spiel. Es hat Konfliktpotenzial, und deswegen greift Paulus diese Fragen auf. Es sind Gewissensfragen, und er sagt, eure Einheit ist gefährdet.
Das Ganze birgt so viel praktisches Konfliktpotenzial. Schaut mal: Damals wurde in der Gemeinde viel, viel mehr gegessen, als wir es heute manchmal tun. Deswegen finde ich unsere Cafeteria so wichtig, dass wir Gemeinschaft beim Essen haben.
Damals wurde ganz häufig gegessen. Wenn du das Thema Fleisch in der Gemeinde unterschiedlich handhabst, dann kommt es immer wieder zu Konflikten. Vor allen Dingen kann der Heidenchrist nicht garantieren, dass das Fleisch, das er dem Judenchristen anbietet, ganz koscher ist. Dann wird der Jude sagen: Moment, du kannst es nicht garantieren, ich esse dein Fleisch nicht.
Oder es kann zu Unstimmigkeiten kommen: Wieso isst du es nicht? Jesus hat gesagt, wir dürfen alles essen. Nein, aber im Alten Testament steht doch... Und da gibt es Konfliktpotenzial.
Das war in Rom eine Gefahr. Paulus erkennt diese Gefahr und er sagt: Verurteilt einander nicht. Wenn du meinst, man sollte kein Fleisch essen, dann mach das für dich. Aber lass den anderen stehen, der es in diesen Gewissensfragen anders sieht.
Wenn du glaubst, man darf Fleisch essen, ist gut. Aber lass den anderen stehen, der glaubt, man darf es nicht.
Was ich an dem heutigen Predigttext am meisten faszinierend finde, ist die Argumentation von Paulus. Das ist der eigentliche Leckerbissen in unserem heutigen Predigttext, wenn man so will.
Paulus sagt hier nicht nur oberflächlich: „Hey, lasst uns einander einfach lieb haben.“ Vielmehr kommt er konsequent vom Evangelium her in seiner Begründung. Das, was er in den Kapiteln drei bis acht gepredigt hat, wendet er jetzt auf eure Beziehungen an. Er begründet seine Imperative theologisch.
Wir haben hier mehrere Gründe, warum Christen, die in Gewissensfragen anderer Meinung sind, einander nicht verurteilen sollten.
Grund Nummer eins: Gott hat den Andersdenkenden angenommen.
Vers 3: Wer ist es, der den nicht verachtet, der nicht ist? Und wer nicht ist, richtet den nicht, der ist, denn Gott hat ihn angenommen.
Das ist der Grund, warum wir unseren Bruder oder unsere Schwester, die in Randfragen Dinge ganz anders handhabt oder vielleicht einen anderen Frömmigkeitsstil hat, nicht verurteilen dürfen. Denn Gott hat ihn angenommen.
Wie Gott einen Menschen annimmt, haben wir in Römer 3 und 4 gesehen. Christus ist für Sünder gestorben. In dem Moment, in dem ein Sünder erkennt: „Ich bin schuldig vor Gott, ich brauche Vergebung, und ich setze mein Vertrauen nicht auf meine Werke, sondern einzig und allein auf das, was Christus für mich getan hat“, nimmt Gott den Sünder an und erklärt ihn für gerecht.
Das heißt, der Bruder oder die Schwester, die Dinge anders handhabt oder andere Überzeugungen hat, ist von Gott angenommen worden. Und schau mal: Wenn Gott ihn angenommen hat, du aber sagst, ich nehme ihn so nicht an, dann hast du ein vertikales Problem mit Gott. Denn Gott sagt: Dann stellst du dich gegen meine Meinung. Ich habe diesen Bruder angenommen.
Vor einigen Wochen erzählte mir eine junge Frau, die aus einer, ich sag mal, traditionell konservativen Gemeinde in unsere Gemeinde gewechselt ist, wie ihr erster Besuch bei uns in Köln verlaufen ist. Sie kam in unsere Gemeinde und stellte relativ bald fest, dass die Leute äußerlich etwas anders aussahen, als sie es aus ihrer alten Gemeinde gewohnt war.
Sie guckte nach rechts, sie guckte nach links in die Reihen, und neben ihr saß ein Mann, der etwas anders gekleidet war – ein Bruder aus unserer Gemeinde. Sie ertappte sich dabei, das war ihre Aussage, sofort ein Urteil über ihn zu fällen.
Der Gottesdienst lief weiter, und dieser Bruder, der seine Bibel dabei hatte, öffnete sie, um bei der Predigt mitzulesen. Sie schaute nach rechts und sah, dass die ganze Bibel unterstrichen und markiert war. In dem Moment musste sie Buße tun, denn sie erkannte: Dieser Bruder lebt wahrscheinlich viel mehr im Wort als sie.
Kann es sein, dass du so schnell dazu neigst, Menschen, die gewisse Dinge anders denken oder anders handhaben als du, zu verurteilen, obwohl Gott sie angenommen hat? Das ist arrogant. Wenn Gott sagt: Ich nehme sie an, aber du sagst: Ich nicht, dann ist das ein Zeichen von Stolz, von Rechthaberei und von Selbstgefälligkeit in deinem Herzen.
Das ist ein Problem, sagt Paulus.
Grund Nummer zwei, warum wir anders denkende Christen, wenn es nicht um Sünde geht, sondern um Meinungsfragen, nicht verurteilen dürfen:
Du bist nicht Herr über das Gewissen des Andersdenkenden.
Vers 4: Wer bist du, dass du einen fremden Knecht richtest? Er steht oder fällt seinem Herrn. Er wird aber stehen bleiben, denn der Herr kann ihn aufrechthalten.
Paulus greift hier ein Beispiel aus der damaligen Rechtspraxis auf, speziell in Rom. Sklaverei war damals weit verbreitet, und es war gesetzlich unzulässig, dass jemand den Sklaven eines anderen Herrn beurteilt. Ob der Sklave richtig gehandelt hat oder nicht, die Beurteilungskompetenz lag ausschließlich bei seinem Herrn. Du konntest also nicht einen anderen Sklaven verurteilen.
Genau dieses Denken, diese Gesinnung wendet Paulus nun auf die Gemeinde an. Er sagt, es ist eine Selbstüberschätzung, wenn du meinst, du bist der Herr über das Gewissen des Bruders oder der Schwester.
Beim Fußballspiel ist das ähnlich: Am Spielfeldrand gibt es eine Coaching-Zone. Dort stehen die beiden Trainer der gegnerischen Mannschaften relativ nah beieinander. Jeder hat seine eigene Coaching-Zone, innerhalb derer er sich frei bewegen kann.
Stellt euch vor, das Spiel läuft, und ein Trainer fängt an, den Spieler der anderen Mannschaft zu beurteilen und ihm Anweisungen zu geben: "Du musst mehr über die Außen spielen, lauf mal ein bisschen schneller." Was wird der andere Trainer tun? Er wird sagen: "Du hast nicht die Beurteilungskompetenz, das ist mein Spieler."
Kann es sein, dass du häufig deinen Kompetenzbereich überschreitest, indem du das Gewissen anderer Christen beurteilst?
Liebe Gemeinde, hier wird viel Machtmissbrauch in den Gemeinden betrieben. Oft hängt das damit zusammen, dass man alles kontrollieren will. Jeder soll es genau so machen, wie ich es gerne hätte. Deshalb müssen alle nach meiner Pfeife tanzen, alles muss so aussehen, wie ich es will.
Ich halte den Sabbat am Samstag, und die anderen sollten es auch tun. Ich würde als Christ nie zur Bundeswehr gehen, weil das Dienst an der Waffe bedeutet, und kein anderer Christ sollte es tun. Ich würde mich nie impfen lassen, und die anderen sollten es auch nicht tun. Ich würde als Frau niemals mit einer Hose in den Gottesdienst gehen, und jede andere Schwester sollte es auch nicht tun. Wir verhüten nicht, und die anderen Ehepaare sollten es auch nicht tun.
Wer bist du, dass du über einen anderen Knecht richtest, über einen fremden Knecht? Er steht oder fällt seinem Herrn.
Vielleicht sagst du jetzt: "Moment, heißt das, dass wir einander gar nichts mehr sagen dürfen?" Doch, wenn es um Sünde geht, heißt es in Galater 6,1, sollen wir hingehen zu dem Bruder oder der Schwester.
Aber hier geht es um Meinungs- und Gewissensfragen. Da haben wir kein Recht, über das Gewissen des anderen zu urteilen.
Das hängt mit dem nächsten Punkt zusammen: Grund Nummer drei – der Andersdenkende handelt im Blick auf seinen Herrn.
Vers 5: Der eine hält einen Tag für höher als den anderen, der andere aber hält alle Tage für gleich. An jedem Tag sei sich jeder seiner Meinung gewiss. Wer auf den Tag achtet, der tut es im Blick auf den Herrn. Wer es tut, tut es im Blick auf den Herrn, denn er dankt Gott. Und wer es nicht tut, der tut es ebenfalls im Blick auf den Herrn, doch er dankt Gott nicht.
Das heißt, die gesamte Argumentation von Paulus basiert auf der Annahme, dass der Bruder oder die Schwester, die Dinge anders handhabt, es eigentlich zur Ehre Gottes tut.
Dann wird Paulus noch grundsätzlicher und sagt: Das ist ja eigentlich unsere Grundausrichtung als Christen. Wir leben für den Herrn.
Die Verse 7 bis 9 lauten: Denn keiner lebt sich selbst, und keiner stirbt sich selbst. Leben wir, so leben wir dem Herrn. Sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum leben oder sterben wir, so sind wir des Herrn. Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebende Herr sei.
Liebe Gemeinde, Christus ist der erhöhte Herr. Er hat den Namen, der über alle Namen ist. Er ist der Herr, der in die Herzen schauen kann. Paulus sagt, es geht darum, nur vor diesem einen zu leben. Vor ihm leben wir, vor ihm sterben wir. Unser ganzes Leben ist ein Gottesdienst für unseren Herrn und Meister Jesus Christus, der sein Leben für uns gelebt, aber auch gegeben hat.
Eckhart Schnabel schreibt in seinem Korintherkommentar: Die Zugehörigkeit zum Herrn, dem Messias Jesus, bestimmt das Leben, das Verhalten im Leben und am Ende auch das Sterben. Es gibt keinen, für den das nicht gilt. Die an Jesus Glaubenden leben alle nicht für sich selbst, sie sterben nicht für sich selbst, weil sie dem Herrn gehören.
Die Frage ist: Gestehen wir das andersdenkenden Christen zu? Kannst du verstehen, dass die Schwester, die anders gekleidet ist, als du es dir vielleicht immer gedacht hast, was richtig ist – und ich rede hier nicht von irgendetwas Unkeuschem –, dass auch ihr Gottesdienst heute Morgen schon vor dem Kleiderschrank begonnen hat? Dass sie sich die Frage gestellt hat: Wie kann ich Christus ehren?
Kannst du verstehen, dass der, der beim Lobpreis die Hände hebt, es wirklich tut, weil er so ergriffen ist von Jesus Christus?
Kannst du verstehen, dass der christliche Rapper seinen Rap zur Ehre Gottes singt und viel Text vermitteln kann?
Kannst du verstehen, dass der Schlagzeuger, der beim Lobpreis ganz munter draufhaut, das in dem Moment aus einer großen Freude an Jesus Christus tut?
Kannst du das verstehen?
Leben wir, so leben wir dem Herrn! Sterben wir, so sterben wir dem Herrn! Alles, was wir tun, tun wir als wiedergeborene Christen zur Ehre Gottes.
Das führt uns zu einem vierten Grund, warum wir einander nicht verurteilen sollen: Der Andersdenkende wird von Gott beurteilt.
Die Verse 10 bis 12: „Du aber, was richtest du deinen Bruder? Oder du, was verachtest du deinen Bruder?“ Wir werden alle vor dem Richterstuhl Gottes gestellt werden. Denn es steht geschrieben: „So wahr ich lebe“, spricht der Herr, „mir sollen sich alle Knie beugen und alle Zungen Gott bekennen.“ So wird nun jeder von uns für sich selbst Gott Rechenschaft geben.
Paulus geht zunächst davon aus, dass es in Rom leider schon dazu gekommen ist, dass man einander richtet und verurteilt. Jetzt bringt er ein Zitat aus Jesaja 45, in dem er darauf verweist, dass Gott auf dem Thron sitzt, Gott die Beurteilungskompetenz hat und am Ende das Trachten eines jeden Herzens abschließend und final beurteilen wird.
Ich kann mir vorstellen, dass einige Aussagen, die ich heute in der Predigt getätigt habe, dich in deinem Denken richtig herausfordern. Kann das sein? Dass so jemand das auch zur Ehre Gottes tut, hängt sehr damit zusammen, dass wir gerne immer ein ganz festes Raster hätten. Also ganz ehrlich: Ich hätte es auch am liebsten, wenn alle hier in der Gemeinde nur meine Meinung hätten. Hätte ich am liebsten, und ich glaube, du auch, oder? Dann würden wir nicht herausgefordert werden.
Aber kann es sein, dass gerade auch Meinungsunterschiede existieren und Gott vielleicht auch manchmal bewusst Leute zusammenfügt, die unterschiedlicher Meinung sind? Damit wir lernen, geistlich miteinander umzugehen und einander trotzdem zu schätzen. Wir hätten am liebsten ein festes Raster.
Vielleicht sagst du aber: „Mir macht das trotzdem Mühe, Andre, was du da gerade gesagt hast, und manch ein Verhalten – ich krieg das nicht hin.“ Ich meine, unsere Erkenntnis ist Stückwerk, richtig? Unsere geistliche Prägung ist so unterschiedlich. Wir haben hier zig verschiedene religiöse beziehungsweise gemeindliche Hintergründe, die wir mitbringen.
Aber das, was dir Mut machen kann, ist, dass du in diesem Moment einfach zu Gott kommen kannst und Ruhe darin finden kannst, dass es einen gibt, der beurteilt – dass du das gar nicht musst. Schaut mal, es ist so befreiend, wenn du etwas siehst, was dich erst mal aufrüttelt. Dann kannst du auf zweierlei Weise reagieren: Entweder du fängst an, es zu verurteilen, oder du fliehst zu Gott und sagst: „Gott, ich kann es irgendwie von mir aus nicht so ganz stehen lassen, aber ich weiß, du wirst richten, du wirst beurteilen.“
Darin können wir Ruhe finden. Es ist so befreiend, dass wir wissen können: Gott wird am Ende alles beurteilen.
Wir kommen zur zweiten großen Anweisung von Paulus: Einheit trotz Meinungsunterschieden – wie ist das möglich? Die Antwort lautet: Bringt einander nicht zur Fall.
Ich lese die Verse 13 bis 23 am Stück:
„Darum lasst uns nicht mehr einer den anderen richten, sondern richtet vielmehr euren Sinn darauf, dass niemand seinem Bruder einen Anstoß oder Ärgernis bereite. Ich weiß und bin gewiss in dem Herrn Jesus, dass nichts unrein ist an sich selbst; nur für den, der es für unrein hält, für den ist es unrein. Wenn aber dein Bruder wegen deiner Speise betrübt wird, so handelst du nicht mehr nach der Liebe. Bring nicht durch deine Speise den ins Verderben, für den Christus gestorben ist. Es soll doch nicht verlästert werden, was ihr Gutes habt; denn das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude im Heiligen Geist. Wer darin Christus dient, der ist Gott wohlgefällig und bei den Menschen geachtet. Darum lasst uns dem nachstreben, was zum Frieden dient und zur Erbauung untereinander. Zerstöre nicht um der Speise willen Gottes Werk. Es ist zwar alles rein, aber es ist nicht gut für den, der es isst mit schlechtem Gewissen. Es ist besser, du isst kein Fleisch und trinkst keinen Wein und tust nichts, woran dein Bruder Anstoß nimmt. Den Glauben, den du hast, habe für dich selbst vor Gott. Selig ist, der sich selbst nicht verurteilen muss in dem, was er gutheißt. Wer aber zweifelt und dennoch isst, der ist schon verurteilt, denn es kommt nicht aus dem Glauben. Was aber nicht aus dem Glauben kommt, ist Sünde.“
Wie am Anfang schon erwähnt, werde ich hier nicht auf jedes Detail eingehen können. Aber ein Detail ganz am Anfang unseres Textabschnittes ist extrem wichtig, und das ist das Wort „darum“.
Was signalisiert das Wort „darum“? Es ist eine Schlussfolgerung aus dem Vorhergesagten.
Vorher hat Paulus gesagt: Verurteile den nicht. Damit meinte er vor allem, dass die Schwachen die anderen nicht verurteilen sollten, die sagen: „Für uns sind doch alle Speisen rein.“ Ja, verurteile ihn nicht. Denn oft sind es die Schwachen, die eher dazu neigen zu verurteilen. Es kann aber auch in beide Richtungen gehen.
In diesem Abschnitt richtet sich Paulus eher an die Starken, die sagen: Wir dürfen alles essen, wir dürfen das Fleisch essen, wir müssen nicht die Feiertage einhalten.
Schaut man die Schlussfolgerung aus dem ersten Punkt, dass wir einander nicht verurteilen dürfen – vor allem die Schwachen sollen die Starken nicht verurteilen – so lautet sie nicht, dass die Schwachen jetzt provozieren können: „Du musst mich stehen lassen mit meiner Meinung, ich lebe meine Freiheit jetzt aus.“
Sondern die Schlussfolgerung ist: Der Schwache soll den Starken nicht verurteilen, aber der Starke soll das nicht ausnutzen. Er soll wiederum Rücksicht nehmen auf den Schwachen.
Paulus verwendet hier in Vers 13 den Begriff „Anstoß“. Wir sollen einander keinen Anstoß sein.
Vers 13: „Lasst uns nicht mehr einer den anderen richten, sondern richtet vielmehr euren Sinn darauf, dass niemand seinem Bruder einen Anstoß oder Ärgernis bereite.“
Die beiden Begriffe „Anstoß“ und „Ärgernis“ sind Synonyme, das heißt, sie meinen hier das Gleiche.
Wir müssen den Begriff „Anstoß“ richtig verstehen. Er wird oft falsch verwendet. Man sagt zum Beispiel: „Deine Musik ist mir ein Anstoß.“ Damit ist gemeint: Ich mag sie nicht.
Anstoß im biblischen Sinne ist aber immer der Punkt, an dem wir unseren Nächsten durch unsere Freiheit dazu verleiten, gegen sein Gewissen zu handeln und dadurch sündigt.
Das heißt: Anstoß bedeutet, ich verleite meinen Bruder oder meine Schwester zur Sünde.
Denn wir müssen berücksichtigen, was Paulus in Vers 14 und Vers 23 sagt:
„Ich weiß und bin gewiss in dem Herrn Jesus, dass nichts unrein ist an sich selbst; nur für den, der es für unrein hält, für den ist es unrein.“ (Vers 14)
und
„Wer aber zweifelt und dennoch isst, der ist schon verurteilt; denn es kommt nicht aus dem Glauben. Was aber nicht aus dem Glauben kommt, das ist Sünde.“ (Vers 23)
Paulus sagt: Wir sprechen hier über Dinge, die an sich nicht Sünde sind. Ja, nichts ist an sich unrein, sagt Paulus, in Bezug auf die konkrete Thematik in Römer.
Das Fleisch ist nicht unrein an sich. Aber wenn jemand es für unrein hält und ein schlechtes Gewissen hat, denkt, es ist falsch, und dann trotzdem isst, dann ist das Sünde, weil derjenige gegen sein Gewissen handelt.
Gott will, dass wir alles, was wir als Christen tun, aus Glauben tun. Wenn du etwas tust, bei dem du nicht Gott danken kannst, solltest du es vielleicht nicht tun. Denn du handelst möglicherweise gegen dein Gewissen.
Hier sagt Paulus: Wir müssen aufeinander Acht geben, dass genau das nicht passiert.
Er liefert hier drei Argumente. Argument Nummer eins ist das Prinzip der Nächstenliebe.
Vers 15: Wenn aber dein Bruder wegen deiner Speise betrübt wird, handelst du nicht mehr aus Liebe.
Es ist ganz, ganz wichtig, dass wir Folgendes verstehen: Die Liebe, so wie sie uns in der Bibel geschildert wird, ist bereit, sich selbst zurückzustellen. Die christliche Freiheit wird durch die christliche Nächstenliebe eingeschränkt.
Ich dürfte es tun, aber wenn mein Bruder dadurch verleitet wird, in Sünde zu fallen, tue ich es nicht. Obwohl ich es wirklich dürfte, liebe ich meinen Bruder so sehr, dass ich es nicht will. Ich möchte nicht, dass er dadurch geistlichen Schaden erleidet.
Das ist das erste Argument.
Das zweite Argument ist der hohe Preis der Errettung.
Vers 15: Bring durch deine Speise nicht den ins Verderben, für den Christus gestorben ist. Paulus betont, dass Christus sein Leben gegeben hat, um deinen Bruder oder deine Schwester zu retten. Es hat ihn alles gekostet. Christus hat den Höchstpreis bezahlt.
Die Errettung deines andersdenkenden Bruders war so kostbar, dass Christus leiden und sterben musste. Deshalb solltest du nicht leichtfertig damit umgehen. Wenn du durch dein Verhalten dafür sorgst, dass dein Bruder oder deine Schwester geistlichen Schaden erleidet, dann wertschätzt du den Kreuzestod Jesu zu gering.
Ein drittes Argument ist die Reich-Gottes-Perspektive.
Vers 17: Denn das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist. Wer darin Christus dient, der ist gottwohlgefällig und bei den Menschen geachtet.
Paulus möchte hier deutlich machen, dass es im Reich Gottes nicht schwerpunktmäßig um Meinungsfragen oder Gewissensfragen geht. Es gibt immer wieder Christen, die drittrangige Fragen zum Hauptfokus der Gemeindeagenda machen.
Was war das für eine Schande aus meiner Sicht, dass sich so viele Gemeinden in der Corona-Zeit aufgrund unterschiedlicher Sichtweisen zu den Corona-Maßnahmen gespalten haben. Eine Schande! Die Welt hat über uns Christen gespottet.
Das Reich Gottes ist nicht Impfen oder Nichtimpfen, es ist nicht Essen oder Trinken. Im Reich Gottes gibt es viel wichtigere Dinge. Paulus sagt, es geht um Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist. Diese drei Begriffe hängen zusammen. Wenn ein gerechter und friedvoller Umgang miteinander da ist, kann gemeinsame Freude an Jesus gelebt werden.
Darum geht es. Wenn wir hier zusammenkommen, schauen wir auf Jesus, wie Alex es schon in seiner Andacht gesagt hat. Es geht um das Fundament, auf dem wir stehen. Wir dürfen nicht zulassen, dass drittrangige Fragen oder Meinungsunterschiede in Randfragen zum Fokus werden. Darum geht es nicht im Reich Gottes.
Wer das Prinzip der Nächstenliebe verstanden hat, wer verstanden hat, dass Christus einen so hohen Preis für meinen Bruder bezahlt hat, und wer verstanden hat, dass es im Reich Gottes um gemeinsame Freude geht, dem ist viel wichtiger, in Einheit zusammenzuleben, als dass die eigene Agenda gelebt wird.
Paulus sagt am Ende dieses Abschnitts, dass wir Rücksicht aufeinander nehmen sollen. In Vers 21 heißt es: Es ist besser, du isst kein Fleisch und trinkst keinen Wein und tust nichts, woran dein Bruder Anstoß nehmen könnte. Es ist besser, du verzichtest auf deine Freiheit, als dass du einen lieben Bruder oder eine liebe Schwester verleitest, in Sünde zu fallen.
Ich sprach kürzlich mit einem sehr lieben Freund aus einer anderen Gemeinde. Er hat eine heftige Alkoholvergangenheit, ist Mitte zwanzig und erzählte mir sein bewegendes Zeugnis. Er war auf dem Bau tätig und trank jeden Tag über den Kasten, er hatte ein echtes Alkoholproblem und war abhängig.
Dann hat Christus auf wunderbare Weise in sein Leben eingegriffen. Christus kann Ketten sprengen, Amen! Er hat ihn von dieser Sünde befreit. Für mich war es sehr bewegend, sein Zeugnis zu hören.
Dieser Bruder erzählte, dass er in die Gemeinde ging, weil er die Bibel gelesen hatte und wusste, ein Christ braucht eine Gemeinde. Er wurde gut aufgenommen und integrierte sich in die Jugendgruppe. Danach gingen sie mit der Jugend ins Restaurant. Er sah, wie die Jugendlichen Bier und Wein bestellten.
Für ihn als trockener Alkoholiker war jeder Tropfen Sünde. Das war eine heftige Versuchung, wieder in sein altes Leben zurückzufallen.
Wenn ihr solche Geschichten hört, werdet ihr vorsichtiger. Du kannst die Überzeugung haben, dass ein halbes Glas Wein am Abend oder ein Radler beim Grillen ein verantwortungsvoller Umgang mit Alkohol ist. Ich glaube auch nicht, dass man anhand der Bibel ein pauschales Alkoholverbot für jede Person in jeder Situation ableiten kann.
Aber die Bibel warnt sehr deutlich vor Alkohol. Und deine Freiheit in diesem Thema kann einen trockenen Alkoholiker verletzen. Wir haben hier in der Gemeinde viele Menschen, die von Christus befreit wurden und vielleicht neben dir sitzen.
Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich will niemals ein Anstoß für meinen Bruder oder meine Schwester sein, zurückzufallen in ihr altes Leben, nur weil ich meine vermeintliche Freiheit ausnutze. Wenn ich dadurch einem Bruder schade, ist das auch für mich Sünde.
Deshalb sagt Paulus: Seid bereit, bringt einander nicht zu Fall. Es ist besser, du schränkst dich ein. Meine Frage ist: Pochst du auf deine Freiheit, oder bist du bereit, weil du deinen Bruder so sehr liebst, deine Freiheit einzuschränken?
Das ist göttlich, und das führt uns zum dritten Punkt.
Der dritte große Punkt in der Predigt lautet: Sucht das Beste für euren Nächsten. Wir befinden uns jetzt in Kapitel 15. Dort heißt es in den ersten beiden Versen: „Wir aber, die wir stark sind, sollen die Schwächen derer tragen, die nicht stark sind, und nicht Gefallen an uns selber haben. An jedem von uns soll so leben, dass er seinem Nächsten Gefallen zum Guten und zur Erbauung tut.“
Es ist interessant, dass Paulus sich hier mit den Starken identifiziert. Ja, er bezieht Position und sagt: „Ich gehöre auch zu den Starken, wir, die wir stark sind.“ Aber wer waren nochmal die Starken und wer die Schwachen? Die Starken waren diejenigen, die sagten: Wir dürfen alles essen, das ist vor Gott in Ordnung, und alle Tage sind gleich. Das waren die Starken.
Die Schwachen hingegen waren diejenigen, die meinten, sie müssten sich an gewisse Speisevorschriften halten und den Sabbat definitiv am Samstag einhalten, ebenso die jüdischen Feiertage. Paulus bezeichnet diese als die Schwachen im Glauben. Er selbst zählt sich zu den Starken, betont aber, dass niemand den anderen in diesen Fragen verurteilen soll. Er sagt, wir sollen dem anderen keinen Anstoß geben.
Die ersten beiden Punkte waren negativ formuliert: nicht verurteilen, nicht zu Fall bringen. Aber es geht nicht nur darum, etwas nicht zu tun – das wäre passiv. Paulus fordert uns auch dazu auf, aktiv das Gute für den anderen zu suchen. Das macht er deutlich, indem er in Vers 2 sagt: „An jedem von uns soll so leben, dass er seinem Nächsten Gefallen zum Guten und zur Erbauung tut.“
Mit anderen Worten: Wenn wir in die Gemeinde kommen, geht es nicht um uns. Es geht nicht darum, dass ich hier in der Gemeinde sehen will, dass alle meiner Meinung sind und Dinge so handhaben wie ich. Vielmehr soll ich die Frage stellen: Wie kann ich heute ein Segen für den anderen sein? Es geht nicht um meine Agenda oder um Meinungsfragen. Es geht darum, dass ich im Gebet komme und sage: Herr, wie kann ich heute meinem Nächsten dienen, damit er erbaut wird? Darum geht es.
Wenn wir mit dieser Leitfrage in die Gemeinde kommen, ähneln wir Christus. Schaut euch die christologische Begründung in Vers 3 an: „Denn auch Christus hatte nicht an sich selbst gefallen, sondern wie geschrieben steht: ‚Die Schmähungen derer, die dich schmähen, sind auf mich gefallen.‘ Denn was zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, damit wir durch Geduld und den Trost der Schrift Hoffnung haben.“
Paulus zitiert hier Psalm 69 und deutet ihn auf Christus, auf das Leiden Christi. In Vers 4 macht er deutlich, dass es legitim ist, das Alte Testament zu zitieren, weil uns die Schrift, also das Alte Testament, auch zur Ermutigung und Unterweisung gegeben wurde.
Paulus verweist auf Christus: Christus hatte alle Macht. Er hätte auf die Erde kommen können, um bedient zu werden. Er wäre es würdig gewesen. Aber er hat freiwillig – und das müssen wir uns immer wieder vor Augen führen – seine Herrlichkeit aufgegeben und ist in eine kaputte Welt gekommen, um für Sünder zu sterben.
Der Kirchenvater Johannes Chrysostomus schreibt, dass Christus die Macht hatte, sich keinen Vorwürfen auszusetzen, die Macht, das Leiden nicht ertragen zu müssen. Hätte er vorgehabt, sich um seine eigenen Dinge zu kümmern, hätte Jesus auf sich geschaut. Er hätte sich nicht von den Römern bespucken lassen, er hätte sich nicht verlästern lassen, er hätte sich nicht die Dornenkrone aufsetzen lassen. Hätte er auf sich geschaut, wäre er vom Kreuz heruntergegangen. Hätte er auf sich geschaut, hätte er eine Legion Engel gerufen. Er hatte die Macht.
Er sagt: „Mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf Erden.“ Und diese Macht besitzend, wird er schwach, damit wir Schwachen gesegnet werden. Das ist Römer 5,6: „Denn Christus ist schon zu der Zeit, als wir noch schwach waren – schwach im Sinne von unfähig, Gott zu gefallen –, für uns Gottlose gestorben.“
Das heißt, er hat seine Macht und seine Stärke eingesetzt, um für uns, die wir schwach sind, ein Segen zu sein. Seine Stärke wurde für uns Schwache ein unfassbarer Segen.
Wenn wir diesem Vorbild Jesu nachahmen, wenn wir seine Demut nachahmen, dann wollen auch wir ein Segen für Andersdenkende in der Gemeinde sein, ein Segen für unsere Geschwister.
Paulus nennt uns in seinem Gebetswunsch das Ziel des Ganzen in den Versen 5 und 6: „Der Gott aber der Geduld und des Trostes gebe euch, dass ihr einträchtig gesinnt seid untereinander, wie es Christus Jesus entspricht. Damit ihr einmütig mit einem Mund Gott lobt, den Vater unseres Herrn Jesus Christus.“
Interessant ist, dass Paulus hier seinen Herzenswunsch äußert, aber nicht den Wunsch, dass in Rom alle dieselbe Meinung in Randfragen haben. Das steht hier nicht. Er sagt ja vorher: „An jedem sei sich seiner Meinung gewiss.“ Paulus’ Anliegen ist, dass die Gemeinde einmütig ist, das heißt, gemeinsam auf demselben Fundament steht.
Christus ist derjenige, der uns verbindet, nicht Meinungsfragen in drittrangiger Kategorie. Das müssen wir uns als Gemeinde immer wieder sagen.
Gestern beim Festival of Hope waren viele verschiedene Christen vertreten. Für mich war es sehr bewegend, mit ihnen gemeinsam unseren Herrn und Retter anzubeten, obwohl sie in einigen Randfragen vielleicht anders denken als ich.
Der Bibelausleger Douglas Moo schreibt, dass die Einheit unter den römischen Christen wichtig ist. Paulus verwendet viele Worte, um diese Einheit zu fördern. Aber die Einheit hat ein wichtiges Ziel: die Ehre unseres Gottes und Vaters, unseres Herrn Jesus Christus.
Nur wenn die römische Gemeinde geeint ist, nur wenn die Christen in Rom einmütig handeln und mit einer Stimme sprechen, werden sie Gott auf die Weise verherrlichen können, die er verdient.
Und, ihr Lieben, das ist das letztendliche Ziel. Das Endziel ist nicht nur die Einheit. Es ist wichtig, dass wir das verstehen, liebe Gemeinde.
Es geht nicht nur um Einheit um der Einheit willen. Es geht nicht um Einheit, damit wir uns wohler fühlen. Es geht nicht um Einheit, weil die ganze Welt nach Einheit schreit. Es geht nicht einmal um Einheit, damit wir sagen können: Hier bei uns in Köln funktioniert Einheit, obwohl wir viele Kulturen haben.
Das ist nicht das Endziel. Das Endziel ist der gemeinsame Lobpreis für den, der es würdig ist, alle Ehre zu empfangen.
Ihr Lieben, wir haben Anbetung und Lobpreis oft individualisiert. Es ist eine Sache zwischen mir und Gott. Gott sagt: Nein, es ist nicht nur eine Sache zwischen dir und Gott.
Gott will den gemeinsamen Lobpreis seiner Braut haben. Darum geht es ihm. Und das ist das Endziel unserer Einheit.
Wir wollen Einheit anstreben, damit unser Lobpreis nicht nur am Sonntag hier in der Gemeinde einmütig ist, wenn wir gemeinsam singen. Sondern auch im Alltag, wenn wir als Christen zusammenkommen, soll unser Lobpreis einmütig sein.
Darum geht es ihm letztendlich.
Und das bringt uns jetzt zur letzten Anweisung: Nehmt einander an!
Vers 7 sagt Paulus: Darum nehmt einander an. Das ist das Fazit des ganzen Gedankengangs. Ich habe euch das mal hier auf der Folie aufgezeigt, wie Paulus diesen Abschnitt aufbaut.
Der erste Predigtpunkt lautet: Verurteilt nicht.
Der zweite Punkt: Bringt einander nicht zu Fall.
Der dritte Punkt: Sucht das Beste für den anderen.
Der vierte Punkt: Nehmt einander an.
Wenn ihr genau hinschaut, gehören die Punkte eins und vier zusammen, und die Punkte zwei und drei gehören zusammen. Das ist ein Aufbau. Paulus sagt: Es geht nicht nur darum, jemanden nicht zu Fall zu bringen, es geht sogar noch um viel mehr. Es geht darum, das Beste für ihn zu suchen. Es geht nicht nur darum, einander nicht zu verurteilen – das ist nicht das Endziel –, es geht darum, einander wirklich von Herzen anzunehmen.
In Kapitel 14, Vers 1, sagte er: Die Starken sollen die Schwachen annehmen. Hier sagt er: Wir sollen alle einander annehmen.
Und woher kommt unsere Motivation? Warum sollen wir das tun? Was bewegt uns dazu, was befähigt uns dazu? Es ist mal wieder das Evangelium. Ich habe wirklich den Eindruck, dass Paulus hier den Römerbrief noch einmal konsequent auf Beziehungen anwendet. All das, was wir an Tiefe des Evangeliums im Römerbrief gelesen haben, sagt er jetzt: Wendet es auf eure Beziehungen an.
Denn es heißt weiter in Vers 7: Darum nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zur Ehre Gottes.
Ihr Lieben, Christus hätte allen Grund gehabt, uns nicht anzunehmen, weil wir eigentlich seinem Standard nicht entsprochen haben. Aber was haben wir gesehen? Es ist nicht bei der Rechtfertigung geblieben. Ganz ehrlich, die Rechtfertigung wäre schon genug, oder?
Eigentlich für uns Sünder, wenn Gott sagt: Du bist jetzt nicht mehr schuldig, ich erkläre dich für gerecht – das wäre schon Grund genug, eine Ewigkeit lang sich an der Errettung zu freuen. Aber Gott sagt: Ich gehe noch einen Schritt weiter. Ich nehme euch in meine Familie auf. Das ist Römer 8.
Er hat uns angenommen, adoptiert in seine Familie, und deswegen sagen wir im Geist Gottes: „Abba, lieber Vater!“ Gott hat uns angenommen, und das ist so eine gute Botschaft für dich.
Ich glaube, viele Menschen streben danach, von anderen Menschen angenommen zu werden.
Oh Mann, wenn wir ehrlich sind: Was tun wir alles, nur damit Menschen uns annehmen? Und wie sehr leiden wir häufig, wenn Menschen uns ablehnen? Ich glaube, das ist ein ganz, ganz großer Punkt in unserem Leben.
Wenn wir aber verstehen, was wir da eigentlich machen: Wir suchen Annahme, wir suchen Akzeptanz von Menschen, obwohl Gott eigentlich sagt: Ich habe dir in Christus alles gegeben. Dein Becher ist voll, du bist gesegnet mit allem geistlichen Segen.
In dem Moment betreiben wir eigentlich Götzendienst, weil wir von Menschen etwas suchen, was wir in Christus schon längst bekommen haben.
Was für eine gute Botschaft! Jesus sagt: Ich habe dich angenommen, ich habe dich angenommen – und das befähigt dich, andere anzunehmen. Was für ein Segen!
Die zweite Motivation, die Paulus hier bringt, lautet am Ende: Christus hat Juden und Heiden gemeinsam gesegnet.
Denn ich sage: Christus ist ein Diener der Beschneidung geworden – Beschneidung hier als Kollektivbegriff für die Juden –, er ist ein Diener der Juden geworden, um der Wahrhaftigkeit Gottes willen, um die Verheißungen zu bestätigen, die den Vätern gegeben sind.
Die Heiden aber sollen Gott die Ehre geben, um der Barmherzigkeit willen.
Vielleicht sagt jetzt jemand: Moment, André, das mit Heiden und Juden hatten wir doch schon öfter mal im Römerbrief. Warum kommt das hier noch einmal vor?
Die Situation in Rom war folgende: Diejenigen, die Paulus hier als Schwache bezeichnet, waren wahrscheinlich schwerpunktmäßig Judenchristen. Das war ihr Hintergrund – dass man gewisse Dinge nicht essen darf und den Sabbat halten soll.
Die Heiden waren eher auf der Seite, die Paulus selbst und er schließt sich damit ein, als Starke bezeichnet, die sagen: Nein, wir müssen nicht mehr daran festhalten.
Das heißt, der Konflikt war vor allem zwischen Heiden- und Judenchristen in Rom. Und jetzt sagt Paulus: Nehmt einander an, denn Christus hat beide gesegnet.
Das begründet er jetzt abschließend anhand der Schrift. Ab Vers 9 heißt es:
„Wie geschrieben steht: Darum will ich dich loben unter den Heiden und deinem Namen singen. Und wiederum heißt es: Freut euch, ihr Heiden, mit seinem Volk. Und wiederum: Lobet den Herrn, alle Heiden, und preisen sollen ihn alle Völker. Und wiederum spricht Jesaja: Es wird kommen der Spross aus der Wurzel Isaias, und der wird aufstehen zu herrschen über die Völker. Auf den werden die Völker hoffen.“
Wisst ihr, was Paulus macht? Paulus, das sehen wir immer wieder im Römerbrief, macht deutlich, dass das Evangelium seine Wurzeln im Alten Testament hat.
Wir müssen die ganze Geschichte verstehen. Das Evangelium ist keine Idee des Neuen Testaments, das Evangelium kommt aus dem Alten Testament.
Deshalb macht Paulus deutlich: Es war schon immer klar, dass Gott Juden und Heiden gemeinsam segnen wollte.
Was interessant ist: Wir gehen nicht auf alle Details ein, das wäre spannend. Aber Paulus zitiert hier aus den drei großen Bereichen des Alten Testaments.
Das Alte Testament, die hebräische Bibel der Juden, bestand aus drei Teilen: Gesetz, Propheten und Schriften – Tora, Nevim, Ketowim auf Hebräisch.
Indem er aus allen Teilen zitiert, wird jedem Juden sofort deutlich, welchen Punkt Paulus machen möchte.
Er will den Punkt machen: Die ganze Bibel spricht davon, dass Gott keinen Unterschied mehr macht in dem Sinne, dass er Juden und Heiden in Christus gemeinsam segnen will.
Das heißt, Paulus begründet all das, was er sagt – nehmt einander an – mit der Schrift, mit dem Evangelium.
Jesus hat den Andersdenkenden angenommen. Wer bin ich, dass ich ihn nicht annehme?
Ihr Lieben, ich habe am Anfang gesagt: Bei diesen Streitfragen hier geht es nicht um Inhalte des Evangeliums – und das stimmt.
Bei diesen Streitfragen geht es nicht um Inhalte des Evangeliums, aber wie man diese Dinge handhabt, hat etwas mit dem Umgang mit dem Evangelium zu tun.
Wie leben wir das Evangelium in der Gemeinde?
Wir sind dazu berufen, ihr Lieben, ganz wichtig: das Evangelium nicht nur theoretisch zu glauben. Wir sind als Christen dazu berufen, das Evangelium zu leben.
Als wenn Paulus jetzt zum Ende des Römerbriefs sagt: Ich habe euch so viel mitgegeben, lebt es in euren Beziehungen. Lebt es aus, nehmt einander an!
Ihr Lieben, ich erfahre das so sehr in meiner Ehe. Meine Frau und ich sind in der nächsten Woche 15 Jahre verheiratet.
Meine Frau kennt mich wirklich, sie kennt meine Schattenseiten, meine Schwächen – auch Schwächen, die ich jahrelang habe.
Und manchmal muss ich ganz ehrlich sagen: Ich mache es ihr nicht immer einfach, mich zu lieben.
Sie nimmt mich völlig an. Das ist das stärkste Ausmaß der Liebe: einander zu kennen und trotzdem völlig anzunehmen.
Ganz ehrlich, ich verstehe durch meine Ehe das Evangelium immer besser. Ich verstehe, was es bedeutet, trotz der Schwächen und Fehler völlig angenommen zu sein.
Wir erleben es so stark im Pastorenteam. Es ist so eine herrliche Gemeinschaft, die wir da haben.
Ja, wir sind hier und da mal in Meinungsunterschieden. Wir haben Meinungsunterschiede in Randfragen, nicht in den Kerninhalten.
Manchmal haben wir Meinungsunterschiede, aber wie wir im Team miteinander umgehen, wie im Team mit mir umgegangen wird, mit meinen Schwächen, das hilft mir, das Evangelium zu verstehen.
Es ist ein Ausleben des Evangeliums.
Und, ihr Lieben, mein Wunsch ist so sehr für unsere Gemeinde – wirklich mein Herzenswunsch –, dass wenn man hier reinkommt, man etwas riechen kann, dass man den süßen Duft des Evangeliums riechen kann, der gelebt wird in unseren Beziehungen, wie wir einander annehmen.
Und jeder kann sehen: Hier wird das Evangelium symbolisiert durch die Beziehung, die wir zueinander haben. Wir nehmen einander an, wie Christus uns angenommen hat.
Vielleicht sagst du jetzt: Das ist eine echte Herausforderung für mich. Wenn du wüsstest, wie kompliziert mein Ehepartner ist.
Vielleicht sagst du jetzt: André, das sagt sich so leicht am grünen Tisch. Aber ich bin mit echt komplizierten Menschen in einer Kleingruppe, ich bin mit echt komplizierten Menschen immer wieder zusammen, ich komme immer wieder an meine Grenzen.
Dann lass mich dir abschließend etwas Ermutigendes mitgeben: Du bist nicht auf dich allein gestellt. Christus möchte dir helfen.
Christus möchte dir jeden Tag aufs Neue die Kraft geben, den anderen zu lieben, die Frucht des Geistes in deinem Leben zu leben.
Deswegen schließt Paulus hier abschließend mit einem Segenswunsch.
Er weiß, dass wir Hilfe von Gott brauchen, um diese Einheit zu leben.
Und in Vers 13 sagt Paulus dann:
„Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und allem Frieden im Glauben, damit ihr überreich seid in der Hoffnung durch die Kraft des Heiligen Geistes.“
Weißt du, was Gott möchte? Er möchte dich mit Freude erfüllen. Gott möchte dich mit einem inneren Frieden erfüllen.
Er möchte dir durch die Kraft seines Heiligen Geistes – und der Heilige Geist hat Kraft – helfen.
Es ist der Geist, der Jesus aus den Toten auferweckt hat, der in dir lebt als Kind Gottes.
Dieser Geist möchte dich immer wieder auf die Hoffnung des Evangeliums ausrichten und dir Kraft geben, den Andersdenkenden wirklich von Herzen anzunehmen.
Gott helfe dir dabei. Amen!