Herr, wir sprechen so oft von der Liebe und sehnen uns danach, doch wir haben deine Liebe nicht.
Dann wird unser ganzes Glaubensleben zu einem schrecklichen Theater – nichts Echtes, nichts Durchdringendes, nichts Bleibendes.
Wir bitten dich heute Abend, dass du uns wieder zeigst, wie wir Liebe entdecken können und voll Liebe werden. Amen!
Einführung in das Thema Liebe
1. Johannes 4,7-21 – Die Liebe Gottes und die Liebe zum Bruder
Ihr Lieben, lasst uns einander liebhaben, denn die Liebe ist von Gott. Wer liebt, der ist von Gott geboren und kennt Gott. Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht, denn Gott ist die Liebe.
Darin ist die Liebe Gottes unter uns erschienen: Gott hat seinen eingeborenen Sohn in die Welt gesandt, damit wir durch ihn leben sollen. Darin besteht die Liebe nicht, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und seinen Sohn zur Versöhnung für unsere Sünden gesandt hat.
Ihr Lieben, hat uns Gott so geliebt, so sollen auch wir uns untereinander lieben. Niemand hat Gott jemals gesehen. Wenn wir uns untereinander lieben, bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollkommen.
Daran erkennen wir, dass wir in ihm bleiben und er in uns, dass er uns von seinem Geist gegeben hat. Wir haben gesehen und bezeugen, dass der Vater den Sohn gesandt hat als Heiland der Welt.
Wer nun bekennt, dass Jesus Gottes Sohn ist, in dem bleibt Gott und er in Gott. Wir haben erkannt und geglaubt die Liebe, die Gott zu uns hat. Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.
Darin ist die Liebe bei uns vollkommen, damit wir Zuversicht haben am Tag des Gerichts. Denn wie er ist, so sind auch wir in dieser Welt.
Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus. Denn Furcht rechnet mit Strafe. Wer sich aber fürchtet, der ist nicht vollkommen in der Liebe.
Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt. Wenn jemand spricht: „Ich liebe Gott“ und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, wie kann er Gott lieben, den er nicht sieht?
Und dieses Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, auch seinen Bruder liebe.
Die Sehnsucht nach Liebe und menschliche Erfahrungen
Es gibt nur wenige Bibelabschnitte, die allen Menschen so gut gefallen wie Worte über die Liebe. Ganz gleich, wer sonst kaum einen Zugang zum Glauben findet, sagt: „Das ist mal gut, dass man das so sagt.“
Das liegt einfach daran, dass wir alle überzeugt sind, sehr gute Liebhaber zu sein. Sie kennen doch sicher die Geschichte, die ich so gerne erzähle: Als ich Vikar in Waiblingen war, kam ich zu einem alten Mann. Es war immer so ein Moment, in dem man ein bisschen Kontakt aufbaut, und dann fing der alte Mann plötzlich hemmungslos an zu weinen.
Ich fragte ihn: „Warum weinen Sie denn?“ Denkt er an seine Frau, die vor ein paar Jahren gestorben ist? Nein, das sei nicht schlimm. War es sein Sohn, der im Krieg gefallen ist? Nein, auch das nicht. Da fragte ich noch einmal: „Warum denn?“
Unter Schluchzen sagte er: „Wissen Sie, ich bin einfach zu lieb für diese Welt.“
Ich meine, das könnte ja eigentlich jeder so mit Schluchzen sagen: Die Leute sind so schrecklich böse, und ich bin so wahnsinnig lieb, ich werde unverstanden, und alle sind so grob zu mir.
Darum passiert es gerne, dass wir auch diese stillen Worte von der Liebe so schnell annehmen.
Ich habe ja die Gelegenheit, mit Brautpaaren immer sehr offen darüber zu reden, warum sie eigentlich eine kirchliche Trauung wollen. Sie sagen dann sehr freimütig, dass sie irgendwie denken, ihrer Liebe damit noch eine höhere Weihe zu geben.
Wenn man sie dann fragt, ob das überhaupt noch nötig sei, antworten sie meist: „Nein, eigentlich ist unsere Ehe schon perfekt. Aber man kann ja nicht wissen.“ Es ist ein Stück Aberglaube, dass Gott auch noch seinen Segen dazu gibt.
Die Vorstellung, dass wir Liebe überhaupt noch nicht haben, kommt normalerweise nicht auf.
Biblische Perspektive auf Liebe
Und deshalb müssen wir einmal darüber nachdenken: Was sagt das Neue Testament wirklich über Liebe?
Das Wichtigste, was Paulus darüber geschrieben hat, finden wir im 1. Korinther 13. Dieser Abschnitt spricht die meisten Menschen auf den ersten Blick an. Es ist das sogenannte hohe Lied der Liebe.
Paulus erklärt dort, dass man in dieser Welt große Dinge tun kann. Man kann sogar den Märtyrertod sterben – das ist eine Sache, aber das bedeutet nicht unbedingt, Liebe zu haben. Er sagt, man kann all sein Hab und Gut den Armen geben und dennoch keine Liebe besitzen.
Wenn das nicht Liebe ist, was soll dann Liebe sein?
Wenn man den Text so liest, erkennt man, dass man sogar die größten Glaubens-Taten vollbringen kann: prophetisch reden, alle Geheimnisse kennen, Erkenntnis besitzen, glauben, Berge versetzen zu können – und trotzdem keine Liebe haben.
Dadurch wird deutlich, dass Liebe eigentlich etwas ganz anderes ist, als wir sie im Alltag oft verstehen.
Die Realität menschlicher Beziehungen
Und jetzt gehen wir ganz einfach in die Wirklichkeit unseres Lebens hinein. Gibt es überhaupt ein menschliches Verhältnis auf der Welt, in dem die Liebe nicht ab und zu gebrochen ist oder irgendwie Belastungen ausgesetzt ist? Das gibt es nicht.
Wir merken schon, dass wir immer wieder einander zur Last fallen: Kinder ihren Eltern, Ehegatten einander – sei es durch Missverständnisse oder durch belastende Aufgaben, wenn man keine Zeit hat. Diese Liebe, die wir so gerne beschwören, ist in dieser Welt leider für uns nur sehr gebrochen und unvollkommen gegeben.
Wir kennen die Not, wie unsere Liebe gebremst wird durch Selbstliebe, selbstsüchtige Gedanken, Eifersucht und durch Forderungen, die wir an den anderen haben. Aber das meint Johannes nicht. Er sagt nicht, dass ihr alle zu wenig Liebe habt oder dass ihr die Liebe nicht richtig habt – auch das sagt er hier nicht.
Vielmehr sagt er: Kein Mensch hat Liebe eigentlich. Und er übersetzt Liebe plötzlich mit Gott. Er sagt: Gott ist Liebe, und Liebe ist Gott. Das ist etwas, über das wir gar nicht verfügen. Er hebt die Liebe auf eine ganz andere Stufe.
Die theologische Bedeutung der Liebe
Jetzt möchte ich versuchen, zu erklären, was genau gemeint ist, damit wir es besser verstehen. Durch den Sündenfall ist unsere Welt stark beschädigt worden. Der Tod ist eingetreten, es gibt Streit unter den Menschen, wie zum Beispiel, dass Kain seinen Bruder Abel tötet. Schmerzen, Mühsal und Schweiß gehören ebenfalls dazu.
Darüber hinaus ist etwas sehr Wichtiges verloren gegangen: die Liebe, so wie sie ursprünglich gegeben war. Die Trennung von Gott hat uns gleichzeitig auch aus der Liebe herausgerissen. Wir spüren nur noch entfernt, wie Liebe wirklich sein muss. Deshalb entsteht eine große Sehnsucht nach Liebe, doch wir besitzen sie nicht.
Wenn ich Evangelisationsvorträge zum Thema Liebe halte, erkläre ich oft ganz einfach, warum menschliche Beziehungen so spannungsreich sind und dass wir neu die Liebe Gottes erfahren müssen. In einer Gemeinde, wie sie sich hier in einer Bibelstunde versammelt, möchte ich jedoch noch mehr erreichen: dass wir tief verstehen, dass wir von Natur aus diese Liebe nicht besitzen.
Wir haben gerade ein wenig gescherzt mit zwei Verlobten und gesagt, hoffentlich ist alles richtig so. Dabei denke ich mir oft: Wie kommst du überhaupt auf die Idee, einen anderen glücklich machen zu können? Du bringst für den anderen doch vor allem Belastungen mit. Die Vorstellung, jemanden wirklich zu beglücken, ist schon eine Form von Selbstüberschätzung.
Auch jedes Trauversprechen ist im Grunde vermessen. Natürlich geschieht es im Rahmen eines Fürbitte-Gottesdienstes, und es ist klar, dass so ein Versprechen am Anfang der Ehe stehen muss. Aber wir wollen jetzt biblisch verstehen, warum wir Menschen diese Liebe nicht haben. Johannes sagt nämlich: Liebe ist nur Gott selbst. Nur wer in Gott ist, ist wieder in der Liebe eingeschlossen.
Unser Fehler ist sicher, dass wir oft meinen, wir hätten Liebe zumindest zu 95 Prozent. Doch das ist ein Irrtum. Gerade aus 1. Korinther 13 geht hervor, dass man so tun kann, als wäre es Liebe, es aber nicht wirklich ist. Unser Wesen ist gespalten. Wir sind immer noch ich-bezogen und können gar nicht so für den anderen leben, wie es echte Liebe verlangt. Ich muss mein Leben selbst behaupten.
Heute wird das noch auf eine merkwürdige Weise verstärkt, indem viel von Selbstliebe gesprochen wird. Man sagt, du musst dich selbst lieben. Das ist zwar richtig, aber oft wird es falsch verstanden und nicht geistlich durchdrungen.
Die Verbindung von Liebe und Wahrheit
Und nun sagt Johannes etwas über die Liebe, und zwar gerade nachdem er den Irrtum und den Lügengeist zum letzten Mal angegriffen hat.
Das ist ein ganz wichtiges Kennzeichen: Liebe und Wahrheit dürfen niemals voneinander getrennt werden. Daran kann man auch schon prüfen, ob man biblisch verstanden hat, worum es geht. Es gibt immer Leute, die sagen, es sei ein Unterschied, dass man einen Menschen lieben kann, aber in der Sache differiere. Das gibt es nicht. In der Bibel müssen Liebe und Wahrheit harmonisch ineinander übergehen, sonst ist es nicht wahre Liebe.
Es gibt keine Liebe, bei der man über Dinge hinweggeht und sie nicht ausspricht. Richtige Liebe braucht die Wahrheit. Das können Sie auch immer wieder in der Konkurrenz finden, wie Liebe und Wahrheit in der Bibel natürlich zusammengehören – ganz eng verbunden.
Liebe kennt keine Furcht mehr, sondern ist ganz frei und unerschrocken. Liebe ist von Gott. Wer liebt, der ist von Gott geboren und kennt Gott. Johannes sagt also: Es gibt gar keine Liebe außer der Liebe, die man erst bei Gott lernen muss.
Dann diskutieren wir oft sehr schnell und fragen: Wie ist das bei den Nicht-Christen? Können sie wirklich nicht lieben? Es gibt doch Persönlichkeiten wie Mahatma Gandhi und andere große Menschen. Interessanterweise erlaubt uns die Bibel nie, auf diese Diskussion einzugehen, bei der wir einzelne Personen abhaken und fragen, ob sie jetzt lieb sind oder nicht. Stattdessen führt sie uns zur Macht der Liebe, wie wir heute Abend gesungen haben: "Ich bete an die Macht der Liebe."
In deinem Leben kannst du nur entdecken, was der ewige Gott über dich empfindet. Es ist ungeheuerlich, dass er dich, einen fehlerhaften und sündigen Menschen, in dieser unsagbaren Liebe trägt und seinen Sohn für dich opfert.
Darum war es Johannes sehr wichtig, Jesus Christus als Fleisch gewordenen Gott darzustellen. Er sagt, das ist der Angelpunkt unseres Glaubens.
Die wahre Dimension der Liebe Gottes
Und er spricht jetzt in der Liebe nicht etwa oberflächlich, sondern ich könnte ein Leben lang nur über dieses Geheimnis nachdenken.
In unserer Generation haben wir das Reden von der Liebe Gottes irgendwie beschädigt. Das liegt auch an diesem hohlen Gerede vom lieben Gott, bei dem wir das Opfer Gottes kaum noch spüren. Gott, der mir nachgeht, der an meinem Leben leidet, der fast zusammenbricht unter meiner Gottesferne und Schuld. Gott, der mich sucht, um mich ringt, für mich betet, wartet und sagt: „Wartet!“ Er ruft und bittet: „Komm doch zu mir!“
Wir sehen Liebe oft falsch, weil wir sie zuerst in weltlichen Beziehungen suchen und nicht im Evangelium. Ein Theologe wie Angelus Silesius hat sich lange zurückgezogen. Er war Textilarbeiter und ließ seinen Beruf ruhen, um nachzudenken. Man nannte sie gerne Mystiker, aber wahrscheinlich gehört es dazu, sich Zeit zu nehmen und zu sagen: „Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Kinder Gottes heißen dürfen!“
Gerade heute, in dieser unheiligen, zitternden und wackelnden Welt, haben wir die Nähe Gottes. Wir sind gehalten und getragen von seiner Nähe – welch eine Liebe!
Erst dort, wo die Liebe Gottes unter uns erschienen ist, wie es in Vers 9 heißt, dass Gott seinen einzigen Sohn gesandt hat, damit wir leben sollen, entdecke ich die Liebe in ihrer ganzen großen Tiefe.
Ich habe es im Moment nicht mehr so gern, wenn man die beiden griechischen Worte Eros und Agape gegeneinander ausspielt. Sicher hat Paulus diesen Begriff neu gefüllt und ein ganz neues Wort mit einem neuen Sinn geschaffen, um etwas auszudrücken, was vorher niemand sagen konnte. Hier ist die Liebe erschienen, wie sie noch niemand kannte.
Wir stehen vor dem Wunder des Christusgeheimnisses. Es ist unsinnig, mit einem Blinden über Farben zu sprechen. Liebe muss man einmal erfahren, um zu wissen, was sie ist.
Es ist immer wieder schön, wenn man Menschen erlebt, die zum ersten Mal zum Glauben gekommen sind. Sie sind oft von einer ungestümen Liebe erfüllt. Am liebsten würden sie alle Menschen von der Straße mitnehmen und einladend sein. Sie wollen, dass alle wissen, dass Gott sie liebt.
Es ist in der Tat traurig, dass wir in unserer reichen Tradition oft so ruhig bleiben und nicht mehr so bewegt sind wie die Neu-Bekehrten. Diese sind erfüllt und trunken von der Liebe Gottes, wie im Rausch. Sie sind so erfüllt, dass sie nichts anderes mehr sagen können.
Das ist ein Glück, das man eigentlich nur noch bei Kindern oder verliebten Paaren erlebt. Doch da sind wir wieder auf der menschlichen Ebene.
Ich möchte einfach sagen: Das Wunderbare ist hier, dass ein Mensch, der Gottes Liebe erfahren hat, in Zeit und Ewigkeit seinen Frieden und seine Geborgenheit gefunden hat.
Die Liebe als Geschenk Gottes
Und noch einmal: In Vers 10 sagt Johannes nicht, dass Liebe darin besteht, dass wir angefangen haben, Gott zu lieben. Vielmehr hat Gott uns zuerst geliebt. Das wird eindrücklich im Gleichnis vom verlorenen Sohn beschrieben.
Der Vater wartet sehnsüchtig auf dem Balkon und schaut jeden Tag hinaus, in der Hoffnung, dass sein Sohn zurückkehrt. Er kann den Sohn draußen nicht vergessen. Als der Sohn schließlich kommt, läuft der Vater ihm entgegen, drückt ihn an sich und zieht ihm voller Freude ein neues Kleid über. So hat Gott uns geliebt und seinen Sohn zur Versöhnung für unsere Sünden gesandt.
Diese Liebe kann man nur wirklich erkennen, wenn man erlebt, wie Jesus die eigene konkrete Schuld vergibt. Liebe und Vergebung von Sünden und Schuld hängen untrennbar zusammen. Dort wird Liebe erfahren, und von dort aus entsteht überhaupt erst Liebe.
Johannes streitet also nicht mit Menschen darüber, ob ihre Liebe vollkommen oder unvollkommen ist. Auf dieser Ebene kommen wir nicht weiter. Er führt die Menschen unter das Kreuz von Golgatha und sagt: Dort ist Liebe für dich da. Du darfst diese Liebe annehmen und dich daran freuen.
Du darfst heute Abend zur Ruhe kommen und sagen: Die Liebe Gottes umgibt mich, und ich bin geborgen in der Liebe Gottes. Was soll jetzt noch geschehen können? Im Sterben kann die Liebe Gottes mich tragen und halten. Es gibt keine Sorge mehr, nichts kann mich trennen von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus, meinem Herrn, ist. Kein Unheil, keine Krankheit, keine Not und kein Leiden können mich von ihm trennen.
Es ist schön, wenn Schwerkranke oder Menschen in schwierigen Situationen das erleben und akzeptieren können: Ich bin geborgen und umhüllt von der Liebe Gottes. Sie ist ganz real da und umgibt mich, auch wenn äußerlich alles dagegen spricht.
Heute erleben wir oft, dass Menschen fragen: Wo ist die Liebe Gottes in meinem Leben? Mir geht es doch so schlecht, ich habe berufliche Sorgen, ich bin krank und habe Schmerzen. Was können wir darauf antworten? Man kann sagen: Die Liebe Gottes kann man nur im Kreuz Jesu erfahren.
In der Bibel gibt es niemals den Gedanken, dass man Gottes Liebe erst erfährt, wenn es einem gut geht. Wo steht das? Es steht nirgends in der Bibel. Gottes Liebe erfahre ich nicht im Segen oder im Überfluss. Ich erfahre Gottes Liebe darin, dass er seinen Sohn für mich geopfert und meine Sünden getragen hat.
Mit Ungläubigen kann man über diesen Punkt nicht lange streiten, aber für uns soll es klar sein: Wir können durch viel Leid hindurchgehen. Gerade bei Paulus, im Römerbrief Kapitel 8, ist das interessant. Er sagt, wir werden täglich wie Schlachtschafe behandelt, aber das trennt uns nicht von der Liebe Gottes, die wir in Jesus erfahren.
Paulus kann im Gefängnis sitzen, und die Wärter können brutal zu ihm sein. Trotzdem ist die Liebe Gottes da und erfüllt ihn. Er sagt, die Liebe Gottes ist in seinem Herzen ausgegossen. Er hat sie so aufgenommen, dass er ganz erfüllt davon ist. Darüber meditiert er, und das ist ihm groß.
Die Aufforderung zur Weitergabe der Liebe
Und jetzt sagt Johannes: Diese Liebe dürft ihr weitergeben.
In der Bibel findet sich keine direkte Aufforderung wie: „Jetzt werdet doch lieb und fangt mit der Bruderliebe an.“ Vielmehr ist es die Entdeckung, wo die Liebe Gottes offenbar wird. Da sucht jemand, wie er ein Stück dieser Liebe weitergeben kann.
Es ist beglückend, wenn man Liebe weitergeben darf. Dabei muss es spontan geschehen und von Herzen kommen.
Unter Christen ist das oft anders. Dort ist die Liebe manchmal vergleichbar mit einer Maschine, die man ankurbeln will. Doch kaum gelingt es, das Treibrad richtig in Bewegung zu setzen. Der Motor muss anspringen, damit er das Treibrad antreibt. Dieses wiederum kann dann vieles andere in Gang setzen.
Die Aktivierung der Gemeinde Jesu zur Tat geschieht immer nur durch die Offenbarung der Liebe Gottes in Jesus.
Herausforderungen in der Gemeinde und Dienst
In unserer Kirche hat man einen anderen Weg eingeschlagen. Man hat gesagt: „Leute, wir haben Personalnöte in der Diakonie, kommt!“
Vor acht Tagen war am Samstag auch eine Gesamtkirchengemeinderatssitzung. Dort haben die Verantwortlichen vom Jugendwerk Stuttgart wieder erklärt, dass sie nicht mehr von ihren Mitarbeitern verlangen können, dass sie Christen sind. Es kann ja sein, dass jemand später noch Christ wird – ja, sicher, das ist alles möglich. Man kann auch sagen, dass sich Gorbatschow bekehrt, das ist theoretisch denkbar. Aber es ist nicht der normale Weg.
Es gibt sogar viel, viel mehr Leute, die nur in einen christlichen Betrieb hineingespannt sind und sich dann ärgern. Die vielen missmutigen Stimmen, die man heute in unseren Gemeinden hört, kommen immer wieder von Leuten, die man in Aufgaben hineingespannt hat, bei denen sie innerlich gar nicht mitgehen. Und das ist das Schlimmste, was man haben kann.
Wenn Sie irgendwo jemanden treffen, der sagt: „Jetzt muss ich das auch noch machen, und das mache ich ja bloß, um da und so“, dann schicken Sie diese Person besser nach Hause. Nur Leute, die ihre Aufgaben gern tun, sollten sie übernehmen. Und das ist schon eine große Sache.
Frau Waldmann ist heute umgezogen, und gestern saß sie noch bis um zehn Uhr im Kirchengemeinderat. Ich habe gesagt, das wäre wirklich nicht nötig gewesen. Aber wenn Menschen das aus Liebe tun – wie unsere Frau Link, die am Altenmittag unten Kaffee kocht, obwohl sie an diesem Tag Geburtstag hat – dann ist das etwas Schönes. Wenn es aus Liebe geschieht, nicht als Opfer, sondern wenn jemand sagt: „Ich bin doch froh, wenn ich einmal Gelegenheit habe, etwas weiterzugeben.“
Hören Sie auch auf mit dem Unsinn, zu sagen: „Jetzt muss ich da auch denen etwas tun, dort muss ich besuchen.“ Sie müssen gar nichts, außer wenn die Liebe Sie treibt. Diese ungeheure Jesusliebe Stückchen weiterzugeben – denn was können Sie in dieser Welt Größeres tun, als Liebe weiterzugeben, die Ihnen ganz unverdient zugekommen ist?
Die Liebe als Ausdruck des Glaubens
An der Liebe wird der Glaube sichtbar, und das sagt Johannes ganz klar. Es gibt keinen Glauben, es kann gar keinen geben, der sich nicht in der Liebe ausdrückt und der nicht wirklich brennt.
Ich kann auch nicht bei der Liebe sagen, das mache ich nur mit einer Phrase. Johannes hat ja schon gesagt: Lasst uns nicht lieben mit Worten allein.
Ernst Vater erzählt immer gern von einem Missionar, der zu den Eingeborenen gesagt hat: „Ich liebe euch ja so unheimlich, deshalb bin ich zu euch gekommen.“ Einer dieser Papuas hat später gesagt: „Wenn das wahr wäre, hätte er wenigstens unsere Sprache gelernt.“ Da gibt es einfache Signale.
Es tut mir immer auch leid – ich muss ganz ehrlich gestehen, ich leide darunter –, wenn ich merke, dass jemand Geburtstag vergessen hat. Das ist auch ein Stück Nachlässigkeit. Denn die Liebe muss eigentlich so tief gehen, dass das Wichtigste für uns ist, nichts zu vergessen, alles vor Augen zu haben aus Liebe für den anderen. Dass man ihn sucht und ihm nachgeht.
Liebe ist zuerst einmal das, was Jesus tut. Und das ist richtig hilfreich, wie Johannes sagt: Er ist Liebe, das ist Liebe, Gott ist Liebe.
Gott als Quelle der Liebe
Du musst Gott kennenlernen, Gott muss sich dir offenbaren. Wenn du Gott kennengelernt hast, dann ist Gott nicht einfach ein höchstes Wesen, das Sein oder die Wahrheit, wie man oft sagt. Nein, Gott ist immer Vater für dich, Erlöser, Heiland, dein Retter. Er ist immer in Bewegung auf dich zu, er sucht dich, beschenkt dich und überschüttet dich. So erfährst du ihn. Nimm dir Zeit, um dort Liebe zu entdecken.
Wenn Sie jetzt wissen wollen, wie ich Ehetherapie sehe, dann müssen Sie zuerst die Liebe Gottes kennen. Die menschliche Zuneigung allein kann nicht lange gut gehen. Einen anderen Menschen zu lieben, obwohl man merkt, dass er viele Ecken hat, kann nur gelingen, wenn es aus dieser Tiefe geschieht. Dabei geht es nicht um die Zeremonie der Trauung, sondern darum, ob ich wirklich aus dieser Liebe Gottes lebe.
Es gibt nur eine Mitte einer Ehe, und ich nenne das nur beispielhaft, weil es uns sinnbildlich wird, wenn ein Ehepaar das miteinander erlebt und sagt: wunderbar, wie Gottes Liebe uns begegnet. Wenn wir uns untereinander lieben, bleibt Gott in uns (1. Johannes 4,12). Und wo die Liebe auseinanderbricht, da ist Gottes Gegenwart nicht mehr da. Das ist ganz schlimm. Da kann man noch große Sprüche machen. Wie Paulus in 1. Korinther sagt: „So wäre ich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle“ (1. Korinther 13,1). Dann scheppert es nur noch.
Sie wissen, wie schnell es in unserem Glauben scheppert, besonders mit dem Wort „Liebe“. Dann spricht man nur noch vom „lieben Mantel“: „Darf ich Ihnen in Ihrem lieben Mantel helfen?“ Ihr Lieben, dann wird es blechern, unecht, unwirklich und zu frommem Gequatsche. Es hat dann keine Liebe mehr in sich.
Ich möchte das mal positiv wenden und sagen: Wir haben so viel Liebe erfahren, auch immer wieder in der Gemeinde, dass ich das so schön finde. Man lebt in der Liebe, und dann wird es ganz einfach: Gott erkennen, in der Liebe leben – mehr ist nicht nötig. Das Zeugnis der Liebe wird wieder empfunden und von anderen erkannt.
Noch einmal, Vers 14: Es ist in der großen Heilstat Jesu begründet, und er sagt noch einmal, dass Jesus Gottes Sohn ist. Nur dort kann man Liebe erkennen. Wer das nicht weiß, der weiß auch nicht, was Liebe ist. Für den ist Liebe wirklich ein Stück Humanitätsduselei oder vielleicht ein Stück Gefühl. Aber er hat nie begriffen, was es heißt, sein Leben aufzugeben und den anderen für wichtiger zu nehmen als sich selbst.
Diese Liebe drängt uns, treibt uns innerlich an und gibt uns Kraft. Paulus war ja rastlos unterwegs. Es ist ähnlich, wie es im Johannesevangelium beschrieben wird, und Paulus sagt es auch in seinen Briefen. Es war nicht so, dass er sich selbst Ordnungen gab, sondern er musste zu den Menschen gehen.
Wenn Sie sich das noch einmal an den Gedanken vorbeiziehen lassen, wie Jesus auf Aussätzliche zuging und ihnen die Hand auflegte, da war keine Angst vor Ansteckung da. Irgendwo ist das nötig, dieses Durchbrechen durch alles und zu sagen: So, ich komme zu dir, und du bist mir wichtig.
Vielleicht haben Sie schon in Ihrer Kindheit erlebt, wie jemand Sie geliebt hat, und das war ein Glaubenszeugnis. Es ist schwer, wenn jemand nie Liebe erfahren hat – diese große Gottesliebe, die durch Menschen weitergereicht wurde. Aber es wäre natürlich auch Anlass, über viele Menschen in der Diakonie nachzudenken, die plötzlich einem geisteskranken oder schwerbehinderten Menschen gesagt haben: „Das ist die wichtigste Aufgabe, die ich tun kann.“
Es war schon eine Sache, dass so ein Adelsmann wie von Bodelschwing, aus einem bekannten Geschlecht, sich mit Verrückten abgab. Und zwar nicht als Opfer, das jetzt hingeht, sondern als die höchste Krönung seines Lebens, weil Gott ihm das anvertraut hat.
Sie wissen ja, wie Bodelschwing sich um Obdachlose kümmerte. Einmal war er mit einer Ministerin unterwegs, die war dann Parlamentsabgeordnete im preußischen Landtag. Sie gingen auf den Gehweg und sahen drüben einen Tippelbruder, der angetrunken war. Bodelschwing half ihm auf und brachte ihn zurecht. Die Ministerin fragte: „Wissen Sie nicht, ob Sie vielleicht von dem Mann einen Wanz oder einen Flo gefangen haben, weil Sie ihm da gerade so hochgeholfen haben?“ Da antwortete Bodelschwing: „Herr Minister, der Flo von diesem Mann ist mehr wert als all die Orden an Ihrer Brust.“ Einfach aus Liebe, weil es ihm wichtig war, diesem Mann etwas von Gottes Liebe weiterzugeben.
Sie wissen nicht, wie platt das wirkt, wenn das nur Sprüche sind, ob es uns wichtig ist, Menschen zuzusehen. Bodelschwing sagte ja scherzhaft: „Nie Geld geben an Obdachlose und Bettler.“ Aber er nahm sie auf und gab ihnen Arbeit. Es war ihm wichtig, ihnen eine neue Lebenschance zu bieten.
Wir könnten gerade von vielen Leuten weitermachen, die Wunden verbunden haben, die andere gepflegt haben, die Siechenkranken. Das war eine Liebe, die sie trieb – Engel der Gefangenen in Sibirien. Und was sie dort erlebt haben, waren keine heroischen Taten, sondern erfahrene Liebe Jesu, die sie weitergaben.
Das, was er mir gegeben hat, will ich weitergeben. Ich brauche dann gar nicht mehr viel dazu zu sagen.
Die praktische Umsetzung der Liebe im Alltag
Johannes sagt im Vers 20: Wenn jemand sagt, er liebt Gott, aber keine Geduld mit seinem Bruder hat, ist er ein frommer Schwätzer, ein Lügner. Denn wenn er es nicht mit dem Bruder kann – demjenigen, der in der Gemeinde bei mir lebt und mir auf die Nerven fällt – wenn ich nicht mit ihm zusammenleben kann, dann stimmt es nicht.
Das ist auch ganz wichtig für alle Beziehungen, die wir in unseren Familien leben. Dort muss es anfangen. Lasset uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt, Vers 19. Du kannst lieben, weil die große Liebe dich erfüllt und weil du sie weitertragen darfst.
Wir haben heute einen großen Auftrag: Liebe weiterzugeben. Nicht als lästige Pflicht, sondern als Geschenk, das wir empfangen und weiterschenken dürfen. Die Tat kommt nur aus der Glaubenstiefe, oder sie kommt überhaupt nicht. Alles andere wird gesetzlich.
Zu diesem Thema gibt es so unendlich viel zu sagen, dass ich hier aufhören möchte. Man kann es von vielen Seiten und aus vielen Abschnitten noch einmal betrachten. Aber Johannes bringt es mit wunderbarer Klarheit auf den Punkt: Er sagt uns heute Abend ganz schlicht, wie einfach es ist, Gott zu erkennen und dann zu leben.
Es gab genügend Gelegenheiten, Liebe weiterzugeben. Liebe ist das herrlichste Instrument der Evangelisierung – wem auch immer man begegnet: Kranken, Alten, Einsamen, Kindern, Menschen in einer Gemeinde.
Nehmen Sie es noch einmal auf: Es sind keine leeren Sprüche, wenn wir sagen, wir gehen aufeinander zu. Wir wollen anderen ein Stückchen Aufmerksamkeit schenken, uns für sie interessieren. Ob es ihnen gut geht, ob sie Zuwendung brauchen, Anerkennung, Lob oder ein Stück Ehre, das ihnen vielleicht die Welt versagt.
Es wäre schön, wenn in einer Gemeinde Liebe da ist. Und was das bedeuten kann, wissen Sie. Jemand ruft an und fragt: Wie geht es dir heute? Ich denke an dich. Das ist Liebe.
Wenn man spürt, ich bin nicht unwichtig, dann ist das nur ein ganz, ganz kleiner Teil der riesigen Liebe, die Gottes Güte in Jesus mir heute schenkt. Gebt diese Liebe weiter!
In der Welt herrscht so große Armut an Liebe, obwohl alle über Liebe reden und alle meinen, sie hätten sie in großen Mengen. Es ist ganz wichtig, einfach zu lieben – sonst gar nichts mehr. Liebe weitergeben ohne Ende.
