Der Hammer
Liebe Gemeinde, hier in der Stiftskirche und liebe Hörer draußen am Radio. Heute schlagen wir den Propheten Jeremia auf. Aus dem langen Text im 23. Kapitel unterstreichen wir nur den Halbsatz, der im 29. Vers aufgeschrieben ist: "So spricht der Herr: Ist mein Wort nicht wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt?" Ein plastisches Bild. Ein deutlicher Vergleich. An einen Hammer sollen wir denken.
Nun könnten wir uns über den Hammer informieren. Jedes Werkbuch gibt erschöpfende Antwort. Es handelt sich um das gebräuchlichste Schlagwerkzeug, das vorwiegend zum Draufhauen verwendet wird. Der Hammerstiel besteht aus Holz oder Plastik und der Hammerkopf aus Metall oder Gummi. Hammerkunde ist interessant. Wir könnten auch über den Hammer diskutieren. Die Meinungen gehen weit auseinander. Die einen siedeln den Schläger erst bei den Kelten und Germanen an, die dieses Werkzeug verehrten und sogar einen Hammergott Donar anbeteten. Die andern sehen ihn schon in den Fäusten früherer Generationen, die damit kräftig um sich schlugen. Eine Hammerdiskussion ist nicht langweilig. Natürlich kann man den Hammer auch symbolisieren. Karl Marx hat das getan. Als Bundeszeichen zwischen Arbeitern und Bauern hat er den Hammer in eine Sichel gestellt. Dieses Symbol wurde zum Staatswappen der Sowjetunion. Die Hammersymbolik ist bedenkenswert. Und schließlich kann man den Hammer sogar kollektionieren. Die Zeitung berichtete von einem Mann, der nicht Briefmarken oder Schmetterlinge, sondern Hämmer sammelt. Vom mächtigen Vorschlaghammer bis zum feinen Geologenhämmerchen ist alles in seiner Kollektion zu bestaunen. Eine Hammersammlung ist sehenswert.
Aber, liebe Freunde, wer über den Hammer informiert oder diskutiert, wer ihn symbolisiert oder kollektioniert, der hat noch lange nicht realisiert, was ein Hammer ist. Erst wenn ich es mit ihm zu tun bekomme, spüre ich seine Wirkung. Erst wenn ich statt dem Nagel den Daumen treffe, ahne ich seine Wucht. Erst wenn ich wirklich darunter gerate, weiß ich, was ein Hammer ist.
Der Prophet Jeremia sagt: Gottes Wort ist wie ein Hammer. Nun könnten wir auch über Gottes Wort informieren. Es handelt sich um ein Stück Weltliteratur, das aus einem alten und neuen Testament besteht, Psalmen und Propheten stehen neben Evangelisten und Briefen. Bibelkunde ist interessant. Wir könnten auch über Gottes Wort diskutieren. Der Streit um die Bibel ist heiß. Die einen anerkennen uralte Papyrusrollen, die andern sehen nur späte Gemeindetradition. Die Bibeldiskussion ist nicht langweilig. Natürlich kann man Gottes Wort auch symbolisieren. Theologen behaupteten, dass ganze Kapitel nur Symbole für die Gemeinschaft von Gott und Mensch seien. Die Bibelsymbolik ist bedenkenswert. Und schließlich kann man Gottes Wort sogar kollektionieren. Im Bibelmuseum ist von der mächtigen Gutenbergbibel bis zum kleinsten Westentaschentestament alles zu besichtigen. Eine Bibelsammlung ist sehenswert. Aber wer dies alles praktiziert, hat noch lange nicht realisiert, was das Wort Gottes ist. Erst wenn ich es mit ihm zu tun bekomme, spüre ich seine Wirkung. Erst wenn ich darunter gerate, ahne ich seine Wucht. Erst wenn ich wirklich getroffen werde, weiß ich, was Gottes Wort ist. Es ist nicht wie eine Mullbinde, die Wunden verbindet. Es ist auch nicht wie ein Haltegurt, der vor schweren Verletzungen bewahrt. Es ist erst recht nicht wie ein Schlummerkissen, auf dem sich herrlich träumen lässt. Gottes Wort ist wie ein Hammer.
An Paulus möchte ich die Erfüllung dieser Prophetie illustrieren. Lange hat er sich über das Wort informiert. Sein Theologiestudium bei Professor Gamaliel war gründlich. Oft hat er über das Wort diskutiert. Rede und Gegenrede gehörte zu seiner Ausbildung. Vielleicht hat er es auch schon symbolisiert. Ich weiß es nicht. Aber Paulus hat das Wort nie realisiert. Für ihn waren die Jesusberichte als Erfüllung göttlicher Verheißungen glatte Utopie und Gotteslästerung. Erst als ihn Gottes Wort voll traf, wusste er, dass dies Wort wie ein Hammer ist.
1. Er bekam den Hammer auf den Kopf
Das passierte mitten auf der Landstraße. Dort galoppierte Saulus, Abwehrspezialist in Diensten der Kirche. Seine Razzia gegen die Christensekte sollte über Jerusalem hinaus bis nach Damaskus ausgedehnt werden. Natürlich war er von der Richtigkeit seiner Maßnahme überzeugt, so wie der gottesfürchtige Calvin, der in Genf den Servet verbrennen ließ. Saulus hatte seinen Kopf in den Nacken geworfen und auf einmal war er selbst vom Pferd geworfen. Saul, Saul, was verfolgst du mich? Dieses Wort traf ihn wie ein Hammer. Er taumelte, verlor jede Orientierung, stürzte vom hohen Ross und blieb im Staub liegen. Nicht nur seine freche Stirn war getroffen, nicht nur sein Großmaul war gestopft, auch sein felsenfestes Herz war gespalten. Das Wort hatte durchschlagende Wirkung. Knapp außerhalb ortsetters lag ein Wrack, ein Trümmerhaufen, ein Totalschaden des alten Menschen.
Seither hat diese Wirkung nicht nachgelassen. Gottes Wort holt uns heute von jedem hohen Ross. Der eine sitzt auf seiner Vernunft, die Maß und Richtschnur für ihn ist. Der andere trabt mit seiner Frömmigkeit daher, die fadenscheinig und verschlissen ist. Der dritte sitzt fest im Sattel seiner Rechtschaffenheit, die recht tut und niemand scheut. Der vierte reitet die alte Tour, dass Religion Opium fürs Volk sei. Alle miteinander sind wir stolze Reiter, die gerne den Kopf hoch tragen. Deshalb trifft uns Gottes Wort auf den Kopf. "Du bist mir ein Greuel mit deinem Stolz. Du hast mir Arbeit gemacht mit deinen Sünden. Du lässt deinen Gott einen lieben Mann sein. Du Schuldiger!" Wer Gottes Wort wirklich hört, der taumelt und stürzt. Wer Gottes Wort wirklich versteht, der ist am Boden. Wer Gottes Wort wirklich spürt, der gehört zum alten Eisen. Das festeste und härteste Material hält ihm nicht stand. Verspüren wir nichts von dieser Gewalt, dann ist zu fragen, ob wir das Wort Gottes wirklich schon vernommen haben. Ein Gott, der uns weiterträumen ließe, wäre nicht der lebendige Gott. Paulus stammelte: "Ich elender Mensch". Luther klagte: "Ich zerschlagene Kreatur." Vielen kam es über die Lippen: "Ich bin am Ende". Und wenn wir auch anfangen, die ganze Bibel zu lesen und nicht nur ein paar Lieblingsstellen, verstehen wir Kierkegaard, der gesagt hat: "Menschen von solchem Kaliber, die das aushalten, werden nicht mehr geboren", dann spüren wir den Hammer des Wortes, dann sind wir am Boden, aber nicht am Ende. Gott will keinen drunten lassen. Deshalb kommt er in Jesus auf diese Erde. Von Bethlehem geht er bis nach Jerusalem. Überall schaut er nach den geschlagenen und zusammengebrochenen Existenzen: "Kommet her zu mir, ich will euch nicht nur neu motivieren, ich will ich nicht nur neu orientieren. Ich will euch neu machen." Jesu kann das. Er hat es bewiesen. Im hohepriesterlichen Palast schlugen sie ihn zusammen. Am Kreuz schlugen sie ihn mit dem Hammer fest. Sein Kopf fiel vornüber. Der Sohn Gottes starb. Aber am dritten Tag stand er wieder da als der lebendige Beweis dafür, dass Gott neu machen kann. Es muss keiner fertig sein. Es muss keiner am Ende sein. Es muss keiner am Boden bleiben. Er kann aus einem total geschädigten Menschen einen total gesegneten neuen Menschen machen: "Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur. Das Alte ist vergangen, siehe, es ist alles neu geworden", der Kopf, das Denken, das Fühlen, das Herz.
So wie bei Paulus. Wie Schuppen fiel es ihm von den Augen und er erkannte die neue Wirklichkeit, dass Geschlagene und Zerschlagene brandneue Leute durch Gott werden. Dazu gehört ...
2. Er bekam den Hammer in die Hand
Das war im Haus des Judas. Dorthin hatte man Paulus nach seinem Niederschlag gebracht. Drei Tage später klingelte es an der Haustür und ein Mann namens Ananias meldete sich als Bote Gottes zur Stelle. "Saulus, Gott hat dich dienstverpflichtet. Du bist sein Rüstzeug. In Kleinasien und Europa sollst du Gemeinden bauen." Und der Mann wankte wieder. War das die Möglichkeit? Was in ihm vorging, wissen wir nicht, aber wir können es auf Grund anderer Berufungen erahnen. "Herr", konterte Paulus, "lch bin geographisch nicht im Bilde. Wohin soll ich gehen und bauen?" Und Gott sagte: "Du hast mein Wort." Paulus fuhr fort: "Herr,ich bin psychologisch unterbelichtet. Nehmen mir die Leute überhaupt etwas ab?" Und Gott sagte: "Du hast mein Wort." Paulus argumentierte: "Herr,ich bin theologisch nicht auf dem neuesten Stand. Wie soll ich deine Sache richtig vertreten?" Und Gott sagte: Du hast mein Wort." Das ist der Hammer. Etwas anderes ist nicht nötig. Bis heute setzt dieser Herr seine neugewordenen Leute nicht in die Stube, sondern stellt sie auf den Bau. Und das einzige Werkzeug, mit dem er sie ausrüstet, ist das Wort. Aber vielleicht haben wir auch solche Rückfragen: Wohin sollen wir gehen? In meiner Gegend ist gar nichts los. Was sollen wir sagen? Wir waren weder auf dem Missionsseminar in Liebenzell noch auf der Predigerschule in Unterweissach. Was sollen wir tun? Wir haben zwei linke Hände. Und Gott sagt: Ihr habt mein Wort. Es gibt gar keinen, dem ich dieses Werkzeug nicht anvertraue. Der Hammer ist auch für Linkshänder. Mit dem haut, nagelt, zimmert. Menschen müssen eingefügt werden in Gottes Bau, wenn sie nicht aus allen Fugen geraten sollen. Sicher, der letzte Schlag wird vom wiederkommenden Herrn selbst ausgeführt werden, wenn er seinem Bau das Dach draufsetzt. Aber bis dahin haben wir alle Hände voll zu tun, um Nägel mit Köpfen zu machen. Und wir werden es erleben, welche Kraft dahinter steckt: Das ist ein Presslufthammer, der die Felsen der Schuld aufsprengt. Das ist ein Maschinenhammer, der die Brocken der Sünde zermalmt. Das ist ein Vorschlaghammer, der die Stolpersteine des Bösen zermalmt. Etwas anderes ist nicht nötig. Jan Hermelink sagte es so: "Wir haben in der Tat nur das Wort, aber das ist nicht nichts, sondern alles."
Nur eines dürfen wir bei alledem nicht vergessen. Kraftprotze werden wir dabei nicht. Schlägertypen sind bei ihm nicht zu finden. Muskelmänner stehen nicht auf Gottes Bau. Schauen wir noch einmal auf Paulus:
3. Er bekam den Hammer in das Kreuz
Dieser Apostel stand mitten im Dienst. Und dann bekam er es ins Kreuz. lch meine nicht die acht Folterungen, die er durchlitten hat. Ich meine auch nicht die unzähligen Schläge, die er einstecken musste. Ich meine den Pfahl, den Dorn, den unbekannten Schmerz, den Gott ihm ins Fleisch trieb. Eine schwere Krankheit quälte ihn Tag und Nacht. Eine schwere Last lag auf seinem Kreuz. Er konnte nicht mehr richtig stehen. Er konnte kaum mehr liegen. Oft genug meinte er darunter zusammenzubrechen. Er ging sogar auf die Knie und betete: "Lieber Gott, ich bin fertig. Ich kann nicht mehr. Ich bin am Ende. Ich kann deinen Dienst so nicht mehr tun. Nimm es weg!" Und Gott hat es nicht weggenommen. Nichts ist es mit Kraft und Stärke und Gesundheit und Selbstbewusstsein. Paulus leidet an Schwachheit. Damit ist er keine Ausnahme geblieben. Martin Luther hat darunter gelitten. Theodor Fliedner hat darunter gelitten. Ludwig Hofacker hat darunter gelitten. Alles keine strahlenden Sieger, sondern Geschlagene und Gebeutelte. Schwachheit ist die Berufskrankheit in Jesu Dienst. Auch wenn heute viel von Heilung geredet wird, auch wenn heute viel von Heilungswundern gesprochen wird, auch wenn heut viel von Wunderheilern erwartet wird, es bleibt dabei: Schwachheit ist die Berufskrankheit in Jesu Dienst. Deshalb wundem wir uns nicht, wenn uns der Dienst für Jesus auch schwer fällt. Deshalb machen wir uns keine Gedanken, wenn wir vielleicht bei einer Hausbesuchsaktion für eine Evangelisation nicht mit einem Halleluja durch die Straßen rennen. Deshalb überlegen wir nicht lange, wenn wir auf Gottes Bau Kreuzschmerzen bekommen. "Er legt eine Last auf, aber er hilft uns auch." Lass dir an meiner Gnade genügen", will er jedem von uns persönlich sagen. Dieses Wort ist genug zum Leben und sogar zum Sterben. Dieses Wort rüstet die Schwachen mit Kraft aus und macht sie zu Bauarbeitern in seinem Reich.
Dieses Wort ist der Hammer. Mehr als dieses Wort brauchen wir nicht.
Amen
[Predigtmanuskript; nicht wortidentisch mit der Aufnahme]