Gnade sei mit uns und Friede von dem, der ist, der war und der kommt. Amen.
Begegnung auf dem Wasser: Ein Erlebnis der Angst und des Glaubens
Wir hören ein Wort der Heiligen Schrift aus Matthäus 14.
Petrus aber antwortete Jesus und sprach: Herr, heisse mich zu dir kommen auf das Wasser. Und Jesus sprach: Komm her!
Und Petrus trat aus dem Schiff und ging auf dem Wasser, dass er zu Jesus käme. Er sah aber einen starken Wind, da erschrak er und hob an zu sinken, schrie und sprach: Herr, hilf mir!
Jesus aber reckte alsbald die Hand aus und ergriff ihn und sprach zu ihm: O du Kleingläubiger, warum zweifeltest du?
Und sie traten in das Schiff.
Kürzlich ging ich durch eine deutsche Stadt und da kam ich an einem Kino vorbei. Dort war groß ein Film angezeigt mit dem Titel „Die Nacht des Schreckens“.
Oh, habe ich gedacht, was mag das für ein fürchterlicher Film sein? Aber da war ich gerade in meinem Geist beschäftigt mit der Predigt für heute Morgen.
Und da habe ich denken müssen: Das könnte man auch als Überschrift über die Geschichte schreiben, die in Matthäus 14 erzählt wird – die Nacht des Schreckens.
Darf ich, ehe ich weitermache, mal eben fragen: Können Sie mich da oben verstehen?
Lassen Sie mich diese Geschichte Ihnen erzählen. Ich erzähle so gern biblische Geschichten.
Da waren die Jünger Jesu bei Nacht in einem Fischerboot auf dem großen See Genezareth. Dort heißt es bloß, der Wind war ihnen zuwider. Sie ruderten und ruderten und kamen nicht von der Stelle.
Sie kreuzten mit dem Segel und waren immer wieder am selben Fleck. Schließlich wurden sie sehr mutlos.
Und darüber vergeht die Nacht beinahe. Als der erste Morgenschein da ist – oder es war noch Mondlicht, ich weiß nicht genau – da sehen sie auf einmal übers Wasser eine Gestalt laufen, die auf ihr Schiff zugeht.
So etwas haben wir alle noch nicht erlebt, die Jünger auch nicht.
Da bekommen sie einen furchtbaren Schrecken und schreien: Ein Gespenst!
Und da kommt dieses Gespenst auf sie zu und sagt: Seid getrost, ich bin’s, fürchtet euch nicht!
Wenn man im Schrecken diese Stimme hört, die Stimme des Herrn Jesus, dann ist gleich alles gut.
Da sind die Jünger beruhigt: Jetzt ist alles gut, der Heiland ist da.
Darf ich Ihnen das gleich am Anfang sagen: Das gilt für unser Leben.
Es ist alles gut, wenn Jesus in unserem Leben ist, und es ist alles falsch, wenn er nicht da ist.
Mut und Zweifel: Petrus wagt den Schritt auf das Wasser
Und da bekommt Petrus, der ja gern so vorneweg einen großen Mut hatte, einen großen Mut, und er sagt: Herr Jesus, du läufst auf dem Wasser, das möchte ich auch. Sag mir doch, dass ich zu dir komme, allein riskiere ich es nicht.
Und da sagt der Herr Jesus: Ja, komm! Ich habe mir oft vorgestellt, was das für ein Augenblick war, als Petrus über Bord steigt und zuerst probiert, ob das geht, ob es wirklich trägt. Er hält sich noch am Schiffsrand fest und geht dann auf Jesus zu.
Wenn man auf Jesus sieht, kann man erst erstaunliche Wege gehen. Und dann auf einmal sieht er einen Wind – man sieht den Wind ja nicht –, aber ich denke, er sieht, wie die Wellen sich kräuseln. Er spürt den Wind, und da erschrickt er und sieht von Jesus weg.
Im Augenblick fängt er an zu kalkulieren: Wie tief ist das hier eigentlich? Hundert Meter, hundertfünfzig Meter? Ganz egal, wenn ich hier untergehe, bin ich verloren. In dem Augenblick geht er schon unter – bis zu den Knien, bis zu den Hüften, bis zum Hals. Noch eine Sekunde, dann ertrinkt er.
Es ist eine alte Sache, dass Seeleute bis zum heutigen Tage nicht schwimmen können. Er geht im nächsten Moment unter, und da schreit er nur drei Worte: Herr, hilf mir!
In dem Augenblick spürt er die Hand Jesu, die ihn herausreißt und ins Schiff bringt. Da ging es durch viel Schrecken, aber auch durch viel Trost.
Die Kraft des Glaubens in der Not: Das kürzeste Gebet
Als meine Kinder noch klein waren, habe ich oft mit ihnen Wanderungen gemacht. Dann hieß es: „Papa, erzähl mal was!“ Und ich erzählte selbst erfundene Geschichten. Ich habe eine blühende Fantasie, aber auch Sagen. Am liebsten erzählte ich jedoch biblische Geschichten.
Es war immer interessant, dass die Kinder, bevor ich anfing, fragten: „Papa, ist die Geschichte auch wahr, die du erzählst? Das wollen wir vorher wissen. Ist die wahr?“ Dann sagte ich entweder: „Nein, die erfinde ich jetzt selber, die ist geschwindelt.“ Oder ich antwortete: „Ja, die ist wahr.“
Ich könnte mir vorstellen, dass Sie alle hier – Männer, Frauen und Kinder – sich jetzt bei der Geschichte, die ich eben erzählt habe, fragen: „Pfarrer Busch, ist die Geschichte wahr, dass Jesus übers Wasser geht und Petrus ihm entgegen geht? Ist das wahr oder nicht?“
Dazu möchte ich Ihnen ganz klar sagen: Ich hätte nicht den Mut, vor Sie zu treten, wenn ich nicht hundertprozentig überzeugt wäre, dass das wahr ist und so geschehen ist. „Dein Wort ist wohl geläutert“, heißt es in der Bibel. So, wie es hier steht, habe ich persönlich den Herrn Jesus kennengelernt – so ist er.
Mein Leben hat auch Nächte des Schreckens gekannt, und dann kam er. Nun möchte ich Ihnen aus dieser Geschichte drei Dinge zeigen, die für uns heute, im Jahr 1964, für einen jungen Mann, für eine Frau und für ein Kind wichtig sind. Drei Punkte – drei Dinge hat Petrus gelernt und erfahren, drei Dinge, die wir auch erfahren und lernen sollten.
Die Tiefe zieht: Das Risiko des Glaubens und die Gefahr des Zweifelns
Das Erste ist dies: Er erfuhr, wie der Petrus die Tiefe zieht, die Tiefe zieht. Ich weiß nicht, ob man in der Schweiz den Ausdruck kennt, aber es gibt einen Sog der Tiefe. Gibt es diesen Ausdruck hier, den Sog?
Sehen Sie, Petrus war ein wunderbarer Christ. Er war kein Feld-, Wald- und Wiesenchrist, der das Christentum nur am Rande seines Lebens hat. Er wagte etwas mit Jesus. Das war ein Wagnis, wenn man nicht schwimmen kann, aus dem Schiff zu steigen, weil Jesus gerufen hat.
Erlauben Sie mir die Frage: Haben Sie mit Jesus auch schon mal etwas gewagt? Haben Sie es gewagt, weil Jesus Sie gerufen hat? Er hat Sie gerufen. Haben Sie es gewagt, etwa aus dem Schiff schlechter, übler Gewohnheiten auszusteigen? Haben Sie es gewagt, weil Jesus da ist, aus dem Schiff eines falschen Lebens herauszugehen, obwohl man nicht weiß, wie es weitergeht? Haben Sie es gewagt, vielleicht mit Menschen zu brechen, die für Sie schädlich sind?
Es ist kein Christentum, wenn man mit Jesus nicht mal etwas wagt. Er ist auferstanden, er geht durch Erlenbach, er ruft Sie, und es ist schon ein Wagnis, wenn Jesus ruft, ob man dem Ruf folgen will. Da heißt es irgendwie aussteigen.
Aber Petrus hat es nicht durchgehalten. Mittendrin, auf einmal sieht er den Wind. Dann bekommt er Angst, und plötzlich fühlt er, dass es ihn hinunterzieht.
Wissen Sie, ich habe die Schweizer immer bewundert, wie sie auf die Berge steigen können. Ich werde schwindelig, wenn ich im Engadin war oder in Zermatt. Auf einmal war Schluss, da zieht die Tiefe, die Tiefe zieht merkwürdig.
Petrus spürt, wie sie nach unten zieht. Das gilt in jeder Hinsicht, meine Freunde: Die Tiefe zieht, etwa die Tiefe der Lust der Welt und der Sünde. Es ist ja nicht so, dass Leichtsinn hässlich ist, das zieht.
Es gibt einen schlesischen Dichter, Eichendorff, der hat so ein schönes Gedicht geschrieben von zwei jungen Männern, die morgens ausziehen in die Welt hinaus. Da heißt es: Dem einen sangen und logen die tausend Stimmen im Grund, verlockten Sirenen und zogen ihn in die buhlenden Wogen, in den wogenfarbigen Schlund. Und wie er aufwacht vom Grunde, da ist er müde und alt.
Meine Freunde, ich bin vierzig Jahre in einer Großstadt Pfarrer gewesen und habe viele Menschen getroffen, die die Tiefe gezogen hat. Dann war ihr Leben beschmutzt und voll Schuld.
Und ich habe immer gefunden, dass auch in so einer ehrbaren Versammlung wie hier viele sind, die etwas spüren von dem Ziehen der Tiefe, der dämonischen Tiefe der Sünde, und die Tiefe des Unglaubens zieht.
Das kennen wir alle: Es kommen Augenblicke, wo ich denke, jetzt werfe ich mit Gott alles über Bord. Man weiß doch nicht, wie man mit Gott dran ist. Jetzt glaube ich gar nichts mehr, es zieht. Was bin ich ein freier Mensch, wenn ich Gott absage? Das zieht.
Oder der Sorgegeist: Da ist so ein Geschäftsmann, der denkt auf einmal, ich komme nicht mit. Mir sagte neulich ein Geschäftsmann, es ist heute ein knochenharter Konkurrenzkampf, und dann packt einen die Angst: Ich komme nicht mit. Und dann zieht einem das, und man kann bloß noch Tag und Nacht denken, wie es weitergeht.
Die Tiefe zieht uns. Davon hat Petrus etwas gespürt, und davon spüren wir alle etwas. Und ich denke: In der Tiefe da ist er, da ist die Hölle und der Teufel, die uns runterziehen wollen. Komm!
In dem Augenblick, wo ich das ausspreche, denke ich an so viele, die mir begegnet sind und die dem Ziehen der Tiefe nachgegeben haben. Und dann starben sie ohne Frieden mit Gott.
Vor kurzem ist ein Buch erschienen von einem englischen Bischof, das hat in der ganzen Welt Aufsehen erregt. Da sagt er: Es gibt keinen Gott außerhalb, Gott ist die Tiefe des Daseins.
Da habe ich gedacht: Oh nein! In der Tiefe ist der Teufel und die Hölle. Dass der Unglaube und die Sünde das zieht!
Meine Freunde, lassen Sie uns zum zweiten Punkt kommen.
Das kürzeste Gebet: Herr, hilf mir!
Als Petrus merkte, dass er unterzugehen drohte, was tat er? Er rief, betete.
Den zweiten Punkt möchte ich mit „Das kürzeste Gebet“ überschreiben. Hier ist die Rede von dem kürzesten Gebet, das je gebetet wurde.
Ich kenne die Erlenbacher nicht, das tut mir sehr leid. Ich würde gern wissen, ob sie überhaupt beten können. Ich glaube, die meisten Menschen heute können gar nicht mehr beten.
Wenn ich meinen Arm zwei Jahre im Gips hätte, könnte ich ihn auch nicht mehr bewegen. Unsere Zeit hat das Gebet verlernt, und jetzt können wir es kaum noch. Beten heißt, sein Herz vor dem Heiland ausschütten. Wer kann das heute noch? Man muss dafür Fernsehen und Radio abdrehen und ganz allein mit ihm sein.
Ich frage Sie: Können Sie beten? Antworten Sie sich selbst mit Ja oder Nein – können Sie es?
Aber es gibt auch Zeiten, in denen ich nicht recht beten kann. Dann nehme ich einen Psalm. In der Bibel stehen die Psalmen, das sind Gebete. Dann bete ich einen Psalm, und so lerne ich es wieder.
Als Petrus am Untergehen war, konnte er keinen Psalm aufschlagen. Dafür war keine Zeit mehr. Auch ein Vaterunser konnte er nicht beten, dazu reichte es nicht mehr. Er konnte nur drei Worte sagen – aber das war ein Gebet: „Herr, hilf mir!“
„Herr, hilf mir!“ Dieses Gebet möchte ich Ihnen jetzt einprägen.
In diesem Augenblick rief Petrus nicht einen nebulosen Herrgott an, von dem man nicht genau weiß, wer er ist. Er rief den an, in dem Gott zu uns gekommen ist: Jesus. Jesus ist eine Handbreit neben uns. In den Krisenstunden unseres Lebens dürfen wir rufen: „Herr, hilf mir!“
Ich möchte Ihnen raten: Wenn Sie morgens aufwachen, bevor Sie aus dem Bett gehen, beten Sie die drei Worte „Herr, hilf mir!“ oder „Herr Jesus, hilf mir!“
Einmal sprach ich vor Studenten in Oslo, Norwegen, auch über diese Geschichte. Da ich kein Norwegisch kann, wurde jeder Satz übersetzt. Ich sagte: „Bitte betet doch dieses kürzeste Gebet: Herr, hilf mir!“
Ein Student rief spöttisch dazwischen, wie es gedolmetscht wurde: „Sie sagen, Sie sind Deutscher, der in Norwegisch spricht. In welcher Sprache versteht es denn der Herr Jesus?“
Er wollte nicht spotten, aber ich antwortete: „Das ist wunderbar! Mein Herr kennt jede Sprache der Welt. Man kann es in jeder Sprache sagen: Herr, hilf mir! Er versteht sogar die Sprache des Herzens, die gar keine Worte kennt.“
Da muss ich noch einmal den Kindern hier eine Geschichte erzählen:
Es war einmal ein reicher Mann, der sein Geld auf schlechten Wegen verdient hatte. Die Bibel nennt ihn Zöllner, wir würden heute vielleicht Schwarzhändler oder Schmuggler sagen. Er war reich geworden, hatte alles, was er wollte: eine schöne Villa, eine nette Frau und Kinder. Aber in seinem Herzen war die Hölle. Kennen Sie das? Man hat alles – und hier drin ist die Hölle.
Dann hört er, dass Jesus in seine Stadt Jericho kommt. Er setzt seinen Hut auf, nimmt einen Schirm und geht hinaus, um Jesus zu sehen. Aber an der Straße stehen so viele Leute, dass er, der etwas klein war wie ich, nichts sehen kann. Vor ihm stehen lauter Leute mit breiten Rücken. Er will sich durchdrängen, doch sie sagen: „Nein, nein, wir sind jetzt hier!“
Da ist er ganz verzweifelt. Er will so gern zu Jesus. Dann sieht er, wie ein paar Jungen auf Bäume steigen, die an der Straße stehen. Da denkt er: „Wenn ich da oben säße, könnte ich Jesus sehen!“
Wenn jemand den Heiland haben will, packt ihn das, und es gibt keine Ruhe. Also fängt Zacchaeus an, auf den Baum zu steigen. Er zieht noch „ruck“ – ich denke, ohne die Hilfe der Jungen wäre er nicht hochgekommen. „Hau ruck, nicht!“
Dann sitzt er oben auf einem Ast. Jesus, der Mensch gewordene Gott, kommt vorbei. Da sitzt Zacchaeus oben und schaut. Er schiebt die Äste weg, sagt kein Wort, aber sein Herz schreit: „Hier habe ich die Hölle, Herr, hilf mir! Kannst du helfen? Hier ist die Hölle drin!“
Kein Wort hört man, doch Jesus bleibt stehen und sieht hinauf. Jesus hat sogar die Sprache des Herzens gehört. Er sagt: „Zacchaeus, komm schnell herunter! Ich möchte in deinem Haus einkehren.“
Da saust der Mann herunter und freut sich, dass der Heiland zu ihm ins Haus kommt.
Jesus versteht alle Sprachen der Welt, sogar die Sprache des Herzens.
Als Petrus rief „Herr, hilf mir!“ war das eine Bankrotterklärung: „Ich werde es nicht allein schaffen.“
Ich bin überzeugt, dass Sie alle mit dem Leben fertig werden. Aber werden Sie damit fertig, wenn Ihr Gewissen Sie verklagt? Es gibt so viel Sünde. Werden Sie mit der Hölle im Herzen fertig? Werden Sie mit dem Sterben fertig, wenn es ein Gericht Gottes gibt? Und werden Sie damit fertig, Menschen zu lieben, die man nicht lieben kann?
Oh, wir werden auch nicht fertig! Geben Sie ruhig Ihren Bankrott zu und sagen Sie: „Herr Jesus, hilf mir!“
Das ist das kürzeste, herrlichste Gebet!
Die starke Hand: Jesu rettende Kraft in der Not
Und lassen Sie mich noch kurz ein Drittes sagen. Das Dritte möchte ich überschreiben mit: die starke Hand, die starke Hand!
Jesus ergriff ihn, Jesus zieht Petrus heraus. Ich weiß nicht, ob Sie schon einmal einen anderen Menschen so aus der Tiefe herausgezogen haben. Petrus war kein Federgewicht, er war schwer. Mein Heiland war so stark, dass er ihn herausziehen konnte.
Denken Sie mal daran: Wenn man einen anderen herausziehen will, muss man selbst einen festen Stand haben. Jesus stand auf dem Wasser. Er ist so stark, dass er den schweren Petrus auf dem Wasser herausziehen kann. So stark ist Jesus.
Er kann Sünde aus der tiefsten Tiefe ziehen. Er kann Menschen, die sich einbilden, sie seien gut und gerecht in ihrer Selbstgerechtigkeit, herausreißen, damit sie erkennen, dass sie einen Versöhner brauchen und Kinder Gottes werden.
Wie stark Jesus ist, möchte ich an meinem eigenen Leben zeigen. Ich stünde nicht hier, wenn seine Hand nicht stark genug wäre, um mich aus jeder Tiefe herauszuziehen.
„Stark ist meines Jesu Hand“ heißt es in einem Lied. Petrus erfuhr die Hand Jesu. Und sehen Sie: Wenn ich hier eine Woche lang Vorträge halte, möchte ich, dass Sie hinter all den Worten, mit denen ich auf Lebensfragen eingehe, spüren, dass sich diese Hand des Sohnes Gottes Ihnen entgegenstreckt.
Es gibt niemanden, dem die Hand des Sohnes Gottes sich nicht entgegenstreckt. Diese Hand ist durchbohrt, sie hing einmal für uns am Kreuz.
O, ich möchte das Kreuz vor Ihre Augen malen: „O Haupt voll Blut und Wunden, voll Schmerz und voller Hohn, o Haupt zum Spott gebunden mit einer Dornenkrone.“ Dort war die Hand angenagelt. Jesus neigte sein Haupt und verschied. Dann legte man ihn in ein Felsengrab.
Am dritten Tag erlebten die Kriegsknechte, wie es ganz hell wurde, der Stein wegrollte und Jesus triumphierend herauskam. Nun streckt er uns seine Hand entgegen, die für uns durchbohrt war.
Und mir graust, wenn Menschen in der Kirche sitzen, die sagen: Ich brauche diese Hand nicht, ich will sie nicht. In der Ewigkeit werden Sie merken, dass es nichts Wichtigeres gibt, als diese Hand Jesu im Glauben zu ergreifen.
Ich bin dein, weil du dein Leben und dein Blut mir zu gut in den Tod gegeben hast. Schlagen Sie die Hand Jesu, die sich Ihnen entgegenstreckt, nicht aus!
Ich möchte mit einem kleinen Erlebnis schließen, das ich vor kurzem hatte. Da traf ich spät abends einen Mann, den ich gut kenne, in Essen. Er war ganz betrunken und konnte nicht mehr nach Hause kommen. Ich brachte ihn nach Hause.
Am nächsten Tag kam er zu mir und sagte, er wolle sich entschuldigen, weil er in einer sehr unwürdigen Lage gewesen sei. Ich sagte ihm, er müsse sich bei mir nicht entschuldigen, aber er solle sich beim heiligen Gott entschuldigen, weil er sein Ebenbild so geschändet habe.
Dann überkam es mich, und ich sagte: „O lieber Herr, unser Gott möchte nicht, dass er so bleiben soll, wie er ist.“ Da zuckte der Mann die Achseln und fragte: „Kann ein Mensch sich denn anders machen?“
Darauf erzählte ich ihm von der Hand Jesu, die Petrus herauszog. Ich sagte: „Gott will, dass alle Menschen geholfen werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.“
Fassen Sie im Glauben diese Hand des Herrn Jesus! Darum möchte ich Sie bitten. Es ist eine herrliche Botschaft, die hier steht.
Uns Menschen, die wir im Grunde doch nicht fertig werden, die untergehen und von der Tiefe gezogen werden, streckt sich die starke Hand Jesu entgegen. Wer sie ergriffen hat, wird fröhlich.
Ich habe viele Menschen an Sterbebetten gesehen, die es bereut haben, dass sie es nicht getan haben. Aber ich habe noch keinen gesehen, der es bereut hat, in die Hand Jesu eingeschlagen zu haben und gesagt hat: „Wem anders sollte ich mich ergeben? O König, der am Kreuz verblich, hier opfere ich dir mein Gut und Leben, mein ganzes Herz ergieße sich dir. Ich schwöre dir zu der Kreuzesfahne, als Streiter und als Untertan.“ Amen!
Wir wollen still werden. Herr Jesus, wir danken dir, dass du in die Welt gekommen bist, für uns gestorben und auferstanden bist. Nun kennst du uns ganz genau und weißt, wo es bei uns fehlt.
Und da möchten wir jetzt auch rufen: Herr, hilf mir! Amen!
Wir wollen jetzt aus dem Lied singen. Wissen Sie, dass in unserer Mitte einer ist, den wir nicht sehen, der aber die Hauptperson der ganzen Versammlung ist? Nämlich der auferstandene Herr Jesus Christus.
Eigentlich kommt es nicht darauf an, dass Sie mich hören, sondern dass Sie ihn hören. Darum wollen wir uns jetzt bitten, dass Sie seine Stimme hören.
Wir werden still: Herr Jesus, du lebendiger Herr, sprich du zu uns! Wir sind Menschenworte so leid, aber Worte von dir sind Leben und Wirklichkeit. Amen.
Zum Leben berufen: Eine persönliche Einführung
Meine Freunde, darf ich zunächst meine Freude darüber ausdrücken, hier sein zu dürfen, an diesem schönen Ort am Zürichsee. Das ist für mich eine Ehre und eine große Freude.
Ich weiß, dass die Schweizer es manchmal ein wenig schwer finden, einem Deutschen zuzuhören. Atmen Sie dreimal tief durch und denken Sie daran, dass ich als Bote eines himmlischen Reiches zu Ihnen gekommen bin, als Gesandter des Reiches Gottes.
Nun kommen wir zur Sache. Wir wollen uns heute Abend über das Thema „Zum Leben berufen“ unterhalten. Ich muss zuerst sagen, dass die Themen vom hiesigen Kirchengemeinderat oder Gemeindekirchenrat – ich weiß nicht genau, wie man es nennt – ausgewählt wurden. Aber mir war dieses erste Thema ganz besonders recht. Ich möchte Ihnen zuerst erzählen, warum mir das Thema „Zum Leben berufen“ so besonders wichtig ist.
Dazu muss ich zunächst ein bisschen von mir erzählen. Vor vierzig Jahren kam ich ins Ruhrgebiet als Pfarrer in einem riesigen Bergarbeiterbezirk. Dort wollte niemand etwas vom Pfarrer wissen. Keiner ging in die Kirche, nicht einmal die Frauen. Überhaupt niemand!
Dann begann ich, Besuche in den Häusern zu machen. In jeder Wohnung war dasselbe, in den riesigen Mietskasernen. Wenn ich anklopfte – die Klingeln waren meistens schon kaputt – wurde vorsichtig die Tür geöffnet, und eine Stimme sagte: „Wir kaufen nichts.“
Darauf antwortete ich: „Ich habe auch nichts zu verkaufen.“ Dann schlug die Tür zu. Aber ich hatte schon meinen Fuß hineingestellt, und so konnten sie die Tür nicht mehr ganz schließen. Ich sagte: „Ich will nichts verkaufen, ich will Ihnen etwas schenken.“
„Was wollen Sie schenken?“ kam die Frage. „Das muss ich Ihnen drinnen sagen. Machen Sie mal auf.“ Oder ich sagte: „Ich bin der Pfarrer.“ „Oh, der Pfarrer“, hieß es dann, „wir brauchen keine Pfaffen.“ Die Tür flog wieder zu. Aber ich hatte den Fuß noch drin.
Dann sagte ich: „Sie brauchen keinen Pfaffen, ganz recht, aber Sie brauchen einen Heiland. Machen Sie mal auf.“ So war es bei jeder Wohnung ein Kampf, bis ich drin war.
Tagsüber traf man die Männer an, weil sie entweder Nachmittagsschicht oder Nachtschicht hatten. Die Bergleute arbeiteten immer in drei Schichten. Und dann ging es los.
Damals waren diese Zechenarbeiter furchtbar arm. Das wenige Geld, das sie hatten, wurde in die Kneipen und Wirtschaften getragen. Und ich hörte immer denselben Satz: „Das ist doch kein Leben, das wir haben, immer am Rand des Hungers, immer in größter Armut hier in der lauten Mietskaserne – das ist doch kein Leben!“
Ich dachte: „Oh ja, ihr habt Recht, das ist kein Leben.“ Dann kamen die Nazis, Hitler kam an die Macht, und ganz Deutschland war voller Fahnen und Blechmusik. Wenn man in die Häuser kam, sagten die Leute ganz leise: „Das ist doch kein Leben, man muss immer Angst haben, immer Angst haben. Das ist doch kein Leben.“
Ich fragte: „Es geht Ihnen doch jetzt besser, Sie haben Arbeit und so.“ „Ach, das ist kein Leben, diese Unfreiheit.“ Ja, dachte ich, es ist kein Leben.
Dann kam der Krieg. Unsere Städte wurden zerstört, und wir saßen zitternd in tiefen Kellern, während um uns Menschen starben. Ich komme gerade von Pforzheim, wo in zwanzig Minuten siebzehntausend Menschen ums Leben kamen. Die Leute sagten: „Es ist doch kein Leben.“ Ich antwortete: „Ja, es ist kein Leben.“
Und jetzt, so wie ich heute lebe, kommt eines Tages ein großer Industrieller, ein führender Mann im Kohlenbergbau, zu mir und sagt: „Mein Sohn hat sich erschossen, er war Student. Ich habe gar nicht gemerkt, dass ich einen Sohn habe. Erst als er sich das Leben genommen hat, habe ich gemerkt, dass er da ist. Wissen Sie, ich bin so gehetzt, ich muss jede Woche für achtzig Menschen Brot schaffen – das ist doch kein Leben.“
Ich dachte: „Ach, jetzt ist wieder kein Leben.“ Er hat die schönste Villa der Welt und eine reiche Aufgabe – und doch sagen wir: „Uns ist kein Leben.“ Ein Unterschied zwischen ihm und den armen Bergleuten? Nein. Alle sagen: „Es ist doch kein Leben.“
Am nettesten war es einmal vor vielen Jahren, als ein kleiner Schlosser, kurz nach dem Krieg, zu mir sagte: „Verstehen Sie mich, ich spreche überall langsam genug. Bitte melden Sie sich, wenn ich zu schnell oder zu leise werde.“ Es ist ärgerlich, wenn nach dem Vortrag jemand kommt und sagt: „Es war sehr nett, aber ich habe nichts verstanden.“ Da soll man sich einfach melden, nicht wahr?
Dieser kleine Schlosser ist heute Familienvater, leitet eine große Autogarage und auch eine große evangelische Jugendgruppe. Er kam als Sechzehnjähriger zu mir und sagte: „Was hast du auf dem Herzen?“ „Ach“, sagte er, „das ist doch kein Leben!“
Ich fragte: „Was ist kein Leben?“ Und dann rezitierte er eine köstliche Litanei: Montag Schlosser, Dienstag Schlosser, Mittwoch Schlosser, Donnerstag Schlosser, Freitag Schlosser, Samstag ins Kino und Mädel, Sonntag Fußball. Montag Schlosser, Dienstag Schlosser, Mittwoch Schlosser, Freitag Schlosser, Samstag Mädel und Kino, Sonntag Fußball, Montag Schlosser und Dienstag Schlosser – und das ein Leben lang!
„Oh, das ist doch kein Leben“, sagte er. „Ja“, sagte ich, „das ist kein Leben.“
Verstehen Sie, mein ganzes Leben war begleitet von der Melodie: „Das ist doch kein Leben.“ Die Menschen spüren, dass ihnen etwas fehlt. Haben Sie das auch schon bemerkt? Sie denken es auch, nicht wahr? „Ja, es ist doch kein Leben, es fehlt mir irgendetwas.“ Aber was?
Leben ist mehr als Existenz: Die wahre Bedeutung des Lebens
Es hat sich in meinem Leben ergeben, dass ich im letzten Vierteljahr einige Tage in Paris und London verbracht habe. Mit meinen Kindern bummelte ich abends über Montmartre in Paris und am Piccadilly in London. Das sind die größten Vergnügungszentren.
Oh, da müsste man sehen, wie die jungen Kerle mit ihren Beetle-Frisuren kopfüber ins Vergnügen stürzen. Ein Hunger nach Leben leuchtet aus allen Knopflöchern heraus. Warum? Es ist doch kein Leben, das wir haben, oder? Es ist doch kein richtiges Leben. Vielleicht finden wir es hier.
Dann fiel mir der Vers ein: „Sie essen Unsinn, doch werden nicht satt; sie trinken, und das Herz bleibt matt; denn es ist lauter Trügen.“ So sehen Sie, darum ist mir das Thema so lieb gewesen, das der Kirchengemeinderat in Erlenbach ausgesucht hat. Ich dachte, das ist richtig, die ganze Welt schreit: „Das ist doch kein Leben!“ Und da darf ich über das Thema „Zum Leben berufen“ sprechen.
Als Zweites muss ich Ihnen von einem großen Missverständnis erzählen, von einem ganz großen Missverständnis. Was verstehen Sie eigentlich unter Leben? Wenn ich Sie jetzt bitten würde, das aufzuschreiben, würden Sie wahrscheinlich sagen oder schreiben: „Nun, der Wanderweg zwischen Geburt und Grab – das ist das Leben, nicht wahr?“
Bei manchen führt dieser Wanderweg auf Höhen, so etwa bei Goethe. Bei mir ging es auf und ab, aber es war nie langweilig. Andere erleben den Weg von der Wiege bis zum Grab wie eine staubige Landstraße. Und wieder andere gehen durch tiefe Täler. Aber das nennen wir Leben: den Weg zwischen Wiege und Grab.
Die Bibel sagt es ganz anders. Die Bibel ist ein hochinteressantes Buch. „Dein Wort macht mich klug.“ Die Bibel sagt, zwischen Wiege und Grab ist erst deine Existenz. Das ist noch gar kein Leben. Es kann achtzig Jahre dauern, und jemand stirbt, ohne vom Leben überhaupt etwas mitbekommen zu haben. Das gibt es. Das ist grauenvoll.
Darum halte ich die Vorträge hier, weil ich Ihnen sagen muss: Das Leben ist etwas ganz anderes als der Weg zwischen Wiege und Grab. Die Bibel sagt, das Leben kommt aus der anderen Welt, aus Gott. Und wenn wir auch gesegnete Menschen sind, dann kommt es in unser Leben herein. Ich hätte beinahe gesagt zusätzlich zum anderen, aber das stimmt nicht.
Leben ist ein Eingriff von oben in unser Dasein, der alles verändert. Das muss ich Ihnen jetzt deutlich machen: Verstehen Sie, man kann existieren und hat vom Leben keine Ahnung. Das gilt für die allermeisten Menschen.
Einmal hat mir jemand gesagt: „Sie stehen, glaube ich, ganz allein mit Ihrer Idee vom Leben.“ Dann habe ich mir eine Geschichte erzählt: Als ich junger Soldat war, machten wir einen Parademarsch. Der Kommandeur sagte später zu einem Oberleutnant: „Sie hatten den falschen Tritt.“ Und der Oberleutnant antwortete: „Herr Oberst, das ganze Regiment hatte den falschen Tritt, ich hatte nur ein Rädchen.“
So denke ich manchmal: So geht es mir auch. Die ganze Welt hat einen falschen Tritt, ich habe ein Rädchen. Und ich möchte Sie auf den richtigen Weg bringen, indem ich Ihnen sage, was wirklich Leben ist.
Verwechseln Sie bitte nicht Ihr Dasein, Ihre bloße Existenz mit Leben. Nun kommt also das Dritte: Was ist denn Leben?
Gott als Quelle des Lebens und die Trennung durch die Welt
Also, ich glaube, darüber sind wir uns einig: Gott, der lebendige Gott, hat das Leben. Es gibt ein Appenzeller Landsgemeindelied mit dem Text „Alles Leben strömt aus dir“. Gott ist also sicher das Leben.
Wissen Sie, wir sind in der dreidimensionalen Welt gefangen, wie in einem Gefängnis. Ich wünsche mir oft, ich könnte die Wände einhauen und einen Augenblick Gott sehen. Dann wüsste ich, was Leben ist. Von Gott strömen alle Lebensquellen aus, aber er ist so fern. Er ist in einer anderen Dimension.
Nun möchte ich Ihnen ein Beispiel aus meiner Geschichte erzählen. Ich bin in meinem Leben zuweilen um meines Glaubens willen ins Gefängnis gekommen. Das waren schreckliche Zeiten. Einmal war ich in einem Gefängnis, das wie ein Wabenbau war, mit lauter ganz engen Zellen. Man hörte überall, was in den Zellen geschah, in diesem Betonbau.
Eines Tages hatte ich in der Zelle neben mir einen Mann, den ich nie gesehen habe. Ich hörte nur, wie er weinte – ganz verzweifelt. Wenn ein Mann weint, ist das schrecklich. Vielleicht stand seine Sache ganz hoffnungslos. Es waren keine richtigen Untersuchungsgefängnisse, sondern Gefängnisse der Geheimen Staatspolizei, wo schreckliche Dinge geschahen.
Ich hörte den Mann weinen und hörte, wie er auf und ab ging – zweieinhalb Schritte hin, zweieinhalb Schritte her – ruhelos wie ein Tier im Käfig. Ich hörte ihn stöhnen. Nach drei Tagen hielt ich das nicht mehr aus. Als mein Wärter, so ein SS-Mann, mal kam, sagte ich: „Da drüben verzweifelt einer. Ich bin Pfarrer, lassen Sie mich zu ihm.“ Doch er antwortete: „Nein, das ist verboten, das geht nicht!“ und schlug die Eisentür zu.
Manchmal stand ich dann zitternd an der Wand, weil ich die Verzweiflung des Mannes fast nicht aushielt. Ich dachte: Wenn ich durch die Mauer einschlagen könnte und zu ihm gehen könnte! Aber das konnte ich nicht.
Nun passen Sie mal auf: So wie ich ganz nah bei dem Mann war und doch hoffnungslos von ihm getrennt, so ist der lebendige Gott von uns getrennt. Er ist ganz nah, und doch ist die Wand dazwischen. Nun hört der lebendige Gott unser Stöhnen: „Das ist doch kein Leben, das ist doch kein Leben!“ Er hört unser Suchen und Quälen, ja, wie wir nach Leben greifen, obwohl alles nur Gift ist. Das hört er, wie ich den Gefangenen weinen hörte.
Der lebendige Gott konnte das, was ich nicht konnte: Er konnte die Wand kaputt schlagen, die ihn von uns trennt. Und das hat er getan. Gott hat die Wand, die ihn von uns trennt, zertrümmert und ist in unsere Zelle, in unsere dreidimensionale Welt hereingekommen – in Jesus.
Als auf Bethems Feld die Engel sagten: „Euch ist der Heiland geboren“, da ist, soll ich sagen, Gott, das Leben, in die Welt gekommen. Ich weiß nicht, was Sie von Jesus denken. Vielleicht halten Sie ihn für einen Religionsstifter, für einen guten, ordentlichen Mann oder lieben Freund. Sie müssten ganz anders von Jesus denken.
Das ist das größte Ereignis: Dass das Leben in die Welt hereinkam, nämlich Gott selbst als der Sohn Gottes in die Welt geboren wurde. Die Apostel schreiben: „Das Leben ist erschienen.“ Solange man diesen Heiland nicht kennt, kann man ruhig weiter stöhnen: „Das ist doch kein Leben.“ Nein, es ist auch keines, es ist nur ein ewiges Sterben. Verstehen Sie?
Jetzt muss ich Ihnen im nächsten Teil also ein wenig von Jesus erzählen. Ich tue gar nichts lieber in meinem Leben, als von Jesus zu reden. Wissen Sie, wenn man ihn findet, wenn er ins Leben kommt, dann fängt das Leben an.
Ein amerikanischer Journalist, der Jesus entdeckte, hat ein Buch geschrieben mit dem Titel „Gestern fing mein Leben an“. Dabei war der Mann vierzig Jahre alt. Er meint: In dem Augenblick, als Jesus in mein Leben kam, fing mein Leben an.
So, jetzt muss ich Ihnen im nächsten Teil von diesem Jesus erzählen. Verstehen Sie mich recht: Ich habe kein Interesse, Propaganda für die Kirche zu machen. Ich habe kein Interesse, für das Christentum zu werben – das ist schrecklich langweilig. Aber ich möchte für Jesus, den Sohn Gottes, werben. Lassen Sie mich von ihm erzählen.
Jesus und das Leben: Eine Begegnung mit dem Heiland
Es gibt eine Geschichte, die ich sehr liebe. Früher waren die Städte mit Mauern umgeben, und durch diese Mauern führten Tore hindurch. Eines Tages gab es an einem Torbogen einer kleinen Stadt ein Gedränge, eine Verkehrsstockung. Damals gab es noch keine Verkehrsschutzleute mit weißen Handschuhen, und so kam es zu dieser Stockung.
Gerade kam nämlich ein großer Trupp Männer herein: der Herr Jesus mit zwölf Jüngern – also dreizehn Männer. Gleichzeitig kam heraus ein Leichenzug. So ein Leichenzug war damals eine aufregende Sache. Voran gingen Frauen, die für drei Mark fünfzig die Stunde geheult haben. Das muss schrecklich gewesen sein. Die Klage war laut.
Dann folgten junge Männer, die die Bahre trugen. Es gab keinen Sarg, der Tote wurde in Tücher gewickelt und auf eine Bahre gelegt. Es war ein junger Mann. Danach kamen die Leidtragenden: eine Witwe. Ihr Mann war tot, die Kinder gestorben, und nun war auch der letzte Sohn tot. Die Frau war sehr gebrochen.
Dann folgte die übrige Bevölkerung, Zylinderhüte trugen sie, wie das damals üblich war. Nun trafen diese beiden Züge aufeinander, und es gab eine kleine Verkehrsstockung. Da hielt der Herr Jesus die Hand. Wenn er die Hand hält, muss man stehenbleiben. Die Verkehrsstockung wurde noch größer, alles blieb stehen.
Jesus winkte nur, und die Leute setzten die Bahre ab. Er sah den toten Jüngling und dann die weinende Mutter. Da ging er zu ihr – das ist eine wundervolle Szene – und sagte: „Weine nicht, es ist noch gar nichts geschehen.“ Ich bin überzeugt, die Frau schaute auf und blickte in das Gesicht des Heilandes und dachte: Jetzt ist alles gut. So ist mein Heiland.
„Weine nicht!“ Der Jüngling war noch tot, das Elend war noch da, doch die Frau trocknete die Tränen ab. Sie spürte, wie das Leben kommt. Dann ging Jesus zum Toten und berührte ihn. Ich wäre gern dabei gewesen, als seine Stimme, die durch die Wände unserer Welt und Mauern dringt, sprach: „Jüngling, ich sage dir, steh auf!“ Da musste der Tod ihn hergeben.
Der Jüngling richtete sich auf, schob die Binden zurück und erhob sich taumelnd. Jesus gab ihn seiner Mutter wieder. Es gibt ein Bild von dem Maler Steinhausen, das zeigt, wie der Heiland den Jüngling in die Arme seiner Mutter führt.
Oft habe ich gehört, das sei eine Legende. Liebe Freunde, wenn das eine Legende ist, dann mache ich jetzt Schluss mit meinem Vortrag. Dann habe ich kein Recht, hier zu stehen. Von diesem Jesus rede ich, der die Toten ruft. Das Leben ist erschienen.
Wissen Sie, aus der Welt Gottes kommt einer herein und strahlt das Leben aus in eine Welt, die immer sagt: „Das ist doch kein Leben.“ Doch da ist Leben, wirklich Leben. Oh, ich möchte von diesem Jesus erzählen. Am liebsten sehe ich ihn am Kreuz.
Gehen Sie mit mir vor die Tore Jerusalems. Dort ist ein Hügel, auf dem eine Volksmenge steht. Wir sehen sie jetzt nicht an. Auch die römischen Legionäre sehen wir nicht, und wir sehen nicht die beiden grässlichen Kreuze rechts und links. Aber den in der Mitte sehen wir.
Dieser Jesus, der die Toten rief, ist dort angenagelt. Die Dornenkrone zerreißt sein Haupt, das Blut strömt über ihn. Er neigt sein Haupt und verschied. Und jetzt fragen Sie mich: „Der soll das Leben sein?“ Ja, ja!
Denn in der Stunde seiner Freunde hat er das weggetragen, was uns den Tod bringt, nämlich unsere Schuld. Ich weiß nicht, ob Sie schon einmal so weit mit sich selbst gekommen sind, dass Sie unterschreiben können, was die Bibel sagt: Wir sind vor Gott Sünder.
Vielleicht waren Sie bisher zu oberflächlich, um sich selbst so weit zu begreifen. Aber hier liegt unsere eigentliche Krankheit: dass wir eine Unmenge an Schulden haben, dass so viel Unreinheit in unserem Leben ist. Ach, ich sehe so viele graue Köpfe. Ich möchte wissen, was in ihrer Jugend an dunklen Dingen war, wie viele Menschen hier in trüben Bindungen leben.
Ich kann es Ihnen nur so sagen: Jesus starb, um an unserer Statt zu büßen. Das ist für mich das Größte. Die Strafe Gottes, der Zorn Gottes, liegt auf ihm, damit wir Frieden haben. Er schenkt Vergebung der Sünden. Er nimmt weg, was im Grunde Schuld ist, und sagt: „Es ist kein Leben.“
Wenn ich sage, es ist kein Leben, dann ist das der tiefste Grund hier drin. Und das trägt Jesus alles ans Kreuz. Ich muss Ihnen weiter von ihm erzählen: Man legt ihn in ein Felsengrab, wälzt eine Platte davor, eine Felsplatte, und stellt Soldaten auf, die aufpassen.
Dann geschieht es am dritten Morgen. Die Bibel deutet es nur an: Es wird unendlich hell, der Stein fliegt weg, die Soldaten werden ohnmächtig. Ich bitte Sie, das waren keine zarten Jünglinge, die schnell ohnmächtig werden. Das waren Kerle, die auf allen Schlachtfeldern gekämpft hatten. Wenn die ohnmächtig wurden, dann war es gewaltig.
Und das Letzte, was Sie sehen: wie dieser Jesus aus dem Grab kommt. Das Leben ist erschienen, er ist das Leben. Er kommt aus dem Tod heraus.
Wissen Sie, jetzt möchte ich Ihnen noch einmal sagen: Unser Weg von der Wiege bis zum Grab, das ist nur unser Dasein, das ist noch kein Leben. Erst wenn dieser gewaltige Herr mein Leben in die Hand bekommt, dann fängt das Leben an.
Ich möchte so gern, dass Sie nicht nur ein bisschen Christentum gelernt haben und ein bisschen christlich sind, sondern dass Jesus Sie in seine Gewalt bekommt und Ihnen das Leben schenkt. Das besteht in Vergebung der Schuld, in Frieden mit Gott und im Heiligen Geist, der Freude gibt.
Ach, das ist eine große Veränderung, nicht wahr? Eine meiner Schwestern fuhr mal mit der Eisenbahn, und da kam das Gespräch auf das Evangelium. Eine Frau sagte ganz giftig: „Ach, da sind Sie wohl christlich.“ Und dann wurde sie noch giftiger: „Da sind Sie wahrscheinlich besser als ich.“
Meine Schwester lachte und sagte: „Das weiß ich nicht, ich kenne Sie ja nicht. Ich weiß nicht, ob ich besser bin, aber eins weiß ich: Ich habe es besser als Sie, weil ich das Leben habe.“ In Jesus ist Leben eingebrochen, Friede mit Gott, der nie mehr aufhört, den auch der Tod nicht unterbrechen kann.
Wer einen Heiland hat, der stirbt nicht, der geht nach Hause.
Wer den Sohn hat, hat das Leben: Die zentrale Botschaft des Glaubens
Es gibt ein Wort in der Bibel, das herrlich, aber auch unglaublich hart ist. Das muss ich Ihnen jetzt an dieser Stelle sagen. Es lautet: „Wer den Sohn Gottes hat, der hat das Leben.“
In der Schweiz sagt man auch oft: „Wer hat, der hat.“ Kennen Sie diesen Ausdruck? Wenn jemand viel Geld besitzt, sagt man: „Wer hat, der hat.“ Doch ich finde, das stimmt nicht immer. Ich habe sehr reiche Menschen gesehen, die alles verloren haben. Wer viel hat, hat noch lange nicht alles.
Aber wer den Sohn Gottes hat, der hat das Leben. Und jetzt geht es weiter: „Wer den Sohn Gottes nicht hat, der hat das Leben nicht.“ Sie können viel besitzen, aber das Leben nicht haben. Dann sind Sie im Tod, bleiben im Tod und fahren ohne diesen Heiland in die Hölle. So sagt es mir die Bibel. Ich verkündige hier keine eigenen Ideen.
Vielleicht sagen Sie jetzt: Das ist hart. Kann man nicht auf vielerlei Weise selig werden? Nein, Jesus sagt: Niemand kommt zum Leben, denn durch mich. Niemand kommt zum Vater, denn durch mich.
Man könnte sagen: Das ist intolerant. Ja, das ist es. Aber denken Sie einmal: Wenn Sie nach Rom wollen, müssen Sie nach Süden fahren. Wenn Sie sagen: „Das ist intolerant, ich muss doch auch nach Norden fahren, wenn ich nach Rom will“, dann irren Sie sich. Wenn Sie nach Rom wollen, müssen Sie nach Süden.
Und wenn Sie das Leben haben wollen, müssen Sie den Sohn Gottes haben.
Nun möchte ich Ihnen zum Schluss – ich hoffe, noch ist niemand eingeschlafen, das wäre mir schrecklich – noch einmal deutlich machen, was es bedeutet, wirklich das Leben mit Jesus zu haben. Ich will es Ihnen an einem ganz extremen Fall zeigen.
Ich erzähle Ihnen eine Geschichte, die ich erlebt habe. Vielleicht kennen Sie sie schon, denn ich habe sie schon geschrieben. Aber in alten Bekannten trifft man sich ja gern mal wieder.
Es war in den schrecklichsten letzten Zeiten des Krieges. Ich war mit meiner ganzen Familie noch in Essen. Die meisten Leute hatten ihre Familien evakuiert, aber meine Kinder sagten: „Ach Papa, wenn du stirbst, dann wollen wir mitsterben.“ Da sagte ich: „Das ist nett, dann bleiben wir alle hier.“
So lebten wir weitum als die einzige Familie, die noch da war. Unsere Fenster hatten längst keine Scheiben mehr. Stattdessen hatte man Ersatzmaterial davor genagelt. Ich verkündigte das Evangelium in einer sterbenden Welt, einer Welt, die unterging, in der Menschen starben, hingerichtet wurden und nur Hass herrschte.
Dort durfte ich predigen: „Das Leben ist erschienen. Wer den Sohn Gottes hat, der hat das Leben.“
Eines Sonntagsabends komme ich nach Hause und will es mir gerade ein bisschen gemütlich machen. Plötzlich heulen die Sirenen Alarm, dann Vollalarm. Es stellt sich heraus, dass die Bomben so plötzlich kamen, dass man kaum noch warnen konnte. Sonst gingen wir in einen sehr tiefen Bunker, der etwa hundert Stufen unter die Erde führte. Doch diesmal kamen wir nicht mehr dorthin. Wir konnten nur noch in unseren Keller laufen, der zur Hälfte über der Erde lag.
Jede leichte Bombe hätte ihn zerschmettern können. Und dann saßen wir da drin. Die anderen Leute aus dem Haus kamen auch noch dazu. Dann ging das Licht aus, die Leitungen rissen, und 50 Minuten lang erlebten wir das Grauen.
Ich kann Ihnen nicht schildern, wie schrecklich es ist, wenn diese riesigen Bomben herunterheulen. Das zerrt an den Nerven. Man hört die Ziegel prasseln, der ganze Raum wackelt, ist voller Staub. Wir spüren, dass wir noch leben. Dann kommt die nächste Bombenserie, fünfzig Minuten lang.
Eine junge Frau aus dem Haus hatte ihren Kopf in den Schoß meiner Frau gelegt und schluchzte nur hysterisch. Da sagte ich zu den Kindern: „Lasst uns singen.“ Meine Kinder hatten die Gewohnheit, jede Woche ein Lied aus dem Gesangbuch zu lernen, das sie mir sonntags vorsangen. So konnten wir alle Lieder auswendig.
Ich stimmte in der Finsternis an:
„Solang mein Jesus lebt und seine Kraft mich hebt,
muss Furcht und Sorge von mir fliehen,
mein Herz in Lieb erglühen.
Wenn sich die Sonne verhüllt,
zwar stockdunkel, der Löwe um mich brüllt,
er brüllt ja nicht, so weiß ich auch in finsterer Nacht,
dass Jesus mich bewacht.“
Wir sangen: „Soll von Ungewittern rings die Welt erzittern, mir steht Jesus bei!“ Wir wussten, dass der Tod jeden Augenblick zuschlagen kann. Wir saßen im Rachen des Todes und sangen dem Tod ins Gesicht von dem Heiland, der das Leben ist.
Wir sangen unsere ganze Angst hinaus. Wenn es schreien mochte, sangen wir Jesuslieder. Wir spürten geradezu, wie er mitten unter uns war.
Dann war es zu Ende. Ich rannte hinauf. Türen waren eingestürzt, Möbel umgefallen, ringsum brannte alles. Der Feuerschein leuchtete, aber unser Häuschen stand wenigstens noch, auch wenn die Ziegel vom Dach gefallen waren.
Ich rannte vor die Haustür. Dort lag ein Mann, der noch ins Haus laufen wollte. Der Luftdruck hatte ihn erfasst und ihm das Gesicht weggerissen. Es lag daneben, ein grinsendes Gesicht – grauenvoll.
Wissen Sie, man stand im Tod, in einer Todeswelt, wie ich sie nicht schrecklicher schildern kann. Währenddessen brachte meine Frau die Kinder ins Bett. Wir schüttelten ein bisschen den Kalk ab, der von den Decken gefallen war.
Dann ging ich zu meiner jüngsten Tochter Renate, sie war ein kleines Mädchen, vielleicht sechs Jahre alt. Ich sagte: „Gute Nacht, Renate, schlaf gut.“ Der Feuerschein flackerte herein. Sie legte ihre Arme um meinen Hals und sagte: „Papa, das war aber schön.“
Da war ich stutzig. Es war doch eigentlich eine schreckliche Stunde. Und das Kind sagt: „Es war schön.“ Im Augenblick dachte ich: Es ist wahr, es war schön.
An der Grenze des Daseins zu stehen, die Welt wirklich zu sehen, wie sie ist, in ihrer ganzen Abgründigkeit und zu erfahren, dass das Leben erschienen ist. Und wir dürfen es anbeten und diesen Heiland mitten in diesem Tumult bei uns haben.
„Papa, es war schön.“ Das ist ein extremer Fall, aber vielleicht wird Ihnen klar, dass so ein Kind das empfinden kann. Jawohl, so ist es.
Das ist kein Leben, wie Menschen es gewöhnlich haben. Aber aus der ewigen Welt kam er: Wer den Sohn Gottes hat, der hat das Leben.
Ich wünsche Ihnen, dass Sie zu denen gehören, von denen es so heißt.
Nun wollen wir noch unser Gesangbuch aufschlagen und aus dem Lied 256 den ersten Vers singen: 256, Vers 1.