Wir sind tatsächlich in der Adventszeit angekommen. Ich frage mich, wie du diese Zeit nutzt. Ist es für dich eine Phase, in der du dich zurückziehst, um dich ein wenig zu besinnen, Gemütlichkeit zu erleben und Ruhe zu finden – vielleicht bei Kerzenlicht und Plätzchen, vielleicht schon heute Nachmittag?
Oder ist die Adventszeit für dich eine Zeit, in der du sagst: Gerade jetzt möchte ich mich für Gerechtigkeit einsetzen, ich will aktiv werden und etwas tun?
Genau das erleben wir in dieser Zeit ganz stark. Im Fokus steht dabei vor allem Katar in diesen Tagen. Viele kämpfen dort für Gerechtigkeit. Manche versuchen durch Boykottandrohungen, mehr Rechte für Arbeitsmigranten zu erreichen. Andere tragen bestimmte Binden, um für sexuelle Vielfalt einzutreten – auch ein Recht, für das viele kämpfen.
Hier in unserem Land setzen sich manche mit großem Einsatz ein. Mit lautem Geschrei und Aggression werden Kunstwerke zerstört, um Aufmerksamkeit zu erregen. Manche kleben sich an verschiedenen Orten fest, um Klimagerechtigkeit zu fordern. Der Kampf um tatsächliche oder auch angebliche Rechte wird scheinbar immer lauter und schriller.
Wird das zum Erfolg führen? Kann das vielfältige Unrecht in dieser Welt überhaupt überwunden werden?
Vielleicht ist die Frage nach Recht auch für dich ganz persönlich. Vielleicht leidest du selbst unter großem Unrecht und fragst dich, wer dir zu deinem Recht verhelfen kann. Solltest du selber dafür kämpfen? Oder lieber abwarten? Oder wie sonst handeln?
Unser Predigttext gibt uns sichere Antworten auf diese Fragen. Denn darin lesen wir, wie das Recht auf Erden aufgerichtet werden wird.
Wir wollen uns in dieser Adventszeit mit vier Adventsliedern auseinandersetzen, den sogenannten Gottesknechtsliedern. Dabei handelt es sich um biblische Adventslieder, die aus vier besonderen Passagen im hinteren Teil des Buchs des Propheten Jesaja stammen.
Jesaja hat ein langes Buch verfasst, ungefähr zwischen 730 und 700 vor Christus. Im zweiten Teil des Buches, der in Kapitel 40 beginnt, finden sich vier Abschnitte, in denen ein Gottesknecht im Mittelpunkt steht. Mit diesen Liedern blickt Jesaja auf die Zeit der Ankunft eines von Gott Gesandten. Es sind Adventslieder.
Heute beschäftigen wir uns mit dem ersten Adventslied, Jesaja 42, den ersten vier Versen. Manchmal wird das erste Gottesknechtslied bis Vers neun ausgelegt. Ich denke jedoch, dass das eigentliche Gottesknechtslied die ersten vier Verse umfasst. Die Verse fünf bis neun bieten eine weitere Erklärung dazu.
Deshalb haben wir heute einen recht kurzen Predigttext: vier Verse aus Jesaja 42, Verse 1 bis 4. Ich möchte diese vier Verse vorlesen:
Siehe, das ist mein Knecht, ich halte ihn und mein Auserwählter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat.
Ich habe ihm meinen Geist gegeben, er wird das Recht unter die Heiden bringen.
Er wird nicht schreien noch rufen, und seine Stimme wird man nicht hören auf den Gassen.
Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.
In Treue trägt er das Recht hinaus.
Er selbst wird nicht verlöschen und nicht zerbrechen, bis er auf Erden das Recht aufrichte, und die Inseln warten auf seine Weisung.
Soweit Gottes Wort.
Lasst uns diese vier Verse betrachten. Wir wollen uns dazu in vier Punkten ein wenig durch den Text durcharbeiten.
In Vers 1 lesen wir gleich zu Beginn, wie Gott seinen Knecht vorstellt. Die Worte, die wir hier finden, klingen ein wenig wie die eines stolzen Vaters, der seinen Sohn der ganzen Welt zeigen möchte. „Siehe, das ist mein Knecht, ich halte ihn für einen Auserwählten, an dem meine Seele Wohlgefallen hat. Ich habe ihm meinen Geist gegeben.“
Das Wort „Siehe“ folgt hier unmittelbar auf einen anderen Ausruf, der direkt am Ende von Kapitel 41 steht. Kapitel 41 ist ein interessantes Kapitel. Es ist in der Lutherbibel ab Vers 9 überschrieben mit „Die Völker vor dem Weltenrichter“. In diesem Kapitel kündigt Gott sein kommendes Gericht über die ganze Welt an – ja, selbst über die äußersten Enden der Erde, die Jesaja oft als die Inseln beschreibt, also die fernen, abgelegenen Orte.
Alle Welt wird gerichtet werden, und die Menschen werden erschrecken, wenn Gott auftritt, um sein Recht durchzusetzen. Der Grund dafür ist die Rebellion, in der sie leben: Für Gott ist diese Rebellion nicht akzeptabel. Diese Menschen geben sich falschen Göttern hin, leben gegen Gott, verkennen ihn und tun böse Dinge.
So endet Kapitel 41 mit den Worten: „Siehe, sie sind alle nichts, und nichtig sind ihre Werke; ihre Götzen sind leerer Wind.“ Und dann heißt es: „Siehe, das ist mein Knecht, ich halte ihn, meinen Auserwählten, an dem meine Seele Wohlgefallen hat.“
Nachdem Gott also gerade die ganze Sündhaftigkeit und Gottlosigkeit der Welt angeklagt hat, hebt er nun den Einen hervor, der ganz anders ist als all die anderen – diesen Knecht, seinen Knecht. So hatte Gott einst das Volk Israel bezeichnet. Es war sein auserwähltes Volk, ein Volk, das er reich gesegnet und dem er große Versprechungen gemacht hatte.
Doch Israel erwies sich als ein untreuer Knecht. Deshalb würde Gott zuerst die zehn Nordstämme richten, indem er das Volk Assyrien aus dem Norden kommen ließ. Die zehn Nordstämme würden ins Exil weggeführt werden. Das geschah zur Zeit von Jesaja. Jesaja kündigte es an, und dann geschah es.
Jesaja spricht primär zum Südreich Juda. In diesem Südreich gingen die Dinge zur Zeit Jesajas noch etwas besser. Doch Jesaja sagte dem Volk Juda auch, dass sie von Gott zur Rechenschaft gezogen werden und ins Exil weggeführt werden würden. Das ist das, was wir in den ersten 39 Kapiteln des Buches Jesaja lesen.
Nun aber spricht Gott von einem Knecht, der ganz anders ist. Einem Knecht, der nicht gestraft wird, sondern den Gott in besonderer Weise beschützen wird. Anders als Israel wird dieser Auserwählte nicht gegen Gott rebellieren und dadurch das verdiente Gericht Gottes über sich bringen.
Dieser Knecht ist Gottes Auserwählter, an dem seine Seele Wohlgefallen hat. So stellt Gott uns diesen Knecht vor. Danach lenkt er unsere Aufmerksamkeit darauf, wie er seinen Sohn beschenkt hat: „Ich habe ihm meinen Geist gegeben.“
Der Geist Gottes war zur Zeit von Jesaja etwas, das nur ganz wenige Menschen erhielten – meist Propheten und Könige, und zwar für ganz besondere Aufgaben. Deshalb fragt man sich natürlich, wer dieser besondere Gottesknecht ist, an dem Gott Wohlgefallen hat und den er mit seinem Geist ausgerüstet hat.
Nun warten die Menschen fast siebenhunderte Jahre auf das Kommen dieses Gottesknechts. Und dann ist es endlich so weit. An einem Tag kommt ein gewisser Jesus aus Nazareth zum Jordan, um sich dort von einem gewissen Johannes taufen zu lassen.
Als Johannes Jesus getauft hat, lesen wir, dass sich der Himmel öffnete. Er sah den Geist Gottes wie eine Taube herabfahren und über sich kommen. Und siehe, eine Stimme vom Himmel sprach: „Das ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“
Der, an dem Gott Wohlgefallen hat, der, der den Geist Gottes vom Vater empfängt und von dem Jesaja hier spricht, das ist Jesus. Er ist der Gottesknecht, an dem Gott Wohlgefallen hat.
Unser Text aus Jesaja 42, der laut Jesus die ganze Schrift tut, zeugt von ihm – von diesem einen geliebten Sohn, der sich zugleich ganz in den Dienst des Vaters stellt und deswegen auch sein Knecht ist. Wir tun gut daran, in der Schrift diesen Sohn Gottes immer mehr zu erkennen und zu verstehen, wozu Gott der Vater seinen Sohn in diese Welt sendet.
Davon lesen wir dann am Ende von Vers 1, was wirklich der zweite Punkt in dieser Predigt ist. Also noch einmal Vers 1: „Siehe, das ist mein Knecht, ich halte ihn, und mein Auserwählter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat. Ich habe ihm meinen Geist gegeben, er wird das Recht unter die Heiden bringen.“ (Jesaja 42,1)
Der Gottesknecht bringt das Recht. Die Elberfelder Übersetzung gibt dies treffender wieder mit dem Ausdruck „er wird es kundtun“. Es geht hier um die Verkündigung. Wir haben das gerade auch schon gehört: Matthäus zitiert die Worte aus Jesaja, und dort wird ebenfalls betont, dass er es verkündet.
Es geht also darum, dass dieser Gottesknecht zunächst mit einer Verkündigung kommt, die bis an die Enden der Erde reichen soll. So heißt es auch in Vers 3, der wirklich die Kernbotschaft dieses Abschnitts enthält: „In Treue trägt er das Recht hinaus.“
In Vers 4 wird dies noch einmal unterstrichen. Dort wird deutlich, dass er seine Aufgabe vollbringen wird. Er wird nicht aufgehalten werden, wie es heißt, „bis er auf Erden das Recht aufrichte“. Das ist die zentrale Botschaft dieses Gottesknechtsliedes.
Er verkündet Recht, er richtet Recht auf und trägt das Recht hinaus in alle Welt.
Das Recht. Aber was ist das eigentlich, das Recht? In unserer Welt gibt es viele unterschiedliche Vorstellungen davon, was Recht sein sollte.
Ich habe allein in dieser Woche bei der Vorbereitung einer Predigt einmal darauf geachtet, wo mir das Thema Recht in den Nachrichten begegnet. Es ging oft um Menschenrechte, zum Beispiel das Recht auf freie Religionsausübung. Da ich auch christliche Literatur lese, fällt mir das häufiger auf, sonst kommt das Thema nicht so oft vor. Es ging auch um das Recht von Arbeitsmigranten im Mittleren Osten, das Recht auf Abtreibung, das in Frankreich diese Woche ein großes Thema war, und vieles mehr.
Viele dieser Rechte, die hier in westlichen Ländern lautstark eingefordert werden, sind in anderen Teilen der Welt gar nicht als Rechte anerkannt. Vor hundert Jahren zum Beispiel waren viele dieser Rechte auch in unserem eigenen Land noch nicht akzeptiert oder geschützt. Wir sehen also, dass sich das Verständnis davon, was Recht ist, je nach Kultur und Zeit verändert.
Was ist dann aber das Recht, von dem Jesaja vor über 2700 Jahren geschrieben hat? Was ist das Recht, das der Gottesknecht aufrichten wird?
Es ist das ewige und unveränderliche Recht unseres ewigen und unveränderlichen Gottes. Der Gottesknecht wird das wahre, das ewig gültige und weltweit gültige Recht verkünden. An diesem Recht werden sich alle anderen Rechte messen lassen müssen.
Wir werden sehen: Dieses Recht ist ein Recht, das Gott durch seinen treuen Knecht verkündet und durch ihn auch aufrichten wird. So dürfen wir wissen: Nicht nach unseren Standards, sondern nach Gottes Standards wird eines Tages alles Unrecht und alle Ungerechtigkeit ein Ende haben.
Das klingt großartig, oder? Ein Ende mit allem Unrecht. Gerade wenn wir unter Ungerechtigkeit leiden, klingen diese Worte wunderbar und tröstlich.
Doch wir müssen auch eingestehen, dass diese Ankündigung für uns nicht nur tröstlich, sondern auch bedrohlich ist. Denn wenn eines Tages alles Unrecht gerichtet wird, dann muss uns klar sein, dass auch wir in gewisser Gefahr stehen. Wir sind ja nicht nur Opfer von Unrecht, sondern oft auch Täter.
Wer von uns tut nur, was gut und recht ist in den Augen unseres Gottes? Deshalb sollten wir vorsichtig sein, wenn wir zu laut nach Gerechtigkeit rufen.
Tatsächlich muss ich sagen, dass ich mich bei aller berechtigten Kritik an den Umständen, zum Beispiel in Katar, ein wenig schwer tue mit der dahinterstehenden Doppelmoral, die ich dort erlebe. Wir Westler sind so schnell dabei, mit einem moralischen Gewissen den Menschen in Katar zu sagen, was sie alles falsch machen. Dabei erheben wir uns auf hohem moralischen Grund und übersehen das eklatante Unrecht in unserem eigenen Land.
Wir setzen uns für die Rechte der Arbeitsmigranten ein, und das ist gut und richtig. Aber gleichzeitig verkennen wir vollkommen die Rechte der Ungeborenen im Mutterleib. Im Gegenteil: Wir sprechen sogar davon, dass es ein Selbstbestimmungsrecht der Frauen geben sollte, und töten in diesem Namen jedes Jahr etwa hunderttausend Menschen in unserem Land. Das Selbstbestimmungsrecht gilt also nur für die Frauen, die das Glück hatten, geboren zu werden. Hier zeigt sich überall Doppelmoral.
Diejenigen, die laut nach Recht rufen, müssten nur einen Moment in den Spiegel schauen und erkennen, wie schwierig dieses laute Rufen wirklich ist. Das gilt natürlich auch für uns Christen. Wir sind schnell dabei, vielleicht auch Unrecht und Unmoral bei anderen anzuklagen, doch übersehen dabei oft das Unrecht in unserem eigenen Leben.
Ich weiß, wovon ich spreche: Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht gegen Gottes Recht rebellierte oder Dinge tue, die in Gottes Augen und nach Gottes Wort unrecht sind. Ohne hier irgendjemandem zu nahe treten zu wollen, kann ich mir gut vorstellen, dass es jedem von uns so geht.
Vor diesem Hintergrund ist der Gedanke, dass der Gottesknecht einem Unrecht ein Ende machen und Gottes Recht aufrichten wird, ein Gedanke, der uns durchaus auch Angst machen kann.
Wie wird also der Gottesknecht das Recht Gottes aufrichten? Wird er, so wie es damals üblich war, in aller Konsequenz und Härte kommen? So wie die Könige damals gegen ihre Feinde auszogen, mit lautem Kriegsgeschrei alles vernichteten, was sich ihnen in den Weg stellte?
In den Versen zwei und drei lesen wir, wie der Gottesknecht kommen wird und wie er tun wird, wozu er gesandt ist. Ich lese nun die Verse zwei und drei, das ist der dritte Punkt dieser Predigt:
„Er wird nicht schreien noch rufen, und seine Stimme wird man nicht hören auf den Gassen. Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen; in Treue trägt er das Recht hinaus.“
Der Gottesknecht kommt ganz anders als viele der Mächtigen aller Zeiten, die oft laut und voller stolzer Worte sind und die Aufmerksamkeit der Menschen suchen. Jesus hingegen, der Sohn Gottes, der ewige Sohn Gottes, der sich treu in den Dienst Gottes und der Menschen stellt, kommt ganz anders.
Denkt nur an die Worte aus dem Christushymnus aus Philipper 2, wo es heißt: Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein. Nein, er entäußerte sich selbst, nahm Knechtsgestalt an und wurde dem Menschen gleich.
Es beginnt doch schon bei seiner Geburt. Er erniedrigt sich, Gott selbst erniedrigt sich so weit, dass er als hilfloses, kleines Baby in einem Stall die Bühne dieser Welt betritt. Als er dann aufgewachsen ist, ist er nicht der Lautsprecher, der gnadenlos seinen Auftrag ausführt. Nein, ganz im Gegenteil.
Sein Auftreten war geprägt von Sanftmut und Barmherzigkeit. Wir lesen hier: „Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.“ Das sind wunderbare Bilder dafür, wie vorsichtig, sanft und liebevoll Jesus agiert.
Der Gottesknecht bringt Gottes Recht, aber er tut es voller Barmherzigkeit gegenüber jedem, der anerkennt, wie schwach und hilfsbedürftig er ist.
Ist das nicht eine frohe Botschaft? Zumindest eine frohe Botschaft für jeden, der sich nicht für stark und gerecht hält.
Wenn ich mich vor Gott sehe – mit all meiner Schuld, mit all meiner Schwachheit und mit all meinem Versagen im Kampf gegen Versuchungen – dann ist es tröstlich, diese Worte zu hören. Der Gottesknecht, der Herr Jesus, kommt nicht, um mich oder uns plattzumachen. Er sieht uns, und das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.
Wir sehen, wie Jesus das gelebt hat, als eines Tages eine Ehebrecherin vor ihn gezerrt wurde. Er sah sie voller Barmherzigkeit an. Er sah sie mit ihrer Sünde und zugleich die selbstgerechten Ankläger. Zu ihnen sprach er: „Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.“ Nachdem ein Ankläger nach dem anderen davongegangen war, wandte sich Jesus der Frau zu und sagte zu ihr: „Ich verdamme dich auch nicht. Geh hin und sündige hinfort nicht mehr.“
So ist Jesus. Ich weiß nicht, wo du dich in dieser Geschichte wiederfindest und ob du dich überhaupt darin wiedererkennst – egal, ob du dich selbst eher wie die Ehebrecherin oder eher wie einer der Ankläger siehst. Ich hoffe, du erkennst, wie Jesus hier allen gegenüber voller Barmherzigkeit handelt.
Er zeigt den Menschen ihre Sünde auf, ohne sie zu verdammen. Er schreit weder die selbstgerechten Ankläger an mit Worten wie: „Was seid ihr für widerliche Heuchler!“ – das tut er nicht. Noch weist er die Frau ab mit Worten wie: „Weg mit der Hure!“ Nein, sanftmütig und liebevoll sieht er das geknickte Rohr.
Er sieht auch diese Ankläger, die so blind sind für ihre eigenen Sünden, und überführt sie mit seinen klugen, sanften Worten. Und er sieht die Ehebrecherin und zeigt ihr Barmherzigkeit. So ist der Herr Jesus.
Wenn du heute hier bist und noch nie wirklich zu diesem Gottesknecht gekommen bist, hast du dich ihm vielleicht noch nie wirklich zugewandt. Vielleicht bist du schon lange in dieser Gemeinde und weißt viel von Jesus, aber dich ihm noch nie wirklich anvertraut hast.
Dann höre die Einladung, die wir vorhin schon gelesen haben: Jesus sagt: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid. Ich will euch erquicken. Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig. So werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen, denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht.“
Das ist Jesu Einladung an dich: Bring ihm all deine Sündenlast und alle anderen Lasten. Erlebe, wie er dich erquicken will. In seiner Sanftmut und Demut nimmt er dir, was dich zerstören will, und gibt dir Ruhe und Frieden. Er schenkt dir all das, wonach sich deine Seele wirklich sehnt.
Komm unter sein Joch. Erlebe, dass sein Joch, seine Herrschaft gut ist, dass sein Recht gut ist. Lerne mehr und mehr danach zu leben, nach seinen Geboten. Lerne diesen sanftmütigen, demütigen Gottesknecht besser kennen, vertraue dich ihm an und folge ihm nach.
Komm weiter und lerne mehr über ihn hier in den Gottesdiensten. Komm mit uns ins Gespräch, damit wir dir helfen können, ihn besser kennenzulernen und zu erleben, wie gut es ist, wirklich in Beziehung mit ihm zu leben. Du hast einen treuen Diener an deiner Seite, der mächtig ist und zugleich sanftmütig und barmherzig.
Lieber Christ, auch du bist eingeladen, immer wieder zu diesem Gottesknecht zu kommen. Wende dich ihm im Gebet zu, bekenne ihm deine Sünden und bring ihm, was dein Herz schwer macht. Bei ihm findest du immer wieder Barmherzigkeit und Hilfe in jeder Not.
So ist der Gottesknecht – ganz anders als alle anderen.
Viele Menschen denken, dass Demut, Sanftmut und Barmherzigkeit Zeichen von Schwäche sind. Trägt man einem solchen Gottesknecht dann überhaupt zu, etwas zu verkünden? Man fragt sich, ob er wirklich das Recht in aller Welt aufrichten kann.
Vers 4 beantwortet diese Frage, und das ist der letzte Punkt dieser Predigt. Dort heißt es: „Er selbst wird nicht verlöschen und nicht zerbrechen, bis er auf Erden das Recht aufrichte, und die Inseln warten auf seine Weisung.“
Wir sehen also: Der Gottesknecht wird seinen Auftrag erfüllen. Er bringt das Recht bis an die Enden der Erde. Er wird es auf Erden aufrichten. Dann wird wieder das Wort „die Inseln“ verwendet. Das klingt zunächst etwas verwirrend, bedeutet aber die fernliegendsten Orte. Selbst sie warten schon darauf, dass er kommt.
Doch wie wird er das tun? Wie wird er das Recht aufrichten? Jesaja verrät uns das hier noch nicht, das wird später erklärt. Wir dürfen aber wissen, dass Jesus Christus das getan hat – trotz vieler Widerstände. Er war auch wie ein Rohr, das geknickt war und das viele versucht haben abzubrechen. Er war auch wie ein glimmender Docht, den viele auslöschen wollten. Doch er ließ sich nicht aufhalten.
Er ging seinen Weg und verkündete den Menschen das Recht Gottes. Er lehrte sie, was in Gottes Augen wirklich Recht ist. Das haben wir gerade schon in der Textlesung gehört, zum Beispiel in Matthäus 12, wo er das falsche Rechtsverständnis der Menschen korrigiert. Die Menschen wollten ihn umbringen, weil er das Recht Gottes brachte.
Doch er brachte das Recht nicht nur durch seine Verkündigung. Er lebte auch als derjenige, der dieses Recht in die Welt brachte – in seiner Person. Er allein erfüllte das göttliche Gesetz in allem. An ihm allein hatte Gott der Vater zu allen Zeiten vollkommenes Wohlgefallen.
Während die Welt um ihn herum ungerecht war, blieb er gerecht. Dann ging er ans Kreuz und nahm das Unrecht, die Sünden der Welt, auf sich. Er ertrug die gerechte Strafe dafür.
Der Gottesknecht kam nicht, um sich dienen zu lassen, sondern um uns zu dienen und sein Leben als Lösegeld für viele zu geben. So bringt er das Recht in diese Welt, indem er das Unrecht der Welt auf sich nimmt.
Er bietet jedem, der sich ihm zuwendet, an, dass seine Gerechtigkeit uns zugerechnet wird. So sind wir im Recht. Erst dann ruft er am Kreuz aus: „Es ist vollbracht.“
Man sieht, dass das Bringen des Rechts Gottes uns letztlich zum Evangelium führt. Das Recht kommt mit dem Evangelium, denn nur durch das Evangelium können wir unter das Recht Gottes kommen. Sonst bleiben wir immer im Unrecht.
Wenn er unser Unrecht auf sich nimmt, die Strafe bezahlt und uns, weil wir uns ihm anvertrauen, seine Gerechtigkeit zurechnet, stehen wir im Recht. Das Recht kommt zu den Menschen.
Dann zeigt der Vater, dass er nicht zu viel versprochen hat, als er in Vers 1 sagt: „Ihn halte ich.“ Er hält ihn und lässt ihn nicht fallen. Auch der Tod kann diesen Gottesknecht nicht auslöschen oder zerbrechen.
Der Vater bringt ihn zurück von den Toten – am dritten Tag ist er auferstanden.
Bevor der Knecht Gottes, der geliebte Sohn Gottes, in die Gegenwart seines Vaters zurückkehren darf, gibt Jesus seinen Jüngern – denen, die sich ihm anvertrauen – noch einen Auftrag.
Dieser Auftrag besteht darin, dass wir nun in seinem Namen sein Recht, das Recht Gottes, in aller Welt aufrichten sollen. Wir Christen sind dazu berufen, zu allen Völkern bis an die Enden der Erde zu gehen.
Was sollen wir tun? Wir sollen Menschen zu Jüngern machen. Das heißt, wir sollen sie in das Recht Gottes hineinrufen. Wir sollen sie taufen und damit symbolisieren, dass sie von ihrem Unrecht abgewaschen sind, ihre Schuld vergeben wurde, dass sie rein sind und im Recht stehen. Zudem sollen wir sie lehren, entsprechend dieses Rechts zu leben, indem wir sie anleiten, alles zu halten, was Jesus uns geboten hat.
Wir tun dies, damit sein Werk vollendet wird. Denn der Gottesknecht hat sein Werk noch nicht abgeschlossen, und die frohe Botschaft vom Recht Gottes ist noch nicht an die äußersten Enden der Erde gelangt.
Deshalb gibt Jesus uns jetzt das, was der Vater ihm einst gegeben hat. Auf alle seine Nachfolger gibt er seinen Heiligen Geist, sodass wir nun in der Kraft des Geistes gehen und in seinem Namen seinen Auftrag ausführen können.
Er ist bei uns und richtet das Recht bis an die Enden der Erde durch uns auf.
Nun erleben wir Leben in der Adventszeit, in der Zeit des Wartens – Warten auf die Wiederkunft unseres Herrn. Das ist der Advent, in dem wir leben.
Nun stellt sich die Frage: Wie wollen wir diese Zeit nutzen? Was wollen wir in dieser Zeit tun? Rückzug, Kerzenlicht und Kekse? Laute Auseinandersetzungen und Kampf? Oder ganz im Sinne des Gottesknechtes hingehen zu den Menschen – in Barmherzigkeit und Sanftmut? Hingehen mit der Herzenshaltung Jesu, nicht im Geschrei, nicht besserwisserisch, nicht von oben herab, sondern im Wissen darum, dass wir selbst nur Kinder Gottes sein können und Diener des Allmächtigen sind, weil er uns in seiner Barmherzigkeit angenommen hat.
Wollen wir weitersagen von dieser Barmherzigkeit? Wollen wir sie zu den Menschen tragen? Siehst du, wie du Teil sein kannst von der Erfüllung der Verheißung Gottes aus Jesaja 42? Diese Verheißung möchte uns ermutigen, vielleicht diese kurze Adventszeit im Kirchenjahr zu nutzen, um darüber zu beten und nachzudenken.
Wie will Gott uns gebrauchen in der langen Adventszeit – wie lang auch immer sie sein mag? Wie will der Herr uns gebrauchen, um das Recht zu bringen, zu allen Völkern bis an die Enden der Erde?
Und dann, dann wird er kommen. Er wird kommen, um zu richten die Lebenden und die Toten, und er wird das Recht Gottes vollkommen aufrichten. Dann, ja dann wird alles Unrecht ein Ende haben.
Möge dieser Tag bald kommen, denn nur so – nur so kommt das Recht und die Gerechtigkeit, nach der wir uns wirklich sehnen.
Ich bete mit uns: Himmlischer Vater, danke für dieses Wort, für die Verheißung vom kommenden Gottesknecht. Herr, wir können uns vorstellen, dass Jesaja selbst nicht genau wusste, von wem und aus welcher Zeit er hier spricht, als er dieses prophetische Wort weitergab.
Aber danke, dass du es uns offenbart hast und dass du uns den Herrn Jesus Christus gesandt hast, der der Gottesknecht ist. Danke, dass er voller Barmherzigkeit und Sanftmut gekommen ist.
Danke, dass wir deshalb nicht fliehen müssen – was wir sowieso nicht könnten –, sondern zu dir kommen dürfen, als mühselig und beladen, und bei dir Ruhe für unsere Seelen finden.
Danke, dass wir durch Jesu Leben und Sterben Gerechtigkeit haben, nicht in uns selbst, sondern von dir zugerechnet. Hilf uns nun, immer mehr in dieser Gerechtigkeit zu wachsen. Hilf uns, treue Boten zu sein, damit wir Werkzeuge sind, durch die der Herr Jesus Menschen zu sich ruft – von den Enden der Erde bis zu deinem Kommen.
Amen.