Einführung: Versöhnung als Grund der Gemeinschaft
Fremden Völkern herzlich nah, weil Versöhnung uns geschah.
Hier einige Gedanken von Pfarrer Winrich Schäffbuch aus Stuttgart zu diesem Thema. Seinen Vortrag haben wir bei den Mülheimer Bibeltagen im vergangenen Jahr aufgezeichnet. Zunächst hören wir Verse aus dem zweiten Kapitel des Epheserbriefs.
Darum denkt daran, dass ihr, die ihr einst von Geburt Heiden wart – das sind wir, die Nichtjuden, die Goyim, die Heiden und die Unbeschnittenen genannt wurden –, von denen, die äußerlich beschnitten sind, dass ihr zu jener Zeit ohne Christus wart, ausgeschlossen vom Bürgerrecht Israels und Fremde außerhalb des Bundes der Verheißung.
Daher hattet ihr keine Hoffnung und wart ohne Gott in der Welt. Ohne Jesusgemeinde sind wir verlorene Leute, ohne Hoffnung.
Jetzt aber, in Christus Jesus, seid ihr, die ihr einst fern wart, nahe geworden durch das Blut von Christus. Denn er ist unser Friede, der aus beiden eins gemacht hat und den Zaun abgebrochen hat.
Dazwischen war nämlich die Feindschaft. Durch das Opfer seines Leibes hat er das Gesetz mit seinen Geboten und Satzungen abgetan, damit er in sich selbst aus den Zweien einen neuen Menschen schaffe und Frieden mache. Er versöhnte die beiden mit Gott in einem Leib durch das Kreuz, indem er die Feindschaft durch sich selbst tötete.
Er ist gekommen und hat im Evangelium Frieden verkündet – euch, die ihr fern wart, das sind die Heiden – und Frieden denen, die nahe waren, das sind die Juden. Denn durch ihn haben wir beide in einem Geist den Zugang zum Vater.
So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen.
Er baut auf dem Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist, auf welchem der ganze Bau ineinandergefügt wächst, zu einem heiligen Tempel in dem Herrn.
Durch ihn werdet auch ihr miterbaut zu einer Wohnung Gottes im Geist. Im Altlutherischen hieß es: zu einer Behausung Gottes im Geist.
Die Vergänglichkeit äußerer Gemeindestrukturen und die Bedeutung des lebendigen Leibes Christi
Eine schöne Urlaubszeit gehört zu den Höhepunkten unseres Lebens. Ganz gleich, ob Sie an der See waren, in den Bergen oder Kunstwerke besichtigt haben – im Urlaub kann man viel erleben.
Manche haben eine Schnäppchenreise mit Skibo oder Ögertours gemacht. Die Türkei ist derzeit sehr günstig, und so kommt es, dass heute fast jeder irgendwann einmal dorthin reist. Meist besucht man auch Ephesus, wo die Ausgrabungen dieser alten antiken Stadt sehr beeindruckend sind. Man sieht, wie die Menschen damals gebaut haben. Mit den kostbaren Marmorsteinen wurden prächtige Tempel errichtet. Das riesige Theater bot Platz für 24.000 Menschen. Der Grundriss des Artemistempels, der Domitiantempel, die Brunnen und die Geschäfte sind noch erhalten. Sogar die schändlichen Stätten der Sünde sind sichtbar.
Nun fragt man sich: Wo ist eigentlich die Ephesische Gemeinde? Dort müsste doch auch eine Spur sichtbar sein. Tatsächlich gibt es einige Spuren, aber diese stammen aus einer Zeit 300 bis 400 Jahre später. Zu dieser Zeit war die Kirche bereits verfallen, als das Räuberkonzil von Ephesus stattfand. Das kann also nicht die ursprüngliche Gemeinde Jesu gewesen sein.
Wo ist die Spur der Gemeinde Jesu von damals, dem Leib Christi, der alles in allem erfüllt? Von ihr sieht man keine Steine. Keine Riten, keine Traditionen – all das, was uns heute wichtig ist – ist nicht mehr vorhanden. Auch keine Namen sind geblieben.
Eine Gemeinde besteht aus Menschen, in denen Jesus seine Spuren hinterlässt. Es ist bedauerlich, dass es bei uns oft so wichtig ist, zu welcher Gemeinde man gehört. Namen, bestimmte Taufpraktiken, Traditionen und Rituale spielen eine große Rolle. Mitgliederverzeichnisse und Übertritte werden sehr beachtet. Für Jesus jedoch sind diese Dinge nicht entscheidend.
Er hat eine persönliche Beziehung zu Menschen. Viele, die nominell einer Gemeinde angehören, haben Jesus noch nie wirklich erlebt und keine Beziehung zu ihm. Deshalb bleiben sie auch außerhalb der Gemeinde fremd.
Gemeinde als geistliche Wohnung Gottes
Es gibt ein schönes Lied, das beschreibt, worum es geht: Irdische Tempel braucht Gott nicht, keine Dome, die Meister erbauen. Sie sind nur Schatten vor seinem Licht, das kein Auge sehen kann.
Doch er selbst baut sich ein Haus. Er wählt Menschen als Wohnung, die seinem Ruf gehorchen. Er kehrt in die ärmste Hütte ein und lässt uns dem Königswort lauschen, um Zeuge seiner Verklärung zu sein.
Wer wollte da sein Leben und seinen Geist tauschen? Das göttliche Wort aus seinem Mund heiligt die Hütte zum Tempel. Die Gemeinde kann man nur von dort her verstehen: dass Jesus unter Menschen wirkt, mächtig wirkt.
Paulus fügt in diesem Abschnitt hinzu: Durch sein Blut. Ich weiß, wie manche immer wieder die Nase rümpfen, wenn das Thema aufkommt. Sie sagen, es sei unappetitlich, sogar schrecklich unappetitlich, dass Jesus sein Leben für verlorene Menschen gegeben hat.
Und dass die Schuld und Sünde meines Lebens nicht anders gesühnt werden kann als durch das Opfer von Jesus am Kreuz.
Gemeinde als Heimat für Heimatlose
Deshalb möchte ich zunächst darüber sprechen, dass Gemeinde Heimat für heimatlose Menschen ist.
Schauen Sie sich noch einmal Vers 11 an: Wo wären wir ohne die Jesus-Gemeinde? Wo wären wir fern von Gott? Wir haben Heimat gefunden, obwohl wir zuvor heimatlos waren. Sie können durch die ganze Welt ziehen und werden nur eine Heimat finden, die mit ihrer elterlichen Heimat vergleichbar ist – eine Heimat, die diese sogar weit in den Schatten stellt. Das ist ein Vorgeschmack auf den Himmel, auf die Ewigkeit, denn der ewige Gott tritt durch Jesus in unser Leben und wirkt unter uns.
Früher waren wir ausgeschlossen, als wir noch nicht dazugehörten. Denken Sie jetzt nicht an äußere Dinge, wie zum Beispiel daran, dass Sie sich an einer Gemeinde stoßen oder sagen: "Ich gehöre zu dieser, aber nicht zu jener Gemeinde." Es geht immer um die Beziehung zu Jesus. Wir waren fern, und dann hat uns Jesus wieder zu Gott gebracht. Er hat uns ins Licht Gottes gestellt, in seine Gegenwart. Darum geht es doch.
Oft haben wir diese Gemeinschaft gar nicht gefunden, auch nicht die herzliche Gemeinschaft. Es ist ein großes Sehnen danach. Dann stellt sich die Frage: Wie können wir Gemeinschaft erleben? Ich habe das vielfach erlebt, besonders wenn man lange im verkündlichen Dienst steht. Man organisiert viele Aktionen: Wir müssen eine Freizeit machen, eine Kaffeetafel richten, jetzt eine weitere Aktion – alles, um die Leute irgendwie zusammenzubringen. So bekommt man aber keine geistliche Gemeinschaft in der Gemeinde.
Denn das Fehlen von Gemeinschaft, das wir oft empfinden, ist kein organisatorisches Problem. Es liegt nicht daran, dass es an Unterhaltern fehlt, die das auf originelle Weise gestalten können. Es ist ein geistliches Problem. Erst wenn Christus im Leben der Menschen wirkt, kann echte Gemeinschaft entstehen.
So war es doch auch bei Ihnen: Sie haben Christus erkannt, Menschen gefunden, mit denen Sie beten konnten, und von der gleichen Erfahrung gesprochen, wie Jesus in Ihr Leben eingegriffen hat. Das war wunderbar.
Persönliche Begegnungen als Zeugnis der verbindenden Kraft Jesu
Ich war ein junger Student. Wir waren wandern und wollten in Dußlingen bei Tübingen zum Gottesdienst gehen. Es ist ja gut, wenn man den Sonntag nicht zum Werktag macht.
Wie es dann so ist, kamen wir gerade richtig zur Predigt und setzten uns hinten hin. Dort saß ein alter Bauer mit einem Schnauzbart. Er stupste mich immer wieder an und wollte, dass ich in seinem Testament mitlese. Schließlich schaute ich hinein und wunderte mich: Es war ein englisches Testament. Wie kommt der Bauer zu einem englischen Testament?
Nach dem Gottesdienst fragte ich ihn. Er erzählte vom Ersten Weltkrieg. Er war in der Schlacht bei Ypern mit seiner Kompanie, von der nur noch vier übrig geblieben waren. Dann kam er in englische Kriegsgefangenschaft. Dort wurden sie zum Baumfällen eingesetzt.
Ein Wachsoldat pfiff plötzlich ein Lied, ich glaube, „Welcher ein Freund ist unser Jesus“. Der Bauer pfiff mit. Dann erzählte er, wie sie sich als Feinde ansahen. Der Engländer sagte zu ihm auf Englisch: „Du bist mein Feind, aber in Jesus bist du mein Freund.“ Er schenkte dem Bauern sein zerlesenes Neues Testament.
Der Bauer hatte dieses Testament bis ins hohe Alter. Es zeigte ihm, wie die Gemeinde von Jesus sich ereignet und wie man sie erlebt. Jesus verbindet uns.
Stolz und Trennung überwinden durch Christus
Es gibt so vieles, worauf wir stolz sein können. In der Gemeinde gibt es jedoch oft viel Trennendes. Warum ist das so? Wir sind stolz, weil wir sagen, wir sind Akademiker, oder wir sind klüger als die anderen. Manchmal meinen wir, wir seien musikalisch moderner als andere. Dadurch neigen wir dazu, auf andere herabzusehen.
Es hat mir sehr wehgetan, als einmal eine Kirchengemeinderätin sagte, in evangelikalen Gemeinden gelte eine Frau nichts. Das ist furchtbar, wenn solche Dinge wahr sind. Es gibt also viel Trennendes zwischen uns.
Wenn wir aber wirklich auf Christus blicken, dann können diese trennenden Mauern nicht mehr existieren. Paulus sagt, Christus hat all diese Mauern weggebrochen – auch die Mauern zwischen Juden und Heiden.
Ach, wie stolz waren die Juden! Man hört es noch aus dem Tonfall des Paulus: „Ich bin ein Benjaminiter, ich bin ein Pharisäer, ich komme aus edlem Stamm, habe eine reiche Tradition und habe unsträflich im Gesetz gewandelt.“ Doch Jesus hat ihm all das weggenommen.
Paulus sagt: „Ja, ich will mich nur noch rühmen des Kreuzes von Jesus.“ Wenn in der Gemeinde irgendetwas anderes wichtiger ist als das Kreuz von Jesus, dann ist das furchtbar. Dann gibt es keine Jesusgemeinde.
Auch die Theologie kann nicht über dem Kreuz stehen. Sie wird unter dem Kreuz von Jesus zerbrochen. Uns eint nur eines: Wir gehören zusammen. Der Klebstoff der Gemeinde ist die Gemeinschaft, die daraus entsteht, dass wir auf Christus blicken und ihn erkennen.
Mission und Überwindung von Vorurteilen
Mich hat früher, als ich noch bei der Organisation Licht im Osten in Russland tätig war, während der Zeit der stalinistischen Christenverfolgung, immer interessiert: Wie gelangt das Evangelium zu diesen zentralasiatischen Völkern?
Das sind riesige Volksgruppen, unter denen bisher kaum Mission betrieben wurde: Kirgisen, Kasachen, die Uiguren, Turkmenen, Usbeken und viele weitere. Wenn man die Russlanddeutschen immer wieder fragte, warum sie nicht als Missionare zu diesen Völkern gingen, antworteten sie oft: „Die würde ich nie im Auto mitnehmen.“
Warum denn? „Die stinken.“ Das ist eine merkwürdige Sache: Wir nehmen den Geruch der anderen wahr, vergessen aber, dass jedes Volk eine eigene Ausstrahlung hat. Wir riechen unsere westliche Ausdünstung nicht, leiden aber unter anderen Völkern und sagen: „Das ist ganz hochmütig, ich kann den nicht riechen.“
Als der eiserne Vorhang 1989 fiel, waren es einige Russlanddeutsche, die sich nicht abwandten. Kennen Sie Heinrich Voth und Franz Thiesen? Was für Männer das sind! Sie verzichteten auf alle Annehmlichkeiten des Westens und sagten: „Wir gehen jetzt zu unseren Volksgenossen.“
Ich erinnere mich, wie ich Heinrich Voth das erste Mal traf. Er erzählte mir: „Ich frage ihn: Gibt es jetzt eine kirgisische Gemeinde? – Nein, schon drei!“ Als ich ihn später wieder traf, sagte er: „Es sind über zweihundert, nur Kirgisen unter den Kasachen.“
Der Dienst unter den Usbeken hat gerade erst begonnen. Dort werden keine Lizenzen von der Regierung erteilt, und es gibt Christenverfolgung. Die Gläubigen unter den Usbeken brennen aber dafür.
Vor kurzem traf ich einen Pfarrer, der mit drei Jeeps auf einer Seitenstraße unterwegs war. Er berichtete: „In Samarkand gibt es zehn usbekische Gemeinden, weil einige ihren Hochmut abgelegt und sich den Menschen zugewandt haben, die sie vorher nicht ertragen konnten.“
In der Gemeinde Jesu geht es darum, dass wir zusammengestellt sind, um ihm zu dienen und sein Reich zu bauen. Er demütigt uns; das ist in der Versammlung der Gemeinde wichtig. Er ist unser Friede, und das muss über unserem ganzen Leben stehen – Jesus allein.
Die verbindende Kraft des Kreuzes und der Zugang zu Gott
In meines Herzens Grunde funkelt dein Name und Kreuz allein allzeit und Stunde. Darauf kann ich fröhlich sein. Es erscheint mir zum Bilde, zum Trost in meinem Tod, wie du, Herr Christ, so milde dich hast geblüht zu Tod.
Das verbindet uns: Wir haben Zugang zu Gott durch den gekreuzigten Jesus.
Ob sie nach Bali gehen, gibt es dort nur sehr wenige Christen. Im Bali Beach Hotel hat sich die Gemeinde versammelt. Es waren fünf Leute da, darunter der Hotelmanager eines Hotels mit über tausend Betten.
Ein junger Deutscher hat so Jesus gefunden und erzählt seine Geschichte: „Mein Großvater hat das KZ Auschwitz geleitet und über zehntausend Menschen umgebracht. Aber hier, unter den fünf Leuten im Bali Beach Hotel, habe ich Jesus gefunden.“
Das ist das Geheimnis, wo Gemeinde erneuert wird und wächst, wo unser Stolz zerbricht, wo Jesus unser Friede wird und unser Leben heilt.
Gemeindeauswahl und Einheit trotz Verschiedenheit
Noch ein paar Fragen: Was bedeutet das praktisch heute?
Viele suchen sich die Gemeinde aus wie bei einer Brautschau. Sie fragen: Wer ist die schönste im ganzen Land? Wo darf ich mich anschließen? Viele kamen auch zu uns nach Stuttgart und sagten: „Jetzt habe ich schon sieben Gemeinden in Stuttgart ausprobiert. Es ist ja ganz interessant, was ich bei euch in der Hofhacker Gemeinde gesehen habe, aber ich suche noch mal weiter.“
Das ist furchtbar, wenn jemand so in seinem Stuhl sitzt und denkt. Dabei soll ich doch jede Stelle dankbar wahrnehmen, wo mir Christus begegnet. Wo mir Türen zum Vater geöffnet werden und Zugang zum Vater geschaffen wird.
Es ist wunderbar, dass wir an so vielen Stellen und in so vielen Denominationen den gekreuzigten Jesus finden. Dass wir über die Zäune hinweg zusammenfinden. Gott will keine Einzelkinder. Gott will keine Solisten haben. Er möchte, dass wir ein Herz und eine Seele sind in ihm und in seinem großen Opfer.
Bei einer großen Kirchenkonferenz gab es die üblichen Spannungen. Die verschiedenen Meinungen, Bekenntnisse und Theorien schlugen gegeneinander vor. Dann war es ein Evangelist aus Ceylon, der aufstand und in die Versammlung rief: „Don't look on us, look on him!“ – „Guckt doch weg von euch, guckt auf Jesus!“
Wenn uns das wieder miteinander eint, trotz aller Verschiedenheiten, die wir haben, dann lasst uns dort zusammenstehen, wo Jesus seine Gemeinde hat.
Ehe und geistliche Gemeinschaft als Spiegel der Gemeinde
Noch ein Problemfeld sind die jungen Ehen. Ich leite heute mit, wie viele junge Ehen auseinandergehen. Ich habe mit vielen gesprochen, um herauszufinden, warum auch bei Gläubigen so viele Ehen scheitern.
Ein Mann, der sich auskannte und viele Paare getraut hat, sagte mir, die jungen Leute meinen, wenn sie beten, klappt alles. Das ist ein merkwürdiger Automatismus. Man bildet sich ein, geistlich zu sein.
Die geistliche Haltung zeigt sich jedoch daran, ob man in einer Ehe – und jede Ehe ist voller Spannungen und Gegensätze, ähnlich wie eine Gemeinde – im entscheidenden Punkt miteinander auf die Knie gehen kann.
Ich bin dankbar, dass ich vom ersten Tag der Verlobung mit meiner Frau oft auf die Knie gehen konnte. Dabei sagte ich nicht „Aber du“, sondern „Verzeih mir, ich sehe vor Jesus so viele Mängel“. Es wundert mich, dass du mich geheiratet hast. Aber Jesus lässt mich nicht los.
Wir haben diese gemeinsame Segensgeschichte, die uns in der Ehe verbindet. Ebenso verbindet sie die Jungen und die Alten in der Gemeinde sowie die Menschen, die anders denken. Diese Mitte verbindet uns.
Paulus’ Mut zur Überwindung äußerer Vorschriften
Welch einen Mut hatte Paulus, dass er die ganzen alttestamentlichen Reinheitsvorschriften einfach wegließ. Man kann doch nicht einfach die Beschneidung abschaffen und behaupten, sie sei nicht wichtig. Wie war das denn im Alten Bund mit den Reinheitsgesetzen des Mose?
Paulus wollte das Kreuz von Jesus viel beherrschender machen als all die äußeren Dinge. Und genau das wollen wir uns wieder aneignen. Wo haben wir heute noch die Gelegenheit, miteinander auf die Knie zu gehen und das Wunder zu bestaunen, dass Jesus sich nicht schämt, unser Bruder zu sein?
Wir, die wir doch so viel falsch machen, und dass er einen neuen Menschen aus uns machen will – da steht das Wort von den Heiligen. Ich kenne viele Leute, die sagen: „Das will ich gar nicht sein.“ Fritz von Bodelschwing hat einmal erzählt, dass ihn als Kind das Wort „Heilige“ immer gestört hat. Er dachte, es müsse furchtbar unbequem sein, wenn man so einen Deckel herumtragen und mit Heiligenschein herumlaufen müsste.
Bis er dann begriff: Halt mal, die Heiligen sind ganz normale Menschen des täglichen Lebens, voller Mängel und Schwächen. Aber Gott hat in seiner Güte seine großen Taten durch diese schwachen Leute vollbracht.
Persönliche Begegnungen mit Glaubenshelden und Liedern
Ich habe heute zum ersten Mal in meinem Leben auf dem Weg nach Mettmann kurz Station gemacht. Ich wollte einmal im Leben das Neandertal besuchen. Dort ist der junge, 24-jährige Joachim Neander gewandert. Er hatte eine Lateinschule, eine kleine Privatschule, ich glaube, es waren nur zwei Klassen.
Doch die Eltern haben ihn gemobbt und verdrängt. Er hat kaum Spuren hinterlassen, denn er war gescheitert. Mit 30 Jahren starb er. Eigentlich war er eine Niete, wenn man es so betrachtet.
Was hat Joachim Neander uns geschenkt? Die Lieder "Lobe den Herrn, den mächtigen König der Ehren" oder "Sieh hier bin ich, Ehrenkönig". „Fülle mein Leben, mach du aus meinem Leben etwas.“
Das Geheimnis einer Gemeinde ist, dass der Herr die Gemeinde baut. Wir sagen oft: „Ich will meine Gemeinde bauen.“ Doch heute reden wir viel darüber, was wir machen. In Wirklichkeit will der Herr seine Gemeinde bauen – gerade in diesen Tagen.
Er macht neue Menschen. So ist es geschehen in der Erweckung in Uganda, so ist es in China. Wir werden später noch davon hören, wie es in Russland und überall geschieht. Menschen kommen zusammen, über Standesgrenzen hinweg. Sie bekennen einander: „Verzeih mir, ich hatte Hochmut, ich will ihn ablegen. Ich habe schlecht über dich geredet, ich will es nicht mehr tun.“
Das soll uns verbinden. Jesus – welche wunderbare Familie! Wir sind jetzt Hausgenossen. Wir sind Hausgenossen mit den Heiligen und auf dem Grund der Apostel und Propheten. Wir sind Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen. Welch eine tolle Familie!
Apostel und Propheten als Fundament der Gemeinde
Die Apostel – denken wir zum Beispiel an Petrus. Was für ein Mann war das! Er trug ein Schwert bei sich. Ich hoffe, dass niemand von Ihnen einen Kalaschnikow dabei hat. Petrus war ein rauer Geselle, der zugeschlagen hat, wenn es nötig war. Er war ein Schlägertyp.
Doch Jesus hat sein Leben geheiligt und in seinen Dienst genommen. Petrus war jemand, der Jesus verleugnet hat – von Verbindlichkeit keine Spur. Heute hätte er in vielen Gemeinden wahrscheinlich keinen Platz gefunden. Trotzdem hat Jesus ihn gebraucht. Dieses Geheimnis zeigt: Wir gehören mit hinein in diese Gemeinde.
Was sind denn die Propheten? Manche sagen, es sind die Propheten, die damals in der urchristlichen Gemeinde lebten. Ich neige jedoch der Meinung zu, dass damit die ganze reiche Tradition der alttestamentlichen Propheten gemeint ist. Vor Gottes Wort erzittert man in dieser Tradition.
Gemeinde ist ein Ort, an dem man mit den Propheten leidet unter der Schuld. Hier kann man das Wunder wieder begreifen, dass Gott zu uns redet. Man spricht nicht nur vom lieben Gott in einer verkürzten Weise, sondern weiß, dass Gott ein heiliger Gott ist, der richtet.
Wir gehören mit dazu. Dort, wo ein Johann Sebastian Bach, eine Eva von Thiele-Winkler, ein Fritz von Bodelschwing, ein Zinzendorf und ein Paul Gerhard wie ein Jeremia und ein Samuel waren – lauter Menschen. Und Gott will auch aus unserem Leben etwas machen.
Welch eine Tradition der Heilsgeschichte!
Gemeinde als geistliche Behausung Gottes
Lassen Sie mich mit einem Gedanken schließen, der hier ganz am Schluss steht: von der Behausung Gottes.
Ich komme aus Stuttgart und wohne jetzt in Häslach, unserem Arbeiterviertel. Als Lenin 1907 in Stuttgart war, wohnte der große Revolutionär natürlich in Häslach. Wir haben dort einen Ausländeranteil von 80 Prozent. Ich wohne in dieser Ecke Stuttgarts, die als schwieriges Wohngebiet gilt.
Aber die Schwaben, die noch dort leben, verstehen Gemütlichkeit – wenn sie wissen, was Gemütlichkeit ist. Dort feiern sie jetzt die sogenannte Hocketze. Man kann das kaum übersetzen. Die Leute sitzen auf Bänken und Schrannen, trinken Bier und essen. Dann spielt die Blasmusik auf. Das ist die Hocketze oder das Anna-Schäufele-Fest. Da fühlt man sich wohl, wie bei einem Vereinsfest. Da kommt Stimmung auf.
Viele sagen, die Gemeinde müsste eigentlich auch so ein Wohlfühlverein sein, wo man sich fühlt wie bei der Hocketze, beim Anna-Schäufele-Fest oder beim Kaninchenzüchterverein. Ist eine Gemeinde ein Wohlfühlverein?
Das ist das schlimmste Missverständnis. Auch wenn Sie sagen, wir tauschen die Volkslieder gegen eine Lichtorgel aus, machen neue Musik und nehmen eine Band – es geht gar nicht darum, ob wir uns in der Gemeinde wohlfühlen. Das ist eine völlige Verkennung.
Ich kenne das nicht im Neuen Testament. Entscheidend ist, ob Gott sich wohlfühlt unter uns. Gott will seine Behausung hier in unseren Gemeinden machen, seine Behausung im Geist.
Und wenn wir sagen, Gott ist gegenwärtig, erschrecken wir. Kein einziger von uns ist rein und geheiligt genug, um Gott empfangen zu können. Wir wollen die Unruhe wiederbekommen. Kann Gott wirklich in unseren Versammlungen Wohnung machen?
Er will das, er will das Andere wegnehmen – den Schmutz und den Dreck. Er will uns durchdringen und heiligen. Er will eine Jesusgemeinde bilden.
Gemeinde als Ort der Erneuerung und des Glaubenswachstums
Wie vor Jahrhunderten der Gardiner einst nach Feuerland ausgezogen ist, hat Charles Darwin gesagt, dass Feuerland von den Pescheren bewohnt wird. Diese Tiere seien eigentlich zu keiner Veredelung mehr fähig.
Doch der Gardiner ist hinausgegangen und dort gestorben. Aus dieser Tat entstand eine Gemeinde. Der kritische Freigeist Charles Darwin sagte, er wäre stolz, wenn er sich als Ehrenmitglied ihrer Mission zählen dürfte.
In dem Leben der Menschen ist etwas verändert worden, weil Gott mächtig wirkt in diesen Tagen an verlorenen, sündigen Menschen. Darum gehören wir zur Gemeinde, zur Kreuzgemeinde, wo Jesus wirkt. Jesus will etwas Neues schaffen, einen neuen Menschen machen. Er will Einheit schaffen, Versöhnung und Frieden.
Ein großer Bibelausleger, Martin Lloyd-Jones, sagte einmal: Frieden gibt es in der ganzen Welt nicht wirklich, es gibt nur einen Ausgleich der Gegensätze. Auch heute werden wir noch erleben, wie die Friedlosigkeit der Völker viel verheerender über uns liegen wird.
Er sagte, das liegt daran, dass Menschen einfach nicht von ihren Positionen abrücken können. Nur dort, wo das Kreuz von Jesus erkannt und geglaubt wird, gibt es wirklich Frieden.
Dann können verfeindete Nationen sich versöhnen, jesusgläubige Menschen zusammenkommen und Frieden schaffen. Das will Jesus in unseren Tagen tun – auch unter uns durch seine Gemeinde.
