Ich habe bei der Reformation stehen geblieben, und daran möchte ich jetzt anknüpfen. Bei der Reformation unterscheiden wir eigentlich vier große Gruppen, die jeweils unterschiedliche Interessen verfolgen.
Die erste Gruppe ist selbstverständlich die katholische Kirche. Ihr Interesse ist es, die gesamte politische und kirchliche Macht in ihren Händen zu behalten. Das ist das hauptsächliche Motiv, das ihr Handeln gegenüber anderen Personen bestimmt. Es geht also nicht wirklich darum, ins Gespräch zu kommen oder auf der Suche nach Wahrheit zu sein. Im Vordergrund steht der Machterhalt.
Das merkt man daran, wie man mit Luther und den anderen Reformatoren umgeht. Wo es möglich ist, versucht man, sie unter Druck zu setzen. Wo es nicht möglich ist, muss man halt auch mal miteinander sprechen. Das ist die Haltung der katholischen Kirche.
Ich habe auch darauf hingewiesen, dass die katholische Kirche aus dem Dilemma der Reformation ihre Schlussfolgerungen zieht. Darauf möchte ich später noch etwas näher eingehen.
Die zweite Gruppe sind die Lutheraner, also diejenigen, die der Reformation nach Martin Luther folgen. Heute nennen wir sie die evangelisch-lutherische Kirche. Manche meinen, alle Kirchen der Reformation seien lutherisch oder evangelisch. Das ist jedoch nicht richtig.
Wenn ihr zum Beispiel beim Einwohnermeldeamt seid und euch anmelden müsst, steht bei „ev“ nicht für „eingetragener Verein“, sondern für „evangelisch“. Evangelisch bedeutet aber normalerweise lutherisch.
Wenn ihr in der libyschen Landeskirche wärt, wären dort die meisten Menschen reformiert. Ich habe das schon kurz erwähnt. Die zweite große Gruppe sind also diejenigen, die die Reformation nach Martin Luther vertreten.
Die dritte Gruppe sind diejenigen, die sich reformiert nennen. Das ist heute die evangelisch-reformierte Kirche, nicht evangelisch-lutherisch, sondern evangelisch-reformiert.
Alle diese Gruppen zusammen nennt man im Allgemeinen Protestanten. Nun fragt ihr euch vielleicht, warum sie Protestanten heißen, obwohl sie doch eigentlich ganz friedlich sind und nicht auf die Straße gehen. Früher waren sie jedoch revolutionär, und so ist dieser Name entstanden.
Es gab den Reichstag von Augsburg. Ihr kennt ja vielleicht den Reichstag von Worms, den habe ich bereits erwähnt. Dort wurde Luther vorgeladen, und er sagte: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir.“
Einige Jahre später fand der Reichstag zu Augsburg statt. Dort versammelten sich diejenigen, die sich für die Reformation ausgesprochen hatten, also die Reformierten und Lutheraner. Sie protestierten gegen eine Stellungnahme des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation. Dieses hatte erklärt, dass die Reformation illegitim sei und verboten werden müsse.
Die Reformatoren legten daraufhin ihre Confessio Augustana, das Augsburger Glaubensbekenntnis, vor. Dieses gilt bis heute in der Kirche als anerkanntes Glaubensbekenntnis. Deshalb werden alle Gruppen der Reformation, die sich gegen die katholische Kirche stellten, als protestantisch bezeichnet.
Innerhalb der Reformation gab es verschiedene Strömungen. Die Lutheraner waren vor allem in Deutschland vertreten. Die Reformierten hatten ihren Schwerpunkt damals in der Schweiz. Dort kennen wir vor allem Zwingli, der in Zürich wirkte. Auch sein Nachfolger Bullinger ist bekannt, den manche vielleicht schon einmal gehört haben. Bullinger folgte Zwingli nach, nachdem dieser in der Schlacht von Kappeln gefallen war.
Zwingli musste sich militärisch gegen katholische Heere verteidigen, die versuchten, das Land und die Stadt zurückzuerobern. Außerdem gibt es Calvin, der die Stadt Genf reformierte. Dabei stand er nicht allein – man muss sich immer vorstellen, dass hinter solchen Bewegungen ein ganzes Team stand. Teamarbeit ist also keine Erfindung der Moderne, sondern gab es damals ebenfalls schon.
Den Anfang der Reformationsarbeit in Genf hat Guillaume Farel gemacht. In Deutschland ist er als Wilhelm Farel bekannt, doch er stammte aus Frankreich. Ebenso war Calvin kein Schweizer, sondern kam ebenfalls aus Frankreich. Er wuchs in der Normandie auf, nördlich von Paris, und absolvierte seine Ausbildung in Paris, zunächst als Jurist. Anschließend arbeitete er auch im Süden Frankreichs als Jurist.
Calvin kam zum Glauben, insbesondere durch den Kontakt mit den Schweizer Reformierten. Er legte daraufhin seinen Beruf als Jurist nieder. Eigentlich wollte er zunächst nicht Reformator der Schweiz oder von Genf werden, sondern wurde von Gott mehr oder weniger dazu gedrängt – und zwar im Namen von Guillaume Farel.
Farel fühlte sich eher als akademischer Theologe. Calvin hingegen war der Gelehrte, und das war er auch. Er schrieb einige Bücher, darunter die „Institutio“, die erste reformierte Dogmatik. Dieses Werk wurde damals in Basel veröffentlicht. Basel war zu dieser Zeit bereits reformiert, und zwar unter dem Reformator Johannes Oekolampad, der die Stadt Basel reformierte.
Calvin wollte ursprünglich nach Basel gehen. Doch der französische König Franz I., der gerade an der Grenze zu Deutschland stationiert war, verhinderte dies. Deshalb nahm Calvin den Umweg über den Süden, über Genf und die Grenze. In Genf übernachtete er nur kurz. In der Nacht, als er in seinem Hotelzimmer war, kam Jérôme Farel zu ihm und sagte, die Menschen in Genf seien sehr offen und wollten die Reformation annehmen.
Farel erklärte: „Aber ich allein schaffe das nicht.“ Er war ein mitreißender Prediger, aber kein guter Organisator. Das wusste er auch selbst. Deshalb versuchte er, Calvin zu überreden. Das gelang zunächst nicht. Schließlich beschwor er ihn regelrecht: „Wenn du jetzt nicht gehorchst, dann wird die Strafe Gottes auf dich kommen. Gott will, dass du hier bleibst.“
Diese Drohung beeindruckte Calvin sehr. In seinem Tagebuch schrieb er später, dass Farel so gesprochen habe, als ob Gott direkt vom Himmel zu ihm redete. Das überzeugte ihn, zu bleiben. Das war für die Reformation sehr wichtig, denn Genf war damals ein bedeutender Mittelpunkt der europäischen Reformation.
Die deutsche Reformation – nun kommen wir auf einige Unterschiede zu sprechen – war sehr stark auf den Landesherrn ausgerichtet. Luther setzte den Landesherrn als Ersatzbischof ein, der die Kirche bewahren sollte. Das funktionierte in Deutschland eigentlich ganz gut, führte jedoch dazu, dass ein ganzes Territorium lutherisch wurde.
In der Schweiz war das etwas anders. Dort betonte man stärker die Einzelverantwortung des Christen und damit auch sein Widerstandsrecht. Luther betonte stets: Sei der Obrigkeit untertan. Wenn die Obrigkeit etwas bestimmt, soll man nicht widersprechen. Diese Haltung wirkte sich bis in die Zeit des Nationalsozialismus aus. Während des Nationalsozialismus fiel es den evangelischen Deutschen schwer, Kritik an Hitler zu üben. Die Prägung lautete: Die Obrigkeit ist Obrigkeit, der Christ ist untertan, still und ruhig. Er soll über seine religiösen Angelegenheiten nachdenken, Politik ist ihm egal.
Bei Calvin und Zwingli war das ganz anders. Sie sagten, der Christ habe Verantwortung im öffentlichen Leben und solle Einfluss nehmen. In der Schweiz versuchten Zwingli und Calvin immer wieder, ihre Ideen über den Stadtrat einzubringen und die Politiker für christliche Reformen zu gewinnen. Das geschah jedoch nicht per Zwangsdekret von oben. In den Städten wurden die Menschen nicht gezwungen, reformiert, katholisch oder lutherisch zu werden. Es war eine freiwillige Entscheidung – ein großer Unterschied.
Calvin wollte den Staat mitprägen und gleichzeitig eine Freiwilligkeitskirche haben. Es kam vor, dass der Stadtrat ihm über mehrere Jahre nicht wohlgesonnen war und seine Vorschläge ablehnte. Er musste damit leben. Auch während der Zeit, in der er die Mehrheit im Stadtrat hatte, waren nicht alle ihm freundlich gesinnt. Es gab Opposition, Kritik und Diskussionen; manche wollten ihn sogar absetzen.
Eine Form passiver Demonstration gab es auch: Die Genfer nannten ihre Hunde Calvin. Man kann sich vorstellen, wie es war, wenn Calvin spazieren ging und jemand rief: „Calvin, Sitz! Calvin, Fass!“ Er schaute sich provoziert um, doch die Leute sagten nur, sie sprächen mit ihrem Hund. So friedlich war es also nicht.
Einmal wurde Calvin sogar aus Genf ausgewiesen. Er verbrachte fünf Jahre in Straßburg, wo er die Reformation vorantrieb. Danach wurde er zurückgerufen, weil man ohne ihn nicht auskam.
Calvin war auch in ethischer Hinsicht viel strenger. Die reformierte Ethik legt großen Wert auf Prädestination – Gott hat erwählt. Bei Luther war das weniger stark ausgeprägt. Die Ethik war bei Calvin sehr wichtig. Man sagte, wenn man vorbildlich lebt und Erfolg in Beruf und Familie hat, sei das ein Zeichen des Segens Gottes und der Erwählung. Du bist nicht erwählt, weil du das tust, aber dein Verhalten ist ein Kennzeichen der Heiligung. Der Heilige Geist wirkt in dir, und das zeigt sich in deinem Tun oder Nicht-Tun.
In Genf war es streng verboten, Kartenspiele zu spielen, Alkohol zu trinken oder zu tanzen. Calvin übernahm von Butzer, dem Reformator von Straßburg, die Idee der sogenannten fünf Ämter in der Gemeinde. Dazu gehörten der Lehrer, der Hirte, der Diakon und andere. Die Ältesten der Gemeinde, das sogenannte Presbyterium, hatten für ihn eine sehr wichtige Funktion.
Später sagen Historiker, dass aus der Idee des Presbyteriums die abendländische Demokratie hervorgegangen ist. Einiges deutet darauf hin. So war beispielsweise bei der Französischen Revolution 1789 der reformierte Pfarrer Rambo derjenige, der die Menschenrechte formulierte.
Aus der reformierten Kirche kamen also die Ideen von Freiheit, Menschenrechten und Demokratie. Allerdings versuchte man später in der Weltgeschichte, alles Kirchliche und Gläubige davon zu trennen. Auffällig ist auch, dass die Demokratie zuvor in England und Amerika durchgesetzt wurde. Dort spielte das reformierte Denken eine noch stärkere Rolle.
Max Weber, ein bedeutender Soziologe Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, sagte, dass der Kapitalismus aus der reformierten Arbeitsethik entstanden sei. Man kann sich vorstellen: Wenn man nicht mehr tanzen, Kartenspiele spielen oder trinken darf, was macht man dann? Man engagiert sich für seinen Beruf. Das Geld gibt man nicht für sinnlose Dinge aus, sondern investiert es in das Unternehmen. So entstanden viele große Unternehmen, die auf dem reformierten Glauben fußten.
Die Enkel waren später nicht mehr so fromm, führten das aber weiter. Die Berufung war viel stärker ausgeprägt. Ich habe schon einmal darüber gesprochen, dass gerade die Reformation – Luther und Zwingli – betonten, dass man berufen sei, nicht nur für die Mission, sondern in jedem Beruf. Diese Idee finde ich gut, auch wenn sie nicht bedeutet, dass man sich nicht an anderen Dingen erfreuen darf.
Die Ältesten wurden in Genf herumgeschickt, um durch Fensterläden zu schauen, was die Leute zu Hause machten. Wenn ein Ehemann mit seiner Ehefrau abends tanzte oder Musik spielte, wurde er vom Ältestengremium zitiert, musste Buße tun und bekam Vergebung. Das wurde öffentlich gemacht, weil Gemeindezucht sehr ernst genommen wurde.
Calvin sah Tanzen und Musikspielen zu Hause als Zeichen eines oberflächlichen Lebens an. Man kann sich vorstellen, dass diese Überwachung schlimm war. John Knox, der spätere Reformator von Schottland, schrieb, Genf sei die beste Stadt seiner Zeit, das Himmelreich Gottes auf Erden. So nahm er es wahr.
Für damalige Vorstellungen erlebte er dort geistige Freiheit und mangelnde Unterdrückung im geistlichen Bereich. Er sah nicht negativ, dass es eine gewisse Unterdrückung gab, sondern meinte, dass man so leben wolle, wie Jesus es eigentlich will. Viele sahen diese Ermahnungen nicht als negativ, sondern als Hilfe, mehr so zu leben, wie Gott es sich vorstellt.
Man kann natürlich lange darüber diskutieren, ob Gott das so will oder nicht. Bei manchen Einschränkungen der Bibel werden wir selbst herausgefordert: Sehen wir sie als Befreiung und Hilfe oder als göttlichen Polizisten, der uns etwas wegnimmt, was wir gerne tun?
So stellen sich auch unsere Motivationen: Entweder tun wir das Minimum und sagen, das ist gerade noch im Limit, oder wir sagen, super, dass du mir das sagst, ich verzichte lieber ganz darauf.
Ich will jetzt nicht auf Einzelheiten wie das Tanzverbot eingehen, aber generell nahm man es ernst. Weil die Menschen merkten, dass es positiv gemeint war, waren sie bereit, es zu akzeptieren.
Ein weiterer Unterschied betrifft Arbeit, Ethik und Gemeindeaufbau. Das Presbyterium hat dabei deutlich mehr Einfluss. Es bestimmt, wer dazukommt und wer nicht, ebenso wer die Gemeinde verlassen kann.
Es gibt auch Unterschiede bezüglich des Abendmahls und der Sakramente allgemein, insbesondere bei Abendmahl und Taufe. Luther orientierte sich stärker an der katholischen Kirche und interpretierte die Sakramente als heilswirksam – wenn auch nicht alle sieben, sondern vor allem drei. Bei Zwingli und Calvin wurde das Abendmahl hingegen stärker als Symbol verstanden, also rein symbolisch.
Hier zeigt sich, dass die Unterschiede nicht nur biblisch abgeleitet sind, sondern auch von unterschiedlichen Denkansätzen geprägt werden. Die reformierten Kirchen sind stärker vom Humanismus beeinflusst. Dieser ist verstandesorientiert und sieht die Sakramente vor allem als Symbole.
Ich persönlich neige eher zur reformierten Auffassung. Dennoch lässt sich die lutherische Sichtweise vertreten, indem man sagt, dass mehr als nur der Verstand angesprochen wird. Es ist wirklich Gott in irgendeiner Weise gegenwärtig. Luther formuliert es so: Für den, der daran glaubt, ist Jesus im Sakrament gegenwärtig.
Man kann also sagen, dass Luther stärker eine katholische Orientierung zeigt, während die Reformierten stärker humanistisch geprägt sind. Diese humanistische Prägung ist durchaus positiv zu bewerten. Sie waren ja nicht alle gottlos, sondern vor allem verstandesorientiert. Das ist ein weiterer wichtiger Unterschied.
Es gibt noch viele weitere Details, die die Unterschiede ausmachen. Die reformierte Reformation hat sich insbesondere in Frankreich ausgeweitet, wo man sie unter dem Namen der Hugenotten kennt. Außerdem ist sie in Schottland, den Niederlanden und Teilen Ungarns verbreitet.
Von den Niederlanden und Schottland aus hatte die reformierte Theologie einen viel stärkeren Einfluss auf die Vereinigten Staaten von Amerika. Die lutherische Reformation war dort weniger einflussreich und kam auch wesentlich später dorthin. Die Pilgerväter oder Puritaner, die wir kennen, waren stärker von der reformierten Theologie beeinflusst als von der lutherischen.
Natürlich spielten auch anglikanische Einflüsse eine Rolle, aber insgesamt war die reformierte Theologie in den USA dominanter.
Wir haben da noch ein Zwischenglied, das ich eben nur kurz erwähnt habe: die anglikanische Kirche. Sie ist weder lutherisch noch reformiert, sondern eine eigene Gruppe. Heute ist sie weltweit verbreitet, insbesondere durch das englische Weltreich.
Allerdings ist diese Reformation, man könnte sagen, weder Fisch noch Fleisch. Das Sprichwort „weder Fisch noch Fleisch“ kennt ihr vielleicht. Es stammt aus dem Katholizismus. Dort war es nur erlaubt, freitags Fisch zu essen, aber kein Fleisch. Man sollte ja fasten. Dabei wurde gesagt, Fisch sei kein Fleisch, sondern etwas Eigenes, und Fleisch sei alles andere, was fleischig ist. Das ist eigentlich ein bisschen komisch, denn viele von uns würden sagen, Fleisch ist Fleisch. Doch dieses Verständnis wurde gebraucht, damit man am Freitag noch etwas Fleischiges essen durfte. Daher kommt das Sprichwort „weder Fisch noch Fleisch“ – man wusste nicht, ob man es essen darf oder nicht.
Aber gut, wir sind ja überwiegend keine Katholiken. Die anglikanische Kirche ist also weder Fisch noch Fleisch, denn sie entstand nicht aus religiösen Motiven. Ihr kennt vielleicht Heinrich den Siebten. Nein, es war Heinrich der Achte. Er wollte sich von seiner Frau trennen. Er hatte sich schon öfter von seinen Frauen getrennt, doch der Papst spielte nicht mehr mit. Damals war die Ehescheidung eigentlich verboten.
Bei der ersten Trennung sagte der Papst noch, okay, wir können ein Auge zudrücken. Die Ehe wurde annulliert, nicht geschieden. Das war möglich, wenn die Frau keine Kinder bekommen hatte oder wenn noch keine sexuelle Ehe vollzogen worden war. Aber als Heinrich sich erneut scheiden lassen wollte, sagte der Papst: „Nein, jetzt ist auch für den König Schluss.“
Daraufhin erklärte Heinrich VIII., dass er das nicht akzeptiere. Er hörte, dass es in Deutschland eine eigene Kirche gebe, und sagte: „Ich mache auch meine eigene Kirche auf.“ Aber nur mit dem Ziel, sich scheiden lassen zu können. Das war nicht wirklich reformatorisch.
Da er sonst keine guten Reformideen hatte, lud er ein paar lutherische Theologen aus Deutschland ein, die ihm die Ideen lieferten. Er sagte ihnen: „Macht mal Kirche.“ Und dann wollte er sich gleich scheiden lassen. Der Rest war ihm eigentlich egal.
Er setzte den Erzbischof von Canterbury als Oberhaupt seiner Kirche ein. Das Amt gibt es bis heute, natürlich nicht dieselbe Person, sondern immer wieder deren Nachfolger. Der Erzbischof ließ Heinrich dann auch scheiden. Als Heinrich sich allerdings noch einige Male scheiden lassen wollte, spielte auch der Erzbischof von Canterbury nicht mehr mit. Heinrich landete schließlich auf dem Schafott.
Danach hatten die Reformierten mehr Einfluss in der anglikanischen Kirche, und es kamen reformierte Einflüsse hinzu. Als Heinrich schließlich gestorben war, kam seine Tochter Maria Tudor an die Regierung. Sie wurde auch „Maria die Mutige“ genannt, aber besser bekannt als „Bloody Mary“.
Manchmal gab es früher Cocktails mit dem Namen Bloody Mary, die mit Alkohol und Tomatensaft gemischt werden. Damals war der Name aber nicht leichtfertig gewählt. Maria wurde so genannt, weil sie sich stark gegen die Reformation stellte. Sie wollte alles wieder rekatholisieren. Dabei wurden alle Reformierten und Lutheraner umgebracht, die nicht rechtzeitig fliehen konnten.
Diese Epoche war jedoch nur kurz. Nach ihrem Tod kam ihr Halbbruder Edward an die Regierung. Er trieb die Reformation wieder voran. So gab es innerhalb weniger Generationen in England ein ständiges Hin und Her. Die Menschen wussten oft nicht mehr, was sie glauben sollten.
Das führte zu einem Mischmasch, der bis heute in der anglikanischen Kirche zu finden ist. Heute gibt es dort drei große Strömungen: die Low Church, die Broad Church und die High Church.
Die Low Church entspricht am ehesten den Evangelikalen. Aus ihr entstanden später die Puritaner, eine Art Pietisten in England. Es gibt also eine Fraktion von sehr gläubigen Anglikanern in der Kirche.
Die Broad Church ist vergleichbar mit dem liberalen Teil der lutherischen Kirche bei uns. Diese Gruppe will modern sein und hat in den letzten Jahren durchgesetzt, dass Frauen Pfarrerinnen und Bischöfinnen werden können. Sie unterstützen auch die Segnung homosexueller Paare – all die ethischen Themen, die wir aus der evangelischen Kirche in Deutschland kennen.
Die High Church ist die konservative Fraktion. Sie möchte alles so bewahren, wie es früher war. Die Monarchie soll durch die Kirche geschützt werden. Dort finden Hochgottesdienste statt, oft in lateinischer Sprache. Tradition spielt eine große Rolle. Vor allem das „Common Book of Prayer“, eine Liturgie, die Thomas Cranmer, ehemaliger Erzbischof von Canterbury, verfasst hat, soll erhalten bleiben.
So gibt es in der anglikanischen Kirche die drei Strömungen: High Church, Broad Church und Low Church. Sie gehören ebenfalls zur Reformation.
Damit haben wir jetzt schon vier verschiedene Gruppen. Es gibt noch eine weitere, die oft nicht zur Reformation gezählt wird oder manchmal vergessen wird: die Täufer. Sie waren die Vorläufer der späteren Freikirchen.
Die Täufer sind an drei verschiedenen Orten entstanden: einmal unabhängig voneinander in der Schweiz, in Süddeutschland und in Norddeutschland.
In Süddeutschland gehörte zum Beispiel Michael Sattler zu den Täufern. In der Schweiz zählten Felix Manz, der Blaurock und einige andere dazu. Diese Gruppe war zur Zeit von Zwingli in Zürich aktiv. In Norddeutschland ist besonders der Namensgeber dieser Bewegung bekannt: Menno Simons. Er sammelte die verschiedenen Täufergruppen entlang der Küste, von den Niederlanden bis zur dänischen Küste.
Man kann sich durchaus mit diesen Täufern identifizieren, denn sie hatten ein ganz anderes Modell. Sie wollten die Freikirche radikal verwirklichen. Sie forderten, dass die Staatskirche grundsätzlich abgeschafft wird. Nur wer wollte, sollte am Gottesdienst teilnehmen und Mitglied werden. Außerdem setzten sie die Gläubigentaufe gegen die Kindertaufe durch. Damit stellten sie sich gegen Katholiken, Reformierte und Lutheraner, was zu erheblichen Konflikten führte.
Die Täufer betonten auch, dass das Bibellesen noch wichtiger genommen werden müsse. Es gab einige Reformideen, die sie verfolgten. Ein besonders wichtiges Dokument war das Schleithamer Bekenntnis. Darin fassten sie ihre Grundsätze zusammen, unter anderem: Sie wollten mit dem Staat nichts zu tun haben, weder wählen noch gewählt werden. Sie wollten sich aus der bösen Welt zurückziehen. Die Gemeindezucht und die Ethik sollten viel stärker betont werden. Außerdem wurden die Punkte Taufe und weitere bereits genannte Aspekte festgehalten. Diese Überzeugungen verbanden die Täufer miteinander.
Die Täufer wurden sehr stark verfolgt. Man muss sagen, dass der Beruf eines Täuferpastors in dieser Zeit die kürzeste Lebenserwartung bedeutete. Egal, wo man wirkte, man wurde von allen Seiten verfolgt. Es gab keinen sicheren Ort, an den man fliehen konnte. Die Niederlande waren früher relativ liberal und boten einen der wenigen Zufluchtsorte. Einige kleine Fürstentümer, wie zum Beispiel der Graf von Berleburg, waren ebenfalls etwas liberal und nahmen Täufer auf. Später tat dies auch Zinzendorf, der als Landesherr einige Täufer aufnahm. Doch diese Zufluchtsorte waren klein, wurden meist verfolgt und hielten selten lange.
Die Verfolgungen waren sehr radikal. Zum Beispiel ließ Zwingli viele Täufer in der Limmat ertränken. Am Zürichsee fließt der Fluss Limmat heraus. Nach dem Motto: Wer vom Taufen nicht genug bekommen kann, darf hier noch einmal „nachtauchen“. Wenn man noch ein bisschen länger getauft wurde, war es vorbei.
Zwingli und Luther hatten eigentlich nichts gegen die Großtaufe, sondern gegen die Wiedertaufe. Das Problem war die Taufe als erneute Handlung. Das ist bis heute in der lutherischen Kirche so: Wenn man als Erwachsener getauft wird, ist das kein Problem, solange man nicht schon als Kind getauft wurde. Das Problem entsteht, wenn man sich wiedertaufen lässt.
Das hängt mit der Sakramentslehre der katholischen Kirche zusammen. Ein Sakrament ist von Gott eingesetzt. Wenn Gott einen Menschen bereits in der Kindertaufe gesegnet hat, würde eine zweite Taufe das von Gott geschenkte Sakrament ungültig machen oder „mit Füßen treten“. Das ist nicht möglich, weil Gott schon als Kind gehandelt hat. Dieses theologische Konzept erlaubt keine zweite Taufe. Deshalb wurde die Wiedertaufe als starker Affront und Angriff empfunden.
Das ist heute in einigen lutherischen Kirchen noch immer so. Man kann dort einen schwulen Pfarrer haben, einen Pfarrer, der mehrmals geschieden ist oder mit seiner Freundin zusammenlebt – das ist alles kein Problem. Aber wenn ein Pfarrer sich wiedertaufen lassen würde, wäre er seinen Job los. Das ist nicht akzeptabel.
Nun möchte ich zuerst das Positive nennen, also die Aspekte, in denen die Täufer ein Vorbild sind. Das hast du ja schon angesprochen. Das ist der eine Teil. Den anderen Teil werde ich gleich noch erläutern.
Die positiven Täufer versuchten durchaus, biblisch zu predigen. Doch es gab damals auch einen großen Teil der Täufer, die wir heute in unseren Gemeinden nicht dulden würden. Diese würden wir als Irrlehrer und Sektierer bezeichnen.
Ein Beispiel ist Jan van Leiden, der in Münster das Königreich der Täufer errichtete. Heute würden wir sagen: Wie kann man so etwas machen und glauben? Es war haarsträubend. Katholiken wurden vertrieben, Ehen aufgelöst und nach göttlicher Eingebung wieder geschlossen. Jan van Leiden forderte, alle Reichtümer abzugeben, denn man müsse lernen, ohne Besitz auszukommen, wie Jesus es ja auch gesagt habe. Er hielt sich für besonders geistlich und meinte, der Besitz mache ihm nichts mehr aus.
Die Leute glaubten ihm, auch als feindliche Heere vor der Stadt standen. Er sagte, Gott habe ihm gezeigt, dass sie unverletzlich seien, wenn sie in die Schlacht zögen. Das war natürlich nicht der Fall. Später behauptete er eine neue Offenbarung: Wenn die Not ausbreche, werde Gott die Pflastersteine zu Brot machen. Manche glaubten das und gruben Pflastersteine aus, um sie zu essen. Doch die Steine wurden nicht zu Brot.
Solche Gruppen trugen nicht zur Popularität der Täufer bei. Münster zum Beispiel ist bis heute ein Ort, an dem freie Gemeinden kaum Fuß fassen konnten. Die Gegenbewegung war so stark, dass über 200 Jahre lang kein Einfluss möglich war. An der Lamberti-Kirche hängen noch heute die Käfige, in denen die Täuferführer aufgehängt wurden.
Das zeigt, dass die Reaktionen der Christen damals total überzogen und falsch waren. Man kann es als falsch verstandene Charismatik bezeichnen: Offenbarungen Gottes wurden nicht mehr an der Bibel geprüft, sondern der große Prophet musste es ja wissen, also folgte man ihm blind.
Ähnliche Bewegungen gab es auch in Böhmen. Die Hussiten, etwas früher, kämpften weiter, insbesondere die Zaboriten. Auch sie wurden niedergemacht. Sie behaupteten, Gott habe ihnen den Auftrag gegeben, die Schlacht von Harmagedon vorzubereiten. Wenn sie alle Ungläubigen abgeschlachtet hätten, könne Gottes Reich errichtet werden. Das führte zu großem Blutvergießen und dazu, dass die evangelische Bewegung in Böhmen über Jahrhunderte hinweg zum Erliegen kam.
Das war eine Negativbewegung. Es gab noch andere Beispiele, aber diese beiden reichen aus, um zu zeigen, dass gläubige Christen mit Erwachsenentaufe und Freikirche nicht immer gute Vorbilder waren. Man kann nicht einfach sagen, die bösen Leute hätten das gemacht.
Luther ging nicht gegen die Täufer vor, weil sie nett und bibeltreu waren. Er kämpfte gegen sie, weil sie revolutionär im negativen Sinn waren. Sie billigten Mord und Totschlag, stürmten Kirchen und zerstörten Kunstwerke. Der Mob schlug Scheiben ein, und am Ende blieben nur Ruinen. Was sollte man dann tun?
Einige Täufer, wie die Zwickauer Propheten, gingen noch weiter. Sie forderten die Enteignung der Reichen. Sie sagten: "Wir warten nicht auf Gott, wir handeln jetzt!" Sie nahmen Knüppel und Sensen und eroberten Schlösser, zerstörten sie, raubten Geld und töteten Menschen im Namen Gottes.
Das ist natürlich nicht ideal. Diese negativen Bewegungen waren Teil der Reformation und der Täuferbewegung. Es gab das Positive, auf das wir uns stützen können, aber leider auch das Negative, das dazu führte, dass die Täufer über Jahrhunderte hinweg verfolgt wurden.
Was geschah nach der Reformation?
Zur Zeit des Todes Martin Luthers, also in den 1560er und 1570er Jahren, befand sich die katholische Kirche in einer Situation, in der sie reagieren musste. Sie tat dies zunächst, indem sie einige Reformideen der Lutheraner aufgriff. Tatsächlich hatte die Reformation auch positive Auswirkungen auf die katholische Kirche. Insbesondere beim Konzil von Trient wurden manche Lehren der Kirche festgeschrieben, andere hingegen reformiert.
Beispielsweise wurden Missstände wie der Ablasshandel abgeschafft. Hier muss man betonen, dass die katholische Kirche hier eindeutig eingegriffen hat. So wurde etwa der berüchtigte Prediger Tetzel ins Gefängnis gesperrt – etwas, das er sich wohl nie hätte vorstellen können. Außerdem versuchte die Kirche, mehr Wert auf Moral zu legen. Vorher gab es in der Kirche eine Zeit, die man als Pornokratie bezeichnete – einen moralischen Abfall. Nun führte man wieder Visitationen ein, um die Missstände zu beheben. Man hatte erkannt, dass die Menschen der Kirche davonliefen, wenn sie nicht mehr glaubwürdig war. Diese Bemühungen um Glaubwürdigkeit wirken bis heute nach. So gilt der heutige Papst als viel glaubwürdiger als ein Papst des 14. Jahrhunderts, und viele Priester genießen ebenfalls ein höheres Vertrauen. Natürlich gibt es auch heute noch vereinzelte Probleme, aber insgesamt wird mehr Wert auf Ethik gelegt.
Ein weiterer wichtiger Schritt war, dass Predigerorden wie die Dominikaner nun auch in der einheimischen Sprache predigen durften. Man sagte sich: Luther macht es so, unsere Leute müssen es ebenfalls tun. Zudem entstanden eigene katholische Bibelübersetzungen. Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass Katholiken früher nicht in der Bibel lesen durften. Ein offizielles Verbot gab es nie. Vielmehr fehlte oft die Motivation, denn man glaubte, dass die Laien die Bibel ohnehin nicht verstehen würden. Das führte dazu, dass viele Menschen den Zugang zur Bibel scheuten. Als ich Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre in Belgien unterwegs war, traf ich viele Leute, die sagten, sie dürften nicht in der Bibel lesen. Zwar gab es kein offizielles Verbot vom Vatikan, doch wurde es den Menschen oft unterschwellig vermittelt. Ab dem 16. Jahrhundert gab es dann auch Bibelübersetzungen von Katholiken in die Landessprachen. Zunächst waren diese vor allem für Geistliche und Gelehrte gedacht, aber prinzipiell konnten auch andere sie lesen.
Diese Reformen wurden also durchgeführt, doch gleichzeitig begann die katholische Kirche mit der Gegenreformation. Ziel war es, die Gebiete, die evangelisch geworden waren, zurückzugewinnen. Das erste und probateste Mittel war Gewalt. Beispiele dafür sind der Schmalkaldische Krieg und vor allem der Dreißigjährige Krieg, der von den Katholiken ausgelöst wurde. Der Dreißigjährige Krieg war für Deutschland nach der Pest eine der größten Katastrophen. Nach der Pest gab es zwar zunächst etwas Ruhe, aber der Dreißigjährige Krieg brachte unvorstellbares Leid. Wenn man heute genealogische Forschungen über seine Vorfahren anstellt, bricht die Spur oft genau in diese Zeit ab.
Der Krieg begann 1618 als Religionskrieg, endete jedoch in einem Chaos, in dem jeder gegen jeden kämpfte. Weite Teile des Reiches wurden entvölkert. Die Armeen lösten sich auf, weil kein klarer Führer mehr da war. Anfangs standen die lutherischen Kurfürsten Deutschlands gegen die katholischen Habsburger aus Österreich. In diesen Kriegen wurden Teile Österreichs rekatholisiert. So waren etwa Vorarlberg und Gebiete bis nahe Wien zwischenzeitlich überwiegend evangelisch. Auch der Erzbischof von Köln wurde evangelisch, und sein Gebiet mit ihm. Diese Gebiete wurden durch Gewaltanwendung wieder für den Katholizismus zurückgewonnen.
Später, als sich die Kriegsparteien in einer Pattsituation befanden, griff der französische König auf der Seite der Katholiken ein. Daraufhin kam der schwedische König Gustav Adolf, eine Großmacht jener Zeit, als Retter der Evangelischen. Von ihm stammt die Gustav-Adolf-Gesellschaft, die sich bis heute um evangelische Gemeinden in überwiegend katholischen Gebieten kümmert. Gustav Adolf landete mit Schiffen in Schleswig-Holstein und schlug die katholischen Armeen in einem Siegeszug. Er wurde schließlich durch Verrat getötet. Auch der katholische Führer Tilly wurde ermordet, da man ihm einen Friedensschluss verdächtigte. Nun gab es nur noch ein blutiges Gemetzel ohne klare Führung. Die Landsknechte, die nicht mehr bezahlt wurden, marodierten auf eigene Faust. Dabei war es egal, ob man Katholik oder Evangelischer war – Hauptsache, man konnte jemanden töten.
Die Gewalt führte zu einer völligen Verrohung. Es gab grausame Foltermethoden wie den sogenannten Schwedentrunk: Bauern wurden gefangen genommen, auf den Boden gedrückt, ein Trichter in den Mund gesteckt und Jauche eingegossen. Die meisten starben daran, oft erst nachdem sie verraten hatten, wo sich versteckte Familien oder Geld befanden.
Der Krieg führte zu einem totalen Zusammenbruch des öffentlichen Lebens in Deutschland, da sich ganz Europa auf deutschem Boden bekämpfte. Franzosen, Schweden, Polen und Österreicher kämpften hier gegeneinander. Nach dem Krieg blieb wenig übrig. Deshalb sind viele Häuser in Deutschland, beispielsweise in Lümmkow, erst nach dem Dreißigjährigen Krieg erbaut worden, da vieles zerstört war.
Am Ende griffen die Katholiken sogar auf der Seite der Evangelischen ein. Der französische König wollte verhindern, dass die Habsburger zu mächtig werden. Deshalb unterstützte er die evangelischen Fürsten als Gegengewicht gegen die katholischen Habsburger. So kam es, dass Frankreich auf Seiten der Evangelischen kämpfte.
Nach 30 Jahren Krieg, im Jahr 1648, hatten alle genug und schlossen Frieden. Der Friedensschluss von Münster und Osnabrück fand an zwei Orten gleichzeitig statt. Für die Menschen war das wie eine Befreiung. Man kann sich kaum vorstellen, wie es war: Wer damals 30 Jahre alt war, hatte sein ganzes Leben lang Krieg und Mord erlebt.
Nach dem Krieg waren die Menschen von Kirche und Religion erschöpft. Man hatte erkannt, dass dieser Krieg, der als Religionskrieg begonnen hatte, längst nichts mehr mit Religion zu tun hatte. Es war erst einmal Schluss – der Ofen war aus.
In der evangelischen Kirche führte dies letztlich zur katholischen Gegenreformation. Ich möchte euch zwei Aspekte nennen, die sie dabei verfolgten.
Erstens führten sie ein großes Kirchenbauprogramm ein. Es war langsam die Zeit des Barocks, was man bis heute, besonders in Bayern, sehen kann. Bayern war damals nämlich auch evangelisch, wurde aber durch verschiedene Maßnahmen zurückgewonnen für die katholische Kirche. Ein Beispiel dafür sind die vielen kleinen Dörfer in Bayern, in denen man riesige barocke Kirchen findet. Man fragt sich oft, wo all die Leute herkommen sollen, die dort hineingehen sollen. Es mussten aber gar nicht so viele sein, denn die Kirche wollte zeigen, wie groß, mächtig und beeindruckend sie ist. Dies erreichten sie durch den Kirchenbau und prächtige Liturgien.
Ein dritter Weg war die kostenlose Erziehung, besonders für Prinzen und Adlige. Beim Reichstag zu Augsburg wurde gesagt: „eius regio, eius religio“, das heißt, wessen Region, dessen Religion. Wenn also der Landesherr seine Religion wechselte, mussten auch seine Untertanen folgen. Die katholische Kirche schickte gratis Erzieher für die Prinzen. Sie sagten: „Der jetzige kann ruhig evangelisch bleiben, aber wenn wir den Thronfolger erziehen, haben wir einen Fuß in der Tür.“ So wurde der Thronfolger katholisch, und das gelang in vielen Fällen. Die Eltern waren zunächst froh über das kostenlose Angebot. Doch das war sozusagen der Haken an der Sache. Nach und nach wurden viele Regionen dadurch wieder rekatholisiert.
Wie ging es in der evangelischen Kirche weiter? Nach der Gegenreformation folgte die Zeit der Orthodoxie. Diese Orthodoxie hat nichts mit der orthodoxen Kirche im Osten zu tun, sondern bedeutet Rechtgläubigkeit. Man versuchte, die evangelische Lehre grundsätzlich theologisch zu durchdenken.
Die Orthodoxie brachte viele positive Entwicklungen mit sich. Es wurden zahlreiche Dogmatiken verfasst, die bis heute begeisternd zu lesen sind. Wenn man etwas über die Eigenschaften Gottes lesen möchte, ist die Orthodoxie nach wie vor das Nonplusultra. Auch die Feinheiten der Inspirationslehre sind dort unübertroffen dargestellt. Die Lehre der Verbalinspiration, die viele von uns hoffentlich vertreten, wurde in dieser Zeit formuliert. Zwar glaubte man das auch zuvor schon, aber nun wurde es erstmals theologisch durchdacht, biblisch belegt und in allen Feinheiten ausgearbeitet.
Natürlich gab es auch hitzige Diskussionen. Einige davon sind bis heute faszinierend und könnten sogar Gemeindespaltungen auslösen. Zum Beispiel der Streit zwischen Kenosis und Krypsis: Es ging darum, ob Jesus seine göttlichen Eigenschaften auf der Erde verborgen noch hatte oder ob er sie im Himmel abgelegt hat. Man kann darüber trefflich streiten, da es Bibelstellen gibt, die für beide Ansichten herangezogen werden können. Heute werde ich euch die Auflösung nicht geben, aber es ist spannend, das zu lesen.
Diese Zeit war also besonders gut, was die dogmatischen Überlegungen angeht. Doch es gibt eine Schwäche: Wenn man zu sehr Wert auf Dogmatik legt, kann es passieren, dass die Lebenspraxis und die Echtheit des Glaubens keine große Rolle mehr spielen. Es ging dann oft darum, dass man mit dem richtigen Glaubensbekenntnis als Christ galt. Ob man wirklich eine Bekehrung erlebt hatte oder ob Jesus einem wirklich die Sünden vergeben hatte, war weniger wichtig. Man sagte: „Ich bin für Krypsis, ich glaube an die Realpräsenz im Abendmahl, so und so bei der Taufe, und dann ist alles richtig und in Ordnung.“
In der Kirchengeschichte gibt es häufig ein Auf und Ab: Mal wird der Verstand und die richtige Dogmatik stark betont, dann merkt man, dass das nicht alles ist, und legt den Schwerpunkt wieder auf das persönliche Erleben. Das war die Gegenbewegung des Pietismus.
Der Pietismus ist uns als Vorläufer vieler Gemeinden bekannt. Er brachte viel Positives, hatte aber die Schwäche, theologisch zu wenig durchdacht zu sein. Nach der dritten Regeneration stürzte er wieder ab, als der Verstand wieder in Mode kam. Die Pietisten wussten dann oft keine Antworten mehr, und der Verstand wurde wieder wichtiger.
Als die Menschen genug vom Verstand hatten und merkten, dass es auch kalt und wenig lebendig sein kann, kam im 19. Jahrhundert die Erweckungsbewegung. Hier wurde wieder stark das Gefühl und das Erleben betont – Bekehrung und so weiter.
Als man davon wieder genug hatte, kam Anfang des 20. Jahrhunderts die Gegenbewegung: Der Verstand wurde wieder in den Vordergrund gestellt. Das führte zur liberalen Theologie, die auch in christliche Gemeinden hineinfloss. Ihr Höhepunkt lag in den 1950er-Jahren. Danach begann langsam wieder eine Kehrtwende, und das Gefühl und Erleben wurden erneut betont.
In dieser Phase befinden wir uns heute wieder etwas stärker. Verstandesmäßig und dogmatisch gibt es viele moderne Christen, aber auch altmodische, die sagen, Dogmatik und Verstand sind wichtig. Moderne Christen hingegen meinen oft, das sei alles egal, Hauptsache, wir erfahren und erleben es. Das ist wahr, weil sie es erlebt haben.
Ich kann euch sagen: Auch diese Phase wird irgendwann enden. Wer wirklich modern sein will, muss irgendwann wieder umschwenken. So gibt es in der Kirche immer wieder diese Hin- und Herentwicklungen. Beide Seiten haben ihr Recht und wichtige Anliegen, aber auch ihre Probleme.
Der Pietismus fand besonders in der lutherischen Kirche in Deutschland statt. Er war der Wurzelboden, da die meisten Verantwortlichen evangelische Pfarrer waren. Es war keine gesamtkoordinierte Bewegung, sondern eher ein Zusammenschluss einzelner Persönlichkeiten und lose verbundener Bewegungen ohne einheitliche Organisation.
Der Pietismus hatte bestimmte wichtige Merkmale und unterschiedliche Schwerpunkte. Generell war er eine Bibelbewegung. Das zeigt sich auch in späteren Erweckungen: Bibellesen war zentral. Im Pietismus gab es die sogenannte „Stunde“. So nannte man das in Baden-Württemberg, auch „Stündler“ oder „Stundisten“. Neben dem Gottesdienst traf man sich zu einer zusätzlichen Veranstaltung, um gemeinsam die Bibel zu lesen und zu studieren. Man nannte das damals „Collegia Pietatis“ – lateinisch, aber es bedeutete dasselbe.
Zweitens war es wichtig, Angebote für Menschen entsprechend ihres Lebensalters, sozialen Standes und Geschlechts zu machen. Man sah Menschen nicht nur als sündbar und gerechtfertigt, sondern auch als Frau mit Kindern oder Mann mit bestimmten Bedürfnissen. Es gab Kleingruppen, in denen man aufeinander achtgab.
Erstmals wurde christliche Pädagogik entwickelt, besonders durch August Hermann Francke. Vorher gab es in der evangelischen Kirche fast nur Prügelpädagogik. Wenn ein Kind nicht lesen wollte, bekam es Schläge – und wenn es immer noch nicht lernte, noch mehr. Luther berichtet von seinen ersten Schultagen, an denen er Latein deklinieren sollte, obwohl er nichts konnte. Der Lehrer glaubte, das Kind wolle nicht lernen, und schlug es so oft, bis es es konnte.
Diese Prügelpädagogik funktionierte, weil die Kinder Angst hatten und zu Hause lernten, um keine Schläge mehr zu bekommen. Der Pädagoge fühlte sich dadurch bestätigt. Heute wissen wir, dass das nicht ideal ist. Zwar spricht die Bibel auch von Züchtigung, die in manchen Fällen angebracht sein kann, aber Prügelpädagogik lehnen wir ab.
August Hermann Francke ist hier ein hervorragendes Beispiel. Ich finde, man sollte mehr Nationalstolz zeigen und diese tollen deutschen Vorbilder des Pietismus wertschätzen. Oft lesen wir massenhaft übersetzte Bücher aus dem Englischen, was nicht schlecht ist. Viele kennen Georg Müller, der in England wirkte. Aber sein Vorbild war August Hermann Francke. Müller hat von ihm gelernt. Übrigens war Müller auch Deutscher, der auswanderte, um Frankes Ideen nach England zu bringen und dort Ähnliches zu gründen.
Viele kennen Georg Müller und sein Waisenhaus, aber weniger August Hermann Francke, der noch viel mehr mit Gott erlebt hat. Wenn man das überhaupt vergleichen kann: Es ist gut, was Müller getan hat, aber man sollte auch das schätzen, was Gott in Deutschland durch Francke gewirkt hat. Die Lebensgeschichte von Francke zu lesen, ist faszinierend.
Ich müsste eigentlich ein Buch darüber schreiben. Wenn ich Zeit hätte, könnte ich euch viel darüber erzählen, wie aus wenig in wenigen Jahren viel entstand. Francke war Pfarrer in Glaucha, einem Vorort von Halle, wo es drunter und drüber ging.
Wenn ihr denkt, heute seien die Menschen gottlos, lest, was Francke erlebt hat: In Glaucha war jedes dritte Haus eine Kneipe oder Schnapsbrennerei. Kinder gingen nicht zur Schule, weil sie oft betrunken auf der Straße waren. Kaum jemand ging arbeiten, Häuser verfielen, zum Gottesdienst kam kaum jemand. Sonntags zogen die Leute in die Stadt, um sich richtig zu betrinken.
In diesem Ort begann Francke zu predigen. Innerhalb einer Generation veränderte Gott das Leben der Menschen. Die Kinder auf der Straße änderten sich. Francke merkte, dass er für die Kinder etwas tun musste, damit die nächste Generation gerettet wird. So entstand das Waisenhaus, das bis heute sehenswert ist.
Wenn ihr nach Halle kommt, schaut euch die Franckeschen Anstalten an. Sie sind sehr schön renoviert. Heute sind dort nicht nur gläubige Christen, aber es gibt ein Museum. Die Größe der Anlage ist beeindruckend, auch wenn heute nur ein kleiner Teil davon erhalten ist.
Alles wurde ohne staatliche Unterstützung durch freiwillige Spenden finanziert. Francke organisierte das kreativ: Er gründete eine Apotheke, gewann einen gläubigen Apotheker, entwickelte neue Medikamente und finanzierte damit teilweise die Waisenkinder. Es gab einen Bauernhof, auf dem die Kinder nachmittags arbeiteten, um Nahrung für das Waisenhaus zu produzieren. Eine Bibeldruckerei wurde eingerichtet, die Bibelübersetzungen vor allem in Osteuropa ermöglichte. Es war eine Bibelgesellschaft, die viele Bibeln preiswert druckte, damit die Menschen die Bibel lesen konnten.
Francke war einer der Träger der Missionsbewegung. Er gründete mit Christian IV. von Dänemark die dänisch-hallische Mission – sehr beeindruckend.
Dann gibt es Zinzendorf, den Gründer der Herrnhuter Brüdergemeinden. Man nennt sie meist Brüdergemeinden, obwohl sie keine Gemeinschaft im üblichen Sinne sind, sondern eine eigene Konfession.
In Baden-Württemberg sind Oettinger und Bengel wichtige Persönlichkeiten. Bengel verfasste eine sehr genaue und konkrete Bibelübersetzung und einen hervorragenden Kommentar zum Neuen Testament, den „Gnomon“.
Philipp Jakob Spener war ein weiterer bedeutender Vertreter. Er war Pfarrer in Frankfurt, dann Oberhofprediger in Dresden und schließlich in Berlin – eine sehr wichtige Persönlichkeit.
Doch dann brach die Bewegung ab, weil der Glaube nicht stark genug war. Das zeigt sich zum Beispiel bei August Hermann Francke, der vorbildlich war. Dann kam der „Wolf“, tatsächlich hieß er so: Christian Wolf, ein Aufklärer, der an die Universität kam und aufklärerisch predigte, zum Beispiel über die Ethik der Chinesen.
Das war wichtig, weil die Pietisten sagten: Die Wahrheit unseres Glaubens zeigt sich im Leben. Wir haben ein verändertes Leben, sind moralisch geworden, Gott hat unser Leben verändert. Wolf fragte: „Die Chinesen leben auch moralisch, haben die auch Recht?“ Darauf wusste Francke nicht richtig zu reagieren.
Zwischenzeitlich war Francke gut mit dem preußischen König befreundet, der sagte: „Der muss weg.“ Wolf bekam 48 Stunden Zeit und musste gehen. Das hielt aber nur wenige Jahre. Dann kam Friedrich der Große, der ebenfalls aufklärerisch eingestellt war, holte Wolf zurück, und die Pietisten verloren an Einfluss.
Die Pietisten hatten den Verstand zu sehr vernachlässigt. Es gab keinen großen Theologen unter ihnen. Dann kam die Aufklärung.
Die Aufklärung brachte die Bibelkritik hervor, oft aus positiven Motiven: Man wollte die Welt begreifen. Doch sie richtete sich auch gegen den Glauben. In Deutschland war das nicht so stark, in Frankreich sehr stark. In Deutschland und England versuchte man, Glauben und Vernunft zu vereinen. Gott wurde zum Gott der Vernunft, doch das Leben ging verloren.
Man hielt Predigten über „Insekten-Theologie“, lobte die Ordnung im Bienenstock als Heiligkeit Gottes. Das ist nicht schlecht, aber die Bibel wurde vernachlässigt.
Das führte zur Erweckungsbewegung im 19. Jahrhundert. Ein Auslöser war die Deutsche Christentumsgesellschaft von Philipp Jakob Spener in Basel. Er war eigentlich Süddeutscher, ging in die Schweiz und gründete unter anderem den Brunnen-Verlag (früher Pilger- und Missionsverlag). Außerdem entstanden St. Chrischona, ein Kinderspital in Riehen, eine Taubstummenanstalt, ein Versammlungshaus für verschiedene Gemeinden, ein Diakonissenhaus und viele weitere Werke. Sein Leben ist spannend zu betrachten.
Im 19. Jahrhundert sahen besonders die Erweckten die soziale Frage. Wie gesagt, damals ging es den Menschen schlecht, sozial. Die frommen Christen griffen diese Frage auf, während die große Kirche sich nicht kümmerte. Die Bischöfe wollten eher mit den Herrschern Politik machen.
Die einfachen Gläubigen, wie Friedrich von Bodelschwingh oder Theodor Fliedner, gründeten Diakonissenhäuser, etwa in Kaiserswerth. Johann Hinrich Wichern gründete in Hamburg das „Raue Haus“, um sich um Obdachlose und Straßenkinder zu kümmern.
Diese Einrichtungen prägen bis heute das Image der lutherischen Kirche. Die meisten wurden nicht von liberalen Theologen gegründet, auch wenn diese sich heute oft damit schmücken, sondern von wahrhaft gläubigen Christen.
Nun, was kommt dann? Danach folgt die Welle des Kulturprotestantismus. Das Gefühl ist nun verschwunden, stattdessen tritt der Verstand stärker hervor. Der Kulturprotestantismus sagt: Wenn du nur richtig als Deutscher lebst, dann bist du auch ein guter Christ.
Dazu gab es Stichworte wie: „An dem deutschen Wesen wird die Welt genesen.“ Wenn du also zu den Afrikanern gehst und ihnen zeigst, wie man richtig als Deutscher lebt, dann werden auch sie fromm, dann werden sie Christen. So entstanden manche Missionsbilder um 1900 in Deutschland, etwa in Nordwestafrika, Namibia oder ähnlichen Regionen. Noch heute sieht man in Windhoek, Namibia, dass es dort Kirchen aus Backstein gibt, die schön gebaut sind. Die Häuser stammen aus der Gründerzeit und sehen genauso aus wie in Baden-Württemberg – nur eben in Afrika ist es etwas heißer.
Natürlich musste man sich auch so kleiden, wie es die deutschen Christen taten. Wenn ein schwarzer Christ geworden war, kam er morgens mit Krawatte, Hemd bis oben zugeknöpft und Anzugjacke, egal wie heiß es war. Das war klar: Guter Deutscher sein bedeutete, guter Christ zu sein. Auch umgekehrt wollte man hier in der Kultur den Glauben vermitteln.
Dieser Glaube fand jedoch einen Zusammenbruch im Ersten Weltkrieg. Die Deutschen merkten plötzlich, dass sie trotz all ihrer Kultur und ihres Stolzes genauso „dreckige Menschen“ waren wie zuvor. Es war ein echter Schock, als die Soldaten aus den Schützengräben von Verdun und Zaydan zurückkamen, zermetzt und traumatisiert. Man hörte von der Grausamkeit in Deutschland.
Das führte zum Zusammenbruch der liberalen Theologie, die am Ende war. Dann kam Karl Barth mit seiner Theologie in der Krise. Er wollte zurück zur Bibel. Man kann nicht sagen, dass er in allen Punkten „koscher“ war, aber in manchen Punkten war er sehr gut. Besonders das Zurück zur Bibel war wichtig, denn er sagte, die Bibel müsse das Zentrum sein – nicht irgendein philosophisches Gerede. Nicht der Mensch müsse sich verbessern, sondern Gott spricht direkt von oben, senkrecht von oben.
Barth sagte: Du hast keine Chance, zu Gott zu kommen. Nur wenn Gott dich anspricht, kannst du umkehren. Das würden auch Evangelikale als sehr gut ansehen. Die Kirche nahm das auf, aber die Demokratie konnte sich damit nicht anfreunden. Sie meinte, Gott sei wie ein Monarch, deshalb müsse die Kirche monarchisch sein. Man kämpfte gegen die Demokratie, und viele fromme Gläubige schlossen sich leider dem Nationalsozialismus an.
Manche sahen Hitler sogar als von Gott gesandten Befreier an. Vor einigen Jahren erschien ein Buch von Helga Strübing mit dem Titel „Unfreie Freikirche – Geschichte des Baptismus im Nationalsozialismus“, das viel Kollaboration aufzeigt. Meine Mutter hatte Eltern aus der Urgeneration des Baptismus. Damals kam der Prediger der Baptisten in SA-Uniform und predigte. Es waren nicht nur „die bösen anderen“, sondern leider auch manche gläubigen Christen, die die Zeit nicht erkannten.
Wir sind jedoch froh über Leute wie Bodelschwingh, der sich einsetzte. Er war Bischof der Bekennenden Kirche. Ebenso Martin Niemöller, der im Ersten Weltkrieg U-Boot-Führer war. Hitler konnte ihm deshalb nie vorwerfen, dass er „kein Mumm“ gehabt hätte, wie er das gern anderen vorwarf. Niemöller setzte sich deutlich für die Bekennende Kirche ein. Sein Bekenntnis „Nur Jesus Christus“ ist bis heute begeisternd zu lesen. Es gilt bis heute: Keine andere Macht soll auf Kirche und Glauben Einfluss nehmen außer Jesus Christus.
Heute gibt es allerdings viel Einfluss von Zeitgeistern, und wir sollten daran denken. Die wenigen, die die Zeit überlebten, retteten den Ruf der Kirche. Nach dem Zweiten Weltkrieg erkannte die Kirche jedoch nicht, dass sie daneben gelegen hatte. Sie musste erst von der Bekennenden Kirche gezwungen werden, im Stuttgarter Schuldbekenntnis zu sagen: „Na ja, wir haben doch Fehler gemacht.“
Dabei waren die, die das formulierten, die, die am wenigsten Fehler gemacht hatten. Doch so wie in der Kirche sagte auch Hitler hinterher: „Na ja, wir können nichts dafür, wir sind wie alle anderen, nur Mitläufer, wir wurden gezwungen.“ Danach gab es zunächst eine Welle der Erweckung in Deutschland. Die Menschen waren enttäuscht vom Nationalsozialismus, vom Krieg und verzweifelt.
In den 1950er und 1960er Jahren entstanden erste Großorganisationen, zum Beispiel durch Billy Graham, der damals richtig aktiv war. Es gab Großveranstaltungen, bei denen Tausende zum Glauben kamen. Manche Gemeinden entstanden in dieser Zeit, die bis heute noch existieren, wenn auch jetzt eher vor sich hindümpeln. Damals gab es eine starke evangelistische Bewegung.
Einer der deutschen Evangelisten dieser Zeit, über den ich gerade ein Buch schreibe, ist Dr. Gerhard Bergmann. Er übernahm die Evangelisation. Die Deutsche Zeltmission baute extra ein Zelt für 3.000 Personen, das sogar zu klein war. Bergmann zog in den 1970er und Anfang der 1980er Jahre von Süden nach Norden durch Deutschland. Die Zelte waren voll, und Tausende bekehrten sich – wirklich bekehrt.
Dabei war Bergmann kein stark emotionaler Prediger, sondern eher intellektuell geprägt. Solche Zeiten sind für uns heute kaum noch nachvollziehbar. Heute sind die Menschen eher gesättigt, haben genug und zeigen höchstens esoterische Frömmigkeit. Das begann langsam in den 1970er Jahren.
1968 kennen wir als Jahr der studentischen Revolte, mit Verstand und Sozialismus. Davon wollte man nichts mehr wissen. Es kam ein Rückschritt von der Aufbruchwelle, und eine neue Strömung entstand für sich und die Gemeinde. Neue Organisationen wie OM wurden lebendig und brachten neue Missionen hervor. Dadurch entstanden auch neue Gemeinden.
Gegenwärtig haben wir eine starke Auseinandersetzung mit Rudolf Bultmann, der ebenfalls nach dem Zweiten Weltkrieg wirkte. Er propagierte die „Entmythologisierung“ und meinte, die Bibel sei nicht wahr, sondern voller Märchen und Mythen. Danach gab es die Auseinandersetzung mit der charismatischen Bewegung, über die wir schon gesprochen haben – mit Pro und Kontra sowie verschiedenen Über- und Unterbetonungen.
Heute ist die klassische Bibelkritik nicht mehr so angesagt. Bultmann wird zwar noch an Universitäten gelehrt, aber heute gibt es andere Ansätze. Zum Beispiel die tiefenpsychologische Interpretation bei Drewermann: Es geht nicht mehr darum, wie es wirklich war, sondern darum, was man dabei fühlt, welche Archetypen im Menschen angesprochen werden – Psychologie spielt eine große Rolle.
Heute gibt es auch Leute wie Professor Schwarzenau in Bochum, der den Dialog der Weltreligionen fördert. Er sagt, Christen sollten eigentlich Muslime werden, weil Jesus nie gesagt habe, dass er Gottes Sohn oder Gott sei. Solche Positionen sind heute eher verbreitet.
Man findet also eine Art Ökumene, Friede-Freude-Eierkuchen, Psychologie in der Kirche, Feminismus und Ökologie. Manche sind sehr begeistert vom „ökologischen Jesus“. Die typische Bibelkritik, die sich mit der Bibel auseinandersetzt und versucht, sie zu widerlegen, ist heute eher out. Die Leute sagen: „Das ist mir egal, ich finde darin, was ich suche.“
Wir befinden uns in einer großen Auseinandersetzung, und das ist der Stand der Gegenwart. Damit sind wir auch beim Sport. Danach werde ich noch mit euch beten. Falls noch Fragen offen sind, könnt ihr gerne nachlesen, mich fragen oder irgendwann zu einem Intensivseminar über Kirchengeschichte kommen. Dann können wir noch mehr ins Detail gehen.
Ich bete jetzt: Herr Jesus Christus, vielen Dank, dass du auch in den letzten 500 Jahren die Menschen nicht aus den Augen verloren hast, besonders unsere Vorfahren hier in Europa. Vielen Dank für die Christen im Pietismus, in der Orthodoxie, in der Erweckung und auch im zwanzigsten Jahrhundert, wo du Menschen zum Glauben gerufen und Erneuerung in der Kirche bewirkt hast.
Wir bitten dich, dass du uns dazu gebrauchen möchtest, in unserer Umgebung solche Erneuerung zu bewirken. Hilf uns, Menschen für den Glauben zu motivieren – Gläubige, die ihren Glauben im Traditionalismus verloren haben oder deren Beziehung zu dir erloschen ist, die keine Orientierung im Glauben haben. Aber auch Ungläubige sollen an uns sehen, dass der Glaube nicht nur ein kleiner Zusatz am Sonntag ist, sondern etwas, das das Leben wirklich verändert.
Ich bitte dich, dass es auch in Deutschland wieder eine Hinwendung zu dir gibt – einen Aufbruch, der nicht an uns vorbeigeht. Lass die Menschen in einer Umgebung, die hungrig nach dir ist, die verzweifelt in ihrem Leben sind und keine Orientierung haben, eine Antwort finden. Viele schließen sich Scharlatanen an, doch sie sollen erkennen, dass deine Wahrheit frei macht und zu Gott führt. Mit deiner Hilfe können sie ihre Probleme überwinden.
Ich bitte dich auch, dass wir diese Erneuerung immer wieder in unserem eigenen Leben erfahren. Lass uns immer wieder Reformationen erleben – eine Rückwendung und Rückbindung an dich. Amen.