Die Sehnsucht nach der Siegerseite im Leben
Leben auf der Seite des Siegers – das war das Thema an diesem Abend. Es ist ein Grundbedürfnis unseres Menschseins. Wir möchten auf der Seite des Siegers stehen, das ist doch klar.
Ich persönlich bin in Bad Cannstatt geboren. Da kann es gar nicht anders sein; es ist sozusagen genetisch bedingt, dass man als Bad Cannstatter eine innere Nähe zu dem Fußballverein hat, der dort immer spielt. So war es bei mir natürlich auch. Schon als kleiner Junge habe ich den Torjubel vom Cannstatter Stadion, damals Neckarstadion genannt, gehört. Es ist mir von Kindesbeinen an eingeimpft worden: Als Cannstatter ist man für den VfB Stuttgart, das ist ganz klar.
Wenn sich das so tief ins Leben einsenkt, dann hat man als Vater das innere Bedürfnis, diese Überzeugung auch an seine Kinder weiterzugeben. Ich habe es meinen Kindern auch erklärt: Hört mal her, ihr zwei – ich habe zwei Jungs und ein kleines Mädchen. Die Mädchen sind da immer ein bisschen neutraler, aber die Jungs habe ich klargemacht: Hört mal her, wir sind für den VfB, das soll klar sein. Am Kinderbett, abends vorm Einschlafen, habe ich ihnen gesagt: Bitte nicht vergessen, wir sind für den VfB.
Meine Jungs haben das auch ganz tief beherzigt: Wir sind für den VfB. Mein Ältester ist bald elf Jahre alt. Er steht konsequent in dieser Überzeugung. Er steht fest im Glauben an den VfB Stuttgart und hat diese innere Verbindung, die sein Vater ihm eingeimpft hat.
Jetzt kommt aber mein zweiter Sohn. Er ist neun Jahre alt, und er bereitet mir echte Sorgen. Die letzte Saison war eine ganz schwierige Saison, ja, alle VfB-Fans haben das mitbekommen. Es war sehr, sehr durchwachsen.
Eines Tages, nachdem der VfB mal wieder so herumgegurkt hatte, kam mein zweiter Sohn mit neun Jahren zu mir und sagte: „Papa, ich muss dir was sagen. Ich überlege mir, ob ich in Zukunft für die Bayern sein soll, weil die einfach besser sind.“ Nur ein echter Fußballfan kann nachempfinden, was für ein Schmerz durch das Herz eines Vaters geht, der VfB-Fan ist, wenn sich der eigene Sohn mit der Versuchung trägt, Bayern-Fan zu werden. Das ist echt hart.
Die Gesetzmäßigkeiten des Lebens und die Suche nach Erfolg
Aber das sind echte Gesetzmäßigkeiten dieser Welt. Nichts ist erfolgreicher als der bereits erzielte Erfolg, der macht richtig attraktiv. Der Sieger hat immer Sieger auf seiner Seite und braucht sich um Freunde kaum zu kümmern. Die hat er ständig an seiner Seite.
Das Leben auf der Seite des Siegers bestimmt auch Ihr Leben, genauso wie meines. Wir alle versuchen doch in den Grundentscheidungen unseres Lebens, uns auf die Siegerseite zu stellen – das ist doch klar. Wir stellen uns doch nicht freiwillig in einen Betrieb, der gerade kurz vor dem Abgrund steht.
Ich bewerbe mich doch nicht um eine Stelle, einen Ausbildungsplatz oder einen Arbeitsplatz bei einem Betrieb, von dem ich weiß, dass er kurz vor dem Konkurs steht. Wir leben auf der Seite der Sieger. Wir suchen uns doch einen Freundeskreis, von dem wir wissen, dass wir uns mit ihm nicht blamieren.
Da bin ich nachher kein Außenseiter, wenn ich mich mit diesen Menschen umgebe. Wir suchen uns doch Menschen, von denen wir hoffen, dass ein Stück von ihrem Glanz auf unser Leben fällt. Bei der Partnerwahl ist das genau so.
Wir suchen uns doch keinen Problemfall als Partner fürs Leben, sondern einen Menschen, von dem wir uns versprechen, dass wir mit ihm glücklich werden.
Die Herausforderung der Krankheit und Einsamkeit
Umso schwieriger wird es, wenn wir die Erfahrung der Krankheit machen und selbst plötzlich auf die Verliererseite geraten.
Herr Russ hat ein sehr eindrückliches Zeugnis gegeben. Ich weiß, wie es Ihnen geht. Eine Freundin meiner Frau hat diese Erfahrung gemacht. Sie ist etwa 40 Jahre alt, ungefähr in unserem Alter, wie meine Frau und ich.
Diese Freundin wurde schwer krank. Dann machte sie die Erfahrung, dass sie niemand mehr besuchte – Woche für Woche, Monat für Monat. Die Krankheit zog sich sehr lange hin. Nach und nach blieben Freundinnen weg, eine nach der anderen.
Am Ende von zwei Jahren Krankheit blieben gerade noch zwei Freundinnen übrig. Eine davon war meine Frau. Dann merkt man, wer wirklich zu einem steht. Krankheit macht einsam.
Die religiöse Suche nach der Siegerseite
Leben auf der Seite des Siegers ist eine Frage unserer Religiosität. Unsere Gegenwart ist davon bestimmt – nicht nur unsere Gegenwart. Es war zu allen Zeiten so, dass Menschen in ihrer Frage „An wen glaube ich?“ einen Gott gesucht haben. Sie fragten nach einem Gott, der mich auf die Siegerseite bringt. Das ist doch ganz klar.
Und zwar nicht erst in irgendeiner Ewigkeit, nicht erst in fernen Jahrhunderten oder nach einem langen Zeitraum, wenn man irgendwann nach dem Tod zu einem ewigen Leben aufersteht. Sondern hier und jetzt will ich mit einem Gott auf der Siegerseite stehen. Das soll man auch in dieser Welt sehen können. Es muss sich erweisen, dass ich auf der Siegerseite bin.
Heute erleben wir eine Religiosität, die den Kraftzuwachs für das eigene Leben sucht – in einer Art Dopingkultur. Was bei der Tour de France oder im Sport passiert, geschieht auch in unserem Leben. Wir suchen nach Kraftzufluss für unser Leben.
Meine Frau und ich ziehen bald in den Nordschwarzwald um. Wir haben dort ein Haus gefunden, das gerade renoviert wird. Eine Bekannte meiner Schwiegereltern sagte zu uns: „Ja, Sie müssen da auch ein Einweihungsfest machen.“ Ich antwortete: „Ja, ja, das machen wir auch alles zu seiner Zeit, wenn wir dann eingezogen sind.“
Sie erklärte, dass das sehr wichtig sei, um die bösen Geister zu vertreiben und die guten Mächte ins Haus zu holen. Ich schaute sie zunächst etwas konsterniert an, bis mir langsam dämmerte, was sie meinte. Es geht um die esoterische Vorstellung, dass zusätzliche Kräfte in unser Leben hineingepumpt werden. Dass gute Mächte, gute Geister und gute Kräfte unser Leben bereichern.
Das ist ein Moment unserer gegenwärtigen Religiosität. Wir suchen mehr. Auch wenn es um Religion geht, wollen wir auf der Seite des Siegers stehen – Leben auf der Seite des Siegers.
Der Glaube an Jesus Christus als Leben auf der Siegerseite
Wie ist das eigentlich, wenn ein Mensch, so wie Herr Russ, an Jesus Christus glaubt? Steht er dann auf der Seite des Siegers oder nicht? Das ist doch keine bloße Glaubenssache, ganz klar.
Die Antworten zur Zeit Jesu waren höchst unterschiedlich, sehr durchwachsen. Paulus, der Apostel, schreibt einmal, dass das Wort vom Kreuz für diejenigen, die verloren gehen, eine Torheit ist – ein Schwachsinn. Es sei unverständlich, dass ein von einem ordentlichen römischen Gericht verurteilter galiläischer Zimmermann die Schlüsselfigur der Welt sein soll. Für die Menschen damals im römischen Reich war das absoluter Unsinn. Wer am Kreuz starb, galt als Verlierer. Man konnte es nicht anders bezeichnen. Wer an diesen gekreuzigten Jesus von Nazareth glaubte, glaubte an einen Verlierer.
Umgekehrt spricht das Neue Testament aber gleichzeitig sehr wohl von einem Leben an der Seite des Siegers. Der gleiche Apostel, der von seinen Zeitgenossen als ein Verlierer und Prediger verspottet wurde, verkündet im Philipperbrief, dass Gott diesen Verlierer Jesus Christus – diesen so schändlich, so unglaublich schändlich am Kreuz hingerichteten Jesus von Nazareth – erhöht hat. Gott hat ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen dieser Welt steht. In dem Namen Jesus Christus sollen sich alle Knie beugen – die im Himmel und auf Erden sind – und alle Zungen sollen bekennen, dass er der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.
Nur wissen Sie, dieses Bekenntnis, dieses schrille Bekenntnis, dass es einen Namen gibt, der über alle Namen steht, dass es einen Siegernamen über dieser Welt gibt, schreibt Paulus in einem Dreckloch auf. Er sitzt im Gefängnis, in einem Bunker, in einem Dreckloch, und schreibt einer Gemeinde vom Sieger über dieser Welt. Das muss man sich einmal vor Augen halten: Eingesperrt um des Evangeliums willen, eingelocht für sein Zeugnis vom Sieger Jesus Christus. So stellt man sich das Leben auf der Seite des Siegers normalerweise nicht vor.
Und von daher ist es schon bemerkenswert, dass Paulus trotz allem dabei bleibt. Wer auf der Seite dieses Jesus von Nazareth lebt, so wie er es tut, schreibt Paulus – der im Gefängnis sitzt –, lebt auf der Seite des Siegers. Im gleichen Brief, den er aus dem Gefängnis heraus schreibt und in dem er vom Sieger von Golgatha redet, vom Namen, der über allen Namen steht, schreibt er:
„Aber ich werde mich freuen, ich werde mich auch weiterhin freuen, denn ich weiß, dass mir dies, dass ich hier im Gefängnis sitze, zum Heil ausgehen wird durch euer Gebet und durch euren Beistand des Geistes Jesu Christi, wie ich sehnlich darauf warte und hoffe, dass ich in keinem Stück zu schanden werde, sondern dass frei und offen, wie allezeit so auch jetzt, Christus verherrlicht werde an meinem Leib, es sei durch Leben oder durch Tod. Denn Christus ist mein Leben und Sterben mein Gewinn.“ (Philipper 1,18-21)
Die Herausforderung von Leid und Mobbing in der Gemeinde
Man muss eines wissen: Während Paulus im Gefängnis sitzt, veranstalten seine Kollegen, die lieben Schwestern und Brüder, eine Art Apostelmobbing. Es muss in der Gemeinde von Philippi Christen gegeben haben, die sich über den Einfluss von Paulus ärgerten.
Jetzt wollten sie Paulus zeigen, wo der Bartel den Most holt, also wo in ihrer Gemeinde die Glocken hängen. Sie wollten ihm demonstrieren, wie man wirklich erfolgreich verkündet und wie man es schafft, dass Menschen zum Glauben kommen. Es gab Menschen, die es ihm richtig zeigen wollten.
So etwas kommt manchmal auch bei den lieben Schwestern und Brüdern vor: Man möchte jemandem eine reindrücken. Wahrscheinlich spielte bei diesen Leuten der Gedanke eine Rolle, dass echtes Christsein, das Leben auf der Seite des Siegers, nichts mit Gefangenschaft, Leiden oder Schwäche zu tun hat.
Paulus, wenn du so im Gefängnis sitzt, dann bist du nicht wirklich auf der Seite des Siegers, denn alle sehen ja, dass du ein Verlierer bist. Wahrscheinlich dachte man damals, wahre Nachfolge müsse immer erfolgreich, dynamisch und siegreich sein.
Vielleicht stellten sich die lieben Brüder ein Christsein hinter Gittern als einen Widerspruch in sich vor. Leben auf der Seite des Siegers muss doch anders aussehen: strahlen, herrlich und schön.
Wir wissen nichts Genaues über diese Leute, aber wir kennen die Stimmungslage des Apostels sehr genau. Er war von einer überwältigenden Fröhlichkeit und Freude erfüllt.
Woher nimmt der Mann diese Freude? Woher nimmt er diese Fröhlichkeit und diese trotzige Zuversicht?
Gelassenheit durch das Wort Gottes
Wenn wir dieser Freude nachspüren, dann stoßen wir auf eine Gewissheit: Leben auf der Seite des Siegers gibt Gelassenheit. Das ist das Erste, was ich sagen möchte: Leben auf der Seite des Siegers gibt Gelassenheit.
Paulus weist auf die Selbstdurchsetzungskraft des Wortes Gottes hin. Das Wort Gottes ist nicht davon abhängig, ob Paulus im Gefängnis sitzt oder nicht. Es ist auch nicht davon abhängig, ob wir Religionsfreiheit haben oder nicht. Ebenso wenig hängt es davon ab, ob wir schöne Kirchen, schöne Lieder, eine schöne Orgel oder PowerPoint-Präsentationen haben oder nicht.
Das Wort Gottes ist nicht abhängig von den Stimmungslagen in einem Land. Es besitzt eine Selbstdurchsetzungskraft in sich selbst. Sie hören heute das Wort Gottes nicht wegen mir, sondern trotz mir. Und so ist es immer: Sie hören das Wort Gottes nicht wegen meiner Kolleginnen und Kollegen, sondern trotz meiner Kolleginnen und Kollegen.
So war es auch in der Kirchengeschichte. Oft sah es jämmerlich aus um das Reich Gottes, jämmerlich um die Gemeinde. Man war kurz davor, die Koffer zu packen, die Türen abzuschließen und das Licht in der Kirche Jesu Christi auszumachen. Aber Gottes Wort setzt sich durch – nicht wegen uns, nicht weil wir treu genug wären, nicht weil wir eifrig oder leidenschaftlich genug wären, nicht weil wir die richtigen Methoden, Strategien oder Gemeindeaufbaukonzepte haben. Sondern weil das Wort Gottes eine Selbstdurchsetzungskraft in sich trägt.
Deshalb kann Paulus im Gefängnis sitzen und trotzdem fröhlich bleiben, weil er weiß, dass dieses Wort, dieses Evangelium von Jesus Christus, eine Selbstdurchsetzungskraft besitzt. Keine Macht der Welt kann den Lauf dieses Wortes hindern.
Deshalb schreibt Paulus im Brief an die Philipper: „Ich bin guter Zuversicht, dass der, der in euch angefangen hat das gute Werk des Glaubens, es auch vollenden wird bis an den Tag Christi“, obwohl ihr so schräge Typen bei euch habt, obwohl ihr so krumme Ansichten habt und eine geknickte Motivation tragt. Er wird es vollenden bis zum Tag Jesu Christi.
So ist es auch in Hüten. Hier ist es bestimmt anders als anderswo. Hier gibt es bestimmt keine Probleme, hier gibt es lauter tolle Menschen, Schwestern und Brüder, keinen Streit und keinen Ärger. Anderswo ist es anders, aber auch dort wird sich das Wort Gottes durchsetzen.
Er wird das Werk vollenden in Hüten und anderswo bis an den Tag Jesu Christi. Man kann vieles verhindern, aber das Wort Gottes kann man nicht verhindern. Es wird sich durchsetzen in seiner Gemeinde, es wird sich durchsetzen in Ihrem Leben und es wird sich durchsetzen auch im Leben Ihrer Kinder.
Vertrauen auf die Wirkung des Wortes Gottes bei Kindern
Es sind viele Eltern da. Da ist man ja immer besorgt, dass die eigenen Kinder die richtige Orientierung für ihr Leben finden. Manchmal versucht man, nachzuhelfen.
Ich kenne Väter, die ihre Kinder aus der Schule genommen und sie in ein frommes Internat gesteckt haben, weil sie erzwingen wollten, dass ihre Kinder Jesus Christus und den Glauben an ihn finden. Vergessen Sie es! Wir können Menschen nicht zum Glauben zwingen. Aber wir können auf die durchsetzende Kraft des Wortes Gottes vertrauen.
Dort, wo ein junger oder auch ein älterer Mensch dieses Wort gehört hat, wird es im Leben eine Wirkung entfalten. Es wird sich durchsetzen. So war es schon zur Reformationszeit. Beim Augsburger Reichstag 1530 stand es ganz schlecht um die evangelische Sache. Philipp Melanchthon, der damals Verhandlungsführer der evangelischen Reichstände war, hatte große Angst, dass die Sache den Berg hinunterrutscht.
Martin Luther saß zu dieser Zeit auf der Coburg und beobachtete die ganze Geschichte aus der Distanz. Er durfte nicht hingehen, sonst hätten sie ihn eingesperrt. Dann schrieb er seinem Freund, Melanchthon, einen Brief. Melanchthon wurde unser Vater, und er wird auch unser Kindervater sein.
Liebe Eltern, glaubt ihr, dass der euer Vater geworden ist und auch euer Kindervater sein wird? Luther schreibt: „Ich bete wahrlich fleißig für dich, und es tut mir weh, dass du unverbesserlich Sorgen, Blut und Eifer meine Gebete so vergeblich machst. Ich wenigstens bin, was die Sache angeht, nicht sonderlich beunruhigt, vielmehr besserer Hoffnung, als ich zu sein gehofft hatte.“
„Mächtig ist Gott, die Toten zu erwecken, mächtig ist er auch, seine Sache, wenn sie gefallen ist, wieder aufzurichten und, wenn sie steht, fortzuführen.“ Gottes Wort setzt sich durch. Das breitet im Leben eines Menschen, der auf der Seite des Siegers von Golgatha steht, eine große Gelassenheit aus, weil er alles im Griff hat.
Der rechte Blick auf Bedrängnis und Heil
Ein zweites Leben auf der Seite des Siegers gibt den rechten Blick. Ob sich Gottes Wort in unserem Leben und in dieser Welt durchsetzt oder nicht, kann für unser Leben eine sehr bedrängende Frage sein. Ob sich Gottes Heil in unserem Leben durchsetzt, ist eine noch viel bedrängendere Frage.
Gilt die Güte und Liebe Gottes wirklich auch für mein kleines, persönliches Leben? Das war Ihre Frage, Herr Russ, als Sie die Diagnose bekommen haben. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es heute Abend in diesem Gottesdienst nicht wenige gibt, die sich diese Frage einmal gestellt haben oder sie gerade sehr aktuell stellen.
Dass Jesus der Sieger dieser Welt sein mag, das kann ja schon sein. Aber wird er auch der Sieger in meinem Leben sein? Wird er auch der Sieger über die vielen bösen Kräfte, Krankheiten, Nächte und Beziehungskonflikte meines Lebens werden? Warum lässt er zu, dass es manchmal so bedrängend eng wird in meinem Leben?
Wir wissen, dass Paulus durch diese Fragen hindurchgegangen ist. Im Philippabrief gibt er eine durchlittene und durchbetete Antwort auf diese angefochtenen Fragen. Paulus hat eines begriffen – und das müssen wir auch begreifen: Das Heil Gottes, die Güte Gottes und die Liebe Gottes sind völlig unabhängig von unserer äußeren Bedrängnis und Beengtheit.
Wir setzen das Heil Gottes oft mit einem Zustand der Weite und des Wohlseins gleich. So wird es auch sein, wenn Jesus sichtbar wiederkommt und wir seine neue Schöpfung betreten. Aber in dieser Welt, solange wir hier sind und unser Leben leben, setzt sich dieses Heil oft unter Bedingungen durch, die gerade das Gegenteil davon sind.
Das kann ich am Kreuz von Golgatha lernen. Jesus waren nie engere Grenzen gesetzt als an diesem Kreuz. Er war nie mehr festgenagelt als an diesem Kreuz. Jesus hatte nie weniger Bewegungsspielraum als an diesem Kreuz. Aber an diesem Kreuz hat er das größte Wunder der Welt vollbracht – mehr als in allen anderen Wundern zusammen. An diesem Kreuz hat er das Heil der Welt vollbracht.
Vom Gekreuzigten lerne ich, dass dort, wo wir am schwächsten sind, dort, wo unsere Bewegungsspielräume enger sind als sonst, Gott am stärksten wirken kann. Vom Gekreuzigten lerne ich, dass dort, wo wir festgenagelt sind, wo unsere Möglichkeiten restlos erschöpft sind, er dort seine Möglichkeiten entfaltet. Dort fängt er an, aus unserem Leben seine Wunder zu tun.
Gott ist da ganz stark, wo wir nur ganz wenig sehen. Da wird Gott in einem Menschen ganz groß, auf den wir vielleicht verachten oder als Verlierer herabsehen. Das Wort vom Kreuz, dass ein Gekreuzigter das Heil der Welt sein soll, ist eine Torheit für diejenigen, die verloren gehen, ein Blödsinn. Für die aber, die begriffen haben, dass Gott in diesem gekreuzigten Mann von Golgatha seine ganze Stärke und Macht entfaltet, wird es zur Kraft.
Diese werden entdecken, dass hier die ganze Herrlichkeit, Kraft und Macht Gottes steckt. Was für Jesus gilt, gilt auch für seine Boten: Da, wo unser Heil beschnitten und begrenzt wird, geht Gott seinen Weg mit uns.
Das ist die Gewissheit, die aus den Zeilen des Paulus klingt, wie er aus dem Gefängnis schreibt: Möge mich einsperren, wer mag, möge mich mobben, wer mag, möge mich ärgern, wer mag, möge mich wegsperren, wer mag – Jesus tut sein Werk. Das Wort läuft, und mit dem Wort wird Heil ausgeteilt.
Das ist der tiefe Blick von der Siegerseite Jesu. Gott will gerade durch unsere Begrenzungen und Grenzen hindurch seinen Heilweg machen. Wenn das so ist, dann sind es am allerwenigsten unsere Grenzen, unsere begrenzten Begabungen oder unsere Krankheiten, die Gott im Wege stehen.
Weder die Grenzen unserer Begabung, noch die Grenzen unserer Gesundheit, unserer Möglichkeiten, unserer Fähigkeiten oder unserer Finanzen werden Gott für den Bau seines Reiches im Wege stehen. Mein Gott kann – mein Gott kann über alle meine Grenzen hinaus seine Ziele durch mein Leben verfolgen. Mein Gott kann.
Trotzige Gelassenheit und tiefer Blick in Gottes Kraft
Leben auf der Seite des Siegers gibt eine trotzige Gelassenheit, gerade angesichts der Umstände dieser Welt. Es schenkt uns einen tiefen Einblick in die Wirklichkeit seiner Kraft.
Leben auf der Seite des Siegers bringt schließlich eine große Freude. Kein Brief dieses Menschen, dieses Apostels Paulus, wird so sehr vom Grundton der Freude geprägt wie der Philippabrief. Nirgendwo wird die Spannung zwischen den bedrängenden Umständen seines Lebens – Kerker, Wasser und Brot, ein dreckiges Loch – und gleichzeitig diesem ansteckenden Ton der Freude so greifbar.
Den Grund für diese trotzige Heiterkeit finden wir in diesen Versen: „Ich weiß. Ich weiß, dass mir dies zum Heil ausgehen wird durch euer Gebet und durch den Beistand des Geistes Jesu Christi“, ganz egal, wie diese Geschichte in diesem Kerkerloch endet. Ob mit Freispruch oder mit Hinrichtung – beides waren Möglichkeiten –, sei es durch Leben oder durch Tod, es wird zum Heil ausgehen.
Es wird zum Heil ausgehen, denn wer in Jesus sein Heil gefunden hat, wer auf der Seite des Siegers lebt, für den verliert die Grenze des Todes ihren allerletzten Schrecken. Für den ist der Tod nicht nur das letzte Unheil. Wer in Jesus den guten Hirten kennengelernt hat, der hat einen Begleiter für Zeit und Ewigkeit gefunden. Und der wird sich auf das Schauen von Angesicht zu Angesicht freuen können.
Wer auf der Seite des Siegers verankert gegangen ist, der kann gar nicht mehr untergehen. Blaise Pascal hat es einmal so ausgedrückt: Es ist herrlich, auf einem Schiff zu fahren, das zwar vom Wind und den Wellen geschüttelt und gerüttelt wird, von dem man aber ganz sicher weiß, dass es am Ende im Hafen ankommen wird.
Leben auf der Seite des Siegers ist Leben mit einer trotzigen Gelassenheit, großer Zuversicht und Freude.
Zeugnis von Hoffnung und Heilung
Vor sechs Jahren erkrankte mein bester Freund an Krebs, es wurde ein Tumor festgestellt. Ich fuhr sofort ins Krankenhaus, und wir beteten gemeinsam Psalm 27.
Wenn sich der Feind gegen mich erhebt, verlasse ich mich auf Gott. An seinem Krankenbett sagte er, er sei 37 Jahre alt und habe zwei Kinder. Er fragte sich, was Gott durch diese Krankheit durch ihn bewirken würde.
Es geschah dann, dass viele Menschen tief bewegt wurden durch seine Krankheit. Geschäftsleute, die seinem Glauben anfangs wenig abgewinnen konnten, wurden durch sein Zeugnis am Krankenbett berührt. Müde Christen begannen wieder zu beten.
Gleichzeitig breitete sich eine große Getrostheit und Gelassenheit um sein Krankenbett aus. Er wusste, dass es zum Heil ausgehen würde – so oder so. Ob durch Tod oder Leben, durch Heilung oder Tod, es würde zum Heil ausgehen, weil Gott es auf seine Weise richtig machen wird.
Er wurde schließlich geheilt und nach einem halben Jahr aus dem Krankenhaus entlassen. Damals hatte er keine Haare mehr, war um Jahre gealtert und nicht besonders gesund – es war eine ganze Geschichte. Doch es ging zum Heil aus, und das wäre es auch gewesen, wenn er nicht gesund geworden wäre.
Das ist die große Freude eines Menschen auf der Seite des Siegers: Er weiß, egal wie Gott mit seinem Leben umgeht, es wird zum Heil ausgehen.
Dann breitet sich Freude aus, Gewissheit und Zuversicht folgen. Ich wünsche Ihnen diese Erfahrung in Ihrer Lebenssituation, in der Sie heute Abend sind – ganz gleich, wo Sie stehen und mit welchen Sorgen und Nöten Sie heute zu Bett gehen.
Leben unter der Herrlichkeit des geöffneten Himmels
Leben auf der Seite des Siegers ist nicht immer ein Leben im Lichtglanz der Scheinwerfer dieser Welt. Es ist vielmehr ein Leben unter der Herrlichkeit eines geöffneten Himmels, der für Menschen auf der Seite des Siegers gar nicht mehr geschlossen werden kann. Amen.
