Wir wollen uns heute Morgen etwas ausführlicher mit dem Römerbrief beschäftigen. Es geht Schlag auf Schlag und sehr spannend weiter, was Paulus uns heute zu sagen hat und was er damals an die Römer geschrieben hat.
Bevor ich damit beginne und den Text lese, möchte ich noch auf das Blatt aufmerksam machen. Ich hatte ja gestern nach den Gefahren für gute Menschen gefragt. Dieses Blatt lege ich wieder vorne aus. Diejenigen, die sich gemeldet hatten, können sich am Ende der Stunde gerne bedienen.
Diesmal lese ich das ganze Kapitel 6 vor. Es ist ja auch nicht so lang, es umfasst gerade 23 Verse. Danach können wir noch einmal genauer hineinhören, auch für diejenigen, die nicht die Gelegenheit hatten, den Text vorher einzusehen.
Einführung in das Thema und Lesung von Römer Kapitel 6
Kapitel 6, Römer Kapitel 6
Was wollen wir nun sagen? Sollen wir in der Sünde verharren, damit die Gnade überströme? Das sei ferne! Wir, die wir der Sünde gestorben sind, wie sollen wir noch in ihr leben?
Oder wisst ihr nicht, dass wir, so viele auf Christus getauft wurden, auf seinen Tod getauft worden sind? So sind wir nun mit ihm begraben worden durch die Taufe in den Tod, damit, wie Christus aus den Toten auferweckt worden ist durch die Herrlichkeit des Vaters, auch wir in Neuheit des Lebens wandeln.
Denn wenn wir mit der Gleichheit seines Todes verwachsen sind, so werden wir auch mit der seiner Auferstehung sein. Wir erkennen, dass unser alter Mensch mitgekreuzigt worden ist, damit der Leib der Sünde abgetan sei und wir nicht mehr der Sünde dienen.
Denn wer gestorben ist, ist freigesprochen von der Sünde. Wenn wir aber mit Christus gestorben sind, so glauben wir, dass wir auch mit ihm leben werden. Wir wissen, dass Christus aus dem Tod auferweckt worden ist und nicht mehr stirbt. Der Tod herrscht nicht mehr über ihn.
Denn was er gestorben ist, ist er für allemal der Sünde gestorben. Was er aber lebt, lebt er Gott. So auch ihr: Haltet euch der Sünde für tot, Gott aber lebendig in Jesus Christus!
So herrscht nicht mehr die Sünde in eurem sterblichen Leib, dass er seinen Lüsten gehorche. Stellt euch auch nicht eure Glieder der Sünde zur Verfügung als Werkzeuge der Ungerechtigkeit, sondern stellt euch selbst zur Verfügung als Lebende aus den Toten. Stellt eure Glieder Gott zu Werkzeugen der Gerechtigkeit.
Denn die Sünde wird nicht über euch herrschen, denn ihr seid nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade.
Was nun? Sollen wir sündigen, weil wir nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade sind? Das sei ferne!
Wisst ihr nicht, dass, wem ihr euch zur Verfügung stellt als Sklaven zum Gehorsam, ihr dessen Sklaven seid, dem ihr gehorcht? Entweder Sklaven der Sünde zum Tod oder Sklaven des Gehorsams zur Gerechtigkeit.
Gott aber sei Dank, dass ihr Sklaven der Sünde wart, aber von Herzen gehorsam geworden seid dem Bilde der Lehre, dem ihr überantwortet worden seid. Freigemacht von der Sünde seid ihr Sklaven der Gerechtigkeit geworden.
Ich rede menschlich wegen der Schwachheit eures Fleisches: Denn wie ihr eure Glieder als Sklaven der Ungerechtigkeit und der Gesetzlosigkeit zur Gesetzlosigkeit zur Verfügung gestellt habt, so stellt jetzt eure Glieder zur Verfügung als Sklaven der Gerechtigkeit zur Heiligkeit.
Denn als ihr Sklaven der Sünde wart, da wart ihr frei gegenüber der Gerechtigkeit. Welche Frucht hattet ihr denn damals? Dinge, deren ihr euch heute schämt, denn das Ende davon ist der Tod.
Jetzt aber, von der Sünde freigemacht und Gottes Knechte geworden, habt ihr eure Frucht zur Heiligkeit als das Ende, aber das ewige Leben.
Denn der Lohn der Sünde ist der Tod, die Gnadengabe Gottes aber ewiges Leben in Christus Jesus, unserem Herrn.
Rückblick auf den Römerbrief und die Bedeutung von Gesetz und Gnade
Soweit zu Kapitel 6. Wir wollen uns gleich noch die Verse einzeln und näher ansehen. Bevor wir das tun, müssen wir jedoch noch einmal etwas im Römerbrief zurückblicken. Dabei wollen wir klären, worum es Paulus in diesem Kapitel überhaupt geht, was sein Ziel ist und womit er sich an dieser Stelle auseinandersetzt.
Wir haben ja im Römerbrief gesehen, dass Paulus dort zwei verschiedene Typen von Menschen beschreibt: Die einen sind Menschen, die etwas vom Wort Gottes wissen, die anderen wissen nichts vom Wort Gottes. Es handelt sich dabei um Juden und Heiden. Diese Menschen stehen vor der Entscheidung, entweder auf die Forderung Gottes zu hören und zu sagen: „Ich will Gott gehorsam sein, seinen Geboten und Gesetzen folgen und mir so das Himmelreich erarbeiten“, wenn ich das einmal so knapp zusammenfassen darf.
Dann gibt es die anderen, die innerlich spüren, dass da das Gebot Gottes, der Anspruch Gottes ist, aber sie können diesem Anspruch nicht genügen. Deshalb brauchen sie Gnade und Vergebung. Nur so haben sie die Möglichkeit, Zugang zu Gott zu bekommen.
Wir haben auch gesehen, dass die Mehrzahl der Menschen – so wie wir es im Römerbrief lesen – das, was Gott an Gnade, Langmut und Güte den Menschen entgegenbringt, ablehnen und verachten. Sie verfolgen lieber störrisch ihren eigenen Weg.
Paulus zeigt uns das ganz deutlich am Beispiel von Abraham. Wie war das bei Abraham? Er gilt für die Juden damals und auch für uns heute als Vorbild des Lebens mit Gott, weil Gott ihn sogar Freund nennt.
Wir sehen bei Abraham, dass er zwar ein gutes Leben geführt hat und nach den Geboten Gottes lebte, diese aber auch, wie wir festgestellt haben, einige Male übertrat. Das würde bedeuten: Wenn er durch das Gesetz Gerechtigkeit erlangen wollte, wenn er vor Gott einmal stehen und sagen wollte: „Schau mich an, ich habe doch vollkommen nach deinen Geboten gelebt“, dann müsste Gott sagen: „Nein, das stimmt nicht, auch du musst verurteilt werden.“
Paulus sagt, das Geheimnis Abrahams ist nicht, dass er den Geboten Gottes getreu gelebt hat, sondern dass er auf Gott vertraut hat. Er hat Gott sein Leben anvertraut – in allen Schwierigkeiten und selbst in Situationen, die nach unserem Ermessen und auch nach Abrahams Vorstellung vollkommen unmöglich waren. Vollkommen wagemutig und ohne jede Sicherheit war zum Beispiel der Auszug aus Haran, die Verheißung der Geburt eines großen Volkes, der Schutz, den Gott ihm gewährte, und das Land, das er einmal erben sollte.
All das hatte Abraham nicht in der Hand, keine Garantie und keine Versicherung, die ihm das garantierte. Trotzdem machte er sich auf den Weg. Er vertraute Gott sein ganzes Leben an. Er vertraute auch darauf, dass Gott ihm die Schuld und die Sünde, die er auf sich geladen hatte, nicht anrechnet, sondern ihn annimmt und ihm diese Sünden vergibt.
Er glaubte sozusagen schon im Hinblick auf Jesus Christus, auch wenn er dessen Namen nicht kannte. Wir wissen jedoch aus dem Neuen Testament, dass Jesus Christus schon geplant war – wenn wir es einmal so sagen – und nicht erst seit seiner Geburt.
Denn schon seit dem Sündenfall gab es immer wieder die Verheißung. Erinnern wir uns an den Fluch der Schlange: „Der Nachkomme der Frau wird dir den Kopf zertreten.“ Das ist der erste Hinweis auf Jesus Christus im Alten Testament.
Es wird einmal jemand kommen, der den Teufel, seine Macht und die Macht der Sünde besiegen wird. Dieser jemand wird die Menschen wieder freisetzen und ihnen ermöglichen, zurück zu Gott zu kommen und mit ihm in Kontakt zu treten.
Die Rolle des Gesetzes und die Frage nach der Bedeutung der Sünde
Nun ist Paulus in seinem Brief so weit gekommen, und für viele Leser stellt sich nun die Frage: Wofür ist das Gesetz überhaupt noch da? Was sollen wir mit dem Gesetz anfangen? Sollen wir das Alte Testament einfach wegwerfen? Leben wir nicht einfach frisch und frei drauflos, weil wir innerlich schon irgendwo wissen, wo es langgeht?
Heute ist das ja auch ganz modern. Viele Menschen, die sich auch Nichtchristen nennen, sagen, dass sie innerlich etwas fühlen. Wenn man mit ihnen spricht, sagen sie oft: „Ich fühle doch, dass das gut ist“ oder „Ich meine, das müsste so sein.“ Immer mehr Menschen gehen davon aus, dass es keine festen Ordnungen oder Gebote gibt. Jeder muss selbst wissen, was für ihn gut ist, und jeder muss sich selbst dafür verantworten.
Das ist die Frage, die hier gestellt wird: Wofür brauchen wir das Gesetz überhaupt noch? Einige ganz Radikale – auf die kommen wir später in den Versen noch ausführlicher zu sprechen – sagen sogar: Vielleicht ist es ja gut, wenn wir sündigen. Denn dann kann Gott umso gnädiger sein, umso mehr Sünden vergeben. So werde die Ehre Gottes umso höher gehalten.
Nicht nach dem Motto: „Umso schlechter es mir geht.“ Wir kennen das ja auch aus einem Gleichnis Jesu: Wem viel vergeben ist, der hat viel Liebe. Also: „Jetzt mache ich viel Böses, jetzt überschreite ich viele Gebote, damit ich hinterher auch viel Liebe habe und möglichst nah zu Gott komme.“ Wir merken schon, das klingt für uns ganz fremd und unverständlich. Da fragen wir uns: Hat derjenige überhaupt begriffen, worum es geht?
Genau deshalb geht Paulus hier darauf ein und fragt: Wofür ist das Gesetz überhaupt noch gut, wenn es nicht dazu dient, dass wir uns selbstgerecht vor Gott stellen können und sagen: „Ich habe dein Gesetz eingehalten“? Oder dass wir zumindest sagen können: „Bei mir waren aber mehr gute Taten als schlechte.“ Darauf müssen wir achten: So etwas finden wir in der Bibel nicht.
In der Bibel steht nicht, dass Gott einmal mit den Sünden abwägt. Auf der einen Seite sind die Sünden, auf der anderen Seite unsere guten Taten. Je nachdem, ob die guten Taten mehr sind, kommen wir in den Himmel – oder eben nicht. Nein, so geht das nicht. Diese Vorstellung hatten zum Beispiel die Griechen, an die Paulus hier schreibt.
Ich war einmal in Athen im Nationalmuseum. Dort ist eine Goldwaage ausgestellt, die man aus der Zeit der alten Griechen ausgegraben hat. Die Griechen glaubten, mit dieser Waage würde ihr Leben abgewogen: Waren sie gerecht oder nicht? Das ist eine Vorstellung, die viele Menschen haben, aber die wir nicht in der Bibel finden.
Denn es geht nicht darum, ob unsere guten Taten überwiegen. Es geht darum, dass Gott bei sich keine Sünde dulden kann – auch nicht ein kleines bisschen. Wenn wir sagen: „Nun, es sind ja nur zehn Prozent Sünde in meinem Leben, neunzig Prozent habe ich Gutes getan.“ – ich weiß nicht, ob jemand das so sagen kann. Es wäre schon ein sehr guter Mensch mit neunzig Prozent Gutes, aber zehn Prozent Sünde kann Gott bei sich nicht dulden. Gott muss den Menschen ablehnen.
Stellen Sie sich das einmal vor: Sie wollen Ihr Wohnzimmer neu streichen. Sie haben weiße Binderfarbe und sagen: „Wenn ich da so einen Becher schwarze Farbe reinmische, macht das ja nichts.“ Ja, es sei denn, Sie wollen das etwas getönt haben, zum Beispiel graue Tapeten. Aber sonst kann ich das nicht empfehlen, denn man sieht es hinterher.
Bei Gott ist das natürlich noch viel stärker als bei der Farbe im Wohnzimmer. Gott – wer kann mit Sünde leben? Gott ist heilig. Gott würde nicht mehr Gott sein, wenn er uns als Sünder bei sich dulden würde. Deshalb ist Sünde unmöglich. Sie kann bei Gott gar nicht sein, auch nicht zu 0,1 Prozent. Es muss alles weg sein.
Glaube als tätige Kraft und die Folgen des Glaubens im Leben
Hier nun die Frage: Was machen wir mit den Geboten?
Zunächst möchte ich einen Vers aus Galater 5,6 zitieren, der uns dazu schon etwas Aufschluss gibt. Galater 5,6 lautet: „In Christus Jesus gilt der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.“
Aha, Glaube ist also nicht nur irgendein Vermuten oder ein innerliches Für-gut-und-richtig-Halten. Glaube wird tätig. Wenn wir dann in den Jakobusbrief hineinschauen, sehen wir sogar, dass Jakobus noch etwas radikaler ist. Er sagt: „Der Glaube ohne Werke ist tot.“ Es gibt eigentlich gar keinen Glauben, wenn sich das Leben nicht verändert.
Damit sagt Jakobus nicht etwas ganz anderes als Paulus an dieser Stelle. Im Grunde genommen meint er genau dasselbe. Wenn sich innerlich bei mir etwas ändert, wenn ich innerlich, wie wir gestern gehört haben, mich umdenke – wenn ich diese Metanoia, wie das griechische Wort dafür heißt, diese Umsinnung innerlich erlebt habe –, wenn mir durch Jesus Christus andere Werte in meinem Leben wichtig werden, wenn ich tatsächlich errettet worden bin durch Jesus Christus, dann wird sich das ändern. Andernfalls hat gar keine innere Umsinnung stattgefunden.
Das müsste ja auch relativ klar und einsichtig sein. Nehmen wir ein Beispiel, ein ganz einsichtiges Beispiel: Jemand sagt sich... Es gibt eine Geschichte von Dostojewski, „Schuld und Sühne“, die Sie vielleicht kennen.
Da ist ein junger Student, der bei einer alten Frau im Haus lebt. Er ist arm und es geht ihm nicht gut. Die Leute ärgern sich alle über diese ältere Frau, weil sie immer etwas auszusetzen hat und die anderen ärgert. Eines Tages überlegt sich der Student: „Sie stirbt ja sowieso bald, ich habe kein Geld, und die anderen freuen sich sogar, wenn sie stirbt. Es ist doch eigentlich keine Sünde, wenn man sie jetzt etwas schneller zum Tode bringt.“
Und so erschlägt er diese Frau und nimmt ihr Geld an sich. Die ganze Geschichte geht weiter damit, wie er die Sünde dafür erlebt, wie ihn die Folgen seiner Tat ereilen und wie er innerlich damit fertig wird. Er wird nicht damit fertig.
Dostojewski will zeigen, dass Sünde immer eine Folge in unserem Leben hat. Wir können nicht sündigen und dann einfach so ungeschoren davonkommen.
Sehen wir das Bild dieses jungen Mannes, der so etwas tut. Das würden wir natürlich nicht tun, aber ich nehme ein ganz radikales Beispiel, das uns das vor Augen führt. Zunächst denkt er, das sei keine schlimme Tat. Heute gibt es ja auch einige, die sagen: „Wir haben diese alte Frau von ihren Leiden befreit.“ Sterbehilfe kennen Sie ja.
Man sagt dann ab einem bestimmten Alter, es mache nichts, wenn man jemanden umbringt. Das sei vielleicht sogar eine gute Tat. Die Römer waren noch extremer. Zur Zeit des Neuen Testaments gab es in Rom ein Sprichwort: „Die Alten von den Brücken.“
Damit meinte man: Wenn du deine Großeltern oder Eltern zu Hause hast und nicht genug Geld, geh abends mit ihnen spazieren, über eine Tiberbrücke, gib ihnen einen Stoß, sie fallen hinein, und dann bist du schuldfrei.
Ich weiß nicht, ob wir in Deutschland auch einmal dahin kommen, jetzt wo immer mehr über die Renten gesprochen wird und wie das finanzierbar wird. Ob man dann irgendwann sagt: „Ja, Höchstalter 70 Jahre, und danach ist nichts mehr.“ Ich hoffe es nicht.
Aber wir sehen, dass die Vorstellung, die wir als Christen haben – dass Leben unter dem Schutz Gottes steht und wir uns nicht an dem Leben anderer Menschen vergreifen dürfen – nicht automatisch für alle Menschen gilt. Für den von Dostojewski nicht, für die alten Römer nicht und für viele Menschen heute auch nicht.
Wenn aber jemand zum Glauben an Jesus Christus gekommen ist und neue Werte bekommen hat, umgesinnt ist, erkennt er plötzlich: Gott ist der Schöpfer des Lebens, und nur Gott darf dieses Leben wiedernehmen.
Wenn jemand das erkannt hat, kann er hinterher nicht mehr genauso weiterhandeln. Was meint er? Kann er noch genauso weiter handeln? Eigentlich doch nicht. Wenn er genauso weiterhandelt – wie der Student bei Dostojewski, der seine Vermieterin erschlägt – dann hat kein Umsinn stattgefunden.
Dann hat er sich vielleicht taufen lassen, ist vielleicht zu einer Kirche gegangen, aber innerlich hat keine Umsinnung stattgefunden. Da ist nichts neu geworden. Er ist noch genauso wie vorher, selbst wenn er den Mitgliedsschein einer Kirche in der Tasche trägt.
Das ist der entscheidende Unterschied: Wenn wir durch die Gnade gerechtfertigt worden sind, dann verändert sich etwas. Dann hat der Glaube, das Leben mit Gott Auswirkungen.
Nicht umgekehrt: Nicht erst die Werke, dann der Glaube und dann der Weg zu Gott, sondern erst der Glaube, der Weg zu Gott, und dann kommen die Werke als Ergebnis daraus hervor.
Detaillierte Betrachtung von Römer Kapitel 6
Wir wollen uns einige Verse aus dem sechsten Kapitel etwas genauer ansehen, um zu verstehen, wie Paulus dort vorgeht und was er uns mitteilen möchte. Ich werde jeweils die einzelnen Verse dazu vorlesen.
Vers 1–2: Ablehnung der Sünde trotz Gnade
Vers 1
Was wollen wir nun sagen? Und was wollen wir hierzu sagen? Luther schreibt, denke ich, wir sollten in der Sünde verharren, damit die Gnade zunehme. Das ist ja genau die Frage, die ich gerade gestellt habe. Manche Menschen sagen: Nur wenn wir durch Gnade gerettet werden, dann lasst uns doch möglichst viel sündigen, damit hinterher die Gnade umso größer wird.
Paulus sagt hier jedoch, das sei ferne. Das ist ein griechischer Ausdruck, der „megenoito“ heißt. Das bedeutet die stärkste Vermeidung, also in keinem Fall, das ist unmöglich. Nein, das passt ganz und gar nicht dazu, das meint dieser Satz. Das ist hier vielleicht sogar noch ein bisschen schwach, eben wie wir das im Deutschen lesen.
Wir, die wir der Sünde gestorben sind, wie werden wir noch in ihr leben? Hier greift Paulus ein ganz starkes Bild heraus, ein wirklich kräftiges Bild. Er sagt ja, wir sind der Sünde gestorben. Wenn wir zu Gott gekommen sind, dann sind wir als Menschen eigentlich gar nicht mehr da, dann sind wir andere Menschen.
Wie kann es dann sein, dass wir sozusagen wieder nachbuddeln auf dem Friedhof und unseren alten Menschen wieder rausholen wollen, um mit ihm zusammenzuleben? Das ist das Bild: Wir sind gestorben der Sünde, und wie wollen wir jetzt noch in der Sünde leben? Das ist doch eigentlich ein Widerspruch, ein Gegensatz.
Augustinus, den einige dem Namen nach kennen, hat das einmal ganz intensiv erlebt. Er ist erst relativ spät zum Glauben gekommen, war Professor in Rom und auch in Mailand. Seine Mutter war gläubig, Monika hieß sie mit Namen. Er hörte Predigten und kam schließlich zum Glauben.
Vor seinem Zimmerfenster hörte er ein paar Kinder spielen. Sie spielten ein Spiel, und plötzlich hörte er die Stimme: „Nimm und lies.“ In der Nähe hatte er seine Bibel, schlug sie auf und las eine Stelle, übrigens auch aus dem Römerbrief: „Wandelt nicht mehr in der Sünde, sondern ergebt eure Leiber Gott.“ Das hat er gelesen, ist zum Glauben gekommen und hat radikal gebrochen.
Vorher hat er mit einigen Frauen zusammengelebt, er hatte einige Mätressen gehabt, war auch relativ wohlhabend. Am nächsten Tag begegnete ihm eine dieser Mätressen, und sie sagte zu ihm: „Hallo Augustin, hier bin ich.“ Er ging einfach an ihr vorbei, dann drehte sich Augustin zu ihr um und sagte: „Ja, aber ich bin es nicht mehr.“
Damit wollte er sagen, dass er ein neuer Mensch geworden ist. Zwar ist sie noch dieselbe, aber er ist nicht mehr derselbe Augustin. Das ist ein radikaler Bruch mit dem Leben vorher, und das meint Paulus hier mit „gestorben“. Es ist tatsächlich neu geworden.
Die Juden kannten so etwas auch. Wenn jemand nämlich Jude geworden ist und sich beschneiden ließ, dann galt er als ein neuer Mensch. Zum Teil war das sogar so radikal, dass die Schulden, die er vorher gemacht hatte, oder das, wofür er vorher verurteilt werden konnte, nicht mehr galten.
Man sagte: Das ist ein neuer Mensch, der ist jetzt Jude geworden, und das Alte gilt nicht mehr. Es werden vielleicht auch einige da gewesen sein, die das dann missbraucht haben und Juden geworden sind ohne Überzeugung, eben weil sie vielleicht viele Schulden hatten.
Stellen Sie sich vor, jemand baut ein Haus für 500 Mark, wird dann Jude und muss seine Schulden nicht mehr bezahlen. Aber damals gab es so etwas natürlich nicht, es gab keine Banken, kein Kreditwesen in der Form.
Paulus will hier ja nicht sagen, wir sollen das missbrauchen, sondern er will sagen: Wenn wir zu Jesus Christus kommen, dann ist da ein Bruch mit unserem alten Leben. Da ist etwas tatsächlich ganz Neues geworden.
Vers 3–4: Das Bild der Taufe als Symbol für neues Leben
Lesen wir Vers 3: „Oder wisst ihr nicht, dass wir, so viele auf Christus getauft wurden, auf seinen Tod getauft worden sind? So sind wir nun mit ihm begraben worden durch die Taufe in den Tod, damit, wie Christus aus den Toten auferweckt worden ist durch die Herrlichkeit des Vaters, so auch wir in Neuheit des Lebens wandeln.“
Da wir dies erkennen, dass unser alter Mensch mitgekreuzigt worden ist, damit der Leib der Sünde abgetan sei und wir der Sünde nicht mehr dienen. Soweit erst einmal dazu.
Nun sehen wir ein zweites Bild, mit dem Paulus uns das deutlich machen will, nämlich das Bild der Taufe. Er sagt: „Ihr erinnert euch doch alle.“ Er spricht hier zu Christen, die bereits Halt in Jesus Christus gefunden haben und ein neues Leben begonnen haben. Dann sagt er ihnen: „Erinnert ihr euch doch, ihr wurdet doch alle getauft!“
Damals war es üblich, dass man als Erwachsener getauft wurde. Nicht, weil man erwachsen war, sondern weil die Menschen vorher keine Christen waren. Paulus kam beispielsweise nach Rom oder Korinth und predigte dort. Jemand erkannte, dass er sein Leben erneuern musste, mit Gott leben wollte, seine Sünden bereute und zu Gott umkehren wollte. Dann sagte diese Person: „Jetzt will ich ein neues Leben mit Gott anfangen“ und ließ sich taufen.
Deshalb erinnern sich die Leute daran. Wenn jemand als Kind getauft wurde, erinnert er sich wahrscheinlich nicht daran, und dann würde ihm Paulus’ Aussage wenig sagen, wenn er sagt: „Ihr wisst, dass ihr getauft wurdet.“ Paulus erinnert sie daran. Wobei das ein eigenes Thema wäre, über die Taufe zu sprechen, aber das wollen wir heute Morgen nicht tun.
Und wenn wir uns die Taufhandlung vorstellen, war das nicht einfach eine Besprengung oder etwas Wasser auf den Kopf zu schütten. Die Taufe damals war so, dass meistens nur zu Ostern getauft wurde. Man wollte sich daran erinnern, dass dies die Zeit war, in der Jesus für uns gestorben und auferstanden ist – eben das Bild, das Paulus hier aufgreift.
Da seid ihr in den Tod hineingetauft und mit Jesus Christus auferstanden. Bei der Taufe gab es erst ein Jahr Taufunterricht, damit man genau wusste, worum es geht.
Dann wurden die Taufbewerber am Karfreitag darauf vorbereitet: Sie durften nichts mehr essen, mussten fasten und sozusagen mit Jesus das Leiden miterleben. Ab Ostermontag ging man ganz früh morgens bei Sonnenaufgang hinaus. Alle alten Kleider wurden abgelegt, um zu zeigen, dass das Alte vollkommen weg ist.
Dann ging man in ein Wasser, die Gemeinde war dabei, man sang Lieder, und die Täuflinge wurden dreimal ganz unter Wasser getaucht. Meistens wurden Flüsse verwendet, weil man sagte, das müsse lebendiges Wasser sein, nicht abgestandenes Wasser in einem Becken. Jesus sagt ja auch: „Ich bin das Wasser des Lebens.“
Die Täuflinge wurden dreimal untergetaucht und sagten dabei ab: „Ich sage meinem Leben ab, ich sage meinem alten Leben ab, ich sage dem Teufel ab und beginne jetzt das Leben mit Jesus Christus.“
Das Bild war: Der alte Mensch steht da, taucht unter und wir wissen alle, wenn jemand unter Wasser taucht, ertrinkt man normalerweise und ist tot, also weg. Der alte Mensch ist gestorben. Natürlich wurde man nicht so lange unter Wasser gelassen, dass man wirklich tot war.
Dann kam man wieder heraus – und heraus kam ein neuer Mensch, nicht mehr der gleiche. Hineingetaucht in den Tod, herausgeholt, auferstanden mit Jesus Christus. So wurde symbolisch ausgedrückt, dass wir in enger Verbindung mit Jesus Christus leben. Das ist nicht nur ein einfaches Ja zu einem Glauben, sondern das ganze innere Leben ist neu geworden.
Wir sind begraben mit Christus, wir sind auferstanden mit Christus, und dann steht in Vers 4: „So auch wir in Neuheit des Lebens wandeln.“ Das Neue hier ist das neue Leben im Heiligen Geist. Es ist etwas, das ganz prinzipiell neu wird.
Wir erinnern uns vielleicht auch an den Vers aus 2. Korinther 5,17: „Daher, wenn jemand in Christus ist, so ist er eine neue Schöpfung; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.“ Hier in diesem Vers, ebenfalls von Paulus geschrieben, drückt er das ganz ähnlich aus: Wir wandeln in Neuheit des Lebens. Das Leben ist anders geworden – nicht durch die Handlung der Taufe, sondern durch das vertrauensvolle Übergeben meines Lebens an Jesus Christus.
Dabei müssen wir natürlich auch darauf achten, dass dieses Neu, dieses Anvertrauen an Jesus Christus, ein ganz konkreter Punkt in unserem Leben ist. Das ist kein langer Prozess, bei dem man sagen kann, irgendwann war ich draußen vor der Tür und jetzt bin ich drin.
So wie Jesus hier sagt: „Klopft an, so will ich euch auftun.“ Also klopft an, und ich lasse euch herein. „Ich will das Abendmahl mit euch halten. Wer mich suchet, der findet mich“ und so weiter.
Das heißt, wenn wir das Bild der Tür nehmen: Da steht jemand vor der Tür, sieht, dass er in der Sünde ist, weiß, dass Jesus Christus drinnen ist und ihm die Sünde vergeben will. Dann muss er irgendwann einmal durch die Tür gehen.
Es gibt niemanden, der draußen war und plötzlich drin ist, ohne durch die Tür gegangen zu sein. Genauso ist es im Leben eines jeden von uns: Es muss einen Zeitpunkt gegeben haben, an dem wir vor der Tür standen, wussten, dass wir sündig sind, angeklopft haben und Jesus Christus uns aufgetan hat.
Wenn es diesen Punkt nicht gibt, dann können wir noch so viel Wissen aus der Bibel haben – es wird uns nicht weiterhelfen. Wenn wir in das Haus Jesu Christi hineinkommen wollen, müssen wir angeklopft haben und durch die Tür gegangen sein.
Das ist ganz wichtig, denn wie gesagt: Christ wird man nicht durch Erziehung, nicht durch Einübung, nicht durch Mitgliedschaft und auch nicht durch Vererbung. Nein, auch nicht durch Vererbung.
Hier ein Beispiel, das Sie vielleicht kennen: Wenn jemand in einer Garage geboren ist, ist er deshalb noch kein Auto, oder? Genauso ist es für jemanden, der in einer christlichen Familie geboren ist. Er ist deshalb nicht automatisch Christ.
Darauf müssen wir sicherlich sehr achten.
Vers 6–7: Der alte Mensch ist mitgekreuzigt und freigesprochen
Vers 6
Da wir erkennen, dass unser alter Mensch mitgekreuzigt worden ist, also gestorben ist, ist dieser Teil von uns vorbei. Er ist tot. Auch wenn Luther sagt, der alte Mensch schwimme noch, also der ist jetzt ersäuft, aber er kommt immer wieder hoch. Paulus unterscheidet hier und sagt, dass dieser alte Mensch zwar schwimmt, wir ihn aber immer wieder untertauchen sollen. Er ist weg, er ist tot, und mit ihm wollen wir nichts mehr zu tun haben.
Denn unser alter Mensch ist mitgekreuzigt worden, damit der Leib der Sünde abgetan sei und wir der Sünde nicht mehr dienen. Das Wort „dienen“ ist hier das Bild von Sklavenarbeit. Wir sind also nicht mehr Sklaven der Sünde.
Vers 7
Denn wer gestorben ist, ist freigesprochen von der Sünde. Dieses Bild greift Paulus im Römerbrief weiter auf. Er bringt das Beispiel von der Frau, die mit ihrem Mann verheiratet ist. So ähnlich ist das auch mit der Sünde. Wenn wir ohne Jesus Christus leben, sind wir Diener der Sünde, wir sind an die Sünde gebunden.
Eine Ehe bedeutet nicht unbedingt, dass man aneinander gekettet ist – das klingt etwas negativ –, aber man ist aneinander gebunden. Wenn jemand verheiratet ist und dann eine andere Person heiratet, wäre das Ehebruch. Das ist Unrecht, sagt Jesus, und Paulus bestätigt das.
Paulus sagt weiter: Nehmen wir an, der Mann stirbt – die meisten Männer werden ja nicht so alt und haben eine geringere Lebenserwartung. Wenn der Mann stirbt, was ist dann mit der Frau, wenn sie wieder heiratet? Ganz genau!
Das ist genau das, was Paulus hier meint: Wir sind als normale Menschen an das Gesetz und an die Sünde gebunden. Wenn wir aber gestorben sind, dann ist das Gesetz sozusagen allein für sich, und die Sünde ist auch allein für sich. Wir haben mit der Sünde nichts mehr zu tun, denn die Sünde ist mit uns gestorben. Wir haben ein neues Leben, und wir wissen, dass dieses Leben ewig sein wird.
Vers 9–11: Christus ist auferstanden – Wir leben in Neuheit
Vers 9
Da wir wissen, dass Christus aus den Toten auferweckt wurde und nicht mehr stirbt, herrscht der Tod nicht mehr über ihn.
Wir hatten das auch schon gehört: Entweder werden wir zweimal geboren und sterben einmal, oder wir werden einmal geboren und sterben zweimal. Das haben wir ja vor ein paar Tagen zusammen besprochen.
Sie sehen: Wir werden einmal menschlich geboren und dann sterben wir geistlich. Der geistliche Tod, von dem die Bibel spricht, bedeutet, dass wir innerlich den Kontakt zu Gott verlieren. Dieser verdorrt, das ist der Tod – es gibt keine Verbindung mehr zu Gott, wir sterben innerlich, unsere Seele stirbt, und das auch in Ewigkeit. Danach sterben wir noch einmal körperlich.
Oder wir sterben zweimal, aber werden zweimal geboren. Einmal sterben, zweimal geboren: Einmal geboren als Kind, als Baby von den Eltern, dann noch einmal geboren, wenn wir zum Glauben an Jesus Christus kommen. Dann erleiden wir nur einmal den leiblichen Tod und werden in Ewigkeit bei Gott leben.
Denn was er gestorben ist – damit meint Paulus jetzt Jesus und auch uns – ist er ein für alle Mal der Sünde gestorben. Was er aber lebt, lebt er für Gott.
Das ist tatsächlich eine einmalige Sache. Es ist nicht so, dass wir uns langsam verändern.
Vers 11
So haltet auch ihr euch der Sünde für tot, Gott aber lebendig in Christus Jesus.
Hier ist Paulus ganz realistisch. Er sagt nicht: Weil ihr einmal ein neues Leben mit Jesus Christus angefangen habt, sündigt ihr nicht mehr. Nein, das wäre unrealistisch.
Dann würde ich bezweifeln, ob ich auch Christ bin, denn auch nachdem ich zum Glauben gekommen bin, habe ich noch gegen die Ordnung Gottes verstoßen und bin zu Jesus Christus gegangen, um ihm Vergebung dafür zu bitten.
Sünde gibt es also weiterhin. Das hat ja sogar Petrus erlebt, der mit Jesus lebte und ihn dann verleugnete. Oder Paulus, der etwas vormachte, als er zu ihm kam. Zuerst hatte er keine Gemeinschaft mit den Heiden, doch plötzlich kamen Gäste aus Jerusalem, und Paulus tat so, als wolle er sich von den Heiden distanzieren und nichts mit ihnen zu tun haben.
Vielleicht erinnern Sie sich an diese Geschichte in der Apostelgeschichte. Paulus spricht später auch noch einmal davon.
Er sagt aber: Haltet euch dafür, dass die Sünde gestorben ist. Das bedeutet: Macht euch deutlich, vergegenwärtigt euch, werdet euch bewusst, dass die Sünde in eurem Leben keinen Anspruch mehr auf euch hat.
So herrscht die Sünde nicht mehr in eurem sterblichen Leib, dass er ihren Begierden gehorcht. Auch stellt ihr eure Glieder nicht der Sünde zur Verfügung, also nicht als Werkzeuge der Ungerechtigkeit.
Stellt euch selbst Gott zur Verfügung als Lebende aus den Toten und eure Glieder Gott als Werkzeuge der Gerechtigkeit.
Das ist eigentlich widersinnig: Unser Leben ist neu geworden, wir leben mit Jesus Christus, und dann tun wir etwas, was gegen Gottes Willen ist.
Paulus will hier sagen: So soll das nicht sein. Wenn ihr im Glauben zu Jesus Christus steht, solltet ihr auch seinem Willen gehorchen. Ihr solltet tun, was er euch gesagt hat, was gut und richtig ist.
Hier nehmen wir ein menschliches Beispiel, das der Ehe, in die wir hineingehen.
In der Ehe ist es ja genauso: Wenn ich weiß, dass meine Frau sich ärgert, wenn ich meine stinkenden Socken abends über das Bett lege, werde ich das wahrscheinlich nicht jeden Abend tun, um ihr eine besondere Freude zu machen.
Ich weiß nicht, wie das bei Ihnen zu Hause ist. Wenn Sie mit den Schuhen, die unten im Garten viel Schlamm haben, durch die Küche laufen, freut sich Ihre Frau darüber sicher auch nicht.
Wenn Sie Ihre Frau wirklich lieben, tun Sie so etwas nicht, oder? Manchmal vielleicht schon, obwohl man es besser wissen sollte. Entschuldigen wir das mal. Aber zumindest werde ich mich dann entschuldigen, Rücksicht nehmen und mir Gedanken darüber machen – das hoffe ich zumindest.
Genauso will Paulus das hier sagen: Wenn ich mit meiner Frau zusammenlebe, tue ich nicht etwas, was ihr schadet. Zumindest nicht, wenn ich sie liebe. Dann will ich nicht, dass sie möglichst viel Ärger hat.
Ich tue nicht das, was uns auseinanderbringt, sondern das, was uns zusammenbringt.
Genauso ist es mit der Beziehung zu Gott. Wenn ich mit Gott lebe und sozusagen diese Ehe mit Gott eingegangen bin – das ist natürlich nur ein Vergleich –, dann tue ich nicht immer das, was Gott ärgert.
Weil ich Gott liebe, weil ich ihn erfahren habe als den, der mich ganz befreit und der weiß, was für mich gut ist.
Gott ist natürlich viel mehr als eine Ehefrau. Er weiß viel besser, was für mich gut ist, wo meine Ehefrau vielleicht nicht weiß, ob es gut ist, wenn ich mit schmutzigen Schuhen durchs Haus laufe oder wenn ich dieses oder jenes tue.
Gott weiß das. Dann habe ich Vertrauen zu Gott, dass er mich recht führt.
Und dann tue ich normalerweise auch das, was er mir gesagt hat.
So sagt Paulus hier, so argumentiert er: Das Gebot hat noch eine Bedeutung für uns.
Vers 14–23: Leben unter Gnade statt unter Gesetz
Vers 14: Denn die Sünde wird nicht über euch herrschen, weil ihr nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade seid. Was nun? Sollen wir sündigen, weil wir nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade stehen? Das sei ferne! Hier ist der Ausdruck "Megeneuto" in keinem Fall zutreffend. So etwas kommt überhaupt nicht in Frage; das ist vollkommen unsinnig.
Wisst ihr nicht, wem ihr euch zur Verfügung gestellt habt als Sklaven zum Gehorsam? Ihr seid Sklaven dessen, dem ihr gehorcht – entweder Sklaven der Sünde zum Tod oder Sklaven des Gehorsams zur Gerechtigkeit. Gott sei Dank, dass ihr einst Sklaven der Sünde wart, aber von Herzen gehorsam geworden seid dem Bild der Lehre, dem ihr übergeben wurdet.
Freigemacht von der Sünde seid ihr Sklaven der Gerechtigkeit geworden. Ich rede hier menschlich wegen der Schwachheit eures Fleisches. Denn wie ihr eure Glieder früher als Sklaven der Ungerechtigkeit und Gesetzlosigkeit zur Gesetzlosigkeit zur Verfügung gestellt habt, so stellt jetzt eure Glieder zur Verfügung als Sklaven der Gerechtigkeit zur Heiligkeit.
Paulus benutzt hier wieder ein Bild, das wir nur schwer ganz nachvollziehen können. Er sagt ja selbst, es ist ein menschliches Bild. Es stammt aus dem Alltag der Menschen damals und soll uns eine geistliche Wahrheit vor Augen führen.
Nun muss ich kurz erläutern, wie das damals war: Damals gab es Sklaverei. Menschen wurden an andere verkauft und hatten nicht mehr ihren eigenen Willen. Ich habe schon darauf hingewiesen, dass sie sogar getötet werden konnten, wenn es dem Herrn gefiel. Sie mussten ihrem Herrn ganz und gar gehorchen. Es gab nur eine Möglichkeit, wie jemand frei wurde: Außer wenn der Herr gestorben war und keine Erben da waren, dann fielen die Sklaven manchmal an den Staat oder sie wurden frei.
Der Herr hatte bemerkt, dass, wenn er den Sklaven an seinen Geschäften beteiligte, dieser besser arbeitete. Sonst tat der Sklave gerade das Notwendige. Ein Beispiel: Der Herr, der seinen Sklaven als Friseur beschäftigte, interessierte sich nicht dafür, ob die Haare ordentlich geschnitten waren oder nicht. Der Sklave machte einfach seine Aufgabe, denn er hatte nichts davon.
Also sagte der Herr: Vielleicht bekommt der Sklave fünf Prozent der Einnahmen. Aber ein Sklave durfte ja nichts besitzen, denn er gehörte seinem Herrn, und somit gehörte auch sein Eigentum dem Herrn. Der Sklave brachte das Geld in den Tempel und schenkte es einem Gott. Die Priester verwalteten dieses Geld, und wenn genug zusammengekommen war, um den Sklaven loszukaufen, gingen die Priester hin, kauften ihn von seinem Herrn los, und dann war er fortan ein Sklave dieses Gottes.
Paulus greift dieses Bild auf und sagt: Ihr wart früher auch Sklaven, aber Sklaven der Sünde. Jetzt könnt ihr das selbst nicht ändern, denn alles, was euch gehört – eure Werke – gehören auch der Sünde. Damit können wir nichts anfangen. Aber Gott ist nicht irgendein Götze in einem Tempel, sondern der wahre Gott, der uns loskauft. Jetzt gehören wir Gott, denn wir sind von ihm losgekauft.
Die Besitzverhältnisse haben sich verändert. Vollkommene, luftleere Freiheit gibt es gar nicht. Jeder Mensch ist Sklave – entweder der Sünde oder Gottes. Etwas dazwischen gibt es nicht.
Wenn Menschen sagen: "Ich will nicht glauben, das engt mich ein", dann müssen wir ihnen sagen: Du bist viel mehr eingeengt – nämlich als Sklave der Sünde, als Sklave deiner eigenen Begierde, wie Paulus im Römerbrief sagt. Wir sind von unseren Begierden, von unserer Sünde versklavt.
Paulus weist in einigen Versen darauf hin: Die Begierde und die Sünde sind tatsächlich etwas, das uns versklavt. Es gibt viele Sprichwörter dazu, zum Beispiel "Lügen haben kurze Beine". Oder dass Sünde an jemandem klebt und man sie nicht mehr loswird. Eine kleine Sünde zieht oft eine größere nach sich. Wenn man einmal lügt, muss man wieder lügen, so ungefähr.
Wie ist das mit Menschen, die Rauschgift nehmen? Das ist ein typisches Beispiel. Am Anfang erscheint es wie Freiheit: "Meine Eltern haben mir das verboten, aber ich will es jetzt machen, ich will das Leben genießen. Ich will mich doch nicht einschränken." Das kann auch Alkohol, Rauchen oder Glücksspiel sein. Oder Vergnügungssucht: "Ich will sexuell ausschweifend leben, wie viele junge Leute das tun. Ich will mich doch nicht binden – nur eine Frau oder nur einen Mann heiraten, das ist langweilig." Das hört man heute oft.
Man will das Leben genießen, feiern, mit Freunden unterwegs sein. Doch mit der Zeit merkt man, dass dieses Leben einen gefangen nimmt. Man kommt nicht mehr davon los, braucht immer mehr, es wird wie eine Sucht. Das befriedigt nicht mehr einmal, sondern muss immer wiederkommen – immer schneller und immer mehr, wie bei Drogen.
Die Sünde ist wie eine Sucht, die uns hineinzieht und uns in Unfreiheit bringt. Egal, um welche Sucht es sich handelt: Kaufsucht, Selbstsucht, Drogensucht, Erfolgssucht – es gibt viele Süchte, die uns binden. Sucht heißt ja auch "suchen". Wir sind auf der Suche und können vieles suchen.
Was brauchen wir eigentlich? Augustinus hat einmal gesagt: "Mein Herz ist unruhig, bis es Ruhe findet in dir." Damit spricht er zu Gott. Solange sind wir unruhig, auf der Suche von einer Sucht zur nächsten, bis wir Ruhe in Gott finden.
Wir sind jetzt freigemacht, wir haben ein neues Leben. Wir sind nicht mehr in der Sünde gefangen. Paulus schließt daraus in den Versen 21 bis 23: Welche Frucht hattet ihr denn damals? Wenn wir Knechte der Sünde sind, dann sind die Früchte auch Sünde. Wir können nichts anderes hervorbringen – Dinge, für die wir uns jetzt schämen.
Denn das Ende davon ist der Tod. Der Sold der Sünde ist der Tod, wie Luther sagt. Oder wie es in der Elberfelder Übersetzung heißt: "Denn der Lohn der Sünde ist der Tod" (Römer 6,23). Doch die Gnadengabe Gottes ist das ewige Leben in Christus Jesus, unserem Herrn.
Jetzt haben wir ein neues Leben begonnen. Ein neues Leben bedeutet auch neue Früchte, neue Werke wachsen daraus – Werke der Gerechtigkeit, Werke, die aus dem Willen und der Vorstellung Gottes hervorgehen.
Zusammenfassung und Anwendung
Wir schließen hier ab. Ich wiederhole nur noch einmal kurz die Frage: Wenn wir in der Gnade leben, wofür brauchen wir dann überhaupt noch das Gesetz? Das interessiert uns ja eigentlich gar nicht mehr.
Paulus antwortet darauf: Nein, so einfach ist das Ganze nicht. Das Gesetz ist ja nach dem Willen Gottes gegeben. Zwar sind wir jetzt dem Gesetz gestorben, wie die Taufe als Bild zeigt. Wir sind hineingetauft in den Tod und mit Jesus Christus auferstanden.
Wenn wir nun mit ihm auferstanden sind, bedeutet das auch, dass wir mit dem alten, toten Menschen nichts mehr zu tun haben. Stattdessen führen wir nun mit Jesus Christus ein neues Leben.
Dann stellt sich wieder die Frage: Ist es vielleicht doch gut, viel zu sündigen, damit die Gnade umso größer wird? Paulus sagt erneut Nein. Du hast immer noch nicht verstanden, worum es geht.
Wenn du mit Jesus Christus lebst, wenn du in Gemeinschaft mit ihm bist, sollst du auch das tun, was Jesus Christus getan hat. Das Bild des Sklaven wird dafür verwendet: Vorher war man Sklave der Sünde. Alles wurde von der Sünde bestimmt – die Begierde, die innere Sucht, die Suche, die uns prägt.
Jetzt aber sind wir Sklaven Jesu Christi. Das soll uns prägen und unser Ziel sein: das Leben mit Jesus Christus. In unserem Leben ist etwas Neues geworden.
Für all diejenigen, die dieses neue Leben mit Jesus Christus erfahren haben, gilt das Gesetz noch immer. Allerdings nicht das Gesetz, das uns niederdrückt, weil wir vor Gott gerecht sein müssen.
Sondern das Gesetz, das unser Leben erneuert und uns zeigt, wie Jesus will, dass wir leben. Es ist gut für uns selbst, es dient unserem Besten, weil wir ein neues Leben bekommen haben, das eine andere „Betriebsanleitung“ braucht.
Für diejenigen, die diese Befreiung noch nicht erlebt haben, die dieses neue Leben noch nicht kennen, gibt es auch das Gesetz. Aber das Gesetz weist immer wieder darauf hin: Ich bin bestimmt von diesem Gesetz, ich bin abhängig vom Gesetz der Sünde.
Das zeigt mir, dass ich nicht gerecht vor Gott bin. Es weist darauf hin, dass ich irgendwann an der Tür stehen muss, anklopfen und Jesus bitten muss, mich hineinzulassen und mir ein neues Leben zu schenken.
So wie die Taufe damals ein ganz fassbares Ereignis war – untergetaucht in den Tod und wieder herausgekommen – so muss es auch in unserem Leben ein solches Ereignis geben. Ein Anfang mit Jesus Christus, aus dem dann veränderte Werke folgen.
Unsere Besitzverhältnisse haben sich verändert. Jesus Christus will uns helfen und gibt uns durch den Heiligen Geist die Kraft, das zu tun. Denn das geschieht nicht aus uns selbst heraus, auch wenn wir mit Jesus Christus leben.
Er steht an unserer Seite, er ist in uns und hilft uns dabei. Es ist kein Krampf, so zu leben. Jesus gibt uns, wenn wir ihn darum bitten und es wirklich wollen, die Kraft, ohne Sünde zu handeln, von der Sünde loszusagen und mit ihm zu leben.
Schlussgebet
Wir beten zusammen. Herr Jesus Christus, ich möchte dir dafür danken, dass du uns eine Leitlinie für unser Leben gegeben hast. Auch in dem neuen Leben, das wir mit dir führen, wissen wir, was du von uns möchtest und was wir tun sollen. Wir haben die Möglichkeit, ein neues Leben zu führen und Menschen auf dich hinzuweisen.
Ich möchte dich bitten, uns überall dort den Finger auf die Wunden zu legen, wo wir noch am alten Leben hängen. Wo noch Sünde in uns ist, obwohl der alte Mensch in uns längst tot ist. Wir wurden mit dir getauft, sind mit dir begraben worden in den Tod und sind jetzt wieder lebendig, weil wir an dich glauben und ein neues Leben haben.
Zeige uns die Kraft, die es uns ermöglicht, ganz neu zu leben. Nicht mehr so zu handeln, wie wir früher gehandelt haben. Ich bitte dich, lass uns diese Kraft erfahren und weise uns darauf hin, wo sich etwas in unserem Leben verändern soll.
Und ich bitte dich, dass all diejenigen unter uns, die unter dem verurteilenden Gesetz leben, erkennen und erfahren, dass dieses Gesetz nicht zu dir führen kann. Nur deine Gnade führt zu dir.