Es ist Ferienzeit, und ich habe für euch eine vierteilige Reihe zum Thema Gebet vorbereitet.
Theologie, die dich im Glauben wachsen lässt, Nachfolge praktisch – dein geistlicher Impuls für den Tag.
Mein Name ist Jürgen Fischer, und heute geht es um Gebet, Vortrag I.
Die Bedeutung des Gebets im geistlichen Leben
Ich weiß nicht, ob ich dich damit gewinne. Ich weiß auch nicht genau, wo du stehst. Aber es muss uns klar sein, dass es ohne Gebet kein geistliches Leben gibt. Deshalb ist es so wichtig, dass wir das Gebet lernen.
Im ersten Timotheusbrief heißt es einmal, dass wir Gottseligkeit trainieren sollen. Dort steht: „Übe dich aber zur Gottseligkeit.“ Dieser Begriff Gottseligkeit, der in der Elberfelder Bibel verwendet wird, entspricht dem Wort „Frömmigkeit“ in der Lutherbibel. Er meint die praktische Seite unseres Christseins.
Im geistlichen Leben gibt es Disziplinen, die man sich aneignen muss. Eine dieser Disziplinen, die man lernen muss, weil man sie nicht von Natur aus beherrscht, ist das Gebet. Beten ist nicht wie Atmen. Es ist vielleicht genauso wichtig, aber es funktioniert nicht automatisch.
Atmen geschieht über das Kleinhirn, es passiert einfach. Das Gebet hingegen geschieht über das Großhirn. Du musst es einschalten, wollen, nachdenken und lernen.
Die Jünger und das Gebetslernen
Nun betrachten wir die Stelle, in der gesagt wird, dass man das Beten lernen muss.
Lukas 11,1-4 beschreibt, wie die Jünger Jesu zu ihm kommen. Diese Jünger haben eine Vergangenheit, die man kennen sollte. Ein großer Teil von ihnen war zuvor Jünger von Johannes dem Täufer. Das kann man im Johannesevangelium Kapitel 1 nachlesen. Das bedeutet, sie sind Jünger mit einer religiösen Vorgeschichte.
Wenn man denkt, Jesus sei als Rabbi nur für die Pharisäer ungewöhnlich gewesen, dann täuscht man sich. Er war auch für seine eigenen Jünger oft schwer zu verstehen. Ein Punkt, den sie nicht nachvollziehen konnten, war, warum Jesus ihnen nicht das Beten beibringt.
Den Text lesen wir jetzt: Lukas 11,1. Dort heißt es: „Und es geschah, als er an einem Ort war und betete, da sprach, als er aufhörte, einer seiner Jünger zu ihm.“ Wer das genau war, wissen wir nicht. Wahrscheinlich hatten alle Jünger schon ein bisschen gezögert und dann hat sich einer von ihnen vorgewagt. Es steht nicht, dass es Petrus war, aber viele würden wohl auf ihn tippen.
Dieser Jünger geht also zu Jesus und sagt: „Herr, lehre uns beten, wie auch Johannes seine Jünger lehrte.“ Es gibt also ein Vorbild, dem sie folgen möchten. Die Jünger wollen gerne beten lernen.
Jesu Antwort und das Vaterunser als Gebetsmuster
Und was macht der Herr Jesus jetzt? Das ist total spannend, denn er geht darauf ein. Er sagt: „Wenn ihr betet, so sprecht.“ Das ist die Antwort. Er sprach aber zu ihnen: „Wenn ihr betet, so sprecht: Vater, geheiligt werde dein Name, dein Reich komme, unser tägliches oder nötiges Brot gib uns täglich, und vergib uns unsere Sünden, wie auch wir vergeben jedem, der uns schuldig ist, und führe uns nicht in Versuchung.“
Das ist aus Matthäus übernommen. Es steht nicht bei Lukas, aber es ist okay, denn es gehört auch dazu: „Sondern rette uns von dem Bösen.“
Die Jünger kommen also und sagen: „Lehre uns beten.“ Und Jesus sagt nicht: „Was ist denn das für eine komische Idee? Beten kann man doch einfach so. Du musst einfach nur schauen, was so aus dir herausploppt. Ja, lass mal den Gedanken ein bisschen laufen, das wird schon.“ Nein, das sagt er nicht. Er sagt das genaue Gegenteil.
Er gibt ihnen, wenn man so will, ein Mustergebet. Achtung: Dieses Mustergebet, das sogenannte Vaterunser, wurde in der Kirchengeschichte, also in der ersten Kirchengeschichte in der Apostelgeschichte und auch darüber hinaus, zunächst von den ersten Christen nicht gebetet.
Heute kennen wir das Vaterunser so, dass es in manchen Kirchen jeden Sonntag gebetet wird. Ursprünglich war das aber nicht so gedacht. Das Vaterunser sollte nicht dazu dienen, dass man eine vorformulierte, ritualisierte Form von Gebet einfach herunterbetet. Vielmehr war es erst einmal ein Kanon von Themen.
Die Bergpredigt als Kontext für das Gebet
Erst einmal einen kleinen Schritt zurück: Wir schlagen Matthäus auf, Matthäus 6, und wollen in die Bergpredigt eintauchen. Dabei möchten wir vier allgemeine Dinge zum Thema Gebet ansprechen. Anschließend schauen wir uns gemeinsam das Vaterunser an.
Es geht dabei nicht darum, das Gebet einfach nur herunterzuleiern. Ich komme selbst aus einer kirchlichen Vergangenheit, in der man das oft so gemacht hat. Spätestens beim fünfzigsten Mal kann man das Vaterunser dann auswendig herunterbeten, ohne wirklich mitzudenken. Die Worte folgen dann einfach nur aufeinander. Aber darum geht es überhaupt nicht.
Die Jünger kommen zu Jesus und sagen: „Lehre uns beten!“ Daraufhin gibt der Herr Jesus Themen, Inhalte und Überschriften vor, unter die ihr euer Gebet legen könnt. Diese können für euch ein Sprungbrett sein, ein Ausgangspunkt, um eigene, neue Gedanken vor Gott zu bringen.
Wir befinden uns in Matthäus Kapitel 6, und steigen ein bei Vers 5. Dort geht es ums Gebet. Warum gerade bis dahin? Was bitteschön ist die Bergpredigt eigentlich? Das ist keine einfache Frage.
Wenn ich es mit meinen Worten sagen müsste, ist die Bergpredigt so etwas wie eine Regierungserklärung. Wenn man genau hinschaut, fällt etwas Interessantes auf: In der Bergpredigt findet sich, witzigerweise, keine Aufforderung zu glauben. Wenn ihr mir nicht glaubt, lest sie heute Abend vor dem Schlafengehen einfach noch einmal durch – es sind nur drei Kapitel.
Man liest die komplette Bergpredigt und fragt sich: Wo ist hier der Glaube? Wäre es nicht schön, wenn dort etwas zum Glauben stünde? Aber es steht nicht da. Kurz nach der Bergpredigt kommt der Glauben. Wenn ihr in Kapitel 8 nur zwei Geschichten weiterlest, begegnet euch plötzlich der Glaube. Dann denkt man: Jetzt geht es um Glauben. Aber wo bitte schön ist das in der Bergpredigt?
Warum ist das nicht in der Bergpredigt? Ganz einfach: Die Bergpredigt ist nicht dazu da, dich gläubig zu machen. Cool, oder? Du kannst dich mit der Bergpredigt nicht bekehren. Dort steht nichts vom Glauben, nichts vom stellvertretenden Opfer, nichts von Wiedergeburt. Mit der Bergpredigt kannst du dich nicht bekehren.
Die Bergpredigt als Lebensanspruch des Königs
Aber was du tun kannst – und genau dafür ist die Bergpredigt da – ist, zu überlegen, ob du diesem König, der solche Ansprüche an seine Untertanen stellt, folgen möchtest. Ob du Buße tun willst, um diesem König nachzufolgen.
Vor der Bergpredigt, in Matthäus 4, sagt Jesus: „Tut nun Buße und bekehrt euch.“ Im Text fragt man sich: Was bedeutet das eigentlich? Wohin soll ich Buße tun? Ja, ihr versteht das ja – Buße tun heißt, sich umdrehen und in eine andere Richtung gehen. Aber in welche? Das ist die Frage.
Die Bergpredigt beantwortet diese Frage: Sie zeigt dir, in welche Richtung du gehen sollst. Denn dieser König, der hier spricht, sagt: „Schau, wenn du mit mir unterwegs sein möchtest, dann will ich dir kurz zeigen, wie ich mir ein Leben vorstelle.“
Die Formulierungen der Bergpredigt haben einen sehr starken jüdischen Hintergrund. Einige Dinge müssen wir daher auch gesellschaftlich und logisch übersetzen. Wenn dort von Almosen die Rede ist, dann ist das bei uns vielleicht anders geregelt. Vielleicht sagst du: Einen Teil meiner Almosen gebe ich ja schon dadurch, dass ich Steuern zahle. Das ist auch okay, das kannst du gerne tun. Trotzdem muss dir klar sein: Die Bergpredigt ist der Anspruch, den Jesus an dein Leben stellt.
Wenn du Buße tust, also danach sagst: „Ich will glauben, ich will diesem König folgen“, dann ist die Bergpredigt das, was er dir vorher als seinen Anspruch gezeigt hat.
Ich hoffe, wir sind da halbwegs einer Meinung. Falls nicht, gibt es die Möglichkeit, mich beim Essen zu löchern und auszufragen.
Die Aufforderung zum Gebet als Ausdruck des Glaubens
Aber jetzt gehen wir wieder einen Schritt weiter. Ich habe gesagt, die Bergpredigt zeigt uns, was der König eigentlich will. Und jetzt sagt der König: „Und wenn ihr betet…“
Achtung, im Griechischen gibt es zwei verschiedene „Wenns“. Das hören wir im Deutschen leider nicht heraus. Im Deutschen gibt es das „Wenn“ als Bedingung, zum Beispiel: „Ich komme zu euch auf die Freizeit, wenn ich Zeit habe.“ Das heißt, falls ich Zeit habe, komme ich.
Wenn wir das Wörtchen „wenn“ lesen, könnte man es im Deutschen auch als „falls“ verstehen. Im Sinne von: „Und falls ihr betet, falls ihr mal nichts anderes zu tun haben solltet und betet.“ So könnte man das verstehen, weil das Wörtchen „wenn“ eben dieses bedingende Element in sich trägt. Das ist unsere Sprache, aber hier steht es so nicht.
Deshalb steht hier ein Wort, das man sehr gut mit „immer wenn“ übersetzen könnte. Also statt „falls du das mal tust“ steht hier „weil ich weiß, dass jeder vernünftige Gläubige sowieso betet“. Denn ohne Gebet kannst du schlicht und ergreifend nicht gläubig sein in den Augen Gottes. Es geht einfach nicht zu sagen: „Ich vertraue Gott, ich lebe mit Gott“, aber reden? Naja, zehn Minuten am Tag, wenn es hochkommt vielleicht mal ein Viertelstündchen. Aber jetzt mal so richtig einen langen Gebetsspaziergang, mal so eine Stunde oder zwei – nein, so viel habe ich dann Gott auch nicht zu sagen.
Das ist so, wie wenn jemand sagt: „Ich bin Christ und habe noch nie die Bibel durchgelesen.“
Das war’s für heute. Die Predigt wird in der nächsten Episode fortgesetzt. Der Herr segne dich, erfahre seine Gnade und lebe in seinem Frieden. Amen.
