
Liebe Gemeinde,
in der alten DDR gab es manche seltsamen Wörter, ja geradezu Wortungetüme. Eines dieser Wörter hieß Jahresendflügelpuppe. Wissen Sie, was eine Jahresendflügelpuppe ist? Natürlich, das sind Engel – Puppen mit Flügeln, die meistens zum Jahresende als Schokoladenfiguren verkauft werden.
So lautete der offizielle Name. Und nicht nur in der DDR hatte man Schwierigkeiten mit der Existenz von Engeln. Für die bibelkritische Theologie gilt das bis heute. Schon die Rationalisten zur Zeit Jesu, die Sadduzäer, haben ja bekanntlich behauptet, dass es so etwas wie Engel nicht geben könne und dürfe.
Engel? Unsere Predigtreihe führt uns heute zu einem ungewöhnlichen Kapitel. Ohne diese Reihe wären wir wahrscheinlich nie auf dieses Kapitel gestoßen.
In diesem Abschnitt kommen Engel gehäuft vor. Ihr Aussehen wird jedoch nicht beschrieben, und es ist auch nicht von Flügeln die Rede. Dennoch werden sie als handelnde Personen dargestellt, die in das Leben von Menschen eingreifen. Es sind also aktive Persönlichkeiten.
Wir wollen uns nun auf diese handelnden Personen konzentrieren und uns möglichst nicht von Details ablenken lassen. Auch Daniel 10 bietet uns einen Blick hinter die Kulissen. Während Daniel 7–9 einen Blick in die Zukunft eröffnete, offenbart uns Daniel 10 die unsichtbare Welt. Diese Welt ist für uns zwar noch unsichtbar, aber dennoch real.
Wieder stellt sich die Frage, die wir uns schon oft während dieser Predigtreihe gestellt haben: Warum müssen wir das wissen? Warum hat der Heilige Geist dafür gesorgt, dass Daniel 10 in die Bibel aufgenommen wurde? Diese Frage bleibt auch hier zentral.
Auch dieses Kapitel beginnt ganz nüchtern und historisch mit einem Datum. Auf der Rückseite steht: Im dritten Jahr des Königs Kyros von Persien wurde Daniel, der auch Beltschaza heißt – das ist sein babylonischer Name –, etwas offenbart. Diese Offenbarung ist gewiss und handelt von großen Dingen. Daniel achtete darauf und verstand das Gesicht.
Damit haben wir eine klare Jahreszahl: das dritte Jahr des Königs Kyros, etwa 536 oder 535 v. Chr. Inzwischen ist Daniel, wenn wir die bisherige Chronologie weiterverfolgen, zwischen 85 und 90 Jahre alt. Er hat also schon ein beachtliches Alter erreicht.
Seit Daniel 9 sind zwei Jahre vergangen. Damals hatte Gott Daniel, wie Sie sich erinnern, einen großen Überblick über die Geschichte Israels bis weit in die Zukunft gegeben – sogar bis in eine Zeit, die für uns noch in der Zukunft liegt. Inzwischen ist viel passiert. Kyros hatte ein Edikt erlassen, das den Juden erlaubt, in ihr Land zurückzukehren. Sie bleiben zwar unter persischer Oberhoheit, dürfen aber zurückkehren und den Tempel wieder aufbauen. Das ist ihnen geradezu aufgetragen, und die Heimkehrbewegung hat bereits begonnen.
Daniel selbst ist offensichtlich nicht mit dieser Heimkehrbewegung mitgezogen, sondern bleibt im babylonischen Exil. Man kann spekulieren, warum das so ist. Vielleicht wegen seines Alters – mit 85, fast 90 Jahren, wäre eine so beschwerliche Reise wohl nicht ratsam gewesen. Außerdem war er bis vor kurzem beruflich noch an den babylonischen Hof gebunden. Möglicherweise wollte er auch in der neuen Heimat bleiben, um die zurückgebliebenen Israeliten zu unterstützen.
Jedenfalls schenkt Gott Daniel in dieser Situation noch einmal zum letzten Mal eine große Schau in die zukünftige Geschichte Israels. Diese große Schau umfasst die Kapitel 10 bis 12, den letzten großen Abschnitt des Buches Daniel. Kapitel 10 bis 12 bilden eine Einheit mit einer abschließenden großen Zukunftsschau.
Der erste Vers, den Sie hier lesen, ist gewissermaßen die Überschrift für den gesamten letzten Teil des Buches – also für Daniel 10 bis 12: Im dritten Jahr des Königs Kyros wurde Daniel etwas offenbart, das von großen Dingen handelt. Man könnte auch sagen, es handelt von einem großen Kampf. Daniel achtete darauf und verstand das Gesicht.
Und dann beginnt der Bericht mit einer unerwarteten Notiz. In Vers 2 sagt Daniel: „Zu der Zeit trauerte ich.“ Er schreibt hier mit seinem eigenen Namen, und es ist wahrscheinlich sein eigener Bericht. Er trauert – und man ist zunächst etwas verwundert und fragt sich, warum. Er könnte sich doch freuen, denn die Dinge entwickeln sich positiv. Die Israeliten dürfen zurück ins Land. Warum ist also Trauer angesagt?
Wenn man weiterlesen, erfährt man, dass er drei Wochen lang keine leckere Speise zu sich nahm. Er fastete, Fleisch und Wein kamen nicht in seinen Mund. Auch salbte er sich nicht. Er wollte sich nicht mit wohlriechenden Essenzen umgeben, da dies ein Zeichen der Freude gewesen wäre. Drei Wochen harte Fastenzeit sind angesagt.
Wir fragen uns, warum trauert er? Möglicherweise, weil nur wenige wirklich in die Heimat zurückgekehrt sind, um den Tempel zu bauen. Aus Esra 2 wissen wir, dass es nur 42 Menschen waren von mehreren Hunderttausend Israeliten, die hätten heimkehren können. Vielleicht trauert Daniel über den mangelnden Mut seiner Landsleute, über die mangelnde Bereitschaft, den Tempel wieder aufzubauen, und über den fehlenden Gehorsam.
Vielleicht trauert er auch, weil ihm die Sünde seines Volkes so deutlich vor Augen steht und weil er weiß, dass Gottes Gericht unvermeidlich ist. Das wurde ja auch in Kapitel 9 sehr deutlich, dass Gottes Gericht kommen würde.
In Vers 12 wird das noch deutlicher. Dort sagt ihm Gottes Bote: „Als du von Herzen begehrtest zu verstehen, nämlich die tieferen Zusammenhänge dessen, was Gott angekündigt hatte, die Prophetie, begannst du dich zu demütigen vor deinem Gott.“ Daniel hat sich gedemütigt. Er hat sich für die Sünde seines Volkes geschämt und getrauert, dass sie nicht treuer zu Gott umgekehrt sind.
Das war seine große Not. Nur 42 wagten die Rückkehr. Später kamen mit Esra noch ein paar weitere hinzu, aber es waren nicht sehr viele mehr. Der fast 90-jährige Daniel fastete drei Wochen lang. Dieses Fasten war, wie wir in Vers 12 sehen, begleitet von innigem Gebet. Er bat Gott um Gnade und Vergebung.
Und dann steht hier in Vers 4, wann und wo das alles passierte: Am vierundzwanzigsten Tag des ersten Monats war ich an dem großen Strom Tigris.
Das ist also ein Ereignis, das in Raum und Zeit verankert ist. Der erste Monat war der Monat Nisan. Wir können das ziemlich genau datieren, etwa auf März oder April. In diesen Tagen wurde das Passafest gefeiert. Dieses Fest erinnerte natürlich daran, wie sie damals aus Ägypten ausgezogen waren. Das ganze Volk war damals mitgegangen.
Gerade diese Zeit im ersten Monat erinnerte ihn jetzt besonders daran, als er am Ufer des Tigris betete. Dann sieht er, wie er dort betet, am vierundzwanzigsten Tag. Wenn er am ersten Tag angefangen hat zu fasten, wissen wir nicht mit Sicherheit. Drei Tage nach dem Abbruch dieses Fastens sieht er einen großen Mann.
Ich hob meine Augen auf und sah, und siehe, da stand ein Mann. Er hatte leinene Kleider an und einen goldenen Gürtel um seine Hüften. Diesen Mann kann er nur durch Vergleiche beschreiben.
Schauen Sie, welche Vergleiche er hier verwendet: Er hatte leinene Kleider an und einen goldenen Gürtel um seine Lenden. Sein Leib war wie ein Türkis, also wie ein Edelstein. Sein Antlitz sah aus wie ein Blitz, seine Augen wie feurige Flammen. Seine Arme und Füße waren wie helles, glattes Kupfer. Und seine Rede war wie ein großes Brausen.
Das ist hochinteressant.
Der goldene Gürtel steht für die Hoheit und Souveränität Gottes, das Leinen für die Reinheit, der Türkis für die Herrlichkeit. Das strahlende Antlitz macht deutlich, dass Gott in seiner Weisheit alles durchschaut. Er erleuchtet und durchdringt alles. Die feurigen Augen stehen oftmals für ein machtvolles Handeln Gottes, auch im Gericht. Sein Feuer brennt unsere Sünde hinweg.
Das glatte Kupfer wird für Waffen benutzt. Gott richtet das Böse. Die rauschende Stimme macht klar, dass Gott das letzte Wort spricht – eine machtvolle Erscheinung.
Es wird nicht weiter gesagt, wer diese Person ist. Manche haben gedacht, es sei der Engel Gabriel, der in Kapitel 9, Vers 21 namentlich genannt wird. Doch wenn er dort namentlich genannt wird, würde er hier wahrscheinlich ebenfalls namentlich genannt. Das spricht also nicht dafür.
Andere denken, es könnte Christus selbst sein, also dass Christus vor seiner Menschwerdung hier dem Daniel erscheint, da er ja von Ewigkeit her da war. Es gibt eine starke Ähnlichkeit dieser Beschreibung zu der von Jesus in Offenbarung 1,13-15. Das könnte sein, denn es besteht eine gewisse Ähnlichkeit mit der Beschreibung Christi dort.
Allerdings, wenn diese Person hier identisch ist mit der, die ab Vers 10 beschrieben wird, dann könnte es keinesfalls Christus sein. Denn diese Person, die ab Vers 10 beschrieben wird, braucht später die Hilfe vom Engel Michael, und Christus braucht diese Hilfe nicht.
Es gibt auch eine gewisse Ähnlichkeit dieser Person mit den Cherubim, die in Hesekiel 1 beschrieben sind. Das kann man auch noch einmal zuhause nachschauen. Es könnte also sein, dass es hier ein Engel ist, ein hochgestellter Engel, der vertraut ist mit dem Engel Michael und von Gott gesandt wurde.
Ich denke, man kann nicht mit letzter Gewissheit sagen, ob hier Christus vor seiner Menschwerdung gemeint ist oder ein hochgestellter Engel Gottes. Jedenfalls ist es ein Bote aus der unsichtbaren Welt.
Und hier steht etwas Interessantes: Nur Daniel sieht diesen Mann.
Wir sind froh und glücklich, dass wir so viele Kinder in unserer Gemeinde haben. Wir wollen uns, also Lina, sagen Sie es auch denen noch mal, die draußen sind: Wir wollen uns gar nicht daran stören. Wir wollen bei der Predigt konzentriert zuhören können. Aber wir sind glücklich und dankbar, dass die Kinder hier sind. Wenn mal einer ein bisschen quäkst, ist das überhaupt nicht schlimm. Es gibt auch die Möglichkeit, mit den quäkenden Kindern draußen zuzuhören. Wir wollen Gott wirklich danken, dass wir so viele junge Familien und so viele Kinder haben. Das ist uns eine echte Freude. Ich denke, das muss an dieser Stelle auch mal gesagt werden.
Daniel sieht jetzt diesen Mann, und hier steht etwas ganz Interessantes. Auch die anderen Anwesenden, die noch dabei sind, merken, dass etwas geschieht. Aber sie sehen diesen Mann nicht, diesen Engel oder diesen Christus, hier in Vers sieben: „Aber ich, Daniel, sah dies Gesicht allein, und die Männer, die bei mir waren, sahen es nicht. Doch fiel ein großer Schrecken auf sie, so dass sie flohen und sich verkrochen.“
Also merken sie, dass da etwas passiert, bekommen es aber nicht mit, was es wirklich ist. Das erinnert total an den Bericht des Paulus von seiner Begegnung mit Christus. Paulus hatte ja Begleiter dabei bei seiner Reise nach Damaskus. Das beschreibt Lukas in Apostelgeschichte 9,7: „Die Männer aber, die seine Gefährten waren, standen sprachlos da, denn sie hörten zwar ein Geräusch, also so eine Stimme als Geräusch, aber sie sahen niemanden.“
Sie hören etwas, sie merken, dass etwas passiert, aber nur Paulus sieht es. Später, in Apostelgeschichte 22, beschreibt Paulus das noch weiter und sagt, was die Begleiter sahen: Sie sahen keine Person, nur ein diffuses Licht. Sie hörten aber keine verständliche, klare Stimme. Die hörte wirklich nur Paulus.
So ähnlich ist es hier mit den Begleitern Daniels. Sie bekommen mit, dass etwas passiert. Das ist also ein Vorgang in der realen Welt, nicht einfach nur eine innere Stimme Daniels. Aber sie verstehen nicht, was hier im Einzelnen passiert.
Daniel sieht nicht nur diesen Boten, sondern er sieht im Licht des Boten auch sich selbst.
Schauen Sie einmal, wie er in Vers 8 darauf reagiert: „Ich blieb allein und sah dieses große Gesicht. Es blieb aber keine Kraft in mir. Jede Farbe wich aus meinem Antlitz, und ich hatte keine Kraft mehr. Und ich hörte seine Rede, und während ich sie hörte, sank ich ohnmächtig auf mein Angesicht zur Erde.“
In der Gegenwart Gottes – und sei es möglicherweise nur die eines besonderen Engels Gottes – merkt der Mensch, wie er vor Gott dasteht.
Verstehen Sie, es ist nichts Harmloses, Gott zu begegnen. Das wird manchmal in gefühligen Veranstaltungen so dargestellt, nach dem Motto: „Ach, ich war so high und habe Gott gesehen.“ Doch die Menschen der Bibel, die Gott begegnet sind, sind zutiefst erschrocken. Sie erkennen ihre Unwürdigkeit. Sie sind nicht erhoben, sondern zutiefst beunruhigt über ihre Sündigkeit – im krassen Gegensatz zum heiligen Gott.
Das ist die Reaktion auf Gottes Begegnung in der Bibel. So ist es auch hier, selbst wenn es nur diese Begegnung mit dem Engel gewesen sein sollte.
Und dann sagt er, dass er etwas spürt, in Vers 10: „Und siehe, eine Hand rührte mich an und half mir auf die Knie und auf die Hände.“
Dieser Engel, der hier handelt, hat eine reale, spürbare körperliche Gestalt. Daniel fühlt, dass er angefasst wird, und richtet sich zunächst nur halb auf. Schauen Sie, das wird hier sehr genau beschrieben: Er ist also erst einmal auf allen Vieren, auf Knie und Hände.
Später lesen wir noch, dass er sich richtig aufrichtet. Aber schauen Sie, wie präzise dieser Vorgang geschildert wird. Manche Ausleger meinen, hier werde eine neue Person eingeführt – mit diesem Engel. Vorher sei es Christus gewesen, jetzt sei es der Engel. Das kann man jedoch nicht mit Sicherheit behaupten, denn der Bericht läuft eigentlich fließend weiter. Wenn dieselbe Person hier handelt wie in Vers 5, dann kann diese nicht Christus sein, denn wir werden gleich sehen, dass diese Person hier Hilfe benötigt.
Daniel richtet sich also zunächst nur halb auf. Dann wird er dreimal von diesem Boten angesprochen: in Vers 11, in Vers 12 und in Vers 15. Beachten Sie, was er ihm sagt.
In Vers 11 kommt die vertraute Anrede, die wir schon aus Kapitel 9 kennen: „Und er sprach zu mir: Daniel, du von Gott Geliebter, merk auf die Worte, die ich mit dir rede, und richte dich auf, denn ich bin jetzt zu dir gesandt.“
Als er dies mit mir redete, richtete ich mich zitternd auf.
Jetzt richtet er sich ganz auf. Dieser Engel, dieser Bote Gottes, stärkt ihn. Doch Daniel ist noch ganz im Bann dieser Begegnung. Er richtet sich nicht einfach fröhlich auf, sondern zitternd. Er weiß um das Besondere dieser Situation.
Aber er wird auch aufgerichtet. Verstehen Sie: Gott macht den Menschen nicht passiv. Daniel wird jetzt nicht in Trance versetzt und torkelt dadurch durch die Gegend. Stattdessen wird er in dieses Geschehen einbezogen, er wird aktiviert. Er soll sich selbst aufrichten und erhält dabei die Hilfe des Engels.
So kommt dann das zweite Mal, dass der Engel Daniel anspricht, in Vers 12: „Und er sprach zu mir: Fürchte dich nicht, Daniel.“ Wieder eine ganz persönliche Anrede. Denn von dem ersten Tage an, als du von Herzen begehrtest zu verstehen und anfingst, dich vor deinem Gott zu demütigen, wurden deine Worte erhört, und ich wollte kommen, um deiner Worte willen.
Das ist also hochinteressant. Welches Gewicht hat das Gebet? Daniel betet, und Gott schickt den Engel auf die Reise. Oh, die unerkennbare Macht des Gebets der Heiligen! Es heißt in allen Worten, dass das Gebet eine große Bedeutung hat. Ein anderer hat gesagt: Gott beteiligt uns durch unser Gebet an seinem Regierungshandeln in der Welt. Genau das geschieht hier. Daniel betet, und Gott schickt den Engel – hochinteressant.
Dann bekommen wir in Vers 13 einen weiteren Einblick in die unsichtbare Welt: „Aber, sagt dieser Engel, der Engelfürst des Königsreichs Persiens, hat mir einundzwanzig Tage widerstanden. Und siehe, Michael, einer der ersten unter den Engelfürsten, kam mir zu Hilfe.“ Ich überließ ihm dann den Kampf mit dem Engelfürsten des Königreichs Persiens, und nun komme ich, um dir den Bericht zu geben, wie es deinem Volk gehen wird am Ende der Tage, denn das Gesicht geht auf ferne Zeit.
Hier hat es also einen richtigen Kampf in der unsichtbaren Welt gegeben. Der Engel will zu Daniel kommen, doch ihm widersteht der Engelfürst des Königreichs Persien. Der Teufel hat natürlich diesen Engel geschickt, um zu verhindern, dass Daniel diese Offenbarung erhält. Daniel ist durch sein Gebet in einen geistlichen Kampf hineingezogen worden. Das macht dieses Kapitel deutlich.
Der Engelfürst des Königreichs Persien widersteht. Es ist ein böser Engel, ein Dämon, der hier dem Engel Gottes widersteht. Aus der Bibel erfahren wir sehr deutlich, zum Beispiel in 2. Petrus 2,4, dass als Satan damals abgefallen ist, auch andere mit in diesen Abfall hineingezogen wurden. Genau das sehen wir hier: Dämonen, die sich gegen die Engel Gottes richten.
Dieser Engel hat offensichtlich eine politische Funktion. Er wird charakterisiert als der Engelfürst des Königreichs Persien. Er ist zuständig für Persien, im Auftrag Gottes, die Weltmacht Persien gegen Gottes Willen zu beeinflussen. Das ist die klare Aufgabe dieses Engels. So widersteht er dem Engel des lebendigen Gottes.
Und das dauert drei Wochen. Es erstaunt uns immer wieder, auch wenn wir das Neue Testament lesen, dass der lebendige Gott in seiner Souveränität zwar dem Bösen eine ganz bestimmte Grenze setzt, über die es nicht hinaus darf. Aber das Böse darf auch ausreifen; ihm wird eine gewisse Zeit zum Wirken und Handeln gegeben. So ist es auch hier: 21 Tage, das sind drei Wochen – die drei Wochen von Vers 2.
Man kann sich vorstellen, warum dieser böse Engel dem Engel Gottes widersteht. Er will verhindern, dass Israel durch die Prophetie gestärkt wird. In dieser Prophetie wird, wie wir vielleicht nächsten Sonntag sehen, auch deutlich, dass das Ende der persischen Weltmacht kommen wird. Dass Daniel das prophezeit, will der Dämon dieser persischen Weltmacht natürlich nicht. Deshalb hat er alle Gründe, den Boten Gottes aufzuhalten.
Aber was geschieht? Der Engel Michael kommt diesem Engel aus Daniel 10 zu Hilfe. Michael ist ein wunderschöner Name, der bedeutet: „Wer ist wie Gott?“ Wenn Sie jemanden kennen, der Michael heißt, erklären Sie ihm mal diesen Namen. Michael heißt: Wer ist wie Gott – so groß, so heilig, so mächtig? Und so ist es mit Michael: Er hilft.
Dadurch kann der Engel aus Daniel 10 schließlich doch zu Daniel kommen. Nun aber heißt es in Vers 14: „Komme ich und gebe dir den Bericht, wie es mit der Zukunft deines Volkes weitergehen wird.“ Das wird dann in den Kapiteln 11 bis 12 behandelt, die wir ab kommenden Sonntag sehen werden.
So, das war der zweite Teil des Gesprächs. Nun folgt der dritte Teil des Gesprächs zwischen dem Engel und Daniel, ab Vers 15. Dort heißt es:
„Und als er das alles mit mir redete, neigte ich mein Angesicht zur Erde und schwieg still. Und siehe, einer, der einem Menschen gleich war, rührte meine Lippen an; da tat ich meinen Mund auf und redete und sprach zu dem, der vor mir stand: Mein Herr, meine Glieder bebten, als ich das Gesicht hatte, und es war keine Kraft mehr in mir.“
Wie kann der Knecht meines Herrn das meinen? Daniel redet hier selbst mit seinem Herrn. Er sagt, auch jetzt noch sei keine Kraft in ihm, und der Atem fehle. Er ist also immer noch ganz erschüttert von dieser Begegnung mit dem guten Boten Gottes.
Da rührte mich abermals einer an, der aussah wie ein Mensch, der also die Gestalt einer Person hatte – ein personaler Engel – und stärkte mich. Er sprach: „Fürchte dich nicht, du von Gott Geliebter.“ Hier wird zum zweiten Mal gesagt: „Friede sei mit dir, sei getrost, sei getrost.“
Als er mit mir redete, ermannte ich mich. Er wurde jetzt wirklich gestärkt, wieder aktiviert, und sprach: „Mein Herr, rede, denn du hast mich gestärkt.“ Jetzt ist er bereit, die Botschaft aufzunehmen. „Jetzt hast du mich gestärkt, jetzt kann ich auch zuhören.“
Das ist genauso, wie wenn wir manchmal nicht in der Lage sind, die Bibel zu studieren oder eine Predigt zu hören. Dann können wir auch so beten: „Herr, stärke mich, mach mich noch einmal fit, damit ich zuhören kann, was du mir sagen willst, damit ich Kraft und Freude habe, dein Wort zu studieren.“ Herr, stärke mich! So dürfen wir auch beten wie Daniel.
Dann wird er gestärkt, und der Engel sagt zu ihm: „Weißt du, warum ich zu dir gekommen bin? Also pass auf, es gibt etwas Wichtiges zu sagen, das ich dir gleich zeigen werde.“
Jetzt muss ich wieder hin und mit dem Engelfürsten von Persien kämpfen. Die Sache ist offensichtlich noch nicht ausgestanden. Wenn ich das hinter mich gebracht habe, siehe, dann wird der Engelfürst von Griechenland kommen – das ist dann gleich der nächste geistliche Kampf.
„Doch zuvor will ich dir kundtun, was geschrieben ist im Buch der Wahrheit.“ Dieses Buch der Wahrheit, das nur Gott zugänglich ist, ist vielleicht so etwas wie ein Urtypus der Bibel bei Gott selbst. Und es ist keiner, der mir hilft, sagt dieser Engel, außer eurem Engelfürsten Michael.
Das sind eigenartige Ereignisse, die hier geschildert werden. Eine heilige Scheu und Kraftlosigkeit erfasst Daniel. Dann kommt diese Person und rührt seine Lippen an. Das kennen wir von Jesaja in Jesaja 6, als Jesaja entsetzt ist über den Auftrag, den Gott ihm geben will. Da rührt dieser Bote Gottes seine Lippen mit einer feurigen Kohle an und macht deutlich: „Du sollst reden für Gott, du sollst ein Bote seiner Wahrheit sein.“
So ist es auch hier. Dann stärkt der Engel ihn zum Dienst. Das kennen wir auch von vielen anderen Propheten, bei Elija, Jesaja, Jeremia. Sie werden alle durch Engel gestärkt in schwierigen Situationen.
Dann bekommt Daniel noch diese Ermutigung dazu, diese vierfache Zusage: Er soll keine Angst haben, keine Furcht, denn er ist von Gott geliebt. Er soll getröstet sein, weil Gott ihn liebt. Schließlich heißt es: „Friede sei mit dir“ – der Friede, den Gott nur deinem Herzen schenken kann.
Das ist der Friede, den es nur durch Vergebung gibt, der Friede, den es nur durch ein reines Gewissen gibt. Der Friede, der uns froh und frei macht, hineinzusehen in Gottes Wort und mit frohem Blick in die Zukunft zu schauen.
So wird Daniel diesen Frieden geschenkt bekommen, und das zeigt Wirkung. In Vers 20 sagt der Engel: „Weißt du, warum ich zu dir gekommen bin? Achte genau darauf, was ich dir sagen will. Ich habe bald wieder weitere Aufgaben in der unsichtbaren Welt zu verrichten, aber vorher will ich dir sagen, was Sache ist, und du sollst es aufschreiben.“
Überlegen Sie einmal, was uns auf der Erde meistens nicht bewusst ist: Es liegt in der unsichtbaren Welt ganz klar auf der Hand – dieser geistliche Kampf ist uns nicht bewusst.
Bereits im Jahr 535 v. Chr. weiß man, dass als nächstes Weltreich Griechenland kommen wird. Das ist etwa zweihundert Jahre später. Der nächste Engelfürst, mit dem sich Michael auseinandersetzen muss, ist der Engelfürst der nächsten Weltmacht, Griechenland, also Alexander der Große, rund zweihundert Jahre später.
Im Auftrag Gottes kämpft Michael mit diesem Engel gegen Babylonien und Persien für die Freiheit und die Rückkehr Israels. Das ist der Text.
Schauen Sie einmal in diese Verse: Gott öffnet uns einen Blick in die jenseitige Welt. Das ist ganz erstaunlich. Wenn man hier in Hannover an der Universität in ein Forschungslabor geht, findet man dort alle möglichen Geräte, zum Beispiel Mikroskope.
Unter diesen Mikroskopen kann man Phänomene erkennen, etwa von einem Blatt oder einer Zelle, die man mit bloßem Auge niemals sehen würde. Diese Phänomene sind da, auch wenn wir sie nicht sehen. Dann kommt das Mikroskop und plötzlich zeigt sich uns eine Welt mit vielen erstaunlichen Dingen, die vorher schon da waren, die wir aber nie wahrgenommen haben und die wir nicht in unsere Sicht der Welt einbezogen haben.
Genauso ist es hier: Plötzlich wird Daniel der Blick geöffnet. Uns wird der Blick geöffnet für diese unsichtbare Welt.
Mit der Brille ist es ein ähnliches Prinzip. Manche Autofahrer, wenn sie eine Brille bekommen, sagen: "Menschenskinder, jetzt sehe ich erst einmal, dass es überhaupt Verkehrsschilder gibt." Diese Schilder waren vorher auch schon da, sie standen rechts und links des Weges. Aber erst als sie die Brille bekamen, nahmen sie diese Wirklichkeit wahr.
Unser Bibeltext hier hat eine solche augenöffnende Wirkung. Er lässt uns eine Wirklichkeit erkennen, die unserem bloßen Auge und unserem natürlichen Verstand verborgen ist.
Wir wollen nun untersuchen, was wir aus diesem Text über die Engelwelt lernen können.
Das Erste, was wir lernen und was ich Sie bitte festzuhalten: Es gibt eine Beeinflussung der sichtbaren Welt durch die unsichtbare Welt, und diese geschieht durch Engelwesen. Das ist so, aufgrund dieser Darstellung, und das Neue Testament bestätigt das.
Es gibt eine Beeinflussung der sichtbaren Welt durch die unsichtbare Welt, und diese geschieht unter anderem durch Engelwesen. Wir haben hier dreimal diesen Ausdruck: „Der Engel rührte ihn an“ – in Vers zehn, in Vers sechzehn, „einer, der einem Menschen gleich war, rührte meine Lippen an“, und dann noch einmal in Vers achtzehn, da rührte mich abermals einer an, der außer wie ein Mensch war.
Natürlich gibt es bei diesem Engelthema sehr viel Scharlatanerie. Es gibt Geschäftemacherei und viele Engelerscheinungen, die nur Einbildung waren. Diese kann man eher mit der Phantasie oder der Psyche der Erzähler begründen.
Vor einigen Monaten gab es zum Beispiel einen Engelboom in der Zeitung. Da berichteten dann verschiedene illustrierte Leute, dass sie Engel gesehen hätten, und Ähnliches. Das ist natürlich alles sehr mit Vorsicht zu genießen.
Aber die Bibel zeigt uns hier: Es gibt auch die Realität. Die Frage ist, wie wir damit umgehen und wie wir das bewerten wollen.
Zweite Ableitung, zweite Lektion, die wir daraus lernen: Auch die Engelwelt ist offensichtlich geteilt. Es gibt Engel, die als Diener Gottes tätig sind, und es gibt Dämonen, die im Auftrag Satans handeln.
Das sehen wir hier als Gegeneinander in der Engelwelt in Vers 13, wo der Engelfürst des Königsreichs Persien auf der einen Seite steht und der Engel von Daniel 10 sowie Michael auf der anderen Seite. In Vers 20 sehen wir dasselbe Bild noch einmal ganz deutlich. Das heißt, es gibt offensichtlich diesen Kampf.
Der Missionstheologe Doktor Karl Hartenstein hat dieses zehnte Kapitel mit dem Thema „Vom Geheimnis der Engelwelt“ überschrieben. In seiner Predigt dazu sagte er Folgendes: „Wir erfahren hier das seltsam tiefe Geheimnis, dass es hinter dem Völkergeschehen, das in unseren Geschichtsbüchern steht, ein unsichtbares Geschehen gibt – einen Geister- und Engelkampf. Dieses Ringen der Geister und Engel gegen die Mächte der Finsternis ist entscheidend für die Kirchengeschichte. So hängen die Engelgestalten aufs Engste mit der Politik zusammen“, so Dr. Karl Hartenstein.
Offensichtlich gibt es also eine natürliche Einwirkung auf in unseren Augen ganz natürliche Prozesse. Das ist ausgesprochen gut vorstellbar nach dem, was wir hier lernen. Wenn wir sehen, dass dieses antichristlich-dämonische Element immer auch die Tendenz zur Totalherrschaft hat, zum totalen Besitzergreifen des Menschen, dann werden wir, denke ich, auf manche Dinge sehr aufmerksam schauen.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Es gibt Engel, die als Diener Gottes tätig sind, und es gibt Dämonen, die im Auftrag Satans handeln.
Drittens müssen Christen die Realität der Dämonen ernst nehmen, weil die Gemeinde in diesen Geisteskampf hineingeflochten ist. Das zeigt sich hier in Vers 12. Gott sagt durch den Boten: „Als du gebetet hast, habe ich den Engel losgeschickt.“ Und was steht in Vers 13? „Aber der Engelfürst Persiens machte sich auf, um das zu verhindern.“ Das Gebet setzt Engel in Bewegung.
Überlegen Sie: Wenn wir beten, wenn wir für bestimmte Ereignisse in der Politik beten, wenn wir darum bitten, dass rechtliche Maßnahmen, die die Glaubensfreiheit unterdrücken, verhindert werden, dann setzen wir womöglich Engel in Bewegung. Welche Auswirkung darf Gebet haben? Wenn wir uns das hier klar machen, denke ich, dass wir nach diesem Bibeltext noch viel bewusster für politische Zusammenhänge beten werden. Wir werden noch mehr sehen, wie sehr es sich lohnt, dafür zu beten.
Wir beten, und Gott setzt seinen Engel in Bewegung. Die Finsternis versucht, das Ihre dagegenzusetzen, aber Christus ist stärker. Was sich hier in Daniel 10 andeutet, wird später vom Apostel Paulus weiter ausgeführt. Ich möchte an unsere Predigtreihe zu Epheser 6, Vers 12 erinnern. Das Thema findet sich nicht nur im Alten Testament, sondern Paulus hat es ebenfalls vertieft.
Ich lese Ihnen den entscheidenden Vers noch einmal vor: Epheser 6, Vers 12. Paulus sagt dort, wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, also nicht nur mit menschlichen Gegnern, sondern mit Mächtigen und Gewalten. Gemeint sind die Herren der Welt, die in dieser Finsternis herrschen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel.
„Unter dem Himmel“ beschreibt hier die unsichtbare Welt, nicht die Atmosphäre, sondern die unsichtbare Wirklichkeit, in der die Dämonen offensichtlich tätig sind. Paulus beschreibt das bereits in Epheser 2, Vers 2, und macht deutlich, dass diese Dämonen – er nennt sie mächtige Gewalten – als Herren der Welt in der Finsternis herrschen. Es sind böse Geister in der Himmelswelt, in der unsichtbaren Welt, die alle im Auftrag des Teufels handeln, wie Epheser 6, Vers 11 zeigt.
Wir wissen nicht genau, wie die Unterschiede zwischen den Dämonen im Einzelnen zu verstehen sind, das ist auch nicht unser Thema. Offensichtlich gibt es eine Rangordnung, es gibt Herrscher, es gibt ein System. Aber wir sehen: Diese Dämonen haben Macht, sie sind wirksam. Paulus macht das mit einem bestimmten Begriff deutlich: Er nennt sie wörtlich „Herren der Welt“. Im Griechischen heißt das Kosmokrator – Herrscher des Kosmos.
Das ist das Ziel, die dämonische, totalitäre Zielrichtung, mit der sie hier am Werk sind. Totalitäre Strukturen sind also ein beliebtes Werkzeug der Dämonen. Sie arbeiten offensichtlich in einer gut organisierten Struktur, so sagt Paulus hier.
Wir müssen uns als Christen also klar machen: Die Realität der Dämonen ist ernst zu nehmen, weil wir als Gemeinde in diesen Geisteskampf hineingeflochten sind. Aber Epheser 6 zeigt auch, wie wir uns in diesem Geisteskampf bewähren können und was wir tun sollen.
Wir sollen nicht wie ein Kaninchen auf die Schlange starren. Wir sollen uns nicht irgendwelche seltsamen Techniken antioffkulten Kampfführung ausdenken. Bruder Nordzig hat ja den ganzen Bibeltext aus Epheser 6 vorgelesen. Was ist unsere Waffe? Es ist das Schwert des Geistes, welches das Wort Gottes ist.
Das genügt. Das kleine Kampfschwert, das im griechischen Text erwähnt wird, ist die Heilige Schrift. Wir können sie anwenden, ihre Wahrheit verstehen und mit ihren Kriterien all das bewerten, was uns in dieser Welt begegnet. Das ist unsere angemessene Antwort im Geisteskampf: dass wir beten und darauf vertrauen, dass der Herr wirkt.
Martin Luther hat diese Wahrheit, diese Wirklichkeit, dass wir uns von diesem Geisteskampf nicht einfach absondern können, mit einem schönen Zitat beschrieben. Er sagte, das Erste sei, dass wir wissen, dass wir „in einem Lustgarten sitzen“. Ein Christ soll wissen, dass er mitten unter Teufeln sitzt und dass ihm der Teufel näher sei als sein Rock oder Hemd, ja näher als seine eigene Haut.
Das ist so Luthers typische Zuspitzung. Er übertreibt in der Sprache manchmal, aber er will diese Wirklichkeit deutlich machen. Dann sagt er weiter: Wenn man das nicht weiß, dass uns der Teufel so nah sei, verliert man die Erkenntnis der Wohltat, die Gott uns durch seine Engel tut.
Demnach muss jeder Christenmensch daran glauben, dass es Engel gibt. Luther sagt ganz deutlich: Wir leben nicht in einem Lustgarten. Es ist nicht alles so harmlos, wie wir denken. Wir haben unsere schöne Gemeinde, unsere nette Familie, wir machen morgens unsere stille Zeit, eine Viertelstunde, gehen zur Bibelstunde, sind redliche Christenleute und gehen unbehelligt durchs Leben.
Meistens läuft alles gut im Beruf, mit der Gesundheit und so weiter. Und irgendwann sterben wir dann getrost und sind im Himmel. So leben wir vielleicht ähnlich. Aber es gibt diese andere Wirklichkeit eben auch. Und das macht uns dieser Text sehr deutlich.
Wir sind hineingeschickt in einen Geisteskampf. Wir brauchen Christus, der uns bewahrt. Und ein Werkzeug, das er dazu benutzt, sind seine Engel.
Und noch etwas ist so gut: Die Heilige Schrift macht deutlich, dass Christus der Sieger ist. Wir stehen nicht in einem Kampf, bei dem sich zwei gleichstarke Blöcke gegenüberstehen.
Deswegen liebe ich diesen Vers so sehr. Ich habe ihn schon oft zitiert, und zwar aus Kolosser 2,15. Paulus beschreibt dort im Vers vorher, dass Christus die Strafe für unsere Schuld getragen und unsere Sünde gesühnt hat. Dann sagt er, was daraus folgt.
Kolosser 2,15: Christus hat die Mächte – Gott hat die Mächte und Gewalten, da kommt wieder dieser Ausdruck „die Mächte und Gewalten“, die Dämonen der Finsternis – entkleidet. Er hat sie ihrer Macht durch das Kreuz beraubt, sie öffentlich zur Schau gestellt und einen Triumphzug aus ihnen gemacht in Christus.
Durch das Kreuz und die Auferstehung ist die Machtfrage geklärt. Paulus verwendet hier die Sprache, wie wenn Generäle nach Hause kommen und auf ihren Kampfwagen die Führer der besiegten feindlichen Truppen vorführen. Sie fahren sie im Triumphgeschrei durch die Stadt und sagen: „Seht mal, das sind die lächerlichen Führer unserer Gegner.“
So hat es Gott gemacht mit den Mächten der Finsternis, mit den Dämonen, indem Christus unsere Schuld gesühnt und den Tod besiegt hat. Christus ist der Sieger – das dürfen und müssen wir wissen. Das dürfen wir bei all dem nicht vergessen.
Viertens verweisen die Engel auf Gottes Macht und Herrlichkeit. Dies wird in den Versen fünf bis sieben noch einmal deutlich beschrieben: Der Bote aus der Welt Gottes wird dargestellt. Dabei kann es sich um Christus selbst handeln oder um einen Engel, dem Christus gewissermaßen einen Abglanz seiner Autorität schenkt.
Das Leinen steht für Reinheit, der goldene Gürtel für Erhabenheit, der Türkis-Edelstein für Herrlichkeit. Das strahlende Antlitz symbolisiert die durchdringende Weisheit Gottes, die feurigen Augen stehen für sein machtvolles Handeln und sein gerechtes Gericht. Das glatte Kupfer steht für die Macht seiner Waffen, die das Böse vernichten, und die rauschende Stimme für Gott, der das letzte Wort spricht.
Die Engel verweisen also auf Gottes Macht und Herrlichkeit – auch das sollen wir daraus lernen. Wir sollen ein wenig von der Wirkung spüren, die das auf Daniel hatte. Uns muss klar werden, dass wir vor dem heiligen Gott stehen. Wenn wir sein Wort lesen oder zu ihm beten, machen wir uns oft gar nicht bewusst, vor wem wir treten.
Die Väter des Glaubens haben das oft ganz anders gehandhabt. Bevor sie beteten, besannen sie sich einen Moment, um sich klarzumachen: Vor wem treten wir jetzt? Das wird heute oft nicht mehr bedacht. Wir nehmen alles zu locker und zu harmlos. Hier sprechen wir von der Heiligkeit Gottes, und im nächsten Moment machen wir schon wieder Scherze. Dagegen ist nichts einzuwenden, aber es geht darum, zu sehen, wem wir gegenüberstehen.
Auch die Engel haben die Aufgabe, auf Gottes Macht und Herrlichkeit hinzuweisen. Gottes Macht zeigt sich zum Beispiel an Weihnachten auf den Feldern von Bethlehem. Die Engel sind da, jubilieren und preisen den Herrn. Ebenso sind die Engel am leeren Grab die Verkünder, dass der Auferstandene längst nicht mehr hier ist und dass man den Lebendigen nicht bei den Toten suchen soll.
Sie weisen auf Gottes Macht und Herrlichkeit hin.
Fünftens – und das ist so schön – Engel dienen Christus und den Christen zur Stärkung, zum Schutz und zur Ermutigung. Dreimal heißt es schon: „Er rührte mich an.“ In Psalm 91,11-12 wird das auf unüberbietbare Weise ausgedrückt: „Denn er hat seinen Engeln befohlen über dir, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen, dass sie dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.“
Eines der schönsten Chorstücke, das meiner Überzeugung nach je in dieser vergänglichen Welt geschrieben wurde, ist die achtstimmige Motette aus dem Elias-Oratorium von Felix Mendelssohn Bartholdy. Genau zu diesem Vers: „Denn er hat seinen Engeln befohlen über dir, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen, dass sie dich auf den Händen tragen.“ Wer es kennt, hat es jetzt im Ohr.
So ist es: Engel dienen zur Stärkung, zum Schutz und zur Ermutigung. Auch der Hebräerbrief macht deutlich, wozu Engel da sind. In Hebräer 1 wird der Gegensatz zwischen der göttlichen Macht Christi und den untergeordneten Engeln dargestellt. Der Schreiber des Hebräerbriefs sagt, was die Engel sind: Sie sind nicht vergleichbar mit der Hoheit und Macht Christi, aber sie sind „dienstbare Geister, ausgesandt zum Dienst um derer willen, die das Heil ererben sollen.“
Die Engel sind dienstbare Geister. Sie sind ausgesandt um unseretwillen, um uns zu stützen und zu stärken im Auftrag Gottes. Die Engel haben sogar Christus in seiner irdischen Existenz gedient. Überlegen Sie: Als Christus in der Wüste war, so lange gefastet hatte und dem Teufel widerstanden hatte – was passierte dann? In Markus 1,13 heißt es: „Und die Engel dienten ihm.“ Sie kamen in die Wüste und dienten Christus, der dem Satan widerstanden hatte.
Oder denken Sie daran, wie Jesus im Garten Gethsemane dieses Gebet spricht: „Herr, wenn es möglich ist, lass diesen Kelch an mir vorübergehen.“ Und was lesen wir dann in Lukas 22,43? Als der Vater dem Herrn Jesus sagt, dass er den Kelch trinken und das Leiden tragen muss, antwortet Jesus: „Nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe.“ Da heißt es: „Es erschien ihm aber ein Engel vom Himmel und stärkte ihn.“ Das ist die Aufgabe der Engel: Sie haben unseren Herrn gestärkt.
Sie haben auch die Jünger gestärkt. Lesen Sie unbedingt Apostelgeschichte 12, wo Petrus im Gefängnis ist und die Gemeinde betet, aber kaum glaubt, dass er überhaupt herauskommt. Dann heißt es dort – nach dem Motto: Wenn Gott seine Leute überraschen will, muss er nur ihre Gebete erhören:
„Und in jener Nacht, als Herodes Petrus vorführen lassen wollte, schlief Petrus zwischen zwei Soldaten, mit zwei Ketten gefesselt. Und siehe, der Engel des Herrn kam herein, und Licht leuchtete im Raum. Er stieß Petrus an die Seite, weckte ihn und sprach: ‚Steh schnell auf!‘ Die Ketten fielen von seinen Händen. Der Engel sprach zu ihm: ‚Gürte dich, zieh deine Schuhe an!‘ Und er tat es. Dann sprach der Engel: ‚Wirf deinen Mantel um!‘ Und so führte der Engel Petrus aus dem Gefängnis heraus. Die Türen öffneten sich von selbst.“
Der Engel ist da, um zu schützen und zu bewahren – die Leute des lebendigen Gottes. Wenn wir das wissen, dürfen wir uns darüber freuen. Das sollten wir nüchtern in unsere Weltsicht miteinbeziehen.
Ich fasse das zusammen:
Erstens gibt es eine Beeinflussung der sichtbaren Welt durch die unsichtbare Welt, die durch Engelwesen geschieht.
Zweitens ist auch die Engelwelt geteilt. Es gibt Engel, die als Diener Gottes tätig sind, und Dämonen, die im Auftrag Satans handeln.
Drittens müssen wir als Christen die Realität der Dämonen ernst nehmen, weil die Gemeinde in diesen Geisteskampf hineingeflochten ist (siehe Epheser 6).
Viertens verweisen die Engel auf Gottes Macht und Herrlichkeit.
Fünftens dienen die Engel Christus und den Christen zur Stärkung, zum Schutz und zur Ermutigung.
So ist es durchaus denkbar, dass auch heute Engel am Werk sind, dass überirdische Wesen tätig sind. Wir müssen jedoch vorsichtig mit allen Spekulationen sein. Vielleicht halten sie uns hier oder dort zurück oder verhindern in der einen oder anderen Situation, dass wir einen Unfall mit unserem Auto haben, den wir gerade noch so vermeiden konnten.
Das soll uns jedoch nicht zu einem Engelkult verführen. Luther hat gesagt: So wie wir Gott danken und loben, weil er uns die liebe Sonne, den Mond, Wein und Korn geschaffen hat, so sollen wir ihm auch für die lieben Engel danken.
Zum Schluss ist es wichtig, dass wir mit dieser Einsicht richtig umgehen. Deshalb habe ich noch einen sechsten und letzten Punkt formuliert, der heißt: So...
Engel sind nicht unsere direkten Adressaten, sondern sie handeln im Auftrag unseres Herrn. Ich bitte Sie daher, zum Schluss noch einmal in Vers zwölf hineinzuschauen. Dort sehen Sie ganz deutlich: Was macht Daniel? Er betet zu Gott, er wendet sich an den lebendigen Gott. Daraufhin setzt Gott die Engel in Bewegung.
Diese Perspektive soll unsere sein: Wir sollen nicht auf die Engel schauen. Wir sollen nicht über Engelhierarchien und Engeltheologie spekulieren, sondern unseren Blick auf Christus richten. Am Ende sind die Engel selbst ein Teil der Gemeinde, die Gott lobt.
Psalm 103,20 sagt es unüberbietbar: „Lobet den Herrn, ihr seine Engel, ihr starken Helden, die ihr seinen Befehl ausrichtet, dass man höre auf die Stimme seines Wortes. Lobet den Herrn, alle seine Heerscharen und seine Diener, die ihr seinen Willen tut. Lobet den Herrn, alle seine Werke an allen Orten. Lobe den Herrn, meine Seele!“ Die Engel stehen also mit uns in der anbetenden Gemeinde.
Übrigens möchte ich auch noch sagen, dass wir uns nicht mit den Dämonen beschäftigen sollen. Viele Jahre lang gab es in Deutschland und international – auch aus England kommend – den sogenannten Jesusmarsch. Dieser basierte auf einer bestimmten Dämonenlehre, die sich möglicherweise fälschlicherweise auf Daniel 10 berufen hat. Man ging davon aus, dass verschiedene Wohngebiete von bestimmten territorialen Dämonen beherrscht werden. Um dem entgegenzutreten, müsse man gewissermaßen marschieren, um diese Territorien herum beten und singen. Indem man diese Territorien im geistlichen Kampf beschreitet, widersteht man den Dämonen.
Diese sogenannte geistliche Kampfführung ist jedoch ein okkultes Denken, das der Bibel fremd ist. Die Bibel sagt uns nirgendwo, dass wir uns in einen direkten Streit mit der unsichtbaren Welt begeben sollen. Wir sollen den Kampf des Glaubens kämpfen, aber mit dem Schwert des Geistes, welches das Wort Gottes ist. Wir sollen uns nicht an die Dämonen wenden – auch nicht in der Seelsorge, indem wir ihnen etwa gut zureden, dass sie ausfahren mögen. Stattdessen sollen wir uns an den Herrn wenden. Er ist unsere einzige Anlaufstelle in der unsichtbaren Welt: Gott, der Vater, und Gott, der Sohn.
Darum ist es so wichtig, dass wir das festhalten: Engel sind nicht unsere direkten Adressaten, sondern sie handeln im Auftrag unseres Herrn. So sehen wir es auch bei Daniel. Er wendet sich an den Herrn und nicht an die Engel.
Ein Mann kam bei einem gefährlichen Autounfall gerade noch einmal mit dem Leben davon. Und dann soll etwa Folgendes geschehen sein: Als sie ihn halb unter seinem Wrack hervorziehen und so gut wie nichts passiert ist, hört er, wie ein Polizist sagt: „Der hatte aber einen Schutzengel.“
Kurz darauf kommt ein anderer Autofahrer vorbei. Sie müssen ihn jetzt erst einmal sicherheitshalber zum nächsten Krankenhaus bringen. Äußerlich ist er eigentlich unversehrt, und ein anderer Autofahrer nimmt ihn mit. Er erfährt, was passiert ist. Dann sagt der Autor: „Wissen Sie, ich bin Christ, und heute Morgen habe ich so meine Losung gelesen. Das ist ein Bibelfest für jeden Tag. Und wissen Sie, was in dieser Losung stand? Psalm 91: ‚Denn er hat seinen Engeln befohlen über dir, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen.‘“
Dann schaltet er das Radio ein, und dort hören Sie als Kommentar: „Ja, Sie hören jetzt die achtstimmige Motette von Felix Mendelssohn-Bartholdy: ‚Denn er hat seinen Engeln befohlen über dir, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen.‘“
Ich wüsste gern, wie die Sache ausgegangen ist. Es ist ja nicht damit getan, an die Existenz von Engeln zu glauben. Derjenige, der uns wirklich retten kann, ist allein Christus. Aber vielleicht war dieses Erlebnis mit den Engeln für den Mann der Anstoß, den zu suchen, der den Engeln befiehlt.
An Christus klammern wir uns – an ihn und den Vater im Himmel. An ihn wenden wir uns mit unseren Gebeten. Und dort, wo unser Herr es für richtig hält, wird er seine Engel schicken, die uns begleiten. Sie sind seine Diener, und er setzt sie auch um unseres Willens ein.
Doch das Größte ist und wird immer bleiben, dass der Herr selbst bei uns ist. Das ist das Größte: dass wir schon jetzt unter seinem Schutz leben dürfen und in seiner Nähe sind. Bis wir ihn dann einmal wirklich von Angesicht zu Angesicht sehen dürfen in seinem Reich.
So soll uns auch alles Nachdenken über die Engel wieder zu Christus hinführen, zu ihm bringen – wie es Ernst Moritz Arndt deutlich gemacht hat. Ernst Moritz Arndt, der große Historiker, nach dem bis heute die Universität in Greifswald benannt ist, die Ernst-Moritz-Arndt-Universität. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich das lese.
Ernst Moritz Arndt hat sich als Historiker ein ganzes Leben lang damit beschäftigt, die Geschichte zu studieren. Dabei wurde ihm auch diese Wahrheit immer deutlicher bewusst: Christus ist der Herr der Geschichte, und wir haben es in der Geschichte auch mit diesen Mächten zu tun. Doch alles führte immer mehr dazu, dass er gewissermaßen als Bilanz schreiben konnte: Christus steht über allem. Ich weiß, woran ich glaube, ich weiß, was festbesteht.
Und da heißt es dann in der vierten Strophe:
„Auch kenne ich wohl den Meister, der mir die Feste baut,
er heißt der Fürst der Geister, auf den der Himmel schaut,
vor dem die Seraphinen anbetend niederknien
und dem die Engel dienen.
Ich weiß und kenne ihn – kennst du ihn auch?“
Amen.