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Der Trost des Gottesfürchtigen in trostloser Zeit

20.01.1996Psalm 77,1-21

Einleitung

Das Leben bringt viele schöne Zeiten und Erfahrungen mit sich. Aber das ist nur die eine Seite. Die Seite, des Lebens, die wir lieben und geniessen. Auf der anderen Seite wird unser Leben oft von Schicksalen überschattet, die uns schwer zu schaffen machen. Und manch einer unter uns kann mit Hiob sagen: Denn was ich gefürchtet habe, ist über mich gekommen, und wovor mir graute, hat mich getroffen. Hiob 3,25.

Einige Beispiele: Da ist ein junger Mann, eben Vater geworden und voller Zukunftspläne, beschäftigt damit, die neue Lebenssituation als Familienvater zu bewältigen. Und plötzlich wird er durch einen Unfall aus dem blühenden Leben gerissen. Zurück bleibt eine Witwe mit einem kleinen Kind.

Oder: Eine Frau in guten Jahren, in die Ehe gingen sie mit der festen Absicht, Jesus zu dienen. Sie zieht Kinder gross, unterstützt ihren Mann im Geschäft und beteiligt sich rege am Gemeindeleben. Plötzlich muss sie sich mit der Tatsache abfinden, dass Ihr Mann mit einer jüngeren Frau ein Verhältnis eingegangen ist. Zerbrochen sind die Träume von einem gemeinsamen Älter werden, zerbrochen das ersehnte und erstrebte Familienidyll.

Oder: Eine Missionsgesellschaft bekommt ein Anliegen für eine Arbeit in einem unerreichten Gebiet. Mit viel Anstrengung gehen sie an die Arbeit. Viele Opfer werden gebracht, um eine Klinik zu errichten. Kaum ist die Klinik gebaut, wird sie durch einen starken Sturm zerstört. Zurück bleiben verwirrte Missionare und eine verwirrte Missionsleitung.

Oder: Eine Gemeinde in einem Land, wo die Christen stark verfolgt werden. Unter viel Entbehrungen müssen sie leiden, was sie, für das, was sie in Christus geschenkt bekommen haben, gerne in Kauf nehmen. Dankbar sind sie, wenn sie einen Ort finden, wo sie sich treffen können. Dankbar, für den Hirten, der sich um sie kümmert und sie im Wort unterweist. Eines Tages wird - wie es oft ist, wenn Gemeinden verfolgt werden - ihr Pastor verhaftet und verurteilt. Zurück bleibt eine Gemeinschaft von Gläubigen, die sich irgendwie wieder von diesem Schock erholen muss und einen Weg finden, wie es weitergehen soll.

Noch ein letztes Beispiel: Eine Familie, die sich im Reich Gottes einsetzt. Mit allen Kräften wollen sie Gott dienen. Die Kinder stehen hinter dem Dienst ihrer Eltern. Viele Kontakte werden gepflegt. Die Eltern befehlen Ihre Kinder auch immer dem Schutz Gottes an, denn sie wissen, dass sie ganz von Jesus abhängig sind. Plötzlich erreicht sie - während einer kurzen Abwesenheit von zu Hause - die Nachricht, dass eines Ihrer Kinder einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist. Es wurde ermordet. Unsägliche Schatten des Schmerzes legen sich über diese Familie. Man könnte hier weiter ein Beispiel an das andere reihen. Beispiele, die nicht erfunden, sondern erlebt worden sind. Hilflos stehen wir solchen Schicksalen gegenüber. Wie kann ein Mensch solche Schicksalsschläge überhaupt verkraften? Der Psalm 77 kann uns helfen, wie wir in solchen Lebensabschnitten reagieren können und man muss vielleicht sogar sage: reagieren dürfen. Text lesen: Ps.77,1-21

I. Der Schrei aus tiefem Herzen (1-11)

Wir wissen nicht, was die Not des Psalmschreibers war. Vermutlich handelt es sich um eine hoffnungslose Situation im Volk Israel. Eine unbegreifliche Entwicklung, die der Schreiber überhaupt nicht verstehen kann. Er findet keine Erklärung dafür. Das löst bei ihm eine tiefe persönliche Krise aus. Er schreit zu Gott um Hilfe. Er ruft und hofft auf Erhörung seiner Hilferuf. Er sucht den Herrn, auch des Nachts findet er keine Ruhe. Seine Hand ist ausgestreckt zu Gott. Er sehnt sich nach einer Antwort. Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, zu dir. Ps.42,2. Aber seine Seele findet keinen Trost. Sie kommt nicht zur Ruhe. Angst beherrscht sein Leben. Nachts kann er nicht schlafen. Seine Unruhe nimmt ein solchen Mass an, dass er verstummt. Er kann nicht mehr sprechen. Er wird sprachlos und verschliesst sich in sich selbst. Er sinnt über die vergangenen Jahre. Er führt in seinen Gedanken Selbstgespräche. In diesem Grübeln tauchen elementare Frage auf: Wird der Herr auf ewig verstossen und keine Gnade mehr erweisen? 8 Ist’s denn ganz und gar aus mit seiner Güte, und hat die Verheissung für immer ein Ende? 9 Hat Gott vergessen, gnädig zu sein, oder sein Erbarmen im Zorn verschlossen? 10

Er versteht seinen Gott nicht mehr. Wie kann Gott so etwas zulassen? Ich sprach: Darunter leide ich, dass die rechte Hand des Höchsten sich so ändern kann. 11 Ein Mensch, der an der im begegnenden Not zu zerbrechen scheint. Trüb und schwarz bäumen sich die Wolken über seinem Leben.

Anwendung

Und ich höre schon die Stimmen, die diesem Menschen sagen wollen: Lobe den Herrn, das wird dir helfen, denn Loben zieht nach oben. Lass das Klagen, das dich nur noch mehr in die Tiefe zieht. Aber ist das wirklich ein guter Rat? Warum sollen wir einen Menschen nicht einfach klagen lassen? Tun wir uns schwer damit, weil wir uns dann der Tiefen Not selber stellen müssten? Haben wir vielleicht Angst davor in den Abrund dieser Not gezogen zu werden wollen? Oder haben wir Angst, dass wir auf die Klage keine Antwort finden würden? Sind wir nicht einfach Hilflos und unbeholfen? Oft ist es besser in dieser Unbeholfenheit zu bleiben. Manchmal ist es besser still mitzugehen, als ein wohlgemeintes aufmunterndes Wort zu sagen. Das manchmal eher uns aufmuntert, als den, den es ermutigen sollte. Oft wird der Betroffene durch gut gemeinte Anweisungen noch tiefer in sein Elend gestossen, weil er selbst weiss, was er tun sollte, aber der Schmerz ihm das im Moment nicht zulässt. Als die drei Freunde Hiobs sein Elend sahen, zerrissen sie ihre Kleider, weinten und warfen Staub über ihre Häupter. Mit ihm sassen sie sieben Tage und sieben Nächte auf der Erde und redeten nichts mit Hiob (Hiob.2,12-13). Schön, wenn wir das Unfassbare nicht fassbar machen wollen. Gott hat nichts gegen solches Klagen einzuwenden. Er wünscht es sogar, dass wir die Klage vor ihn bringen. So beginnt auch der Psalm 142 ganz selbstverständlich mit den Worten: Ich schreie zum HERRN mit meiner Stimme, ich flehe zum HERRN mit meiner Stimme. / Ich schütte meine Klage vor ihm aus und zeige an vor ihm meine Not. Ps.142,2-3. Entscheidend ist, dass die Klage dem Herrn dem Gott Israel vorgebracht wird. Und wir sehen auch in unserem Psalm, dass der Klagende nicht Gott flucht oder seine Autorität in Frage stellt. Er sagt sich weder von Gott los, noch beleidigt er IHN.

Eine richtige Klage wendet sich an Gott und der Klagende behält den Respekt vor Gott. Er verspottet, noch verleumdet er Gott. Aber er ist ganz ehrlich mit seiner Not gegenüber Gott. Wer diesen tiefen Respekt vor Gott hat, den dürfen wir ruhig klagen lassen. Wir brauchen ihm keine sogenannten Weisungen geben. Er soll sein Herz einfach öffnen. Die Fragen müssen raus. Mir begegnet auch immer wieder die Aussage in solchen schweren Nöten, dass man nicht fragen sollte Warum, sondern Wozu. Auch das ist eine Einschränkung, die wohl sehr einsichtig klingt. Aber wenn jemandem die Frage des Warum am Herzen liegt, dann soll er diese doch vor den Herrn bringen. Auch Hiobs Klage ist von dem Warum gezeichnet: Warum bin ich nicht gestorben bei meiner Geburt? Warum hat man mich auf den Schoss genommen? Warum bin ich an den Brüsten gesäugt? Hiob.3,11-12. Können wir Hiob, angesichts seines Zustandes, diese Warum Fragen verübeln? Ist es nicht unser Problem, dass wir durch dieses Warum selber in die tiefe Hilflosigkeit hineingezogen werden? Schlussendlich, egal wie wir fragen, ob nach dem Warum oder nach dem Wozu, bekommen wir keine befriedigende Antwort. Weder Hiob noch unser Psalmschreiber bekamen eine Antwort für ihre Not. Die Lösung der Not kommt von einer ganz anderen Seite. Aber die Klage muss ihren Raum haben, wie Hiob sagt: Mich ekelt mein Leben an. Ich will meiner Klage ihren Lauf lassen und reden in der Betrübnis meiner Seele. Hiob 10,1.

II. Der Trost aus den geschichtlichen Tatsachen (12-21)

Die ganze Situation hat sich nicht geklärt. Alles Nachsinnen und wälzen der aktuellen Situation brachte keine befriedigende Antworten. Gott offenbarte sich nicht durch ein Wunder oder durch eine besonderes Erlebnis. Die Wende im Leben des Leidenden trat dort ein, wo er sich mit dem Handeln Gottes in der Geschichte beschäftigte: Darum denke ich an die Taten des HERRN, ja ich denke an deine früheren Wunder. 12. Und in den folgenden Versen wird deutlich, dass er daran denkt, wie Gott sein Volk aus Ägypten herausführte. Dieses Ereignis liegt aber schon mehrere hundert Jahre zurück. Mit anderen Worten: Er denkt nicht an Ereignisse aus seinem persönlichen Leben zurück, wo er Gott erfahren hatte, sondern an das Handel Gottes mit seinem Volk. Er denkt an etwas, das er nur vom Hören weiss, das er nicht mit eigenen Augen gesehen hatte. In dieser Weise bricht er durch zum Lob Gottes und sagt: Gott, dein Weg ist heilig. Wo ist ein so mächtiger Gott, wie du, Gott, bist? / Du bist der Gott, der Wunder tut, du hast deine Macht bewiesen unter den Völkern. 14-15.

Anwendung

Nun kommt er im Blick auf den Herrn wieder zur Ruhe. Nun findet er den Trost, den er für seine Seele suchte. Der Trost liegt aber nicht in der Beantwortung seiner Fragen und Zweifel, sondern im Blick auf seinen Herrn. Im Blick auf das Handeln Gottes in der Vergangenheit. So wurde auch Paulus mit seinen Nöten fertig, er schreibt den Thessalonichern: denn obgleich wir zuvor in Philippi gelitten hatten und misshandelt worden waren, wie ihr wisst, fanden wir dennoch in unserm Gott den Mut, bei euch das Evangelium Gottes zu sagen unter viel Kampf. 2.Thess.2,2. Paulus musste wie unser Psalmschreiber auf den Herrn sehen. Es ist wie wenn es einem schwindlig wird. Was man dann machen muss, ist einen fest stehenden Gegenstand ins Auge fassen. Wenn alles zu verschwimmen scheint, muss man sich an einen festen Gegenstand klammern. Oder wenn es einem im Schiffsinnern schlecht wird, so muss man aufs Deck und einen festen Punkt an Land fixieren. So ist es in tiefer Not. Wer sich nicht darin verlieren und untergehen will, der muss sich immer wieder an diesem Ankerpunkt orientieren, der für uns Jesus Christus heisst. Wir denken dann daran, was Jesus für uns getan hat. Dass er grosse und mächtige Wunder tat. Dass er für unsere Sünden am Kreuz gestorben ist und nach drei Tagen auferstanden. Er, der nun zur Rechten Gottes sitzt, ist unser Herr! Und im Blick auf unseren Herrn ordnet sich das andere langsam wieder ein. Schmerzen mögen bleiben. Wunden heilen oft langsam. In der Ewigkeit wird uns der Herr dann all die Tränen endgültig abwischen und Schmerz wir nicht mehr sein, wie wir das in der Offenbarung so wunderbar lesen: und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. Offb.21,4. Aber wir werden getröstet und im Blick auf unseren lieben Herrn und Retter, Jesus Christus, können wir mit unbeantworteten Fragen weiterleben und versinken nicht in der Not. In dem was bereits geschehen ist, finden wir Trost, der uns hilft. Nicht in den besonderen Offenbarungen Gottes, nach denen sich heute so viele ausstecken wollen.

Evangelisation

Kennst Du diesen Orientierungspunkt in Deinem Leben? Kannst Du auf Jesus sehen, wenn Du fast zu straucheln scheinst? Wenn alle Werte, die in Deinem Leben Bedeutung haben zerfallen, hast Du dann noch einen beständigen Wert, der durch alles hindurchträgt? Ein Orientierungspunkt, der über den Tod hinaus bestehen bleibt? Jesus sagt: Da redete Jesus abermals zu ihnen und sprach: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben. Joh.8,12. Jesus ist dieser Orientierungspunkt. Nur wer an ihn glaubt wird die Kraft erleben, die im Glauben an Jesus liegt, die aus der Tatsache seiner Rettung am Kreuz entspringt. So sagt Paulus: Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir gerettet werden, ist’s eine Gotteskraft. 1.Kor.1,18.

Schluss

Die Klage in sehr schweren Lebensabschnitten hat auch bei Gott seinen Platz. Wir müssen lernen dieser Klage ihren Raum zu geben. Sicherlich heisst das nicht, dass wir in der Klage steckenbleiben sollen, aber wir sollen auch nicht zu früh einfach alles abstellen wollen und mit gut gemeinten Worten den Betroffenen noch in tiefere Not stossen. Durch diese Klage hindurch dringen wir zu einem echten Lob, das dann von Herzen kommt. Ein Lob Gottes, dass nicht deshalb kommt weil Gott meine nagenden Fragen beantwortet, sondern weil ich einmal mehr seine Grösse und Herrlichkeit erkannt habe. Einmal mehr beuge ich mich vor der Allmacht Gottes und gebe ihm Recht, wenn er sagt Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR. Jes.55,8. Ja, Herr Deine Gedanken sind höher als meine Gedanken. Dich, Du Allmächtiger rühme ich und danke Dir aus reinem Herzen. Gott, dein Weg ist heilig. Wo ist ein so mächtiger Gott, wie du, Gott, bist? / Du bist der Gott, der Wunder tut, du hast deine Macht bewiesen unter den Völkern. 14-15. Amen