Überblick über den Philippabrief und bisherige Schwerpunkte
Zum Einstieg nochmals die Gliederung unseres Philipperbriefes, damit wir wieder ein wenig sehen, wo wir stehen. Vielleicht auch, weil heute der eine oder andere dabei ist, der unter der Woche nicht anwesend war.
Das ist die Grobgliederung des Philipperbriefes. In der vergangenen Woche haben wir verschiedene Themen behandelt, die Paulus im Philipperbrief anspricht. Es begann gleich nach dem Gruß mit Dank und freudiger Fürbitte.
Der Schwerpunkt, den wir zusammen betrachtet haben, war folgender: Wenn Paulus an die Geschwister denkt, hat er eine grundsätzlich positive Einstellung. Paulus ist jemand, der zuerst einmal für die Geschwister dankt. Mir war es an diesem Punkt wichtig, euch ein Stück mit hineinzunehmen in die Herzenshaltung von Paulus.
Oft sind wir überkritisch, was man leicht im eigenen Denken wiederfindet, wenn man den anderen zuerst einmal negativ wahrnimmt. Das hängt damit zusammen, dass wir Teil einer gefallenen Schöpfung sind. Wenn ich mich einfach nur selbst auslebe, kommt aus mir heraus nicht das Positive. Es kommt nicht die Ermutigung, nicht das „Ah, wie nett ist der andere“, sondern es kommt immer ein bisschen das Kritische.
Wir haben so einen Blick auf den Nächsten, der die Fehler übergroß sieht und die dunklen Flecken betont. Da grüßt man jemanden mal nicht, und der, der nicht gegrüßt wurde, denkt gleich: „Ach, hat er mich nicht mehr lieb?“ Diese Art von Haltung stellt Paulus gegenüber. Er sagt: „Hey, ich habe euch Philippern gegenüber erst einmal grundsätzlich eine dankbare Haltung.“
Wir werden im weiteren Verlauf des Briefes noch sehen, wo die Schwierigkeiten in Philippi liegen. Paulus hat dennoch eine grundsätzlich dankbare Haltung. Und wisst ihr was? Er betet für alle. Er betet, dass in eurem Leben vor allem das Thema Liebe mehr und mehr überströmt.
Wir haben uns dann bei der Fürbitte angeschaut, wie Paulus sagt: „Ich wünsche mir, dass Liebe sich in eurer Beziehung untereinander und in euren Lebensentscheidungen zeigt und dass sie sich auch in eurer Beziehung zu Gott wiederfindet.“
Wenn ich sage, dass alle unsere geistlichen Beziehungen mehr und mehr von Liebe geprägt werden, dann findet tatsächlich geistliches Wachstum statt. Bei aller Freude an Bibelwochen und bei aller Freude, hier zu sitzen oder hier zu reden – echtes geistliches Wachstum hat damit zu tun, dass wir lernen zu lieben.
Die Priorität des Evangeliums im Leben des Paulus
Erster großer Schwerpunkt. Zweiter großer Schwerpunkt.
Nach dem ersten Block, Kapitel 1, Verse 3 bis 11, folgt dann Kapitel 1, Verse 12 bis 26. Hier geht es um die Priorität des Evangeliums im Leben des Apostels Paulus. Paulus, der im Gefängnis sitzt, sagt, dass es ihm eigentlich ein Stück weit egal ist. Sein Gefängnisaufenthalt hat dem Evangelium sogar einen echten Pluspunkt gebracht.
Allerdings gibt es draußen Leute, die das Evangelium predigen, um sich gegenseitig auszustechen. Paulus entgegnet darauf: Das ist mir eigentlich egal. Hauptsache, das Evangelium wird gepredigt. Die Idee dahinter ist: Lasst uns lernen, unser Leben nicht so sehr von den Umständen abhängig zu machen. Natürlich können wir das nicht ganz abschalten, aber wir sollten nicht nach dem Motto leben: „Heute geht es mir gut, weil ich aufgewacht bin und fünf Minuten später munter war.“ Nicht so wie sonst, wenn man die erste halbe Stunde wie ein Zombie durch die Wohnung läuft und erst mal Kaffee braucht. Heute geht es mir irgendwie gut, und deshalb ist das Leben gut.
Paulus sagt: „Ja, ich freue mich, wenn es dir gut geht. Aber eigentlich müsstest du mal schauen, ob in deinem Leben das Evangelium vorankommt. Und wenn das der Fall ist, dann lass die anderen, die zweitwichtigeren Dinge, einfach zweitwichtig sein. Freut euch mit mir daran, dass das Evangelium läuft.“ Das ist seine Priorität.
Nachdem Paulus sich selbst und seine Lebenssituation vorgestellt hat, kommt er in Kapitel 1, Verse 27 bis Kapitel 2, Vers 18 darauf zu sprechen, dass, wenn das für ihn so gilt – wenn sich in seinem Leben alles ums Evangelium dreht und er das Evangelium zum Maßstab für die Beurteilung seiner Lebensqualität macht – dann müsste das bei den Philippern auch so sein. Sie müssten als Gemeinde mit einem Geist und einer Seele zusammen für das Evangelium kämpfen.
Sie müssten so eingestellt sein, dass sie sich nicht auseinanderreißen lassen. Im Englischen heißt das „impact“, aber ich finde gerade kein gutes deutsches Wort dafür. Der Gedanke dahinter ist, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Zusammen etwas in der Welt zu bewirken, das Bestand hat.
Wir sind als Gemeinde dazu da, einen Eindruck für das Evangelium zu hinterlassen. Wirklich wie ein Komet, der irgendwo einschlägt – einmal „bumm“! So soll die Gemeinde in der Gesellschaft einschlagen. Danach soll man sehen: „Oh, hier ist etwas passiert.“
Vor kurzem habe ich Geld bei einem Stadtteilmanagement beantragt, ich wollte tausend Euro für ein Fest. Die fragten: „Wer seid ihr denn?“ Ich antwortete, wir sind die und die Gemeinde. Die Antwort war: Von der Gemeinde hat hier noch nie jemand etwas gehört. Noch nie! Das heißt, es gibt eine Gemeinde, die seit Ende der Sechzigerjahre hier ein Haus hat, aber die Leute nebenan haben von ihr noch nie gehört. Sie kennen sie gar nicht. Das kann sein, dass sie da ist, aber sie hinterlässt keinen Eindruck.
Das ist das Gegenstück zu dem, was hier steht – diesem Eindruck hinterlassen. Vielleicht ziehen wir dieses Jahr noch um. Ich wünsche mir einfach, dass wir, wenn wir umziehen, im ersten Jahr so viel Wirbel veranstalten, dass man weiß: „Die sind da!“
Egal, im positiven Sinn, man sollte sich nicht damit begnügen, nur einen Schaukasten aufzustellen und ansonsten ganz leise zu sein. Sondern man sollte Aktionen machen, sichtbar sein und Eindruck hinterlassen. Wirklich zusammen für das Evangelium kämpfen.
Dazu fordert Paulus auf und sagt: Passt auf, dass die Einheit, die euch verbindet, nicht auseinandergerissen wird.
Was braucht ihr dazu? Verschiedene Dinge. Ihr braucht einen Lebenswandel, der dem Evangelium entspricht. Ihr braucht den Herrn Jesus als Vorbild, der euch gezeigt hat, worum es eigentlich geht. Wenn ihr nicht auseinandergerissen werden wollt, müsst ihr so leben, wie Jesus gelebt hat.
Dieses hingegebene, liebevolle Leben für den anderen. Dieses Sich-selbst-zurücknehmen und sagen: „Mein Leben ist nicht das Allerwichtigste. Ich möchte mich in die Sache und in den anderen investieren. Ich möchte Gemeinschaft leben als jemand, der sich in die Gemeinschaft einbringt.“
Wer verstanden hat, dass geistliches Leben und das Reich Gottes dort beginnen, wo ich gebe – weil Gott ein Geber ist. Gott hat sich zuerst gegeben, und zwar absolut. Damit ich jetzt als jemand, der ihm nachfolgt, mich selbst wieder gebe.
Vorbilder und Herausforderungen in der Gemeinde
Und dann folgen zwei Vorbilder, in Kapitel 2, Verse 19 bis 30: einmal Timotheus, einmal Epaphroditus. Danach gibt es einen deutlichen Bruch zum Kapitel 3, das überschrieben ist mit „Warnung vor falschen Arbeitern und ein Aufruf, Paulus nachzuahmen“ (Kapitel 3, Verse 1 bis 21).
Wir stecken mitten drin. Paulus wird ziemlich grob und schreibt über Menschen, die eine Gefahr darstellen – Irrlehrer, die eine Gefahr für die Gemeinde sind. Hier kommen wir zu einem schwierigen Punkt: Wir haben den Brief von Paulus an eine Gemeinde, die genau weiß, wie die Probleme aussehen. Wir aber wissen das nicht. Das heißt, wir müssen aus der Beschreibung und den Anweisungen so ein bisschen durch die Blume das Problem ermitteln.
Soweit man das kann, lässt sich sagen, dass es sich um Irrlehrer mit einem stark jüdischen Hintergrund handelt. Diese kommen in die Gemeinde und predigen dort ein Evangelium, das eigentlich kein Evangelium ist. Ein Evangelium, das sehr viel mit dem zu tun hat, was wir heute Werksgerechtigkeit nennen. Ein Evangelium, das darauf basiert, dass der Mensch vor Gott etwas gilt, wenn er etwas schafft.
Das ist im eigentlichen Sinn Religion, wenn wir die verschiedenen religiös-philosophischen Strömungen, die es auf dieser Erde gibt, einfach mal vor uns ausbreiten. Stellen wir uns einen Schreibtisch vor, auf dem zum Beispiel die Bhagavad Gita neben dem Koran liegt, daneben Schriften von diversen Organisationen wie den Mormonen oder der Watchtower Society. Wir legen all das nebeneinander und schauen aus der Vogelperspektive darauf.
Was ist eigentlich der Unterschied im Denkansatz dieser verschiedenen Gruppierungen? Alle haben auf die eine oder andere Weise erkannt, dass hier auf der Erde etwas schiefläuft. Nehmen wir zum Beispiel den Buddhismus: Dort sagt man, alles ist Leid. Das ist vielleicht nicht ganz richtig, denn man könnte zu Recht sagen, es gibt auch Freude. Aber dass es Leid in der Welt gibt und dass das ein vorherrschendes Problem ist, wird dort anerkannt.
Wir könnten auch andere Strömungen betrachten. Schauen wir von oben darauf und überlegen, was die Lösung, der Lösungsansatz ist, den uns die unterschiedlichen Religionen und Philosophien bieten. Dabei stellen wir fest, dass es das gibt, was ich biblisches Christsein nenne – denn leider gibt es auch im Christentum Strömungen, die nicht mehr biblisch sind. Es gibt also das biblische Christsein und den ganzen anderen Rest.
Dieser ganze andere Rest zeichnet sich dadurch aus, dass in den verschiedenen Büchern, Schriften und Predigten immer wieder gesagt wird: „Tu was, streng dich an!“ Das kann zum Beispiel bedeuten, die fünf Säulen des Islam zu erfüllen. Wenn du das tust, bist du auf dem richtigen Weg. Im Hinduismus oder Buddhismus heißt es Meditation in eine bestimmte Richtung, Askese – streng dich an. Auch bei der Watchtower Society, den Zeugen Jehovas, gibt es Programme, in die man sich eingliedert, die damit zu tun haben, bei Leuten vorbeizugehen, zu klingeln oder mit dem Wachturm an U-Bahnen zu stehen und Zeiten aufzuschreiben. Tu was!
Wenn ich das durchgehe, stelle ich in jeder dieser Religionen immer wieder denselben Ansatz fest: Tu was, streng dich an! Wenn du nur genug tust, dann bist du irgendwann auf einer Heiligkeitsskala ganz oben angekommen. Dann sagt Gott irgendwann mal „Okay“. Wobei dieses „Okay“ in fast allen diesen Religionen relativ schwer zu erreichen ist. Manche bauen Reinkarnationszyklen ein, damit man in einem Leben nicht genug schafft. Aber das ist alles etwas komplizierter.
Letztlich geht es immer um den Punkt: Streng dich an! Der Mensch erkennt sich selbst als Sünder, als jemand, der irgendwie zu wenig tut. Dann kommt die Religion dazu und sagt: Gib Gas!
Und dann gibt es eine einzige Ausnahme: das biblische Christsein. Dort kommt Gott auf die Erde und stirbt am Kreuz, um zu zeigen, dass du so jämmerlich verloren bist, ein absoluter Versager, dass es keine andere Rettung für dich gibt, als dass Gott für dich stirbt. Alle Versuche, sich selbst Gerechtigkeit zu erarbeiten oder sich einen Status vor Gott aufzubauen, müssen falsch sein. Wenn das möglich gewesen wäre, hätte Jesus nicht sterben müssen.
In diesem Sinn ist Christus das Ende des Gesetzes. Es ist das Kreuz, das allen Bemühungen, durch Werksgerechtigkeit gerecht zu werden, einen Riegel vorschiebt. Es geht nicht, es kann nicht gehen. Wir sind darauf angewiesen, dass ein anderer für uns bezahlt.
Wir sind Ertrinkende, die auf hoher See mitten im Sturm tagelang verzweifelt kämpfen, die eigentlich nicht mehr können und dabei sind, abzusaufen. Gott ist derjenige, der zu uns kommt, ins Wasser springt, uns packt und herausholt.
Was wir tun müssen, ist aufhören zu strampeln, aufhören, uns selbst retten zu wollen. Wir müssen einfach still daliegen und sagen: Ich lasse mich jetzt retten. Das ist biblisches Christsein.
Nicht mehr: Ich erarbeite mir meine Gerechtigkeit und denke mir, na ja, wenn ich nur das und das tue, dann muss es doch mit Gott irgendwie gut laufen. Sondern: Ich glaube, ich vertraue. Ich gebe Gott die Chance, mich zu retten. Ich lasse mich auf das ein, was am Kreuz passiert ist, und sage: Ja, ganz zu Recht hängt Jesus am Kreuz für mich. Ich möchte, dass das in meinem Leben Realität wird. Ich möchte dieses Angebot der Vergebung haben – das ist Glauben.
Die Gefahr von Zusatzforderungen und die Bedeutung des Glaubens
In der Kirchengeschichte tauchen immer wieder Menschen auf, die sagen: So einfach kann es doch nicht sein. Wenn du über den Markt gehst und jemand schenkt dir einen Blumenkohl, denkst du doch zuerst: Geschenkt? Da muss doch ein Haken sein. Du nimmst ihn, schaust ihn von allen Seiten an – irgendwo muss doch der Wurm drin sein, im wahrsten Sinne des Wortes. Schließlich schenkt dir sonst niemand etwas. Und schon gar nicht ewiges Leben!
Doch Gott sagt: Wenn ich es dir nicht schenke, wirst du es nie bekommen. Das ist das Problem. Ich kann es dir nur schenken, und du musst es annehmen.
Immer wieder kommen in der Kirchengeschichte Leute, die sagen: So einfach darf man es den Menschen nicht machen. Nur glauben – das ist doch zu billig. Da muss schon mehr sein. Nur durch den Glauben gerechtfertigt zu werden, das kann nicht sein. Da muss noch etwas dazukommen.
Dann fängt man an, solche Ansätze zu finden wie: Man muss zur richtigen Kirche gehören. Wenn du nicht dazugehörst, bist du kein richtiger Christ. Du denkst dir: Aber das steht doch nicht in der Bibel. Oder: Du musst den Zehnten geben. Wenn du das nicht tust, bist du kein richtiger Christ. Hm, denkst du dir, aber es geht doch eigentlich nicht um den Zehnten, sondern darum, dass ich an Jesus glaube.
So kann man sich durch die Kirchengeschichte hindurchfragen und sich fragen: Was macht in meiner Gemeinde eigentlich einen Christen aus? Ist es wirklich der Glaube an Jesus Christus allein?
Ich habe euch von einem jungen Mann erzählt, der sich letzten Sonntag bekehrt hat. Das macht so viel Spaß. Ich weiß nicht, wer ihn kennt. Ich habe ihn am Dienstag kurz gesehen, als ich nach Hause kam. Meine Frau hatte einen evangelistischen Hauskreis, und er war da. Gestern habe ich ein bisschen Geburtstag gefeiert, und er war auch da.
Du schaust in seine Augen und siehst dieses Leuchten. Da ist einer, der aus den Augen leuchtet, als hätte er zwei Dioden eingebaut. Er ist nicht mehr derselbe, er ist einfach anders geworden. Ich stehe da, schmunzle und denke: Wenn du wüsstest, wie du wirkst! Da ist einfach jemand begeistert. Man spürt förmlich, dass sich von innen etwas verändert hat – er leuchtet aus den Augen.
Reicht uns das? Oder sagen wir als Gemeinde: Das reicht noch nicht, du musst auch noch eins, zwei, drei, vier, fünf Dinge erfüllen, um ein guter Christ zu sein? Sind wir solche?
Das ist eine Gefahr, die immer wieder in Gemeinden besteht. Paulus wird sagen: Nein! Paulus antwortet hier auf Leute, die aus einem jüdischen Hintergrund kommen und sagen: Wenn ihr gute Christen sein wollt, müsst ihr erst einmal richtige Juden werden. Ihr müsst euch an die Gebote halten.
Sie gehen ins Alte Testament und ziehen da Dinge heraus, bei denen wir erst einmal schlucken und sagen: Na ja, wenn es sein muss... Wir wollen ja Gott gefallen, es ist nicht so, dass wir Gott nicht gefallen wollen. Also machen wir das halt und denken uns vielleicht nichts dabei.
Paulus aber geht wie eine Rakete gegen diese Leute vor und sagt: Nein, überhaupt nicht! Das, was sie verkaufen, ist nicht das Evangelium. Sie verkaufen eine Mogelpackung – Finger weg! Du verbrennst dir die Finger an diesem Evangelium, das kein wirkliches Evangelium ist.
Wenn jemand kommt und sagt: Es reicht nicht, allein durch den Glauben an Jesus gerechtfertigt zu sein, diese Christusbeziehung alleine ist nicht genug, du brauchst noch etwas anderes dazu – wenn jemand das predigt, dann treibt man ihn mit Baseballschlägern aus der Gemeinde, bricht ihm die Beine und lässt ihn nie wieder auf die Kanzel.
Versteht ihr das? Das geht einfach nicht. Da wird das Herz des Evangeliums angegriffen.
Paulus’ Lebenswandel und seine Entscheidung für Christus
Paulus sagt dann: Wisst ihr, ich kenne diese Typen, ich war selbst so einer. Die denken, weil sie irgendwo eine bestimmte Abstammung haben, weil sie Juden sind, und weil sie Eifer für das Gesetz zeigen, sich einsetzen, einen gewissen Bildungsgrad besitzen und mit dem Alten Testament umgehen können – womöglich sogar Hebräisch sprechen oder leichteren Zugang dazu haben –, dann treten sie auf und tun so, als wüssten sie alles. Alles Quatsch!
Er führt uns in den Versen 4 bis 6 im dritten Kapitel vor Augen, wer er ist, und endet dann in Vers 6 damit, dass er der Gerechtigkeit nach, die im Gesetz ist – also der Gerechtigkeit, die man durch das Halten der Gebote erreichen kann – an dieser Stelle untadelig geworden ist. Da macht ihm keiner etwas vor.
Dann kommt in Vers 7 dieser Paradigmenwechsel: Was auch immer mir Gewinn war, alles, was ich an Privilegien, Errungenschaften und Fertigkeiten hatte, wodurch ich mich vom Rest der Juden abhob und was mich besonders sein ließ, das habe ich um Christi willen für Verlust geachtet. Er begegnet Jesus, er begegnet dem Kreuz, und das dreht sein ganzes Denken um.
Vorher dachte er: Schaut mal her, was für ein toller Typ ich bin, wie viel ich erreicht habe, wie viel ich weiß, wie viel Eifer ich habe und wie sehr mich auch mein persönlicher Hintergrund auszeichnet – ein ganz tolles Erbe bringe ich mit. Dann kommt Christus und sagt: Nein! Ich habe um Christi willen alles für Verlust geachtet. Das kann sogar „für Schaden“ bedeuten.
Er erkennt jetzt die Gefahr, die mit dem Leben verbunden war, das er vorher führte. Die Gefahr besteht darin, einem Wert nachzujagen, der eigentlich nur auf dem Papier besteht. Das ist wie ein Bilanztrick. Manchmal liest man in der Zeitung, dass ein Unternehmen pleitegegangen ist, weil die Bilanz gefälscht war, und irgendwann kam das heraus.
So ist es hier: Er ist auf die Bilanztricks des Fleisches hereingefallen. Er dachte die ganze Zeit, er sei im Plus. Dann begegnet er Jesus und sieht, dass er tief in den roten Zahlen steckt und keine Chance hat, mit diesem Leben vor Gott bestehen zu können. Er akzeptiert das.
In Vers 8 sagt er: Ja, wirklich, ich achte auch alles für Verlust um der unübertrefflichen Größe der Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, willen. Das ist eine Entscheidung. Er sagt, alles, was ich habe – und es ist sogar noch mehr als das, was er aufgezählt hat, wie sein römisches Bürgerrecht, seine Position in der Welt, sein Besitz, sein akademischer Grad –, all diese Dinge bedeuten mir nichts.
Es gibt etwas anderes, das mir viel wichtiger ist: die unübertreffliche Größe der Erkenntnis Christi Jesu. Ich hatte euch das am Anfang schon bei dem Begriff „Erkennen“ gesagt. Erkennen bedeutet, zu jemandem eine Beziehung zu haben und einen intimen, vertrauten Umgang zu pflegen.
Die Erkenntnis Christi Jesu ist ein Begriff für die persönliche Beziehung, die ein Christ zu seinem Herrn, zu Jesus, hat. Paulus sagt hier: echtes neues Leben in einer realen Beziehung zu dem lebendigen Gott – das ist eigentlich Christsein. Das ist das Herzstück, darauf kommt es an.
Jesus kennen dürfen, mit ihm leben dürfen, ihn zu haben – das ist den Verlust meines ganzen Lebens wert. Und das ist das eigentliche Ziel unseres Lebens. Darauf kommt es an, das ist das, wo Qualität in unser Leben hineinkommt.
Ich muss mir immer wieder die Frage stellen: Was ist mir in meinem Leben das Wichtigste? Es kann so schnell passieren, dass man im Leben Schwerpunkte setzt, die woanders liegen.
Ich kenne das besonders bei Männern. Es gibt ein Buch, das heißt „Geld, Sex, Macht“. Ich weiß, dass das für Männer echte Dinge sind. Irgendwann im Leben rutscht man, ohne es wirklich zu wollen, immer wieder dahin ab, dass Geld, Sex und Macht eine Rolle spielen.
Ich weiß nicht genau, ob man die gleichen Punkte auch bei Frauen aufzählen kann. In dem Fall ist das nicht wichtig, denn er sagt: Ich achte. Hinter diesem „achten“ steckt der Gedanke des Fortwährenden.
Hier ist ein Bruch im Leben passiert, der mehr ist als nur eine Laune. Jemand hat über sein Leben nachgedacht und gesagt: Schnitt, ich habe eine Entscheidung getroffen. Die Entscheidung steht. Punkt.
Jetzt, von heute an, bedeuten mir diese Dinge nichts mehr. Ich habe ein Ziel: Ich möchte die unübertreffliche Größe der Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, haben. Ich möchte in dieser Beziehung wachsen. Um dessen Willen habe ich alles eingebüßt.
Er weiß nicht genau, was er mit „alles“ meint. Das ist mindestens sein Status im Judentum, wahrscheinlich mehr. Ich habe alles eingebüßt und es für Dreck achte. „Dreck“ ist eine sehr freundliche Übersetzung dessen, was hier steht. Man könnte auch sagen „Hundescheiße“, denn das sind Exkremente.
Wenn man spazierengeht, kennt man dieses Gefühl. So denkt Paulus über die Dinge, die in der Vergangenheit sein Leben geprägt haben. Früher war er vielleicht karrieregeil oder hatte ein Hobby, in dem er super gut sein musste, alles kannte und alles wissen wollte.
Ich weiß nicht, ob ihr Leute kennt, die so ein Hobby haben, in das sie viel investieren müssen – sei es Sport oder Sammeln. Manche jagen noch der letzten kleinen Figur aus einem Überraschungsei nach, weil ihnen in ihrer Kollektion eine Figur fehlt.
Da steht man manchmal davor und denkt sich: Ja klar, so sind wir Menschen. Wir sind dazu geboren, anzubeten und unserem Leben einen Sinn zu geben.
Ein Hund kommt problemlos ohne Sammlungen aus. Aber ja, es gibt die kleinen und die großen „Setzkästchen“. In den kleinen stehen die Figuren drin, in den größeren vielleicht Whiskyflaschen, und noch größere sind Garagen voller schneller Autos.
Wir sind leidenschaftliche Sammler und wollen unserem Leben einen Sinn geben.
Paulus blickt zurück und sagt: Weißt du was? Wenn ich mir all das anschaue, egal, ob jemand Urlaubsreisen sammelt oder sonst etwas, alles Dreck! Warum? Weil es mir im Weg steht.
Es steht mir im Weg, wenn es darum geht, Christus zu gewinnen und in ihm erfunden zu werden.
Hier ist eine Zeitform gewählt, die ganz bewusst nach vorne blickt. Paulus sagt: Da vorne werde ich meinem Herrn begegnen, da vorne werde ich in ihm erfunden werden, das heißt, völlig mit ihm eins sein.
Darf ich ein Bild gebrauchen? Paulus sagt so viel wie: Der, der verlobt ist – das Bild ist, dass sich zwei gefunden haben, sich lieben und sagen: Hey, wir wollen heiraten. Da vorne ist die Hochzeit, und ich sehne mich nach diesem Tag, an dem ich endlich heiraten darf.
Ich sehne mich danach, das möchte ich haben: endlich zusammen sein, nicht mehr dieses „ja, man ist irgendwie zusammen und doch nicht zusammen“. Ich weiß noch, wo das bei mir vorbei war.
Wir waren schon befreundet, bevor wir gläubig wurden. Dann wurden wir gläubig und haben unsere Freundschaft auf ein ganz neues Niveau gehoben, ganz neu angefangen. Dann haben wir zweieinhalb Jahre aufeinander gewartet.
Ich dachte mir: Bah! Wann ist die Zeit endlich vorbei? Als dann der Tag feststand, fiebert man darauf hin. Das prägt das Denken und Leben.
So sollen wir als Christen unterwegs sein. Wir wissen, wir werden Jesus einmal von Angesicht zu Angesicht sehen. Wir wissen, wir werden ihn vollständig gewinnen.
Dann wird nichts mehr zwischen ihm und mir stehen – keine Sünde mehr, nichts, was mich wegziehen will in eine andere Richtung. Ich werde vollständig in ihm erfunden werden. Ich werde vollendet sein, meine ganze Existenz wird vollendet sein.
Weil ich das jetzt schon im Blick habe, wie jemand, der verliebt ist und sagt: Ich habe nur noch meine Hochzeit im Blick.
Ich habe gerade einen Freund, der demnächst heiratet. Mit ihm ist eigentlich nichts mehr anzufangen. Sorry, wenn ich das so sage. Es ist schwierig, ihn für den Gemeindedienst zu begeistern, weil im Moment geht es eigentlich nur um das Heiraten.
Wir müssen doch das machen, Wohnungen auflösen, loswerden und zusammen alles hier oben irgendwie vollkriegen.
Das ist der Gedanke hier, den Paulus sagt. Er ist so voll hier oben, er weiß genau, wo er hin will. Diesen Jesus möchte ich haben und nichts sonst.
Weil ich hier oben so voll bin, kann ich alles, was sonst in meinem Leben eine Rolle gespielt hat, plötzlich aus dieser neuen Perspektive sehen. Ich sehe, worum es eigentlich geht: Jesus zu erleben, ihn zu erkennen und meine Beziehung mit ihm weiter aufzubauen.
Ich kann das andere im Moment nicht ernst nehmen. Tut mir leid, das geht einfach nicht. Ich habe keine Zeit dafür, es ist mir nichts wert, keine Denkkapazität wert. Ich will da nichts investieren, keinen Euro.
Ich will jetzt diese andere Richtung, volle Kraft voraus.
Die Gerechtigkeit durch Glauben und das Leben mit Christus
Vers 1: „Denn ich habe nicht meine eigene Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz kommt“ – das kennen wir bereits. Es geht dabei um jemanden, der sich anstrengt, selbstgerecht Werke zu tun.
Aber jetzt kommt eine andere Gerechtigkeit ins Spiel, die eigentlich zählt: die Gerechtigkeit durch den Glauben Christi, die Gerechtigkeit aus Gott aufgrund des Glaubens.
Ich habe hier bewusst den Anfang etwas anders übersetzt. In manchen Bibeln heißt es „durch den Glauben an Christus“. Ich glaube jedoch nicht, dass das hier der Punkt ist. Sonst würde Paulus zweimal dasselbe in einem kurzen Abschnitt sagen.
Ich denke vielmehr, dass es hier nicht um den Glauben an Christus geht, sondern Paulus ganz bewusst die Grundlage für unsere Gerechtigkeit, unsere Glaubensgerechtigkeit, beschreibt. Diese Grundlage ist nicht unser Glaube oder unsere Treue – denn das Wort „Glauben“ kann auch als „Treue“ übersetzt werden – sondern die Treue und das bedingungslose Vertrauen Christi in seinen Gott.
Christus lebt ein Leben des Glaubens. Dieses Glaubensleben von Jesus, ein Leben, das ihn ans Kreuz führt, ist die Grundlage für unser Leben und für eine Gerechtigkeit aus Gott aufgrund des Glaubens. Und hier ist unser Glaube gemeint.
Zuerst vertraut Jesus seinem Vater im Himmel, er lebt ein sündloses, heiliges Leben. Und jetzt kommen wir da hinein. Durch unseren Glauben verbinden wir uns mit diesem Leben und nehmen teil an seinen Früchten.
Dort, wo Jesus etwas gewonnen hat, nehmen wir teil an dem Sieg, den er errungen hat, und erhalten durch sein Leben unser Leben geschenkt.
Vers 10: „Um ihn und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden zu erkennen.“
Das ist ein ganz interessanter Punkt: die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden zu erkennen. Was heißt das eigentlich, mit Jesus zu leben? Wie funktioniert es, eine Beziehung zu Jesus zu führen? Was sind die Erfahrungen, die man dabei macht?
Paulus fasst das auf zwei Dinge zusammen. Er sagt, diese Beziehung zu dem auferstandenen Herrn wird wesentlich dadurch gelebt, dass wir zwei Erfahrungen machen:
Erstens die Kraft seiner Auferstehung. In uns lebt seine Auferstehungskraft.
Im Epheserbrief lesen wir gemeinsam: Epheser 1,18-19. Dort bittet Paulus in Vers 18 um erleuchtete Augen des Herzens, um die Dinge zu erkennen, die wir verstehen müssen. In Vers 19 heißt es: „die überschwängliche Größe seiner Kraft an uns, den Glaubenden, nach der Wirksamkeit der Macht seiner Stärke, die er in Christus wirksam werden ließ, indem er ihn aus den Toten auferweckte und zu seiner Rechten in der Himmelswelt setzte.“
Die Stärke, die in uns wirkt und die wir erkennen sollen, ist die Kraft, mit der Jesus von den Toten auferweckt wurde – die Kraft der Auferstehung, die Kraft Gottes in unserem Leben.
Nun stellen wir uns die Frage: Was heißt es, in Christus erfunden zu werden? Wie funktioniert dieses Leben mit Jesus auf der ganz praktischen Ebene?
Auf dieser praktischen Ebene erleben wir Gemeinschaft mit Jesus dort, wo die Kraft Gottes in unserem Leben wirkt, wo Jesu Auferstehungsleben unser Leben verändert.
Deshalb ist die Frage wirklich relevant und nicht einfach eine gesetzliche Frage, die man beiseite schiebt: An welchen Stellen erlebst du ganz persönlich in deinem Leben dieses Auferstehungsleben?
Wo bist du gerade in deinem Charakter? Wo ärgerst du dich noch, entwickelst dich weiter und betest? Und wo kannst du sagen: Vor zwanzig Jahren war ich an der und der Stelle Jesus weniger ähnlich?
Das ist wirklich ein Ziel. Wir leben nicht einfach unser Leben weiter, sondern wir leben unser Leben mit einem Vorbild. Wir wollen in ihm erfunden werden, ihm ähnlicher werden.
Dort, wo ich eine Diskrepanz sehe zwischen seinem Leben und meinem Verhalten, möchte ich diese Lücke schließen. Aber ich kann das nicht aus eigener Kraft schaffen.
Über die Jahre und Jahrzehnte als Christ möchte ich Jesus ähnlicher werden, liebevoller, barmherziger, netter. Dass man mir vielleicht sogar nachsagt: „Hey, du bist irgendwie ein feinerer Mensch geworden.“ Oder dass die Schnodderschnauze, die mir früher eigen war, nicht mehr da ist. Vielleicht habe ich gelernt, jetzt auch mal jemanden zu ermutigen.
Keine Ahnung, wo du startest. Wir alle haben unsere Dellen, Macken und Kaputtheiten. Trotzdem soll in unserem Leben die Auferstehungskraft Jesu sichtbar werden. Darum geht es.
Wo das der Fall ist – das ist vielleicht blöd, sich selbst als Beispiel zu nehmen, aber es fällt mir im Moment nur eins ein, weil es mich so fasziniert hat:
Gestern war es ein bisschen stressig. Das ist meist ein bisschen stressig, wenn man abends Gäste hat. Wir mussten noch etwas abholen, und Bärbel hatte eine Sache vergessen zu erledigen.
Ich weiß, vor fünf Jahren wäre ich in einer solchen Situation – ich saß gerade an der Predigt für Sonntag und war unter Zeitdruck – in die Luft gegangen. Ich hätte gesagt: „Ich habe dir doch schon am Donnerstag gesagt, du sollst bei der Firma anrufen und nachfragen. Du hättest das einplanen können. Du hast deinen Zeitplan wieder nicht richtig gemacht.“
Vor fünf Jahren hätte ich gemerkt, wie in mir etwas hochkocht, und ich hätte das nicht dämpfen können. Ich hatte viele solcher Situationen in meiner Ehe, an denen ich solche Tage ruiniert und meiner Frau Vorwürfe gemacht habe.
Aber gestern stand ich da, und es passierte einfach nicht. Ich merkte, dass in den letzten Jahren dieser Punkt Streit und Bitterkeit sich verändert hat.
Ich stand wirklich fassungslos davor und sagte mir: Ja, ich habe zehn, fünfzehn Jahre dafür gebetet, Bibelverse auswendig gelernt, mich immer wieder entschuldigt, wenn ich es falsch gemacht habe – oft entschuldigt.
Über die Jahre hat Gott etwas geschenkt, bis zu dem Punkt, an dem ich für mich selbst gesagt habe: Ich möchte das nicht mehr.
Gestern fuhr ich mit dem Auto durch die Stadt, holte ein Banner für ein Stadtteilfest ab und dachte mir: Wie gut! Wie gut, dass Gott das in meinem Leben verändert hat, dass ich nicht mehr streiten muss und fast nicht mehr bitter werde – jedenfalls bei weitem nicht mehr so wie früher.
Wie gut! Und das ist etwas, was hier steht: Die Kraft der Auferstehung wächst in mir, etwas Neues entsteht an einer Stelle, an der ich nie gedacht hätte, dass Gott so tief in mein Wesen eingreifen würde.
An so einer Stelle werden wir Jesus ähnlicher, denn Jesus war so.
Das Zweite ist die Gemeinschaft seiner Leiden. Wir erleben Gemeinschaft mit dem Herrn dort, wo wir ihm nachfolgen und in der Nachfolge Nachteile erleben, Ablehnung und Verfolgung.
Dort, wo wir bereit sind, den Weg des Kreuzes zu gehen, erkennen wir ihn in dem Moment, in dem wir unterwegs sind mit ihm.
Gottes Erkenntnis ist nichts, was sich nur im Kopf abspielt, indem man die Bibel liest – das ist wichtig –, aber Gottes Erkenntnis passiert zuerst im Leben selbst, dort, wo ich Entscheidungen für Jesus treffe.
Diese Entscheidungen prägen mich in einer Richtung, die mich ihn erkennen lässt.
Das ist ein Stückchen Mysterium, das ich nicht genau erklären kann.
Ich weiß nur, dass ich in den Momenten, in denen ich mich bewusst auf die Seite Jesu stelle – weil ich Zeugnis gebe, an einer Stelle Einspruch erhebe und sage: „Nein, das glaube ich nicht“, oder weil ich bereit bin, Zeit, Geld, Mühe, Kraft und Schlaf zu investieren, um etwas für das Reich Gottes zu tun – in solchen Momenten, die auch ein Stück Schmerz haben, Jesus ein Stück näherkomme.
Ich kann nicht genau erklären, warum das so ist. Wahrscheinlich liegt es daran, dass Beziehung dort wächst, wo es schwierig ist.
Rückblickend auf meine Ehe kann ich sagen: Wir sind am meisten in den Momenten gewachsen, in denen wir den größten Streit hatten.
Das klingt komisch, aber für uns ist es so. Dort, wo es schwierig war, wo wir uns gerieben haben und es nicht leicht war, wurde die Beziehung am engsten.
So sehe ich es auch: Wie funktioniert das, in ihm erfunden zu werden, ihn zu gewinnen?
Wir leben in seiner Kraft, teilen sein Leben, und indem wir Leiden erleben, erkennen wir ihn.
Paulus sagt: „Indem ich seinem Tod gleichgestaltet werde.“ Das klingt merkwürdig. Es geht hier nicht ums Sterben, sondern um seine Theologie, die besagt, dass wir jeden Tag neu die Entscheidung treffen: Nicht mehr ich, sondern Christus.
In jedem Moment meines Lebens lässt Gott mir die Wahl: Möchtest du dein altes, selbstbestimmtes, ichzentriertes, ungehorsames, rebellisches Leben weiterleben? Oder möchtest du diesen alten Jürgen neu auf den Altar legen und opfern, um so zu leben wie Jesus?
Möchtest du das?
Paulus sagt: Meine Theologie ist eine Theologie des Sterbens. Ich werde jeden Tag den alten Paulus, der wieder rauskommen will, neu sterben lassen.
Ich will das nicht mehr leben. Ich möchte ein neues Leben leben, ein Leben, das Jesus ähnelt.
Indem ich seinem Tod gleichgestaltet werde, sterben wir dort mit, wo Jesus gestorben ist, und leben mit ihm neu dort, wo Jesus neues Leben lebt.
Im 1. Thessalonicher 5,9 heißt es, und ich mag diesen Vers sehr, weil er so praktisch ist:
„Denn Gott hat uns nicht zum Zorn bestimmt, sondern zum Erlangen des Heils durch unseren Herrn Jesus Christus, der für uns gestorben ist, damit wir, ob wir wachen oder schlafen, zusammen mit ihm leben.“
Dazu sind wir berufen – ob wir wachen oder schlafen – mit ihm zu leben.
Paulus sagt: Ich achte alles für Dreck, weil ich Christus gewinnen möchte. Ich möchte, dass diese Beziehung wächst, ich möchte tiefer hineinkommen, ich möchte wirklich begreifen, wie Jesus tickt, wie er mein Leben prägen kann.
Ich möchte ihm ähnlicher werden. Ich will eine ganz tiefe, intime Beziehung.
Das kann eine Gemeinde nicht leisten. Vielleicht ist es wichtig, das zu sagen: Deine Christusbeziehung kann eine Gemeinde nicht leisten.
Du kannst in die Gemeinde gehen, um ermutigt zu werden und in der Christusbeziehung zu wachsen. Du kannst Informationen bekommen, zum Beispiel in einer Bibelwoche.
Aber die Christusbeziehung selbst bekommst du nicht in der Gemeinde. Sie wächst nur durch deinen persönlichen Umgang mit Jesus und durch einen Lebensstil, der sich auf die Nachfolge Christi einlässt.
Ich finde es sehr entspannend, das einfach so zu sagen: Egal wie gut oder schlecht Gottesdienste laufen, egal wie ausgefeilt ein Programm ist, egal wie die Akustik ist und ob man die Lieder gut oder schlecht versteht – das ist nicht der Punkt, der unsere Christusbeziehung ausmacht.
Deine ureigenste Christusbeziehung läuft letztlich eins zu eins zwischen dir und deinem Herrn.
Wenn dort nichts ist, weil du dir keine Zeit dafür nimmst oder weil du denkst: „Der Kampf um Veränderung in meinem Leben, die Bereitschaft zu leiden für Jesus, das ist nicht mehr da. Ich mogele mich da so ein bisschen durch. Ich habe mich arrangiert mit meiner Art zu sein. Ja, das ist vielleicht ein fauler Kompromiss, aber ein guter, weil es mich nicht mehr belastet. Ich komme irgendwie durch. Und mit Leiden habe ich mich auch arrangiert. Ist nicht viel da, will ich eigentlich auch nicht groß. Ich möchte mein gemütliches, kuscheliges Kulturchristsein leben. Ich spende auch für die Gemeinde, und das ist gut so.“
Dann wirst du das nicht erfahren. Du wirst nicht begreifen, worum es Paulus hier geht.
Paulus geht jetzt einen Schritt weiter und sagt: Das ist das eine, damit ich begreife, warum mein altes Leben, meine alten Errungenschaften, mein Doktortitel, mein Einkommen, mein BMW und all das mir nichts mehr bedeuten.
Warum ich jetzt in eine andere Richtung Gas gebe.
Der Punkt ist: Ich habe ein anderes Ziel. Was ist das Ziel?
Das Ziel des Glaubensweges: Nachfolge und Vollendung
Vers 12: Nicht, dass ich es schon ergriffen habe oder schon vollendet sei. Das ist ein Problem. Paulus möchte deutlich machen: Ich bin hier noch auf dem Weg. Man kann sich überlegen, ob die Feinde des Kreuzes Christi, diese Irrlehrer, sich vielleicht hingestellt haben und sagen: „Wir sind die Überchristen, wir haben es, ihr habt es noch nicht, ihr müsst jetzt von uns lernen.“ Paulus sagt jedoch: Nein!
An dieser Stelle möchte ich nochmals betonen: Ich bin noch nicht vollendet, ich bin noch nicht am Ziel. Ich bin einer, der in dieser Beziehung noch auf die Hochzeit wartet. Ich schaue noch nach vorne. Ich jage ihm aber nach, ob ich es auch ergreifen möge, weil ich auch von Christus Jesus ergriffen bin.
Vor Damaskus begegnete Paulus dem auferstandenen Herrn, und der griff ihn, der packte ihn! Und Paulus sagt an dieser Stelle: Weil ich ergriffen bin, weil mich Christus gepackt hat, kann ich gar nicht anders, als jetzt immer wieder dahin zu schauen, wo dieser Christus ist. Immer wieder auf diese Beziehung zu schauen, immer wieder zu denken: Ich möchte mehr, ich möchte mehr begreifen, wie du bist. Ich möchte mehr verstehen, Herr Jesus, wie du Dinge siehst, interpretierst, wie du Schwerpunkte setzt und Prioritäten. Ich möchte es lernen, deine Gedanken nachzudenken.
Ich möchte bereit sein, zu einem Leben der Veränderung, zu einem Leben der Nachfolge, in dem das Kreuz auch in meinem Mittelpunkt steht. Ich möchte bereit sein, alles dranzugeben, damit du und diese Beziehung zu dir größer wird.
Brüder, Vers 13: Ich denke von mir selbst nicht, es ergriffen zu haben im Sinne von schon angekommen zu sein. Eins aber tue ich, und das ist mein Wunsch für euch auch: Ich vergesse, was da hinten ist.
Also, Paulus ist nicht der, der ständig zurückschaut. Er verwendet jetzt ein Bild – das Bild eines Läufers. Die Olympiade ist ja noch nicht so lange her. Er hat da so etwas – weiß ich – die Läufer. Nehmen wir mal die ganz schnellen, die Sprinter, wobei das Bild eher so ein bisschen den Langstreckenläufer meint.
Aber stell dir mal vor, so ein Sprinter, der schaut nach vorne und würde sich nach dreißig Metern umdrehen. Völliger Quatsch, das macht keiner! In dem Moment, in dem du dich umdrehst, hast du verloren. Du kannst einfach aufgeben, kannst gleich stehen bleiben. Und genau so ist das hier in diesem Bild.
Paulus sagt: Wenn ich mir mein Leben anschaue, wenn ich ein Bild brauche für diesen Wunsch, Jesus zu kriegen, mit ihm zu leben, dann nehme ich das. Ich vergesse, was da hinten ist. Ich mache mir nicht ständig Gedanken um das, was gestern ist, was ich auch im christlichen Leben schon erreicht habe.
Ich bin nicht so der, der immer denkt: Boah, hey super, jetzt haben wir das gemacht, und das war auch so toll damals. Da habe ich so eine schöne Predigt gehört, und dann könnte ich mir ja die Reihe nochmal anhören, die war so gut gelaufen. Das ist nicht sein Ding.
Er sagt: Ich lebe nicht in der Vergangenheit, sondern ich strecke mich aus nach dem, was vorn ist. Ich jage auf das Ziel zu. Ziel: diese Vereinigung mit Jesus.
Ich möchte, ich strecke mich aus nach dem, was vorne ist. Kennt ihr Bilder von Zieleinläufen, wo man das Ziel so sieht, so ein Strich am Boden? Und dann wirft sich einer da vorne rein. Er springt am Ende, und jeder versucht, so seine Brust nach vorne zu strecken, um ja als Erster über die Linie zu gehen.
Das ist das Bild, das hier steht: Ich strecke mich aus. Ich möchte dieses Ziel so als Erster, so mit voller Wucht ganz erreichen. Das ist mein Ziel.
Ich jage auf das Ziel zu, hin zu dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben in Christus Jesus.
Der Kampfpreis – Sie merken, das ist immer noch das Bild der Olympiade. Der Kampfpreis der Berufung. Hier ist das Bild von einem Athleten, der, wenn er wirklich gewonnen hat, wenn er angekommen ist, dann vor der Tribüne steht. Und oben auf der Tribüne steht manchmal der Kaiser. Er hat dann so einen Siegeskranz in der Hand.
Dann tritt der Athlet, der geht da hoch, hoch und oben bekommt er den Preis, den Kampfpreis der Berufung.
Und das ist das, wo Paulus sagt: Das ist mein Leben. Wenn du mein Leben verstehen willst, wenn du verstehen willst, wie ich drauf bin, dann nimm so einen Läufer, der nur ein Ziel hat, der sich nicht abbringen lässt, der sich ausstreckt nach vorne, der jede Faser seiner Existenz dazu einsetzt, um den Lauf zu gewinnen.
Der nicht fünf Sachen gleichzeitig macht, der während des Laufes nicht nochmal an die Einkommensteuererklärung oder an irgendetwas anderes denkt. Der hat gar keine Zeit für so etwas nebenbei, der will laufen.
Und so sagt Paulus: So möchte ich auch unterwegs sein. Ich möchte links und rechts Dinge ausblenden, vielleicht ein bisschen Scheuklappen anhaben, aber ich möchte das Ziel erreichen.
Dann sagt er in Vers 15: So viele nun vollkommen sind – vollkommen bedeutet im Neuen Testament oft nicht mehr als nur erwachsen oder reif – er spricht jetzt die Leute an, die reife Gläubige sind.
So viele nun vollkommen sind, lasst uns darauf bedacht sein.
Wenn du ein reifer Christ bist, dann lass dich von dieser Idee anstecken. Lass dich von dieser Idee nicht abbringen.
Und über etwas nachzudenken hat im Griechischen immer auch über den Prozess des Denkens hinaus dahinter das Tun im Blick. Also: darauf bedacht sein heißt, denk über das nach, was ich dir gesagt habe. Verinnerliche das Bild und setze es um in dein eigenes Leben.
Wenn du ein reifer Christ bist – und daran sieht man, wer ein reifer Christ ist – ein reifer Christ ist der, der genau weiß, worum es im Christsein geht.
Ein reifer Christ ist der, der verstanden hat: Es geht genau um eine Sache. Es geht um eine Beziehung.
Ein reifer Christ ist der, der dafür lebt, Jesus besser kennen zu lernen.
Und dann kann Paulus auch sagen: Und wenn ihr in irgendetwas anders denkt – also wenn es da so andere Fragen gibt – und die Formulierung macht deutlich, dass es kleinere, unbedeutendere Fragen sind.
Wenn ihr da anders denkt – das ist nicht schlimm.
Das wird euch Gott auch offenbaren, das wird euch Gott beibringen. Das ist nicht dramatisch.
Wichtig ist, dass wir das Wichtige wichtig sein lassen, dass das, was im Zentrum steht, in unser Zentrum hineinkommt.
Dass wir uns die Frage stellen: Worüber denke ich wirklich nach, wenn ich über Christsein nachdenke? Habe ich das noch im Blick? Nehme ich mir die Zeit, Jesus zu begegnen?
Und ich möchte euch das wirklich jetzt ans Herz legen, dass ihr das mitnehmt in die Pause, diesen Gedanken: Wo stehe ich im Blick auf diese Beziehung?
Viele von euch sind ja schon eine ganze Weile gläubig. Das heißt, das, was hier steht, „so viele nun vollkommen sind, lasst uns darauf bedacht sein“, das gilt euch.
Ihr müsstet eigentlich verstanden haben, worum es im Christsein geht.
Ihr müsstet in Vers 16 – da heißt es: Doch wozu wir gelangt sind, zu dem lasst uns auch halten – ihr müsstet eigentlich Menschen sein, die sagen: Ja, das stimmt. Ich habe verstanden, worum es geht.
Ich habe verstanden, dass wir im Christsein Jesus lieben lernen sollen, dass es tiefer wird.
Ich habe verstanden, dass das etwas damit zu tun hat, für ihn zu leben und zu leiden.
Ich habe verstanden, dass das damit zu tun hat, dass in mir ein Transformationsprozess stattfindet, der mich ihm ähnlicher macht.
Und dass ich mich willig diesem Weg aussetze.
Und jetzt ist die Frage: Ist das so? Nehme ich mir ehrlich Zeit, Jesus zu begegnen?
Wenn du Bibel liest, wenn du in den Gottesdienst gehst, wenn du betest, wenn du irgendetwas tust – was passiert dann in dir? Und warum tust du das eigentlich?
Pause!