Abschluss der Predigtreihe: Die praktische Umsetzung der Liebe Jesu
Fast möchte man sagen, ihr habt es geschafft – also nicht nur mich geschafft, sondern auch etwas geschafft: nämlich unsere Reihe zum Thema Liebe. Das ist jetzt die letzte Predigt dazu. Mehr werdet ihr zumindest in diesem Jahr zu dem Thema von mir aller Voraussicht nach nicht hören.
Aber das hat natürlich auch eine Schattenseite. Ihr könnt euch jetzt nicht mehr herausreden, wenn es um das Thema Liebe geht. Ihr wisst jetzt eigentlich, was Sache ist. Ihr wisst, dass Jesus uns an dieser Stelle eine Aufgabe gestellt hat. Unser ganzes Leben ist so etwas wie eine ewig lange Abschlussprüfung. Dabei geht es darum zu zeigen, dass wir die Lektion, die wir in der Bibel sehen – die wir jetzt hoffentlich auch ein Stückchen gelernt haben –, nicht nur theoretisch durch die Predigten gelernt haben, sondern auch bereit sind, diese Lektionen praktisch umzusetzen.
Wir sollen bereit sein zu lieben, so wie Jesus geliebt hat. Und das hat etwas, ich nenne es mal so, Brutales an sich: diese Liebe ist etwas, das bis zum Äußersten geht. Es ist eine Liebe, die wir selbst empfangen haben – dort, wo Jesus für uns gestorben ist. Eine Liebe, mit der wir durch den Heiligen Geist beschenkt worden sind und die Gott jetzt von uns wieder und durch uns an die Welt weitergeben möchte.
Das ist das Thema der letzten Predigten gewesen. Wir sind tatsächlich Salz und Licht der Erde – immer dann, wenn wir Gutes tun, wenn wir freundlich mit Menschen umgehen, wenn wir ermutigen, wenn es angebracht ist, manchmal einfach auch den Mund halten, wenn die Dinge, die wir sagen wollen, nicht angebracht sind. Wenn wir einfach Liebe auf jede erdenkliche Weise praktizieren, dann sind wir Boten Gottes an eine Welt, die diese Liebe nicht kennt.
Das ist eine Liebe, die so radikal ist, dass sie sogar unsere Feinde mit einschließt.
Die Herausforderung der Feindesliebe im Römerbrief und der Bergpredigt
Ich möchte euch das am Römerbrief zeigen, und zwar in Kapitel 12, Vers 20. Dort geht der Apostel Paulus so weit, dass er die Briefempfänger auffordert:
„Wenn nun dein Feind hungert, so speise ihn; wenn ihn dürstet, so gib ihm zu trinken; denn wenn du das tust, wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln.“
Außerdem sagt er: „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit dem Guten.“
Das ist beeindruckend! Paulus fordert hier auf: Wenn dein Feind hungert, speise ihn; wenn er Durst hat, gib ihm zu trinken.
Das ist genau das, was wir auch in der Bergpredigt, Matthäus 5, schon öfter gelesen haben. Dort sagte Jesus:
„Ihr habt gehört, dass gesagt ist: ›Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen.‹ Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen.“
Man darf sich wirklich ehrlich fragen, warum das so sein soll. Was soll das bringen?
Die Antwort lautet: Damit ihr Söhne seid – und ich übersetze jetzt mal etwas freier – Söhne und Töchter eures Vaters, der in den Himmeln ist.
Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.
Denn wenn ihr nur die liebt, die euch lieben, welchen Lohn habt ihr? Tun nicht auch die Zöllner dasselbe?
Und wenn ihr allein eure Brüder grüßt, was tut ihr Besonderes? Tun nicht auch die von den Nationen dasselbe?
Ihr nun sollt vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist.
An so einer Stelle – ich hoffe, dass wir noch ein Stückchen erschrecken, wenn wir so etwas lesen.
Ihr sollt vollkommen sein. Wie soll das denn gehen?
Aber das ist das Ziel, das Gott uns vor Augen stellt.
Das ist ein enormes Ziel für mein Leben: Ich soll so werden, wie mein Vater im Himmel ist.
Gottes Liebe zu allen Menschen – auch zu den schwierigen
Wissen Sie, manchmal sage ich mir das ganz praktisch: Gott hat den lieb, der seinen Hund in meinen Vorgarten kacken lässt. Gott hat den lieb, der mir links vorne die Beule reingefahren hat. Es muss ein blaues Auto gewesen sein, denn das sieht man noch. Leider hat er sich nicht gemeldet.
Und er hat den lieb, der hier unten mit seiner Sprühflasche meinte, seinen Tag unbedingt an unserer Kirche auszumalen. Das sind die Leute, die Gott lieb hat.
Jetzt schickt Gott mich in diese Welt, damit ich zu Leuten gehe, die in ihrer Seele einfach ein Stückchen krank sind, verdorrt sind. Für mich kommen sie manchmal so daher wie Zombies, wie lebende Tote, die ihr Leben irgendwie abreissen zwischen „Hier ist mein Fernseher“, „Da ist der Kiosk“ und „Da habe ich meine Arbeit“. Dann pendeln sie immer zwischen Fernseher, Kiosk und Arbeit hin und her.
Und in so einer Welt schickt Gott mich hinein – mit seiner Liebe. Warum? Weil Gott solche Typen liebt.
Ich schaue von meinem Balkon runter. Da unten ist so ein Kiosk. Ich sehe sie jeden Tag, immer dieselben. Und was ich merken muss, ist: Gott liebt diese Typen. Er hat sie nicht abgeschrieben. Ein Grund, warum ich die Wohnung da drüben habe, ist ganz einfach, weil Gott diese Typen liebt.
Das ist diese Liebe, die mich einfach umhaut. Da sage ich: Das müssen wir wirklich begreifen. Gott hat sein Herz an solche Typen verloren. Und er hat uns ganz persönlich, dich und mich, dafür geliebt, dass wir uns nicht über solche Menschen aufregen.
Manchmal rennt man ja mit so einem Hals durch die Gegend: „Oh, ja, schon wieder!“ Ich komme jeden Morgen raus und habe irgendein „Wow-Wow“ – also Hundekot – in meinem Vorgarten. Es ist ja jeden Morgen so!
Manchmal habe ich natürlich schon die Überlegung, irgendwie eine Selbstschussanlage anzubringen oder wenigstens eine Kamera. Aber dann denke ich mir wieder: Nein, komm, sei ein bisschen ruhiger. Ich bin nicht dazu berufen, mich aufzuregen. Ich bin dazu berufen, Menschen zu lieben.
Ich bin dazu berufen, so zu leben, wie Jesus gelebt hat. Wenn ich mir die Evangelien anschaue, dann sehe ich: Jesus hat sich fast nie aufgeregt. Es gibt zwei, drei Momente, in denen Jesus deutlich gesagt hat, was Sache ist. Aber das sind wirklich nur zwei, drei Momente. Davor ist viel vorausgegangen, und es hatte viel mit religiöser Heuchelei zu tun.
Aber bei den kleinen Dingen, wenn jemand sich ein bisschen daneben benimmt, da war Jesus total entspannt.
Die Bereitschaft, das eigene Leben für die Liebe zu verlieren
Ich glaube, dass an der Stelle, wo wir auf Menschen treffen, die uns einfach nicht mehr liegen von ihrer Art, etwas beginnt, was der Herr Jesus im Markus-Evangelium, Markus 8,35, beschreibt. Dort heißt es: „Denn wer sein Leben retten will, der wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird es retten.“
Jetzt sehe ich vor meinem geistigen Auge so etwas wie einen Scheiterhaufen. Das Bild entsteht vielleicht, weil wir Schwestern haben, die für Christen beten, die verfolgt werden. Dabei denke ich an Verfolgung bis hin zum Tod. Doch das ist nicht die Art von Verfolgung, die wir hier in Deutschland erleben. So verlieren wir unser Leben nicht.
Wir verlieren unser Leben auf eine ganz kleine Weise. Das geschieht dort, wo ich bereit bin, meine Eigennützigkeit aufzugeben. Dort, wo ich bereit bin, meine Bequemlichkeit zu opfern, um den Liebesauftrag Jesu zu erfüllen. An diesem Punkt beginnt das Verlieren unseres Lebens. Es kann bis zum Tod führen, aber es fängt viel früher an.
Die Frage ist: Bin ich bereit, an der Stelle, wo es mein Leben betrifft, wirklich ernst zu machen? Wo Lieben für mich unbequem wird, bin ich dort bereit, mein Leben zu verlieren?
Ich glaube, wenn wir nicht bereit sind, unser Leben zu verlieren, dann werden wir mit Sätzen wie diesen Schwierigkeiten haben: Jesus sagt in Lukas 6,27-28: „Aber euch, die ihr hört, sage ich: Liebt eure Feinde, tut wohl denen, die euch hassen, segnet die, die euch fluchen, betet für die, welche euch beleidigen.“
Wenn wir nicht bereit sind, unser Leben zu verlieren, wenn wir immer die Nummer eins sein wollen und immer entscheiden wollen, was wir für richtig halten, dann werden wir an solchen Stellen sagen: Nein, das mache ich nicht, das will ich nicht. Ich will nicht meine Feinde lieben, ich will nicht die segnen, die mir fluchen. Ich will nicht für die beten, die mich beleidigen und mir wehgetan haben. Ich will das einfach nicht.
Aber genau dazu sind wir berufen. In Lukas 6,29 heißt es: „Dem, der dich auf die Backe schlägt, biete auch die andere dar; und dem, der dir den Mantel nimmt, verweigere auch das Unterkleid nicht.“
Und in Vers 31: „Wie ihr wollt, dass euch die Menschen tun sollen, so tut ihr ihnen auch.“
Nochmals in Vers 35: „Doch liebt eure Feinde, tut Gutes und leiht, ohne etwas wieder zu erhoffen, und euer Lohn wird groß sein. Ihr werdet Söhne des Höchsten sein; denn er ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen.“
Die Herausforderung, Feinde zu lieben und die eigene Haltung zu überdenken
Jetzt wirst du vielleicht sagen: „Ich bin nur froh, dass ich im Moment keine Feinde habe. Da kann das Wort ein bisschen an mir vorbeigleiten.“ Doch ich möchte fragen: Wer ist die Person in deinem Leben, bei der du sagst, wenn es um Liebe geht, ist sie definitiv die letzte, an die ich denken würde? Das ist dein Feind. Genau um diese Person geht es hier.
Vielleicht denkst du, du hast das Recht, bei der Liebe auch mal Nein zu sagen. Du liebst vielleicht 98 Prozent der Menschen, aber bei zwei Prozent sagst du Nein. Doch dann kommt ein Text daher, der dir sagt, dass du bei keiner einzigen Person das Recht hast, Nein zu sagen.
Der Grund dafür ist, dass Gott dir selbst kein Nein gesagt hat. Gott hat dir am Kreuz einen Neuanfang geschenkt. Er hat dich geliebt und dir an dieser Stelle gezeigt, wie intensiv echte Liebe ist. Am Kreuz sehen wir, was es bedeutet, wirklich berufen zu sein, zu lieben. Diese Liebe hört nicht dort auf, wo ich sage: „Hier ist mein persönlicher Punkt erreicht.“ Jesus hat eine Liebe gelebt, die bereit war, alles zu geben – radikal, ohne Netz und doppelten Boden.
Er ist einfach auf den anderen zugegangen und hat gesagt: „Da, wo ich dich erreichen kann, da, wo ich dich lieben kann, da, wo ich dir begegnen kann, von mir aus zu deinen Konditionen, ich komme dir entgegen. Ich will dich, ich will dich wirklich.“
So hat Jesus jeden von uns an einer anderen Stelle seines Lebens abgeholt. Er hat jedem von uns eine andere Portion von Fehlern vergeben. Er hat jedem von uns Dinge gezeigt und offenbart, die wir gebraucht haben, um ihn zu erkennen. Er hat sich immer auf uns eingelassen und erwartet jetzt im Gegenzug, dass wir diese Liebe, die wir selbst erfahren haben – diese ganz persönliche, existenzielle, ja, ich sage mal brutal radikale Liebe – auch bereit sind zu leben.
Denn als Jünger Jesu haben wir einen Meister, der uns zeigt, wie man es macht.
Übergang zum Thema der Gemeinde: Liebevoll mit Unterschieden leben
Aber das war nicht das Thema für heute, das wisst ihr. Es geht gar nicht um Feindesliebe, sondern heute um etwas ganz anderes. Das war nur ein kleiner Schlenker, damit Holger nicht wieder sagt, ich hätte nur Redundanz bei mir drin. Also, Holger, jetzt kommt das Eigentliche.
Das Thema heute lautet eigentlich: Liebe in einer Gemeinde voller Sünder. Das Unterthema ist: Liebevoll mit Unterschieden leben.
Wir kommen jetzt also aus den luftigen Höhen der Feindesliebe, wo hoffentlich gerade keiner hier ist – ich hoffe das mal für euch. Ich gehe mal da oben davon aus. Nun kommen wir runter auf die Realität: Liebe in der Gemeinschaft, Dinge, die wir heute Nachmittag noch praktizieren können, und reden über die Unterschiede, die uns begegnen, wenn wir uns einfach treffen – in unserer kleinen Gemeindegründungsarbeit.
Diese Unterschiede sind spürbar und sichtbar. Der Punkt, um den es mir heute geht, ist folgender: Wenn Gott uns in die Gemeinschaft der Gemeinde hineinruft, dann ist dieser Ruf kein Ruf zur Uniformität, also zur Einheitlichkeit. Die Gemeinde ist nicht so ein kommunistisches Gemeinwesen, wo man, wenn man eintritt, irgendwo draußen etwas unterschreibt und dann werden alle eins und gleich.
Sondern die Gemeinde ist vom Auftrag her eine Gruppe, in der der Heilige Geist jeden Einzelnen mit seiner Persönlichkeit und auch mit seiner Stellung innerhalb der Gesellschaft einbaut. Es ist eigentlich eine Gruppe von total unterschiedlichen Leuten. Jeder einzelne bleibt er selbst.
Die Bibel ist hier sehr deutlich. Lest dazu zum Beispiel 1. Korinther 7. Dort steht sehr klar, dass wir, was unsere Lebensumstände angeht, nach unserer Bekehrung erst einmal weiterleben sollen, wo wir vorher gelebt haben.
Bei jungen Christen hört man oft: „Ich bin jetzt bekehrt, jetzt gibt es nur einen Weg – auf die Bibelschule, rein in die Mission.“ Das ist aber nicht ganz das, was die Bibel sagt, obwohl das natürlich gut sein kann.
Im 1. Korinther 7 gibt es einen sehr klaren Befehl dazu, was wir tun sollen, wenn wir uns bekehren, wo wir hingehen sollen und wo unser Missionsfeld ist.
1. Korinther 7,20: „Jeder bleibe in dem Stand, in dem er berufen worden ist.“ Paulus wiederholt das noch einmal, falls das jemand nicht glaubt, denn er redet gleich von Sklaven und Freien.
In 1. Korinther 7,24 heißt es: „Worin jeder berufen worden ist, Brüder, darin soll er vor Gott bleiben.“
Das ist ein ganz wichtiger Punkt für die Erfüllung deiner persönlichen Lebensaufgabe – dafür, wofür Gott dich gemacht hat. Für die Erfüllung deiner Lebensaufgabe macht es fast keinen Unterschied, wo du in dieser Gesellschaft stehst und lebst.
Es spielt keine Rolle, ob du jemals in deinem Leben in den Urlaub gefahren bist, ob du jemals in einem Feinschmeckerrestaurant gegessen hast oder schon mal einen Tauchkurs gemacht hast.
Es ist eher andersherum: Für die Verbreitung des Evangeliums in unserer Gesellschaft ist es ein großes Problem, wenn Leute in die Gemeinde kommen und dann mit einem typischen Gemeindedurchschnitt konfrontiert werden.
Ich kenne das noch so, das ändert sich gerade, aber das ist die deutsche Mittelschicht. VW-Bus, vier Kinder, so ein bisschen die harte Variante. Du kommst rein und denkst dir: „Okay, das ist mein Ziel. Da muss ich hin.“ Na ja, lacht nicht, das ist immer so.
Es ist viel mehr, als man denkt, und plötzlich hast du die typische deutsche Durchschnittsfreikirche. Dann stellst du dir die Frage: „Ist das das, was Gott sich gedacht hat?“
Und natürlich ist es das nicht. Im Zentrum von Gottes Denken steht nämlich nicht mein Leben, sondern sein Reich.
Gott überlegt sich: Wie kann ich es hinkriegen, dass mein Reich die ganze Bevölkerung erreicht? Wie kann ich es schaffen, dass quer durch die deutsche Bevölkerung Leute das Evangelium hören? Ganz egal, wo jemand steht.
Was Gott tut, ist: Er nimmt Leute aus den unterschiedlichsten Lebenszusammenhängen und baut sie zur Gemeinde zusammen.
Es gibt Leute, die sich beim Jobcenter anstellen. Ihre Berufung ist es, die Leute zu begleiten, die vor und hinter ihnen in der Schlange stehen.
Andere wollen mit leitenden Managern von DAX-notierten Aktienunternehmen eine Zigarre rauchen, wenn das denn mal klappt. Das ist ihre Berufung.
Wieder andere sagen: „Ich drücke auf die Schulbank, meine Berufung sind die Mitschüler.“
Und so weiter. Denn jeder Rentner, jede Hausfrau, jeder Fitnessaktivist hat seine persönliche Berufung.
Gott sagt nicht: „Jetzt kommt zur Gemeinde, und wir machen aus dir einen Einheitschristen, so einen Uniformierten, alle sehen irgendwie gleich aus.“
Ich weiß nicht, ob ihr das kennt. Ich werde jetzt etwas Böses sagen: Ich erkenne Mormonen und Zeugen Jehovas, wenn ich nur mit dem Auto an ihnen vorbeifahre. Ich weiß nicht warum, aber ich tue es einfach. Ich sehe sie, und beim zweiten Blick sage ich: Ja, die gehören dazu. Und ich habe fast immer Recht.
Es hat so etwas Standardmäßiges an der Stelle. Und genau das ist es, was Gott eigentlich überhaupt nicht möchte.
Gott möchte, dass wir individuell bleiben, dass wir unterschiedlich bleiben.
Unterschiedlichkeit als Reichtum der Gemeinde – ein anschauliches Beispiel
Ich mache ein Beispiel: Kennt ihr Brownies? Ja, also ich hoffe, ihr kennt Brownies. Das sind diese amerikanischen Kekse mit großen Schokoladenstückchen drin. Brownies schmecken richtig gut, wenn überall im Teig große Schokoladenstückchen sind. Da muss viel, viel Schokolade drin sein.
Igor merke ich schon, mag das nicht – er schüttelt sich gerade. Vor kurzem haben Kathrin und Holger, ihr habt das gemacht, Brownies gebacken. Wie war das? Chocolate Chip Cookies, okay, gut, also ihr habt Chocolate Chip Cookies gemacht.
Jetzt muss da eine große Portion Schokolade rein. Wie macht man das? Nimmt man einfach so einen Block und wirft ihn in den Teig, und einer hat alles so nach dem Motto gemacht? Nein. Du hast Holger dann gesehen, wie er mit einem bestialisch großen Küchenmesser an den Block herangegangen ist. Er hat den ganzen Block klein geraspelt. Danach wurde das schön unter den Teig gemengt.
Und danach gab es die Mutter aller Chocolate Chip Cookies – so ein fettes Teil, über und über mit Schokoladenraspeln, einfach überall. Du hast reingebissen, kein Biss ohne Schoko. Und so stellt sich Gott das vor.
Gott möchte, dass in der gesamten Gesellschaft, egal wo du reinbeißt, du auf seine Leute triffst, die an genau dieser Stelle ihr Aroma verbreiten. Darum geht es. Und das funktioniert nur, wenn wir Unterschiedlichkeit in der Art und Weise, wie wir Gemeinde leben, zulassen – mit all den Schwierigkeiten.
Die Jünger als Beispiel für Vielfalt in der Gemeinde
Ich möchte nun gemeinsam mit euch einen kurzen Blick auf die Jünger werfen. So können wir besser verstehen, wie unterschiedlich sie sind.
Die „ehrbaren“ Arbeiter: Fischer und Mittelstand
Wir beginnen mit den Kleinunternehmern, die wir alle kennen. Markus 1,16 ist für mich der typische deutsche Gemeindedurchschnitt: Mittelstand, fleißige Arbeiter. Dort heißt es:
„Und als er am See von Galiläa entlangging, sah er Simon und Andreas, Simons Bruder, im See die Netze auswerfen, denn sie waren Fischer. Jesus sprach zu ihnen: Kommt mir nach, und ich werde euch zu Menschenfischern machen. Und sogleich verließen sie die Netze und folgten ihm nach. Und als er ein wenig weiterging, sah er Jakobus, den Sohn des Zebedäus, und seinen Bruder Johannes, auch sie im Schiff, wie sie die Netze ausbesserten. Und sogleich rief er sie, und sie ließen ihren Vater Zebedäus mit den Tagelöhnern im Schiff und gingen ihm nach.“
Das ist so der deutsche arbeitende Durchschnitt: Fischer, gewohnt zu arbeiten, praktisch veranlagt. Es sind ein bisschen unterschiedliche Typen. Da ist einmal Petrus, den kennen wir gut. Vom Typ her ist er eher der Vordermann. Vielleicht hat er ein kleines Problem damit, dass er schneller redet, als er denkt. Das fällt ihm manchmal auf die Füße.
Er ist auch nicht so der Theoretiker, das muss man schon sagen. Ich will ihn nicht abwerten, aber Theorie ist einfach nicht seine Sache. Das merkt man, wenn sich Paulus und Petrus ein bisschen in die Quere kommen. Da hat eine Sache noch nicht so zu Ende gedacht. Auch in Apostelgeschichte 10 versucht der Heilige Geist sehr mühsam, ihn in die Spur zu bringen. Das braucht seine Zeit.
Aber auch wenn er seine Schattenseiten hat: Wenn es darauf ankommt, dass er verstanden hat, ist er bereit, vor jeder x-beliebigen Menge von Menschen zu verteidigen, auch wenn es ihm den Kopf kostet. Deshalb ist der Mann auch ganz zu Recht der Fels, Petrus, auf den die Gemeinden gebaut werden. Von seiner Art her finde ich ihn sehr, sehr interessant.
Dann haben wir Jakobus und Johannes. Sie werden an anderer Stelle noch einmal erwähnt und bekommen einen Spitznamen, der nicht ganz so bekannt ist. In Markus 3,17 heißt es:
„Jakobus, dem Sohn des Zebedäus, und Johannes, dem Bruder des Jakobus, und er gab ihnen den Beinamen Boanerges, das heißt Söhne des Donners.“
Jakobus und Johannes verstehen sich gut miteinander. Es gibt eine Geschichte, in der Jesus durch Samaria zieht. Er schickt seine Leute voraus, damit sie das Lager vorbereiten. Die Samariter sagen jedoch, dass sie mit Jesus nichts zu tun haben wollen. Denn ein Prophet, der sein Angesicht fest nach Jerusalem richtet und bei ihnen nur durchzieht, wird nicht willkommen geheißen. Sie wollen ihm kein einziges Bett geben, geschweige denn für eine ganze Mannschaft.
In Lukas 9 machen Jakobus und Johannes daraufhin einen Vorschlag, was man tun sollte. Dort heißt es:
„Als aber seine Jünger Jakobus und Johannes das sahen, dass Jesus nicht aufgenommen wurde, sprachen sie: Herr, willst du, dass wir Feuer vom Himmel herabfallen lassen und sie verzehren, wie Elija es tat?“
Das zeigt ihr Temperament. Nach dem Motto: „Das klappt hier nicht so, wie ich mir das vorstelle. Was hältst du davon, Herr? Wir haben ja im Alten Testament diese Geschichte mit Elija. Die würde doch passen. So eine Feuerzunge vom Himmel, und dann ist alles platt.“ Jesus lässt das natürlich nicht zu.
Es sind dieselben, die auf dem Weg nach Jerusalem sind. Jesus erzählt die ganze Zeit, dass er dort hingehen wird, um zu sterben und zu leiden. Jeder vernünftige Mensch würde sich vielleicht denken: Wenn Jesus das so betont, sollte ich ihm zur Seite stehen und Zeit haben, mit ihm über das, was kommt, nachzudenken.
Jakobus und Johannes haben auch ein Thema, das sie auf dem Weg nach Jerusalem miteinander besprechen. Am Ende kommt eine Bitte heraus:
„Gib uns, dass wir einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken sitzen in deiner Herrlichkeit.“
Auf gut Deutsch: Jesus redet über Sterben, und sie reden über die Pole-Position im Königreich. Nach dem Motto: Wir wären gern Vorstandsvorsitzende im zukünftigen Königreich. Was hältst du davon, Herr Jesus?
Das sind Jakobus und Johannes. Es fällt ihnen schwer, ihre Position zu finden. Sie wollen immer ein Stückchen zu hoch hinaus. Ich glaube, ich kenne viele Christen, die entweder so dominant sind wie Petrus oder so forsch wie Johannes und Jakobus. Und das sind die Leute, die Gott in seinem Team beruft. Schön, oder?
Der Zöllner Matthäus als Außenseiter in der Jüngerschaft
Aber es geht noch weiter. Mit Petrus, Andreas, Jakobus und Johannes haben wir uns ja bereits die ehrbaren Leute angeschaut. Das sind diejenigen mit einem vernünftigen Beruf, dem Mittelstand, zum Teil Arbeitgeber, die Tagelöhner beschäftigt haben. Diese Menschen sind es, die die Wirtschaft voranbringen.
In Matthäus 9,9 treffen wir auf einen Kandidaten, der nicht mehr in diese Kategorie fällt. Dort heißt es: „Und als Jesus von dort weiterging, sah er einen Menschen mit Namen Matthäus am Zollhaus sitzen, und er spricht zu ihm: Folge mir nach.“ Zöllner haben wir schon öfter erwähnt, und das muss man fast nicht betonen: Zöllner als Jünger – das geht ja nun wirklich überhaupt nicht.
Zöllner wurden gemieden und gehasst. Man wollte sie nicht als Schwiegersöhne, man schnitt sie, lud sie nicht zum Geburtstag ein und wollte einfach nichts mit ihnen zu tun haben. Sie galten als Blutsauger, die im Namen der Römer ihre eigenen Leute ausgenommen haben. Und jetzt passiert Folgendes: Jesus sagt zu Matthäus: „Komm, folge mir nach.“
Wisst ihr, wie die Freundinnen der Zöllner hießen? Genau, das waren Prostituierte, weil sie sich zusammengetan hatten. Wenn ich mir also die Zöllner einkaufe, bekomme ich auch ihre Freundinnen noch dazu. Na super, das ist ja genau das, was ich mir als Team gewünscht habe oder in der Gemeinde. Aber genau das ist es, was Jesus an dieser Stelle tatsächlich beruft.
Man könnte sagen: Na gut, ein Zöllner muss halt sein, so eine Art Quotenzöllner, den man braucht, damit man auch ein bisschen das Soziale abdeckt. Aber Jesus bleibt nicht einmal beim Zöllner stehen. Denn es gibt auch das andere Ende des Spektrums, von dem man noch weniger liest.
Zum Glück hat uns Lukas, der als Naturwissenschaftler ein Herz für Genauigkeit hat, einen tiefen Einblick gewährt. Er schreibt in Lukas 6,15, in der Liste zur Berufung der zwölf Apostel, über einen anderen Simon. Es gibt nämlich den Simon Petrus, aber auch noch einen anderen Simon. Dieser trägt den freundlichen Beinamen „Simon, genannt Eiferer“.
Ach, da denkt man sich erstmal nichts dabei bei „Eiferer“. Im Judentum gab es vier große Philosophien oder Denkrichtungen: die Pharisäer, die Sadduzäer, die Essener und die Zeloten. Das Wort „Eiferer“ ist die deutsche Übersetzung von „Zelot“.
Diese vier Denkrichtungen gingen unterschiedlich mit dem Problem der römischen Besatzung um. Die Pharisäer gaben sich heilig und dachten, durch ein gutes Vorbild würden sie irgendwie durchkommen. Die Sadduzäer waren liberale Theologen, die sich arrangierten, reich wurden und alles war gut. Die Essener waren ähnlich heilig wie die Pharisäer, zogen sich aber zurück. Sie lebten nur noch in kleinen Gemeinschaften, am besten am Toten Meer, in so einer Art Kloster.
Dann gab es noch die Zeloten. Die waren sozusagen die Guerillakrieger. Sie konnten weder mit dem Rückzug der Essener noch mit der Passivität der Pharisäer oder der Anpassung der Sadduzäer etwas anfangen. Ihr Motto war: „Nur ein toter Römer ist ein guter Römer.“ Wo sich eine Gelegenheit bot, setzten sie das auch in die Tat um. Gewalt war für sie ein Mittel, um die lästige Besatzungsmacht loszuwerden.
Ihr müsst euch vorstellen, dass sie auf 200 bis 300 Jahre Erfahrung zurückblickten. Die Zeit der Makkabäer lag gerade mal 100 bis 150 Jahre zurück. Damals hatten sie die Syrer aus dem Land vertrieben – warum also nicht jetzt die Römer? Das hatte damals gut funktioniert. Man musste sich nur ein Schwert nehmen und bereit sein, wenn es darauf ankam.
So ein Typ wird berufen. Stellt euch das mal vor: Könnt ihr euch vorstellen, Matthäus, den Ex-Zöllner und Kollaborateur mit den Römern, sitzt an einem Lagerfeuer beim Frühstück mit Simon, dem Ex-Terroristen? Und Jesus sagt: „Ich hätte euch beide gerne in meinem Team.“
Ich denke mir, die werden sich am Anfang angeschaut haben. Der eine wird gedacht haben: „Nee, ich komme mit Elfen hier gut klar, sogar mit Judas, der wirkt ein bisschen komisch, aber dem komme ich auch klar. Aber nee, Jesus, das kannst du mir nicht antun. Der ist einfach zu weit weg, das geht nicht mehr.“ Und dennoch beruft Jesus beide.
Ich finde das so herrlich: Er beruft nicht nur den armen Simon. Sobald Matthäus sich bekehrt, macht er erst mal eine Party. Und wisst ihr, wen er einlädt? Seine ganzen alten Zöllnerfreunde.
Das heißt, der arme Simon, der wahrscheinlich wirklich sauer ist, wenn er an diese Typen denkt – einfach nur an diese Typen –, muss mit ansehen, dass sie nicht bekehrt sind, noch nicht getauft. Man kann also nicht sagen, das sei ihr altes Leben, sondern sie leben immer noch so.
Und dann kommst du da rein, siehst den Prunk und weißt, woher das Geld kommt. Simon kommt hinein und bekommt nicht nur einen Matthäus, sondern einen Matthäus plus alle seine Freunde – und mittendrin Jesus. Jesus wird ihm gesagt haben: „So, jetzt wollen wir mal schauen, ob wir die erreichen und ihnen etwas vom Reich Gottes erzählen.“
Ich hoffe und wünsche dir ähnliche Situationen. Situationen in der Gemeinde, in denen du einfach dadurch, dass du auf Leute triffst und mit ihnen zusammen evangelisierst, in Momente kommst, in denen du ein Deja-vu hast. So ein „Was mache ich hier eigentlich?“ Weil das einfach nicht mehr deine Welt ist, weil du dich so weit entfernst von dem, was du bist oder meinst zu sein.
Du stößt in Bereiche vor, in denen du denkst: „Wow! Es ist spannend, Gemeinde zu leben. Es ist spannend, Christ zu sein.“ Und hier triffst du auf Leute, die du früher für ihren Lebensstil verurteilt hättest, mit denen du nicht zwei Minuten an einem Tisch gesessen hättest. Aber heute bist du bereit, sie mit dem Evangelium zu erreichen, weil dein Leben seine Mitte in Jesus gefunden hat.
Dort, wo Jesus hingeht, gehst du mit. Das, was du an Abneigung hattest und sagtest „Ich mag diese Leute eigentlich nicht“, hat keinen Platz mehr in deinem Leben. Du möchtest leben, wie Jesus gelebt hat.
Die ehrbaren Handwerker Petrus und Jakobus an einem Tisch mit Prostituierten – könnt ihr euch das vorstellen? Das mag in einem Moment spannend sein, ja, aber nur für einen kurzen Moment. Danach stellst du dir die Frage: „Bin ich hier richtig? Kann das wirklich sein?“
Und dann kommen solche Leute womöglich zum Glauben und sind in der Gemeinde. Neben dir sitzt jemand, der HIV-positiv ist. Er reicht dir den Kelch beim Brotbrechen. Da kann nichts passieren, müsst ihr euch keinen Kopf machen. Aber schön, das ist Gemeinde, das ist gelebte Gemeinschaft.
Die Rolle wohlhabender Frauen in der Jesusbewegung
Ich möchte euch noch die letzten Jünger zeigen, die ich toll finde, weil sie oft ein wenig untergehen.
In Lukas 8 heißt es ab Vers 1: „Und es geschah danach, dass er nacheinander Städte und Dörfer durchzog, indem er predigte und das Evangelium vom Reich Gottes verkündigte, und die zwölf mit ihm.“ Bis dahin ist der Satz völlig normal, aber jetzt kommt etwas ganz Besonderes.
Lukas 8, Vers 2: „Und einige Frauen, die von bösen Geistern und Krankheiten geheilt worden waren, Maria, genannt Magdalena, von der sieben Dämonen ausgefahren waren, und Johanna, die Frau des Chuzza, des Verwalters Herodes, und Susanna und viele andere, die ihnen mit ihrer Habe dienten.“
Liest man schnell darüber, weiß man, was das bedeutet? Diese ganze Jesuskampagne wurde im Wesentlichen von Frauen finanziert. Und anscheinend vor allem von wohlhabenden Frauen. Das waren also nicht Leute, die, wenn sie zehn Groschen haben und einen verlieren, erst im ganzen Haus suchen. Sondern Frauen, die, wenn ein Groschen verloren geht, wahrscheinlich sagen: „Na ja, lass gut sein, soll jemand anders suchen, ist nicht mein Ding.“
Wohlhabende Frauen, wie die Frau des Verwalters, das ist schon ein relativ hohes Amt. Das sehen wir immer wieder in der Kirchengeschichte. Ihr müsst euch das mal anschauen: An entscheidenden Positionen haben wohlhabende und einflussreiche Frauen wichtige Weichenstellungen für das Reich Gottes vorgenommen. Das ist ganz faszinierend.
Die Vielfalt der Gemeinde als Gottes Plan und Herausforderung
Schauen wir uns diese ganze Gruppe noch einmal genau an, die da unterwegs ist, und überlegen, was das bedeutet. Es gibt riesige Unterschiede im Charakter, im Hintergrund, im Beruf und in der sozialen Stellung. Genau das ist es, was Jesus um sich versammelt hat. Und das ist hoffentlich auch das, was wir hier in der Gemeinde irgendwann erleben werden – vielleicht sogar noch mehr als jetzt.
Stellt euch eine Gemeinde vor, in der Menschen zusammenleben. Auf der einen Seite hast du den Aufbrausenden, auf der anderen den Stillen. Den kühl-sachlichen, distanzierten Menschen und den Emotionalen. Direkt zusammen in einer Gemeinde. Vielleicht gibt es jemanden, der sein Herz auf der Zunge trägt, und jemanden, bei dem man sich fragt, ob er überhaupt reden kann, weil er noch nie etwas gesagt hat.
Da ist der mit der klassischen Bildung – Latein bis zum Abitur – und daneben derjenige, der gerade so den Hauptschulabschluss geschafft hat. Plötzlich gehören sie alle zur Gemeinde. Der Gutverdiener sitzt neben dem Arbeitslosen, der Akademiker neben der Verkäuferin, der Freundliche neben der Kratzbürste. Das ist Gemeinde. Nein, das ist einfach so. Und darauf dürfen wir uns einlassen.
Stellt euch das mal vor – ist das nicht toll? Und ihr merkt automatisch: Nein, eigentlich möchte ich das nicht. Eigentlich möchte ich das nicht. Aber jetzt sage ich: Das ist Gemeinde, und du kannst es dir nicht aussuchen.
An dieser Stelle tut es mir wirklich leid, denn wenn wir über Liebe reden, dann reden wir darüber, dass wir Liebe üben und lernen – in einer Gemeinde, in der Unterschiede unglaublichen Ausmaßes existieren. Wenn wir Gottes Liebe zu unserem Exportschlager machen wollen, wenn wir sagen, das ist das, was wir in die ganze Welt exportieren wollen, dann müssen wir zuerst lernen, miteinander klarzukommen mit diesen Unterschieden.
Dann müssen wir lernen, eine Liebe zu leben, die nicht einfach nur Nettigkeit ist, sondern übernatürliche Liebe. Eine Liebe, die Gott uns am Kreuz erwiesen hat, eine Liebe, die Gott uns durch den Heiligen Geist geschenkt hat, eine Liebe, die Stück für Stück Teil unserer Natur wird, indem wir uns im Charakter Jesu umgestalten lassen.
So wird die Gemeinde auf der einen Seite ein Ort, an dem wir unterschiedlich bleiben – das ist ganz wichtig. Wir bleiben verschieden, wir werden nicht identisch. Wir bleiben ganz wir selbst. Auf der anderen Seite wird die Gemeinde ein Ort, an dem wir in dieser Unterschiedlichkeit, weil wir einander lieben, eins werden.
Wir brauchen die Unterschiedlichkeit, damit Gott sein Ziel erreicht. Stellt euch das bei einer Fußballmannschaft vor: Du hast einen Torwart und einen Stürmer. Das sind unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Aufgaben. Man kann sie nicht einfach austauschen, indem der Stürmer in der zweiten Halbzeit ins Tor geht und der Torwart vorne spielt. Das funktioniert nicht.
Deshalb ist es Unsinn zu denken, in der Gemeinde müssten alle gleich sein. Jeder hat seine Position, auf der er spielt. Damit er diese Position spielen kann, ist es wichtig, dass er er selbst bleibt. Es ist falsch zu denken, wir bilden eine Kommune, bei der am Eingang jeder etwas von sich abgibt und dann sind alle gleich.
Das ist Quatsch. Du bist du, du darfst du bleiben und du sollst auch du bleiben.
Eigenverantwortung und Vielfalt im Glaubensleben
Ich möchte es noch etwas radikaler ausdrücken: Niemand ist verantwortlich für dein Leben. Ich bin nicht verantwortlich für dein Leben, du lebst dein Leben selbst. Und ich will dir überhaupt nicht vorschreiben, wie du dein Leben zu leben hast.
Ich kann dir nur sagen: Lebe dein Leben bitte so, dass du zuerst nach Gottes Reich trachtest. Schau dir an, wo Gott dich hingestellt hat – in der Gesellschaft, an deinem Arbeitsplatz, in deinem sozialen Umfeld. Was bedeutet das für dich dort?
Ich werde mich nicht hier vorne hinstellen und sagen: Jeder muss sein Geld weggeben und die Mission spenden, dann ist alles gut. Das stimmt einfach nicht. Stattdessen lebst du an dem Platz, zu dem Gott dich berufen hat, dein geistliches Leben aus.
Ich kann dir sagen: Habsucht ist falsch, das ist eine klare Grenze. Wenn du alles nur für dich haben willst und niemandem etwas abgibst, also wenn du nicht freigiebig bist, dann ist das auch falsch. Aber zwischen Habsucht und Freigiebigkeit liegt ein riesiger Bereich, in den fünf ganz unterschiedliche Lebensstile passen.
Ich weiß nicht, welcher Lebensstil für dich der richtige ist. Ich merke nur, dass wir unterschiedliche Antworten auf die Frage geben, wie wir unser Leben leben sollen. Diese unterschiedlichen Antworten ergeben sich daraus, dass wir verschiedene Plätze in der Gesellschaft haben und unterschiedliche Zielgruppen erreichen.
Wir müssen darauf achten, dass wir diese Unterschiede nie miteinander verwechseln. Wir dürfen nicht neidisch werden auf diejenigen, die formal mehr haben, ohne zu sehen, welche Verantwortung sie an ihrem Platz tragen. Und wir dürfen nicht auf die herabschauen, die formal weniger haben, ohne zu begreifen, dass gerade diese sozial Schwächeren genauso ihre Aufgabe haben, Menschen zu erreichen wie die Reicheren.
Deshalb gibt es in der Gemeinde eine ganz merkwürdige Spannung. Diese Spannung besteht darin, dass unterschiedliche Leute aufeinandertreffen und verschieden bleiben, aber in Gott eins werden. Das ist unglaublich.
In der Gebetsgemeinschaft spielt es keine Rolle, welchen IQ, welche Bildung oder welches Einkommen du hast. Wir treten vor Gott und werden eins vor ihm. Dort ist jeder gleich, hundertprozentig identisch. Dann gehen wir wieder hinaus in die Welt, jeder an seinen Platz, und versuchen in unserem Umfeld, so wie Gott es uns ermöglicht, Gemeinde zu bauen.
Deshalb ist es sehr wichtig, wenn wir in der Gemeinde zusammen sind, dass derjenige, der weniger hat, nicht denkt: „Ach, ich bin irgendwie ein armer Tropf, ich weiß gar nicht, was ich hier soll, wenn ich nur dies oder das hätte.“ Jakobus schreibt: Der niedrige Bruder soll sich seiner Hoheit rühmen. Wenn du in der Gesellschaft weniger angesehen bist, dann freu dich über das, was du bist. Du bist ein Königskind, Erbe einer unglaublichen ewigen Verheißung. Alles gehört dir – wenn auch noch nicht jetzt, aber es dauert nicht mehr lange. Im Vergleich zu den wenigen Jahren, die noch bleiben, ist das Pipifax.
Und dann sagt Jakobus weiter: Der Reiche aber, dem es besser geht, soll sich seiner Niedrigkeit rühmen. Der Reiche darf wissen: Im Licht des allmächtigen Gottes bin ich nichts. Er darf einen ehrlichen Blick auf sein Leben werfen. Das Leben ist kurz, es ist schnell vorbei. Ich will nur hoffen, dass ich mit meinen Gaben und dem, was Gott mir anvertraut hat, richtig umgehe.
Liebe üben in der Gemeinde trotz und wegen der Unterschiede
Und jetzt heißt Liebe in der Gemeinde, mit diesen Unterschieden zu leben. Es bedeutet, zu sagen: Okay, wir wollen das irgendwie hinkriegen, dass wir – jeder einzelne – tatsächlich an der Stelle weiterleben und wirken können, an der Gott uns berufen hat. Wir leben an unterschiedlichen Orten, und jeder trägt Verantwortung vor Gott.
Trotzdem sind wir als Team unterwegs. Wir beten füreinander, stehen füreinander ein und ermutigen uns immer wieder gegenseitig. So, wie wir es beim letzten Mal besprochen haben, wollen wir zur Liebe und zu guten Werken anregen. Das ist unsere Aufgabe.
Das heißt, ich möchte dir heute Folgendes sagen: Du bist einmalig. Du bist dazu berufen, ein bestimmtes Lebensumfeld zu evangelisieren. Und das ist zunächst das Umfeld, in dem du dich befunden hast, als du dich bekehrt hast. Niemand wird die Menschen, die dort leben, so leicht erreichen können wie du. Das ist das Erste, was wir begreifen müssen.
Weil wir unterschiedlich sind und auch unterschiedliche Menschen erreichen wollen, werden wir immer ein bunter Haufen sein. Wir werden eine Gruppe von Leuten sein, die nicht immer zusammenpassen. Wenn du also den Eindruck hast, die Gemeinde ist dir irgendwie zu wild, dann ist das ein gutes Zeichen. Das ist so, wie mit einem Brownie: Es muss einfach gemischt sein.
Wenn Gemeinde zu einheitlich wird, dann stimmt etwas nicht. Wir müssen ein Durcheinander von Leuten sein, geprägt von Unterschieden – so großen Unterschieden, dass Gott sie wohl gewollt haben muss, damit es wirklich wahr ist. Das muss einfach toll sein.
Ich möchte dich bitten, diese Unterschiedlichkeit zu ertragen. Noch mehr möchte ich dich bitten, sie zu genießen. Auf jeden Fall bitte ich dich, ganz konkret Liebe zu üben, um mit den Menschen in der Gemeinde auszukommen, die dir nicht liegen.
Und es muss diese Menschen geben – nochmals: Es muss sie geben. Wenn das nicht der Fall ist, hast du noch keine Nähe zu anderen Leuten gefunden. Es muss Menschen in der Gemeinde geben, die dir nicht liegen. Warum? Weil wir so unterschiedlich sind.
Wenn du zulässt, dass du diesen Menschen nahekommst, wirst du das merken: Unterschiedlichkeit wird durch Liebe zu einem Team verbunden. Wir bleiben an dem Platz, wo Gott uns beruft. Wir leben Gemeinde, wir leben Evangelisation. Dort, wo wir auseinanderdriften, weil wir unterschiedlich sind, hält uns die Liebe zusammen.
Der Traum einer Gemeinde, die Liebe radikal lebt
Lass mich zum Schluss noch ein letztes Mal diesen Traum aussprechen.
Ich habe wirklich Lust auf eine Gemeinde, in der Liebe gelebt wird – und zwar in einer Radikalität, wie ich sie momentan in keiner christlichen Gemeinde kenne. Darauf habe ich wirklich Sehnsucht.
Eine Gemeinde, in der man aufhört, schlecht übereinander zu reden und schlecht übereinander zu denken. Eine Gemeinde, in der man einander das Gute unterstellt, einander hilft und füreinander da ist. Eine Gemeinde, in der man einander stehen lässt und Unterschiede gelebt werden dürfen, weil man ein gemeinsames Ziel hat.
Und dieses gemeinsame Ziel heißt: Wir wollen Menschen retten. Wir wollen sie mit dem Evangelium erreichen. Wir wollen, dass andere Menschen von der Liebe Gottes erfahren und gemeinsam an einem Strang ziehen.
Wir wollen, dass andere Menschen an der Liebe, die wir zueinander haben, erkennen, dass wir Kinder Gottes sind. Amen!