
Ein Bekannter, der viele Jahre als Missionar in Afrika tätig war, erzählte einmal folgende Geschichte:
Ein Prediger sprach in seiner Kirchengemeinde jeden Sonntag über den gleichen Bibeltext – und das mehrere Wochen lang. Einige Gemeindemitglieder bemerkten das gar nicht, zum Beispiel diejenigen, die immer erst beim Amen aufwachten. Andere hingegen knirschten mit den Zähnen. Schließlich fassten sie all ihren Mut zusammen, gingen zum Prediger und fragten: „Hör mal, warum predigst du schon seit Wochen über denselben Text?“
Die Antwort des Predigers lautete: „Ich werde so lange über diesen Text predigen, bis er in eurem Leben sichtbar wird.“
Paulus scheint ähnlich über die Gemeinde in Korinth gedacht zu haben. Er schreibt in den ersten drei Kapiteln über die Torheit der Menschen, über die Weisheit Gottes und über die Botschaft vom Kreuz.
Er behauptet, dass jemand das Evangelium nur verstehen kann, wenn er vom Heiligen Geist erleuchtet wird. Außerdem warnt er vor Gruppenbildungen und kommt immer wieder auf die gleichen Punkte zurück.
Möglicherweise dachten die Korinther, als sie den Brief zum ersten Mal erhielten, dass Paulus das auch mit weniger Worten hätte sagen können.
Der Apostel kannte die Gemeinde sehr gut. Korinth lag nicht in Kleinasien, sondern zwischen Kleinasien und Italien. Die Stadt war eine Handelsmetropole, ein Jahrmarkt der Eitelkeiten, wie ein römischer Schriftsteller einmal schrieb. Paulus selbst hatte dort achtzehn Monate gelebt und wusste genau, wie tief die Mitglieder der Gemeinde in die Klugheit dieser Welt und auch in die Unmoral verstrickt waren.
Ihm war klar, dass sie sich etwas vormachten. Sie hielten sich für reife Christen, waren aber tatsächlich noch abhängig von der Muttermilch. Deshalb hämmerte Paulus ihnen die Botschaft vom Kreuz ein. In dem Abschnitt, der heute Morgen als Predigttext gilt, setzt er mit einem kräftigen Crescendo ein.
Wir wollen auf das Wort Gottes hören. Es steht im 1. Korinther 3,18-23. Wer gerne in der Lutherbibel mitlesen möchte: Das ist im hinteren Teil auf den Seiten 191 bis 192.
Dort sagt Paulus: „Niemand betrüge sich selbst. Wer unter euch meint, weise zu sein in dieser Welt, der werde ein Narr, damit er weise werde. Denn die Weisheit dieser Welt ist Torheit bei Gott. Denn es steht geschrieben: ‚Die Weisen fängt er mit ihrer List‘, und wiederum: ‚Der Herr kennt die Gedanken der Weisen, dass sie nichtig sind.‘ Darum rühme sich niemand eines Menschen. Denn alles ist euer: sei es Paulus oder Apollos oder Kephas, sei es Welt oder Leben oder Tod, sei es Gegenwärtiges oder Zukünftiges – alles ist euer. Ihr aber seid Christi, und Christus ist Gottes.“
So weit die Heilige Schrift.
Wir werden heute in drei Schritten über diesen Text nachdenken.
Der erste Punkt lautet: Der große Selbstbetrug. Der zweite Punkt sind die leeren Versprechen der Weltlichkeit. Und der dritte Punkt – auf den freue ich mich am meisten – ist die Fülle und Freiheit in Christus.
Ich bete noch mit uns: Herr, himmlischer Vater, wir kommen zu dir als solche, die die Wahrheit nicht in sich tragen. Im Gegenteil, wir machen uns gerne selbst etwas vor. Wir reden uns ein, dass es gut um uns bestellt ist, dass wir allein klarkommen. Zugleich wissen wir, dass das nicht stimmt.
Wir brauchen dich, deinen Sohn und den Heiligen Geist, um die Wahrheit zu finden. Wir brauchen Jesus, der unser Leben in die Wahrheit bringt. Bitte rede du zu uns durch dein Wort. Lass es unsere Herzen hell erleuchten, damit wir dich und auch uns selbst besser verstehen. Amen.
Wir beginnen mit dem ersten Punkt, den ich „Der große Selbstbetrug“ überschrieben habe.
Gerade erinnern wir uns an die Predigt vom letzten Sonntag. Paulus hat dort gezeigt, dass der Tempel Gottes verdirbt, wenn die Gemeinde nicht auf dem Fundament von Jesus Christus mit geistlichen Materialien gebaut wird. So eröffnet er unseren Abschnitt, indem er die Christen davor warnt, sich selbst zu betrügen.
Wir wollen uns jetzt etwas Zeit nehmen, um über den Selbstbetrug, oder wie man auch sagen kann, die Selbstverführung, nachzudenken. Dabei betrachten wir das Thema in etwas allgemeinerer Weise.
Was ist Selbstbetrug eigentlich? Psychologen sagen, dass praktisch jeder Mensch dazu neigt, die Wahrheit vor sich selbst zu verbergen. Es gibt einen natürlichen Hang zu Wunschdenken, Vermeidungsstrategien und auch Heuchelei.
Zur typischen Heuchelei gehört etwa, dass wir mit uns selbst milder urteilen als mit anderen. In der Familie kann man das gut beobachten. Ich vermute, dass euch das allen vertraut ist: Im Blick auf sich selbst ist man recht nachsichtig, während man anderen gegenüber oft sehr objektiv bleibt.
Um ein Beispiel zu nennen: Ich ärgere mich manchmal sehr darüber, wenn die Haustür laut zugeschlagen wird. Ich mache das selbst aber auch, höre es nur nicht, weil ich ja schon draußen bin. Dann denke ich, bei mir ist alles in Ordnung.
Selbstbetrug kann ganz besonders stark ausgeprägt sein bei Suchterkrankungen. Suchtkranke haben oft sehr starke Abwehrmechanismen. Sie sind davon überzeugt, alles unter Kontrolle zu haben, obwohl die Sucht sie fest im Griff hat. Es kostet sie viel Kraft, das vor sich selbst und vor anderen zu verbergen.
In der Bibel wird der Selbstbetrug auf eine viel grundlegendere Weise behandelt als in der Psychologie. Besonders im ersten Kapitel des Römerbriefes macht der Apostel Paulus deutlich, worin der größte Selbstbetrug der Menschheit besteht.
Er sagt dort: „Wir verleugnen Gott, obwohl wir wissen, dass wir seine Geschöpfe sind. Wir leben in der Welt, die Gott uns anvertraut hat. Was man von Gott erkennen kann, ist sonnenklar sichtbar.“ Gott hat es uns vor Augen gestellt, und doch leben wir so, als ob es Gott nicht gäbe und wir der Mittelpunkt der Welt seien. Wir sind so gefangen in unserem Selbstbetrug, dass wir meinen, wir seien durch und durch gute Menschen.
Das ist sehr interessant. Ich muss immer wieder darüber staunen: Es gibt so viel Gewalt, so viel Bosheit und so viel Ungerechtigkeit in unserer Welt. Trotzdem reden wir uns ein, wir hätten nichts damit zu tun. Der erste Johannesbrief richtet sich an Menschen, die glauben, durch und durch gut zu sein. Dort lesen wir im ersten Kapitel, Vers 8: „Wenn wir behaupten, ohne Sünde zu sein“ – und hier folgt genau die Formulierung, die wir in unserem Predigttext finden – „dann betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns.“
Sünde und Selbstbetrug hängen also eng miteinander zusammen. Das Wesen der Sünde besteht unter anderem darin, sich selbst zu verstecken. Sünde will geliebt, aber nicht erkannt werden. Das ist einer der Gründe, warum in der Bibel Begriffe wie Finsternis oder Dunkelheit als Metaphern verwendet werden, um Sünde zu beschreiben.
Die Bibel sagt uns sogar, dass der Fürst der Finsternis persönlich als Engel des Lichts auftreten kann. Er liebt es, uns zu täuschen. Ein französischer Schriftsteller hat einmal gesagt: „Die schönste List des Teufels ist es, uns davon zu überzeugen, dass es ihn gar nicht gibt.“
Vor etlichen Jahren besuchte ich eine christliche Veranstaltung. Im Anschluss daran kam eine Frau auf mich zu, die ich auf Mitte dreißig schätzte. Sie stellte sich als Hexe vor und erzählte von den Gaben, die sie erhalten hatte, und von ihren Fähigkeiten.
Unter anderem berichtete sie, dass sie von Firmen dafür bezahlt wurde, die Konkurrenten dieser Firmen zu verhexen und zu verfluchen. Ich wusste gar nicht, dass es so etwas gibt. Nachdem sie mir all das erzählt und auch mit ihren Fähigkeiten geprahlt hatte, fragte ich sie: „Warum kommen Sie zu mir? Was erwarten Sie von mir?“
Ganz plötzlich – ich werde das nie vergessen – veränderte sich ihr Gesichtsausdruck. Sie sagte: „Ich habe Angst. Ich kann kaum noch schlafen. Die Mächte, auf die ich mich eingelassen habe, versklaven mich. Können Sie mir helfen?“
Ich antwortete ihr: „Es tut mir leid, ich kann Ihnen nicht helfen. Aber ich kenne jemanden, der helfen kann: Jesus. Jesus hat nämlich die finsteren Mächte am Kreuz besiegt.“
Dann zeigte ich ihr anhand der Bibel, was es bedeutet, Jesus nachzufolgen. Es geht darum, umzukehren. Jesus kann sie retten, auch von ihrer Angst. Aber dazu gehört, dem Leben eine andere Richtung zu geben, Jesus nachzufolgen und sich von den finsteren Mächten zu trennen.
Das Ergebnis war, dass sie das nicht wollte. Sie hatte ihr Geld mit ihrer Zauberei verdient. So ging sie wie der reiche Jüngling traurig und verängstigt nach Hause, verloren im Selbstbetrug. Sie hielt sich buchstäblich an die Macht fest, die sie versklavte und zerstörte.
Schauen wir weiter in unserem Text. Wie geht es weiter? Wovor warnt der Apostel die Geschwister in Korinth ganz konkret?
Der zweite Punkt lautet: die leeren Versprechen der Weltlichkeit. Paulus fasst hier noch einmal zusammen, was er in den ersten drei Kapiteln des Korintherbriefes gesagt hat. Er warnt vor der Weisheit der Welt und zitiert das Buch Hiob sowie den Psalm 94, den wir gerade in der Textlesung gehört haben.
Wer unter euch meint, klug zu sein in dieser Welt, der werde ein Narr, damit er klug werde. Die Klugen fängt er in ihrer List; der Herr kennt ihre Gedanken und weiß, dass sie nichtig sind. Paulus warnt die Korinther davor, sich auf Menschen zu berufen, seien es so großartige christliche Vorbilder wie Paulus, Apollos oder Petrus.
Dazu ist in den letzten Wochen schon sehr viel Gutes und Hilfreiches gesagt worden. Ich muss das nicht alles wiederholen, möchte aber zwei Aspekte hervorheben.
Zuerst wollen wir uns kurz mit der Frage beschäftigen: Was meint Paulus eigentlich, wenn er von Klugheit und Torheit spricht? Vielleicht bist du in der Schule gut in Mathe und hörst jetzt schon seit Wochen hier im Gottesdienst, dass du dich wie ein Narr benehmen sollst. Vielleicht hast du sogar schon angefangen, darüber nachzudenken: Sollte ich lieber schlechtere Noten schreiben, um diesem Bibeltext gerecht zu werden?
Oder wir haben hier auch Leute in der Gemeinde, die Philosophie studieren. Vielleicht will Paulus ja, dass sie aufhören, denn er redet so viel von Torheit und davon, dass wir zu Narren werden sollen.
Nein, das meint Paulus nicht. Paulus warnt nicht vor guten Leistungen in der Schule oder vor logischem Denken. Er warnt die Korinther davor, sich mit den Maßstäben der Weltzeit eins zu machen und sich den Maßstäben der Weltzeit unterzuordnen.
Der Apostel will uns schützen vor einem Denken, in dem der gefallene, sündhafte Mensch die Hauptrolle spielt. Im Römerbrief, den er ungefähr zur gleichen Zeit wie den ersten Korintherbrief geschrieben hat, sagt er: Passt euch nicht den Maßstäben dieser Welt an, sondern lasst euch von Gott verändern, damit euer ganzes Denken neu an ihm ausgerichtet ist.
Paulus warnt also vor Weltlichkeit. Nun ist Weltlichkeit ein schwieriger Begriff. Viele Christen meinen, weltlich sein bedeutet sich zu schminken, ins Kino zu gehen oder ab und an mal ein Bier zu trinken. Das ist zu kurz gegriffen.
Weltlichkeit geht viel, viel tiefer. Weltlichkeit meint, dass mich die Maßstäbe dieser Weltzeit stärker prägen als das Evangelium. Weltlichkeit heißt, dass ich ein Schema bilde mit genau der Welt, die sich von Gott entfremdet hat und sich von Gott emanzipiert hat.
Weltlichkeit kann auch bedeuten, dass ich mit weltlichen Mitteln auf weltliche Art und Weise versuche, religiös zu sein. Unter den Gemeindemitgliedern in Korinth gab es gesellschaftlich einflussreiche Leute, und sie standen in der Gefahr, die Maßstäbe der Kultur wichtiger zu nehmen als das, was Gott ihnen gesagt hatte.
Sie wollten um jeden Preis als kluge Leute in der Welt erscheinen. Sie wollten anerkannt werden und standen in der Gefahr, von dieser Weltlichkeit beherrscht zu werden.
An dieser Stelle hakt Paulus ein. Er sagt uns jetzt mit eigenen Worten wiedergegeben: Weltliches Denken hat im geistlichen Tempel nichts zu suchen. Selbst wenn die vermeintliche Klugheit religiös auftritt, so wie damals in Korinth, so ist das vor Gott eine Torheit.
Wir Menschen können nicht aus eigenem Vermögen verstehen, was Gott von uns möchte, und wir können auch nicht aus eigenem Vermögen so handeln, wie Gott das will. Das Ich eines unerlösten Menschen ist quasi im Gegenteil so etwas wie eine Festung, die gegen die Ansprüche und auch gegen die Zusprüche Gottes verteidigt wird.
Was uns aus unserer Verlorenheit rettet, das will der Apostel hier deutlich machen, ist allein das Evangelium, das Wort vom Kreuz. Die Welt versteht das nicht. Aber die Menschen, die Gott ruft, erkennen, dass Jesus für sie und für ihre Schuld am Kreuz gestorben ist.
Die Menschen, die Jesus kennen, wissen, dass das Evangelium nicht nur die Kraft hat, zu retten, sondern dass es auch die Kraft gibt, das Leben so zu gestalten, dass Gott Freude daran hat.
Ein kleines Beispiel kann helfen, das besser zu verstehen. Als unerlöster Mensch denke ich, dass meine familiäre Herkunft oder mein Leistungsvermögen darüber entscheidet, wer ich bin. Ich setze alles daran, wie man heute sagt, gut zu performen, denn davon hängt mein Selbstwert ab.
Mir bleibt gar nichts anderes übrig, als mich mit mir selbst zu beschäftigen, um möglichst vor anderen gut dazustehen. Wenn ich jedoch Jesus vertraue, dann sind natürlich auch Dinge wie Familie, Beruf und Erfolg wichtig – sie sind nicht unwichtig. Dennoch befinde ich mich in einer ganz anderen Lage.
Ängste und Verbitterung müssen sich nicht festsetzen, wenn es mal nicht so gut läuft. Ich weiß nämlich, dass es etwas Wichtigeres gibt. Jesus liebt mich, und er liebt mich auch dann, wenn ich zu kämpfen habe. Sogar dann, wenn mir etwas unter den Fingern zerrinnt – vielleicht meine eigene Gesundheit – darf ich darauf vertrauen, dass Jesus mich festhält.
Ich kann mich vor der Welt zum Narren machen, weil ich weiß, dass Jesus da ist und dass er es wert ist.
Wir müssen uns noch etwas anderes anschauen. Im damaligen Korinth war die Kultur stark von den sogenannten Sophisten geprägt. Sophisten waren Lehrer der Weisheit, hochgebildet und redegewandt. Allerdings wollten sie sich nicht festlegen. Ein Sophist musste gefallen, er musste den Menschen schmeicheln.
Sophisten waren dafür bekannt, dass sie mit derselben Leidenschaft gegensätzliche Meinungen vertraten. Je nachdem, zu wem sie gerade sprachen oder wer das meiste Geld zahlte. Diese mangelnde Wahrheitsliebe konnte auch auf die Gemeinde abfärben. Das gehört zu den Dingen, die den geistlichen Tempel verunreinigen, und Paulus machte sich darüber Sorgen.
Meine Beobachtung ist, dass wir auch heute so etwas wie eine mangelhafte Wahrheitsliebe haben. Ich habe so manche Christen kennengelernt, die sich einfach nicht mehr festlegen wollten und möglichst viele Optionen offenhalten. „Das kann man so sehen, das kann man aber auch anders sehen, ich lege mich da nicht fest.“
Manchmal höre ich sogar, dass man einen reifen Glauben daran erkennt, dass er Widersprüche aushält und Dinge, die nicht miteinander vereinbar sind, nebeneinander stehen lässt. Versteht mich nicht falsch: Natürlich gibt es für uns Christen viele Dinge, die wir unterschiedlich sehen können. Wir müssen nicht den gleichen Musikgeschmack haben, und wir können unterschiedliche Sichtweisen im Blick auf die Endzeit ertragen.
Wir als Gemeindeleitung haben nicht nur die Aufgabe, Grenzen zu schützen, sondern auch die Freiheit. Aber wer für alles offen ist, der ist nicht ganz dicht. Zum christlichen Glauben gehören Wahrheiten, die unumstößlich sind.
Wenn Petrus den Menschen zuruft, dass nur bei Jesus Rettung zu finden ist, dann meint er das auch so. Wir können nicht gleichzeitig glauben, dass Gott auch an Jesus vorbei Menschen mit sich versöhnt. Oder wenn die Bibel sagt, dass Gott alle Dinge weiß, dann ist das auch so gemeint: Gott weiß alles, noch bevor wir Menschen es selbst wissen.
Heute sagen manche, die in eine christliche Gemeinde gehen: „Ich weiß nicht, ob Gott die Zukunft kennt. Auch Gott muss ja aus seinen Fehlern lernen.“ Dem muss ich widersprechen. Versteht ihr, was ich meine? Wenn wir anfangen, mehrdeutig zu sein, wo die Bibel eindeutig ist, dann schaden wir unserer eigenen Seele und der Gemeinde.
Paulus sagt den Christen in Korinth, die nach ihrer Bekehrung immer noch nach der Anerkennung der Welt auf Kosten der Wahrheit suchen, dass sie auf einem falschen Weg sind.
Und damit kommen wir zum dritten Punkt: den Versen 21b bis 23, die von der Fülle und Freiheit in Christus sprechen.
Die große Frage ist ja, warum die Korinther so anfällig für die leeren Versprechen der Weltlichkeit waren. Ich glaube, dass die letzten beiden Verse darauf eine Antwort geben. Ich möchte sie uns noch einmal vorlesen:
„Was folgt, sagt er, was folgt aus alledem? Niemand soll sich an andere Menschen hängen und damit auch noch prahlen. Alles gehört doch euch: Paulus, Apollos und Petrus, die Welt, das Leben und der Tod, die Gegenwart und die Zukunft – alles gehört euch. Ihr selbst aber gehört Christus. Und Christus gehört Gott.“
Das klingt wie ein Rätselwort. Man versteht es auf den ersten Blick gar nicht. Aber ich glaube, hier wird erklärt, warum die Korinther so anfällig für die Weltlichkeit waren. Sie wollten jemand sein, sie wollten zu jemandem gehören, um sich bedeutsam zu fühlen. Sie strebten nach Zugehörigkeit, nach bestimmten Gruppen, die ihnen eine Identität gaben.
Gemeinschaft ist etwas Gutes, etwas Wunderbares. Wir brauchen sie, um uns besser zu verstehen, wir brauchen sie, um geistlich zu wachsen. Deshalb beschäftigen wir uns als Gemeinde zurzeit sehr ausführlich mit dem Thema Gemeinschaft.
Aber Gemeinschaft kann man auch missbrauchen. Wenn ich Gemeinschaft vor allem suche, um sie zu konsumieren, dann gerät etwas in Schieflage. Ich kann vielleicht, ohne es zu merken, eine fordernde Haltung entwickeln. Es kann passieren, dass ich Menschen benutze, um mein eigenes Selbstwertgefühl zu stabilisieren. Und ich kann mich hinter Leuten verstecken, ich prahle mit Personen, die ich kenne, und übernehme selbst keine Verantwortung in der Gemeinschaft.
Das will Paulus nicht. Deshalb ruft er den Korinthern zu: Hängt euch nicht an Menschen und prahlt damit! Dieser Ruhm ist vergänglich. Auf die Idee könnt ihr nur kommen, weil ihr vergessen habt, welche Fülle Gott euch durch seinen Sohn geschenkt hat.
So stellt Paulus ihre Denkweise wirklich auf den Kopf. Er zeigt, dass bei Christus viel mehr Weisheit zu finden ist als bei den klugen Köpfen in eurer Stadt. Gott hat uns mit seinem Sohn verbunden – Christus ist unsere Weisheit.
„Wisst ihr was, ihr Christen in Korinth?“, sagt Paulus. „Zu den größten Fragen der Menschheit gehören die Frage nach dem Leben, die Frage nach dem Tod, die Frage nach der Gegenwart und die Frage nach der Zukunft. Habt ihr gar nicht gemerkt, dass die Klugen dieser Welt keine Antwort auf diese Fragen haben? Selbst die Allerklügsten können euch nicht weiterhelfen. Sie können euch nicht sagen, woher das Leben kommt, sie können euch nicht erklären, was der Sinn des Lebens ist, und sie haben keine Antwort auf den unausweichlichen Tod. Was die Zukunft bringt, können sie nur vermuten, sie wissen es aber nicht.“
„Meine lieben Brüder und Schwestern, habt ihr vergessen, dass diese Fragen in Jesus Christus alle beantwortet sind? Es geht nicht darum, dass ihr euch durch Zugehörigkeit zu einer Partei Bedeutung und Aufmerksamkeit verschafft. Paulus, Apollos und all die anderen gehören euch, das Leben gehört euch, der Tod ist überwunden, die Gegenwart und die Zukunft gehören euch. Ihr habt in Christus alles, ihr seid bei ihm sicher.“
Denkt an Römer 8,38, wo wir lesen: „Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch irgendeine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.“
Und dann fügt Paulus noch etwas hinzu, das zeigt, wie gut er die menschliche Seele kannte. Er sagt: „Ihr selbst aber gehört Christus und Christus gehört Gott.“
Warum macht er das? Er hat den Korinthern gerade gesagt: „Wir gehören euch alle, die ganze Welt gehört euch.“ Das kann natürlich falschen Stolz wecken. Es kann auch dazu führen, dass man diese Stellung missbraucht, die man plötzlich erkennt, und auch die Freiheit, die man von Gott geschenkt bekommen hat.
Deshalb sagt Paulus ihnen: „Wisst ihr was? Euch gehört die ganze Welt, aber ihr selbst gehört Christus. Er ist der Herr.“
Als Christen gehört ihr keiner Macht dieser Welt. Ihr seid völlig frei. Zugleich gehört ihr ganz Christus, und Christus gehört Gott.
Ich werde zum Schluss noch eine spannende Geschichte aus dem Leben eines Menschen erzählen, der vor langer Zeit gestorben ist. Diese Geschichte zeigt uns, wie vorläufig und endlich die menschliche Weisheit ist im Vergleich zu dem, was wir in Christus empfangen.
Doch zuvor möchte ich noch zwei persönliche Fragen stellen.
Die erste Frage lautet: Kannst du von dir selbst sagen, dass du Christus gehörst und Christus dich besitzt? Weißt du, dass du ein begnadeter Sünder bist? Wenn du ein Kind Gottes bist, dann suchst du Gott im Hier und Jetzt. Du weißt, dass auch du nicht durch und durch gut bist. Du kennst die Anfechtung, die Versuchung und die Niederlage. Du erfährst immer wieder, dass du den Ansprüchen Gottes nicht genügst. Aber du kennst deinen Erlöser. Wenn du versagst und Sünde dich plagst, kannst du zum Kreuz fliehen. Du darfst wissen, dass dein himmlischer Vater dir gern vergibt. Du weißt, was dein einziger Trost im Leben und im Sterben ist.
Der Heidelberger Katechismus antwortet dazu wunderbar: „Ich gehöre mit Leib und Seele im Leben und im Sterben nicht mir, sondern meinem getreuen Heiland Jesus Christus. Er hat mit seinem teuren Blut für alle meine Sünden vollkommen bezahlt und mich aus der Gewalt des Teufels erlöst.“
Falls du bei dieser Frage unsicher bist, ob du ein Kind Gottes bist oder nicht, dann komm bitte auf uns zu. Am besten meldest du dich für den Kurs „Christ sein entdecken“ an, der gerade läuft. Du kannst dich im Sekretariat dafür anmelden. Dort werden genau diese Fragen diskutiert.
Die zweite Frage lautet: Wessen rühmst du dich?
Erinnern wir uns: Paulus warnt uns vor Selbstbetrug. Er weiß, dass wir uns oft selbst etwas vormachen, und deshalb wiederholt er sich mehrfach. Gott fragt durch Paulus nicht nur die Christen in Korinth, sondern auch mich und dich: Wer oder was ist dir wichtig? Was treibt dich im Leben an? Was verschafft dir Bedeutung?
Ist es die Schlauheit dieser Welt, also das, was den Menschen im Hier und Jetzt wichtig ist? Sind es bestimmte Leute, mit denen du dich identifizierst? Oder ist es die Dankbarkeit darüber, was Gott dir alles in Christus geschenkt hat: die Vergebung der Sünden, die Wiedergeburt durch den Heiligen Geist, eine lebendige Hoffnung, das ewige Leben, die Zugehörigkeit zum Volk Gottes, Weisheit von oben?
Weißt du, der Reichtum in Christus sollte tiefgreifende Auswirkungen auf dein Leben haben. Dieser Reichtum schützt dich davor, jemand Besonderes sein zu wollen, nur um dich selbst zu spüren. Unsere Kultur sagt uns, dass wir außergewöhnlich sein müssen. Wir sollen leistungsstark, hübsch, klug und so weiter sein.
Ganz schnell überträgt sich das auch auf unser geistliches Leben. Du vergleichst dich mit anderen, willst besser sein, mehr leisten als dein Bruder oder deine Schwester, besser dastehen. Natürlich wollen wir gute Werke tun und uns im Reich Gottes investieren. Aber eben nicht, weil wir besser sein wollen, sondern weil wir dankbar sind. Vor allem, weil wir dankbar sind für das, was Gott uns durch Christus alles anvertraut hat.
Wir genießen die Gemeinschaft mit anderen und dienen der Gemeinschaft, weil Jesus uns gerettet hat und uns liebt. Diese Motivation reift nicht durch ungesunde Vergleiche und Selbstoptimierung. Sie fließt durch den Heiligen Geist, durch unser Herz in unser Leben.
Wenn Christus unsere Stärke ist und wir uns an ihn hängen, dann macht uns das demütig, fest und klug.
Jetzt komme ich wirklich zum Schluss. Ich schließe mit einer Episode aus dem Leben von Blaise Pascal, der im siebzehnten Jahrhundert gelebt hat. Pascal – die Schüler kennen ihn aus dem Physikunterricht – gehörte wirklich zu den Klugen dieser Welt.
Also, wenn du denkst, du bist klug, dann vergleiche dich jetzt mit Pascal und schau dir an, was er geleistet hat. Er war ein großartiger Wissenschaftler. Von ihm stammt das Gesetz der kommunizierenden Röhren. Er hat die Wahrscheinlichkeitsrechnung weiterentwickelt und im Alter von neunzehn Jahren eine der ersten Rechenmaschinen der Welt erfunden.
Im Jahr 1646 erlitt er eine schwere Verletzung auf einer Reise mit einer Kutsche und war mehrere Monate ans Bett gefesselt. In dieser Zeit kümmerten sich zwei gläubige Christen ganz rührend um den Wissenschaftler. Sie pflegten ihn und bezeugten mit ihrer Liebe ihren Glauben. Das stieß Pascal an, selbst über den christlichen Glauben nachzudenken.
Am 23. November 1654 wurde ihm plötzlich klar, dass Gott sein ganzes Herz wollte. Acht Jahre später starb er im Alter von nur neununddreißig Jahren. Sein Diener entdeckte in seinem Mantel – so wie man das damals nannte – einen Zettel, auf dem etwas stand. Pascal hatte diesen Zettel genau an dem Tag geschrieben, als Gott ihn in die Nachfolge gerufen hatte.
Dort stand geschrieben:
„Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jakobs. Nicht der Philosophen und Gelehrten Gewissheit, Gewissheit, Empfinden, Freude, Friede, das aber ist das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist und den du gesandt hast, Jesum Christum erkennen, Jesus Christus, Jesus Christus.“
Pascal hatte erkannt, wie hochmütig die Weltweisheit ist, die Menschen an Menschen bindet, und dass sie doch keine Antworten auf die letzten Fragen hatte. Er wusste, dass er ein Sünder ist. Ja, er schreibt auf diesem Papier davon, dass er selbst Jesus mit ans Kreuz gebracht hat. Er brauchte Vergebung und Erlösung.
Das, was letztlich zählt, das finden wir allein in der guten Nachricht. Das, was letztlich zählt, ist Jesus Christus. Mit ihm wollte Pascal jede Minute zusammen sein, und um ihn sollte sich sein Denken und sein Leben drehen.
Das ist es, was Paulus den Korinthern mit seinem Crescendo einhämmern wollte. Er fasst die Botschaft der ersten drei Kapitel noch einmal zusammen, weil er wusste, dass wir dazu neigen, uns selbst etwas vorzumachen, uns selbst etwas vorzuspielen – vorzuspielen, dass wir es verstanden haben.
Der beste Schutz vor Selbstbetrug – das sagt er, das sage ich jetzt mit meinen Worten – ist die enge Gemeinschaft mit Jesus. Bei ihm finden wir das Licht, das wir brauchen, um zu sehen, wer wir wirklich sind. Jesus ist die Wahrheit, und er bringt unser Leben in die Wahrheit.
Meine Aufgabe war es, genau das euch einzuhämmern. Wenn ihr euch rühmen wollt, dann rühmt euch des Herrn. Alles gehört euch, ihr selbst aber gehört Christus!
Amen!
Himmlischer Vater, wir danken dir so sehr für dein wunderbares, kostbares Evangelium. Dein Sohn wurde Mensch, um uns zu suchen und uns mit dir zu versöhnen. Alle Klugheit der Welt ist nichts im Vergleich zu dem Reichtum, den wir in ihm haben.
Christus ist unsere Gerechtigkeit, unsere Erlösung, unsere Weisheit, unsere Heiligung. Wenn wir auf etwas stolz sein können, dann ist es Jesus.
Amen.