Einführung: Die Bedeutung von Jesaja 61 für Jesus
Verehrte, liebe Schwestern und Brüder, ich möchte Sie bitten, wenn Sie Ihre Bibel dabei haben, fast in der Mitte Jesaja 61 aufzuschlagen. Dieses Kapitel hat unser Herr Jesus besonders geschätzt. In der Synagoge von Nazaret, seiner Heimatstadt, hat er es ausgelegt.
Der Herr hat mich gesalbt, er hat mich gesandt, den Elenden gute Botschaft zu bringen. Wenn der Herr Jesus vom hochzeitlichen Kleid sprach, das wir brauchen, wenn wir zum Fest Gottes eingeladen sind, bezog er sich auf das Wort: „Er hat mich gekleidet mit den Kleidern des Heils und mir den Mantel der Gerechtigkeit angezogen.“
Der Schlussvers von Kapitel 61 lautet: „Gleich wie Gewächs aus der Erde wächst und Same im Garten aufgeht, so lässt der Herr Gerechtigkeit aufgehen und Ruhm vor allen Heidenvölkern.“ Was für ein Bild, gerade jetzt im Frühjahr! Wenn wir aus dem etwas kälteren Württemberg ins gesegnete Baden kommen, lacht die Sonne über Baden, über Württemberg, über die ganze Welt.
Elementar geht der Same auf, die Blüten trotz Hagel und Kälteeinbrüchen. Das Frühjahr bricht durch, schöpfungsgemäß. Der Herr Jesus hat das ja auch aufgenommen, wenn ein Mensch Same aufs Land wirft, hingeht und schläft, und der Same trotzdem automatisch aufgeht.
So hat der Herr Jesus in Jesaja 61 gelebt. Er hat diese Worte aus Jesaja 61 immer wieder aufgenommen, auch das Stichwort von der Gerechtigkeit. So wie der Same aufgeht, das Gewächs aus der Erde aufsprießt, soll es Gott, der Herr, mit der Gerechtigkeit tun: Sie soll aufwachsen.
Jesu Kritik an der oberflächlichen Gerechtigkeit der Pharisäer
Jesus hat uns das Wichtigste deutlich gemacht. Er hat bei seinen Zeitgenossen, den frommen Pharisäern und Schriftgelehrten, beobachtet, wie sehr sie sich bemühten, keinen Fleck auf ihre weiße Weste zu bekommen und einigermaßen ungestreift durchs Leben zu kommen. Das hat Jesus anerkannt.
Aber was hat er gesagt? Wenn eure Gerechtigkeit nicht besser ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, dann reicht das nicht aus. Wollte Jesus die Schraube anziehen? Wollte er uns noch mehr in die Heiligung hineintreiben?
Er hat eine Geschichte erzählt: Vom Pharisäer, der sagte: „Lieber Gott, ich danke dir, dass du mein Leben bewahrt hast vor Tücken, dass ich opfern konnte und fromm lebte.“ Daneben stand ein anderer, dessen Leben verpfuscht war. Er konnte nur noch stöhnen: „Sei mir, Sünder, gnädig!“ Und dann sagt Jesus: Dieser ging gerechtfertigt hinab vor jenem.
Wenn Gott einen Menschen gerecht macht, wenn Gott einem Menschen seine Gnade gewährt, dann geschieht mehr, als wenn wir einigermaßen ungestreift und untadelig durchs Leben kommen.
Im gleichen Kapitel, Lukas 18, steht: Der Herr wird Recht schaffen. Kurz gesagt: Gott schafft Gerechtigkeit.
Deshalb hat der Herr Jesus uns klargemacht: Sorgt euch nicht so sehr, ob ihr mit 77 Jahren noch ein paar Monate dazubekommt, ob der Onkel Doktor doch noch eine Arznei findet. Wer kann seinem Leben eine Spanne an Länge zusetzen?
Sorgt euch auch nicht so sehr um die Kleidung und darum, was ihr essen und trinken werdet. Trachtet vielmehr am meisten nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit!
Die Priorität der göttlichen Gerechtigkeit im Leben
Wie wenn, Herr Jesus, unsere Tagesordnung so wichtig ist – dass ich gesund bin, Wunder erlebe, dass mit meiner Familie alles in Ordnung kommt und dass ich mir nicht so viele Sorgen um meine Rente machen muss. Doch Jesus sagt: Halt, es gibt noch viel Wichtigeres. Du sollst mit dem Mantel der göttlichen Gerechtigkeit überkleidet werden, so wie es in Jesaja 61 beschrieben ist.
In Korntal, wo ich im Ruhestand leben darf, werden nach alter Väter Sitte die Mitglieder der Brüdergemeinde in einem weißen Sarg beerdigt. Sie werden so begraben, wie sie sind – in all ihrer Armseligkeit mit dem verwesenden Leib. Der weiße Sarg soll symbolisch sein: Ich bin eingehüllt mit all meiner Armseligkeit und zugleich eingehüllt in die weiße, strahlende Gerechtigkeit des Herrn Jesus, in seine Gegenwart.
Christi Blut und Gerechtigkeit sind mein Schmuck und meine Ehre. Damit will ich vor Gott bestehen.
Aber jetzt hat Herr Jesus uns in der Bergpredigt gleich am Anfang etwas Wichtiges gesagt: Selig sind, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit. Denn wir Menschen, auch wir Frommen, sind immer der Gefahr ausgesetzt zu denken: Mit mir ist schon alles recht. Wenn ich nicht in den Himmel komme, wer denn dann?
Hungert nach der Gerechtigkeit, so wie man in der Wüste nach einer Flasche Wasser dürstet. Durstet nach der Gerechtigkeit! Eigentlich müsste uns der Durst nach Gerechtigkeit auf den Nägeln brennen.
Die menschliche Unvollkommenheit und das Bedürfnis nach göttlicher Gerechtigkeit
Im Buch Hiob wird von Eliphas von Temann erzählt, der sagt: „Mitten in der Nacht bin ich aufgewacht. Ich hörte ein Flüstern, als die Stimmen ruhig waren. Mir lief die Gänsehaut den Rücken hinunter, als mir diese Stimme bewusst wurde: Wie kann ein Mensch gerecht sein vor Gott?“
Nicht, dass wir alles falsch machen – das steht gar nicht in der Bibel. Ein wunderbares Wort finden wir im Buch Jesaja 65: „All unsere Gerechtigkeit ist wie ein beflecktes Kleid.“
Meine Frau sagt immer wieder: „Zieh ruhig schwarze Hemden an, du schlabberst manchmal, da sieht man die Flecken nicht so.“ Aber auf einem weißen Hemd, da kann 99,8 Prozent in strahlender Persinglanz sein – weiß und ein Saucenfleck von unserem guten Brätling heute Abend reicht schon aus, dass man denkt, man müsste die Jacke enger zumachen.
Meine Gerechtigkeit kann sein, wie bei vielen von uns, wie in unserer Welt: Da gibt es viel Opferbereitschaft, viel Nächstenliebe, unheimlich viel Einsatz. Und wir Menschen können, wenn wir wollen, sehr viel tun. Aber der Fleck bleibt. Eigentlich liegt nur das Material bereit, das wir sind: hungrig und dürstend nach Gerechtigkeit.
Was bin ich meiner Frau schuldig geblieben, meinen Kindern, meinen Enkeln? Wir sagen immer, unsere Zeit wird gottlos sein. Einst hat unsere Mutter uns eine Fülle von Paul-Gerhard-Liedern und Hiller-Liedern aus dem „Barmherzigkeits-Wiederfahren“ lernen lassen. Nach dem Krieg gab es einen kleinen Riegel Schokolade für zwölf Paul-Gerhard-Verse.
Warum habe ich meinem Enkel nicht gesagt: „Dreißig Euro für vier Paul-Gerhard-Verse?“ Das Geld wäre besser angelegt gewesen als auf der Landesbank Baden-Württemberg. Aber ich habe es versäumt – zu spät.
Wie viele Briefe hätte ich schreiben müssen an Brüder und Schwestern, die längst in der Ewigkeit sind, bei denen ich jetzt sagen muss: Es tut mir leid, dass manches Wort gesagt wurde, manche Dinge passiert sind – vergib mir, ich habe es versäumt.
Mein Freund Fritz Grünzweig hat es immer bewegt, dass sich unser deutsches Volk an Israel versündigt hat, dass wir den Namen des Herrn Jesus für Israel, für das Volk Gottes, durch das, was wir Israel angetan haben, stinkend gemacht haben.
Ich denke immer wieder an uns, die wir in der reichsten Zeit leben, die es je gegeben hat. Wir haben Durchblick und Zeitgeschehen im Augenblick sind klar. Uns geht es so gut wie nirgendwo sonst. Und wir bürden einer nachfolgenden, kleinen, jungen Generation eine Schuldenlast auf, die irrational und die unsozialste Tat ist, die es je in unserer Welt gegeben hat.
Wir müssten doch mit unserem Volk zusammenschreien: „Herr, erbarme dich über die Sünden unseres Volkes und über das, was ich gefehlt habe!“ Wir müssten wie der Zöllner im Tempel, von dem Jesus erzählt hat, sagen: „Herr, sei mir Sünder gnädig, schenk mir deine Gerechtigkeit!“
Es gäbe genug in unserem Leben, dass wir hungern und dürsten müssten nach der Gerechtigkeit. Denn unsere Gerechtigkeit ist vor Gott wie ein beflecktes Gewand.
Gottes Wirken: Gerechtigkeit wächst wie Same und Gewächs
Aber jetzt hat der Herr Jesus mit diesem Stichwort an die Gerechtigkeit aus Jesaja 61 erinnert: „Gott, der Herr, lässt Gerechtigkeit aufgehen.“
Das bedeutet nicht, dass Gott einfach dasitzt und wartet, bis bei den Menschen endlich Gerechtigkeit entsteht. Gott ist der Schöpfer, der elementar nicht zu bremsen ist und durch keinen Schneesturm aufzuhalten ist. So wie er den Samen aufgehen lässt, lässt Gott auch die Gerechtigkeit aufwachsen.
Ich möchte Sie auf eine Spur setzen: Wenn Sie die Propheten Jesaja und Jeremia studieren, werden Sie sehen, wie oft dort von Gerechtigkeit die Rede ist. Genügt es, Jesaja und Jeremia zu lesen, um zu verstehen, wie oft es heißt, dass der Herr einen Spross aufwachsen lässt.
In Jeremia 23 und Jeremia 33 wird gesagt, dass Gott einen gerechten Spross aus der Linie Davids aufwachsen lässt. Dieser Spross wird Recht und Gerechtigkeit im Auftrag Gottes schaffen. In Jeremia 9 heißt es: „Denn ich bin’s, Gott der Herr, der Recht und Gerechtigkeit schafft; daran freue ich mich.“
Gott hat Freude daran, so wie ein Vater Freude daran hat, seinem Sohn zu helfen, wenn dessen Spielzeug kaputt ist. Der Vater sagt: „Gib her, ich mache das.“ So schafft Gott Gerechtigkeit, wo wir Menschen sie nicht herstellen können.
Gott hat Freude daran, uns Ungerechte mit unserem befleckten Gewand mit seinem Mantel der Gerechtigkeit zu überziehen. Er zieht diesen Mantel der Gerechtigkeit über alle unsere Unvollkommenheiten. Daher schafft Gott Gerechtigkeit.
Wenn der Herr Jesus sagt, dass eure Gerechtigkeit besser sein muss als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, wie sollen wir das dann schaffen? So wie bei dem Zöllner, der demütig war und dadurch gerecht gemacht, gerechtfertigt wurde.
Es gibt Gerechtigkeit durch Jesus.
Die Erfüllung der Prophezeiungen in Jesus Christus
Vielleicht hat es in der ersten Christenheit niemand so staunend begriffen wie der Apostel Paulus, der am Alten Testament geschult war. Jetzt ist erfüllt, was die Propheten angekündigt haben. Gott hat Gerechtigkeit aufwachsen lassen. Jetzt kann ich durch den Herrn Jesus gerecht gemacht werden.
Paulus sagt: Ich bin nur selbst gerecht gemacht worden. Vorher war ich ein elender Mensch. Das, was ich tun wollte, habe ich gar nicht getan. Das Gute, das ich tun wollte, habe ich nicht vollbracht. Und das Böse, das ich gar nicht wollte, ist in meinem Leben vorgekommen. Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen? Gott sei Dank, Jesus!
Dann strömen ihm aus dem Alten Testament all die Verheißungen zu. Jetzt ist es wahr geworden: Gleich wie Same aufgeht im Erdreich und Gewächs auf der Erde aussprosst, so lässt Gott Gerechtigkeit wachsen. Das wird in der Bibel oft erzählt. Das ist sehr hilfreich für uns, die wir immer mehr an Bildchen gewöhnt werden in unserer Welt – von der Werbung bis zum Fernsehen.
Als der Apostel Paulus in Antiochien in Pisidien, im heutigen Gebiet der Türkei, die erste große Missionspredigt gehalten hat, gab er einen heilsgeschichtlichen Überblick. Er zeigte, was Gott schon in Israel getan hat und wie er zielstrebig auf das hingearbeitet hat, was David an Gnaden verheißen wurde: dass einmal Gerechtigkeit kommt.
Dann schließt Paulus die Predigt mit den Worten: Und gerecht gemacht wird jeder, der an Jesus glaubt.
Wenn ich Barnabas gewesen wäre, der Gefährte des Apostels Paulus, hätte ich wohl gesagt: Paulus, war es denn nötig, dass du gleich so hochtheologisch gekommen bist, so steil? Das versteht doch kein Mensch. Wer fragt denn nach Gerechtigkeit? Du hättest doch auf das eingehen müssen, was die Menschen bewegt. Sie brauchen ein bisschen Trost, sie hungern nach Ermutigung, sie brauchen einen Horizont der Hoffnung und ein bisschen Freude. Du hättest ruhig einen Scherz dazwischen machen können.
Vielleicht hättest du auch gesehen, dass manche Leute Zweifel haben, und darauf eingehen können, ob Gott wirklich gerecht ist. Aber doch nicht gleich: Der wird gerecht gemacht, wer an Jesus glaubt.
Wenn es so gewesen wäre, könnte ich mir auch vorstellen, dass der Apostel Paulus gesagt hätte: Das hätte ich auch sagen können, was so viele Prediger sagen: Mit Jesus wird dein Leben hell, Jesus löst deine Probleme, mit Jesus kommt Freude in dein Leben.
Stimmt das denn? Kommt bei ihm bloß Freude hinein? Kommen nicht auch manche Probleme mit Jesus? Mit unseren Angehörigen? Unser Gewissen wird geweckt. Es geht doch gar nicht immer tralala.
Paulus hat gesagt: Aber das kann ich sagen, was ich gewiss weiß, was die Propheten angekündigt haben, ist in Jesus erfüllt. Wer sagt: Jesus, ich brauche Gerechtigkeit, wer hungert und dürstet nach Gerechtigkeit, der kann satt werden.
Dieses Gewächs ist aufgegangen. Was jetzt noch fehlt, ist, dass wir Hunger bekommen, einen Durst nach dieser Gerechtigkeit.
Wir können natürlich über die Christenheit klagen, dass das so wenig eine Rolle spielt.
Gott macht gerecht, wer den Namen Jesus anruft, der mit Jesus glaubend verbunden ist. Den macht Gott gerecht, in Ewigkeit gerecht, überkleidet mit dem Mantel der Gerechtigkeit.
Die historische Bedeutung der Rechtfertigungslehre und heutige Herausforderungen
1917 war die vierhundertste Wiederkehr der Reformation, also der Beginn der Reformation, mitten im Ersten Weltkrieg. Die deutschen Kirchen überlegten, wie sie dieses Reformationsjubiläum feiern könnten.
Die Menschen interessierten sich jedoch nicht so sehr dafür, wie ein Mensch gerecht wird oder wie man einen gnädigen Gott erhält. Vielmehr sahen sie Luther als großen Entdecker der deutschen Sprache, als Dichter, als Übersetzer der Bibel und als bedeutenden Deutschen.
Eine kleine Gruppe der damaligen deutsch-christlichen Studentenvereinigung um Doktor Erich Stange, den späteren Generalsekretär und Reichswart des deutschen Zivoliums, protestierte bei den Kirchenführern. Sie forderten: „Ihr müsst den Mut haben, das Eigentliche zu bekennen, was Martin Luther wichtig war: ‚Gott macht mich Sünder gerecht.‘“
Dieser Doktor Erich Stange bekam später in der Thüringer Kirche ein Fastendiskriminarverfahren, weil man es für falsch hielt, solche Fragen den Bischöfen vorzulegen. Doch genau das sei wichtig.
1952 beschloss der Lutherische Weltbund eine fast dogmatische Erklärung. Luther hatte einst gefragt: „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott, ich ungerechter Mensch?“ Heute fragen wir: „Wie bekommen wir einen gnädigen Nächsten, einen, der gnädig mit mir umgeht?“ Das oberste Gremium des Luthertums hat die eigentliche Frage vor Gott bis zum Gehtnichtmehr verwässert.
Aber das ist nicht nur bei den obersten Kirchenrängen so. Denken Sie an Ihre Dankgebete: Sie können für viele Wunder Gottes in Ihrem Leben danken. Denken Sie daran, wie oft Sie gebetet haben, wenn Sie nicht mehr weiterwussten und in Not waren. Wie oft hat der gnädige Gott über Ihnen seine Flügel ausgebreitet? Sie haben Wunder erlebt, Bewahrungen und Hilfe erfahren.
Wann haben Sie einmal dafür gebetet: „Danke, Jesus, dass du mich unvollkommen gerecht machst in Ewigkeit“?
Ich habe Gesangbuchlieder durchforstet, sowohl alte als auch neue. Bei Jochen Klepper heißt es: „Ja, er ist mir täglich nahe und spricht mich selbst gerecht.“ Auch Zinzendorf drückt das aus. Doch es gibt nur sehr wenige Zeilen, die überhaupt auf diesen Kernsatz Bezug nehmen.
In der Christenheit besteht die Gefahr, dass wir meinen, wir ziehen einen stinkenden Hering aus der Tasche, wenn wir von der Gerechtigkeit Gottes sprechen, die uns gerecht macht. Dabei ist das die elementarste Menschheitsfrage.
Die aktuelle gesellschaftliche Lage und der Ruf nach Gerechtigkeit
Durchblick
Vor einer Woche hatten wir eine Klassenzusammenkunft der ehemaligen Abiturienten. Unser Primus konnte nicht kommen, da er an Leberkrebs im letzten Stadium leidet. Früher hatte er nie viel mit der Kirche, Gott oder Glauben zu tun. Er war sogar aus der Kirche ausgetreten.
Nun hat er uns, den Rest der Abiturklasse, geschrieben: „Ich habe so Angst, dass Deutschland im Heidentum versinkt.“ Diese Worte haben uns alle sehr betroffen gemacht. Er schrieb weiter, dass er kaum sieht, dass sich die Kirchen darüber aufregen.
Wir haben uns bis in die obersten Ränge der Kirche daran gewöhnt zu sagen, dass einfach wieder mehr Religiosität in unserem Volk spürbar sei. Die Spenden für „Brot für die Welt“ nehmen zu, also alles in bester Ordnung. Doch hungern wir Pfarrer nach Gerechtigkeit für das viele, was wir in unserem Dienst versäumt haben? Was wir an unserer Familie versäumt haben, können wir davon sprechen? Das ist elementar, so wie Paulus davon sprechen konnte, weil er gespürt hat, dass das größte Geschenk seines Lebens ist: „Er macht mich gerecht“ (Römer 8).
Wer will verdammen? Sie wissen, wie es heute geht. Gott ist hier, der die wunderbare Schöpfung macht, der mich bewahrt hat und mir Freude geschenkt hat. Nein, Gott ist hier, der gerecht macht. Das ist elementarer als das tägliche Aufgehen der Sonne, elementarer als jedes Frühjahr, elementarer als das Geschenk eines jeden Säuglings und elementarer als jedes Wunder, das wir erleben.
Gott schafft Gerechtigkeit. Und er kann auch Hunger aufwachsen lassen.
Das Beispiel aus Ostafrika: Versöhnung und Hunger nach Gerechtigkeit
Das wäre das letzte Ziel: dass ein Hungern und Dürsten aufbricht.
Alfa Mohammed, ein früherer Muslim aus der Rift-Walei-Region in Kenia, mit dem wir in partnerschaftlicher Verbindung stehen, besuchte uns letztes Jahr in Bernaussen. Wir fragten ihn nach diesem Land, in dem einst Kapf und Träbmann um einen Getauften gerungen haben. Heute sind dort Hunderttausende, das größte Erweckungsgebiet neben Indonesien, Südamerika, Ostafrika, Ruanda, Burundi, Kenia und Tansania.
Wie kommt das? Welches Geheimnis steckt dahinter, dass Tausende zu den Gottesdiensten strömen? Er antwortete: „Our message is atonement, nothing else.“ Unsere Botschaft ist die Versöhnung, nichts anderes.
In Afrika ist ein Hunger gewachsen, besonders in Ostafrika. Dort, wo noch Bischof Kiwengeri sagte, dass durch die Frömmigkeit der Streit zwischen Familien, Stämmen und Stammesvätern begraben werden konnte. Trotzdem brach der Streit zwischen Hutus und Tutsis auch unter Christen aus. Sie schlachteten einander mit Macheten ab.
Und jetzt heißt es nur noch: „Herr, vergib uns!“ Nicht unser frommes Leben ist wichtig, sondern: „Vergib uns deine Gerechtigkeit.“ In Ostafrika, in diesem Gebiet, geschieht bis heute genau das.
Das Lieblingslied dort lautet: „Tu kutendere sei Jesu, Preis und Ehre dem Lamm.“ Es bezieht sich auf Jesaja 53, der die Schultern vieler getragen hat.
Ein Evangelist aus Tansania erzählte uns, dass einige dänische Missionare gekommen seien und gesagt hätten: „Ach, es ist doch nicht immer so wichtig, bloß Vergebung, Gerechtigkeit, Jesus und sein Sühnopfer. Es ist doch auch wichtig, dass man um den Heiligen Geist bittet.“
Darauf antworteten die Afrikaner: „Was hat euch der Heilige Geist über eure Sünde gesagt?“ Der Heilige Geist wecke mein Gewissen, wie sehr ich auf Jesus angewiesen bin, der mich gerecht macht.
Gleich wie das Gewächs aus der Erde aufgeht und der Same aufblüht, lässt der Herr Gerechtigkeit aufgehen. Er kann auch Hunger aufbrechen lassen – bei Ihnen, bei mir, vielleicht bei gar nicht vielen.
Herr Jesus hat nicht mit den Vielen gerechnet, sondern mit einigen, bei denen Hunger aufbricht. „Herr, sei du mir nahe und lass mich bis ins Sterben hinein, wenn mein Gewissen erwacht, wie viele Bruchstücke ich zurücklasse, wie viele Scherben in meinem Leben. Lass die Gewissheit wachsen, dass ich dich gerecht mache, so wahr Jesus Gerechtigkeit in die Welt gebracht hat.“
Abschluss: Jesus als Weisheit und Gerechtigkeit vor Gott
Der Apostel Paulus hat es in einem ganz kurzen Satz zusammengefasst: Jesus Christus ist uns von Gott gemacht zur Weisheit und zur Gerechtigkeit.
Dazu ist Jesus da, damit ich mit den Scherben meines Lebens einmal vor Gott stehe. Und er wird strahlend über mir sagen: „Ich sehe gar keine Fehler mehr, ich sehe bloß noch Jesus neben dir. Jetzt ist alles gut.“
Ich darf mit einem Gebet schließen: Herr, du ewiger Gott, du Schöpfer, danke, dass du das mit uns vorhast. Dass wir nicht an Vordergründigem hängenbleiben.
Ich traue dir zu, dass du in all die Befleckungen unseres Lebens, unserer Fantasie, unserer Lebensgeschichte hineinblickst. In das, was wir schuldig blieben – sei es dem Ehegefährten, der Dank an Eltern, die Freude an unseren Gemeinden oder die Ermutigungen, die wir hätten weitergeben sollen. So viel, was wir schuldig geblieben sind.
Danke, dass du darüber deine Gerechtigkeit gibst. Du siehst die Fehler und gerade deshalb bist du uns als der Heiland von Gott gegeben – Gerechtigkeit in Person.
Danke, dass wir mit dir verbunden sein können. Amen.