Wie spät ist es jetzt? Kurz nach halb acht.
Echt? Da sitzen wir schon über zwei Stunden hier fest. Meine Eltern machen sich bestimmt schon langsam Sorgen.
Alles in Ordnung? Geht schon, tut aber immer noch ziemlich weh.
Was ist denn da los? In Bärenbach ist Stromausfall. Seitdem ist hier wohl einiges passiert.
Marie sitzt inzwischen warm und trocken zu Hause, Amy auch. Aber Philipp, der ist gerade in der Stadtkirche. Seine Orchesterprobe war unterbrochen worden. Im Dunkeln kann man nicht musizieren, die meisten sind schon heimgefahren. Philipp, sein Klassenkamerad Jonas und die Orchesterleiterin Evelyn sind noch hier.
Du siehst echt gruselig aus im Kerzenlicht.
Aber auch nur, weil mein Bein so weh tut.
Na ja, was war denn eigentlich?
Ich habe einen lauten Schlag gehört, als ich vorne auf der Toilette war. Die Spülung geht übrigens ohne Strom auch nicht. Voll eklig.
Ah, zu viel Information.
Ich habe die Kerzen geholt und bin dann über einen Tuberkoffer gestolpert. Den hat da jemand mitten im Weg liegen lassen.
Ups, aber warum hast du nicht mit deinem Handy geleuchtet, statt wie ein Maulwurf herumzusuchen?
Schwacher Akku, den brauche ich vielleicht noch für Wichtigeres.
Können wir nicht einfach heimgehen, Evelyn?
Wir hatten das doch schon geklärt, Philipp. Mit deinem Bein kannst du nicht Rad fahren. Und zu Fuß ist das im Dunkeln einfach zu gefährlich, man sieht fast gar nichts. Außerdem werden Fußgänger von Autofahrern kaum gesehen.
Zu dumm, dass dein Auto nicht angesprungen ist.
Wem sagst du das? Ich hätte euch gern heimgefahren.
Hätten wir wenigstens nicht mehr so lange nach der Probe gequatscht. Alle anderen waren ja schon weg.
Also, ich wusste ja, dass beim Stromausfall auch das Telefonnetz zusammenbricht. Aber dass das so schnell geht, hätte ich nicht gedacht.
Ganz ist es wohl auch nicht weg. Aber ich weiß, das hilft uns nicht. Wir haben es bei allen versucht, von denen wir eine Nummer haben. Das waren immerhin achtzehn Leute.
Hoffentlich ist der Strom bald wieder da.
Ich schaue mal im Gemeindebüro nach dem alten Transistorradio, das dort schon ewig herumsteht. Vielleicht erfahren wir da etwas Nützliches.
Braucht es keinen Strom oder Netz?
Transistorradios können per Batterie oder durch Kurbeln angetrieben werden. Sie sind nicht auf das Telefonnetz angewiesen. Die Radiowellen haben eine andere Frequenz und können auch bei Stromausfall übertragen werden.
Ich hoffe, dass uns das weiterhilft.
Ich habe echt Hunger. Philipp ist seit kurzem im Stadttorchester von Berenbach. Es macht ihm riesigen Spaß, dort Violine zu spielen. Sogar mit Jonas hat er sich etwas angefreundet.
Ursprünglich hatten sie einen eher holprigen Start miteinander gehabt. Philipp liebt die Proben und hatte sich sehr auf den Auftritt am Heiligabend gefreut. Aber jetzt wäre er lieber endlich zu Hause.
Komm, lass uns gehen!
Was? Ich denke, Evelyn hat sich da klar ausgedrückt, und ich finde, sie hat Recht. Es ist viel zu gefährlich ohne Licht.
Wie gefährlich kann das schon sein? Wir nehmen einfach ein paar Kerzen mit.
Bei dem Regen?
Mann, dann passen wir halt auf. Ich habe jedenfalls jetzt keine Lust, die ganze Nacht hier zu sitzen. Es ist mir zu kalt und zu dunkel hier drin.
Und draußen nicht?
Nein, ich bleibe hier. Evelyn wäre bestimmt nicht begeistert, wenn sie wiederkommt und wir weg sind.
Ach, die kommt schon klar.
Denkst du nicht, sie hat selbst Besseres zu tun, als uns zu babysitten?
Weiß nicht, aber nach Hause kommt sie auch nicht ohne Auto.
Tja, wenn wir zu Hause wären, könnten wir unsere Eltern bitten, sie heimzubringen.
Ich gehe jetzt. Gute Nacht und viel Spaß an Weihnachten in der Kirche.
Aber jetzt warte doch mal! Dazu hat Jonas keine Lust. Er schnappt sich eine brennende Kerze und marschiert aus der Kirche. Durch das Fenster sieht Philipp, wie das Flämmchen schnell kleiner wird.
Draußen ist es so finster, dass man nicht einmal die Bordsteinkante richtig erkennen kann. Die Kerzenflamme würde kaum ausreichen, um von einem Autofahrer gesehen zu werden. Evelyn ist noch nicht aus dem Büro zurück. Philipp scheint keine andere Wahl zu haben.
Oh Mann, Jonas ist schon außer Sichtweite. So schnell er mit dem verletzten Bein kann, geht Philipp hinterher.
„Jonas, hey, warte, Jonas!“
„Phil, kommst du doch mit?“
„Nein, ich komme nicht mit. Ich will dich wieder reinholen.“
„Vergiss es!“
Energisch stapft Jonas davon. Dabei schaut er nicht richtig hin. Er stolpert über die Bordsteinkante und landet unsanft auf den Knien. Die Kerze fällt ihm aus der Hand direkt in eine Pfütze.
„Alles okay?“
„Na toll! Schönen Dank auch. Als ob das meine Schuld wäre.“
„Komm, ich helfe dir hoch.“
„Ah Mann, danke.“
„Schon gut, jetzt lass uns zurückgehen. Hier finden wir uns doch im Dunkeln nie zurecht.“
„Ja gut, weißt du noch, wo es zur Kirche geht?“
„Zum Glück ja.“
Sie waren noch nicht weit gekommen, als sie sich langsam auf den Rückweg machen.
Als sie den Kirchplatz fast wieder erreicht haben, ruft jemand.
"Hast du das auch gehört?"
"Ähm, lass weitergehen."
"Doch, ich bin mir sicher, da ruft jemand um Hilfe. Wir müssen nachsehen."
"Aber wenn wir uns verirren, brauchen wir selber Hilfe."
"Na, dann passen wir eben auf."
"Hallo, wir hören dich. Wo bist du?"
"Hier drüben! Vorsichtig, ich liege auf dem Boden!"
"Bei dem Wetter?"
Schnell haben sie den kleinen Jungen gefunden. Philipp reicht ihm die Hand.
"Au, vorsichtig! Kannst du aufstehen?"
"Nein, mein Bein tut so weh, das Fahrrad liegt noch drauf."
Das Fahrrad beiseite zu heben ist leicht, aber er hat zu starke Schmerzen, um allein aufzustehen. Als die beiden ihm hochhelfen, sagt er:
"Ich kann ja den linken Fuß nicht belasten."
"Ach, oh! Na, und was jetzt?"
"Wie heißt du denn eigentlich?"
"Ich heiße Hensig."
"Okay, komm, wir bringen dich in die Kirche, Hensig. Vielleicht kann uns Evelyn helfen."
Spinnst du? Wir waren jetzt schon lange weg. Sie will uns bestimmt nicht helfen oder ist vielleicht gar nicht mehr da. Wo soll sie denn ohne Auto so schnell hingekommen sein? Und hast du nicht vorhin gesagt, sie kommt schon klar?
Ja, aber Henrik muss nicht in die Kirche, sondern ins Krankenhaus. Und wie soll er da hinkommen? Wir können keinen Krankenwagen rufen, mit dem Rad geht es verletzt auch nicht, und bis du deinen Führerschein hast, dauert es ja wohl noch ein paar Jahre.
Keesja, ist ja schon gut, dann eben in die Kirche. Danke für eure Hilfe.
So was, weggelaufen sind doch nur zwei. Wir können das erklären, Evelyn.
Na, da bin ich gespannt.
Du hast ja Recht. Aber erst mal braucht Hendrik Hilfe. Sein Fuß ist verletzt und vielleicht sogar gebrochen.
Du meine Güte, aber wir können nicht ins Krankenhaus.
Aber du bist doch Ärztin. Kannst du ihn dir nicht mal anschauen?
Na ja, ich bin Allgemeinmedizinerin. Natürlich schaue ich ihn mir an. Aber ihr müsst nicht denken, ich hätte immer meinen Arztkoffer dabei. Ich sehe, was ich tun kann.
Setz dich erst mal hierhin, Hendrik. Kannst du den Schuh ausziehen?
Hendrik erzählt mit Tränen im Gesicht, was passiert ist. Er war unbeleuchtet mit dem Fahrrad unterwegs gewesen. Das ist normalerweise schon gefährlich, aber im stockdunklen hat es diesen Unfall verursacht. Er war ins Schleudern geraten und gestürzt. Das Fahrrad rutschte weg und fiel ihm auf den Fuß.
Evelyn schaut sich den Fuß genau an. Bei jeder Berührung zuckt Hendrik schmerzverzerrt zusammen. „Ich fürchte, er ist wirklich gebrochen. Was jetzt?“ „Ich werde ihn provisorisch fixieren, dann tut er nicht mehr so weh. Aber Hendrik muss trotzdem so bald wie möglich ins Krankenhaus.“
Solange ich die Schienen anlege, könnt ihr mir ja erklären, was überhaupt vorgefallen ist. „Ihr seid weggegangen, ohne ein Wort zu sagen.“ „Tut uns echt leid, Evelyn.“ „Also eigentlich habe ich ja...“ „Was eigentlich?“ „Ich musste dir doch hinterher.“ „Ist doch gar nicht wahr.“ „Hört auf zu streiten! Was hast du gemeint, Philipp?“ „Bestimmt nichts Wichtiges.“ „Na ja, ich hatte Sorge, dass Jonas was passiert. Tut mir leid, dass ich dann selbst weg bin.“ „Ich muss dir wohl nicht sagen, dass ich mir große Sorgen gemacht habe.“ „Ja klar. Tut mir leid, ich hätte hierbleiben sollen.“
„Ich kann mir vorstellen, dass es eine schwierige Situation war, und daran einem Freund zu helfen ist auch nichts Falsches. Du hättest bloß Bescheid sagen sollen.“ „Bist du sehr sauer?“ „Nein, Philipp, ich bin dir nicht böse. Und Hendrik hat großes Glück gehabt, von euch gefunden zu werden.“ „Na ja, also eigentlich haben wir ja nur wegen mir gefunden.“ „Meinetwegen heißt das.“ „Nein, wegen mir. Wäre ich nicht so mutig gewesen und losgelaufen, hätten wir Hendrik auch nicht gefunden.“
„Nun mal langsam, Jonas, du bist doch nicht gegangen, um Hendrik zu helfen, sondern du hast einfach nicht auf mich gehört und bist weggelaufen. Aber spiel dich nicht als Held auf, wo du dich nicht wie einer benimmst.“
So, Hendrik, das sollte erst einmal halten. Du musst aber gut aufpassen, dass du nicht mit dem linken Fuß auftrittst. Schienen aus Wollsocken und Dirigentenstäben sind nämlich nicht besonders stabil. Danke schön! Tut das sehr weh, oder?
Leg dich hier auf die Bank und leg den Fuß etwas höher auf meinen Rucksack. Es wird alles wieder gut, Hendrik! Okay!
Also, Jonas? Als er sieht, wie tapfer Hendrik ist, verändert sich etwas in seinen Gedanken. Er bittet die anderen um Entschuldigung. Es fällt ihnen nicht schwer, ihm zu verzeihen. So sitzen alle zusammen in der Bankreihe und machen Hendrik weiter Mut, bis sie von einem Besucher unterbrochen werden.
„Hallo, ist hier jemand? Hier bei den brennenden Kerzen, kommen Sie doch herüber!“
„Vielen Dank, ich brauche Hilfe. Ich habe das Fahrrad meines Sohnes gefunden und …“
„Papa!“
Hendrik, zum Glück, es geht ihr gut! Vater und Sohn fallen sich um den Hals. Beide sind ziemlich aufgeregt, und Hendrik beginnt wieder zu weinen, diesmal aber vor Erleichterung. Sein Vater bedankt sich überschwänglich bei Philipp, Jonas und Evelyn.
„Und woher haben Sie gewusst, dass Sie Hendrik ausgerechnet hier finden?“
„Na, gewusst habe ich es nicht, aber als ich das Fahrrad hier gefunden habe, habe ich sofort zu Gott gebetet. Ich habe ihn angefleht, dass Hendrik gut aufgehoben ist und ich ihn finde. Eine Weile bin ich durch die Straßen gefahren, um ihn zu suchen, und da merkte ich plötzlich, dass ich vor der Kirche stehe. Irgendwie hatte ich dann den Eindruck, dass es gut wäre, hier mal nachzuschauen.“
„Das klingt schon ziemlich verrückt, aber es hat gestimmt. Solche Momente kenne ich auch. Selbst in der tiefsten Not lässt Gott uns nicht allein.“
Das passt total gut zu dem Bibeltext, den wir neulich im Kindergottesdienst gehört haben.
Was steht denn da drin? Mein Gott, du machst alles dunkel und mich hell. Wenn es hell wäre, wäre dir das aber nicht passiert.
Das meine ich doch gar nicht. Aber Gott hat auf mich aufgepasst, als ich ganz allein im Dunkeln lag. Jetzt habe ich keine Angst mehr, und mein Papa ist auch wieder da.
Also ist das für dich, als wäre es heller geworden. Das kann ich schon verstehen.
Für mich auch. Ich bin Gott heute wirklich sehr dankbar.
Hendricks Vater will sich nun schnell auf den Weg zum Krankenhaus machen. Gern setzt er unterwegs Philipp, Jonas und Evelyn zuhause ab. Hendrik kann zum Glück gleich behandelt werden, weil das Krankenhaus eine Notstromreserve hat.
Auch Philipps Eltern sind froh, dass er endlich wieder da ist. Sie hatten versucht, ihn abzuholen, aber ein Verkehrsunfall war dazwischengekommen.
Es ist schon alles sehr chaotisch bei Stromausfall.
Wieso ist der Strom in Berenbach überhaupt schon seit Stunden weg? Ohne es zu ahnen, ist ausgerechnet Toni der Antwort näher, als ihm lieb ist.
Begleite ihn dorthin im dritten Teil von „Weihnachten mit der Crew!“