Einführung in die Predigtreihe und persönliche Reflexion über Liebe
Ihr habt es bald geschafft – das ist die gute Nachricht des Tages. Die Reihe geht nicht mehr ewig weiter. Wir sind bei Predigt Nummer sechs von acht zum Thema Love or Die beziehungsweise einem anderen Titel, den wir uns inzwischen ausgedacht haben. Ihr könnt gerne noch ein paar neue Ideen dazu finden.
Im Moment habe ich euch beim letzten Mal mitgenommen zu einem Zwischenstand – meinem persönlichen Zwischenstand – zum Thema: Was ist eigentlich Liebe? Das klingt ganz komisch, denn man müsste doch eigentlich sofort wissen, was Liebe ist. Ich fand die Frage gar nicht so einfach. Vielmehr fand ich es interessant, wie sich Liebe anfühlt. Ja, dazu sagt die Bibel auch mehr, und was Liebe ist.
Ich habe versucht, euch eine Definition zu geben. Ich will ganz bewusst sagen, dass sich diese Definition in meinem Leben bestimmt noch einmal verändern wird. Im Moment ist Liebe für mich Sehnsucht nach Beziehung. Das heißt, Taten der Liebe sind Taten, die Beziehung fördern oder vielleicht überhaupt erst möglich machen.
Wir merken das auch, wenn wir anschauen, wie Gott mit uns umgeht. Ich möchte einfach mal einen Vers vorlesen, den vielleicht jeder kennt. Man sieht ihn manchmal bei Fußballspielen auf Schildern: Johannes 3,16. Ich weiß nicht genau, was das soll, aber ich finde es ganz witzig. Der Vers lautet: „Denn so hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat.“
Gott liebt die Welt. Was heißt das? Es heißt, dass Gott sich mit Taten der Liebe investiert – hier mit der größten Tat der Liebe –, um dafür zu sorgen, dass Menschen eine Beziehung mit ihm eingehen können.
Ihr merkt, wenn ich solche Stellen vorstelle, ist die Definition irgendwie nicht ganz falsch, dass Liebe eine Sehnsucht nach Beziehung ist und Liebestaten Taten sind, die Beziehungen möglich machen oder fördern.
Die Darstellung von Liebe im Hohelied als biblisches Vorbild
Dann hatte ich beim letzten Mal die Frage gestellt: Wie lebt man eigentlich Liebe?
Weil ich gerade so einen hohen Hohelied-Hype habe, denken manche, man könne mit Jürgen über jedes Thema sprechen, und er wird spätestens nach dem dritten Satz das Wort Hohelied verwenden. Das ist ein bisschen wie diese schlechten Sprungbrett-Predigten, bei denen jemand eine Predigt hält und ständig von einem Thema zum anderen springt.
Im Moment geht es mir tatsächlich so, dass ich immer wieder beim Hohelied ankomme. Ich glaube aber, dass man beim Thema Liebe tatsächlich einen Prototypen braucht. Wenn man sich in der Bibel die Frage stellt, wo Liebe am besten dargestellt wird, kommt man wahrscheinlich am Hohelied nicht vorbei. Dort sind Salomo und Sulamit ineinander verliebt.
Das liegt daran, dass das Hohelied in der Bibel Gottes persönliche Vorstellung einer intimen, leidenschaftlichen Beziehung zwischen Mann und Frau zeigt. Die Prinzipien, die zwischen Mann und Frau in der Ehe gelten, sind zwar nicht eins zu eins übertragbar, aber mit ein bisschen Abstand sehr gut auf unsere Beziehungen anwendbar.
Das gilt nicht nur für die Beziehung unter uns, sondern auch für die Beziehung zu unseren Nachbarn – vielleicht sogar zu den Leuten, die wir nicht so mögen. Die Bibel nennt sie Feinde. Auch hier lassen sich Prinzipien aus dem Hohelied gut übertragen.
Genau das möchte ich machen. Deshalb habe ich zehn Prinzipien aus dem Hohelied für uns extrahiert. Beim letzten Mal habe ich euch das wichtigste Prinzip vorgestellt. Ich habe es gemacht, indem ich euch ein Stück Musik vorgespielt habe, und ich möchte euch dieses Prinzip noch einmal mitgeben.
Es ist das wichtigste Prinzip zum Thema Liebe im Hohelied. Ich denke, es ist generell das wichtigste Prinzip, das man verstanden haben muss, wenn man Liebe leben will.
Vielen Dank!
Bewunderung als zentraler Ausdruck von Liebe
Ich weiß nicht, ob es euch so geht wie mir. Man kann 1. Korinther 13 auswendig kennen, man kann es rauf und runter beten. Dann hörst du eine Zeile wie "You are so beautiful to me", und sie spricht in mir einen Teil meines Menschseins an. Dieser Teil springt intuitiv auf und sagt: Ja, das ist Liebe.
Deshalb ist der wichtigste Ausdruck von Liebe im Hohelied – und das ist das, was einem förmlich entgegenspringt, wenn man das Buch auch nur oberflächlich liest – Bewunderung. Das Gegenteil von Bewunderung sind Dinge wie Misstrauen, Desinteresse, vielleicht sogar Ablehnung oder Hass.
Die Frage, die ich mir in letzter Zeit oft gestellt habe, ist: Finde ich den anderen, der mir begegnet? Dabei will ich das nicht nur auf meinen Ehepartner oder jemanden beziehen, der mir in der Jugend oder im Gottesdienst begegnet. Eigentlich gehe ich inzwischen so weit, dass ich am S-Bahnhof stehe, die Leute anschaue und mich frage: Finde ich den anderen eigentlich schön?
Das mag eine seltsame Frage sein. Vielleicht denkt man: Was ist denn mit ihm los? Er ist über 40, kommt langsam in die Midlife-Crisis und hat jetzt so komische Gedanken. Trotzdem finde ich die Frage spannend. Mir kommt jemand entgegen, der eben Bild Gottes ist, der von Gott in einem Maß begabt und schön gemacht ist wie niemand sonst auf der Welt. Ein absolut einzigartiges Original, für den Jesus gestorben ist. Ich möchte Augen haben, die dieses einzigartige Element in seinem Leben erkennen können.
Ich möchte uns die Frage stellen: Wie empfinden wir andere Menschen, wie empfinden wir Geschwister? Das Problem ist nämlich, wenn wir andere Menschen nicht mit den Augen der Liebe sehen, werden sie uns irgendwann zur Last. Wir schauen sie ja an, wir erleben sie ja irgendwie.
Dann denke ich an Menschen nicht mehr bewundernd, sondern im schlimmsten Fall als jemanden, der mir zur Last geworden ist. Vielleicht nur noch als Teil einer Gruppe, als eine Nummer im System. Ich habe das in meinem Dienst erlebt: Menschen werden zu Seelsorgefällen, weil man immer nur noch mit ihren Problemen konfrontiert wird. Das Wunder des Lebens dahinter kann man kaum noch sehen. Dann werden Menschen plötzlich zu Problemen, zu Fremden.
Wenn ich mit so einem Blick rangehe, sehe ich im Anderen nicht mehr das Wunder, sondern nur seine Schwächen. Ich sehe vielleicht die Punkte, an denen mich der andere persönlich verletzt hat. Ich sehe seine Unfähigkeit, mit bestimmten Schwierigkeiten in meinen Augen richtig umzugehen. Ich sehe seine Andersartigkeit, wo wir nicht zusammenpassen, wo wir einfach inkompatibel sind in unserer Unterschiedlichkeit.
Vielleicht sehe ich seinen falschen Umgang mit Zeit, Geld oder Talent. Ich weiß nicht, was ich alles sehe. Aber in dem Moment, in dem ich anfange, den Blick der Liebe zu verlassen, werden diese Dinge hochkommen und dominieren. Die Folge wird sein, dass ich auf Distanz gehe, mich zurückziehe und einen mehr formalen Umgang anschlage. Wir sind ja artige Christen.
Die Freude, die wir einander haben sollten – die Freude, die uns Gott damit geschenkt hat, dass es uns als Geschwister gibt – geht langsam verloren. Vielleicht kommen sogar Vorwürfe auf. Vielleicht entsteht eine Erwartungshaltung in unseren Herzen, die nicht gestillt wird. Vielleicht kommt es sogar zu Stolz, Vorurteilen oder Überheblichkeit.
Ich bin inzwischen davon überzeugt, dass Liebe Wertschätzung braucht. Ich bin überzeugt, dass Liebe Wertschätzung, Bewunderung und ein Verständnis für die einzigartige Schönheit des Nächsten braucht. Wenn wir das nicht haben, reduzieren wir Liebe. Wir reduzieren sie auf Liebestaten.
Wir sind ja gute Christen, dann tut man Liebe, aber man liebt nicht mehr. Man tut die richtigen Dinge, aber es ist so, wie 1. Korinther 13 beschreibt: Da gibt einer seinen Besitz für die Armen, und alle sagen: „Uh, was für ein Vorbild!“ Paulus muss aber sagen: Wenn keine Liebe dahintersteckt, ist es keine echte Liebe.
Eine Tat der Liebe ist das durchaus positiv. Wenn du die Armen unterstützt, die nichts haben, ist das gut, das will Gott. Im Alten Testament wird mehrfach darauf hingewiesen, dass man Gerechtigkeit leben soll. Gott freut sich, wenn die Armen unterstützt werden – das ist richtig.
Jetzt kommt Paulus und sagt: Wenn du das tust, aber keine Liebe dahintersteckt, und du es aus anderen Motiven machst – vielleicht aus dem Wunsch, vor anderen gut dazustehen, oder einfach nur, weil man es als guter Christ tut – dann ist das keine Liebe.
Ich glaube, es besteht die Gefahr, dass wir, wenn wir zusammen sind, uns nicht gegenseitig zur Liebe verhelfen, sondern zu einem Verhalten, das lieb wirkt. Dabei besteht immer die Gefahr, dass das echte Ich, die Sehnsucht nach Beziehung, nicht gelebt wird. Weil ich mich schon lange zurückgezogen habe, weil ich auf Distanz gegangen bin.
Ich tue noch die richtigen Dinge, aber nicht mehr aus der richtigen Motivation. Ich tue Taten der Liebe, aber nicht mehr, um eine Beziehung aufzubauen. Ich weiß nicht, warum man sie tut. Paulus sagt: Egal, welches Motiv dich dazu treibt, noch das Richtige zu tun – und das Richtige kann auch Gemeindedienst sein, Musik, Kindergottesdienst, Predigt oder Bastelarbeit – wenn die Motivation nicht Liebe ist, eine Liebe, die davon getragen wird, dass ich Menschen wertschätze und bewundere, dann ist es in Gottes Augen nichts wert.
Ihr müsst mich nicht falsch verstehen: Ich bin für gute Werke. Ja, ich bin total für gute Werke. Ich glaube, dass gute Werke ein Ausdruck echten Glaubens sind. Es gibt ein ganzes Buch dazu in der Bibel, den Titusbrief, da steht ständig „gute Werke“. Also kein Problem, ich kann auch ein paar Bibelstellen dazu auswendig.
Ich bin für gute Werke, aber nicht für gute Werke, die losgelöst von der Liebe sind. Und ich bin vor allem nicht dafür, dass wir uns gegenseitig so ein Verhalten durchgehen lassen, bei dem wir das Richtige tun, aber an der entscheidenden Stelle Murks machen.
Deshalb diese Gedanken aus dem Hohelied: Das war Bewunderung, das war der erste Punkt. Und ich habe noch neun weitere Punkte. Davon gibt es heute drei.
Nähe als Ausdruck von Liebe und ihre Bedeutung
Der erste Punkt: Was kann ich über Liebe noch von Salomo und Sulamit lernen?
Der erste Punkt knüpft natürlich sofort an das Thema Bewunderung an. Man kann das ja gar nicht voneinander trennen. Ich werde nun neun oder zehn Punkte nennen, bei denen man sagen kann, sie sind alle irgendwie logisch und gehören zusammen. Trotzdem möchte ich sie getrennt betrachten.
Der erste Punkt für heute lautet: Wo geliebt wird, da ist auch der Wunsch nach Nähe vorhanden. Wir schlagen einfach mal das Hohelied auf. Ich zeige euch zwei, drei Stellen, gehe aber nicht zu tief darauf ein. Wenn ihr mehr Interesse habt, mehr über das Hohelied zu hören, gibt es auf frogwords.de von Woche zu Woche immer mehr Vorträge dazu.
So heißt es zum Beispiel im Hohelied 1,2: Sulamit sagt zu ihrem Geliebten: „Er küsse mich mit Küssen seines Mundes, denn deine Liebe ist köstlicher als Wein.“ Und in Vers 4: „Zieh mich zu dir nach, lass uns eilen.“ Dieses „lass uns eilen“ ist ein bisschen schwierig zu übersetzen. Es handelt sich um einen sogenannten ekstatischen Plural. Es meint nicht einfach „uns“ oder vielleicht hier noch „uns“, sondern es geht weiter: „Zieh mich zu dir nach, lass uns eilen, der König möge mich in seine Gemächer führen. Wir wollen jubeln und uns freuen, an dir freuen, wollen deine Liebe preisen mehr als Wein.“
Dass hier im Plural gesprochen wird, ist ein ekstatischer Plural. Sie spricht über sich, ja, aber wenn sie so richtig brennt, dann spricht sie von sich einfach im Wir. Obwohl sie sagt: „Zieh mich hinter dir her, ich möchte bei dir sein, ich möchte deine Liebe, ich möchte da einfach dran sein, ich möchte dir sagen, wie gern ich dich lieb habe.“
Dieser Gedanke zeigt, dass hier eine Initiative von Sulamit ausgeht. Sie sagt: „Hey Schatz, komm!“ und dass sie bei ihm sein will. Sie sagt: „Ich möchte geküsst werden.“ Super, eine Frau, die ihre Bedürfnisse kommuniziert und sagt: „Ich habe Lust darauf, geküsst zu werden.“ Und Salomo antwortet an dieser Stelle: „Na klar, dann machen wir das.“ Sie gehen ja weg.
Dieses Bedürfnis zu kommunizieren und gleichzeitig Bedürfnisse gestillt zu bekommen, dieses auf Nähe und Beziehung Hin angelegt sein, das ist Liebe. Du möchtest wissen, wo zwei Menschen sich lieben? Wenn sie einfach Nähe fördern. Wenn ich bereit bin, mich mit meinen Wünschen zu investieren, wenn ich bereit bin, mich zu öffnen und dem anderen zu sagen: „Schau mal, so geht es mir, da habe ich ein Bedürfnis, kannst du mir bitte dabei helfen?“ Wenn ich das zulasse, dass jemand einen Blick in mein Herz wirft, entsteht Nähe.
Wenn ich vielleicht sogar schwach werde und umgekehrt, wenn ich zuhöre, auf den anderen eingehe, ihm etwas schenke und seine Bedürfnisse stille. Das ist ein ganz wichtiger Punkt von Liebe. Liebe will aufeinander zugehen. Liebe kann nicht distanziert bleiben, nach dem Motto: „Ich liebe dich, aber bitte komm mir nicht zu nah.“ Das ist keine Liebe, das ist irgendeine Form von Modus vivendi. Man hat sich irgendwie eingerichtet im Leben und eine schützende Distanz aufgebaut, damit der andere nicht zu dicht rankommt.
Aber das ist nicht das, was Salomo und Sulamit vorleben. Was sie wollen, steht im Hohelied 3,4: „Kaum war ich an ihnen, den Wächtern, vorüber, da fand ich ihn, den meine Seele liebte, ich ergriff ihn!“ Merkt ihr das? „Komm mal, mit dir kann ich das machen.“ Das ist nicht einfach ein „Ich finde ihn“, sondern ein „Ich ergreife ihn“. Das ist der Gedanke Nähe und nicht nur ein bisschen, sondern Liebe legt es auf Nähe an.
Da will jemand zupacken, da möchte jemand. Denn Liebe hat eine Macht. Liebe ist – ich finde es ein bisschen so – magnetisch. Ich weiß nicht, ob ihr diese extrem starken Magneten kennt. Ich mag die. Das sind so Dinger, wenn du nicht aufpasst und du hast zwei davon in der Hand, dann klappen die zusammen und pressen dir die Haut ein. Das tut richtig fies weh. Erkennt ihr das? Also du hast zwei von denen, und wenn die auf dem Tisch liegen, dann bam! Und irgendwie ist das die Idee von Liebe: Liebe will Nähe.
Wo Liebe ist, da zieht sich das an. Das ist wie die Anziehungskraft zwischen Körpern. Es gibt das ja auch im größeren Bereich, universumsmäßig. Ich bin so der Typ, der daran glaubt. Aber ich weiß, dass unter anderem dabei eine Rolle spielt, dass Massen sich gegenseitig anziehen. So funktioniert Liebe. Das ist ein ganz wesentliches Prinzip.
Wenn wir das aufgeben, wenn wir uns entscheiden, mit bestimmten Menschen nichts mehr zu tun haben zu wollen, wenn wir uns entscheiden, uns zu verschließen, innerlich dicht zu machen, vielleicht auch zu sagen: „Ich sage nichts mehr“, das ist auch eine Form von Dichtmachen, oder „Ich ziehe mich zurück“, oder „Ich werde bei dem mit seinen Bedürfnissen nicht mehr geben, was er von mir braucht“, dann wird es problematisch.
Ich werde es ihm einfach nicht mehr geben. Und das kann Lob sein, praktische Unterstützung, finanzielle Unterstützung oder Kritik. Kritik kommt deshalb weiter hinten, weil vorne die guten Sachen kommen, und da muss man sehr vorsichtig sein. Wenn ich mich dazu entscheide, keine Liebe mehr zu geben, eine gewisse Distanz zum anderen zu wahren, dann muss ich mir darüber klar sein, dass ich nicht mehr liebe. Denn Liebe will Nähe.
Liebe will auch dann Nähe, wenn ich nicht weiß, was auf mich zukommt. Wenn Sulamit in Hohelied 4,16 sagt: „Wach auf, Nordwind! Komm, Südwind! Lass duften meinen Garten, lass strömen seine Balsamöle! Mein Geliebter komme in seinen Garten und esse seine köstlichen Früchte,“ dann redet sie vom ersten Mal, als sie mit Salomo intim wird.
Wir lesen davor, wie sie Angst davor hat, wie das ein Prozess ist, wie es nicht immer ganz klar ist, wie es werden wird, wenn ich mich auf Nähe einlasse. Nähe birgt eine Gefahr: die Gefahr, dass ich verletzt werde. Das Problem ist nur, wenn ich diese Gefahr ausschließen will, wenn ich das nicht mehr möchte, dann werde ich nicht mehr lieben.
Nähe und Sicherheit als Ausdruck göttlicher Liebe
Die Wichtigkeit von Nähe und Liebe zeigt sich auch im Leben des Herrn Jesus. Ist euch aufgefallen, dass er uns aus Liebe nahegekommen ist? Er hat den Himmel verlassen und ist auf die Erde gekommen.
In Johannes 1,14 heißt es: „Und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns, und wir haben seine Herrlichkeit angeschaut.“
Der gleiche Gedanke findet sich in Philipper 2. Dort wird beschrieben, dass Jesus an seiner Göttlichkeit und damit auch an der Distanz seiner Göttlichkeit, am Himmelsein, nicht festhielt. Er hielt sie nicht wie einen Raub fest, das heißt nicht wie ein Räuber, der etwas gestohlen hat und sagt: „Das ist jetzt meins und das gebe ich auch nicht mehr her.“
Philipper 2,5-7 sagt: „Diese Gesinnung sei in euch, die auch in Christus Jesus war, der in Gestalt Gottes war und es nicht für einen Raub achtete, Gott gleich zu sein, sondern er machte sich selbst zu nichts und nahm Knechtsgestalt an, indem er den Menschen gleich geworden ist und der Gestalt nach wie ein Mensch erfunden wurde.“
Gott, der Distanz zu uns hat, kommt und wird so nahe, dass du ihn anpacken kannst.
Ein weiterer Vers zu diesem Thema steht in Offenbarung 21. Dort wird der Himmel beschrieben. Was ist das Einzigartige am Himmel?
Offenbarung 21,2-3 sagt: „Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, aus dem Himmel von Gott herabkommen, bereitet wie eine für ihren Mann geschmückte Braut. Und ich hörte eine laute Stimme vom Thron her sagen: ‚Siehe, das Zelt Gottes bei den Menschen!‘“
Es ist beeindruckend, wenn man das Hohelied liest und merkt, dass Nähe dort eine große Rolle spielt. Man stellt plötzlich fest, dass, wenn Gott liebt, er uns nahekommt. Wenn wir über die Ewigkeit der Liebe Gottes nachdenken, ist ein wesentliches Kennzeichen, dass Gott uns nahe sein wird.
Deshalb ist es so fatal, wenn wir meinen, wir könnten lieben oder liebevolle Menschen sein, obwohl wir in unserem Leben die Entscheidung getroffen haben, auf Distanz zu leben – mit bestimmten Leuten, die uns aus welchen Gründen auch immer noch nicht liegen.
Denn Gott hat das nicht getan. Gott hat nicht gesagt: „Na ja, schauen wir mal, vielleicht komme ich für Wally, aber nicht für Jürgen.“ Nein, er ist auf diese Welt gekommen, ist gestorben und hat ein Angebot gemacht.
Zärtlichkeit und Respekt vor Grenzen in der Liebe
Der nächste Punkt, also der dritte Punkt zum Thema Liebe, ist ein sehr schöner Aspekt, der mir aus dem Hohelied ganz besonders gefällt. Wo Liebe ist und gelebt wird, da ist sie immer zärtlich und erkennt die Grenzen des Gegenübers an.
Wir sind ja unterschiedlich. Wenn wir miteinander umgehen, gibt es eher die „Rambock“-Variante, Menschen, die etwas türeindrückend sind – so bin ich manchmal. Und dann gibt es die vorsichtigeren Typen, manchmal bin ich auch so ein kleines Mimöschen. Wenn so ein Rambock kommt, dann ziehe ich mich erst einmal zurück. Diese kleinen „Häschen“ sind einfach ganz unterschiedliche Typen.
Jetzt lesen wir etwas über die Liebe von Salomo und Sulamit. Wenn wir die beiden am Anfang kennenlernen, merken wir etwas über ihren zärtlichen Umgang miteinander. Wir fragen uns, wie sie dahin gekommen sind. Es ist spannend, denn im Buch gibt es einen Abschnitt, der sich mit ihrer Geschichte vor der Ehe beschäftigt. Wie war ihre Zeit vor der Ehe?
Sulamit hat ein nicht unkompliziertes Elternhaus. Ihre Brüder gehen nicht gut mit ihr um, der Vater scheint früh gestorben zu sein, und sie ist eher eine schüchterne Persönlichkeit. Jetzt kommt Salomo. Der Winter ist vorbei, und er möchte ein Rendezvous.
Er hat ein bisschen Zeit, muss vielleicht nicht so viel arbeiten. In Hohelied 2,8 heißt es erstmals aus der Sicht von Sulamit: „Horch, mein Geliebter, siehe, da kommt er, springt über die Berge, hüpft über die Hügel, mein Geliebter gleicht einer Gazelle oder einem jungen Hirsch.“ Sie sieht ihn kommen, diese Dynamik, und freut sich.
Ganz interessant ist dann das Bild in Vers 9: „Siehe, da steht er vor unserer Hauswand, schaut durch die Fenster herein, blickt durch die Gitter.“ Es wird ein Bild gemalt, in dem er vor der Tür stehen bleibt. Das ist nicht der König, der in John-Wayne-Manier hereinstürmt und ruft: „Hallo, Kleiner, juhu!“ Nein, er bleibt stehen, schaut hinein, sieht sie da drin und wartet vor der Tür. Dieses Bild zeigt ganz bewusst, dass er Distanz wahrt. Er will eine Distanz aufbauen.
Hört euch an, wie er mit ihr umgeht: Er steht draußen und lädt sie ein. Er sagt: „Mach dich auf, meine Freundin, meine Schöne, und komm!“ Er steht draußen und lockt sie. Er manipuliert sie nicht, dominiert sie nicht, zwingt sie zu nichts. Er steht einfach da und sagt: „Hey, komm!“
Weiter unten, in Hohelied 2,14, findet sich ein fantastisches Bild: „Meine Taube in den Schlupfwinkeln der Felsen, im Versteck an den Felsenstufen.“ Versteht ihr dieses Bild? Eine Taube in einer Felsspalte. Wenn du auf sie zugehst, was macht sie? Sie geht noch tiefer nach hinten rein und schaut aus der Dunkelheit ängstlich heraus.
Dieses Bild benutzt er und sagt: „Hey, ich kenne dich. Ich kenne deine Grenzen, deine Angst. Ich weiß, dass du jetzt nicht gleich in meine Arme springen wirst. Aber weißt du was? Ich werde dich nicht überfordern. Ich werde diese Ängstlichkeit, die dein Wesen ausmacht, nicht zum Problem machen. Ich werde das einfach akzeptieren.“
Er weiß, was sie braucht und wie man mit jemandem umgeht, der so ist. Er wird einfach vor der Tür stehen bleiben und sie einladen. Und sie darf entscheiden. Sie darf entscheiden, wann sie herauskommen möchte. Ich finde das so schön, weil es zeigt, wie Liebe wirklich funktioniert.
Liebe will nicht dominieren oder verbiegen, sondern sie lässt Raum und Zeit, damit sich der andere entwickeln kann. Man kann nicht einfach von sich ausgehen und sagen: „Na ja, ich hüpfe über Berge und Hügel, habe damit kein Problem, und der andere muss genauso sein. Wenn er es nicht ist, dann kriegt er halt Zeit, aber irgendwann muss er genauso sein.“
Nein, Liebe nimmt den anderen in seiner Andersartigkeit wahr und stellt sich auf ihn ein.
Dann dachte ich wieder an den Herrn Jesus und stellte fest, wie er mit bestimmten Leuten umgeht. Zum Beispiel mit Petrus. Petrus ist ja nicht der, der von Anfang an der große Bringer ist. Oder sein Umgang mit Thomas. Das sind Leute, bei denen man merkt, Jesus lässt sich einfach auf sie ein.
Klar, Petrus wird gesagt: „Du wirst mich dreimal verleugnen.“ Und er verleugnet ihn tatsächlich dreimal. Aber dann geht Jesus wieder zu ihm und sagt: „Komm, wir starten einfach nochmal neu. Das ist noch nicht vorbei, wir schaffen das gemeinsam.“
Oder bei Thomas, dem sogenannten ungläubigen Thomas. Ich weiß gar nicht, ob er wirklich ungläubig ist, aber sagen wir mal so. Er sagt, er glaubt nur, wenn er die Wundmale sieht. Er kennt die Geschichte.
Was macht Jesus? „Hier, kannst du haben. Wenn du das brauchst, kein Problem. Wenn du mal reinfassen willst, fass rein, mach einfach.“ Verstehst du? Diese Idee: Ich lasse den anderen in seinen Grenzen, vielleicht auch in seinen Unfertigkeiten stehen. Ich gebe ihm die Zeit, die er braucht. Ich kann warten und die Umstände so lenken, dass der andere sich in meiner Nähe entfalten kann.
Und das ohne ihn zu Dingen zu drängen, für die er im Moment noch nicht bereit ist.
Schutz und Stabilität als Grundlage von Liebe
Und auf diese Weise entsteht ein dritter Punkt für heute, ein vierter Punkt insgesamt. Ich habe ihn so genannt: Wo Liebe ist, da gibt es Schutz und Stabilität in einer Beziehung.
Er holt sie zur Hochzeitsfeier ab. Worauf legt er besonderen Wert? Auf zwei Dinge, und eines davon ist jetzt wichtig: Er möchte, dass sie sich sicher fühlt, wenn sie zu ihm kommt. Liebe investiert in Sicherheit. Liebe sorgt dafür, dass der andere merkt: Wenn ich bei dir bin, kann mir nichts passieren.
Da heißt es in Hohelied 3,7: Und das ist das Bild der Senfte, die zu Salomo kommt. Die Hochzeitsfeier steht kurz bevor. Wir würden heute sagen, Salomo hat so eine Stretchlimousine geschickt, und Sulamit sitzt darin.
Jetzt hört euch das an: Hohelied 3,7: Siehe da, die Senfte Salomos, sechzig Helden sind um sie her, von den Helden Salomos. Sie alle sind Schwertträger, geübt im Kampf, jeder hat sein Schwert an seiner Hüfte gegen den Schrecken zur Nachtzeit.
Also wenn Salomo seine kleine Sula vom Land holt – und Salomo lebt in Friedenszeiten, also nicht in einer Zeit voller Probleme – dann schickt er eben mal sechzig Bodyguards mit. Nicht irgendwelche Luschen, die auch mal aus der Stadt rauskommen sollen, sondern the best of the best, die Elite, top ausgerüstet.
Kannst du dir das vorstellen? Dreißig links, dreißig rechts. Wow! Alles so hühnendurchtrainiert, wo eigentlich einer reichen würde, aber es sind sechzig. David hatte dreißig Helden, das ist schon beachtlich, und Sulamit bekommt einfach mal sechzig mit.
Was will uns dieses Bild sagen? Es will uns sagen: Da, wo Liebe ist, da ist Sicherheit.
An anderer Stelle wird Sulamit das so ausdrücken. Sie beschreibt ihre Beziehung und sagt: Die Balken unseres Hauses sind Zedern, unsere Dachsparren sind Wacholder.
Sie stellt sich ihre Beziehung wie ein Haus vor. Da ist nicht so ein Strohdach oben drauf, bei dem man denkt: Na ja, wenn im Sommer ein stärkerer Wind kommt, ist alles weg. Meine Beziehung zu dir ist eine Beziehung mit Dachsparren aus Wacholder und Balken aus Zedern. Das bedeutet Stabilität. Bei dir fühle ich mich sicher.
Wenn wir das heute schreiben würden, dann würde sie zu ihm sagen: In unserer Beziehung fühle ich mich so sicher wie in einem Atomschutzbunker. Das wäre das Gegenstück dazu.
Da, wo Liebe ist, da gibt es Schutz, da gibt es Sicherheit. Da muss man keine Angst vor dem anderen haben.
Und wisst ihr, dass das bei Jesus nicht anders ist? Wenn Jesus uns in diese Welt hineinstellt, sagt er in Matthäus 28,18: Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf Erden. Und dann in Vers 20: Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung des Zeitalters.
Wir haben nicht sechzig Helden, wir haben den, der alle Macht hat im Himmel und auf Erden. Da, wo Jesus in eine Beziehung hineintritt, gibt er Sicherheit. Warum? Weil er uns liebt.
Deshalb gelten solche Zusagen wie in Johannes 14,14: Wenn ihr etwas bitten werdet in meinem Namen, so werde ich es tun. Warum? Weil er uns Sicherheit schenken möchte. Das ist ein Ausdruck seiner Liebe für uns.
Oder wenn wir in Philipper 4,6-7 lesen, dass wir jederzeit unsere Sorgen bei ihm mit Danksagung abgeben können und er uns seinen übernatürlichen Frieden schenken wird. Warum? Brauchst du einen übernatürlichen Frieden zum Leben? Nein, brauchst du nicht. Du kommst auch ohne klar. Es würde nicht ganz so viel Spaß machen, aber irgendwie klappen.
Aber Jesus sagt: Nein, wo ich bin, ist Sicherheit. Und die Mittel, diese Sicherheit zu erlangen, sind: Ich bin bei dir, ich bin allmächtig, du kannst jederzeit zu mir beten, du kannst sogar deine Sorgen bei mir abgeben. Wenn du das tust, mit Danksagung, verspreche ich dir, du wirst meinen übernatürlichen Frieden erben.
Ich bin da, ich mache dein Leben sicher.
Ich mache es nicht problemfrei. Ja, es gibt noch genug, wofür wir beten können – das haben wir heute Morgen ja gehört – aber es ist ein Ausdruck von Liebe.
Zusammenfassung der heutigen Erkenntnisse und Ausblick
Und deshalb heute diese drei Punkte:
Dort, wo Liebe gelebt wird, wollen zwei Menschen Nähe lieben. Wenn wir uns jedoch entscheiden, keine Nähe mehr mit jemandem zu wollen, dann müssen wir ehrlich sein und zugeben, dass wir diese Person auch nicht mehr lieben wollen.
Wenn wir Liebe leben, dann anerkennen wir die Grenzen des anderen. Wir haben kein Problem damit, wenn jemand einen Charakter hat wie eine Taube in einer Felsspalte. Man denkt sich dann vielleicht: „Oh Mann, da kann ich jetzt drei Jahre locken, bis irgendetwas passiert.“ Ja, so ist das einfach.
Vielleicht kommt die Taube dann irgendwann ein bisschen hervor, und man denkt sich: „Hm, aber wie lange hat Gott uns gelockt, bis wir bereit waren, zu ihm umzukehren? Was hat er investiert?“ Immer wieder hat er geschaut, geschaut, geschaut – und irgendwann sind wir ihm ein Stück entgegengegangen.
Das ist das, was Gott in unserem Leben sehen möchte.
Dort, wo Liebe gelebt wird, da ist auch Schutz und Sicherheit. Man muss keine Angst haben, verletzt zu werden. Man muss keine Angst haben, dass der andere Dinge mit einem tut, die einem schaden.
Beim nächsten Mal werden wir uns die Frage stellen: Wie bewahren wir diese Nähe? Auch dazu gibt es drei Punkte, aber das besprechen wir dann erst beim nächsten Mal.