Da machen wir wieder weiter mit dem Thema Gebet. Heute Morgen geht es darum, wie wir mit Gott reden. Heute Abend werden wir dann darüber hören, wie wir Gottes Stimme hören können. Zu einem Gespräch gehört immer beides: Reden und Hören.
Es ist auch interessant festzustellen, dass Gott von Anfang an Worte verwendet hat, um zu kommunizieren. Man könnte sich vorstellen, Gott ist ja so klug, er könnte es auch anders machen. Aber er hat sich entschieden, Worte zu verwenden, um zu kommunizieren.
Wir lesen in Johannes 1,1: „Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.“ Sogar Christus wird das lebendige Wort genannt, der sich im gesprochenen Wort mitteilt.
Im Genesis 1 lesen wir ganz am Anfang: „Am Anfang schuf Gott ... und er sprach: Es werde Licht.“ Also Gott hat immer gesprochen. Das Wort ist das Medium, mit dem Gott redet.
Darum ist Reden, die Sprache, ein geistliches Geschenk. Reden ist etwas ganz Geistliches. Das muss uns mal bewusst werden – es ist nicht nur Zufall oder so nebenbei. Reden ist etwas Besonderes, weil Gott das Wort erwählt hat, um mit uns zu reden.
Ohne Worte wäre es eigentlich unmöglich, unser Leben voll auszudrücken. Sogar die tiefsten Gefühle im Menschen wollen mit Worten ausgedrückt werden. Darum reden wir miteinander.
Die Bedeutung von Sprache und Beziehung im Gebet
Es ist oft interessant zu beobachten, wenn zwei Teenager verliebt sind. Wenn sie mit ihren Handys telefonieren, zum Beispiel am Bahnhof oder Flughafen – dort kennt mich ja niemand. Dann sitzt jemand neben mir, und nach einer Minute oder sogar nach nur dreißig Sekunden merkt man: Er oder sie ist verliebt und spricht gerade am Handy.
Sie reden oft eine halbe Stunde lang eigentlich nur über völlig Unwichtiges. Wenn sie diese halbe Stunde nicht reden würden, würde niemand etwas Wichtiges verpassen. Aber diese halbe Stunde ist trotzdem wahnsinnig wichtig, weil sie sich selbst mit Worten teilen.
Daraus ergibt sich die Frage: Wie sieht unsere Beziehung, unser Leben mit Gott aus? Teilen wir uns Gott mit, auch wenn es nicht wichtig erscheint? Teilen wir ihm einfach unser Leben mit?
Ich habe schon oft von Christen gehört, die gesagt haben: „Hans-Peter, ich habe schon alles versucht, aber ich kann Gott nicht spüren, ich erlebe ihn nicht.“ In dieser Resignation hören manche Christen dann ganz mit dem Gebet auf, weil es einfach nicht funktioniert. Manche wenden sich sogar ganz von Christus ab. Das kann ich verstehen.
Es gibt ja ein Kantrellied, das heißt „How can it be wrong if it feels so right?“ – „Wie kann es falsch sein, wenn es sich so gut anfühlt?“ Natürlich bezieht sich das auf Liebe und Sex. In Bezug auf Gebet würde ich es anders formulieren: „How can it be right if it feels so wrong?“ – „Wie kann es richtig sein, wenn es sich doch so falsch anfühlt?“
Wir alle wissen: Gebet ist richtig. Aber die meisten von uns müssen vielleicht auch zugeben, dass wir uns dabei oft schwer tun und eigentlich wenig erleben.
Dann hört man manchmal: „Ja, Christsein hat nichts mit Gefühl zu tun, Gefühle sind gefährlich und so weiter.“ Wisst ihr, das stimmt ja ein bisschen – aber nur ein bisschen. Denn wenn Christsein tatsächlich eine Beziehung, eine Liebesbeziehung zu Gott ist, und es dabei keine Gefühle gibt, dann wäre das eine ziemlich komische Beziehung.
Gott hat uns Gefühle gegeben. Und ich hätte ehrlich gesagt auch keine Frau geheiratet, zu der ich gar keine Gefühle habe. Ich kenne zwar auch Menschen, die das gemacht haben, und es funktioniert auch, aber es wäre nicht unbedingt das, was ich möchte.
Die Herausforderung des Gebets in verschiedenen Gemeinden
Es ist interessant: Wenn es zum Gebet kommt, sind wir oft ziemlich hilflos. Wisst ihr, wie sich diese Hilflosigkeit am besten ausdrückt oder wo sie offensichtlich wird? Sie zeigt sich in den verschiedenen Gemeinden.
Ich habe ein großes Vorrecht: Ich predige sowohl in extrem konservativen Gemeinden als auch in extrem modernen, charismatischen, offenen Gemeinden. Wenn ich mir diese anschaue, entdecke ich immer wieder eine gewisse Hilflosigkeit.
Auf der einen Seite bin ich oft in Gemeinden, in denen die Menschen beim Beten nur stocksteif dasitzen. Dort wird nicht gelacht, es passiert so gut wie nichts. Wenn man die Wimpern hebt, ist das schon fast Ekstase. So beten und singen sie. Da frage ich mich: Ist das eine Liebesbeziehung? Ist das, wie man sich normalerweise ausdrückt?
In anderen Gemeinden hüpfen die Menschen, sie bellen, fallen nach vorne und nach hinten. Auch hier frage ich mich: Ist das eine Liebesbeziehung? Drückt das aus, wie man normal mit Gott lebt?
Ich will niemanden angreifen, darum geht es nicht. Ich möchte nur feststellen, dass es eine große Hilflosigkeit gibt, die sich in unserem Verhalten ausdrückt.
Wie können wir lernen, normal mit Gott zu leben? Nach seinem Wort und seinem Charakter, ohne dabei die Gefühle zu verlieren – einerseits – und ohne dass die Gefühle überhandnehmen – andererseits? Balance ist ein goldenes Wort im Christentum. Der goldene Mittelweg ist ein guter Spruch und meistens der richtige.
Heute Morgen möchte ich anhand von drei Punkten das Problem analysieren und auch eine Hilfestellung geben. Das Schöne bei unserem Gott ist: Er diagnostiziert nicht nur unser Problem, sondern er heilt uns. Er ist ein Arzt, der nicht nur das Problem erörtert, sondern auch Heilung schenkt.
Die drei Sprachen des Menschen im Umgang mit Gott
Ich habe heute Morgen drei Punkte. Der erste Punkt betrifft drei verschiedene Sprachen, die wir als Menschen sprechen. Es gibt vielleicht noch mehr, aber diese drei Sprachen benutzen wir ständig. Teilweise ist die erste Sprache diejenige, die jedes Baby spricht, wenn es gesund auf die Welt kommt.
Diese erste Sprache nennt man die Sprache der Vertrautheit oder die Sprache der Beziehung. Wir nennen sie auch Babysprache. Ein Baby kommt auf die Welt und macht ein paar Laute. Was das Baby da „redet“, ist nicht intelligent. Es hat kaum Bedeutung, also wenig Inhalt, aber eine große Bedeutung.
Früher, bevor ich Kinder hatte, habe ich mich oft gewundert, warum Väter, die sonst ganz intelligent sind, auf einmal so komisch werden, wenn sie mit ihren Babys reden. Sie sagen dann Dinge wie „da da da“ oder „ba ba ba“ – als ob sie behindert wären. Aber als ich selbst Vater wurde, lag das Baby da und machte „da da da“, und ich machte genau dasselbe. Das ist die sogenannte Babysprache.
Diese Sprache ist nicht intelligent, aber extrem reich an Bedeutung. Sie ist die Sprache der Beziehung und entwickelt Vertrauen zwischen Vater und Kind. Ich nehme jetzt den Vater als Beispiel, weil ich selbst Vater bin. Die Mutter natürlich wahrscheinlich noch mehr.
Ich weiß nicht, wer König Friedrich war, aber er hat mal einen Versuch gemacht, um herauszufinden, was die Ursprache ist. Er verbot den Hebammen und Schwestern, mit den Babys zu sprechen. Die Babys starben alle, weil diese Beziehungssprache fehlte. Das ist die Sprache Nummer eins.
Sprache Nummer zwei lernt das Baby, wenn es etwas größer wird. Dann lernt es die sogenannte Sprache der Information. Ein kleines Kind merkt sehr schnell, dass all diese wunderbaren Dinge Namen haben. Das ist nicht „Mäh“, das ist ein Schaf. Das ist nicht „Mu“, das ist eine Kuh, die Milch gibt. Wenn sie Gras frisst, wächst sie usw.
So lernt das Kind die ganzen Namen und Zusammenhänge. Diese Sprache nennt man die Sprache der Information oder auch Sprache der Schule. Warum schicken wir Kinder in die Schule? Damit sie informiert werden. Information ist die zweite Sprache.
Parallel zur zweiten Sprache lernt das Kind eine dritte Sprache, die sogenannte Sprache der Motivation. Ein kleines Kind entdeckt sehr schnell: Wenn ich lang genug und laut genug schreie, kann ich zwei Erwachsene dazu bringen, Dinge zu tun, die sie nie geplant hatten. Das nennt man Motivation.
Ich motiviere jemanden durch Sprache. Wir werden ständig durch Worte motiviert und bewegt. Worte haben Macht. Politiker wissen das und nutzen es. Nicht nur Politiker, auch viele andere. Auch die Werbung macht davon Gebrauch.
Übrigens, ihr wisst sicher, warum ihr heute hier seid – und ich auch. Irgendjemand hat euch informiert, also Sprache Nummer zwei, dass das stattfindet. Und irgendetwas oder irgendjemand hat euch motiviert, hierher zu kommen. Ihr seid hier wegen Sprache Nummer zwei und Sprache Nummer drei: Information und Motivation.
Unsere Gesellschaft wird von Sprache Nummer zwei und Sprache Nummer drei dominiert. Wir sind gut darin, Dinge zu beschreiben. Wir lernen in Motivationskursen, die Sprache zu verwenden, um Menschen zu motivieren.
Jetzt kommt das Problem: Sprache Nummer eins, die erste Sprache, die Sprache der Vertrautheit und Beziehung, bleibt auf der Strecke. Nachdem ein Kind aus der Wiege heraus ist und etwas wächst, findet es immer weniger Möglichkeiten, diese Sprache zu üben. Je älter es wird, desto mehr verlernt es diese Sprache.
Es gibt eine kurze Wiederentdeckung dieser ersten Sprache, wenn sich zwei Teenager verlieben. Plötzlich reden sie nur noch so. Meine Tochter wird bald 14, der Lukas ist 16. Sie haben Handys, die nicht mehr viel kosten, und telefonieren stundenlang. Dabei geht es nicht um Information oder Motivation, sondern einfach darum, miteinander zu reden. Das passiert, wenn sich zwei Menschen verlieben.
Das geschieht auch, wenn ein Mann, Vater oder Wirt, und seine Frau, Mutter oder Wirtin, die erste Sprache mit dem Baby entdecken. Dann reden sie völlig sinnlos und lachen dabei.
Es gibt noch eine Gruppe von Menschen, die fast ausschließlich diese Sprache Nummer eins sprechen. Darum sind sie so schöne Menschen – und das sind geistig Behinderte. Geistig Behinderte motivieren nicht bewusst, obwohl sie es tun, und informieren auch nicht bewusst. Sie reden einfach, sie plappern einfach. Darum sind sie so schön.
Ich war vor kurzem auf einem Kongress. Beim Frühstück kam immer ein junger Mann namens Tim, 26 Jahre alt, auch geistig behindert, an meinen Tisch. Er hatte gesehen, dass ich vorher gesprochen hatte, und sagte: „Hans-Peter, ich mag dich.“ Jeden Morgen gab er mir einen Kuss. Und jeden weiteren Morgen kam er wieder und sagte: „Hans-Peter, ich mag dich immer noch“ – wieder einen Kuss. Es war richtig nett mit ihm.
Das ist diese erste Sprache.
Gebet als Sprache der Vertrautheit und Beziehung
Und jetzt kommt das Geheimnis: Gebet, das Reden mit Gott, ist Sprache Nummer eins – die Sprache der Vertrautheit und der Beziehung.
Ich habe Neuigkeiten für euch: Wenn du betest, musst du Gott nicht informieren. Rate mal, warum? Er weiß wesentlich mehr als du.
Und die zweite Neuigkeit: Wenn du betest, musst du Gott nicht motivieren. Das hat auch einen einfachen Grund: Er ist wesentlich besser als du.
Was bleibt übrig? Sprache Nummer eins.
Wisst ihr, warum wir im Gebet oft so hilflos sind? Weil wir diese Sprache verlernt haben. Darum gilt es, diese erste Sprache – die Sprache der Beziehung und des Vertrautseins – neu zu lernen.
Kinder sprechen diese Sprache, wie wir schon erwähnt haben. Früher hat mich das immer fasziniert. Jetzt sind meine Kinder auch schon ein bisschen darüber hinaus. Als sie noch kleiner waren, hatten wir öfter Missionare, Ehepaare mit Kindern, die bei uns gewohnt haben – eine Woche oder zwei.
Zweimal waren welche da, deren Kinder weder Englisch noch Deutsch konnten. Die einen sprachen nur Griechisch, die anderen kamen aus Indien und sprachen nur ihre eigene Sprache. Was mich fasziniert hat: Unsere Kinder waren ungefähr gleich alt wie die Kinder der Missions-Ehepaare. Die Kinder waren zwei Wochen bei uns, unsere Kinder hatten Ferien.
Sie haben jeden Tag miteinander gespielt und den ganzen Tag miteinander geredet – ohne ein einziges Wort zu verstehen. Nach zwei Wochen gingen sie auseinander als beste Freunde.
Was ist das? Das ist Sprache Nummer eins.
Darum sagt auch Jesus: Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen (Matthäus 18,3).
Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, dann könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen. Ihr werdet mich nicht verstehen.
Und das Schöne, das Ermutigende ist: Man kann diese Sprache wieder lernen.
Persönliche Erfahrung mit der Sprache der Beziehung
Nur eine persönliche Geschichte, aber ich habe die Notiz immer hier, und das kann ich schnell erklären.
In dem Haus, in dem ich wohne, bin ich geboren. Ich wohne immer noch dort, denn mein Elternhaus habe ich geerbt. Es ist eine Frühstückspension, in der man Urlaub machen kann. Meine Frau führt sie, das hält sie beschäftigt, und sie macht das recht gerne.
Meine Frau kommt ebenfalls aus der Gegend, in der wir wohnen, nur zehn Minuten entfernt, in einem anderen Dorf. Ganz interessant: Ihr Dorf ist hundert Prozent katholisch, meines ist hundert Prozent evangelisch. Das ist eine ganz knappe Grenze. Wir haben immer genug zum Reden, denn wir haben Hunderte Verwandte – ohne Übertreibung. Was wir an Verwandten haben, ist eine Katastrophe.
In meinem Dorf gibt es nur zwei Einwohner, die kenne ich alle. Dort habe ich mein ganzes Leben lang gewohnt, und jeder kennt mich. Im Dorf von Hannelore leben nur 600 Menschen, und die kennen sie noch besser. Wir haben also genug Verwandte und Freunde.
Wir haben eine Frühstückspension mit Gästen, drei Kinder, ich habe mehr als zwanzig Mitarbeiter. Außerdem haben wir siebzig Gäste im Dauernhof oder Bibelschüler – je nachdem, wer gerade da ist. Ich bin im Bergrettungsdienst, im Höhlenrettungsdienst und bei den Bergführern aktiv. Also haben wir auch im Sommer immer viel zu tun. Irgendetwas gibt es bei uns immer zu besprechen.
Als die Kinder klein waren, sind wir zehn Jahre lang nicht auf Urlaub gefahren. Ich war mit Hannelore nicht allein. Für die Kinder sind wir mal zwei, drei Tage weggefahren, aber das war ja kein Urlaub, sondern hatte mit den Kindern zu tun. Hannelore fühlte sich dabei nicht wohl. Die Kinder waren klein, und ich hätte sie zuhause eingesperrt, sie hätten schon überlebt, aber Hannelore wollte das nicht.
Nach zehn Jahren hat sie sich überwunden, die Kinder zuhause zu lassen – nicht eingesperrt, sondern bei den Großeltern. So sind wir zum ersten Mal, nur wir zwei, alleine auf Urlaub gefahren. Damals waren wir in Spanien, das war vor ein paar Jahren, und wir haben uns wirklich gefreut. Endlich mal nach zehn Jahren Urlaub zu zweit.
Wir sind hingeflogen, haben geschlafen, gefrühstückt, und die nächsten Tage waren recht nett, schön, warm und sonnig. Nach dem Frühstück sagte ich: „So, was tun wir jetzt?“ Sie antwortete: „Ja, was willst du schon wieder tun? Wir sind auf Urlaub.“ Da sagte ich: „Irgendetwas müssen wir ja tun. Du bist zwar nicht hässlich, aber dich den ganzen Tag anzuschauen, ist auch kein Urlaub. Irgendwas müssen wir schon machen.“
Ich muss ehrlich sagen: Die ersten paar Tage waren eine Katastrophe. Und wisst ihr warum? Es gab keine Verwandten, keine Freunde, keine Kinder, keine Mitarbeiter, keine Studenten, nicht mal Hasen – nichts war da. Nur wir zwei, und wir wussten nicht mehr, worüber wir reden sollten.
Seht ihr? Die ersten Tage waren eine kleine Katastrophe. Aber dann haben wir gemerkt, dass wir das wieder lernen müssen. Und das Schöne war: Man kann es wieder lernen. Danach wurde es ein super Urlaub, wir hatten viel Spaß und gute Gespräche. Es war echt nett.
Ich erzähle das deshalb als Ermutigung: Man kann diese erste Sprache wieder erlernen – sowohl in Bezug auf Menschen als auch in Bezug auf Gott. Gebet ist Sprache Nummer eins, die Sprache der Vertrautheit und Beziehung. Natürlich beinhaltet sie auch Information und Motivation, das ist ja okay, aber darum geht es nicht.
Die „Aber“-Erfahrung im Gebet – Jesus als Vorbild
Das Zweite Punkt zwei nenne ich die sogenannte Aber-Erfahrung, die mir auch geholfen hat. Jesus ist dabei unser Vorbild. Wenn Jesus mit seinem Vater redete, hat er immer gesagt: „Aber Vater“. Aber heißt so viel wie Papa oder Daddy, mein Vati.
In Lukas 11 lesen wir die Geschichte, in der sich Jesus wieder einmal zurückgezogen hat. Das hat er regelmäßig gemacht. Die Jünger konnten ihn nicht finden und suchten ihn. Schließlich fanden sie ihn irgendwo. Als sie ihn fanden, betete Jesus. Die Jünger hatten noch nie einen Menschen gesehen, der so gebetet hat wie Jesus.
Als sie ihn fanden, sagten sie zu Jesus: „Herr, lehre uns beten.“ Sie baten ihn nicht, ihnen die Technik des Betens zu lehren, sondern fragten: „Herr, lehre uns beten. Was ist das Eigentliche am Gebet?“
Daraufhin lehrte Jesus sie und sagte: „Wenn ihr betet, dann betet so: Unser Vater, der du bist im Himmel.“ Diese zwei Worte „Unser Vater“ sind für dich und mich heute so geläufig, dass sie kaum noch real erscheinen. Für die Jünger damals waren sie schockierend und revolutionär.
Seht ihr, jeder Prophet im Alten Testament hat sich danach gesehnt, diese Worte zu hören, hat sie aber nie gehört. Jesaja, der größte aller Propheten, rief, als er Gott sah: „Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaot.“ Aber Jesaja hat nie gehört, was die Jünger gehört haben.
Ezechiel, Jeremia, Daniel, Amos und alle anderen kannten Gott zwar als den Heiligen, Mächtigen und ewigen Gott, aber sie haben nie gehört: „Aber Vater.“ Für die Jünger war das die revolutionärste Offenbarung, die sie je erfahren haben – dass sie Gott mit „Aber Vater“ anreden können.
In Römer 8,15-16 schreibt der Apostel Paulus: „Denn ihr habt nicht einen Geist der Knechtschaft empfangen, wieder zur Furcht, sondern einen Geist der Sohnschaft habt ihr empfangen, indem wir rufen: Aber Vater! Der Geist selbst bezeugt zusammen mit unserem Geist, dass wir Kinder Gottes sind.“
Wisst ihr, warum diese Ansprache für einen Juden schockierend und revolutionär war? Weil das aramäische Wort „aber“ von kleinen Kindern benutzt wurde. Wenn der Vater früh zur Arbeit ging, kam das kleine Kind, hielt sich fest und sagte: „Aber, wann kommst du wieder nach Hause?“ Ein Baby benutzte diese Sprache, um mit dem Vater zu reden.
Jesus sagte: Dieses Wort sollt ihr benutzen, wenn ihr zum allmächtigen, heiligen, ewigen Gott redet. Ihr sollt zu ihm kommen in Babysprache.
Die Frage ist: Wie kommst du zu Gott? Gehst du zu Gott in diesem kindlichen Vertrauen? In dieser Intimität, die ein Kind hat, wenn es beim Vater auf dem Schoß sitzt?
Wisst ihr, meine Kinder sitzen jetzt nicht mehr so oft auf meinem Schoß – nur die Kleinen noch. Ein Kind habe ich noch übrig, sage ich immer: die Elfjährige, die glaubt immer noch, ich sei perfekt. Die anderen haben das schon geschnallt. Für die kleinen Kinder sind Vater und Gott auf derselben Stufe. Aber das ändert sich mit der Zeit, und das ist auch nicht schlecht.
Wenn meine Kinder auf meinem Schoß saßen, war es mir völlig egal, wie sie saßen – ob sie am T-Shirt zupften, mit ihrem Auto spielten oder mit dem anderen Kind redeten. Das war mir völlig egal.
Und wisst ihr, was das Schöne ist? Genauso können wir bei Gott sein. Wir glauben immer, wenn wir bei Gott sind, dann müssen wir aufrecht auf seinem Schoß sitzen, Hochdeutsch sprechen und alles Mögliche. Aber das ist nicht die Realität. Weder in der Schrift noch im Leben.
Wir sollten zu Gott kommen aus unserem „Aber“, unserem Vati. Es fällt uns manchmal schwer, besonders den Männern, weil es unserem Stolz widerspricht.
Die kindliche Beziehung zu Gott als Kennzeichen des Glaubens
Und das Dritte noch: Da kann es schon ein bisschen runtergehen. Jesus hat seine Jünger nämlich „meine Kindlein“ genannt. Das ist eigentlich ganz amüsant.
Stellt euch mal vor: Jesus war selbst erst etwa dreißig Jahre alt. Die Jünger waren vielleicht sogar älter als er, wer weiß. Petrus zum Beispiel, ich kann mir ihn vorstellen als Fischer, ein richtiger Halbwilder mit Vollbart. Und Jesus nennt diese Männer „meine Kinder“.
Aber genau das sind wir: Seine Kinder. Das Wahrzeichen eines wahrhaft Gläubigen ist, wenn wir zu Gott kommen und ihn als „mein Vati“ oder „mein Papa“ ansprechen. Und wie du dann bei ihm bist, ist Gott ziemlich egal. Hauptsache, du bist bei ihm.
Das hat mir geholfen, in meinem Leben normal mit Gott zu leben. Nicht ein Ritual aus dem Gebet zu machen, sondern mich einfach wohlzufühlen in der Gegenwart Gottes – respektvoll, aber intim.
Die Praxis des unablässigen Gebets
Und das Dritte, was mir sehr geholfen hat, ist Beten ohne Unterlass.
Da gibt es einen Vers, den kennt ihr wahrscheinlich alle. Schlagt mal auf, wenn ihr eine Bibel dabei habt, den ersten Thessalonicher. 1. Thessalonicher 5,17 ist der bekannte Vers, den wir diesbezüglich oft zitieren. Ein ganz kurzer Vers, nur zwei Worte: „Betet unablässig“, steht es in der Elberfelder, oder „Betet ohne Unterlass“, glaube ich, sagte Luther. Das heißt, bete unablässig, bete ohne Unterlass.
Diesen einen Vers kenne ich schon lange. Er sticht irgendwie heraus, zumindest für mich. Aber ich habe immer gedacht: Das ist doch nur ein Vers, das ist doch unrealistisch. Der kann nicht meinen, was er sagt. Der wird schon irgendetwas anderes meinen damit. Unablässig, ohne Unterlass kann ja kein Mensch beten. Ich muss ja auch mal arbeiten, ich muss ja auch mal essen, ich muss ja auch mal schlafen usw.
Aber vor zwei Jahren, glaube ich, hat mir ein lieber Freund, ein alter evangelischer Pfarrer, einer meiner lieben Väter, geschrieben. Hans Peter sagte: „Weißt du, wie oft im Neuen Testament steht, wir sollen ohne Unterlass, ständig, Tag und Nacht, immer beten? Mindestens zwanzig Mal.“ Ich lese euch nur ein paar daraus vor, die anderen könnt ihr selber in der Konkordanz suchen.
Erstens, 1. Thessalonicher 2,13: „Wir danken Gott ohne Unterlass.“
1. Thessalonicher 3,10: „Tag und Nacht bitten wir inständig.“
1. Thessalonicher 5,16: „Betet ohne Unterlass.“
2. Thessalonicher 1,11: „Wir beten alle Zeit.“
Römer 1,9-10: „Ich gedenke an euch ohne Unterlass, ich flehe alle Zeit in meinen Gebeten.“
Römer 12,12: „Seid beharrlich im Gebet.“
Epheser 1,16: „Ich höre nicht auf, zu danken in meinem Gebet.“
Epheser 6,18: „Betet alle Zeit, wacht mit Beharrlichkeit im Gebet.“
Der Herr Jesus selbst hat gesagt, Lukas 21,36: „Seid alle Zeit wach und betet.“
Und in Lukas 18 sagt Jesus, dass sie alle Zeit beten und nicht nachlassen sollen, denn Gott wird Recht schaffen denen, die Tag und Nacht zu ihm rufen.
Psalm 86,3: „Den ganzen Tag rufe ich zu dir.“
Psalm 88, Tag und Nacht: „Tag und Nacht rufe ich zu dir.“
Der Grund, warum die Bibel ein solches Gewicht darauf legt, ist ganz einfach: Diese Kommunikation, diese Gemeinschaft, diese Einheit mit Gott ist das Wahrzeichen eines Gläubigen.
Praktische Tipps zum unablässigen Gebet
Nun, wie können wir das wieder neu lernen? Etwas, das mir vor Jahren sehr geholfen hat, war ein Tagebuch von Frank Laubach. Hat das mal jemand gelesen? Wahrscheinlich nicht. Es gibt es jetzt auch auf Deutsch, und ich kann es nur empfehlen. Vielleicht gibt es hier sogar einen Buchladen mit Werken von Bruder Lawrence und Frank Laubach.
Der englische Titel lautet „Practicing the Presence of God“. Ich weiß nicht genau, wie der deutsche Titel ist, aber es gibt das Buch auch auf Deutsch. Es ist neben meiner Bibel das Büchlein, das ich am meisten lese.
Frank Laubach war Pfarrer und danach Missionar auf den Philippinen, auf der Insel Mindanao, wo er unter den islamischen Moros arbeitete. Er hat viele Bücher geschrieben. Ich muss ehrlich sagen, dass ich mit vielem, was er sagt, nicht übereinstimme. Seine Theologie ist manchmal etwas ungewöhnlich. Aber das ist völlig egal.
Ich möchte euch ermutigen: Wenn ihr jemandem zuhört und mit einem Punkt nicht übereinstimmt, wisst ihr, welcher Fehler oft gemacht wird? Dass man dann einfach abschaltet und sagt: „Na, der kennt die Wahrheit nicht.“ Freunde, das ist einer der größten Fehler, die man machen kann. Hört jedem zu, prüft alles und behaltet das Gute.
Ich habe bis jetzt von jedem etwas gelernt – von liberalen Dialogpartnern, von Charismatikern und von Konservativen. Ich lerne von jedem etwas. Außerdem lernst du immer, wie man es machen soll oder wie man es nicht machen soll. Etwas lernst du immer.
Deshalb schätze ich Frank Laubach sehr. Er ist 1970 gestorben und hat ein Tagebuch geschrieben, das mir sehr geholfen hat, das unablässige Gebet zu lernen. Ich lese euch nur ein paar Auszüge daraus vor. Das dauert nur drei Minuten.
Zwanzigster Januar 1930:
„Unterordnung ist die wichtigste Aufgabe des Menschen.“ Genau das habe ich in meinem Leben als Christ gebraucht. Eine tiefe Unzufriedenheit veranlasste mich vor zwei Jahren dazu, einmal zu versuchen, mein Handeln etwa alle fünfzehn oder dreißig Minuten mit dem Willen Gottes in Einklang zu bringen.
Sechsundzwanzigster Januar:
Gestern und heute habe ich ein neues Abenteuer ausprobiert. Es ist schwer zu erklären. Ich spüre Gott durch einen bewussten Akt des Willens. Ich will, dass er meine Finger leitet, wenn ich jetzt auf der Schreibmaschine schreibe. Ich will, dass er in meinen Schritten ist, wenn ich laufe, dass er meine Worte lenkt, wenn ich rede, und meine Kiefer, wenn ich esse.
Vielleicht hast du Einwände gegen eine solche Introspektion. Nun, versuche es nicht, solange du in deiner Beziehung zu Gott nicht so unzufrieden bist wie ich.
- Januar 1930:
Ich habe das Gefühl, dass ich jede Stunde einfach getragen werde. Es ist dieses Gefühl, mit Gott auch in den kleinsten Dingen zusammenzuarbeiten, das mich so erstaunt. Es scheint, als müsste ich nur auf eines achten, dann passiert alles andere von ganz allein. Dann kümmert sich Gott um den Rest.
Meine Aufgabe ist es, in dieser Stunde im ständigen inneren Gespräch mit Gott zu bleiben und unbedingt auf seinen Willen zu reagieren, damit diese Stunde reich und herrlich wird.
- März 1930:
Wie praktikabel ist das nun für einen normalen Menschen? Er war ein Missionar und Pfarrer, nicht „normal“, aber ihr wisst, was er meint: die, die nicht im vollzeitlichen Dienst stehen.
Ich denke, selbst ein Bauer könnte so leben: Meine Augen auf der Furche, meine Hände an den Zügeln, die Gedanken bei Gott. Die Millionen an den Webstühlen und Drehbänken könnten herrliche Stunden erleben. Die Stunde eines Nachtwächters könnte zur herrlichsten Stunde werden, die je ein Mensch auf Erden erlebt hat.
- März:
In jedem wachen Augenblick habe ich diese Woche auf ihn geblickt, vielleicht mit Ausnahme von einer Stunde oder zwei. Wie unendlich reicher ist dieses direkte Eingreifen Gottes als die alte Methode, die ich jahrelang benutzt und empfohlen habe, zum Beispiel das endlose Lesen von Andachtsbüchern.
Und zum Schluss, 22. April 1930:
Nach einer schlechten Woche – die hatte er auch immer – habe ich heute Morgen wieder ganz neu angefangen und habe Gott ganz nah im Sonnenaufgang erlebt. Dann habe ich versucht, ihm beim Rasieren, beim Anziehen und beim Frühstücken die Kontrolle über meine Hände zu geben.
Oh, dieser Versuch, ständig in Kontakt mit Gott zu bleiben, ihn zum Gegenstand meines Denkens zu machen, zum Gegenüber in all meinen Gesprächen, ist das Erstaunlichste, was ich je erlebt habe, und es funktioniert.
Ich schaffe es zwar noch keinen halben Tag, aber vielleicht gelingt es mir eines Tages. Jetzt freue ich mich so an der Gegenwart Gottes, dass ich das Gefühl habe, etwas sehr Kostbares aus meinem Leben verloren zu haben, wenn ich auch nur eine halbe Stunde nicht an ihn denke.
Ich weiß nicht, wie es dir geht, wenn du das gelesen hast. Wisst ihr, wie es mir ging, als ich das zum ersten Mal gelesen habe? Ich habe sofort gesagt: „Das ist überzogen, das ist gesetzlich, das ist übertrieben oder zumindest unrealistisch.“
Wenn du das, was er geschrieben hat, als Gesetz siehst, dann bringt es dich sofort um. Wenn du es aber als Hilfe entdeckst, dann ist es eine wunderbare Sache, eine hilfreiche Methode.
Übrigens: Viele Christen haben Angst vor Methode. Jede Methode ist gut, wenn sie dich zu Christus führt. Jede Methode ist schlecht, wenn sie Christus ersetzt. Aber eine Methode, die dich zu Jesus führt, ist eine gute Methode.
Und wisst ihr, warum mir das hilft? Meine Uhr ist einer meiner besten Freunde. Ich schaue auf die Uhr und sage: „Ach Herr Jesus, jetzt haben wir schon drei Stunden miteinander geredet, es wird wieder Zeit.“ Ich mache mir nie ein schlechtes Gewissen. Es ist nur eine Hilfe.
Manchmal sage ich: „Herr Jesus, eine Katastrophe, ich habe so einen ganzen Tag nicht richtig mit dir geredet.“ Und schon rede ich wieder mit ihm.
Frank Laubach hat mal gesagt: Versuche, jede Minute eine Sekunde an Gott zu denken. Er hat das selbst nie geschafft, vielleicht zehn Minuten am Stück. Aber das ist völlig egal. Morgen tue ich es wieder, und heute auch.
Seht ihr, es als Hilfe zu sehen – ja, nie als Gesetz. Und hier müssen wir unser Denken ändern.
Gedanken im Gebet unter dem Gehorsam Christi gefangen nehmen
Wenn ich euch jetzt fragen würde – das Publikum ist heute natürlich sehr gemischt –, übrigens ist es mein Lieblingspublikum. Ich habe am liebsten Zuhörer zwischen fünf und hundert Jahren, weil das Wort für jeden gilt. Es ist völlig egal. Ich bin kein Freund von Spezialgruppen, denn jeder Mensch braucht Jesus und kann lernen, mit Gott zu leben.
Aber wenn ich euch jetzt fragen würde, wie viele von euch auf der Stelle einen Marathon laufen könnten – 42 Kilometer, egal wie schnell, Hauptsache durchlaufen – gibt es jemanden, der das jetzt laufen könnte? Niemand, ich auch nicht. Meine Frau läuft einen Marathon, aber ich glaube, ich schalte sie nicht ganz aus wegen meiner Knie. Keiner von euch.
Jetzt ist es natürlich so, dass einige von euch schon älteres Baujahr sind und das nie mehr schaffen würden. Das hat einfach damit zu tun, dass der Körper nicht mehr ganz mitspielt. Aber ich stelle dieselbe Frage oft in unseren Bibelschulen, und die sind so zwischen 20 und 30 Jahre alt. Da hebt auch höchstens einer die Hand, vielleicht mal zwei. Dann sage ich: „Okay, Freunde, jetzt lauft mal einen Marathon.“ Wisst ihr, was die Leute sagen? „Ja, das ist ja unmöglich, das geht ja nie!“
Dann sage ich: „Was wäre, wenn wir jetzt nicht nur drei Tage hier auf dieser Höhe bleiben, sondern ein Jahr? Und wir beginnen morgen mit unserem Training. Wir fangen klein an, laufen mal zehn Minuten am Anfang, vielleicht Nordic Walking. Das Essen wird natürlich abgestimmt, und so weiter. Dreimal, viermal die Woche üben wir ein bisschen, von zehn Minuten auf fünfzehn, dann auf zwanzig.“
Dann frage ich die jüngeren, die gesunden Leute: „Wie viele von euch glaubt ihr, würden in einem Jahr einen Marathon laufen?“ Alle Hände gehen hoch. Wisst ihr, warum wir in einem Jahr Marathon laufen? Weil wir uns geübt haben.
Erst im 1. Timotheusbrief Kapitel vier Vers sieben sagt Paulus zu seinem geistlichen Sohn Timotheus: „Übe dich in der Gottesfurcht.“ Im Englischen gefällt mir das noch besser: „Train yourself to be godly.“ Trainiere dich selbst, gottesfürchtig zu sein. Es ist ein Training.
Und weißt du was? Wenn ich Christen sage: „Bete ohne Unterlass“, sagen viele: „Ja, das ist unmöglich, das geht ja nie.“ Dann frage ich: „Hast du dich schon jemals darin geübt? Schon jemals angefangen zu üben?“ Fang klein an. Benutz die Uhr als Hilfe, um bewusst in dieser Gemeinschaft zu leben.
Ich war öfter in Australien, weil ich auf Konferenzen predige. Dort treffe ich immer die interessantesten Menschen. Vor einigen Jahren habe ich einen Psychologen getroffen, der sagte: „Hans-Peter, ist dir bewusst, dass jeder Mensch am Tag siebentausend Gedanken denkt?“ Keine Ahnung, wie er das herausfinden wollte. Aber egal.
Eins ist sicher: Wir denken sehr viel. Manche sagen, es seien zwanzigtausend Gedanken. Das kann kein Mensch genau feststellen, aber nehmen wir an, wir denken zwischen tausend und zwanzigtausend Gedanken. Es stimmt, wir denken immer, außer wenn du jetzt schläfst oder so. Dann denkst du wahrscheinlich nichts. Aber jeder Mensch, der wach ist, denkt. Und du kannst nicht sagen: „So, jetzt höre ich auf zu denken.“ Das geht gar nicht.
Wenn ich dich anschaue, wenn du mich anschaust, denken wir uns irgendwas. Wenn ich Johannes anschaue, denke ich: „Schöner Pullover, wo hat er den wieder gekauft?“ Irgendwas denke ich mir. Und Johannes schaut mich an und denkt sich auch etwas. Vielleicht: „Man hört endlich auf“ oder so. Denken tun wir sowieso.
Jetzt zeige ich euch ein Geheimnis, und das ist gar nicht schwierig. Schlagt mal auf in 2. Korinther 10, Vers 5. Da schreibt der Apostel Paulus – wir gehen jetzt gar nicht auf den Kontext ein, ich nehme nur diesen einen Vers heraus. Er sagt: „Jede Höhe und jeden Gedanken, der sich gegen die Erkenntnis Gottes erhebt, nehmen wir gefangen unter den Gehorsam Christi.“
Jeden Gedanken gefangen nehmen – was heißt das? Das heißt: Denken tun wir sowieso. Ich muss nur meine Gedanken gefangen nehmen und unter den Gehorsam Christi bringen.
Das heißt, wenn ich Johannes anschaue und denke sowieso etwas, warum spreche ich nicht ein Gebet dazu? Ich bitte Gott, Johannes zu segnen. Es ist keine extra Anstrengung, weil ich ja sowieso denke. Ich bringe nur meinen Gedanken unter den Gehorsam Christi. Und wenn Johannes mich anschaut, denkt er sich vielleicht: „Wann hört er auf?“ Aber sagt trotzdem: „Segne ihn.“ Oder so irgendwas.
Das ist keine extra Anstrengung, weil ich ja sowieso denke. Es heißt nur, meine Gedanken gefangen nehmen und unter den Gehorsam Christi bringen. Und das ist eine wunderbare Erfahrung, wenn man das einübt.
Frank Laubach hat mal gesagt: „Ich wünsche mir, dass es für mich dasselbe ist, einen Menschen anzusehen und für diesen Menschen zu beten.“
Hier auf der Höhe, jetzt sind wir noch den Tag beisammen. Du gehst ja hier durch das schöne Korridor oder so. Du gehst darüber und begegnest zu 99 Prozent irgendeinem Menschen, den du nie gesehen hast. Du schaust ihn an und denkst dir irgendwas. Er sieht witzig aus, hübsch, alt oder jung – irgendwas.
Weißt du was? Warum sagst du nicht: „Herr, segne ihn! Herr, danke für sie! Herr, hilf ihm! Danke, dass du bei ihm bist!“ Verbinde deinen Gedanken mit deinem Gebet. Und weißt du, was du feststellen wirst? Es ist unheimlich schwer, über jemanden schlecht zu denken, vor dem du gerade betest.
Und weißt du, was jetzt geschieht? Deine Gedanken werden gereinigt und in Richtung Christus gelenkt. Christsein ist nicht kompliziert. Wir müssen nur das tun, was Christus uns sagt. Und es ist nicht schwierig. Jesus sagt: „Meine Last ist leicht.“
Übrigens, wisst ihr, was predigen und unterrichten bedeutet? Lasten abnehmen. Wenn ihr in einer Predigt sitzt und der Prediger lädt euch eine Last auf, hat er nicht Christus gepredigt. Lasten abnehmen ist Christus predigen.
„Meine Last ist leicht, kommet her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch Ruhe geben.“ Beim Predigen überlege dir immer, ob du Lasten auflegst oder abnimmst. Wenn du Lasten auflegst, predigst du nicht Christus. Ein ganz wichtiges Maß für mich.
Schlussgedanken zur Beziehung mit Gott
Leo Tolstoi, der russische Schriftsteller – damit möchte ich schließen – hat gesagt: „Ich brauche nur an Gott zu denken, und ich lebe auf. Ich brauche ihn nur zu vergessen, nicht an ihn zu glauben, und das Leben verschwindet.“ Wirklich lebe ich doch nur dann, wenn ich ihn suche und fühle. Er ist das, ohne das man nicht leben kann.
Um Gott wissen, ihn kennen und leben ist ein und dasselbe, denn Gott ist das Leben. Und weil Gott das Leben ist, müssen wir einfach lernen, mit dem Leben zu leben.
Darum, wenn es die wichtigste Aufgabe eines Evangelisten ist, Menschen zu Jesus und Jesus zu Menschen zu bringen, dann ist heute die wichtigste Aufgabe eines Lehrers, Christen das Beten zu lehren. Denn das ist es, worum es letztlich geht: Gemeinschaft, Einheit mit Jesus Christus.
Ich bitte noch: Lieber Vater, ich möchte dir danken für das Vorrecht, das wir haben, dich zu kennen, mit dir zu leben und von dir zu lernen. Und danke, Herr Jesus, dass du nicht gekommen bist, um uns Lasten aufzulegen – das ist nur das Gesetz. Du bist gekommen, um uns Leben zu geben.
Herr, ich danke dir so sehr, dass das Leben mit dir eine Freude ist, weil wir aus deiner Kraft leben werden. Herr, wir müssen nur eins tun: bei dir bleiben, zu dir kommen und in dir bleiben. Alles andere geschieht von dir.
Und doch, Herr, tun wir uns oft so schwer, zu dir zu kommen und noch schwerer, in dir zu bleiben. So schnell sind wir wieder bei uns selbst. Aber ich danke dir, Herr, dass du auch das weißt. Du erinnerst dich, dass wir nur Staub sind, du kennst uns und du liebst uns.
Darum dürfen wir gelassen bleiben, auch in unseren Verfehlungen, im Wissen, dass wir bei dir geborgen sind. Und darum gehöre ich so gerne zu dir, Herr Jesus.
Segne uns, Herr, in besonderer Weise und lehre uns beten. Lehre uns die Essenz des Gebets: zu dir als Abba, Papa, zu kommen und so in dir zu bleiben. Amen.
