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Diese zwei unscheinbaren Wörtlein trennen Räume: vorher Dunkelheit, nachher Helligkeit. Diese zwei kleinen Wörtlein trennen Zeiten: vorher Sterblichkeit, nachher Ewigkeit. Diese zwei unbedeutenden Wörtlein trennen Welten: vorher Vergänglichkeit, nachher Herrlichkeit. - Predigt aus der Stiftskirche Stuttgart


“Nun aber”: In diesen zwei Wörtlein liegt Ostern versteckt; nicht im Osternest, nicht im Osterei, nicht im Osterhasen, sondern im Wort. “Nun aber”: In diesen zwei Wörtlein blüht Ostern auf; nicht im Tulpenbeet, nicht im Magnolienbaum, nicht im Forsythienstrauch, sondern im Wort. “Nun aber”: In diesen zwei Wörtlein wird Ostern unverwechselbar, nicht im Frühlingsanfang, nicht im Naturerwachen, nicht im Vogelgezwitscher, sondern im Wort. “Nun aber” ist positiv ge­laden, prall gefüllt, überschäumend von Freude und Hoffnung. “Nun aber” macht Ostern zu Ostern. Achten wir einmal auf diese zwei Vokabeln in unserem Sprachgebrauch. Ein Abiturient sagt etwa: “Bei mir lief’s alles andere als optimal. In Deutsch hatte ich auf Franz Kafka getippt, dann aber musste ich über Faust II schreiben. In Mathematik rechnete ich mit Stoff aus Analysis, dann aber ging’s um lineare Algebra. Die Lage war aussichtslos. Nun aber ist’s geschafft. Nun aber bin ich aus dem Schneider. Nun aber schimpfe ich mich hochschulreif. Was für ein Glück!” Oder ein Patient sagt: “Bei mir stand’s auf des Messers Schneide. Nach der Operation lag ich wie gelähmt im Bett. Die Ärzte machten todernste Gesichter. Sicher wucherte das Geschwür weiter. Die Lage war hoffnungslos. Nun aber ist’s raus. Nun aber ist das Untersuchungsergebnis negativ. Nun aber bin ich auf dem Weg der Besserung. Was für ein Jubel!” Oder ein Student sagt: “Bei mir sah es mehr als düster aus. 80 Leute bewarben sich um die eine Stelle. Nur Topleute konnten sich eine Chance ausrechnen. Für Durchschnittsexamen gab es keinen Vertrag. Die Lage war trostlos. Nun aber ist’s gelungen. Nun aber habe ich einen Job. Nun aber bin ich ein gemachter Mann. Was für eine Freude!”

So ähnlich sagt es der Apostel: “Bei uns war es rabenschwarz. Der Hauptmann hatte das Hinrichtungskommando ge­geben. Die Jünger saßen in panischer Angst hinter verrammelten Türen. Der Juden König verendete am Schandpfahl wie ein Tier. Fast wohltuend legte eine Sonnenfinsternis ihr Dunkel wie ein Leichentuch über das grausame Geschehen. Die Lage war aussichtslos, hoffnungslos, trostlos. Nun aber ist Christus auferstanden. Nun aber ist der Siegellack ab. Nun aber haben die Objektschützer das Weite gesucht. Nun aber ist das Grab leer. Was für ein Fest!”

Diese zwei unscheinbaren Wörtlein trennen Räume: vorher Dunkelheit, nachher Helligkeit. Diese zwei kleinen Wörtlein trennen Zeiten: vorher Sterblichkeit, nachher Ewigkeit. Diese zwei unbedeutenden Wörtlein trennen Welten: vorher Vergänglichkeit, nachher Herrlichkeit. Kein Wunder, dass sie in der alten Kirche das Ostergelächter angestimmt haben, kein Wunder, dass sie in der orthodoxen Kirche einander zurufen: “Christos woskresse! Woistinu woskresse!” “Christus ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden!” Kein Wunder, dass unsere Osterlieder auf Dur gestimmt sind: “Christ ist erstanden, von der Marter alle, des sollen wir alle froh sein, Christ will unser Trost sein. Kyrieleis.” Darüber gibt der Apostel nähere Auskunft in dem Auferstehungskapitel, das gleichsam den abschließenden Höhepunkt des ganzen Korintherbriefes bildet: “Nun aber ist Christus Erster, Erstling und erstrangig geworden.”

1. Nun aber ist Christus Erster geworden

Das hat mit unserem Sterben zu tun. Auf einem Poster las ich, und das hat mich zutiefst erschrocken gemacht: “This day ist the first day of the rest of your life.” Dieser Tag ist der erste Tag vom Rest deines Lebens. Der Tod ist mein Schicksal. Das Todesurteil habe ich in der Tasche. Die Tatsache Tod ist eine todsichere Sache. Nun gibt es verschiedene Möglichkeiten, mit diesem Faktum fertigzuwerden. Die einen übersehen den Tod, so wie Ludwig XIV., dieser strahlende Sonnenkönig von Frankreich, der jedes Mal die Vorhänge zuziehen ließ, wenn eine Leichenkutsche an seinem Palais vorbeifuhr. Heute werden Tote sofort aus dem Haus geschafft, damit sie aus dem Blick und oft auch aus dem Gedächtnis sind. Ein Besuch im Leichenschauhaus wird tunlichst vermieden. Die andern verharmlosen den Tod, so wie das Volkslied, das den Sensenmann als netten Gesellen beschreibt. Freund Hein legt uns die Hand auf die Schulter und sagt: “Lieber Valentin mach keine Umständ’, geh, so lege ich den Hobel hin und sag der Welt Ade.” Nur seine Sachen aus der Hand legen und Bye-bye winken, das ist Sterben. Die Dritten überlisten den Tod, wie Professor Bedford aus Phönix in Arizona, der seine Leiche bei 197 Minusgraden auf Eis legen ließ. Sie soll dann wieder aufgetaut werden, wenn die Ärzte den Tod im Griff haben. Der Triumph der Medizin ist nur noch eine Frage der Zeit. Und die Vierten verachten den Tod, so wie Nobelpreisträger Dr. Switter, den Friedrich Dürrenmatt in seinem “Meteor” auftreten lässt: “Das Leben ist Schindluderei”, verkündigt er lautstark, “Schindluderei der Natur sondergleichen. Aus Totem zusammengesetzt, verfallen wir zu Totem. Zerreißt mich, ihr Himmelstrommler. Zerstampft mich, ihr Handorgelbrüder. Schmettert mich die Treppe hinunter. Allein der Tod ist ewig.” Aber liebe Freunde, wir mögen den Tod übersehen, wir mögen ihn verharmlosen, wir mögen ihn überlisten, wir mögen ihn sogar verachten, der Tod überwindet uns alle. Jeder hat gegen ihn anzutreten. Jeder hat mit ihm zu kämpfen. Und jeder hat seine Niederlage einzustecken. Er gibt sich mit einem Punktsieg nicht zufrieden. Ohne ein K.O. läuft bei ihm nichts. Der Tod bleibt immer erster Sieger.

Nun aber ist Christus Erster geworden. Der ist nicht einfach im Himmel geblieben und hat sich feige um den Endkampf gedrückt. Er hat sich auch keine Truppen besorgt, um mit einer zahlenmäßigen Übermacht die Sache für sich zu entscheiden. Mutterseelenallein ging er den Hügel Golgatha hinauf. Und als er dann am Kreuz schrie, meinte jeder, dass er eben auch nur zweiter Sieger geworden ist. Nun aber ist Jesus aus dem Grab gebrochen. Der Tod hat seinen Nimbus als unbesiegbarer Held eingebüßt. Wohl haben sie Jesus aufs Kreuz geschlagen, aber der Tod ist aufs Kreuz gelegt. Luther hat es so besungen: “Es war ein wunderlich Krieg, da Tod und Leben rungen, das Leben behielt den Sieg, es hat den Tod bezwungen.” Das bedeutet, dass auch mir in meinem Sterben kein Unbesiegbarer gegenübertritt, sondern ein Angeschlagener und Bezwungener. Ihn brauche ich nicht mehr zu fürchten, wenn ich Gott fürchte. Seit Ostern ist nicht einmal mehr der Tod todsicher, weil Christus Erster geworden ist.

Seit Ostern ist nicht einmal mehr der Tod todsicher, weil Christus Erster geworden ist.

2. Nun aber ist Christus Erstling geworden

Das hat mit unserem Auferstehen zu tun. Ein Erstling bildet die Spitze. Ein Erstling hat also ein Gefolge. Ein Erstling zieht andere nach. Immer ist das so. Wenn im März die erste Lerche in den blauen Himmel steigt, dann wissen wir mit Bestimmtheit, dass in kurzer Zeit all die andern Sänger scharenweise zurückkehren und die Natur mit ihrem Jubel erfüllen werden. Wenn im April die ersten Zweige im Schlosspark blühen, dann rechnen wir mit Bestimmtheit, dass in wenigen Wochen in diesem Park ein Meer von Blüten zu bestaunen ist. Wenn im August die ersten Ähren auf dem Feld geschnitten werden, dann denken wir mit Bestimmtheit, dass in zwei Monaten die ganze Ernte eingefahren ist. Und wenn im Dezember die erste Schneeflocke vom Himmel wirbelt, dann sagen wir mit Bestimmtheit, dass in wenigen Stunden die ganze Landschaft weiß zugedeckt ist. Nicht anders ist es mit dem Erstling Christus. Wenn an Ostern die erste Auf­erstehung von den Toten passierte, dann glauben wir mit Bestimmtheit, dass dies kein isoliertes Wunder bleibt. Sie zieht die Auferstehung aller Toten nach. Der Auftakt zu dem gewaltigsten Triumphzug aller Zeiten ist geschehen: Christus voraus, dann die Christus angehören, dann der Rest. Das ist Trost, Hoffnung und Mahnung zugleich. Trost insofern, als mein Sterben nicht zum Weggehen, sondern zum Heimgehen wird. Auch der dunkelste Weg kann nur vor die Pforte des Vaterhauses führen. Im Blick auf diesen Herrn wird jedes Sterbezimmer zum Vorzimmer des Himmels. Im letzten Augenblick meines Lebens, wenn die medizinischen Hilfsmittel abge­setzt und die technischen Einrichtungen zurückgeschoben und meine Hände zusammengelegt werden, dann kann ich wissen: “Weil du vom Tod erstanden bist, werd ich im Grab nicht bleiben.” Das ist österlicher Trost und Hoffnung. Hoffnung insofern, als kein Gestorbener in der Gewalt des Todes bleibt. Der Erzfeind muss all seine Opfer wieder herausrücken. Nicht ein einziger wird er als Faustpfand zurückbehalten. Die oft quälende Frage “Wo sind unsere Toten?” ist klar beantwortet. Ob es der Soldat ist, der aus Russland oder Vietnam nicht mehr zurückkam, ob es der Verunglückte ist, der mit dem Schiff oder Flugzeug in die Tiefen des Meeres gezogen wurde, ob es der Verschleppte ist, der in einem Arbeits­lager oder einer Anstalt verschwunden ist, keiner ist aus dem Machtbereich Gottes herausgefallen. In Christus werden alle lebendig gemacht. Das ist österliche Hoffnung und Mahnung. Mahnung insofern, als kein Sterbensmüder diesem Gott aus den Fingern laufen kann. Wenn jetzt einer unter uns sitzt, der dieses Leben gründlich satt hat und mit Hermann Hesse wünscht: “Endlich Ruhe sehen und zu Grabe gehen ohne Wiederkehr!”, wenn jetzt einer unter uns ist, der diesen Tod herbeisehnt oder gar freiwillig in ihn hineingeht, der soll wissen, dass er nur geradewegs auf diesen Herrn zugeht. Wir laufen ihm überall in die Hände. Keiner entschlüpft ihm in das Nichts. Am Schluss stehen wir alle vor dem letzten Richter, weil Christus Erstling geworden ist.

3. Nun aber ist Christus erstrangig geworden

Das hat mit unserem Leben zu tun, heute und morgen. “Ich habe Angst” stand auf einem Plakat, das ein junger Demonstrant draußen auf dem Schillerplatz hochhielt. Jeder könnte solch ein Plakat vor sich hertrag­en. Ich habe Angst vor der Macht des Krieges, die anscheinend mit nichts in die Knie zu zwingen ist. Ich habe Angst vor der Macht des Kommunismus, der sich immer weiter auf unserer Erde ausbreitet. Ich habe Angst vor der Macht des Kapitalismus, der das Geld zum Herrn der Welt erhebt. Ich habe Angst vor der Macht der Medien, die in jede Zimmerecke hineinregieren. Ich habe Angst vor der Macht der öffentlichen Meinung, die sagt, was gut und böse ist. Unser Wohnplatz ist zum Kampfplatz geworden, auf dem sich die Mächte austoben und um den ersten Rang streiten. Nun aber ist Christus erstrangig geworden. Er steht weit über allen Mächten und Gewalten. “Jesus Christus herrscht als König, alles ist ihm untertänig, alles legt ihm Gott zu Fuß.” Mehr: Diese Mächte werden sich nicht ewig aufspielen können. Sie werden uns nicht ewig Angst einjagen können. Diesen Mächten wird am letzten Ostern der Garaus gemacht. Aus und vorbei wird es sogar mit dem Tod sein, der bis zuletzt die neuen Machtverhältnisse nicht wahr­haben will. Am Schluss wird der Friedhof Erde aufgelassen und Gott alles in allem sein. “Siehe, ich mache alles neu!”

Liebe Freunde, von dem württembergischen Pfarrer und Seelsorger Christoph Blumhardt wird berichtet, dass er die Nachricht, sein Freund August Bebel sei gestorben, mit den schwäbischen Worten kommentiert habe: “Der wird Auga macha!” Der wird Augen machen. Jeder wird Augen machen, weil uns die Augen dafür aufgemacht werden, dass der Tod sein Büttelrecht verwirkt hat. Unsere aus tausend Wunden blutende Welt liegt schon im Morgenglanz der Ewigkeit, weil Jesus Christus Erster, Erstling und erstrangig geworden ist. Deshalb: “Auf auf mein Herz mit Freuden, nimm wahr, was heut geschieht! Wie kommt nach großem Leiden nun ein so großes Licht.”

Amen

[Predigtmanuskript; nicht wortidentisch mit der Aufnahme]