
Ich bin selbst ein bisschen gespannt auf den Abend, denn es sind noch einige kleine Punkte offen geblieben, auf die ich gerne eingehen möchte. Außerdem gibt es auch Fragen von eurer Seite. Eine Frage bezog sich auf das Fasten, allerdings von jemandem, der jetzt nicht da ist.
Ah, da kommt er ja. Ich habe dich gar nicht gesehen, du warst aus meinem Blickfeld verschwunden. Vielleicht könntest du die Frage oder den Gedanken zum Fasten noch einmal formulieren, damit wir darauf eingehen können.
Mit diesem Thema könnten wir eigentlich beginnen, wenn das für alle in Ordnung ist. Im Buch Joel gibt es einen Aufruf zur Buße und zum gemeinsamen Fasten, den wir gestern Abend gelesen haben. Gibt es etwas, das wir daraus lernen können? Könntest du das noch ein bisschen ausführen?
Ich weiß nicht, ob das nur mich interessiert oder mehrere. Man hört hier immer wieder Ansprachen, in denen das Fasten an Tagen empfohlen wird, an denen man nicht arbeitet, und wie man es so gestalten kann, dass es nicht schmerzhaft ist.
Der Psalmist sagt jedoch, dass er sich mit dem Fasten wehgetan hat, während es anderen nur vom Herzen weh tut. Im Osten regt man sich oft darüber auf, dass Leute tagsüber während des normalen Alltags fasten.
Wenn es nur mich interessiert, würde ich mich trotzdem freuen. Nein, ich denke, das ist ein wichtiger Punkt.
Ich habe gemerkt, dass Fasten bei uns eigentlich aus der Mode gekommen ist. Es passiert nur noch ganz, ganz, ganz selten. Bei uns in der Gemeinde gab es eine Schwester, die Krebs hatte. Daraufhin haben wir als Gemeinde gefastet und für sie gebetet. Das war also eine ganz große Not, und das hat uns dann auch wirklich zum Fasten bewegt. Das war auch gut.
Ansonsten fastet man heute kaum noch. Ich weiß nicht, meist wird nur mal einen Tag gefastet. Aber ansonsten ist Fasten eigentlich kaum mehr ein Thema. Das ist eigentlich schade, denn in der Bibel werden wir dazu ausdrücklich aufgefordert. Gerade im Buch Joel wird im Zusammenhang mit Buße das Volk aufgefordert: Die Priester sollen ein Fasten ausrufen, sich zum Herrn wenden, ihn anflehen und sich vor ihm demütigen.
Oft gibt es in persönlichem Rang, in der Familie oder im kleineren Kreis eine Not. Manchmal geben wir diese Not an andere weiter zum Gebet, manchmal nicht, sondern beten allein. Aber so ganz ernsthaft, wirklich ernsthaft sich vor den Herrn beugen, sein Angesicht suchen und einen Fasttag auswählen – das gibt es nur noch ganz selten.
Mir ist das auch so gegangen. In Moldawien und in der Ukraine habe ich festgestellt, dass sie dort sogar regelmäßige Fasttage haben. Dabei fasten sie aber nicht den ganzen Tag. Sie fasten bis zum Nachmittag oder bis zum Abend. Am Abend wird dann noch gegessen. In der Ukraine, in mehreren Gemeinden, war es so, dass sie jeden Freitag Fasttag hatten. Sie sagen, sie haben immer ein Thema, für das sie fasten – zum Beispiel für die Jugend.
Das ist der normale Alltag: Sie gehen normal arbeiten und essen kein Frühstück und kein Mittagessen. Irgendwann am Abend essen sie dann doch. In der Fastenzeit nehmen sie sich, wenn möglich, auch immer wieder Zeit zum Gebet.
Bei uns war es mal so, dass wir eine Bibelwoche hatten. An einem Freitag war Fasttag. Statt Mittagessen gab es eine Gebetsstunde von einer Stunde, in der die Brüder für Anliegen wie die Jugend gebetet haben. Das hat mir einerseits gut gefallen, andererseits nicht so sehr, weil es sich gezwungen anfühlte: „Jetzt ist Freitag, jetzt müssen wir wieder fasten.“ Das ist nicht unbedingt das, was wir wollen.
So wie die Pharisäer, die sagen: „Wir fasten zweimal die Woche“, ist es nicht gemeint. Fasten ist etwas Freiwilliges. Aber gerade weil es freiwillig ist, tun wir es oft gar nicht mehr. Das ist unser Problem. Und trotzdem wäre Fasten wichtig.
Jesus selbst fordert uns einmal auf, bei einer wichtigen Sache – es ging dabei um die Dämonenaustreibung – und dann sagte er: Diese Art fährt nur aus durch Beten und Fasten. Das steht in Matthäus 17, irgendwo im Vers... Wo war das jetzt hier? Habt ihr das? Ah, hier, Vers 21.
In manchen Bibeln steht dieser Satz gar nicht drin, habe ich festgestellt. Matthäus 17, Vers 21 steht in der Elberfelder nicht drin. Aber in der alten Lutherübersetzung, in der Mengeübersetzung und in der Meisterübersetzung steht es drin. In der Schlachterübersetzung steht es auch, soweit ich weiß. Das ist eine Handschriftenfrage, aber hier handelt es sich um den Mehrheitstext, also die Mehrzahl der Handschriften.
Das ist jetzt auch nicht so tragisch, wenn es in manchen Handschriften nicht vorkommt. Es gibt auch genügend andere Stellen über das Fasten. Zum Beispiel in 1. Korinther 7, Vers 5 wird das Fasten erwähnt. Dort heißt es: Entzieht euch einander nicht, außer nach Übereinkunft für eine bestimmte Zeit, damit ihr Muße zum Fasten und Beten habt.
Diese Stelle ist in allen Übersetzungen vorhanden, allerdings ist auch hier das Fasten nicht in allen Handschriften enthalten. In der Elberfelder fehlt es, im Mehrheitstext ist es enthalten. Das ist ein typischer Fall, bei dem das Fasten nicht überall vorkommt. In der Bibelübersetzung 84 steht es nicht, in der Luther 1912 schon.
Beim Paulus lesen wir, dass er oft gefastet hat. Zum Beispiel in 2. Korinther 6, Vers 5 wird erwähnt, dass er oft gefastet hat. Auch in 2. Korinther 11, Vers 27 berichtet er von häufigem Fasten in seinem Leben.
In Apostelgeschichte 14, Vers 23 kommt das Fasten ebenfalls vor. Dort, wo die Ältesten eingesetzt wurden, wurde nach ihrer Einsetzung unter Fasten gebetet. Für diesen Dienst der Ältesten hat die ganze Gemeinde gefastet und gebetet.
Das sind die wichtigsten Stellen. Ich suche gerade noch ein paar weitere. Auch in Lukas 2, Vers 37 wird das Fasten erwähnt. Dort wird von Hanna im Tempel berichtet, die nicht von der Tempelstätte wich und mit Fasten und Flehen den Dienst tat. Das steht in allen Handschriften.
Auch in Apostelgeschichte 9, Vers 9 wird das Fasten erwähnt. Paulus aß nicht; er fastete drei Tage, als er blind war. Cornelius fastete nicht, soweit ich weiß, er hat nur gebetet. Danke für den Hinweis, Frau Präsidentin!
Wenn Hanna Tag und Nacht gefastet hat und Gott durch Beten und Fasten gedient hat, dann wäre sie doch vormord gewesen. Das ist ein Beweis, dass „Tag und Nacht“ nicht vierundzwanzig Stunden ununterbrochen bedeutet, sondern zu Nachtzeiten und zu Tageszeiten. Das heißt natürlich nicht ununterbrochen. Sie hat sich immer wieder Zeit genommen für das Gebet, hat Stunden der Nacht und des Tages für Beten und Fasten aufgeopfert. Teilweise hat sie auf Schlaf verzichtet.
Ähnlich sagt Paulus in Apostelgeschichte 20, Vers 31: „Ich habe jeden von euch drei Jahre lang Nacht und Tag nicht abgelassen, jeden Einzelnen unter Tränen zu ermahnen.“ Er hat also in den Nachtstunden mit ihnen geredet und zu Tageszeiten, immer wieder.
Natürlich hat er auch gearbeitet. Das wird in 2. Thessalonicher 3, Vers 8 erwähnt, dass er Nacht und Tag gearbeitet hat. Interessant ist, dass in diesen Fällen immer die Nacht zuerst genannt wird. In manchen Übersetzungen, wie der Schlachter, steht „Tag und Nacht“, aber im Hebräischen und Griechischen steht „Nacht und Tag“. Die Nacht steht also vor dem Tag.
Das heißt, er ist schon sehr früh aufgestanden, als es noch Nacht war, und hat gewirkt. Bei der Schöpfung heißt es auch so: „So war der erste Tag fertig. Es wurde Abend und es wurde Morgen.“ Genau, Abend und Morgen – das würde man zuerst sagen.
Das Fasten hat seinen festen Stellenwert und ist immer mit Gebet verbunden. Auch im Alten Testament kommt es häufig vor und ist eng mit Demut verbunden. Das Wort Fasten hängt im Alten Testament mit Demut zusammen. Es bedeutet, sich vor Gott zu beugen. Gerade durch das Fasten fühlt man sich schwach, erkennt, wer man eigentlich ist, und wie abhängig man von Gott ist. Das ist eine gesunde Übung.
Fasten ist nicht einfach eine religiöse Leistung, sondern eine Übung der Demut und Selbstkasteiung. Man bringt sich selbst gewissermaßen in eine Schwächesituation vor dem Herrn. Es geht dabei nicht um ein Gesundheitsfasten mit vielen Regeln, wie man es heute oft kennt, bei dem man genau darauf achtet, was man essen darf, um die Zeit gut zu überstehen. Im Alten und Neuen Testament hat man das nicht so gehandhabt, man hat einfach gefastet.
Natürlich muss man vorsichtig sein, wenn man lange nichts trinkt, denn das Trinken sollte man nicht länger als einen Tag aussetzen. Ärzte sagen, dass das schon ziemlich gesundheitsgefährdend sein kann. Es gibt zwar Menschen, die das aushalten, aber normalerweise ist es nicht ratsam, gar nichts zu trinken.
Meistens dauert das Fasten einen Tag. Drei Tage sind sehr selten, und sieben Tage sind äußerst selten. Meines Wissens gibt es nur zwei Fälle in der Bibel, in denen sieben Tage gefastet wurden: beim Tod Sauls und beim Tod des Sohnes von David. Ansonsten sind drei Tage üblich. Das bedeutet: Am ersten Tag, an dem man die Nachricht erhält, beginnt man zu fasten, dann fastet man am ganzen zweiten Tag und am dritten Tag endet das Fasten.
Bei Esther waren es zum Beispiel drei Tage: Heute beginnt das Fasten, morgen fastet man den ganzen Tag und am übernächsten Tag geht sie zum König. Das sind dann drei Tage.
Jesus fastete 40 Tage und 40 Nächte, ebenso Mose. Das sind aber die Ausnahmen. Auch Elija ist eine dritte Ausnahme. Diese drei sind diejenigen, die ohne Wasser so lange ausgekommen sind. Normalerweise ist das kaum möglich. Bei Mose steht sogar ausdrücklich, dass er kein Wasser trank. Das ist für uns heute kaum vorstellbar und fast nicht überlebbar.
Es gab im Alten Testament einen festen Fasttag, den Versöhnungstag, an dem man vollständig fastete – weder aß noch trank. Das war ein Tag der Selbstkasteiung vor dem Herrn.
Daneben gab es einige besondere Fasttage, an denen man zusätzlich fastete, wenn es bestimmte Anliegen gab. Im Buch Sacharja werden solche Fasttage erwähnt (Sacharja 7 und 8). Dort werden mehrere Fasttage aufgezählt, die man eingeführt hatte. Diese waren aber keine gesetzlich vorgeschriebenen Fasttage, sondern eher seltene, besondere Tage.
Im Neuen Testament fasteten manche Menschen öfter, zum Beispiel Hanna. Die Pharisäer hatten sich selbst Fastengebote auferlegt, die sie als Gesetzeswerke betrachteten. Ansonsten finden wir das Fasten bei den Aposteln, Paulus und einigen Dienern der Gemeinde, die für wichtige Anliegen fasteten, etwa wenn Älteste eingesetzt wurden.
Fasten ist also besonders bei großen persönlichen Nöten empfehlenswert, zum Beispiel in familiären oder ehelichen Schwierigkeiten. Es ist gut, ins Gebet und Fasten zu gehen. Manchmal schließen sich auch andere Geschwister an und fasten mit. Ein Bruder aus Rumänien erzählte mir, dass sie für eine kranke Schwester gefastet haben, und er habe an dem Tag mitgefastet. Das war eine schöne Erfahrung.
Fasten ist meist spontan. Einmal im Jahr war es im Alten Testament gesetzlich vorgeschrieben. Ansonsten war es spontan, wie bei Königin Esther mit ihrem dreitägigen Fasten. Dieses Fasten dauerte eigentlich zweieinhalb Tage oder vielleicht nur zwei Tage, wenn man genau rechnet: Am ersten Tag begann sie, dann fastete sie den ganzen Tag, und am dritten Tag ging sie zum König. Danach war das Fasten nicht mehr nötig.
Wer sagt, er halte es nicht aus, nichts zu trinken, sollte einfach Wasser trinken und so fasten.
Es gibt auch eine Art Fasten, bei der man sich nur bestimmte Speisen enthält und sehr einfache Kost zu sich nimmt. Ein Beispiel dafür ist Daniel in Kapitel 10. Dort wird zwar nicht ausdrücklich vom Fasten gesprochen, aber es steht, dass er sich dem Gebet widmete und sich Zeit nahm. Er fastete drei Wochen lang, indem er wenig aß. Das war zu Beginn des Jahres, nach dem Neujahrstag, der ein Doppelfeiertag war (erster und zweiter Tag des Monats). Am dritten Tag begann er, drei Wochen lang wenig kostbare Speisen zu sich zu nehmen. Das ist nachahmenswert.
Vielleicht sollten wir das wieder mehr praktizieren, besonders wenn wir eine Not sehen. Das wäre eine gute Möglichkeit, uns intensiver dem Herrn zuzuwenden.
Dieses Fasten, wie bei Daniel, würde die Bibel nicht direkt als Fasten bezeichnen, sondern eher als eine Zeit der Zurückhaltung. Man konzentriert sich mehr auf den Herrn, indem man weniger isst oder sich auf einfache Speisen beschränkt. Zum Beispiel könnte man nur ein Drittel der üblichen Nahrung essen oder nur Brot und etwas Kleines zu sich nehmen.
Das wäre zwar kein Fasten im biblischen Sinne, wie es ausdrücklich genannt wird, aber eine ähnliche Form der Selbstdisziplin und Hingabe an Gott.
Allerdings gibt es ein Kapitel in der Bibel, in Jesaja 58, in dem Jesaja davon spricht, was ein wahres Fasten ist. Dort geht es um die innere Haltung.
Jesaja 58, Vers 5: „Ist dergleichen ein Fasten, an dem ich wohlgefallen habe, ein Tag, an dem der Mensch seine Seele kasteit, seinen Kopf zu beugen wie eine Binse und Sacktuch und Asche unter sich zu betten? Nennst du das ein Fasten und dem Herrn wohlgefälligen Tag? Ist das nicht ein Fasten, an dem ich wohlgefallen habe, die Schlingen der Bosheit zu lösen, die Knoten des Joches loszumachen, den Gewalttätig Behandelten als Freie zu entlassen und dass er jedes Joch zersprengt? Besteht es nicht darin, dein Brot dem Hungrigen zu brechen und dass du verfolgte, gebeugte, niedrige Arme ins Haus führst? Wenn du einen Entblößten siehst, dass du ihn bedeckst?“
Hier zeigt sich, dass es nicht einfach um einen religiösen Ritus geht. Vielmehr geht es darum, dass man den Herrn sucht und entsprechend lebt. Gott will unser Herz verändert sehen und nicht nur eine religiöse Übung.
Das schließt jedoch nicht aus, dass man dennoch auch physisch tatsächlich fasten kann. Das eine soll man tun, das andere nicht lassen. Es geht darum, die liebgewonnene Gleichgültigkeit abzulegen und sich wieder zu besinnen, Barmherzigkeit zu üben und sein Brot zu teilen.
Grundsätzlich ist es eine Sache, sich vom Herrn neu prüfen zu lassen und dann wirklich barmherzig zu werden gegenüber den Hungrigen, den Entblößten und den Armen oder Unterdrückten. Was hilft das Fasten, wenn unser Leben nicht stimmt? Darum geht es hier.
Man sollte wieder damit anfangen. Dabei muss man nicht gleich groß anfangen. Man kann sagen: „Ich beginne morgen.“ Zum Beispiel das Frühstück und Mittagessen auslassen und so einen halben Fasttag bis zum Nachmittag einlegen, bevor man wieder isst.
Allein das schon kann helfen, mehr Zeit für das Gebet zu haben. Selbst wenn man nicht beten kann, weil man arbeiten muss, ist man doch im Gedanken mehr beim Herrn. Man wird immer wieder daran erinnert, weil man ja fastet. Spätestens ab dem Mittagessen wird man daran erinnert.
Während der Arbeit kann man innerlich zum Herrn flehen. Das ist das zum Thema Fasten.
Eine Sache, die jetzt noch ein bisschen unklar ist, betrifft den Tag des Herrn. Wie ist das mit dem Tag des Herrn im Neuen Testament? Ich hatte schon einige Stellen, jetzt muss ich schauen, ob man den Beamer noch einschalten kann. Ich habe die Folie gestern schon gezeigt, möchte aber noch einmal darauf eingehen.
Der Tag des Herrn ist dasselbe wie im Alten Testament der Tag Yahwehs, auch wenn verschiedene Begriffe verwendet werden, wie Tag Jesu Christi, Tag Christi, Tag des Menschensohnes oder Tag Jesu. Wo hatten wir das? Hier.
Im Alten Testament ist es sehr klar: Der Tag des Herrn ist ein Tag, das heißt ein Zeitpunkt, keine Zeitspanne. Wenn der Tag des Herrn so verwendet wird wie in Joel 2, dann ist das der Tag des Eingreifens des Herrn, wie wir sagen, der Tag X. Der Tag, an dem Gott auf den Plan tritt und die Abrechnung beginnt. Wir haben schon gesehen, dass Joel hier die gegenwärtige Katastrophe mit dem Tag des Herrn zusammenblendet. Er sieht die Heuschrecken als Ankündigung: Jetzt kommt der schreckliche, furchtbare Tag Gottes, das Gericht Gottes.
Wie ist das dann im Neuen Testament? Wir haben diese Ausdrücke an verschiedenen Stellen, und unter Christen gibt es unterschiedliche Auffassungen. Ich habe oft gehört, und früher sogar selbst vertreten, dass der Tag des Herrn eine Zeitspanne sei, keine einzelne Zeit. Aber das stimmt nicht.
Wenn man sich die Textstellen anschaut, ist der Tag des Herrn beispielsweise in Römer 2,5 der Tag des Zornes kein Zeitraum. Wenn ich das vielleicht gerade lese: Römer 2,5: „Du aber, nach deiner Störrigkeit und einem unbußfertigen Herzen, häufst dir selbst Zorn auf am Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes.“ Das ist kein Zeitraum von mehreren Jahren, sondern ein Zeitpunkt. Das ist der Tag, an dem Gottes Zorn kommt, der Gerichtstag. Er hätte genauso sagen können: „Du häufst dir selbst Zorn auf am Gerichtstag, wenn Gott das Böse richten wird.“
Das finden wir auch an anderen Stellen. Zum Beispiel Römer 2,16: „An dem Tag, an dem Gott das Verborgene der Menschen durch Jesus Christus richten wird.“ Das ist kein Zeitraum von mehreren Jahren, sondern ein Tag, an dem die Abrechnung kommt.
Oder nehmen wir andere Stellen, wie den Tag des Gerichts in Judas 6: Dort geht es um Menschen, die für das Gericht des großen Tages aufbewahrt sind. Einmal kommt ein großer Tag, an dem Gericht gehalten wird. Ähnlich in 2. Petrus 3,7: „Fürs Feuer werden sie aufbewahrt auf dem Tag des Gerichts und des Verderbens der ehrfurchtslosen Menschen.“ Das ist ein Zeitpunkt.
Andere Stellen haben wir schon genannt. Zum Beispiel der Tag, an dem der Menschensohn offenbart werden wird, in Lukas 17,30: „So wird es auch sein an dem Tag, an dem der Sohn des Menschen offenbart werden wird.“ Das ist ein Tag, kein Zeitraum. Der Herr Jesus wird nicht über Monate offenbart, sondern an einem bestimmten Tag.
Ebenso der Tag des Herrn in 1. Thessalonicher 5,1: „Was die Zeiten und Zeitpunkte betrifft, Brüder, habt ihr nicht nötig, dass euch geschrieben werde; denn ihr wisst selbst genau, dass der Tag des Herrn so kommt wie ein Dieb in der Nacht.“ Der Herr selbst hat dieses Bild verwendet, auch in Matthäus 24: Er kommt wie ein Dieb in der Nacht. So kommt auch der Tag des Herrn an einem Tag, nicht über eine lange Zeit.
Die Parallelstelle ist Matthäus 24,42-43: „Wachet also, denn ihr wisst nicht, zu welcher Stunde euer Herr kommt. Wenn der Hausherr gewusst hätte, in welcher Wache der Dieb kommt, hätte er gewacht und nicht zugelassen, dass man sein Haus durchgrabe.“
In Offenbarung 16,15 heißt es: „Siehe, ich komme wie ein Dieb“, sagt der Herr selbst. An anderer Stelle heißt es, der Tag des Herrn komme wie ein Dieb. Das ist synonym, es geht um dasselbe Ereignis: ob der Herr kommt oder der Tag des Herrn, es ist immer dasselbe.
Auch 2. Petrus 3,10 ist ähnlich. In Matthäus 24 ist das ganz deutlich. Man muss nur den Zusammenhang lesen. Können wir das kurz anschauen?
Matthäus 24,42: „Wachet also stets!“ Wer ist angesprochen? Die Jünger. Dort beginnt es etwas weiter oben: Vers 29, nach der Bedrängnis jener Tage wird es finster. Vers 30: Dann wird sichtbar werden das Zeichen des Menschensohnes am Himmel. Vers 31: Mit großem Schall einer Posaune wird er seine Engel aussenden, und sie werden seine Erwählten versammeln, die Gläubigen. Diese werden zu ihm versammelt, wie Paulus sagt, sie werden in die Luft geholt.
Dann in Vers 36: „Um jenen Tag und die Stunde weiß niemand.“ Es geht immer noch um dasselbe: das Kommen des Herrn in Macht und Herrlichkeit. Niemand außer Gott weiß Tag und Stunde.
In Vers 37 heißt es: „Aber es wird sein wie in den Tagen Noahs.“ Und so wird es auch sein bei der Ankunft des Menschensohnes. Vers 39: Am Ende werden zwei auf dem Feld sein, einer wird mitgenommen, einer bleibt zurück. Hier tritt eine Scheidung ein: Die Gläubigen und die Ungläubigen werden getrennt. Zwei sind an der Mühle, zwei Frauen, einer wird mitgenommen, einer bleibt zurück.
Dann sagt er: „Wachet, weil ihr nicht wisst, zu welcher Stunde euer Herr kommt.“ Es geht immer um dasselbe Thema: das Kommen des Herrn. Es ist in Macht und Herrlichkeit, aber zu einem unbekannten Zeitpunkt. Die Stunde weiß nur Gott.
Dann folgt das Gleichnis mit dem Dieb. Der Hausherr weiß nicht, wann der Dieb kommt – ob um neun, drei, eins oder fünf Uhr morgens. Er kommt jedenfalls. Weil der Hausherr nicht weiß, wann der Dieb kommt, bleibt er wach, um vorbereitet zu sein.
So ist auch das Kommen des Herrn. Es ist ein Aufruf zum Bereitsein, weil niemand weiß, wann der Herr kommt. Deshalb ist es wichtig, bereit zu sein.
Vers 44: „Deswegen werdet auch ihr bereit sein, denn der Sohn des Menschen kommt zu einer Stunde, da ihr es nicht meint.“ Das ist eine der deutlichsten Stellen über das Kommen des Herrn. Es ist nicht berechenbar, es ist ein Zeitpunkt, an dem man es nicht erwartet.
Diese Aufforderung richtet sich an alle – treue und untreue Knechte. Die Zeichen der Zeit zu beurteilen, ist wichtig. Aber diese Aufforderung macht keinen Sinn, wenn man sich nicht wenigstens annähernd orientieren kann.
Hier liegt das Problem, warum es unter Christen verschiedene Meinungen gibt. Der Herr Jesus hat einige Zeichen vorausgesagt. Die Jünger fragten nach Zeichen, und er nannte einige. Das heißt, es gibt Zeichen, und man könnte meinen, man könne ungefähr wissen, wann er kommt. Aber es gibt auch Stellen, die sagen, dass man weder Tag noch Stunde weiß – überhaupt nicht. „Weder Tag noch Stunde“ bedeutet, dass man auch Monat und Jahr nicht weiß. Der Ausdruck „Tag und Stunde“ steht für die Zeit insgesamt.
Wenn er sagt, ihr wisst nicht, zu welcher Stunde euer Herr kommt (Matthäus 24,42), dann meint er die Stunde. Wenn er die Stunde nicht weiß, weiß er auch nicht den Tag. Wenn ich nicht weiß, wann der Zug kommt, kann es heute, morgen oder in zwei Wochen sein.
Das ist ein Problem, das viele zu lösen versucht haben. Einige sagen, es gibt zwei Wiederkünfte: eine, die man kennt, und eine, die man nicht kennt. Alle Stellen mit Zeichen beziehen sich auf die erste Wiederkunft, alle anderen auf die zweite. Aber das funktioniert nicht, weil der Herr im ganzen Kapitel 24 immer von einem Kommen spricht – zuerst von Zeichen, dann davon, dass niemand Zeit und Stunde weiß.
Eine andere, einleuchtendere Lösung habe ich erst kürzlich bei einem Bruder gelesen, der in Basel studiert hat, Eckhard Schnabel. Sie ist einfach, wenn man genau auf die Frage der Jünger und die Antwort Jesu achtet.
In Markus 13 berichtet der Evangelist von einem Gespräch der Jünger mit Jesus. Sie sagen: „Sieh, was für Steine und Bauwerke!“ Jesus antwortet: „Siehst du diese großen Bauwerke? Keinesfalls wird hier ein Stein auf dem anderen bleiben.“ Er spricht vom Tempel, der zerstört wird.
Als er am Ölberg saß, fragten ihn Petrus, Jakobus, Johannes und Andreas: „Sag uns, wann wird das sein? Und was ist das Zeichen, dass das alles bald vollendet wird?“ Das Thema war die Zerstörung des Tempels.
Matthäus zeigt, dass die Jünger gleichzeitig dachten, wenn der Tempel zerstört wird, ist das das Ende der Welt und die Zeit der Wiederkunft des Herrn. Aber bei Markus bleibt das Thema klar: die Tempelzerstörung.
Jesus sagt ihnen, sie sollen sich nicht verführen lassen (Vers 5), es wird Verführungen geben (Vers 6), Kriege und Kriegsgerüchte (Vers 7), die sie hören werden – damals schon im ersten Jahrhundert. Es gab viele Kriege, besonders den jüdisch-römischen Krieg, der etwa sechs Jahre dauerte.
Auch Erdbeben und Hungersnöte gab es im ersten Jahrhundert. Jesus nennt diese Dinge „Anfänge der Wehen“ – es wird noch schlimmer.
Die Jünger sollen sich nicht fürchten, auch wenn sie geschlagen und vor den Hohen Rat gebracht werden (Vers 9-11). Bruder wird Bruder zum Tod ausliefern, Kinder werden gegen Eltern aufstehen und sie töten. Die Gläubigen werden bei allen gehasst wegen Jesu Namen. Aber wer bis zum Ende durchhält, wird gerettet (Vers 13).
Das Thema war die Tempelzerstörung. Die Jünger fragten nach dem „Wann“ und dem Zeichen. Jesus gibt ihnen eine seelsorgerliche Antwort: Sie sollen wachsam sein, sich nicht verführen lassen und bis zum Ende durchhalten.
Ab Vers 14 gibt er ihnen das Zeichen: Wenn ihr den Gräuel der Verwüstung seht, der von Daniel dem Propheten gesprochen wurde, dann sollen die in Judäa in die Berge fliehen. Wer auf dem Dach ist, soll nicht ins Haus zurückkehren, um etwas zu holen; wer auf dem Feld ist, soll nicht umkehren, um sein Gewand zu holen. Flucht ist angesagt.
„Wehe aber den Schwangeren und Stillenden in jenen Tagen! Betet, dass eure Flucht nicht im Winter geschieht!“ Im Winter ist Fliehen besonders schwierig wegen Regenzeit, voller Bäche und sumpfigem Gelände. Auch nicht am Sabbat, dem jüdischen Feiertag, an dem Reisen verboten war.
Lukas 21,20 bestätigt das: Wenn ihr Jerusalem von Heerestruppen umringt seht, wisst, dass die Verwüstung nahe ist. Dann sollen die in Judäa in die Berge fliehen, die in der Stadt entkommen und die auf dem Land nicht hineingehen. Es sind Tage der Vergeltung, damit alles erfüllt wird, was geschrieben steht.
Wehe den Schwangeren und Stillenden in jenen Tagen, denn es wird große Not im Land geben, Zorn über das Volk, viele werden durch das Schwert fallen und gefangen zu den Völkern geführt werden. Jerusalem wird von den Heiden betreten, bis die Zeiten der Völker erfüllt sind.
Wann war das? Im Jahr 70 nach Christus, vierzig Jahre nach Jesu Tod. Zurück zu Markus: Die Jünger fragten nach der Tempelzerstörung und dem Zeichen. Jesus sagte, wenn der Gräuel der Verwüstung an der heiligen Stätte steht, dann soll man fliehen. Die heilige Stätte ist Jerusalem, der Tempelberg oder der Tempel selbst.
Wenn der Gräuel der Verwüstung steht, wird die Stadt von einem Belagerungsring eingeschlossen, und man kann nicht mehr fliehen. Es gab mehrere Belagerungen. Die erste war durch Cestius Gallus im Jahr 66. Er konnte Jerusalem einnehmen, brach die Belagerung aber ab und zog sich zurück. Die Zeloten jagten ihn und fügten ihm eine Niederlage zu. Die Christen konnten damals aus der Stadt fliehen.
Später belagerte Vespasian Galiläa und Judäa. Als Nero starb, wurde Vespasian zum Kaiser ausgerufen und zog sich zurück. Sein Sohn Titus übernahm die Belagerung Jerusalems und schloss im März 70 den Belagerungsring. Fünf Monate später fiel die Stadt und der Tempel.
Für Christen gab es zweimal die Situation, dass sie bei einer Belagerung fliehen konnten. Eusebius berichtet, dass Christen bei der ersten Belagerung aus Jerusalem flohen und in die Berge jenseits des Jordan, nach Pella, gingen. Als Titus die Stadt endgültig einschloss, war kein Christ mehr darin.
Josephus und Eusebius berichten, dass Christen aufgrund einer Weissagung flohen – möglicherweise die Weissagung Jesu in Matthäus, Markus und Lukas.
Ich wollte nur belegen, dass Matthäus 24, Markus 13 und Lukas 21 von ein und derselben Sache sprechen: der Tempelzerstörung, der Belagerung Jerusalems und der Zerstörung der Stadt.
Bei Lukas ist es am deutlichsten. Bei Markus ist es klar, weil die Jünger explizit nach dem Tempel und seiner Zerstörung fragen. Bei Matthäus ist die Frage: „Wann wird das sein und was ist das Zeichen deiner Ankunft und der Vollendung der Weltzeit?“ In den Köpfen der Jünger war die Tempelzerstörung mit der Ankunft Jesu gleichgesetzt.
Deshalb hatte Jesus die Schwierigkeit, ihnen einerseits Vorbereitung und Warnung zur Tempelzerstörung zu geben, andererseits von seiner Wiederkunft in Herrlichkeit zu sprechen. Für die Tempelzerstörung gibt es Zeichen, für die Wiederkunft nicht.
Im Matthäus-Text ist das erste Kapitel bis Vers 14 allgemein und seelsorgerlich. Ab Vers 15 spricht er vom Gräuel der Verwüstung und gibt den Rat zur Flucht.
Vers 21: „Denn dann wird große Bedrängnis sein, eine solche, die seit Anfang der Welt bis jetzt nicht geschehen ist.“ Jesus beschreibt eine schreckliche Drangsaatszeit, die mit der Belagerung begann.
Innerhalb der Stadt gab es Kämpfe zwischen drei Parteien: den Herodianern (friedensbereit), den Zeloten (kämpferisch) und innerhalb der Zeloten drei Fraktionen. Die Zeloten verschanzen sich im Tempel als Burg.
Viele starben, niemand durfte die Stadt verlassen. Fliehende wurden getötet, manche sogar ausgeweidet, um Gold zu finden. Es herrschte ein Gestank, Frauen begannen, ihre Kinder zu essen, wie Josephus berichtet.
Die Bedrängnis betraf auch das Land Judäa, nicht nur Jerusalem. Vespasian unterwarf Galiläa und Judäa blutig.
Über eine Million Menschen starben in und um die Stadt. Jesus sagt, Gott würde die Tage abkürzen, sonst würde kein Fleisch gerettet.
Das betrifft die physische Rettung, nicht nur die Rettung fürs ewige Leben. Wegen der Erwählten wurden die Tage kurz gemacht. Die schreckliche Zeit dauerte etwa dreieinhalb Jahre von 66 bis 70 n.Chr.
Lukas betont, dass Jerusalem von den Völkern getreten wird, bis die Zeit der Völker erfüllt ist. Die Geschichte geht weiter, aber Jerusalem wird nicht wiederhergestellt.
Dann wird der Herr kommen (Lukas 21,24).
Herr Thomas, das, was du gerade gesagt hast, wirft mein Weltbild etwas durcheinander. Ich habe das immer so verstanden, dass das vor der Wiederkunft Jesu geschieht. Es gibt Teilerfüllungen von Prophezeiungen, wie bei Antiochus Epiphanes, der als Vorbild des Antichristen gilt. Solche Dinge kommen immer wieder in der Geschichte vor und werden dann kurz vor Jesu Wiederkunft endgültig erfüllt.
Das war auch meine Auffassung, aber ich musste mich ändern. Teilerfüllung und Ganzerfüllung passen nicht zusammen. Die Weissagung über Antiochus hat sich damals erfüllt. Die Weissagung Jesu über die Tempelzerstörung hat sich auch erfüllt. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass sich die Geschichte noch einmal wiederholt, dass Jerusalem ein zweites Mal zerstört wird oder der Tempel wieder aufgebaut und zerstört wird. Das ist Fiktion.
Man muss das ganze Bild betrachten. Schnell wird zu viel hineininterpretiert, was der Text nicht sagt. Doppelerfüllungen sind hier ausgeschlossen, weil es eine klare Zeitangabe gibt.
Vers 29: „Sogleich nach der Bedrängnis jener Tage wird die Sonne verfinstert werden, der Mond wird sein Licht nicht geben ... dann wird sichtbar werden das Zeichen des Menschensohnes am Himmel.“
Wenn hier „sogleich“ steht, kann das nicht doppelt erfüllt werden. Das ist eindeutig.
Man muss aber vorsichtig sein mit solchen Zeitangaben in prophetischen Berichten. Der Herr sagt oft „bald“, was nicht unbedingt morgen heißt. Es gibt eine verkürzte Perspektive, wie wir sie auch in Joel gesehen haben.
Jesus will den Jüngern nicht sagen: „Der Tempel wird zerstört, aber ihr müsst 2000 Jahre warten, bis ich wiederkomme.“ Er will, dass die Jünger in Naherwartung leben, auch weil er selbst nicht weiß, wann er kommt.
Wenn er „sogleich nach der Bedrängnis“ sagt, meint er heilsgeschichtlich: Es geschieht nichts dazwischen, es ist das nächste Ereignis. Wie viel Zeit tatsächlich vergeht, weiß niemand.
Reilly sagt, eine Verheißung gilt nur für eine Sache, auch bei Katastrophenvorhersagen. Es kann sein, dass etwas anschließt, aber man muss einen klaren Schnitt machen.
Doppelte oder dreifache Erfüllungen würden die Orientierung erschweren. Die Jünger haben Klarheit: Jesus gibt ihnen ein Zeichen, sie fragen nach dem „Wann“ der Tempelzerstörung und dem Zeichen. Er sagt ihnen, was geschehen wird, was sie tun sollen, und dann spricht er vom Kommen des Herrn.
Das Evangelium vom Königreich wird im ganzen Weltreich verkündet (Matthäus 24,14). Das Wort „Weltreich“ heißt auf Lateinisch „Imperium“ – das römische Reich war damals die ganze bekannte Welt.
Paulus sagt in Kolosser 1,5-6 (um 60 n.Chr.), dass die Hoffnung, von der die Gläubigen gehört haben, im Wort der Wahrheit zu ihnen kam und sich in aller Welt verbreitet hat und Frucht bringt.
Auch Römer 10,18 sagt Ähnliches: „In jedem Teil der Erde ging ihre Stimme hinaus, zu den Enden des Weltreiches gingen ihre Worte.“
Das Evangelium war also schon im ersten Jahrhundert in der ganzen damals bekannten Welt anwesend.
Es geht nicht darum, dass Jesus gesagt hätte, das Evangelium solle nicht zu allen Völkern gebracht werden. Es geht nur darum zu zeigen, dass diese Aussage im Jahr 70 als erfüllt gelten konnte. Das Evangelium wird natürlich weiterhin überall verkündigt.
In Kolosser 1,23 steht: „Das Evangelium, das verkündet wurde in der ganzen Schöpfung unter dem Himmel.“
Ich will nur zeigen, dass Jesus so sprach, dass die Jünger verstehen konnten: All das, was er sagte, konnte schon im ersten Jahrhundert erfüllt sein.
Er kam aber nicht im ersten Jahrhundert, auch nicht im zweiten oder dritten. Die Christen verkündigen das Evangelium bis heute weiter.
Matthäus 24 zwingt uns nicht zu sagen, dass es sich nicht auf 70 n.Chr. beziehen kann. Es ist die Antwort auf die Frage der Jünger, wann die Tempelzerstörung geschieht und was das Zeichen ist.
Die Zeichen betreffen eindeutig bis 70 n.Chr. Ab diesem Zeitpunkt gibt es nur noch vage Zeichen: das Evangelium wird weiter verkündigt, es gibt Kriege und Bedrängnisse, aber keine so deutlichen Zeichen mehr.
Das nächste Ereignis, das wir erwarten, ist die Wiederkunft Jesu Christi. Sie kann jederzeit geschehen. So wahr ich hier sitze, kann der Herr heute Abend kommen.
Es muss nichts weltpolitisch passieren, denn Jesus sagt, er kommt zu einer Stunde, da man es nicht meint. Es ist eine Naherwartung.
Wo ist ein Bibeltext, der uns zwingt zu sagen, dass es noch einen Tempelbau geben muss, der nie mehr zerstört wird? Ein ewiger Tempel existiert noch nicht.
Wäre es nicht besser, die Apostel zu fragen? Es gibt nur eine Stelle, und das ist 2. Thessalonicher 2.
Dort ist die Rede von einem Menschen der Sünde, der sich in den Tempel Gottes setzt und vorgibt, Gott zu sein.
Sonst gibt es keine Stelle in Evangelien oder Briefen, die darauf hinweist.
Um fair zu sein, muss man diese schwierige Stelle angeben, denn dort ist tatsächlich von einem Tempelheiligtum die Rede.
Aber jeder, der die Bibel liest, merkt, dass diese Stelle nicht einfach ist und verschiedene Auffassungen darüber bestehen.
Sie muss nicht zwingend bedeuten, dass ein Tempel gebaut werden soll.
Als der Brief geschrieben wurde, stand der Tempel noch. Der Brief wurde etwa 50 oder 51 n.Chr. geschrieben.
Paulus schrieb an die Christen damals, dass einige meinten, der Herr sei schon gekommen oder der Tag des Herrn sei schon da.
Wenn der Tag des Herrn da ist, müsste auch der Herr selbst da sein. Manche meinten, er sei geistlich oder anderswo da, denn physisch war er ja nicht da.
Vers 3: „Niemand täusche euch in irgendeiner Weise! Denn wenn nicht zuerst der Abfall kommt und der Mensch der Sünde offenbart wird, der Sohn des Verderbens, der widerstrebt und sich überhebt über alles, was Gott oder Verehrung heißt, so dass er sich selbst in den Tempel Gottes setzt und vorgibt, Gott zu sein.“
Vers 4 ähnelt Daniel 11,36, aber das würde zu weit führen.
Paulus sagt, dass jemand sich im Tempel oder Tempelheiligtum aufhält und eine Rolle spielt, die nur Gott zusteht.
Dieser wird „Sohn des Verderbens“ genannt.
Frühe Ausleger bezogen diese Stelle auf die damalige Zeit.
Ich möchte das als Möglichkeit hinstellen, aber nicht dogmatisch.
Als das geschrieben wurde, war das für die Thessalonicher kein Problem, weil sie wussten, dass in Jerusalem ein Tempel steht.
Dieser Tempel war ursprünglich Gottes Tempel.
Wenn nun jemand den Tempel entweiht und sich dort als Gott aufspielt, wäre das für die Thessalonicher erfüllt.
Die Zeloten taten genau das: Sie besetzten den Tempelbezirk, verschanzen sich und entweihten den Tempel, indem sie ihre eigenen Landsleute töteten.
Sie spielten dort wie Gott und setzten nach Gutdünken Hohenpriester ein.
Wenn Paulus damals gelebt hätte, hätte er gesagt, das ist das, was ich geschrieben habe.
Eckhard Schnabel weist in seinem Buch über das Neue Testament und die Endzeit darauf hin, dass man Texte im Zusammenhang lesen muss, in dem sie geschrieben wurden.
Man muss sich vorstellen, man sei ein Thessalonicher, der diesen Brief bekommt und weiß, dass in Jerusalem ein Tempel steht.
Er sagt, der Abfall muss vorher geschehen, und der Mensch der Sünde.
Wer ist dieser Mensch der Sünde? Manchmal werden die Juden „Sohn Gottes“ genannt, manchmal „Sohn des Verderbens“.
Die Führer, die sich bis zum Letzten verdorben haben, sind „Sohn des Verderbens“.
Der Sohn Israel ist ein kollektiver Sohn (Psalm 81,6: „Aus Ägypten rief ich meinen Sohn“).
Wenn ein Sohn sich so sehr verdirbt und den Messias verwirft, kann er ein „Sohn des Verderbens“ werden.
Das ganze Volk wird durch die Führer repräsentiert, die zelotisch waren.
Von meiner Warte aus ist es möglich, dass hier ein kollektiver Sohn gemeint ist.
Ich sage das nicht dogmatisch, sondern als Möglichkeit.
Auch alte Ausleger hatten diese Ansicht.
Wir sind nicht die Ersten, die darauf kommen.
Theoretisch kann man diese Stelle auf den Tempel von damals beziehen.
Dann spricht Paulus verkürzt, dass Jesus Christus eingreift und Gericht hält.
Das ist verkürzte Sprache, wie oft in der Prophetie.
Jesus wird denjenigen vernichten, der vorher kommt.
Das ist vorher geschehen.
Für die Thessalonicher war das wichtig, weil einige meinten, Christus sei schon da.
Paulus sagt: Nein, vorher muss der Abfall geschehen.
Ich habe gerade gesagt, dass mit Abfall die Juden gemeint sein könnten. Das ist eine Vermutung, kein Beweis.
Es könnte auch die Christenheit meinen, die abfällt.
Die Christenheit als Ganzes fällt nicht ab, denn der Herr bewahrt seine Gemeinde.
Wir sind geprägt vom Christentum, besonders im Westen.
Früher waren viele vielleicht nicht wiedergeboren, aber wohlwollend gegenüber dem Glauben.
Jetzt lehnen sie Jesus ab.
Das könnte der Aufruhr sein, der hier beschrieben wird.
Theoretisch ist das möglich, auch die Übersetzung lässt das zu, denn das Wort kann Aufruhr oder Rebellion bedeuten.
Es kann sich auch auf die Juden beziehen, denn es war eine Rebellion.
Jesus sagte, dass die Gesetzlosigkeit überhandnehmen wird – nicht in Japan oder Europa, sondern dort, wo er war, in Jerusalem.
Es ist eine Frage, ob man den Antichristen als anstatt Christus oder als Gegenchristus sieht.
Wenn man ihn als Gegenchristus sieht, ist es Aufruhr.
Ich plädiere dafür, biblisch zu sprechen.
Wenn wir Antichrist sagen, sollten wir nur die Stellen betrachten, wo der Begriff vorkommt.
Der Begriff „Antichrist“ kommt nur im 1. und 2. Johannesbrief vor.
Ich mag niemandem einen Titel geben, der nicht in der Bibel steht.
In der Bibel ist der Antichrist ein religiöser Verführer, kein politischer Weltherrscher.
Ich kenne keine Stelle, die den Antichristen als globalen Herrscher bezeichnet.
Das ist eine Fiktion, die seit Jahren in der christlichen Welt kursiert.
Wir sollten biblische Vokabeln verwenden, das hilft uns weiter.
Dann kommen die Dinge an ihren Platz.
Sonst haben wir einen Antichrist in der Offenbarung, der dort gar nicht vorkommt.
Ich weiß, das zerstört das ganze System, ich weiß, wie es mir geht.
Wir müssen nicht heute Abend alle Fragen lösen.
Aber wenn es uns anregt, in die Schrift zu schauen, legen wir Bücher wie „Alter Planet Erde“ zur Seite.
Wir schauen nur, was der Text sagt.
Das hilft uns, vorsichtiger zu sein, nicht spekulativ, nicht auf Ereignisse wie den Irakkrieg zu deuten.
Wir sagen nur, was der Text sagt.
Ich bin froh, wenn mich Leute korrigieren und sagen, dass das nicht im Text steht.
Dann erkenne ich, dass ich zu weit gegangen bin.
Ich wollte auch sagen, dass der Sohn des Verderbens kein Imitat von Jesus ist, sondern sein Gegenspieler.
Sehr gut, das ist es.
Zurück zu Matthäus 24.
Warum gibt es einerseits Stellen, die von Zeichen sprechen, und andererseits Stellen, die sagen, es gibt keine Zeichen?
Die Lösung ist einfach: Die Zeichen betreffen die Tempelzerstörung, die Wiederkunft hat keine Zeichen.
Die Wiederkunft kann jederzeit geschehen.
Es gibt Christen, die stark dafür plädieren, dass Jesus jederzeit kommen kann.
Andere sagen, es müssen bestimmte Zeichen geschehen.
Das sind die zwei Positionen.
Die Harmonie ist, dass die Zeichen zur Tempelzerstörung gehören, die Wiederkunft keine Zeichen hat.
Das hat Paulus in 2. Thessalonicher auch so gesagt: Der Herr kann nicht kommen, bevor nicht einiges geschieht.
Da haben wir auch ein Zeichen: Gott schaltet kurz vorher die Lichter ab, es wird dunkel.
Sacharja wird oft als Grundlage für die Eschatologie genommen.
Aber Sacharja spricht in Bildersprache.
Es ist besser, zuerst die Apostel zu fragen und dann zu Sacharja zu gehen.
Wir sollten Sacharja nicht zuerst deuten und dann die Apostel zurechtbiegen.
Vorsicht mit Sacharja.
Welche Stelle meinst du? Sacharja 12,10?
Wir haben nur noch zwei Minuten.
Machen wir Pause.
Heute Nacht ist Zeitumstellung, wir haben eine Stunde länger.
Wir könnten statt schlafen die Zeit nutzen.
Machen wir jetzt Pause.