Nun haben wir heute eine Predigt, die Sie wahrscheinlich kennen. Wie auch ich, haben wir diese Geschichte schon aus den frühesten Kindertagen gehört, noch bevor wir zur Schule gingen. Schon damals hat uns jemand diese Geschichte erzählt, und sie hat uns schon im Kindesalter sehr gefesselt: die Geschichte vom verlorenen Schaf (Lukas 15).
Dazu gehört auch die Geschichte vom verlorenen Groschen, die eng mit der Geschichte vom verlorenen Sohn verbunden ist, ebenfalls in Lukas 15.
Es näherten sich Jesus viele Menschen, darunter Zöllner – ich würde lieber sagen Schwarzhändler. Es waren zweifelhafte Gestalten, Leute, die auf Kosten anderer ihr Schnäppchen machten. Außerdem kamen Sünder, um Jesus zuzuhören.
Die Pharisäer und Schriftgelehrten dagegen murrten und sagten: „Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen.“
Die Bedeutung der Erzählung und die Reaktion der Zeitgenossen
Jesus erzählte ihnen dieses Gleichnis und sprach: Welcher Mensch unter euch, der hundert Schafe hat, verliert nicht eines von ihnen und lässt die neunundneunzig in der Wüste zurück, um das verlorene Schaf zu suchen? Wenn er es gefunden hat, legt er es voller Freude auf seine Schultern. Und wenn er heimkommt, ruft er seine Freunde und Nachbarn und sagt zu ihnen: Freut euch mit mir, denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war.
Ich sage euch, so wird auch Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, mehr als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen.
Oder welche Frau, die zehn Silbergroschen hat und einen davon verliert: Zündet sie nicht ein Licht an, kehrt das Haus aus und sucht mit Fleiß, bis sie ihn findet? Und wenn sie ihn gefunden hat, ruft sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen und spricht: Freut euch mit mir, denn ich habe meinen Silbergroschen gefunden, den ich verloren hatte.
So sage ich euch: Es wird Freude sein vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut.
Ich bin heute Morgen nur kurz dabei, an einer Stelle einzuhaken, ganz am Anfang. Warum steht das überhaupt im Evangelium? Da sind etliche Menschen, die murren. Sie wissen, was murren bedeutet: Es heißt schimpfen, sich ärgern. Das gehört doch eigentlich gar nicht zur Geschichte, oder? Doch, natürlich gehört es dazu. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, denn erst dadurch versteht man die Geschichte richtig.
Dass sich Menschen an Jesus ärgern, ist außergewöhnlich. Wer hat denn eigentlich etwas gegen Jesus? Das wird wohl kaum jemand sagen, der die Bibel kennt. Wer kennt sie nicht und ist nicht angezogen von der Größe der Gestalt Jesu? Das versichern uns auch Atheisten immer wieder. Sie sagen, Jesus war eine große Persönlichkeit, ein edler Mensch, ein würdevoller Mensch, ein Vorbild für wahre Menschlichkeit. Das beeindruckt uns immer wieder unbeschreiblich.
Warum also ärgern sich Menschen an Jesus?
Die Herausforderung von Erwartungen an Jesus
Weil Jesus unseren Erwartungen entspricht – oder auch nicht. Heute ist es wieder modern, zu behaupten, Jesus habe Bücher geschrieben. Ein Stuttgarter Redakteur hat vor einigen Jahren mit seinem Buch, in dem er Jesus als einen Angehörigen der Qumran-Sekte darstellte, viele Auflagen erlebt.
Noch eine Anekdote: Eine Stadtdirektorin aus Stuttgart sagte zu ihm: „Wissen Sie, zum ersten Mal habe ich begriffen, ich halte ja sonst nichts von der Kirche, aber zum ersten Mal habe ich Jesus begriffen.“
Heute ist das wieder außer Mode. Aktuell ist ein Buch populär, in dem Jesus als der erste Mann oder die erste Frau dargestellt wird – oder vielleicht doch die letzte Frau, der erste Mann, ich weiß es auch nicht genau.
Alle Bilder, die man von Jesus über die Jahrhunderte hinweg gesehen hat, spiegeln immer den jeweiligen Blickwinkel wider. Jesus wurde dargestellt als der große Kämpfer, der mit der Geißel im Tempel für Ordnung sorgt, oder als der große Pazifist.
Jetzt werden Sie erleben, dass Jesus in keines der gängigen Bilder hineinpasst, die man von ihm macht.
Damals gab es in Israel eine Gruppe von Menschen, die wie niemand sonst auf den Messias wartete. Sagen Sie nichts Schlechtes über die Schriftgelehrten und Pharisäer, denn das waren Menschen, die wirklich in der Nacht wachgelegen haben und gefragt haben: Wann kommt endlich der Messias? Sie waren überzeugt, dass er kommen muss, und haben gebetet: „Komm doch bald!“ Und als er dann kam, haben sie gemurrt.
Liebe Schwestern und Brüder, ich habe eine Bitte an Sie: Machen Sie sich kein festes Bild von Jesus. Vielleicht sind Sie auch heute hier im Gottesdienst mit Erwartungen an Jesus gekommen. Ich erlebe das immer wieder, und es schmerzt mich, wenn Menschen sagen: „Ich komme nicht mehr in den Gottesdienst, ich bin enttäuscht von Jesus.“
Sie sagen: „Ich habe erwartet, dass er mich gesund macht – aber das hat er nicht getan.“ Andere sagen: „Ich habe erwartet, dass er meine Ehe heilt – aber das ist nicht geschehen.“
Ja, viele Erwartungen an Jesus wurden nicht erfüllt. Warum ist das so? Weil Jesus viel größer und wunderbarer ist, als wir uns vorstellen können.
Die Gefahr falscher Vorstellungen von Jesus
Ist es nicht erschreckend, dass fromme Leute sich ein Bild von Jesus machen? Ist es nicht erschreckend, dass fromme Menschen wie diese Schriftgelehrten, die täglich Stunden mit der Bibel verbringen und das Wort Gottes mehr hören als andere, dennoch verloren gehen? Weil sie sich ein Bild von Jesus machten und nicht darauf achteten, wer Jesus wirklich ist?
Wie ist er denn wirklich?
Bei der Vorbereitung dieser Predigt habe ich sehr gelitten. Ich habe mich gefragt, ob wir die Geschichte nicht einmal ganz neu hören können. Können wir sie so hören, dass sie wieder ganz unmittelbar zu uns spricht?
Heute möchte ich Ihnen keine tiefen Auslegungen geben, sondern einfach ein schlichtes Zeugnis. Ich hatte den Eindruck, der Herr hat selbst mit mir gesprochen. Und daher sagt er zu mir: „Du meinst immer, du könntest mich verkündigen. Ich will dir zuerst etwas verkündigen.“
Die zentrale Botschaft: Wir sind alle verloren
Was ist ihm denn wichtig? Wir sind alle verlorene Menschen. Ich weiß, man kann die Geschichte auch ganz anders verstehen. Man könnte sagen, es ist schön, dass sich Jesus um die Ausgeflippten kümmert, um die Gescheiterten im Leben, um die Gestrandeten, um die Fixer und um die Kriminellen.
Dann sagt man, Jesus war so gütig und ist ihnen nachgegangen. So macht man aus Jesus den ersten Sozialarbeiter. Das passt gut in unser Menschenbild von Jesus hinein: Er war ein Wohltäter.
Doch wenn Jesus die Geschichte erzählt, geht es ihm um etwas ganz anderes. Er sagt: Mir geht es um verlorene Menschen. Wenn man genau hinhört, merkt man, dass es nicht nur um das eine verlorene Schaf geht, sondern eigentlich sind alle verloren.
Die Schriftgelehrten erst recht, mit ihrer großen Selbstgerechtigkeit. Die Pharisäer mit ihren vielen Taten, die sie vollbrachten – das waren Leute, die sich in der Armenfürsorge hervortaten und sich für die Ehre Gottes einsetzten. Verlorene Menschen, die den Hirten nicht mehr kennen.
Das Bild spricht für sich.
Das Bild des verlorenen Schafes und seine Bedeutung
Das Schaf, das von der Herde weggelaufen ist, war stehen geblieben. An einem schönen Futterplatz hatte es den Anschluss verloren. Als es sich umschaute, war die Herde weg.
Was war der Grund? Wir wissen es nicht, denn wir haben nur ein Bild, ein Gleichnis.
Doch das Schaf, das ich plötzlich allein in der Nacht vorfinde: In der Nacht wird es bitterkalt, und man hört die wilden Tiere heulen. Es gibt kein Licht mehr, und man sieht den Weg nicht mehr.
Ich vergesse nicht, wie mir, liebe Helferin der Kinderkirche, einst am Feuersee erzählt wurde, wie furchtbar dieses Schäflein abgestürzt ist und plötzlich in einem Dornstrauch hängenblieb. Wie oft habe ich die Bilderbücher immer wieder angesehen! Wie sehr haben mich diese Wunden getroffen, die die Dornen reißen? Und wie das Schaf da drin hängt, in diesen Dornen, sich nicht mehr befreien kann.
Jesus versteht Menschen besser, als wir uns selbst verstehen. Jetzt möge der Heilige Geist das Wunder tun, dass sie begreifen und sagen: „Das spricht er ja von mir. Das ist ja mein Leben.“
Ich habe ja auch einmal eine Entscheidung für Jesus getroffen. Ich wollte doch auch zur Herde gehören. Das ist mir unter die Haut gefahren, als ich bei der Konfirmation eingesegnet wurde, sagen sie. Oder später bei der Evangelisation, wo ich bewusst „Ja“ sagte.
Und was kam dann? Dann kamen die vielen eigenen Wege. Heute reden sie nur noch von den großen Schwierigkeiten und Wunden ihres Lebens, von der Einsamkeit, davon, dass sie den Weg nicht mehr wissen, dass sie Angst haben und von so vielen Gefahren umgeben sind.
Die tiefere Dimension des Verlorenseins
Liebe Freunde, an dieser Stelle möchte ich mit der Predigt nicht stehen bleiben, denn Jesus ist ein ganz anderer Seelsorger. Er sagt, dass das Verlorensein nicht nur darin besteht, in den Verstrickungen des Berufsalltags und der Arbeit gefangen zu sein oder von Menschen bedrängt zu werden. Vielmehr liegt das Verlorensein darin, dass wir unter die Gewalt anderer Mächte geraten sind.
Diese Mächte sind die Finsternis, die herrscht. Das bedeutet, wir sind von Gott weg. Jetzt sind andere Mächte am Werk, die uns treiben. Die Eigensucht, die Sünde, hat in unser Leben Einzug gehalten. Wir haben gegen Gott gehandelt und uns gegen sein Wort aufgelehnt. Wir sind verlorene Menschen.
Es ist nicht einfach nur ein harmloser Spaziergang, wenn man den Anschluss an die Herde verpasst. Man kann sogar sonntags im Gottesdienst sitzen und doch den guten Hirten schon lange nicht mehr haben. Man hat seine Weisung in den Wind geschlagen und sein Wort beiseitegelegt. Man lässt alles nur noch über sich ergehen. Das ist nicht mehr da.
Verlorene Menschen – das ist ein erschütterndes Wort in der Bibel. Es kommt immer wieder vor. Dieses unvergessliche Wort in Johannes 3,16, wo Jesus sagt: So sehr hat Gott diese Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen. Sie sollen nicht verloren gehen – das ist Jesus wichtig.
Wissen Sie, Sie können in der Welt gesund bleiben bis ins 85. Lebensjahr und Erfolg im Beruf haben. Aber das ist doch nicht das Entscheidende. Sie dürfen Gott nicht verloren gehen. Es geht nicht um fromme Sprüche, sondern darum, ob Sie in der Hand des guten Hirten sind.
Und Sie kennen doch die Geschichte, die Jesus danach erzählt. Wir reden von den beiden verlorenen Söhnen. Nicht nur der eine, der die Welt hinausgeht, ist verloren. Auch der andere, der immer beim Vater blieb, aber sein Herz nie dem Vater schenkte, ist fremd im Vaterhaus. Verlorene Söhne sind nie richtig heimgekehrt.
Hier ist ein Schaf, das für sich selbst lebt und sich in Schwierigkeiten verheddert. Heute sitzt man dann im Gottesdienst und erwartet nur eine Antwort auf die Nöte. Und jetzt sagt Jesus: Stopp, stopp, stopp! Ich bin nicht dein Gesundmacher, ich bin kein Wundertäter – auch wenn ich das kann. Ich bin zuerst gekommen, um zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.
Die zentrale Aufgabe Jesu und ihre Bedeutung für die Gemeinde
Liebe Schwestern und Brüder,
wenn Jesus nicht mehr im Zentrum unserer Gottesdienste, unserer Jugendarbeit und unserer Seniorenarbeit steht, bleibt nur noch Kulturunterhaltung übrig. Dann wird es leer, obwohl Jesus doch mittendrin sein will.
Es darf uns nicht wundern, wenn die Kirche oft ihre Kraft und Vollmacht verliert. Dort, wo Jesus wirkt, legt er den Finger auf die entscheidenden Stellen und sagt: „Das will ich tun, das ist das Allerwichtigste!“
Aber was wird dann aus der Gesellschaft? Was wird aus der Politik? Jesus sagte: „Wenn ihr zu mir heimfindet, wird die Welt neu. Dann werden die Familien neu, dann wird die Gesellschaft neu.“
Wissen Sie das? Wo Jesus in unserem Leben wirken kann, geschehen ganz große Veränderungen.
Es ist eine Einladung: Komm doch heim, komm doch heim! Jesus sucht dich. Lass dich finden! Es geht um die Verlorenen.
Das Bild des verlorenen Groschens als Symbol für das Leben
Das andere Bild soll nicht verschwiegen werden: das Geldstück, das der Hausfrau aus der Hand rutscht und irgendwo in der Wohnung auf den Boden fällt. Sie hatten damals keine Teppichböden, wie wir sie heute kennen, sondern Dielen. Und das Geldstück rutscht irgendwo zwischen die Dielen durch.
Das ist kompliziert: Soll man alle Dielen herausreißen, bis man das Geldstück findet? Dieses Bild steht für unser Leben. Das Geldstück trägt noch das Bild – den Prägeadler Gottes – den Prägeadler Gottes. Wir sind nach dem Bild Gottes geschaffen, das sieht man. Aber irgendwo ist das Geldstück in den Schmutz gefallen, und nun liegt es im Dreck. Man kann mit ihm nichts mehr anfangen. Es hat noch seinen Wert, aber dieser Wert kann nicht umgesetzt werden.
Das ist das Bild unseres Lebens: So wie das Geldstück aus der Hand rutscht und nun gesucht wird. Wir sind beim zweiten Bild: Jesus sucht, bis er es findet. Ich habe da meine Zweifel, ob es je in der Welt einen Hirten gegeben hat, der so ein verlorenes Schaf sucht. Die Hirten haben ja deshalb eine Haftpflichtversicherung, wenn sie ihre Schafe verlieren. Sie übernehmen die Tiere von anderen und verwalten sie praktisch treuhänderisch.
Auch wenn sie alle sehr gute schwäbische Hausfrauen sind – oder zumindest viele Schwaben dabei sind – haben sie sich angewöhnt, auf den Penny zu achten. Aber ich glaube nicht, dass jemand von ihnen wegen eines Groschens auf den Nachtschlaf verzichtet. Ich hoffe das jedenfalls, sonst würde ich gerne mit Ihnen reden. Das wäre unnormal. Wenn jemand von euch wegen eines Groschens den Schlaf verliert, liebe Leute, dann lohnt sich das doch nicht. Man kann doch auch einmal etwas verlieren. Das gibt es überall. In der Industrieproduktion gibt es Ausschuss, und nichts ist vollkommen. Nur Jesus ist anders. Wissen Sie, nur Jesus ist anders.
Darf ich Ihnen heute den Trost verkündigen? Jesus sucht bis er findet. Nein, das macht kein Mensch: bis er sucht und sucht und sucht und die 99 anderen Schafe zurücklässt. Aber oft hat man den Eindruck, dass es in unseren Tagen so ist. Viele Christen meinen, das Wort von der Schuld und von der Sünde müsse nicht mehr im Mittelpunkt unserer Predigt stehen. Es wäre ein altmodisches Wort. Jesus lässt die 99 selbstgerechten in der Wüste zurück. Er geht an die Hecken und Zäune und lädt ein. Er sucht die Verlorenen und findet sie.
Dort, wo einer nur ein wenig offen ist, kann er sofort das Klopfen an der Tür hören. So sucht er, wie niemand sonst in der Welt sucht. Er sucht sie, er geht ihnen nach, und er möchte, dass sie einmal sagen: „Ich will wieder zurück, ich will Buße tun, ich will umkehren, ich will zurück zum guten Hirten. Ich will mich nicht mehr selbst führen.“ So haben wir gerade gesungen: „Du sollst als Hirte mich regieren.“
Im Evangelium findet man immer wieder Hinweise, wie Jesus gezittert hat und wie das Zagen ihn überfiel. Das haben wir letzten Mittwoch in unserem Bibelkreis besprochen. Warum ist Jesus das so schwer gefallen in Gethsemane? Die ganze Last vom Vater auf sich zu nehmen? Wir denken gern, es sei sicher gewesen, weil das Sterben so schwer ist. Das Sterben ist schwer, aber ich behaupte: Jesus hat nicht vor dem leiblichen Tod gezittert. Jesus hat auch nicht vor den Schmerzen gezittert. Das ist für uns vielleicht das Schwerste, noch schwerer als das Sterben, wenn wir sagen: „Ich muss viel Schmerz ertragen.“
Jesus hat nicht gezittert vor dem Spott und der Verachtung der Menschen. Vor was hat er denn gezittert? Vor der großen Not, dass Menschen verloren gehen. Auf dem Weg zum Kreuz sieht Jesus diese große Not: wie Menschen in großer Zahl sich von Gott losgerissen haben. Und wer einmal den Schmerz darüber gespürt hat, der kann nachts nicht mehr schlafen.
Das treibt mich um. Ich habe eine alte Frau erlebt, die schon schwer krank und im Delirium war. Als man ihr die stärksten Morphium-Tabletten gab, rief sie immer wieder den Namen einer Enkeltochter, von der sie wusste, dass sie wegen der Sünde verloren ging. Da hat sie etwas von der Hirtenart Jesu erfasst. Da ist einer, der von Haus zu Haus läuft – nicht, weil er Hausbesuche machen will, sondern weil ihn umtreibt, dass Menschen eingeladen werden. Da hat jemand Jesus begriffen.
Und es wird schwer, wenn Menschen die Tür zuschlagen und „Nein“ sagen. Das ist nicht wichtig, ob der Saal voll oder leer ist und ob Menschen ihren Erlöser, Retter und Heiland finden. Vielleicht ist das am Allerschwersten: wenn man das Sonntag für Sonntag und dennoch in der Bibelstunde oder im Hauskreis hört, und gar nicht mehr weiß, dass das doch uns angeht.
Das Evangelium ist so einfach. Ich brauche kein tolles Jesusbild, sagen Sie. Was ist eigentlich bloß in die Christenheit gefahren, dass sie meinen, sie müssten das Evangelium aufpeppen? Sie meinen, das alte Evangelium müsse attraktiv gemacht werden für unsere Zeit. Sie wollen Jesus für unsere Gesellschaft „auffrisieren“.
Jesus hat das Einzige, was er dieser Welt bieten kann, auch heute so klar und deutlich angeboten: dass Menschen heimfinden und Gottes Gnade empfangen. Das Vaterhaus steht offen. Was wollen wir denn sonst predigen? Das Vaterhaus steht offen.
Vielleicht sind wir zu selbstsicher, zu eingebildet, zu hochmütig geworden. Wir versagen Jesus, wenn wir dein Wort von der Sünder-Gnade nicht mehr wissen. Uns ist es peinlich vor unseren Nachbarn. Bei der Sünde denken die immer wieder an so einen Schmusefilm. Dabei weiß doch jeder Mensch, was Sünde bedeutet: meine Trennung von Gott, meine Eigenmächtigkeit, wo ich mein Leben bis zum Tod selbst festhalten will.
Und Jesus sucht uns. „Kehre doch um!“ So sucht Jesus uns eindrücklich. Er ruft: „Komm doch, komm doch, lass dich finden!“ Und das soll jedes Mal von uns so sein: Wir sollen nicht verloren werden. Gott will und soll geholfen werden.
Deshalb kam sein Sohn auf die Erde und herrscht nun im Himmel. Deshalb klopft er immer wieder so stark an unser Herz. Darum sind die Schwierigkeiten in unserem Leben oft unlösbar. Darum werden wir mit den Problemen fertig, weil er uns sucht und sagt: „Komm doch, ich gehe dir nach. Ich suche dich. Ich vergesse dich nicht. Bis ich dich gefunden habe, werde ich dir nachgehen.“
Die Freude über die Rettung und ihre Bedeutung
Jetzt muss ich noch von der großen Freude der Rettung erzählen. Das ist unbegreiflich, gerade wenn man Tierliebe kennt. Wie der Hirte einen großen Aufwand macht wegen eines kleinen Tierleins – es lohnt sich. Das gibt es nur bei Jesus: Dass der Einzelne so wichtig ist.
Heute sagt man oft, das Individuum sei nicht so wichtig. Doch das ist es ganz und gar. Für Jesus steht jeder ganz allein da. Ob ich ihn gefunden habe, ob ich Frieden gefunden habe – er nimmt die Dornen weg, er heilt die Wunden, er löst die Schwierigkeiten. Er nimmt die Bindungen weg, er befreit.
Auf einmal darf dieses verlorene und in Abgründe gefallene Schäflein wieder leben. Der Hirte trägt es auf seinen Armen. Darin liegt das ganze Evangelium. Die Schriftgelehrten haben das nicht verstanden und nicht angenommen. Es blieb ihnen fremd.
Haben Sie es verstanden? Warum muss ich Sie in vielem enttäuschen? Können viele Fragen Ihres Lebens keine Antwort geben? Ich darf Sie immer nur einladen: Heim zum guten Hirten.
In unseren Gemeinden herrscht wenig Freude. Wenn man richtig Freude machen will, dann muss man schon etwas Besonderes tun: einen besonders guten Kuchen backen oder ein besonderes Essen kochen. Gibt es das noch bei uns, dass wir zusammenkommen und uns freuen, sagen: „Hast du gehört? Da ist eine Ehe neu geworden. Das sind zwei Eheleute, die sich bloß zu Jesus umgekehrt haben. Jetzt ist alles neu geworden.“ Oder dass einer von den Konfirmanden das angenommen hat und wir dann alle zusammenkommen und uns freuen?
Jesus wusste, dass wir alle komische Griesgräme sind, auch in unseren Gemeinden, freudlose Gesellen. Darum ist Jesus im Himmel Freude. Im Himmel ist das wichtiger als der gesamte Abrüstungsprozess. Im Himmel gehört Freude zu den großen Dingen.
Wenn du heute heimkehrst, wenn ein Mensch anfängt, sich ganz dem guten Hirten Jesus zu verschreiben, dann erfüllen sich all die Worte: „Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir.“
Wissen Sie, wo Jesus unser Herr ist? Da wird unser ganzes Leben neu, total erneuert. Da herrscht Friede und Gerechtigkeit. Das sind Taten, die große Fülle, die sprudelt wie aus einem Quell.
Wie gesagt: „Ich kenne sie, sie folgen mir, und ich gebe ihnen das ewige Leben.“ Da kann sogar passieren, dass solche Menschen in all dem großen Leid ihres Lebens, mitten in schwerer Krankheit, geborgen und fröhlich sind. Weil sie sagen: „In des Hirten Arm und Schoß.“ Sie sagen: „Ich spüre das, und ich habe das.“ Daher schenkt mir das.
Armin.
