Dwight L. Moody ist vielleicht vielen von euch ein Begriff. Er war einer der bekanntesten Evangelisten im späten neunzehnten Jahrhundert. Damals gab es noch kein YouTube, aber Menschen aus der ganzen Welt reisten nach Amerika, um seine Konferenzen zu besuchen.
In einem Jahr kam eine große Gruppe von Pastoren aus Europa, um Moody zu hören. Diese Pastoren wurden während der Konferenz in einem Studentenwohnheim untergebracht. Wie damals in Europa üblich, stellten sie ihre Schuhe vor die Tür, in der Erwartung, dass ein Diener kommt und die Schuhe für den nächsten Konferenztag sauber macht.
Dann geschah Folgendes: Moody ging abends noch durch die Gebäude, um im Stillen für die Teilnehmer der Konferenz zu beten. Dabei bemerkte er, dass die Schuhe der europäischen Pastoren vor den Türen standen. Er wusste, dass dies in Europa Sitte war, aber wahrscheinlich nicht in Amerika. Im Studentenwohnheim gab es keinen Diener.
Moody war gerade mit einigen Studenten unterwegs und teilte dieses peinliche Missverständnis mit ihnen, damit sie die Notlage verstanden. Doch die Studenten kamen nicht auf die Idee, irgendwie mit anzupacken. Ohne ein Wort zu sagen, nahm Moody alle Schuhe und verbrachte den Abend und vielleicht auch einen Teil der Nacht damit, jedes einzelne Paar zu putzen und zu polieren.
Am nächsten Morgen standen die europäischen Pastoren mit sauberen Schuhen vor der Tür. Niemand wusste jedoch, dass es Moody selbst war, der in der Nacht die Schuhe geputzt hatte. Trotz seiner Berühmtheit blieb Moody immer demütig.
Die Grundlage für demütiges Dienen im Römerbrief
Genau darum geht es in meiner heutigen Predigt. Das Thema lautet demütiges Dienen. Der Predigttext stammt aus Römer 12, die Verse 3 bis 8.
Der Römerbrief teilt sich in zwei Teile. Was ich persönlich am Römerbrief so liebe, ist die Struktur – mir liegt auch ein Stück weit Systematik. Paulus rollt gerade im ersten Teil, in den ersten elf Kapiteln, die Systematik auf. Wie wir gleich an der Wand sehen werden, erklärt er das Evangelium im Römerbrief ausführlich und legt dar, wie ein sündiger Mensch gerettet werden kann.
Im zweiten Teil, und da sind wir gerade in meiner Römerbrief-Reihe, geht es in den Kapiteln 12 bis 16 darum, wie wir jetzt als Christen leben sollen. Diese Frage stellt sich uns allen: Wenn wir Kinder Gottes geworden sind, wie geht es weiter? Wie stellt sich Gott ein Leben zu seiner Ehre vor?
Ab Kapitel 12 beginnt Paulus genau damit. Kapitel 12 beginnt im Prinzip mit einer Überschrift. Die ersten zwei Verse in Kapitel 12 stellen sozusagen die Überschrift über das christliche Leben dar. Es geht um völlige Hingabe in Vers 1 und um persönliche Heiligung in Vers 2. Wir sollen uns dem Herrn ganz hingeben, ihm mit unserem Leib ganz zur Verfügung stellen und unser Denken beständig erneuern lassen.
Jetzt beginnt Paulus damit, diese Überschrift aus Kapitel 12, Vers 1 und 2 zu entfalten. Unser heutiger Predigttext ist sozusagen die Entfaltung von Römer 12,1 und 2.
Allein aufgrund der Stellung unseres heutigen Predigttextes im Römerbrief möchte ich hier Folgendes ganz dick unterstreichen: Der Dienst für Gott ist unsere Antwort auf seine wunderbare Rettung.
Wisst ihr, was diese Aussage alles beinhaltet? Der Dienst für Gott ist die Antwort auf seine Rettung. Das bedeutet: Der Dienst für Gott ist nicht das Mittel zur Rettung. Das verwechseln einige, aber Paulus erwähnt den Dienst für Gott nicht in Römer 3, sondern in Römer 12.
In Römer 1 bis 3 stellt er die Not des Menschen dar. Die Lösung für unsere Not, für unser Sündenproblem, ist nicht unser Dienst für Gott, sondern sein Werk für uns. Wenn wir das im Glauben annehmen, was Jesus für uns getan hat, werden wir errettet.
Aber der Dienst für Gott ist nicht das Mittel zur Rettung, sonst wären es Werke.
Eine zweite Aussage, die wir allein aus dieser Struktur entnehmen können, ist: Der Dienst für Gott ist nicht das Fundament unserer Heilsgewissheit.
Da, glaube ich, erwischt Paulus uns eher, vielleicht auch gerade als langjährige Christen, weil wir immer wieder zum Leistungsdenken neigen. Viele Christen glauben: Ja, ich bin allein durch den Glauben gerettet. Aber jetzt, wo ich Christ bin, muss ich Gott dienen, damit ich am Ende im Himmel ankomme.
Ganz ehrlich, ich glaube, auch viele im Raum denken das insgeheim. Dann bedeutet es aber, dass die Sicherheit unseres Heils von unserem Dienst abhängig ist. Und das ist eine Lüge. Das ist eine Lüge.
Dann ist unser Heil nicht sicher, wenn es von unserem Dienst abhängig ist.
So viele Christen neigen dazu, sich über ihren Dienst zu definieren. Der Dienst für Gott ist der Grund, warum Gott mich in den Himmel lässt. Nein, ist er nicht. Nein, ist er nicht.
Ich glaube, das ist so wichtig, dass wir das verstehen. Denn wenn du dich nur über deinen Dienst definierst und von daher deine Heilsgewissheit ableitest, was wird passieren, wenn du am Ende deines Lebens Gott nicht mehr dienen kannst? Wenn du krank bist, im Krankenbett liegst und plötzlich Zweifel kommen: Ich mache ja nichts mehr für Gott, wird er mich in den Himmel reinlassen?
Ihr Lieben, der einzige Grund für unsere Heilssicherheit ist nicht unser Werk für ihn, sondern sein Werk für uns. Unser ganzes Hoffen ruht allein auf Christi Blut und Kreuzesbein.
Einzig und allein, was er getan hat, ist unser Fundament. Und das ist so wichtig.
Daraus leitet sich die dritte Implikation ab: Der Dienst für Gott ist unsere dankbare Antwort auf seine Rettung.
Das ist es. Es geht um die dankbare Antwort. Wenn er das für mich getan hat, dann gebe ich ihm mich jetzt ganz hin – mit Haut und Haar. Und ich lebe im Dienst für ihn aus Dankbarkeit, nicht um gerettet zu werden, sondern weil ich gerettet bin, aus Dankbarkeit.
Und genau hier setzt der heutige Predigttext an.
Das angemessene Selbstbild als Grundlage des Dienstes
Jetzt erwähnt Paulus den Dienst in Römer 12. Was ist unsere Antwort auf das Evangelium? Bevor Paulus über das Dienen an sich spricht, beginnt er mit der Haltung des Dieners. Das ist mein erster Punkt: das angemessene Selbstbild.
Ich lese Vers 3: „Denn ich sage durch die Gnade, die mir gegeben wurde, jedem, der unter euch ist, nicht höher von sich zu denken, als zu denken sich gebührt, sondern darauf bedacht zu sein, dass er besonnen sei, wie Gott einem jeden das Maß des Glaubens zugeteilt hat.“
Bevor die eigentliche Aufforderung hier kommt, schiebt Paulus zwei Vorbemerkungen voraus. Er sagt einmal: Ich sage das, was ich jetzt gleich sagen werde, durch die Gnade Gottes, die mir gegeben wurde. Damit bezieht sich Paulus auf seine apostolische Autorität, die wir schon in Kapitel 1, Vers 5 gesehen haben. Paulus möchte deutlich machen, dass das, was er uns jetzt schreibt, wie christliches Leben aussehen soll, nicht einfach nur in seinem privaten Interesse ist. Gott hat ihn als Apostel eingesetzt, und was er uns jetzt schreibt, ist Gottes Wort für uns.
Es steht einem Christen nicht frei, so zu leben, wie er will. Gott sagt uns in seinem Wort, wie er christliches Leben denkt und wie es aussehen soll. Deshalb ist dieser Text so wichtig für uns.
Paulus macht noch eine zweite Vorbemerkung: Er schreibt das an jeden Einzelnen unter uns. Das heißt, wenn wir heute Morgen über demütiges Dienen sprechen, sind wir alle gefragt — jeder Einzelne. Ich möchte ermutigen, während der Predigt nicht an andere zu denken, sondern zu fragen: Was möchte Gott mir heute sagen? Dieser Text ist für mich. Paulus sagt: „Ich sage jedem Einzelnen unter euch.“
Er betont, wie wichtig es ist, dass wir uns selbst richtig einschätzen. Es ist gefährlich, wenn wir uns überschätzen. Ich lese noch einmal Vers 3: „Denn ich sage durch die Gnade, die mir gegeben wurde, jedem, der unter euch ist, nicht höher von sich zu denken, als zu denken sich gebührt.“
Die Gefahr der Selbstüberschätzung im Leben eines Christen ist sehr groß. Und unser Vers heute, Vers 3, beginnt mit einem „Denn“. Wenn wir dieses kleine Wort „Denn“ lesen, müssen wir uns immer den Vers davor anschauen. Was steht denn davor? Paulus sagt in Vers 2: „Und seid nicht gleichförmig dieser Welt, sondern werdet verwandelt durch die Erneuerung des Sinnes.“
In Kapitel 12, Vers 2, geht es um unser verändertes Denken. Wir sollen nicht weltlich denken. Wie denkt die Welt? In der Welt geht es darum, etwas sein zu wollen, etwas haben zu wollen, etwas genießen zu wollen. Es geht um den Hochmut des Lebens, sagt Johannes. Es geht um Stolz. Stolz ist das Wesen dieser Welt. Es geht darum, sich selbst zu verwirklichen.
Paulus sagt in Vers 2: „Euer Denken muss sich verändern.“ Wie zeigt sich ein verändertes Denken? Dass wir jetzt eben nicht mehr höher über uns denken, als sich gebührt.
Das ist ein Riesenthema, natürlich auch gerade für die Christen in Rom. Der Römer war ein stolzer Mensch. Das war das Weltimperium. Und deswegen schreibt Paulus den Christen in Rom: „Denkt nicht höher über euch.“ Das hatten wir schon in Kapitel 11. Dort sagt Paulus den Heidenchristen: Haltet euch nicht für etwas Besseres als die Juden, nur weil ihr den Messias erkannt habt und sie nicht. Das ist eine Tendenz, dass man auch als Christ stolz wird.
Stolz ist immer eine Gefahr, auch im Leben der Jünger. Schaut mal, was in Markus 9, Vers 33-34 steht: „Sie kamen nach Kafarnaum. Zuhause angekommen fragte Jesus seine Jünger: Worüber habt ihr unterwegs gesprochen? Sie schwiegen, denn sie hatten sich auf dem Weg gestritten, wer von ihnen wohl der Größte sei.“
Liebe Gemeinde, Stolz ist so eine Gefahr in unserem Leben. Stolz ist eine große Gefahr in meinem Leben. Ich bin heute hierher gefahren und fühle mich so unwürdig, diese Predigt zu halten. Herr, bitte nimm du allen Stolz weg.
Es ist eine Gefahr, die immer wieder in unserem Leben auftaucht. Es ist auch eine Gefahr in deinem Leben. Es ist eine Gefahr, dass wir uns selbst überschätzen.
Im Juni 2021 kam es in Österreich zu einem Großeinsatz an der Falkensteinwand am Wolfgangsee. Ein 26-jähriger junger Mann ist beim Klippenspringen aus 40 Metern Höhe tödlich verunglückt. Das ist so tragisch. Eine Salzburger Zeitung titelte: „Aus dieser extremen Höhe springen dort nicht einmal die Profis.“ Da kann man sich doch die Frage stellen: Was hat sich dieser junge Mann dabei gedacht? Es war eine absolute Selbstüberschätzung, aus 40 Metern Höhe zu springen, ohne die nötige Erfahrung.
Wisst ihr, was das Trügerische oder Gefährliche an Selbstüberschätzung ist? Derjenige, der sich selbst überschätzt, merkt gar nicht, dass er sich gerade selbst überschätzt. Das ist das Gefährliche an Selbstüberschätzung.
Und das ist nicht nur beim Klippenspringen so, das ist auch in unserem Leben so. Vielleicht ist es bei dir die berufliche Situation. Du kannst zurückschauen auf deinen Lebenslauf und bist jemand geworden im Beruf. Und insgeheim gehst du morgens in die Firma mit der Genugtuung: „Ich bin hier jemand, mich grüßen alle, die Firma kann froh sein, dass ich da bin.“
Vielleicht ist es deine Social-Media-Plattform, die Anzahl der Likes, die du bekommst, die Anzahl der Follower, die Anzahl der Abonnenten oder was auch immer. Und darüber definierst du dich, daraus leitest du deine Identität ab. „Ich bin jemand, weil mir so viele Leute folgen.“
Liebe Gemeinde, Stolz ist eine Gefahr in jeder Altersklasse. Stolz ist eine Gefahr für Senioren. „Ich lasse mir von diesem jungen Prediger nichts sagen, der hat noch nicht so viel Lebenserfahrung wie ich.“ Was ist das anderes als purer Stolz?
Vielleicht bist du stolz auf deine Stellung in der Gemeinde. Die Gemeinde kann froh sein, ich habe mir über jahrelangen Dienst hier eine Stellung, ein Ansehen erarbeitet. Und wenn ich nicht da wäre, hätte die Gemeinde ein echtes Problem.
Vielleicht überschätzt du dich aufgrund deiner Gemeindezugehörigkeit, aufgrund der Länge der Gemeindezugehörigkeit. Was willst du eigentlich sagen? „Ich bin erst seit acht Monaten hier. Ich bin seit 25 Jahren hier in der Gemeinde, ich bin langjähriges Mitglied, ich habe die Gemeinde mit aufgebaut, die Gemeinde kann froh sein, dass ich hier bin.“ Das ist Stolz.
Das würden wir so nicht aussprechen, aber kann es sein, dass das manchmal unsere Gedanken widerspiegelt? Stolz hat so viele Facetten. Liebe Gemeinde, Stolz kann richtig demütig rüberkommen. Und die Gefahr an einem stolzen Menschen ist, dass er seinen Stolz nicht sieht, weil er stolz ist. Das ist die Gefahr.
Ich wünsche mir für dich, dass Gott dir heute deinen Stolz aufzeigt, wenn er vorhanden ist. Ich möchte einige Kriterien durchgehen und dich bitten, das mal auf dich anzuwenden und zu reflektieren.
Beschreiben diese sieben Kennzeichen dein Leben?
Erstens: Stolze Menschen können die Fehler anderer jederzeit aufzeigen. Sie konzentrieren sich aufs Versagen anderer und führen Buch über die Fehler anderer.
Zweitens: Stolze Menschen kritisieren häufig Autoritätspersonen. Sie können es nicht ertragen, geleitet zu werden.
Drittens: Stolze Menschen glauben, dass sie besser sind als die meisten anderen. Sie beten: „Ich danke dir, dass ich nicht so bin wie die anderen Leute.“
Viertens: Stolze Menschen müssen beweisen, dass sie Recht haben. Sie können nicht im Unrecht sein.
Fünftens: Stolze Menschen fordern auch ein, was ihnen zusteht. Sie sind anspruchsvoll und nutzen ihre Macht gerne aus.
Trifft das auf dich zu?
Sechstens: Stolze Menschen sind sehr gut darin, wenn sie gelobt werden, und verzweifelt, wenn sie kritisiert werden.
Siebtens – und der hat es in sich – stolze Menschen denken jetzt schon an bestimmte Menschen, die diese Kriterien lesen müssten. Sie erkennen ihren eigenen Stolz nicht.
Wo gibt es Stolz in deinem Leben? Ihr wärt erschrocken, wenn ihr wüsstet, was mir manchmal für Gedanken kommen, wo ich Buße tun muss, weil ich das feststelle: Es ist so ein Stolz.
Galater 6, Vers 3 heißt es: „Denn wenn jemand meint, er sei etwas, obwohl er doch nichts ist, der betrügt sich selbst.“
Das Kennzeichen eines Stolzen ist, dass er vergisst, wer er ist. Und er vergisst, wer Gott ist.
Wie armselig ist unser Stolz angesichts der Wahrheit aus Römer 11,36, übrigens der Kontext unseres Predigttextes. Dort heißt es: „Denn aus ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei die Herrlichkeit in Ewigkeit, Amen!“
Der Vers sagt: Alles in der Schöpfung, alles in der Rettung hat seinen Ursprung in Gott, alles wird durch Gott vollzogen, alles ist auf ihn ausgerichtet.
Und wenn wir ankommen und höher über uns denken, als sich gebührt, sagen wir letztendlich: Gott, ich beanspruche deinen Thron. Das ist ein Anbetungsproblem.
Liebe Gemeinde, dann beten wir: „Vater unser, eigentlich mein Reich komme, mein Wille geschehe.“
Liebe Gemeinde, Stolz ist so eine Gefahr. Stolz ist eigentlich die Ursünde überhaupt. Man könnte wahrscheinlich alle anderen Sünden auf diese eine Sünde zurückführen: Stolz.
Deswegen warnt Paulus uns hier vor Hochmut. Und es braucht Gnade, dass Gott uns vom Stolz überführt – oder auch einen Ehepartner, den Gott immer wieder gebraucht.
Er warnt aber nicht nur, sondern zeigt auch auf, wie verändertes Denken aussehen soll. Und das liebe ich am Wort Gottes: Nicht so, sondern so. Wie sollen wir stattdessen über uns denken?
Da heißt es: „Sondern darauf bedacht zu sein, dass er besonnen sei, wie Gott einem jeden das Maß des Glaubens zugeteilt hat.“
Besonnen zu sein hat etwas mit Nüchternheit zu tun, mit einem klaren Denken. Stolz ist eigentlich ein verdrehtes Denken, wenn wir höher über uns denken.
Nüchternheit, Besonnenheit heißt, wir sehen uns im richtigen Licht. Das ist das, worum es hier geht. Und zwar geht es hier um das Licht des Evangeliums.
Angesichts des Evangeliums schätzen wir uns richtig ein, wer wir sind.
Paulus sagt hier: „Wie Gott einem jeden das Maß des Glaubens zugeteilt hat.“ Und das muss richtig verstanden werden.
Hier geht es noch nicht um die Gaben – auf die kommen wir gleich noch zu sprechen in unserem Text – sondern hier geht es um den Glauben.
Und die Schwierigkeit, die sich jetzt stellt, ist die Frage: Hat Gott ein unterschiedliches Maß an Glauben verschiedenen Christen geschenkt?
Ich denke, so muss dieser Text nicht verstanden werden. Es ist nur durch die Übersetzung etwas erschwert.
Die NEÜ übersetzt hier etwas anders, und ich folge hier der NEÜ.
Laut NEÜ geht es darum, dass der Glaube der Maßstab ist, an dem sich alles misst.
Da heißt es: „Aufgrund der Gnade, die Gott mir gegeben hat, warne ich jeden Einzelnen von euch: Denk nicht höher von dir, als dir zukommt, sondern schätze dich selbst richtig ein.“
Maßstab für die richtige Selbsteinschätzung – wie kann ich mich richtig selbst einschätzen? Maßstab dafür ist der Glaube, den Gott jedem von uns zugemessen hat.
Der Theologe Eckhart Schnabel formuliert es so: Mit Glaube ist am plausibelsten der Inhalt des Glaubens gemeint. Und das ist jetzt der wichtige Satz, der kommt: Die Norm der besonnenen Selbsteinschätzung ist das Evangelium.
Das ist das, was Paulus hier eigentlich deutlich machen möchte.
Und, liebe Gemeinde, im Evangelium gibt es keinen Platz für Stolz.
Das Evangelium beginnt mit der schlechten Nachricht, dass wir Gott gar nichts bieten können, dass wir elende Sünder sind, nicht fähig, Gott zu gefallen, völlig erbärmlich in unserer Sünde verloren.
Und Gott in seiner großen Barmherzigkeit greift ein, entscheidet sich, uns zu retten, indem er seinen Sohn Jesus auf diese Welt schickt.
Jesus erfüllt den Maßstab Gottes. Er hält sich an alle 613 Einzelgebote, die es im Alten Testament gibt. Er tut den Willen seines Vaters, geht dann ans Kreuz, da wo ich hätte sein müssen.
Jesus stirbt für mich, für meine Schuld.
Und wenn ich das annehme im Glauben, wird mir die Gerechtigkeit, das gerechte Leben Jesu, auf mich übertragen.
Ich laufe jetzt als Christ mit einem Mantel der Gerechtigkeit umher, aber es ist eine Gerechtigkeit, die nicht meine ist. Es ist eine Gerechtigkeit, die seine ist.
Er hat alles getan, und ich stehe als Bettler vor ihm mit leeren Händen.
Ich habe keine andere Wahl, als mich auf Jesus zu werfen und ihm zu vertrauen.
Und er sagt: „Andre, ich spreche dich für gerecht. Du kriegst meine Gerechtigkeit.“ Es geschieht aber völlig außerhalb von dem, was du bist.
Ich spreche dich nicht für gerecht, weil du gerecht bist. Ich liebe dich nicht, weil du so liebenswert bist. Du bist das Gegenteil davon.
Aber ich liebe dich, weil ich die Liebe bin.
Und ich spreche dich für gerecht, weil mein Sohn gerecht gelebt hat.
Liebe Gemeinde, das ist das Evangelium. Wir empfangen es als geistlich arme Bettler.
Und dann ist es doch völlig pervers, uns etwas darauf einzubilden.
Liebe Gemeinde, das Evangelium ist das beste Mittel gegen Stolz in unserem Leben.
Wenn du mit Stolz zu kämpfen hast, geh immer wieder zum Kreuz.
Lies Römer 1 bis 4 und werde dir dessen bewusst: Es ist nur sein gnädiges Eingreifen in deinem Leben.
Das, was du bist, bist du nicht, weil du immer gut aufgepasst hast in der Kinderstunde.
Das, was du bist, bist du nicht, weil du so ein toller Bibelleser bist.
Das, was du bist, ist: Christus hat sich über dich erbarmt und dich angenommen.
Da bleibt kein Platz für Stolz.
Paulus sagte in Römer 3: „Wo bleibt das Rühmen? Es ist ausgeschlossen.“
Und diese gesunde Selbsteinschätzung brauchen wir.
Ich war hoffnungslos verloren, Jesus hat sich meiner erbarmt.
Er hat mich für gerecht erklärt.
Ich bin geliebt.
Ich bin ein neuer Mensch in Christus.
Aber alles habe ich von außen bekommen.
Und deswegen lebe ich jetzt für ihn.
Das notwendige Gemeindeverständnis als Rahmen für den Dienst
Darum geht es im Evangelium. Um demütig zu dienen, braucht es nicht nur ein angemessenes Selbstbild. Es braucht auch das richtige Gemeindeverständnis. Das ist mein zweiter Punkt heute in dieser Predigt: das notwendige Gemeindeverständnis.
Ich lese jetzt die Verse 4 und 5 einmal vor:
„Denn wie wir in einem Leib viele Glieder haben, aber die Glieder nicht alle dieselbe Tätigkeit haben, so sind wir, die vielen, ein Leib in Christus, und einzeln Glieder voneinander.“
Paulus sagt hier: Erstens ist es wichtig, dich im Licht des Evangeliums zu sehen. Zweitens ist es auch wichtig, dich im Kontext der Gemeinde mit deinen Gaben zu sehen. Es geht nicht darum, dass wir uns über andere erheben und denken, ich bin besser, weil ich andere Gaben habe als das andere Gemeindemitglied.
Wir müssen den Leib verstehen, wir müssen Gemeinde richtig verstehen. Paulus verwendet hier in Vers 4 das Bild von einem menschlichen Körper. Dieses Bild ist für uns alle zu jeder Zeit total verständlich, weil wir alle im Körper leben. In Vers 5 wendet er dieses Bild dann auf die Gemeinde an. Es ist ein geistliches Bild für Gemeinde.
Lassen Sie mich hier einen kleinen Zwischeneinschub machen:
Es ist doch interessant, dass Paulus direkt am Anfang in Römer 12, da, wo er beginnt, das christliche Leben zu entfalten – also wie Gott sich das christliche Leben gedacht hat – so ziemlich direkt am Anfang im Prinzip sagt: Du gehörst in eine Ortsgemeinde. Es gibt kein gesundes Christsein außerhalb einer lokalen Ortsgemeinde. Das können wir aus Römer 12,4 entnehmen.
Es gibt kein gesundes Christsein zuhause auf dem Sofa vor dem Livestream dauerhaft. Es gibt kein gesundes Christsein als Gemeindehopper, mal in der Gemeinde, mal in der Gemeinde. Ortsgemeinde ist hier gemeint, die Gemeinde in Rom, an die Paulus schreibt. Und das ist so wichtig, dass wir das auf dem Schirm haben.
Paulus macht hier zwei Aussagen:
Er sagt erstens, wir sind trotz der Vielfalt ein Leib. Ja, es gibt ganz viele unterschiedliche Gemeindemitglieder. Es gibt ganz viele unterschiedliche Gaben. Aber wir dürfen uns hier nicht in Konkurrenz sehen, sondern wir sind trotz der Vielfalt ein Leib. Die Einheit muss in der Gemeinde bewahrt werden.
Zweitens sagt er: Die Vielfalt in der Gemeinde signalisiert eigentlich unsere Abhängigkeit voneinander. Das ist wie beim menschlichen Körper: Der Fuß braucht die Augen. Ohne Augen läuft der Fuß in eine komplett falsche Richtung. Der Fuß ist auf die Augen angewiesen. So sind wir in der Gemeinde auf die anderen Glieder angewiesen. Aber dann dürfen wir uns ja nicht über sie stellen, weil wir sie brauchen.
Das ist das richtige Verständnis, das uns auch in der Demut hilft. Es ist im Prinzip ähnlich wie beim Mannschaftssport: Der beste Stürmer beim Fußball braucht den Zehner. Er braucht den Vorlagengeber, denjenigen, der ihm die Bälle zuspielt, damit er Tore machen kann. Der beste Stürmer wäre nichts ohne einen Torwart. Er würde ständig verlieren, weil kein Torwart im Tor ist.
Jeder ist wichtig in einer Mannschaft, und das ist genauso auch in der Gemeinde. Gemeinde ist kein Starensemble, sondern alle sind gefragt.
Am letzten Mittwoch ist die Fußballmannschaft Paris Saint Germain krachend aus der Champions League rausgeflogen – besiegt durch eine Mannschaft aus Süddeutschland. Wir müssen wissen: Seit Jahren investiert Katar in die Fußballmannschaft Paris Saint Germain. Ölmillionen fließen da rein, weil sie endlich mal die Champions League gewinnen wollen.
Auch für diejenigen, die sich nicht so viel für Fußball interessieren: Da werden Hunderte Millionen in Spieler gesteckt, damit Paris endlich mal – so will es der Ölmillionär – die Champions League gewinnt. Messi, Mbappé, Neymar – alle in einer Mannschaft. Das ist ein Starensemble. Und sie haben es nicht geschafft, die Mannschaft aus Süddeutschland zu besiegen. Sie sind krachend rausgeflogen.
Das zeigt uns einmal mehr: Beim Fußball geht es nicht um ein Starensemble, sondern um ein Mannschaftsgefüge. In der Gemeinde geht es nicht um Einzelkönner. In der Gemeinde geht es nicht darum, dass du eine Plattform zur frommen Selbstverwirklichung hast. In der Gemeinde geht es um den Leib.
Ich möchte nicht, dass die evangelische Freikirche Köln Ostheim nach ihren Pastoren benannt oder definiert wird. Das Wunderbare an dieser Gemeinde ist der Leib – der Leib aus verschiedenen Gliedern. Oh, wie sehr schätze ich unsere Geschwister hier! Sie sind so liebevoll und können das tun, was ich nicht kann.
Wir brauchen einander, und das ist das Wunderbare an Gemeinde. Demütiger Dienst hat genau das verstanden: Ich brauche die anderen, und deswegen erhebe ich mich nicht über die anderen.
Der fokussierte Gabeneinsatz als Ausdruck der Demut
Das führt uns zum dritten und letzten Punkt: dem fokussierten Gabeneinsatz. Ich lese die Verse 6 bis 8:
„Da wir aber verschiedene Gnadengaben haben, nach der uns gegebenen Gnade, so lasst uns sie gebrauchen: es sei Weissagung in der Entsprechung zum Glauben, es sei Dienst im Dienen, es sei, der da lehrt in der Lehre, es sei, der ermahnt in der Ermahnung, der mitteilt in Einfalt, der vorsteht mit Fleiß, der Barmherzigkeit übt mit Freudigkeit.“
Diese Verse 6 bis 8 sind weiterhin im Zusammenhang mit Vers 3 zu sehen. Wir sollen nicht höher von uns denken, sondern uns einfach darauf konzentrieren, unsere Gaben einzusetzen. Punkt. Darum geht es. Schau nicht auf andere, sondern auf welche Gabe du hast. Bring sie ein. Punkt. Darum geht es.
Das ist demütiger Dienst. Dabei darf Demut nicht falsch verstanden werden. Manche verstehen Demut so, dass sie sich in die letzte Reihe setzen und ständig sagen: „Ich kann nichts“, und halten sich deshalb für demütig. Demütig bedeutet vielmehr: Erkenne deine Gaben, setze sie ein, aber verzichte auf Anerkennung. Das ist wahre Demut.
Paulus erwähnt hier die Gnadengaben. An anderen Stellen werden sie als Geistesgaben bezeichnet, aber es ist dasselbe. Allein der Begriff Gnadengabe bedeutet ja, dass es ein Geschenk ist, das wir bekommen. Es ist also völlig unlogisch, dass wir uns auf unsere Gaben etwas einbilden. Wir haben sie uns nicht erarbeitet oder ausgesucht. Der Heilige Geist entscheidet in seiner Souveränität: „Dir gebe ich die Gabe, dir gebe ich die Gabe und dir gebe ich die Gabe.“
Jeder Christ hat mindestens eine Gabe. Kein Christ hat alle Gaben. Wisst ihr warum? Damit wir immer voneinander abhängig bleiben. Aber jeder Christ hat mindestens eine Gabe, die der Heilige Geist gegeben hat.
Ich möchte diese sieben Gaben, die Paulus hier nennt – es ist keine vollständige Liste, in 1. Korinther 12 werden noch weitere Gaben genannt – kurz vorstellen. Ich habe nämlich nur zehn Minuten Zeit. Es wird nur ein grober Abriss sein, aber ich möchte dich ermutigen, heute hier mit der Frage zu sitzen: „Herr, ist das meine Gabe? Hast du sie mir gegeben? Dann will ich sie für dich einsetzen.“
Wenn du deine Gabe übrigens noch nicht entdeckt hast: Nach dem Gottesdienst gibt es einen Stand im Foyer. Dort wird unsere Dienstschulung vorgestellt. Dort sind Geschwister, die gerne mit dir über deine Dienste sprechen und dir Dienstmöglichkeiten in der Gemeinde zeigen. Welche dieser sieben Gaben treffen auf dich zu?
Die erste Gabe, die Paulus nennt, ist die Gabe der Weissagung oder Prophetie. Das ist auch die komplizierteste Gabe, die wir heute besprechen. Wie definieren wir diese Gabe? Ich definiere sie wie folgt und lehne mich dabei an unser Dienstprogramm an:
Die von Gott gegebene Fähigkeit, Gottes Wahrheit für eine bestimmte Situation zu offenbaren und so konkret auszusprechen, dass sie zu mehr Verständnis, Korrektur, Umkehr und Ermutigung führt.
Genau das haben die Propheten im Alten Testament gemacht: Sie haben Gottes Wort in die konkrete Situation hineingesprochen. Menschen mit dieser Gabe werden sowohl auf der Kanzel gebraucht, um in die Situation hineinzusprechen, als auch im Zweiergespräch. Sie bekommen manchmal ein Wort von Gott durch den Heiligen Geist gegeben mit dem Auftrag, es einer anderen Person weiterzugeben.
Diese Gabe wird von vielen Gemeinderichtungen missbraucht. Dabei geht es immer darum, dass das, was wir weitergeben, kein persönlicher Eindruck oder eine bloße Gefühlsregung sein darf. Es muss dem Wort entsprechen und am Wort geprüft werden. Aber diese Gabe gibt es, und wir haben dazu erst kürzlich eine Stellungnahme vorgestellt.
Wenn du diese Gabe hast, setze sie ein und sprich das Wort Gottes in das Leben anderer Menschen.
Zweitens wird hier die Gabe des Dienstes erwähnt, oder man könnte auch sagen die Gabe der Hilfeleistung. Hier geht es um eine spezielle Gabe. Dienst klingt allgemein, aber alle Gaben sind speziell, deswegen auch diese.
Wie definieren wir die Gabe der Hilfeleistung? Es ist die von Gott gegebene Fähigkeit, praktische und notwendige Aufgaben zu erfüllen, die andere entlasten, unterstützen und ihren Bedürfnissen entgegenkommen.
Grundsätzlich gilt: Jeder Christ soll dienen, jeder Christ soll helfen. Wir sprechen gleich über die Gabe der Barmherzigkeit. Jeder Christ soll barmherzig sein. Aber es gibt Menschen, die hier noch einmal eine besondere Gabe haben – in einem ganz hohen Maß.
Menschen mit der Gabe des Dienstes sind echte Helfertypen. Sie sehen die Dinge im Hintergrund und bleiben gern dort. Diese Menschen müssen nicht auf die Bühne, wollen sie auch gar nicht. Sie gehen darin auf, im Hintergrund zu helfen, damit alles funktioniert.
Ich bin so dankbar für unsere 15 Diakone in der Gemeinde. Was für ein gutes Verhältnis wir als Pastoren zu unseren Diakonen haben! Es ist ein Geschenk. Der Psalmist sagt: „Wie lieblich ist es, wenn Brüder einträchtig miteinander leben.“ So ist unser Verhältnis zu den Diakonen.
Männer, die im Hintergrund so viel tun, damit wir Pastoren uns wirklich nur auf die Predigt und das Gebet konzentrieren können. Aber wir brauchen die Diakone in der Gemeinde.
Wir haben inzwischen fünf Sekretärinnen. Was bin ich dankbar für unsere Sekretärinnen! Sie nehmen uns so viel Organisatorisches ab, und die wenigsten bekommen mit, was sie tun. Sie gehen darin auf, im Hintergrund zu helfen, damit alles funktioniert.
Weißt du, wenn du viele Dinge siehst, die man besser machen könnte, und du das Anliegen hast, hier irgendwo im Hintergrund anzupacken, hast du wahrscheinlich diese Gabe. Setze sie ein.
Drittens nennt Paulus die Gabe des Lehrens. Er sagt: „Der, der die Gabe des Lehrens hat, soll sie in der Lehre einsetzen.“
Hier geht es um die von Gott gegebene Fähigkeit, die Bibel zu verstehen, verständlich zu erklären und so auf das Leben anzuwenden, dass andere in ihrem Glauben und Leben einen Schritt vorwärts gehen können.
Diese Gabe wird manchmal falsch verstanden. Man denkt, wenn jemand redegewandt ist, hat er die Gabe des Lehrens. Aber das muss nicht so sein.
Bei den Geistesgaben sind es ja auch Dinge, die Nichtchristen nicht können. Es sind übernatürliche Fähigkeiten. Es gibt genug Lehrer an säkularen Schulen, die mit Gott nichts zu tun haben, aber pädagogische Fähigkeiten besitzen.
Bei der Lehrbegabung geht es darum, dass man durch den Heiligen Geist Einsichten in das Wort Gottes bekommt. Und man hat die Fähigkeit, diese Einsichten so weiterzugeben, dass die Gemeinde erbaut wird.
Diese Gabe ist so wichtig bei uns im Nachwuchsbereich. In der Kinderstunde brauchen wir Geschwister mit der Lehrbegabung, in der Kleingruppenarbeit, im Glaubensgrundkurs und im Predigtdienst. Dort sind genau diese Geschwister mit dieser Gabe gefragt.
An vierter Stelle kommt die Gabe der Seelsorge. Paulus schreibt in Vers 8: „Es sei der ermahnt, er soll sie in der Ermahnung einsetzen.“
Das griechische Wort hier heißt Parakaleo und deckt eigentlich das ganze seelsorgerliche Feld ab. Hier geht es nicht nur um Ermahnen, sondern auch um Ermutigen, Trösten, Korrigieren und Herausforderung.
Deshalb fasse ich das hier unter der Gabe der Seelsorge zusammen.
Es geht um die von Gott gegebene Fähigkeit, die verschiedenen seelischen Nöte des Menschen erkennen zu können und dem Hilfesuchenden je nach Situation durch Ermutigung, Trost oder Korrektur zu helfen, seine Beziehung zu Gott wiederherzustellen oder zu vertiefen, damit er Christus immer ähnlicher wird.
Wir brauchen so sehr Geschwister mit dieser seelsorgerlichen Gabe. Wir werden seit Wochen mit E-Mails und Hilferufen von außen überhäuft: Eheprobleme, psychische Probleme, Menschen mit Zweifeln an der Heilsgewissheit.
Ich habe manchmal den Eindruck, die Not ist größer als unser Seelsorgeangebot.
Weißt du, wenn Gott dir hier zeigt, das könnte deine Gabe sein, dann komm bitte auf uns zu. Wir brauchen dich. Wir brauchen Menschen mit der Gabe der Seelsorge.
Es geht nicht unbedingt darum, Intensivseelsorge bei den ganz schweren Fällen zu leisten. Seelsorge beginnt oft darin, dass du gleich nach dem Gottesdienst in die Cafeteria gehst, betend, und den Herrn bittest, dir eine Person zu zeigen, die gerade Ermutigung braucht.
Dort beginnt Seelsorge.
Wir haben oft ein falsches Verständnis von Seelsorge, als ob sie nur mit großen psychischen Problemen zu tun hätte. Seelsorge beginnt im Zweiergespräch, wo wir einander ermutigen, aufrichten und füreinander beten.
Lass dich gebrauchen, wenn du diese Gabe hast.
Fünftens wird hier die Gabe des Gebens erwähnt. Paulus sagt: „Der mitteilt in Einfalt.“ Das bedeutet, der die Gabe des Teilens oder Gebens hat, soll dies ohne großes Aufsehen tun, einfach geben.
Wie definieren wir diese Gabe? Es ist die von Gott gegebene Fähigkeit, gerne und freiwillig Geld und andere Mittel für Menschen und Projekte zu spenden.
Jeder Christ hat gemäß 2. Korinther 8 und 9 den Auftrag zu spenden. Es geht darum, Gottes Großzügigkeit durch unsere Großzügigkeit widerzuspiegeln.
Dennoch gibt es Menschen, die diese Gabe in besonderem Maße haben.
Menschen mit dieser Gabe fragen nicht: „Wie viel muss ich spenden?“ Sie fragen sich: „Wie viel brauche ich zum Leben, und den Rest gebe ich ins Reich Gottes?“ Und sie haben Freude daran, zu geben.
Ich bin so dankbar, dass wir solche Menschen haben. Ich bin 21 Jahre lang mit so einem Menschen aufgewachsen. Dann habe ich Vater und Mutter verlassen und geheiratet. Aber ich konnte solche Menschen beobachten, die alles ins Reich Gottes zurückstellen, ein kleines Auto fahren und möglichst viel Geld in die Mission investieren.
Wenn du diese Gabe hast, brauchen wir dich dringend. Wir brauchen Finanzen. Wir wollen gerade ein Frauenhaus gründen. Wir haben schon das Haus und die Mitarbeiter, aber wir müssen Stellen schaffen. Wir brauchen Finanzen für Räumlichkeiten.
Wir wollen Missionare aussenden. Die nächsten Missionare stehen in der Warteschlange. Das wird Geld brauchen.
Jeder ist gefragt, aber wenn du die Gabe hast, bist du erst recht gefragt.
Sechstens wird hier die Gabe der Leitung erwähnt. Ich finde es spannend, dass Paulus sie einfach mal so zwischendurch nennt. Sie ist nicht die erste oder letzte Gabe, auf die sich alles ausrichtet, sondern eine Gabe wie jede andere.
Leiter sind eben auch nur Teil des Leibes, möchte Paulus sagen. Und das ist richtig. Aber es braucht die Leitungsgabe.
Der, der vorsteht, soll es mit Fleiß tun.
Es geht um die von Gott gegebene Fähigkeit, Menschen geistlich zu versorgen, ihnen Perspektiven zu vermitteln und sie so anzuleiten, dass sie gemeinsam Gottes Ziele anstreben.
Jede Gemeinde braucht Leiter. Gemeinde steht und fällt mit einer gesunden Leiterschaft.
Wir brauchen auch weiterhin Bereichsleiter in unserer Gemeinde, damit das Wort Gottes gepredigt wird und die Gemeinde gut geleitet wird.
Ich glaube, hier gibt es einen kleinen Zwischenfall. Wir machen mal ganz kurz Pause.
Das passt gut zur Gabe der Barmherzigkeit, die jetzt kommt.
Das ist die siebte und letzte Gabe, die ich hier erwähnen möchte.
Menschen mit der Gabe der Barmherzigkeit sehen die Not anderer und wollen gerne eingreifen.
Paulus sagt hier ganz am Ende unseres Predigttextes: „Der Barmherzigkeit übt mit Freudigkeit.“
Bei dieser Gabe geht es um die von Gott gegebene Fähigkeit, gerne und ganz praktisch Menschen zu helfen, die leiden oder in Not sind.
Diese Menschen werden regelrecht von der Not anderer angezogen. Sie können nicht einfach an einer Not vorbeigehen.
Vielleicht kennen wir das Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Einige sind einfach vorbeigegangen an der Not, aber der barmherzige Samariter hat die Not gesehen, ist gerne eingegriffen und hat über das hinaus geholfen, was vielleicht im ersten Moment nötig schien.
Es ist kostbar, dass wir Menschen mit dieser Gabe haben.
Ich bin mit so einem Menschen verheiratet und kann nur sagen: Es ist bewegend zu sehen, wie sie von der Not anderer erfasst sind. Es beschäftigt sie.
Wenn die Not einer Person wieder aus dem Sinn ist, denken Menschen mit dieser Gabe weiter darüber nach. Sie melden sich bei der Person, fragen sich: „Was können wir machen? Wie kann ich praktisch helfen?“
Wir brauchen solche Menschen.
Wir haben viele Nöte in der Gemeinde, viele alleinerziehende Mütter. Dafür haben wir oft wenig Verständnis, weil wir vielleicht nicht in dieser Lebenssituation sind.
Menschen mit der Gabe der Barmherzigkeit sehen die Not, versetzen sich in die Situation einer alleinerziehenden Mutter und überlegen: „Wie kann ich helfen? Wie kann ich vielleicht Babysitter sein, damit die Schwester auch mal an Gemeindeveranstaltungen teilnehmen kann?“
Wenn du diese Gabe hast, die Gabe der Barmherzigkeit, dann kann ich nur sagen: Es ist eine kostbare Gabe, und wir brauchen sie dringend in der Gemeinde.
Zusammenfassung und Aufruf zum engagierten Dienst
Damit möchte ich die Predigt jetzt noch einmal zusammenfassen. Worum geht es hier eigentlich? Es geht um demütiges Dienen. Es geht darum, dass wir uns ganz dem Herrn zur Verfügung stellen und unsere Gaben einbringen.
Ich mache mir Sorgen über einige, die ein Konsumentenchrist sind. Ich bin besorgt über ihren geistlichen Zustand. Dabei spreche ich nicht von Gästen, sondern von Gemeindemitgliedern, die sonntags hierherkommen, den Gottesdienst einfach konsumieren, sich aber nicht daran beteiligen.
Weißt du, dass unser Putzteam letzte Woche sehr aktiv war, damit heute alles sauber ist? Weißt du, dass die Musiker, die heute die Musik gemacht haben, schon um sieben Uhr morgens hier waren, während du wahrscheinlich noch geschlafen hast? Weißt du, dass die Techniker gestern bis ein Uhr nachts hier waren, um die Boxen anzubringen, damit wir heute die Predigt gut verstehen können? Weißt du, dass eine Predigtvorbereitung manchmal 20 bis 30 Stunden Arbeit kostet, du aber hierherkommst, sie in 45 Minuten aufnimmst und dann wieder gehst? Dabei lebst du auf Kosten anderer – auf Dienstkosten anderer. Das ist ein geistliches Problem.
Ich möchte dich herausfordern und ermutigen, heute eine ganz wichtige Entscheidung zu treffen: Sag, dass du nicht länger Konsument sein willst. Herr, ich will, wenn ich verstanden habe, was du für mich getan hast, als Antwort auf deine Rettung mich in das Werk des Herrn hineingeben. Ich will mich investieren. Ich möchte dich bitten, mir zu zeigen, wo ich dienen kann. Aber ich möchte nicht länger ein Konsumentenchrist sein.
Letztendlich geht es darum, einen Lebensstil zu führen, in dem Jesus im Mittelpunkt steht. Genau dieses Lied wollen wir jetzt zum Abschluss singen – als Antwort auf die Predigt, stehend. Es ist unsere Antwort auf das, was der Herr für uns am Kreuz getan hat. Wir sagen ihm noch einmal neu: Jesus, sei du der Mittelpunkt in meinem Leben, und ich möchte mich für dich einsetzen. Lass uns dazu aufstehen und das Lied singen.