Einführung und Zielsetzung der Betrachtung
Und ich freue mich darauf, heute mit euch zusammen den Kolosserbrief zu betrachten. Ich habe euch Unterlagen zusammengestellt – diese hier. Wenn ihr einen Blick hineinwerft, werdet ihr feststellen, dass sie hauptsächlich den Bibeltext gegliedert enthalten.
Die praktische Idee hinter meinen Vorträgen ist folgende: Ich möchte nicht, dass ihr danach nach Hause geht und einfach nur einen vollen Kopf habt. Das kann ich euch geben, wenn ihr wollt – also unendlich viel Wissen über den Kolosserbrief. Was mich aber viel mehr reizen würde, weil das unser Christsein wirklich ausmacht, ist, wenn ihr einfach zuhört, den Text mitnehmt und dort, wo ihr denkt, das ist wichtig, euch direkt in den Text etwas reinschreibt.
Oder vielleicht habt ihr nebenbei ein Blatt, auf das ihr einfach nur die Bibelstelle schreibt und was euch aufgefallen ist. Was ich möchte, ist, dass ihr nach Hause geht und in der nächsten Woche wenigstens fünf Dinge anders macht. Haben wir uns richtig verstanden? Fünf. Fünf ist die Zahl zwischen vier und sechs. Fünf. Ihr dürft mehr machen, aber nicht weniger.
Warum? Wenn ihr einen Tag hier verbringt und euch das anhört, einen ganzen Tag lang, aber in der nächsten Woche nicht fünf Sachen anders macht, dann könnt ihr auch zu Hause im Bett bleiben. Dann schlaft gemütlich aus, gönnt euch ein bisschen Ruhe, hört euch irgendeine Predigt an – braucht ihr aber eigentlich auch nicht, weil ihr ja hier seid, um die Bibel zu hören und etwas daraus zu machen.
Ich möchte fünf konkrete Anwendungen von jedem von euch am Ende des Tages haben. Dieses Buch ist so reich, ich könnte auch sagen, fünfzig Dinge, und ihr hättet eine Chance. Aber ich will nur fünf. Ich bin lieb – oder ich bin dabei, lieb zu werden. Sagen wir es so: Ich bin noch nicht lieb, aber ich bin dabei, lieb zu werden. Und deswegen fünf.
Das heißt, am Ende des Tages, in der letzten Stunde, wenn ich daran denke, frage ich euch: Was sind deine fünf Anwendungen? Was möchtest du konkret in der nächsten Woche anders machen? Es geht mir nicht darum, dass du sagst: Erste Anwendung, ich werde die ganze Welt missionieren; zweite Anwendung, ja, nicht so groß – mach es klein. Aber mach es konkret. Mach es so, dass sich dieser Tag für dich in deinem Leben wirklich gelohnt hat. Dass du nach Hause gehst und sagst: Ich bin anders geworden.
Wenn das nicht der Fall ist oder wenn du sagst, das war eigentlich nicht meine Intention, herzukommen, dann kann ich mit Hans reden, dass du dein Geld zurückbekommst. Dann bist du falsch. Wir sind falsch, wenn wir das Wort Gottes benutzen und einfach nur Informationen anhäufen wollen.
Christsein ist etwas ganz Praktisches. Deswegen ist Christsein so leicht. Gott sagt uns, was wir tun sollen, wir tun es. Und weil wir es tun, haben wir ihn lieb. Und weil wir ihn lieb haben, segnet er uns. Und weil wir merken, dass Segen toll ist, machen wir wieder das, was er will – ganz simpel.
Man darf Christsein nicht kompliziert machen. Und der Kolosserbrief ist ein Brief, der uns an dieser Stelle sehr viel weiterhilft.
Historischer Hintergrund und Entstehung der Gemeinde
Starten wir mit einer kleinen Einführung in dieses Buch. Die Stadt Colossae liegt in der Nähe von zwei anderen Städten, die wir aus der Bibel kennen, nämlich in der Nähe von Laodicea und Hierapolis.
Colossae selbst hatte im fünften und vierten Jahrhundert vor Christus große Bedeutung. Die Geschichtsschreibung beschreibt sie als eine sehr bekannte und wohlhabende Stadt. Vor allem war sie kommerziell bedeutsam, da es dort Wollhandel gab.
Interessanterweise verlor Colossae diese Bedeutung im Laufe der Zeit – ähnlich wie es anderswo der Fall war. Ich habe gerade gesehen, dass dort ein Schild steht, das an das Bauernsterben in den Sechzigern erinnert. Wenn man hier in der Nähe unterwegs ist, sieht man ein Fenster mit Bildern dazu. Die Kolosser haben etwas Ähnliches hinter sich.
Irgendwann war die Stadt groß und mächtig. Doch dann gibt es Laodicea und Hierapolis. Diese Städte wachsen immer weiter, während Colossae zusehen muss, wie seine Bedeutung schwindet. Colossae ist vielleicht die unbedeutendste Stadt, an die Paulus je einen Brief geschrieben hat. Schon witzig, oder? Ein wirklich kleines Kaff, das nur noch aus Erinnerungen lebt. Früher waren sie mal wer, aber inzwischen, wenn man Arbeit sucht oder eine Ausbildung machen will, geht man nach Laodicea oder Hierapolis.
Colossae war eine multikulturelle Stadt und Teil der römischen Provinz Asia. Bereits im frühen zweiten Jahrhundert vor Christus, unter Antiochus III., siedelten sich dort Juden an. Das bedeutet, dass es ein sehr frühes jüdisches Element in Colossae gab.
Wie entstand die Gemeinde? Nicht durch Paulus, wie man vielleicht vermuten würde, dass er auf einer seiner Missionsreisen dort vorbeikam. Nein, das stimmt nicht. Wahrscheinlich gründete ein Mann namens Epaphras die Gemeinde. Wir nehmen an, dass dies in den Jahren 52 bis 55 geschah, also in der Zeit, in der Paulus selbst in Ephesus seinen Dienst tat.
Epaphras gründete die Gemeinde in Colossae und kümmerte sich anscheinend auch um die Gemeinden in Laodicea und Hierapolis. Der Brief an die Kolosser wurde überbracht, und es gab einen Briefträger namens Tychikus. Mit ihm war jemand anderes unterwegs, den wir kennen: Onesimus.
Wo gehört Onesimus hin? Richtig, zu Philemon. Vielen herzlichen Dank. Also, wir sind gerade dabei, zu verstehen, wo Paulus war. Ich habe schon gehört: Er war in Rom, im Gefängnis. Dort passiert einiges. Unter anderem trifft er auf den entlaufenen Sklaven von Philemon, den Onesimus. Dieser muss wieder zurück nach Hause. Tychikus nimmt ihn zusammen mit dem Brief mit.
Anlass und thematische Schwerpunkte des Kolosserbriefs
Was ist der Anlass für den Kolosserbrief?
Der Anlass für den Brief sind falsche Lehren. Es ist für uns nicht ganz einfach, die Problematik zu erfassen, denn Brieftexte im Neuen Testament gehören wahrscheinlich zu den schwierigsten Texten, die man sich vorstellen kann. Ich bekomme einen Brief, kenne weder den Absender richtig, noch kenne ich die Empfänger genau, und auch das Problem ist mir nicht vollständig bekannt. Dabei kennen sich alle Beteiligten untereinander. Ich habe nur diesen einen Brief.
Was ich tun muss, ist ähnlich wie bei einem Puzzle: Ich schaue, wo das Problem angesprochen wird, und setze so nach und nach die Teile zusammen, um eine Vorstellung davon zu bekommen, warum der Kolosserbrief geschrieben wurde. Wenn wir dieses Puzzle zusammensetzen, merken wir, dass sich verschiedene Probleme zeigen, mit denen die Kolosser zu kämpfen haben.
Auf der einen Seite gibt es jüdische Probleme. Was wären typische jüdische Probleme? Das Gesetz, genau. Immer wieder geht es um Fragen wie: Muss ich mich noch beschneiden lassen? Darf ich am Sabbat irgendetwas tun? Wie ist das mit den Festtagen? Was darf man essen und was nicht? Diesen Komplex finden wir im Brief.
Daneben gibt es einen zweiten großen Komplex. Er betrifft das Thema Philosophie und Elemente, die wir als frühgnostisch bezeichnen. Es geht um die Frage, wie man Gott näherkommen kann, um mystische Einflüsse – heute würden wir vielleicht von Esoterik sprechen. Diese Elemente finden wir ebenfalls.
Wir merken, dass die Gemeinde in dem Moment, als Paulus den Brief schreibt, gerade noch an der Schwelle steht, keine Probleme zu haben. Epaphras, der Gemeindegründer, erkennt, dass er eine junge Gemeinde hat, die eigentlich noch gut dasteht. Doch diese junge Gemeinde gerät nun in den Bannkreis bestimmter Denkströmungen.
Da sind zum einen die jüdischen Elemente: Wie ist das mit dem Gesetz? Zum anderen gibt es die Ideen, dass man mystische Erfahrungen machen müsse. Reicht der Glaube, den ich habe? Ist das, was ich mit Gott erlebe, schon alles? Müsste ich mich nicht nach mehr Erfahrungen ausstrecken?
Und da stehen diese Irrlehrer vor der Tür. Man merkt, wie in der Gemeinde die ersten Ohren aufgehen, wie einige anfangen, aufmerksam zu werden. Könnte an dem, was von außen in die Gemeinde hineinkommt, vielleicht doch etwas Wahres dran sein? Epaphras merkt, dass seine Autorität nicht ausreicht. Das ist ein Prinzip: Der Prophet gilt im eigenen Land oft nichts. Das heißt, wenn jemand aus der Gemeinde etwas sagt, wird das oft weniger ernst genommen als wenn es jemand von außen sagt.
Deshalb reist Epaphras nach Rom, geht zu Paulus und bittet ihn, einen Brief zu schreiben. Paulus schreibt diesen Brief und erklärt den Kolossern – und das ist spannend – nicht ausführlich, warum die Philosophien und die jüdischen Vorschriften falsch sind. Das macht er nur nebenbei.
Was Paulus stattdessen tut, ist Folgendes: Er geht einen Schritt zurück und überlegt, was eigentlich verloren geht, wenn ich mich für Ideen öffne, die mir scheinbar einen tieferen Zugang zu Gott geben, in Wirklichkeit aber nur ein Fake sind – also nicht echt.
Was bleibt auf der Strecke? Die Antwort lautet: Auf der Strecke bleibt meine Gottesbeziehung. Immer dann, wenn ich glaube, ich könnte aus eigener Kraft noch etwas zu meiner Beziehung zu Gott hinzufügen – zum Beispiel indem ich bestimmte Dinge nicht mehr tue, obwohl Gott das nie verlangt hat – oder wenn ich mich in Richtung Askese bewege und so lange nichts esse, bis mir irgendwelche Visionen kommen, weil mein Gehirn einfach überreizt ist, verliere ich den Blick auf Jesus.
Egal, was ich tue: Wenn ich versuche, diese Beziehung aus eigener Kraft, die ich schon zu Jesus habe, noch zu intensivieren, ohne zu begreifen, dass ich schon alles habe, verliere ich alles. Ich verliere den Blick auf Jesus.
Deshalb geht Paulus einen Schritt zurück. Das Erste, was er tut, ist, uns vor Augen zu führen: Wer ist Jesus eigentlich? Welche Bedeutung hat Jesus in meinem Leben?
Nachdem er das geklärt hat, überlegt er: Wenn das stimmt, wenn wir jetzt wissen, wer Jesus ist und was er bedeutet, wie fühlt sich dann Christsein eigentlich an? Was hat das im Hinblick auf die Probleme, die in der Gemeinde bestehen, für Folgen?
Und dann wird Paulus sehr speziell.
Abfassungsort und Überblick über die Struktur des Kolosserbriefs
Der Abfassungsort des Briefes war in Rom während der Gefangenschaft des Apostels Paulus. Man nennt den Kolosserbrief, den Philipperbrief, den Philemonbrief und den Epheserbrief zusammen auch Gefängnisbriefe.
Ich denke, wir schauen uns jetzt einfach mal den Text an. Ihr habt eine Gliederung, die könnt ihr einfach mitverfolgen. Sie ist in eurem Studienheft abgedruckt, hier auf Seite zwei unter dem Inhaltsverzeichnis. Dort könnt ihr grob sehen, wie der Brief aufgebaut ist.
Ihr merkt schon, es geht alles um Christus. Schlagt bitte mal auf Seite zwei das Inhaltsverzeichnis auf, und dann gehen wir das einmal kurz durch, damit wir eine Idee über die Struktur bekommen.
Der Kolosserbrief fängt ganz normal an. Normal heißt, es ist ein Brief. Also steht am Anfang etwas Persönliches. Deswegen gibt es in den ersten zwei Versen einen Gruß. Dann folgen die Verse drei bis acht mit einem Dank, und anschließend steigt der Brief in eine Fürbitte ein. Das ist noch relativ einfach.
Aber schon nach diesem Eingangsblock, den ich mit „Christus genügt“ überschrieben habe, folgt ein großer Abschnitt von Kolosser 1,15 bis 2,23. Darin geht es um die Frage, welche Bedeutung Christus eigentlich hat. Erstens im Blick auf alle Dinge – das sind die Verse 15 bis 23. Wir werden feststellen, dass Jesus Christus nicht nur Anfang und Ziel aller Dinge ist, sondern auch das Zentrum des apostolischen Dienstes.
Paulus stellt die Frage: Wie ist mein Dienst mit diesem Christus verbunden? Das sind die Verse 24 bis Kapitel 2, Vers 5. Danach kommt schon der Punkt „Christus – Anfang und Ziel meines Lebens“. Ihr merkt, es geht immer wieder um Christus: Was er überhaupt ist, was er im Blick auf den Dienst des Paulus bedeutet und was er im Blick auf mein Leben ist.
Das ist die Theorie. Der Kolosserbrief hat am Anfang einen theoretischen Teil. Es ist typisch für paulinische Briefe, dass am Anfang ein ordentlicher Block Theorie steht. Dann folgt irgendwann die Aufforderung: Wenn du es verstanden hast, dann mach bitte das.
Solltest du bis Kapitel 2, Vers 23 noch keine Anwendung gefunden haben, von den fünf Anwendungen, die du finden sollst, dann fang spätestens in Kapitel 3 an. Dort kommen wir nämlich von der Theorie zur Praxis. In Kapitel 3 findest du eigentlich in jedem Vers mindestens eine Anwendung, eher fünf.
Wahrscheinlich brauchst du nur einen Vers aus Kolosser 3, und du hast genug, was du schreiben kannst. Denn Kolosser 3 zeigt, wie Christen Christus leben.
Dort gibt es einmal die ersten vier Verse: Der Christ auf der Suche nach dem, was droben ist. Ihr werdet sehen, Christen sind Menschen, die sich mit dem beschäftigen, was im Himmel ist. Sie leben zwar noch hier auf der Erde, aber das ist nur für eine Weile. Das ist so ein „Naja, da muss man durch“, aber das ist nicht das Eigentliche.
Dann folgt der Abschnitt „Der Christ – weg mit dem alten Menschen“, mit fünf Anwendungen. Diese springen euch schon entgegen. Ihr ahnt schon, da gibt es sehr viel Richtiges. Das ist so ein tiefer Blick in den Spiegel: Wo stehst du heute? Wo sagt die Bibel, dass du stehen sollst? Und was könntest du in der nächsten Woche tun, damit du da ein Stück hinkommst? Das sind die Verse 5 bis 11.
Dann folgt die Frage: Wie sieht ein Christ aus? Die Insignien der Heiligen in Kolosser 3,12-17.
Und dann, ganz praktisch, kommt noch eine Haustafel hinterher. Was heißt das für Männer, was für Frauen, was für Kinder, für Arbeitnehmer und für Arbeitgeber? So ganz praktisch: Wie fühlt sich Christsein an?
Zum Schluss gibt es noch einen kleinen Schluss, in dem noch ein paar Grüße enthalten sind.
Das ist der Kolosserbrief. Da möchte ich mit euch durchgehen, und wir starten einfach mal ganz vorne.
Der Gruß und seine Bedeutung
Kolosser 1, Vers 1 beginnt mit dem Gruß in den ersten beiden Versen: Paulus, Apostel Christi Jesu durch Gottes Willen, und Timotheus, der Bruder. Paulus ist Apostel. Der Begriff Apostel wird im Neuen Testament auf verschiedene Weise verwendet. Allgemein bedeutet er einfach Gesandter oder Überbringer einer Botschaft. In einem engeren, speziellen Sinn bezeichnet er den Kreis derer, die von Jesus ausgesandt wurden, um seine Gemeinde zu bauen.
Man muss immer prüfen, ob der Begriff Apostel eher allgemein oder speziell gemeint ist. Hier, wenn Paulus mit „Apostel“ anfängt, schiebt er seine Autorität nach vorne. Er möchte sagen: Ich bin einer, der durch Gottes Willen berufen ist. Das habe ich mir nicht ausgesucht, Gott hat mich beauftragt, seine Gemeinde zu bauen. Ich habe eine besondere Berufung erhalten und schreibe diesen Brief in der Autorität dieser Berufung – zusammen mit Timotheus.
Der Brief richtet sich in Vers 2 an die heiligen und gläubigen Brüder in Christus zu Kolosse: „Gnade euch und Friede von Gott, unserem Vater.“ Solche Texte liest man oft: Absender, Empfänger, dann der Gruß „Gnade euch und Friede“. „Heilige, gläubige Brüder“ klingt freundlich. Der Begriff „Brüder“ müsste eigentlich mit „Geschwister“ übersetzt werden, denn im Deutschen leitet sich „Geschwister“ vom Wort „Schwester“ ab. Das bedeutet, dass im Wort „Geschwister“ auch die Brüder enthalten sind.
Im Griechischen ist es genau umgekehrt: „Adelfoi“ heißt Brüder, aber darin sind auch die Schwestern mitgemeint, zumindest wenn es als Geschwister gemeint ist – und das ist hier der Fall. Der Brief richtet sich also an Christen, die Paulus als heilig und gläubig bezeichnet. Heilig bedeutet „beiseite gesetzt für Gott“. Wir haben eine besondere Berufung und sind auf dieser Welt, um für Gott zu leben. Gläubig zu sein heißt, dass wir unser Leben Gott anvertraut haben und ein Leben führen wollen, das sich an Gottes Maßstäben orientiert.
Wir fürchten Gott und wollen ihm gefallen. Dabei ist es ein Abfallprodukt, den ganzen Segen zu empfangen, den Gott denen verheißt, die so leben. Aber zuerst geht es darum, Gott zu gefallen. Heilig und gläubig in Christus bedeutet, dass wir in einer persönlichen Beziehung zu Jesus leben.
Immer wenn in der Bibel der Begriff „in Christus“ auftaucht, hat das kleine Wort „in“ im Neuen Testament eine besondere Bedeutung. Es kann bedeuten „in“ im Sinne von „an diesem Ort“. Es kann auch „mit“ bedeuten, was im Griechischen oft mit dem Instrumental gleichzusetzen ist. Manchmal wird „in Christus“ auch als „als Christ“ übersetzt.
Hier sind heilige und gläubige Brüder „in Christus“, also Menschen, die mit Jesus leben, zu ihm gehören und Teil seiner Braut sind. Der Brief geht an diese Christen in Kolosse: „Gnade euch und Friede von Gott.“
Man liest diese ersten Zeilen oft schnell und denkt, das sei selbstverständlich. Doch das kleine Wort „in“ im Neuen Testament kann man in drei Richtungen übersetzen: lokal (örtlich), instrumental (mit) oder qualitativ (als).
Ein Beispiel: Ein Fisch lebt im Aquarium. „Im“ bezeichnet hier den Ort, wo er lebt. Gleichzeitig beschreibt es, wie er lebt – als Aquariumsbewohner. Und es ist das Mittel, durch das er lebt. So sind wir „in Christus“: Es ist der Ort, an dem wir leben, die Sphäre, in der wir zuhause sind. Wir leben als Christen und durch ihn.
In diesem kleinen Wort steckt also viel drin, was wir im Deutschen nicht so einfach ausdrücken können. Wir müssen oft dreimal ansetzen, um den Sinn zu vermitteln. Das ist eben so. Ist das jetzt ein bisschen klarer? Gut.
Die Bedeutung von Gnade und Frieden im Gruß
Ich möchte jetzt noch einmal auf Gnade und Friede zurückkommen. Ich finde es total spannend, dass Paulus den Leuten hier Gnade und Friede von Gott, unserem Vater, wünscht. Meine Frage wäre: Glaubt ihr, dass Paulus manchmal vergisst, dass Christen bereits begnadigt sind? Dass man ihnen gar keine Gnade wünschen muss, weil sie doch schon Gnade haben? Und beim Frieden ist es doch eigentlich genauso. Er wünscht ihnen Frieden, aber sie haben doch schon Frieden mit Gott, sie sind ja heilig und gläubig.
Das wäre so, als würdest du mir wünschen: „Jürgen, ich wünsche dir eine ganz liebe Frau.“ Dann würde ich sagen: „Das ist lieb von dir, ja, aber Bigamie ist in Deutschland verboten, ich habe schon eine, danke.“ Ist es nicht komisch, dass er Gnade und Friede wünscht, obwohl sie doch schon begnadigte und befriedete Menschen sind? Was macht ihr mit so einem Vers? Ihr habt ihn ja schon öfter gelesen. Was steht am Anfang fast jedes paulinischen Briefes?
Ist das nur so eine Floskel, so nach dem Motto: „Bless you“? Oder wie sagt man das bei SMS? Ich weiß gar nicht, irgendwie so etwas Hingerotztes, nicht wirklich ernst gemeint, so: „Ja, muss man halt machen.“ Ist es das? Oder steckt da eine tiefere Botschaft dahinter? Was meint Paulus damit? Was denkt ihr?
Du hast schon etwas gesagt, ich möchte erst noch eine andere Stimme hören. Hier aus der Herrenreihe eine Antwort: Habt ihr gehört? Er hat gesagt, es ist nicht die Gnade der Errettung gemeint, sondern die Gnade für dieses Leben. Glaubt ihr, dass wir in diesem Leben Gnade brauchen? Wer ist dafür, dass wir in diesem Leben Gnade brauchen? Du hast viel auf deiner Seite, das wird dir nicht oft passieren in deinem Leben, genieße den Augenblick.
Und er hat Recht. Natürlich sind wir auf der einen Seite begnadigt, das ist völlig richtig. Auf der anderen Seite – und wir müssten uns jetzt durchs Neue Testament bohren, um das genauer zu zeigen – stelle ich euch gerne meine eigenen Studienunterlagen zur Verfügung, wenn ihr wollt. Das ist ein 62-seitiges Skript zum Kolosserbrief, ihr könnt es gerne haben. Dort stehen auch alle Bibelstellen drin, noch viel mehr, als ihr wissen wollt.
Ihr könnt das haben, müsst mir aber eine E-Mail schreiben. Und ihr müsst sie an meine Homepage schicken, die vorne in eurem Skript steht. Das ist dieses ganz merkwürdige Frog Words, also wenn ihr das hier unten seht, da steht Frog Words, die Worte vom Frosch, mit einem Punkt dahinter. Dort könnt ihr mir einfach eine E-Mail schreiben und sagen: „Schick mir deine Kolosser-Unterlagen.“ Dann mache ich das gerne.
Das heißt, ich gehe jetzt bei manchen Themen ein bisschen schneller voran. Wenn ihr sagt, ihr glaubt nicht, dass das in der Bibel steht und es ein ernstes Problem ist, meldet euch, dann zeige ich euch, wo es steht. Ansonsten müsst ihr mir im Moment glauben, dass es in der Bibel steht. Und wie gesagt, unter frogwords.de könnt ihr euch die Unterlagen dann herunterladen, wenn ihr mir eine Mail schickt. Wahrscheinlich stelle ich sie dann einfach online.
Noch einmal zurück: Er sagte Gnade für dieses Leben – völlig richtig, wir sind begnadigt. Dann liest man ein bisschen im Römerbrief und kommt an den Punkt, dass die Gnade herrscht (Römer 5). Und man denkt: „Uh, ist ja interessant.“ Anscheinend prägt Gnade heute noch unser Leben.
Dann liest man weiter und kommt irgendwann im ersten Petrusbrief vorbei, wo der Apostel Petrus schreibt, dass wir vollständig hoffen auf die Gnade, die uns bei der Wiederkunft Jesu Christi gebracht wird (1. Petrus 1,13). Spannend, oder? Wir sind begnadigt, die Gnade herrscht, aber wir hoffen auf Gnade. Ist das nicht herrlich?
Ich weiß noch nicht genau, wie viel ich euch von meiner Art zumuten darf. Ich fange das langsam ein bisschen an. Aber glaubt ihr auch manchmal, dass Gott sich vor lauter Freude auf die Schulter klopfen müsste, weil er uns hat? Ich glaube das nicht. Überhaupt nicht.
Wenn ich ehrlich in mein Leben schaue, bin ich verblüfft, dass Gott mich am Anfang überhaupt begnadigt hat. Dann merke ich jeden Tag, was Hebräer 4 sagt: Dass ich es nötig habe, vor dem Thron der Gnade zu erscheinen, um Barmherzigkeit zur rechten Zeit zu finden. Ich brauche das wirklich.
Ich bete jeden Morgen, bevor wir hier auf den Feldern unterwegs sind, um für diese Veranstaltung zu beten, weil ich nicht glaube, dass ich aus eigener Kraft oder meiner Bereitwilligkeit irgendetwas in eurem Leben bewirken kann. Ich brauche Gott.
Und wisst ihr was? Am letzten Tag, wenn ich meine Augen schließen werde, bin ich mir ganz sicher, dass ich genau dann noch mehr als heute wissen werde, dass ich es nicht verdiene, in den Himmel zu kommen. Und das, was mir Hoffnung gibt, dass ich doch da oben ankomme, ist genau eine Sache: Wenn der Herr Jesus wiederkommt, hat er etwas im Gepäck, was ich brauche – nämlich Gnade.
Deshalb kann ich ganz glücklich mein Christsein leben, weil ich begnadigt bin. Heute herrscht die Gnade Gottes in meinem Leben. Sie darf mich motivieren. Ich darf immer wieder zu Gott rennen und sagen: „Vater im Himmel, du weißt, wie es bei mir aussieht, komm bitte.“ Und ich weiß, am letzten Tag kommt es nicht auf mich an, es kommt nicht auf dich an. Wirklich nicht.
Ich weiß nicht, ob du das glauben kannst, weil es zu den Grundwahrheiten des Christseins gehört, die uns oft entgleiten. Gerade wenn wir mal wieder richtig daneben greifen, wenn wir eine Phase haben, in der es nicht so läuft, wo wir den Überblick über unser Leben verloren haben, denken wir, es hängt von uns ab. Aber das stimmt nicht.
Dass wir das begreifen – dass wir in der Realität leben, begnadigte Menschen zu sein, die Gnade erfahren, Gnade suchen, Gnade geben und darauf hoffen, dass der, der abschließend Gnade gibt, in unser Leben hineintritt – das muss wachsen. Das ist nicht einfach so da. Das hast du am Anfang deines Christseins einmal verstanden, und dann ist gut? Das glaube ich dir nicht. Das ist in meinem Leben nicht so.
Ich muss mich im Gebet immer wieder daran erinnern, was für ein unglaublich beschenkter Mensch ich bin. Ich muss meine Sorgen immer wieder neu nehmen, jeden Tag so richtig mit Anlauf wegwerfen, weil ich unter der Gnade leben will, nicht unter dem Gesetz. Ich möchte meine Sorgen abgeben.
Und ich möchte immer wieder verstehen, dass es nicht auf meine Leistung ankommt, sondern darauf, dass ich einen Herrn habe, der mich abgrundtief liebt und mit seiner Gnade überschüttet. Und das Werk, das er in mir angefangen hat, wird er zu Ende bringen. Er wird das tun.
Ihr merkt, das ist ein Wunsch, wenn Paulus das den Kolossern wünscht, dass sie das begreifen, verinnerlichen und vertiefen. Wir müssen wirklich sagen: Ja, das muss ich verstehen. Dasselbe gilt für den Frieden.
Wir sind befriedete Menschen, wir haben Frieden mit Gott, richtig. Aber wir haben Frieden, damit der Friede mit Gott unser ganzes Leben durchdringt, damit wir diesen Frieden Gottes weitergeben können, damit wir uns darauf freuen, in den abschließenden Frieden Gottes einzutreten.
Auch das ist nichts Statisches, was wir einmal bekommen haben, so nach dem Motto: „Ich hatte mal einen Schnuller, ich hatte mal Frieden mit Gott, und jetzt habe ich ihn halt noch.“ Du machst dann die Schublade auf und zeigst mir deinen Schnuller, den du aufgehoben hast. So ist Friede nicht.
Friede ist etwas ganz Dynamisches, etwas, das uns von innen heraus verändert, das uns prägen will, das uns ausmachen will. Bis dahin, dass man sagen kann: Friedenstifter, Söhne Gottes und Töchter Gottes – Wahnsinn! Ganz dynamische Begriffe, die sich in unserem Leben entfalten müssen.
Deshalb wünscht Paulus das. Das ist nicht nur eine Floskel, so nach dem Motto: „Man muss halt irgendwas hinschreiben.“ Dahinter steckt viel Nachdenken und der tiefe Wunsch, dass sich im Leben der Kolosser Gnade und Friede entfalten, dass sie Menschen werden, die in ihrer Beziehung zu Gott ganz tief verstehen, dass da ein Gott ist, der sie wirklich liebt.
Du kannst dir die Frage stellen, ob du das im Moment im Griff hast. Ich weiß nicht, wo du stehst. Aber immer dann, wenn du sündigst, glaubst du nicht, dass Gott dich liebt? Immer wenn du dein eigenes Ding durchziehst, glaubst du eigentlich, dass du es besser weißt und dass Gott es nicht gut mit dir meint?
Ich studiere gerade die Sprüche. Ihr könnt jetzt auch ein bisschen mehr über die Sprüche reden, wenn ihr wollt, mache ich aber nicht. Ich studiere die Sprüche und denke mir, was für ein unglaubliches Geschenk es ist, dass Gott uns sein Wort gibt, damit ich all diesen Unsinn umgehe, in den viele Leute reinfallen.
Was für ein unglaubliches Geschenk! Deshalb lasst uns festhalten: Diese tiefe Gewissheit, dass Gott mich liebt. Und wenn du an irgendeiner Stelle strauchelst, wenn du denkst: „Mann, ich kriege diese Sünde nicht weg“ oder wenn da so ein Anreiz kommt, eine Versuchung, die richtig juckt – ich rede nicht von einem kleinen Schwächeln, sondern von einer echten Versuchung, bei der der innere Kampf beginnt – dann mach dir klar: Je mehr Gnade in deinem Leben wächst, desto mehr verstehst du, dass Gott dich liebt und dass seine Gebote das Beste sind, was es für dich gibt.
Ich kann nach zwanzig Jahren Christsein nur eines festhalten: Es gibt kein Gebot in der Bibel, das sich im Nachhinein als schlecht herausgestellt hat. Nicht ein einziges. Aber ich kann über jedes Gebot sagen: Es ist sehr gut.
Auf lange Sicht zahlt sich Gottes Gebot aus. Es ist so unglaublich wertvoll. Haltet das fest und werdet Menschen, die den Frieden, den sie von Gott empfangen haben, weitergeben.
Vielleicht ringst du gerade mit Anwendungen. Vielleicht hast du eine Idee, wo du in der nächsten Woche Friedensstifter werden kannst. Dann wäre die Anwendung: „Ich will am Montag das und das tun.“ Vielleicht gibt es eine Beziehung, die gerade auf der Kippe steht. Vielleicht kannst du den Frieden Gottes gerade nicht spüren. Vielleicht musst du Buße tun und zurück in eine Friedensbeziehung mit Gott.
Vielleicht merkst du an irgendeiner Stelle, wie dich das Christsein erdrückt und du die Gnade aus dem Blick verloren hast. Dann musst du an dieser Stelle auch Buße tun und sagen: „Vater im Himmel, ich möchte neu begreifen, dass du alles bist und mich ganz und gar liebst.“
Ich weiß nicht, wo das bei dir anfängt. Aber hier startet der Kolosserbrief, und das wäre eine ganz konkrete Anwendung für die nächste Woche.
Wir machen jetzt zehn Minuten Pause.