Liebe Gemeinde,
ich kannte einen alten Pfarrer, der ein dramatischer Prediger war. Die Menschen hörten ihm gern zu. Je älter er wurde, desto mehr Verständnis erhielten die Menschen für ihn. Umso stärker hatte er die Angewohnheit, zum Ende seiner Predigt noch einmal richtig durchzustarten – wie ein Flugzeug, das aufsetzt und gleich wieder abhebt.
Vielleicht denkt jetzt mancher: „Ach so, daher hat er das.“ Die spannende Frage für uns war immer: Wie wird er landen? Wie wird er diesmal landen? Und genau diese Frage wollen wir heute Morgen dem Paulus stellen.
Nicht, weil Paulus die gleiche Angewohnheit hätte wie dieser ältere Pfarrer, sondern weil der Epheserbrief von Paulus jetzt unweigerlich auf die letzten Pferde zusteuert. Wir fragen Paulus: Wie wirst du landen?
Damit nehmen wir den roten Faden wieder auf, der sich durch das ganze letzte Jahr hindurchgezogen hat. Wir gehen mit dem Epheserbrief auf die Zielgerade. Und das ist ja immer die Frage am Ende eines langen Briefes, eines langen Buches oder eines langen Filmes: Wie wird er schließen? Was kann Paulus jetzt noch sagen?
Oft sagt man am Ende das, was einem noch einmal besonders am Herzen liegt. Bestimmt war das auch für Paulus selbst keine leichte Entscheidung. Natürlich war er geleitet vom Heiligen Geist, als er diesen Epheserbrief schrieb. Gott hat ihm sein Wort gegeben. Aber Gott hat Paulus auch gebraucht. Er war mit seinem Denken beteiligt. Gott hat ihn als Instrument benutzt, aber nicht als ein passives Instrument.
Paulus hat geschrieben und gedacht im Auftrag Gottes. Er war ganz dabei und hat sein ganzes Herzblut in diesen Brief hineingelegt. Das haben wir doch gesehen.
Paulus hatte seine Leser und Hörer mitgenommen auf eine weite Reise – über alle Höhen der theologischen Erkenntnis und durch alle Täler menschlicher Schuld. Bei dieser Reise haben wir gesehen: Einerseits macht der Epheserbrief seinem Namen alle Ehre. Er gilt ja als das Scheckbuch des Christen. Der ganze Reichtum, den wir in Christus haben, wird hier vor uns ausgebreitet.
Das macht die Lektüre des Epheserbriefs geradezu zu einem Genuss. Am kommenden Sonntag, in meiner Abschlusspredigt über den Epheserbrief, will ich noch einmal versuchen, Ihnen im Zeitraffer den Aufbau des ganzen Briefes im Überblick zu zeigen. Das ist für das nächste Mal noch geplant. Dort werden wir das noch einmal sehen: Der Epheserbrief – das Scheckbuch des Christen, der ganze Reichtum.
Die Realität des geistlichen Kampfes
Aber trotz aller Freude gibt es bei Paulus keinen Hauch von Beschönigung oder Verharmlosung. Paulus konfrontiert uns unverblümt mit den harten Seiten eines Christenlebens, mit all den Widrigkeiten und den schmerzlichen, unbequemen Dingen, die uns auf dem Weg begleiten.
Das hatten wir gerade in den letzten Folgen vor der Adventszeit gesehen. Paulus hatte erstaunlich offen von einer Person gesprochen, deren Name gebildete Menschen wie er sonst nicht so leicht in den Mund nehmen: vom Teufel. Nicht nur Paulus hat sehr deutlich vom Teufel gesprochen, sondern auch Jesus. Er hat sogar noch häufiger vom Teufel gesprochen als Paulus. Später dann taten es Luther, Calvin und alle, die die Bibel ernst nahmen.
Der Teufel ist eine Tatsache, von der die Bibel sehr deutlich spricht. Sein Ziel ist es, unser Leben zu zerstören, uns von Gott wegzutreiben und damit Gott die Ehre zu rauben. Logischerweise will der Teufel auch die Gemeinde Jesu beschädigen. Er will sie verunglimpfen und entmutigen.
Darum brauchen wir eine Schutzrüstung gegen den Teufel. Das hat Paulus uns deutlich gezeigt. Er sagte, jeder einzelne braucht diese Schutzrüstung, und die Gemeinde braucht sie genauso. So kann der Teufel uns nicht lähmen, nicht die Freude am Glauben ersticken und unseren Dienst für unseren Herrn und Gott nicht verhindern.
Paulus hatte das Leben des Christen als einen geistlichen Kampf beschrieben. „Wir kämpfen nicht gegen Menschen“, hatte er gesagt, „sondern mit den Herren der Welt, die in dieser Finsternis herrschen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel.“ So deutlich steht es in Epheser 6,12.
Paulus machte immer wieder klar, dass das Leben als Nachfolger Jesu Christi kein theologisches Hobby ist, sondern Kampf. Kein frommes Gesellschaftsspiel, kein bisschen religiöser Zeitvertreib, sondern geistlicher Kampf. Nichts ist selbstverständlich. Der Teufel will uns Fallen stellen, wo immer er kann.
Angriffe von innen und außen
Und so gibt es Angriffe von innen und von außen – Angriffe von innen aus unserem eigenen Herzen. Aus unserem eigenen Herzen kommen Fragen hoch, die Gott und seine Treue in Frage stellen. Es sind Fragen, die die Bibel zweifeln lassen. Es gibt Angriffe von innen, auch von innerhalb der Gemeinde.
Der Teufel kann jede kleine organisatorische Frage nutzen, um daraus einen Streit zu entfachen und die Gemeinde in ihrem Dienst zu behindern. Dann ist jeder nur noch auf seine kleinen Streitfragen konzentriert. Wie leicht lassen wir uns da packen!
Es gibt Angriffe von innen, aber auch Angriffe von außen. Wenn wir bedenken, welche Stimmung zum Teil in unserer Gesellschaft herrscht – das haben Sie ja gesehen an den Ausgaben, die sowohl der Spiegel als auch der Fokus, also die beiden großen Magazine, zum Jahreswechsel gebracht hatten.
Im Fokus lautete der Titel auf der ersten Seite: „Was nützt Religion? Wissenschaftler erforschen den Sinn des Glaubens und kommen zu dem Ergebnis, dass Religion eigentlich nutzlos ist.“ Dabei fassen sie auch den christlichen Glauben unter den Religionen zusammen. Immer wieder heißt es, Religion habe gerade die Gewalt gefördert. Sie sei gewissermaßen ein Produkt der Naturgeschichte, eine Flucht in den Schutz frommer Gemeinschaften, das Opium des Volkes, wie schon Karl Marx sagte.
Die meisten Religionen, so heißt es im Fokus, hätten Kriege eher befördert als eingehegt. Der Spiegel schrieb unter der großen Überschrift „Gott kam aus Ägypten“, dass wer den exklusiven Glauben an einen einzigen Gott vertrete, zwangsläufig früher oder später gewalttätig werden müsse. Die Bibel werde wie eine Art Märchenbuch dargestellt, wie eine Zwiebel aus hunderten, immer wieder umformulierter Schriften.
Vielleicht haben Sie heute Morgen, als Sie bei der Tankstelle waren, die Titelseite der Bild am Sonntag gesehen. Dort gab es einen großen Angriffsschrift von unserer Familienministerin, Frau von der Leyen, auf die deutschen Männer, die zu altmodisch seien – ein ganzer Titel.
Dann geht es weiter nach der Melodie: Ja, die Männer kümmern sich nicht genug um die Kinder, obwohl ich sehr viele Männer kenne, die sich sehr gut um ihre Kinder kümmern. Daraus leitet man dann natürlich das Recht zur Umerziehung ab. So haben wir ein dramatisches Umerziehungsprogramm.
Diese Formel, von der wir schon sprachen, des Gender Mainstreaming: Mann sein, Frau sein, das ist alles nur soziologisch, gesellschaftlich anerzogen, und deswegen kann es eben auch umerzogen werden. So hat sich unsere Regierung ein großes Geschlechter-Umerziehungsprogramm auf die Fahnen geschrieben.
Es kann nur als Ironie der Geschichte bezeichnet werden, dass die Väter des Neomarxismus in den Sechzigerjahren sich nicht hätten träumen lassen, dass ihr ideologisches Konzept einmal regierungsamtlich von einer vermeintlich konservativen Familienministerin durchgesetzt werden würde.
Natürlich greift das uns als Christen an, als christliche Gemeinde, dass die biblischen Konzepte in dieser Weise in Frage gestellt werden. Wir stehen in einem geistlichen Kampf, angegriffen von innen und von außen. Aber unser Vater im Himmel setzt uns diesem Kampf nicht schutzlos aus.
Das ist das Gute. Gott hält eine Rüstung für uns bereit, in der wir bestehen können. Bestehen können, wie Paulus sagt, in Epheser 6,11, gegen die listigen Anschläge des Teufels.
Die geistliche Waffenrüstung
Und diese Rüstung hatten wir im November behandelt, bevor dann die Weihnachtspredigten kamen und wir uns die Adventsgottesdienste ausführlich angeschaut haben. Sie können das, wenn Sie wollen, noch einmal nachhören über www.bibeltage.de.
Paulus hatte als Anschauungsbeispiel die Ausrüstung des römischen Soldaten vor Augen. Er sagte: Ihr als Christen braucht für euren geistlichen Kampf die vollständige Waffenrüstung.
Da war erstens der Gürtel der Wahrheit – eine wahrhaftige Hingabe an Christus, ungeteilt. Der Gürtel der Wahrheit bedeutet, bereit zu sein durch deine ungeschmälerte Hingabe an deinen Herrn.
Dann war da nach dem Gürtel der Wahrheit der Brustpanzer der Gerechtigkeit. Gott spricht uns gerecht, auch wenn wir an uns selbst nicht gerecht sind, weil er uns die Sünden vergibt. Er hilft uns dann auch, gerecht zu leben.
Nach dem Panzer der Gerechtigkeit folgen die Stiefel des Evangeliums. Sie bedeuten, dass wir bereit sind, loszugehen, um Menschen zu Jesus Christus einzuladen.
Der vierte Ausrüstungsgegenstand ist der Schutzschild des Glaubens. Mit Glauben ist hier das persönliche Vertrauen zu unserem Herrn Jesus Christus gemeint. Das ist unser Schutzschild.
Schließlich, fünftens, der Helm des Heils. Paulus meinte damit die Gewissheit, dass der Herr seine Leute zum Ziel bringt. Der Helm der Heilsgewissheit wird uns von Gott durch seine Verheißung geschenkt.
Und schließlich das Schwert des Geistes, welches das Wort Gottes, die Bibel, ist.
Das war die Ausrüstung. Paulus hatte gesagt: Damit seid ihr gut gerüstet – mit dem Gürtel der Wahrheit, dem Panzer der Gerechtigkeit, den Stiefeln des Evangeliums, dem Schild des Glaubens, dem Helm der Heilsgewissheit und dem Schwert des Geistes. Das ist die ganze Waffenrüstung des Christen. Damit sind wir ausgestattet.
Bis dahin waren wir gekommen. Damit waren wir auch fast am Ende des Epheserbriefs angekommen. Jetzt bleiben nicht mehr viele Verse übrig.
Das Gebet als entscheidende Kraftquelle
Darum also die Frage: Wie wird Paulus jetzt enden? Was stellt er an den Schluss?
Das sehen Sie auf Ihrem Zettel vor sich. In Vers 18 geht es dann so weiter: Nachdem er den letzten Teil der Waffenrüstung benannt hat, sagt Paulus: „Betet alle Zeit mit allem Gebet und Flehen im Geist und wacht dazu mit aller Beharrlichkeit und im Flehen für alle Heiligen. Und für mich, dass mir das Wort gegeben werde, wenn ich meinen Mund auftue, freimütig das Geheimnis des Evangeliums zu verkündigen, dessen Bote ich bin in Ketten, dass ich mit Freimut davon rede, wie ich es muss.“
Dann folgt noch ein ziemlich persönlicher Nachtrag, den wir uns nächsten Sonntag anschauen. Aber das ist sozusagen die letzte große theologische Aussage, die Paulus hier macht.
Vorher hatte er über den Helm des Heils gesprochen und über das Schwert des Geistes. Und jetzt sagt Paulus: „Nicht! Und jetzt nehmt auch noch den Rucksack des Gebets“ oder „Hüllt euch jetzt ein in den Kampfmantel des Gebets.“
Offensichtlich beschreiben diese Verse also nicht noch einen weiteren siebten Ausrüstungsgegenstand. Denn dann hätte Paulus das noch mit irgendeinem äußeren Objekt verbunden. Sondern diese Verse – Sie sehen das – setzen noch einmal neu an.
Und das ist eine ganz, ganz wichtige Beobachtung, die Sie unbedingt festhalten müssen: Das Gebet ist nicht einfach noch ein weiterer Teil der Waffenrüstung, den man hinzufügen könnte. Sondern das Gebet muss den Gebrauch der gesamten Waffenrüstung begleiten.
Verstehen Sie den Unterschied? Ob Paulus einfach sagt: „Und jetzt auch noch das Gebet als Rucksack des Gebets“? Nein, jetzt setzt er neu an und sagt: „Das waren die sechs Ausrüstungsgegenstände, und jetzt sagen wir grundsätzlich: Betet alle Zeit.“
Das heißt, wenn ihr mit dieser Waffenrüstung richtig umgehen wollt, dann kann das nur in einem Leben geschehen, das vom Gebet geprägt ist.
Das ist jetzt ganz wichtig: Diese Rüstung zu kennen und sie sogar im Schrank hängen zu haben, ist ja das eine. Aber diese Rüstung anzuziehen, sie einzusetzen, sie zu gebrauchen, ist etwas ganz anderes.
Und die Frage an uns lautet: Leben wir bewusst und aktiv mit dieser Rüstung? Tun Sie das? Paulus sagt: Leute, wenn ihr so leben wollt und wenn ihr nicht so lebt, dann werdet ihr scheitern in diesem Kampf.
Wenn ihr so leben wollt, dann schafft ihr das nicht aus eurer eigenen Kraft, dann schafft ihr das nicht mit eurer eigenen Erfahrung. Sondern dann braucht ihr einen engen Rat, eine innige persönliche Verbindung zu dem, der euch diese Waffenrüstung zur Verfügung gestellt hat.
„Betet alle Zeit!“ Verstehen Sie, das ist der Zusammenhang. Paulus sagt: Nur so könnt ihr mit und in dieser Waffenrüstung leben – als Menschen des Gebets.
Die Bedeutung des beständigen Gebets
Kürzlich las ich von einem arabischen Fürsten, der vor langer Zeit in Kairo lebte. Er war sehr krank und suchte einen Missionar auf, der gleichzeitig Arzt war. Dieser untersuchte ihn, stellte eine Krankheit fest und gab ihm ein Rezept mit auf den Weg. Er sagte: „Nimm das!“
Der arabische Fürst ging fröhlich mit seinem Rezept davon, denn er wusste, dass es bald besser werden würde. Nach einer Woche traf ihn der Missionar erneut und fragte: „Na, wie steht’s? Wurde es besser?“ Doch der Fürst antwortete: „Überhaupt nicht.“
Der Missionar fragte erstaunt: „Hast du denn nicht mein Rezept genommen?“ Darauf entgegnete der Fürst: „Doch, ich habe es genommen – ich habe den ganzen Zettel, auf dem dein Rezept stand, Schnipsel für Schnipsel aufgegessen.“
Dem Mann konnte geholfen werden. Und er kann auch uns helfen, denn er bietet uns ein sehr gutes, schlichtes Beispiel. Sie wissen, was ich damit sagen will: Die geistliche Waffenrüstung steht in der Bibel. Wir sollen diese geistliche Waffenrüstung kennenlernen, sie studieren und sie wieder auf dem Papier haben. Vielleicht machen wir uns auch Notizen auf dem Papier – das ist unbedingt nötig, so wie das Rezept unbedingt nötig war.
Doch es reicht allein nicht aus. Wichtig ist, dass wir mit dieser geistlichen Waffenrüstung leben, sie bewusst gebrauchen und aktiv darin kämpfen. Damit das wirklich geschieht, sagt Paulus, brauchen wir eine enge Verbindung zum Herrn Jesus Christus. Nur so wird es funktionieren.
Darum stellt Paulus an das Ende dieses großen Briefes, wie ein dickes rotes Ausrufezeichen, eine Erinnerung an das Gebet. Er will, dass wir diese Mahnung nicht überlesen oder vergessen. Er geht dabei im wahrsten Sinne des Wortes aufs Ganze.
Wenn Sie eine Überschrift zu diesem Text suchen, könnten Sie sagen: „Gebet geht aufs Ganze.“
Innerhalb eines Verses benutzt Paulus viermal das griechische Wort für „alles“, also die Grundform „Panta“. Viermal! Schauen Sie mal hier: „Betet allezeit mit allem Gebet und Flehen im Geist und dazu mit aller Beharrlichkeit und im Flehen für alle Heiligen.“ Das ist kein Zufall.
Paulus sagt damit: Wenn du das Gebet ernst nehmen willst und diesen Kampf bestehen möchtest, dann musst du es wirklich von ganzem Herzen tun. Ganz – du musst das Gebet total ernst nehmen.
Wir sehen hier deutlich, wie der Apostel uns sein Anliegen ins Herz legen will. Er möchte, dass es uns ins Herz hinein brennt.
Vier Aufträge zum Gebet
Das Erste, was er uns damit sagt, ist: Seid treu im Beten. Wenn Sie also mitschreiben wollen, dann merken Sie sich das: Seid treu im Beten. Betet allezeit, betet ohne Unterlass, sagt Paulus an anderer Stelle.
Damit meint er natürlich nicht, dass wir mit geschlossenen Augen durch die Welt laufen. Paulus beschreibt hier vielmehr eine Haltung, wenn Sie so wollen, einen Lebensstil, den er uns ans Herz legt. Er sagt: Dein ganzes Leben und dein ganzes Denken sollen vom Beten bestimmt und begleitet sein. Das meint er.
Beten ist also nicht einfach so, dass ich an bestimmten Punkten des Tages ein Ritual vollziehe nach dem Motto: Ich habe meinen Rosenkranz immer dabei, und wenn ich mal Zeit habe, dann gehe ich ihn durch. Beten heißt nicht, einen Formalismus zu pflegen, bei dem ich zu bestimmten Zeiten bestimmte Wörter einfach sage, um es gesagt zu haben.
Jesus hat in Matthäus 6,7 gesagt: „Ihr sollt nicht viel plappern wie die Heiden.“ Was heißt plappern? Plappern bedeutet nicht, dass ich mein Herz ausschütte. Dazu fordert mich die Bibel ständig auf: Schüttet euer Herz vor ihm aus! Ihr dürft zu Gott sprechen, ohne immer auf die Einhaltung bestimmter grammatikalischer Regeln zu achten. Ihr dürft ihm alles sagen, was euch auf dem Herzen liegt, macht die Bibel immer wieder deutlich.
Aber plappern heißt etwas anderes. Plappern bedeutet, dass ich Formeln ohne Herz gebrauche. Dass ich meine, wenn ich irgendwelche bestimmten Gebete herunterrattere, wird Gott das schon automatisch irgendwie beantworten. Aber das ist nicht gemeint.
Seid treu und betet allezeit – das meint die persönliche Lebensverbindung mit Jesus Christus und dem Vater im Himmel. Diese echte persönliche Lebensverbindung findet ihren hervorragenden Ausdruck im Gebet. Diese Verbindung ist da, auch wenn ich nicht gerade in der Bibel lese, wenn ich nicht im Gottesdienst sitze oder nicht vielleicht ein Gespräch über den Glauben führe. Sie ist trotzdem da.
Ja, da erlebe ich eine besondere Freude, einen besonderen Erfolg. Im Stehen sage ich: Mensch, danke Herr, dass das geklappt hat. Oder ein Schüler ist kurz vor der Mathearbeit, der Lehrer geht schon durch die Reihen und teilt die Zettel aus. Er sagt noch schnell: Herr, bitte, bitte hilf mir, lass mich jetzt durchkommen! Er betet allezeit.
Oder der Geschäftsmann auf dem Weg zu einem schwierigen Meeting. Er sieht schon die Eingangstür, hinter der die Geschäftspartner sitzen, und sagt noch einmal: Bitte, bitte gib mir jetzt einen klaren Kopf, Herr. Bring mich da durch! Ich lasse es richtig werden!
Oder der Arbeiter, der Angst vor seinem Chef hat. Da kommt er schon wieder rein mit hochrotem Kopf und sagt: Der Herr gibt mir jetzt Ruhe, damit ich richtig reagieren kann.
Oder Eltern, deren Kind sich plötzlich verletzt hat. Sie schicken ein Stoßgebet: Herr, bitte beschütze es, gib, dass wir jetzt schnell das Richtige machen! Jesus, hilf!
Oder ich weiß nicht, ob Ihnen das auch schon so gegangen ist, wenn man den Eindruck hat, man ist gerade einer Kollision mit einem anderen Auto entgangen. Dann sagt man auch: Herr, danke, oh weh! Betet allezeit – diese Verbindung meint Paulus.
Oder wenn man gerade eine Enttäuschung erlebt hat und sagt: Herr, was soll ich jetzt machen? Was soll ich jetzt machen, Jesus?
Oder wenn Sie mit einem Nichtchristen sprechen und versuchen, ihm das Evangelium zu sagen. Dann beten Sie still für sich: Herr, lass ihn doch etwas kapieren, lass mich doch jetzt die richtigen Worte für ihn finden.
Jeder von uns hat da seinen eigenen Stil, das auszudrücken. Aber verstehen Sie: Es geht um diese Haltung. Betet allezeit, lebt in dieser Verbindung mit dem Herrn.
Oft ist es so, wenn ein Krankenwagen oder ein Feuerwehrauto vorbeifährt, sagt meine Frau einfach: Mensch, lass uns doch still mal für den beten, der da drin sitzt. Das kann man dann laut machen, je nachdem, ob gerade jemand dabei ist oder nicht. Oder wenn man im Fernsehen etwas Schlimmes gesehen hat, sagt dann einer: Mensch, komm, wir wollen jetzt mal schnell beten.
Diese Haltung meint Paulus: Wir sollen leben in einer beständigen Verbindung zum Herrn. Das ist nichts Verkrampftes, nichts Formalistisches. Das ist eine persönliche Lebensverbindung. Das meint er hier: Seid treu im Beten, betet allezeit.
Diese persönliche Gemeinschaft beginnt nicht erst im Himmel. Dort wird sie in ganz anderer Vollkommenheit von Angesicht zu Angesicht stattfinden. Das wird nur etwas ganz anderes sein als das, was wir hier haben. Aber die persönliche Lebensverbindung mit dem Herrn Jesus Christus beginnt für seine Leute schon hier.
Und das meint Paulus: Seid treu im Beten, betet allezeit. Dieses beständige Beten kann wachsen, wenn wir auch regelmäßig das Zwiegespräch mit unserem Herrn suchen.
Bei vielen Christen hat sich darum die sogenannte stille Zeit bewährt. Man versucht, einmal am Tag einen Ort und eine Zeit zu finden, wo man sich mit der Bibel kurz zurückzieht, etwas liest und dort eine ganz gezielte Gebetszeit hat. Man dankt Gott für die Dinge, die er einem geschenkt hat, ehrt ihn und tut seine Fürbitte.
Das hat sich bewährt. Und viele erfahrene Christen sagen, es ist besser, das regelmäßig und kurz zu machen, als gar nicht. Es ist besser, sich die Hürde nicht so hochzustecken, dass man sagt: Du musst jetzt eine Stunde beten, das schaffst du sowieso nicht.
Wie gesagt, das ist kein starres Gesetz. Es ist auch keine Schluckimpfung: Heute habe ich die stille Zeit gemacht, jetzt kann nichts mehr passieren am Tag. Aber es ist eine Hilfe, um unseren Herrn besser kennenzulernen und um seinen Willen für unsere verschiedenen Entscheidungsfragen, die uns ja ständig auf der Tagesordnung stehen, besser zu erkennen.
Deshalb ist diese stille Zeit auch immer wieder umkämpft. Wir dürfen uns da nicht entmutigen lassen und immer wieder neu anfangen.
Seid treu im Beten, sagt Paulus, betet allezeit.
Fleissig und wachsam im Gebet
Und dann das Zweite, das Zweite, was Paulus ins Herz legt: Er sagt zweitens, sei fleißig im Beten. Betet mit allem Gebet und Flehen im Geist, mit allem Gebet und Flehen.
Gott hat uns in seinem Wort viele Möglichkeiten gezeigt, wie wir beten können – allein und in Gemeinschaft, mit gesprochenen Worten oder mit gesungenen Worten. Man kann in verschiedenen Körperhaltungen beten: sitzen, stehen, knien – all das kommt in der Bibel vor. Wenn wir nur mit anderen zusammen beten, sollten wir darauf achten, dass wir sie durch unsere Gebetshaltung nicht irritieren und vom Gebet ablenken.
Mit allem Gebet, sagt Paulus. Und es gibt auch verschiedene inhaltliche Anliegen des Gebets. Wir machen das den Kindern immer klar mit der sogenannten Hand des Gebets. Der Daumen stützt die Hand; das ist das Lob Gottes, die Anbetung. Wir ehren Gott und sagen ihm: Herr, du bist unser König, dich wollen wir loben und ehren.
Der Zeigefinger zeigt auf andere; damit sündigen wir. Darum erinnert uns der Zeigefinger an das Sündenbekenntnis, das ins Gebet hineingehört. Der Mittelfinger ist der längste; am meisten Platz einnehmen darf unser Dank. Der Mittelfinger erinnert uns daran, das Dankgebet nicht zu vergessen.
Am vierten Finger haben wir den Ring, der für die Beziehung zu einem anderen Menschen stehen kann. So erinnert uns der Ringfinger an die Beziehungen, in denen wir leben, und an die Fürbitte für andere. Und schließlich der kleine Finger: Wir dürfen auch für uns selbst beten. Uns soll dem Herrn alles hinliegen, was uns bewegt.
Also: Der Daumen für das Lob und die Anbetung, der Zeigefinger für das Sündenbekenntnis, der Mittelfinger für den Dank, der Ringfinger für die Fürbitte und die Beziehung zu anderen, und der kleine Finger für die Bitten, auch für uns selbst – das dürfen wir auch.
Betet allezeit mit allem Gebet! Das schließt all diese verschiedenen Formen ein. Paulus verwendet hier bei „Gebet“ den Oberbegriff für Beten. Es gibt viele Begriffe für Beten im Griechischen, aber das ist der zusammenfassende Begriff.
Und dann sagt er: So unterschiedlich diese Gebetsformen auch sein mögen, eines ist ihnen gemeinsam: Echtes Gebet geschieht im Geist, das heißt im Heiligen Geist. Jeder Christ sagt, die Bibel hat den Heiligen Geist. Durch den Heiligen Geist haben wir die direkte Verbindung zum Vater. Darum dürfen wir wissen, dass Gott durch den Heiligen Geist unser Gebet hört.
Da steht die Verbindung: Wenn wir an Jesus glauben, haben wir den Heiligen Geist, den direkten Draht zum Vater im Himmel und zu seinem Sohn Jesus Christus. Er sorgt dafür, dass unsere Gebete richtig bei Gott ankommen. Auch wenn wir manchmal etwas verquer beten, sorgt der Heilige Geist dafür, dass alles richtig ankommt. Er schenkt uns das Vertrauen, Gott als Vater anzurufen.
Darum seid fleißig im Beten, mit allem Gebet und Flehen im Geist.
Jetzt kommt etwas Seltsames: Obwohl wir als Christen den Heiligen Geist haben, verhalten wir uns oft widersprüchlich. Mir geht es jedenfalls so. Ja, wir kennen genau den Wert des Gebets. Wir kennen die vielen Bibelstellen, die davon reden. Und trotzdem lassen wir uns so leicht und so oft vom Beten abhalten und ablenken.
Es ist kein Wunder, dass der Teufel ein Interesse daran hat, uns vom Gebet abzubringen. Denn der Teufel will ja gerade, dass wir die geistliche Waffenrüstung nicht nutzen, dass wir kraftlos sind in unserem Christsein, dass wir schlaff, müde und selbstbezogen vor uns hin tingeln – das will er.
Paulus weiß natürlich, wie leicht wir uns vom Beten ablenken lassen. Paulus weiß, wie oft wir schlafen, wenn wir eigentlich beten sollten. Und für Schlafen können sich alle möglichen anderen Dinge einsetzen.
Darum gibt uns der Apostel einen dritten Auftrag. Er sagt drittens: Sei wachsam im Beten! Das ist das Nächste. Und wache dazu mit aller Beharrlichkeit, steht hier.
Seid wachsam im Beten, Leute! Beim Beten nachlässig werden, sogar einschlafen – das hat im Apostelkreis Tradition. Es gab eine Szene, auf die Paulus hier wahrscheinlich anspielt, die Sie alle kennen. Und zwar war das jener Abend vor der Kreuzigung im Garten Gethsemane.
Das können wir nachlesen in Matthäus 26, wo Jesus in Vers 38 sagt: „Meine Seele ist betrübt bis an den Tod; bleibt hier und wacht mit mir.“ Sie sollten beten, und er geht dann einen Schritt weiter, um für sich zu beten – die Jünger sollen für ihn beten. Und sie wissen, wie das weitergeht: Er kommt zurück und findet sie schlafend.
Dann sagt Jesus zu Petrus: „Mensch, könnt ihr nicht eine Stunde mit mir wachen?“ Und dann kommt dieser Aufruf: „Wachet und betet“, wie Paulus hier sagt, „seid wachsam im Gebet, damit ihr nicht in Anfechtung fallt. Euer Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach.“
Und dann pennen sie wieder ein, Jesus kommt zurück und lässt sie schlafen. Am Ende sagt er: „Ach, wollt ihr jetzt weiter schlafen und ruhen?“ Verstehen Sie, das hat Tradition im Apostelkreis, und Paulus greift das hier auf.
Das zeigt uns: Wir sind nicht die Ersten, die Probleme mit der Wachsamkeit und der Beharrlichkeit beim Beten haben. Wir sind nicht die Ersten. Das ist tröstlich, aber zugleich beschämend.
Deshalb will Paulus uns hier aufrütteln. Mehr noch: Er will uns wachrütteln, weil Paulus weiß, wie stark unsere Einsatzfähigkeit im geistlichen Kampf von unserem Gebetsleben beeinflusst wird.
Deshalb sagt er uns dieses dritte: Sei wachsam im Gebet, beharrlich, wisse, wie sehr du gefährdet bist, einzuschlafen, müde zu werden, nachlässig zu werden. Das wissen wir doch alles von uns.
Die Formulierung, die er verwendet, erinnert fast an einen Soldaten, der im Krieg auf seinem Posten bereitstehen soll: Sei wachsam, bleib auf deinem Posten – das ist gemeint.
Dabei sollen wir uns gegenseitig helfen in der Gemeinde, damit wir munterer, treuer und beharrlicher im Gebet werden. Es ist wichtig für unsere Gemeinde, dass solche Beter da sind. Es ist wichtig für das geistliche Wachstum unserer Gemeinde. Es ist wichtig für den Frieden in unserer Gemeinde. Es ist wichtig für die Klarheit der Ausrichtung in unserer Gemeinde, dass wir solche Beter haben und möglichst alle immer mehr zu solchen Betern werden.
Das ist der Schlussakzent des Epheserbriefs: eine leidenschaftliche Aufforderung zum Beten. Sei treu, bete allezeit, sei fleißig mit allem Gebet und Flehen im Geist, sei wachsam und wach dazu mit aller Beharrlichkeit.
Fürsorglich im Gebet für die Gemeinde
Dann bleibt noch eine vierte und letzte Aufmunterung, ein vierter Auftrag. Dabei legt uns Paulus an dieser Stelle eine besondere Ausrichtung des Gebets ans Herz. Das ist hier der Ringfinger, also die Fürbitte, der vierte Finger.
Das vierte Gebot lautet: Sei fürsorglich beim Beten. Paulus sagt nämlich: „Im Flehen für alle Heiligen.“ Hier kommt noch einmal der Ausdruck „Flehen“ vor, wie schon zwei Zeilen weiter oben. Flehen ist ein einbringliches Bittgebet, also wirklich flehen, und diese Bedeutung hat sich im deutschen Wort gut erhalten. Wenn man sagt: „Ich flehe dich an“, dann bedeutet das dringlich bitten. Das entspricht genau dem griechischen Wort, das hier steht.
Paulus legt uns das in diesem Zusammenhang besonders ans Herz und sagt viertens: Sei fürsorglich beim Beten. An anderen Stellen hat Paulus andere „Finger des Gebets“ hervorgehoben. An dieser Stelle fordert er uns zur Fürbitte auf – und zwar ganz konkret für die Mitchristen. Hier steht: „Im Flehen für alle Heiligen.“ Das fordert uns zur Fürbitte für alle Mitchristen auf.
An anderer Stelle sagt die Bibel auch, wir sollen zum Beispiel für Nichtchristen beten, dass sie zum Glauben kommen, oder wir sollen für die Obrigkeit beten, egal ob sie gläubig sind oder nicht, damit sie ihre Arbeit gut machen. Aber hier fordert Paulus uns in diesem Kontext besonders dazu auf, für die Mitchristen zu beten – und zwar für alle Mitchristen.
Ich habe mich gefragt, warum er den Bogen hier so weit spannt. Es gibt eine Antwort darauf: Der Epheserbrief ist die große programmatische Epistel über die Gemeinde Jesu auf Erden. Wenn man das Wesen der Gemeinde verstehen will, muss man den Epheserbrief studieren. Er ist die große programmatische Gemeindepostille über diesen einzigartigen Organismus, in dem völlig fremde und verschiedene Menschen einzig und allein dadurch zu einer Familie zusammengebunden werden, dass sie an Jesus Christus als ihren Retter und König glauben. Das bindet uns zusammen, das macht uns zur Gemeinde.
Diese Gemeinde Jesu ist unteilbar. Sie hat ihre innere, wahre Einheit in unserem Herrn selbst. Darum hat Jesus uns eine Verantwortung füreinander gegeben. Diese Verantwortung wird gerade in diesem Gemeindebrief, dem Epheserbrief, besonders hervorgehoben. Ihr gehört nun zu diesem einzigartigen Gebilde der Gemeinde Jesu Christi. Seid fürsorglich füreinander und betet füreinander.
Wenn ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit. Wenn ein Glied sich freut, freuen sich die anderen mit. Das darf uns nicht gleichgültig sein, wie es unseren Familienmitgliedern in China geht. Wir können nicht einfach sagen: China ist weit weg. Ich kenne Leute wie zum Beispiel Wolfgang Bühne, die regelmäßig nach China reisen, um dort evangelistische Literatur zu verbreiten. Sie haben dort sogar eine Art Druckerei eingerichtet, um gute geistliche Literatur, zum Beispiel auch von Wilhelm Busch, auf Chinesisch zu drucken. Sie wissen: Wir gehören zusammen und müssen unsere Mitchristen dort stärken und stützen.
Es darf uns nicht gleichgültig sein, wie christliche Missionare in Pakistan bedroht sind. Aber es darf uns auch nicht gleichgültig sein, welche Sorgen die Mitchristen in unserer Stadt haben und was die Glaubensgeschwister bewegt, die sechzig oder hundert Kilometer von Hannover entfernt wohnen und vielleicht regelmäßig hier zum Gottesdienst kommen.
Wir haben eine Verantwortung füreinander. Und schauen Sie: Was wir füreinander tun können, ist oft sehr begrenzt. Manchmal können wir praktisch helfen, aber das ist oft nur eingeschränkt möglich. Es gibt jedoch ein Mittel, einen Dienst, der ausgesprochen wirkungsvoll ist und trotzdem jedem Christen möglich ist. Diesen Dienst können auch Menschen tun, die ganz krank oder alt sind und nicht mehr flexibel oder beweglich. Das ist die Fürbitte.
So für andere einzutreten – seid fürsorglich im Gebet! Wissen Sie, das ist auch Arbeit. Es braucht Selbstdisziplin. Ich muss mir Zeit nehmen, daran denken und mich informieren, damit ich weiß, was der andere braucht und wie es ihm geht. Beten ist Arbeit. Deshalb hat Paulus in Römer 15,30 gesagt: „Ich ermahne euch aber durch unseren Herrn Jesus Christus, liebe Brüder, und durch die Liebe des Geistes, dass ihr mir kämpft helft durch eure Gebete für mich zu Gott.“ Ihr helft mir kämpfen, wenn ihr für mich betet, sagt Paulus.
So wie Paulus die Gebetshilfe seiner gläubigen Zeitgenossen brauchte, so brauchen wir Christen heute die Gebetshilfe unserer gläubigen Zeitgenossen. Dadurch können wir einander wirklich unterstützen, uns helfen zu kämpfen, den geistlichen Kampf zu führen und die geistliche Waffenrüstung anzulegen.
Darum notiert Paulus hier diese vierte Aufforderung, diese vierte Ermutigung: Sei fürsorglich beim Beten. Er könnte auch sagen: Sei weitherzig beim Beten. Und zwar nicht weitherzig im Sinne von „lass Fünfe gerade sein“ bei der Lehre, sondern weitherzig, dass du wirklich deine Geschwister im Blick hast, sie nicht vergisst und ihre Anliegen immer wieder vor den Herrn bringst. Pflege Fürbitte für alle Heiligen!
Damit ist nicht einfach nur ein Lippengebet gemeint nach dem Motto: „Ach, lieber Herr, segne alle Mitchristen, Amen.“ Diese Fürbitte kann und soll auch persönlich zugespitzt sein. Das macht Paulus zum Schluss an seinem eigenen, ganz persönlichen Beispiel deutlich.
Schauen Sie mal: Es reicht ihm nicht, wenn die Epheser allgemein für alle Heiligen beten – da wäre Paulus ja schon mit eingeschlossen, er gehört ja auch zu allen Heiligen. Sondern was fügt er hinzu? Das ist so gut zu sehen: Er sagt, „Betet allezeit im Flehen für alle Heiligen“ und dann in Vers 19: „und für mich.“
Das ist so bewegend, dieser Zusatz „und für mich“, sagt er. Hier macht Paulus uns deutlich: Dieses Gebet, diese Fürbitte ist oft ganz persönlich ausgerichtet. Ich möchte Sie fragen: Für wen beten Sie? Für wen beten Sie regelmäßig? Welchen Mitchristen tragen Sie regelmäßig vor den Herrn?
Es ist mir immer eine große Freude, wenn mir das jemand sagt, vielleicht nach einer Predigt oder wenn man sich sonst wo trifft. Manchmal kenne ich die Leute gar nicht, und sie sagen, sie hätten irgendeine Kassette gehört oder einen Artikel gelesen und beten seitdem für sie. Dann sage ich: „Mensch, das ist gut, machen Sie bitte weiter.“
Verstehen Sie, das ist keine Kleinigkeit. Es kommt durchaus darauf an. Manchmal, wenn ich mit dem einen oder anderen am Freitag oder Samstag noch etwas Organisatorisches zu besprechen habe, haben Sie schon oft erlebt, dass ich dann gesagt habe: „Predigt ist noch nicht fertig, bitte betet mit für die Predigt.“ Das ist keine Floskel, sondern ich brauche das, die Predigt braucht es.
Sogar Paulus bittet darum, dass für seinen Dienst gebetet wird. Ich möchte Sie sehr ermutigen, wenn Sie das nicht sowieso schon tun, eine Fürbitteliste anzulegen. Das ist kein stures Gesetz, aber eine sehr praktische Hilfe. Man kann sich eine Liste anlegen und vielleicht die verschiedenen Anliegen auf Wochentage aufteilen oder nach Kategorien ordnen: Freunde, Missionare, Gemeinde und so weiter.
Ich habe ein interessantes Buch von einem gläubigen Professor für Neues Testament in Amerika gefunden, Don Carson, über die geistliche Reformation der Christen. Dort schreibt er auch über seine eigene Fürbitte und hat eine gute Methode entwickelt.
Er sagt, er hat einen Ordner mit vier Abteilungen. In der ersten Abteilung hat er eine Liste der Leute, mit denen er regelmäßig zusammen ist. Ganz oben steht seine Frau, dann die Kinder, die Verwandten, einige enge Freunde weltweit, seine Ortsgemeinde und das Seminar, an dem er lehrt. Das ist die erste Abteilung.
Die zweite Abteilung enthält Anliegen, die sich von Zeit zu Zeit ändern, zum Beispiel wenn er an einem Buchprojekt arbeitet oder eine Evangelisation vorbereitet.
Die dritte Kategorie ist die Liste der Studenten, für die er in dem jeweiligen Semester besonders seelsorgerlich verantwortlich ist, damit er regelmäßig für sie beten kann.
Die vierte Liste enthält Briefe in alphabetischer Reihenfolge, etwa Gebetsbriefe oder Freundesbriefe. Er sagt seinen Studenten immer: „Wenn ihr wollt, dass ich in ein paar Jahren noch für euch bete, müsst ihr mir regelmäßig eure Briefe schicken. Dann habe ich eure Anliegen drin.“
Das ist seine Hilfe, sein Handwerkszeug für die Fürbitte, sagt der Professor für Neues Testament. Jeder muss seinen eigenen Weg finden, für ihn ist dieses System gut. Und dann fügt er hinzu: „I need not to enlarge it more, I need to use it more.“ – Ich muss mein System nicht noch weiter verfeinern, sondern es öfter anwenden.
Das hat mich getröstet. Ich habe es auch schon mit etlichen Systemen von Gebetslisten versucht und ertappe mich oft dabei, dass ich eine schöne Liste habe, die aber nicht in der Intensität genutzt wird, wie sie eigentlich sollte.
Das Gute ist: Wir dürfen bei Gott immer wieder neu anfangen. Wir dürfen sagen: Herr, es soll ab heute wieder regelmäßig werden mit der Fürbitte für die Mitchristen. Das ist nicht im Sinne eines krampfhaften Gesetzes, aber Paulus sagt: Leute, das ist wichtig, betet füreinander, lasst das Praxis werden und geht nicht gedankenlos darüber hinweg.
Paulus sagt hier: „und für mich.“ Das heißt: Wenn ihr eine Gebetsliste habt, schreibt meinen Namen drauf. Und dann nennt Paulus am Schluss das spezielle Gebetsanliegen, das ihm besonders wichtig ist.
Paulus befindet sich in einer dramatischen Situation. Er schreibt diesen Epheserbrief aus dem Gefängnis, und das spiegelt sich in Vers 20 wider, wo Paulus sagt: „Dessen Bote ich bin“ – also Bote des Evangeliums in Ketten, ein Botschafter in Ketten.
Ein Botschafter trug damals wie heute bei offiziellen Anlässen oft die Insignien seines Herrn. Paulus sagt: Ich bin der Botschafter in Ketten. Das ist meine Botschafterausrüstung gewissermaßen. Ich repräsentiere den Herrn.
Schmerzende Eisenketten waren das, die sich oft in den Hals gruben und Entzündungen und Eiterungen bei den Gefangenen verursachten, die mit diesen Ketten angebunden waren. Paulus sagt: Ich bin der Botschafter in Ketten. Das sind meine Insignien, denn ich repräsentiere den König, der sich anketten, foltern, kreuzigen und töten ließ für unsere Schuld.
Dessen Botschafter bin ich in der Kette. Und ich bitte: Denkt an mich, betet für mich!
Interessanterweise betet Paulus hier nicht um Befreiung aus dem Gefängnis. Das wäre geistlich völlig legitim gewesen: „Bitte betet, dass ich freikomme.“ Wir dürfen auch für unsere menschlichen Bedürfnisse bitten: betet für meine Gesundheit, betet, dass ich Arbeit finde, betet für all diese praktischen Dinge. Das dürfen und sollen wir.
Aber Paulus macht es an dieser Stelle nicht. Er hat ein höheres Ziel. Worum bittet er? Er bittet: „Betet für mich, dass mir das Wort gegeben werde, also das Verkündigungswort, wenn ich meinen Mund auftue, freimütig das Geheimnis des Evangeliums zu verkünden, dessen Bote ich bin in Ketten.“
Er bittet darum, mit Freimut vom Evangelium zu reden, so wie es sein muss. Paulus sagt: Bitte betet für mich, dass ich klar und unverfälscht auch unter diesen schwierigen Bedingungen das Evangelium verkünde. Bitte, bitte betet für mich!
Zweimal taucht hier das Wort „freimütig“ auf. Im Griechischen heißt es Parresia. Paulus sagt: Bitte betet, dass ich mit Parresia predige – freimütig.
Wissen Sie, was das bedeutet? Freimütig heißt ohne falsche Zurückhaltung, ohne Einschränkung, ohne Menschenfurcht. Freimütig verkündigen heißt, ohne nach menschlicher Ehre und Anerkennung zu schielen.
Unsere Predigten sind oft so diplomatisch, wir wollen niemandem auf die Füße treten. Nun gut, wir sollen uns auch nicht bewegen wie ein Elefant im Porzellanladen, aber wir sollen die Wahrheit sagen.
Paulus sagt: Leute, bitte betet für mich, dass ich mit Parresia predige, dass ich keine Angst habe, wenn ich eine Sache zu deutlich sage, und dass ich nicht mehr Ärger bekomme, sondern dass ich das sage, was ich sagen muss, aufgrund dessen, was Christus uns in seinem Wort aufgetragen hat. Bitte betet dafür!
Als ich diesen Text studierte, musste ich denken: Sogar Paulus hatte es nötig, dass für seine Verkündigung gebetet wurde. Das war kein höflicher Satz, den er nur so eingeschoben hat, er meinte es ernst.
Sogar Paulus brauchte Gebet. Die Leute dachten vielleicht: „Ach, der Apostel, der macht das schon.“ Wenn der Apostel nicht mit Parresia predigen kann, wer dann?
Paulus sagte: Bitte betet, dass ich mit Parresia predige. Und wenn er es nötig hatte, wie viel mehr wir, die wir ihm als Prediger nacheifern wollen.
Darum möchte ich Sie bitten: Reservieren Sie, wenn möglich, auf Ihrer Liste auch einen Platz für uns Prediger. Dass wir wirklich mit Parresia predigen – das ist nicht selbstverständlich und oft umkämpft.
Bitte beten Sie auch für die Studenten unserer ART, dass sie Menschen werden, die das Evangelium mit Parresia weitergeben. Deshalb ist es wichtig, dass Sie die ART kennen und dass es eine Verbindung zwischen Gemeinde und Akademie gibt.
Bitte beten Sie für weitere Studenten, dass der Herr weitere Menschen bereit macht, in diesen Dienst einzutreten und mit Parresia zu predigen. Bitte beten Sie mit.
Denken Sie auch an die anderen Mitchristen, die der Herr Ihnen zur Fürbitte aufs Herz legt. Vielleicht haben Sie gerade eine Verbindung zu einem speziellen Missionswerk. Studieren Sie, was dieses Missionswerk Ihnen regelmäßig schickt, und notieren Sie sich einige Anliegen.
Vielleicht wissen Sie von einem Mitchristen, der in einer besonderen Krankheitssituation ist. Paulus fordert uns hier auf: Wir sollen flehen für alle Heiligen, fürsorglich und weitherzig sein. Nicht nur unsere eigene Situation oder unser engstes Umfeld sehen. Paulus sagt: Ihr habt eine Verantwortung füreinander.
Bitte beten Sie darüber hinaus auch für andere Menschen, die Gott an Ihren Weg gestellt hat, die noch nicht seine Kinder sind, also noch nicht zu den Heiligen gehören: Verwandte, Nachbarn, Schüler, Kollegen, wen auch immer.
Wir dürfen für sie alle beten. Wenn wir in der Straßenbahn einen Menschen sehen, der uns auffällt, weil er besonders traurig und verzweifelt aussieht und wir ihn jetzt nicht ansprechen können, dann können wir doch beten und sagen: Herr, du siehst diesen Mann da hinten, der sieht so kaputt aus. Bitte gib ihm eine Chance, Dich zu finden und Dein Evangelium kennenzulernen.
Betet, betet allezeit, sagt Paulus.
Ermutigung durch ein Beispiel aus Afrika
So darf ich das zum Schluss noch einmal zusammenfassen. Vier Aufträge, vier Aufmunterungen legte uns der lebendige Gott heute Morgen mit diesem Bibeltext ans Herz. Es wird sich noch viel bewegen und ändern, wenn wir diese Aufträge ganz neu ernst nehmen. Es wird sich viel bewegen. Dann werden wir einander noch viel mehr helfen können, die geistliche Waffenrüstung so zu gebrauchen, wie der Herr es will.
Erstens: Sei treu beim Beten. Zweitens: Sei fleißig beim Beten. Drittens: Sei wachsam beim Beten. Und viertens: Sei fürsorglich beim Beten, weitherzig.
Manchmal brauchen wir eine neue Ermutigung, das Gebet wieder aufzunehmen. Die größte Ermutigung bekommen wir, wenn wir auf Gott selbst sehen und uns immer wieder diese Wahrheit vor Augen führen lassen: Wir haben einen lebendigen Gott, der uns jederzeit hört. Wir haben einen allmächtigen Gott, der alle Macht hat, im Himmel und auf der Erde.
Das haben auch die Kinder in einem kleinen afrikanischen Ort erfahren, ganz in der Nähe des Äquators. Damit schließe ich jetzt.
Eine junge Mutter war bei der Geburt gestorben, ihr Baby war viel zu früh gekommen. Dieses mutterlose Baby hatte noch eine kleine Schwester, etwa zwei Jahre älter. Die Hebamme und Missionarin, die dabei war und das mitbekommen hatte, sagte: Es gab keinen Inkubator. Selbst wenn wir einen Inkubator gehabt hätten, um dieses kleine, viel zu früh geborene Baby zu wärmen, hätten wir keinen Strom gehabt. Die Nächte waren oft sehr kalt.
Jetzt hatten wir da das kleine Baby. Ja, setzt euch ruhig hin, dann hört ihr das auch noch mit. Da war in Afrika ein kleines Baby, das die Mutter bei der Geburt verloren hatte. Man konnte es nicht wärmen, es war ganz kalt, und die Missionare hatten keine Möglichkeiten.
Dann ging eine Frau um, um eine Flasche heißes Wasser aufzubereiten. Dabei ging die Flasche noch kaputt. Das war die letzte Flasche, jetzt hatten sie nicht mal mehr eine Wärmflasche.
Die Missionarin sagt: Was sollen wir machen? Sie sagt zu den anderen Kindern: Legt das Baby zwischen euch und schlagt euch so nah am Feuer zusammen, wie es irgend möglich ist.
Am nächsten Tag, sagt sie, ging ich gegen Mittag zu den Waisenkindern, die auch auf unserem Gelände wohnten. Wir wollten wie immer zusammen beten. Ich habe ihnen dann von diesem Baby erzählt, das zu früh geboren war, dessen Mutter tot war, von der zwei Jahre älteren Schwester und erklärte ihnen unser großes Problem: Wir müssten das Baby ausreichend warm halten, aber wir hätten keine Wärmflasche. Wie groß die Gefahr sei und wie traurig die zwei Jahre ältere Schwester war, die gar nicht mehr aufhören konnte zu weinen, weil die Mutter tot war.
Während sie so beteten, war da eine kleine Ruth mit ihren zehn Jahren. Sie betete zu Gott: Gib mir bitte eine Wärmflasche, gib uns eine Wärmflasche, Gott! Es ist nicht gut, wenn du uns erst morgen gibst, das Baby wird bis dahin tot sein. Wir brauchen sie heute Nachmittag.
Dann fügte sie noch hinzu: Gott, bitte schick uns doch auch eine Puppe für die Schwester, dann sieht sie, dass du sie wirklich lieb hast.
Sie können sich vorstellen, dass die Missionarin einen ganz schönen Schrecken bekam bei diesem Gebet. „Klar“, sagt sie, „ich wusste, Gott kann alles tun, aber ich wollte auch nicht, dass diese Kinder enttäuscht werden. Und wie unwahrscheinlich war das!“
Sie sagt, der einzige Weg, auf dem Gott dies hätte erhören können, wäre der gewesen, dass ich ein Päckchen von zu Hause heute bekommen würde. Aber ich war schon vier Jahre in Afrika und hatte noch nie ein Päckchen erhalten. Und wenn einer ein Päckchen an den Äquator schickt, wer wird daran denken, eine Wärmflasche mit reinzulegen?
Am Nachmittag des Tages unterrichtete sie gerade die Krankenschwestern, da erfuhr sie: Vor deiner Tür steht ein Auto! Dann kommt sie nach Hause und sieht, dass da wirklich ein zehn Kilo schweres Paket auf dem Tisch steht. Ihr Herz bebt natürlich.
Sie sagt, ich wollte es nicht allein öffnen und ging zu den Kindern ins Heim, um es mit ihnen zusammen auszupacken. Da kamen erst T-Shirts heraus, das war schon ganz gut. Dann einige sorgsam gewickelte Bandagen für die Leprapatienten, eine Schachtel mit Rosinen.
Und dann, sagt sie, steckte ich meine Hand noch mal in die Kiste, fühlte irgendetwas ganz Komisches und holte es heraus. Sie werden es nicht glauben: Es war tatsächlich eine funkelnagelneue Wärmflasche.
Sie sagte, ich musste weinen. Ich hatte Gott nicht gebeten, uns eine zu schicken. Aber Ruth hatte ihn gebeten. Und dann hat Gott einen Menschen bereit gemacht, in die heiße Einöde Afrikas eine Wärmflasche zu schicken.
Sie rutschte dann zwischen den Kindern nach vorn und sagte: Wenn Gott eine Wärmflasche schicken kann, dann muss auch irgendwo die Puppe noch sein.
Dann haben sie weitergesucht, und in der Tat kam die Puppe zum Vorschein. Dann sagte Ruth zur Missionarin: Kann ich jetzt mit dir mitkommen? Ich will diese Puppe dem kleinen Mädchen bringen. Sie muss doch wissen, dass Jesus sie wirklich lieb hat.
Die Missionarin sagt, das Paket war fünf Monate unterwegs gewesen. Kinder aus ihrer Gemeinde hatten es gepackt, und Gott hatte dieses Gebet erhört – fünf Monate, bevor die Situation so dramatisch wurde, bevor sie überhaupt angefangen hatten zu beten.
Liebe Gemeinde, es ist wirklich passiert. Das ist keine nette Geschichte, sondern eines von vielen Beispielen dafür, dass wir einen lebendigen Gott haben. Dieser lebendige Gott greift nicht immer in so dramatisch sichtbarer Weise ein, aber er ist immer derselbe Gott. Er weiß immer, was er für uns tut, und er hat unsere Lage immer im Blick.
Darum lasst uns das immer mehr praktizieren, was Paulus uns hier sagt: Betet allezeit mit allem Gebet und Flehen im Geist und wacht dazu mit aller Beharrlichkeit und im Flehen für alle Heiligen! Amen!