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Hirtenplan

31.12.1996Jeremia 23,3
Weder Schafe noch Menschen kann man über einen Kamm scheren, auch nicht in der Massengesellschaft. Der große Hirte hat einen großen Plan und sieht den einzelnen Menschen. - Rundfunkansprache zu Jeremia 23, 3

Gott spricht: "Ich will die Übriggebliebenen meiner Herde sammeln, aus allen Ländern, und will sie wiederbringen zu ihren Weideplätzen, dass sie sollen wachsen und viele werden."

Lieber Hörer, vor Jahren war ich Pfarrer auf der Ostalb. Das ist ein Teil des baden-württembergischen Bundeslandes. Dort versuchte einmal ein Schafhalter, mir in Schafkunde Nachhilfeunterricht zu erteilen. Er sprach von deutschen Heidschnucken und französischen Merinoschafen und persischen Karakul-Lämmern.

Aber diese Lektion eines Schafhirten für den Gemeindehirten blieb ein Versuch am untauglichen Objekt. Ich blieb bei meiner Ansicht, dass sich alle Schafe gleichsehen. Ein Profil ist ihnen nicht angeboren. In ihrer Gattung sind sich alle gleich. Jedes hat vier Beine, trägt sein Wollkleid und wird über den gleichen Kamm geschoren, Hauptsache, die Menge stimmt auf. Auf dieser Wiese werden 500 gezählt, dort 800 und drüben sogar 1200. Der Weltbestand soll sich auf eine Milliarde Stück belaufen. Wen kratzt schon das schwache Zicklein? Wen kümmert schon ein lahmendes Muttertier? Wer kennt schon den alten Hammel? Übrig sind sie, weg damit, sagt der schlechte Hirte, Zahlen sind es, Nummern, Ziffern. Was soll das Einzelschaf, wenn es um eine Schafherde geht?

Aber der gute Hirte denkt anders. Bei ihm gibt es keine Übriggebliebenen. Im Gegenteil: Gerade sie werden gesammelt. Erst wenn das Kleine seinen Platz hat, können auch die Großen stehen bleiben. Erst wenn das Kranke seine Pflege hat, können auch Gesunde Pflege erwarten. Erst wenn der Alte seine Hilfe hat, können auch die Jungen auf Hilfe hoffen.

Wirtschaftlich ist das nicht, aber barmherzig. Und deshalb nimmt er das Zicklein auf den Arm, pflegt das Muttertier und steht dem Hammel bei: "Ich will sie zu Ihren Weideplätzen bringen."

Liebe Hörer, auch Menschen sehen sich ähnlich. Das Profil ist ihnen nicht angeboren. In der Gattung Mensch sind wir uns alle gleich. Jeder hat zwei Beine, jeder trägt sein Kleid, jeder wird letztlich über den gleichen Kamm geschoren. Nicht umsonst wird von einer Massengesellschaft gesprochen. An diesem Ort werden 50.000 gezählt, dort 80.000 und drüben sogar fünf Millionen. Die Weltbevölkerung beläuft sich gegenwärtig auf sechs Milliarden Menschen. Wen kratzt schon das Embryo unter dem Herzen seiner Mutter? Weg damit in der Abtreibungsklinik, wenn es nicht erwünscht ist. Wen kümmert schon der kranke Kollege im Geschäft? Weg damit ins Reha-Zentrum, wenn er Therapie braucht. Wer kennt schon den alten Nachbarn von nebenan? Weg damit ins Altenheim, wenn die Kinder nicht nach ihm sehen? Wegwerfgesellschaft - auch in dieser Beziehung.

Personalzahlen haben wir, Erkennungsziffern besitzen wir, Nummern sind wir, die gelöscht und wieder neu eingetippt werden. Was soll der einzelne, wenn es um die vielen geht?

Und unser Gott denkt anders, ganz anders. Er sammelt die Übriggebliebenen, die Zurückgebliebenen, die Hinterbliebenen. Er bringt sie dorthin, wo sie leben und wachsen können. Er schafft Weiden des Friedens. Für diesen Hirtendienst hat er extra seinen einzigen Sohn auf die Erde geschickt, der von sich sagen konnte: '"Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen und niemand wird sie aus meiner Hand reißen."*

Gott sei Dank gibt es noch eine Instanz, wo es nicht nach unserer Wirtschaftlichkeit, Nützlichkeit, Tüchtigkeit oder Gesundheit geht, sondern einzig und allein nach seiner Barmherzigkeit. Er besitzt keinen Zentralcomputer. Personalzahlen sind ihm fremd. Bei ihm hat gerade der Übersehene eine ganz große Nummer. Er vergisst keinen. Ob es der widerborstige Bub oder der vergrämte Senior ist, das junge Mädchen oder die alte Frau. Für jeden gilt: "Kennt auch dich und hab dich lieb."