Es standen aber bei dem Kreuz Jesu auch seine Mutter und die Schwester seiner Mutter, Maria, die Frau des Klopas, und Maria von Magdala.
Als Jesus nun seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er lieb hatte, sagte er zu seiner Mutter: „Siehe, das ist dein Sohn.“ Danach sagte er zu dem Jünger: „Siehe, das ist deine Mutter.“
Und von jener Stunde an nahm der Jünger sie zu sich.
Die Bedeutung der letzten Worte großer Persönlichkeiten
Liebe Schwestern und Brüder,
die letzten Worte großer Persönlichkeiten spielen oft eine bedeutende Rolle. Wenn wir uns in diesen Tagen an Goethe erinnern, wissen Sie sicher, dass sein letztes Wort auf dem Sterbebett „mehr Licht“ war. Für Goethe-Fans ist das eine ganze Offenbarung und eine Bibliothek voller Weisheit und Einsicht.
Auch die letzten Worte Jesu haben für uns, die wir Jesus-Fans sein wollen, eine wichtige Bedeutung. Darin steckt viel, etwas Triumphales. Beim letzten Mal hörten wir, wie Jesus einen gescheiterten und verlorenen Menschen mit in seine Ewigkeit nimmt. Wie er das schafft, ein solches zerbrochenes Leben zu heilen – es gibt kein „zu spät“ für Jesus. So majestätisch und königlich ist das.
Oder denken wir an die letzten Worte: „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände.“ Jesus erleidet das Sterben nicht, sondern er siegt über das Sterben am Kreuz. Das ist ermutigend und stärkend.
Heute aber wollen wir mit diesem Wort und unserem Blick nach unten gelenkt werden, um einmal unter das Kreuz zu schauen.
Die Rolle der Frauen unter dem Kreuz
Dort unten standen einige, wie so oft in der Kirche, meist Frauen. Denn die Frauen genießen im Wort Gottes eine besondere Ehre und Achtung. Sie sind an den wesentlichen Stellen oft früher da als die Männer. Darum wollen wir uns an diesem Sonntagmorgen damit beschäftigen, was unter dem Kreuz geschieht.
Ich möchte zuerst Ihren Blick auf die kleinen Dinge lenken. Gerade wenn man an die letzten Worte Jesu am Kreuz denkt und sie in unseren Predigten auslegt, habe ich beobachtet, dass wir meist dieses Wort Jesu überschlagen. Warum? Es erscheint uns irgendwie zu klein. Es ist nicht so gewaltig und stärkend wie die großen Worte, die wir sonst von Jesus am Kreuz kennen. Unter den sieben Jesusworten ist das sicher eines der unbekanntesten.
Was ereignet sich denn da? Es ist eigentlich nur eine Familienszene, eine Familiengeschichte. Ein bisschen sentimental, denn Jesus kümmert sich um seine Mutter. Das sind doch ganz private Vorgänge – wenn sie nicht im Wort Gottes aufgezeichnet wären. Wenn das Wort Gottes uns dies festhält und Johannes es für wichtig angesehen hat, dann hat das für unseren Glauben eine bedeutende Bedeutung.
In dieser Sterbestunde Jesu, in der es um Welterlösung geht, um den großen Sieg Gottes über Sünde, Teufel und Hölle, fällt das Auge Jesu auf die kleinen Dinge: Mutterliebe, Freundesliebe. Das möchte ich Ihnen heute wichtig machen. Christen stehen in Gefahr, manchmal über die großen Missionsaufgaben und die Welterlösung die kleinen alltäglichen Dinge zu vergessen. Doch das war Jesus so wichtig.
Das steht gar nicht in Konkurrenz zum anderen. Jesus hat bis zu seinem Sterben die Pflichten in seiner nächsten Nähe erfüllt. Das stimmt auch mit dem anderen biblischen Zeugnis überein: Man kann Gott nicht dienen, wenn man im eigenen Haus nicht wohl vorsteht. Auf dem Hügel Golgatha, in der letzten Stunde des Erdenlebens Jesu, beschäftigt sich Jesus mit den kleinen Dingen.
Wenn Sie Jesus nachfolgen wollen, dann müssen Sie die kleinen alltäglichen Dinge noch viel, viel treuer nehmen. Wenn Sie sich fragen, warum in unserem Leben so wenig Dienst für Gott geschieht, liegt das oft daran, dass wir uns immer wieder von scheinbar großen Dingen verführen lassen.
Gott hat uns als Haushalter über Aufgaben im Kleinen gesetzt. Heute gibt es die Verführung in der Gemeinde Jesu, sich einzubilden, sie könnte die großen Weltschwierigkeiten lösen. Ich wünsche mir, Sie könnten es. Wenn Sie nur heute einen Schuss in El Salvador verhindern könnten, würde es sich lohnen. Aber Sie können es nicht.
Gott hat Sie gesetzt über Ihre Aufgaben. Sagen Sie nicht, sie wären klein. Denn das Kleine gibt es nie in den Augen Gottes. Unsere Familienbeziehungen, die Ämter, die uns anvertraut sind, und die Freundesbeziehungen, die uns gegeben sind, werden so groß und bedeutsam für das Reich Gottes. Sonst hätte Jesus in seiner Sterbestunde sich nicht noch mit Maria, seiner Mutter, beschäftigt. Sonst hätte er nicht noch mit Johannes gesprochen.
Heiligen Sie Ihre alltäglichen Berufspflichten, Ihre Aufgaben in der Welt, Ihre menschlichen Beziehungen, wo Gott Ihnen etwas in die Hand gelegt und anvertraut hat! Wer im Geringsten treu ist, der ist auch im Großen treu.
Oft hat das Kreuz Jesu Christen dazu verleitet, oberflächlich zu werden. Doch dieses Wort Jesu kann uns davor bewahren. Christen werden so gern oberflächlich, weil sie meinen: Gott vergibt ja, er löscht meine Sünde aus. Aber nie ohne uns das Kleine und Alltägliche so heilig zu machen.
Das Wort, das wir reden, das Amt, in das wir gesetzt sind, die Menschen, die uns begegnen – das will unter dem Kreuz geheiligt und in Dienst genommen sein. Wie Jesus einmal gesagt hat: Es gebührt sich, alle Gerechtigkeit zu erfüllen.
Das Reich Gottes geschieht in den kleinen Dingen.
Glaubensmut und Treue am Kreuz
Noch etwas anderes fällt mir unter dem Kreuz auf: die Treue der Maria. Vor einigen Monaten haben wir uns einmal gründlich mit diesem Wort „Treue“ beschäftigt. Ich glaube, es war auch in der Bibelstunde, wo wir sehr genau dem biblischen Wort nachgegangen sind, weil Treue uns irgendwo entschwunden ist.
In unserem Volk gilt Treue kaum noch etwas. Stattdessen gilt Lust, die Befriedigung der Lust, als Lebensziel. Man hat der Jugend als Leitbild mitgegeben: Lebe deine Gefühle aus. Doch wenn die Treue fehlt, sehen wir unter dem Kreuz etwas von der Treue der Maria.
Haben Sie schon einmal bedacht, was Maria in diesem Augenblick tut? Sie war Jesus nachgefolgt. Die Männer, es waren ja nur Männer, die es als würdig empfanden, Jesus zu begleiten – im Zwölferkreis – sind feige geflohen, bis auf einen, der sich wieder einstellt: Johannes. Ihr lieben Männer, ich will uns nicht zu schlecht machen, aber es muss ja mal gesagt werden.
Und da steht Maria. Kann eine Frau ihr Kindlein vergessen, so dass sie sich nicht erbarme über den Sohn ihres Leibes? Gott hat immer wieder darauf hingewiesen, was sich in der Mutterliebe zeigt. Sie steht unter dem Kreuz und hört die Schläge, wie die Nägel durch die Hände Jesu getrieben werden. Wenn man der Operation seines Sohnes beiwohnen wollte, wäre das ein kümmerliches Beispiel dafür, was eine Mutter hier aushalten muss.
Denn den Leidens- und Todeskampf Jesu auszuhalten – ich kenne keine Beschreibung, dass eine Mutter dies ausgehalten hat, am Galgen ihres Sohnes zu stehen. Wenn Maria das getan hat, dann stand sie fernab. Doch Maria steht unter dem Kreuz, und unser Auge fällt auf menschliche Treue und Liebe, die so groß und gewaltig ist.
Ich las vor ein paar Tagen von Paul Deitenbeck, wie ihr Kind schwer krank war. Sie hatten gebetet, dass es gesund wird. Doch es wurde nicht gesund. Vierzehn Monate lag das Kind im Sterben, bis der Herr es heimgeholt hat. Für Eltern furchtbar. Man wartet und leidet mit – und das macht Maria.
Doch hier ist nicht nur ein Bild menschlicher Liebe und Treue gezeichnet, obwohl es uns etwas zeigen kann von Werten, die in unserer Zeit verschüttet sind. Von leuchtenden Gaben der Entfaltung menschlicher Persönlichkeit. Denn was Maria unter dem Kreuz tut, ist nicht nur Menschentreue und nicht nur Moral, sondern Glaubensmut.
Sie hat es gewusst. Als sie einst das achtjährige Jesuskind zum Tempel hinauftrug, trat ihr dort Simeon entgegen und sagte zu Maria: „Dir wird ein Schwert durch deine Seele dringen.“ Er sprach von dieser Stunde. Und das muss Maria im Glauben aushalten.
Unter dem Kreuz sehen wir etwas vom Glaubensmut und von der Tragkraft des Glaubens. Dieser Glaube setzt Liebe frei – eine Liebe, die alles erduldet und alles hofft. Maria hält am Kreuz noch fest, was sie einst vor der Geburt Jesu gesungen hat in ihrem großen Magnificat: „Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen.“
Und Sie wissen aus Ihren Anfechtungen, dass es Stunden im Glauben gibt, in denen man das, was man sieht und fühlt, nicht mehr mit dem, was man glaubt, zusammenbringt. Aber der Glaube muss siegen über die Gefühle und über das Sehen, über die Erfahrung in der Anfechtung. Und sie bleibt in der Liebe.
Ach, mein Herr Jesus, wenn ich dich nicht hätte! Sie steht doch nicht am Kreuz, um Jesus zu trösten – vielleicht hat sie das gedacht. Und sie ahnt das Geheimnis, dass sie getragen wird von der Liebe Jesu: „Ich will hier bei dir stehen, verachte mich doch nicht. Du trägst mich in deiner mächtigen Liebe, du Gottessohn.“ Wer wusste das besser als Maria?
Und wenn in unseren Tagen wieder um ein neues Leitbild für unsere Frauenwelt gerungen wird, dann wird unseren Frauen ein ganz anderes Idol vorgesetzt. Ich möchte Ihnen ganz altmodisch das größte Frauenbild aller Zeiten zeigen: Maria unter dem Kreuz, die nur Jesus dienen und glauben will.
Sie dürfen in die Weite wirken. Wie viele große Frauen, Jüngerinnen Jesu, haben in die Weite gewirkt. Aber sie waren immer nur gesegnet unter dem Kreuz, wo sie festgehalten haben: „Deine Liebe trägt mich.“
Die Bedeutung der Gemeinschaft unter dem Kreuz
Und wenn heute unser Blick von der Gemeindediakonie bis hinaus in die große Weltmission reicht, was kann dann unsere Lebensaufgabe sein? Anders als Maria unter dem Kreuz zu stehen, Jesus zu vertrauen, der an mich denkt und mich hält, und dem ich treu bleiben will. Denn ohne ihn weiß ich nicht, wohin ich gehen oder wofür ich leben soll.
Noch einen dritten Gedanken: die gesegnete neue Gemeinschaft. Ich möchte noch ein wenig weitermachen.
Zuerst, bevor ich auf die Gemeinschaft eingehe, zu den verwirrenden Leitbildern, die heute gerade unseren Frauen gegeben werden. Nicht, dass wir Männer darüber leicht reden könnten, aber viele Frauen sind verunsichert und wagen es nicht mehr, ihren Mund aufzutun. Sie sollten sich mehr aus der Bibel Stärke geben lassen.
Gestern Abend hielt ich in Metzingen bei einer Evangelisation einen Vortrag darüber, wie man in der Liebe glücklich wird. Danach kam ein junger Mann zu mir und sagte, ich hätte etwas Falsches gesagt. Im Vortrag hatte ich gesagt, dass es schwer sei für diejenigen, die allein durchs Leben gehen müssen. Er entgegnete, es sei auch befreiend, wenn man das einmal ausspricht.
Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei. Für viele Alleinstehende ist das eine Last, die sie sicher als Führung Gottes ertragen und erdulden, die ihnen aber immer wieder hart wird. Dann sagte der junge Mann: "Ich will das einfach weitergeben, aber Sie müssen doch sagen, dass Jesus jeden Mangel ausfüllt."
Ich antwortete: "Du gefällst mir. Ich will es weitergeben, ich will es tun."
Wir wissen ja gar nicht, was aus Marias Mann geworden ist. War sie Witwe? War sie alleinstehend? Johannes nahm sie zu sich. In der Bibel wird kein Wort über schreckliche Einsamkeit verloren. Und es ist nicht wahr, dass man seine Erfüllung nur in der Ehe finden könne. Für viele wäre es besser gewesen, sie hätten nie geheiratet. So hätten sie wenigstens den Rest ihres Lebens Glück bewahrt.
Ein Leben wird, ob verheiratet oder ledig, nur erfüllt, wenn es unter dem Kreuz Jesu gelebt und geführt wird. Dort gibt Jesus eine erfüllende Gemeinschaft. Er weist Johannes an, sich um Maria zu kümmern, und Maria an Johannes. Was unter dem Kreuz geschieht, ist der Beginn unserer Gemeinde.
Christen verstehen oft gar nicht, was da geschieht. Heute Morgen sitzen wir da wie im Kino – ein Stück Publikum. Doch neben uns sind Schwestern und Brüder, die uns helfen können. Da ist jemand, der für uns beten kann, jemand, der uns in unseren Zweifeln weiterhilft. Wir dürfen uns ihnen öffnen.
Wer Gottes Wort hört und bewahrt, ist Teil der Familie Jesu. Johannes spielte vielleicht eine ganz entscheidende Rolle in der Familie Jesu, denn wir wissen, dass die Geschwister Jesu nicht gläubig waren. Vielleicht geschah mit dem Schritt, dass Jesus Johannes zu Maria führte, das, was wir später in der Apostelgeschichte lesen: dass die Geschwister Jesu gläubig wurden.
Das ist ein großes Geschenk. Wie bin ich froh für meine Kinder, dass wir eine Gemeinde haben, in die sie hineingeführt werden, wenn sie sich aus der Familie lösen. Dort gibt es eine Bruderschaft, Zeugen des Glaubens, die durch ihr Beispiel etwas vorleben. Dort wird eine neue Gemeinschaft eingeübt.
Und wieder sind es zwei Menschen, die sehr wohl um ihre Versäumnisse wissen. Da wird nicht gefragt: Johannes, ist dir Maria sympathisch? Könnt ihr zusammen einen Hauskreis bilden? Es geht nicht um unsere Gefühle oder Sympathien, sondern darum, dass unser unheiliges, sündiges Wesen geheiligt wird und dass wir von Gott zusammengestellt werden.
Wenn sie dieses Geschenk der gesegneten neuen Gemeinschaft begreifen, dann wünsche ich mir das auch für den Dienst unserer Schwestern. Mir blutet oft das Herz, wie viele von der Kirche begonnene Dienste sich am Ende von der Gemeinde lösen und zu irgendwelchen Ämtern werden – fernab der Gemeinde, in Büros.
Liebe Schwestern, wenn ihr in der Gemeinde, in der betenden und hörenden Gemeinde verwurzelt bleibt, könnt ihr euren Dienst in der Vollmacht Jesu tun. Daher segne ich euch alle, dass er euch das Geheimnis seines Leibes, das ist seine Gemeinde, erschließe.