Gnade sei mit uns und Friede von dem, der da ist, der da war und der da kommt! Amen!
Wir hören das Evangelium des heutigen Sonntags aus Lukas 19. Als Jesus nahe an die Stadt Jerusalem kam, sah er sie an und weinte über sie. Er sprach: „Wenn doch auch du erkannt hättest zu dieser deiner Zeit, was zu deinem Frieden dient! Aber nun ist es vor deinen Augen verborgen.
Denn es wird die Zeit über dich kommen, dass deine Feinde um dich und deine Kinder mit dir eine Wagenburg schlagen, dich belagern und an allen Orten eng umschließen werden. Das geschieht, weil du nicht erkannt hast die Zeit, in der du heimgesucht wurdest.“
Dann ging Jesus in den Tempel und begann, die hinauszutreiben, die dort verkauften und kauften. Er sprach zu ihnen: „Es steht geschrieben: ‚Mein Haus ist ein Bethaus‘, und ihr habt es gemacht zur Mördergrube.“
Die hohen Priester, Schriftgelehrten und die Vornehmsten im Volk trachteten danach, ihn umzubringen.
Herr, heilige uns in deiner Wahrheit! Dein Wort ist die Wahrheit. Amen.
Die Kirche im Aufruhr: Zwischen Erwartungen und Widersprüchen
Ein kleiner See wird vom Sturm ein wenig aufgewühlt. So wird auch die christliche Kirche gelegentlich von der Frage bewegt, wozu sie eigentlich da ist.
Wie bei einem Teich, an dessen Rand Jungen stehen und Steine hineinwerfen, wodurch die Wellen noch größer werden, so geschieht es auch in der Kirche. Es gibt ein lautes Rufen von Berufenen und Unberufenen, was die Kirche eigentlich tun müsste.
Die einen fordern, soziale Fragen anzupacken. Doch sobald sich etwas tut, ruft die andere Hälfte: „Psst, mischt euch da bitte nicht ein! Das sind politische Fragen!“
Die Kirche müsse endlich ein Wort gegen die Aufrüstung sagen, darin bin ich überzeugt. Doch sofort schreit die andere Gruppe: „Nein, die Kirche muss den Kämpfern Mut machen, eventuell zu sterben für das geliebte Vaterland.“
Es wird gesagt, die Kirche müsse kulturelle Dinge fördern. Sie müsse den jungen Menschen Lebenshilfe geben. Das geht so weit, dass ein snobistischer Primaner aus der Kirche geht und sagt: „Die Predigt hat mir nicht gefallen.“ Dabei verwechselt er die Predigt mit einer schauspielerischen Leistung.
Die klare Botschaft des Neuen Testaments
Meine Freunde, ich bin so froh, dass das Neue Testament uns eindeutig klargemacht hat, was die christliche Kirche sein soll. Die Apostel, die am Anfang standen und das Fundament der christlichen Kirche bilden, standen einst vor dem Hohen Rat. Dort haben sie den gewaltigen Satz gesagt: „Es ist in keinem anderen Heil als in dem Namen Jesus.“
Und sehen Sie, da wird deutlich, dass die Kirche der Welt unaufhörlich sagen muss, dass sie Narren sind, wenn sie das Heil an allen möglichen anderen Orten suchen. So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn Jesus gab, damit alle, die auf ihn vertrauen, nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben.
So haben wir also die Aufgabe, Jesus zu verkündigen. Ob das modern ist oder nicht, kann uns überhaupt nicht kümmern. Die Bibel sagt: „Predige die Botschaft von Jesus zur Zeit und zur Unzeit.“ Seit ich predige, war es immer Unzeit. Trotzdem war es schön, die Erfahrung mit Jesus dabei zu machen.
Jesus in unserer Vorstellung und in der Realität
So wollen wir heute Morgen also auch von Jesus sprechen. Wie stellen Sie sich Jesus vor?
Manchmal beneide ich die Menschen aus Allensbach, die so frisch und fröhlich Meinungsforschung betreiben können. Verstehen Sie mich da hinten? Geht’s? Danke.
Ich wünschte, ich könnte jedem von Ihnen jetzt einen Zettel und einen Bleistift geben und sagen: Schreiben Sie in den nächsten fünf Minuten auf, wie Sie sich Jesus vorstellen. Was würden Sie schreiben?
Ich bin überzeugt, am Ende würde ein Bild entstehen, das etwa dem von Thor Walzen in seinem bekannten Christusbild ähnelt: Der lebende Heiland, der die Hände ausbreitet und sagt: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid.“ So liebe ich meinen Herrn auch.
Aber meine Freunde, in unserem Text entdecken wir plötzlich einen ganz anderen Jesus. Einen Jesus, der weint.
Haben Sie schon einmal einen Mann weinen sehen? Das muss ein emotionaler Mann sein, der eine tiefe Erschütterung erlebt, die bis in die Tiefen seiner Seele reicht.
Die Leidenschaft Jesu: Weinen und Zorn
Leidenschaftlich weint Jesus über eine Stadt. Im zweiten Teil unseres Textes wird er dann strenger: Er macht eine Peitsche und säubert den Tempel von den Leuten, die dort Geschäfte machen. Ein zorniger, aber zugleich emotional bewegter und leidenschaftlicher Jesus.
Haben Sie sich Jesus schon einmal leidenschaftlich vorgestellt? Hier sehen wir einen leidenschaftlichen Jesus. Unsere Leidenschaften sind meist sehr trübe. Doch hier erkenne ich eine kristallklare Leidenschaft, die vom Glanz Gottes durchleuchtet ist.
Als Überschrift für den Text und die Predigt möchte ich „Die Leidenschaft Jesu“ wählen. Ich pflege, den Vortrag in drei Teile zu gliedern, damit man rechtzeitig merkt, wenn er zu Ende geht.
Die Leidenschaft Jesu zur Rettung der Menschen
Die Leidenschaft Jesu zielt in erster Linie darauf ab, zu retten – zu retten und nochmals zu retten. Er sitzt vor Jerusalem und weint, weil sich die Stadt nicht retten lässt.
Ich kann gut verstehen, dass die Menschen in Jerusalem gefragt haben: „Retten? Warum? Was gibt es hier zu retten?“ Politisch haben sie sich nach vielen Schwierigkeiten wieder arrangiert, wirtschaftlich geht es voran, und auch der religiöse Betrieb läuft ganz ordentlich. Ob man nun von Westdeutschland oder Jerusalem spricht, spielt keine Rolle – es scheint alles in Ordnung zu sein. Und dann kommt jemand und will retten. Was soll denn in Schwäbisch Hall gerettet werden? Die Leute haben gefrühstückt, sind gut gekleidet, der Himmel ist blau und die Sonne scheint. Was gibt es hier groß zu retten?
Doch Jesus weint erschüttert und sagt: Eure Katastrophe ist das hier überhaupt nicht. Das, was vor euren Augen verborgen ist, ist viel schlimmer. Wollt ihr euch vorstellen, dass eine ganze westdeutsche, abendländische Welt nicht merkt, was wirklich los ist? Es ist vor euren Augen verborgen, sagt er. Was denn? Das, was zu eurem Frieden dient. Plötzlich reißt er es auf: Es ist Gottes Zorn! Gottes Zorn über unsere schmutzigen Sünden, über unsere Selbstsucht und Launen, über unsere Unreinheit und Lügen, über unsere Gottlosigkeit – Gottes Zorn!
Es ist vor euren Augen verborgen, dass es einen Zorn Gottes gibt, dass man verloren gehen kann und dass nichts wichtiger wäre für jeden von uns – für den jungen David, das Mädchen und den Mann hier –, als Frieden mit Gott zu bekommen. Es ist vor euren Augen verborgen. Es könnte geschehen, dass einigen Leuten über Jesu Weinen die Augen aufgehen und sie wahrhaftig Frieden mit Gott begreifen.
Jesu Leidenschaft gilt dem Retten der Menschen, indem sie Frieden mit dem lebendigen Gott bekommen. Diese Leidenschaft geht so weit, dass er sich ans Kreuz schlagen lässt und unsere Schuld wegnimmt, weil es nicht anders geht.
Gehen Sie mit mir nach Golgata! Dort hängt er am Kreuz, dort geht er in die tiefsten Tiefen. „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Sehen Sie den Mann mit der Dornenkrone, wie er dürstend um meine Seele ringt, damit sie ihm zu seinem Lohn nicht fehle. Seine Leidenschaft gilt dem Retten der Menschen, damit sie Frieden mit Gott bekommen.
Oh, dass du erkennst – ich kann nur Jesu Worte nachstammeln –, dass du erkennst, Schwäbisch Hall, was zu deinem Frieden führt.
Ich habe oft darüber nachgedacht: Was hat Jesus, der Sohn Gottes, gedacht? Wenn mir jemand sagt, Jesus sei ein Mensch wie wir gewesen, antworte ich, sie meinen einen anderen. Hier liegt ein Missverständnis vor. Ich rede vom Sohn Gottes, der aus der Dimension Gottes zu uns kam.
Was hat dieser Sohn Gottes in den letzten drei Minuten vor seinem Tod gedacht? Was hat er da empfunden? Wenn ich mir das klar mache, wird mir schwindelig, weil es die Vernunft nicht mehr fassen kann.
In den letzten drei Minuten hat Jesus an euch gedacht – ob ihr euch wohl retten lassen. Er hat auch an mich gedacht, als er rief: „Es ist vollbracht.“
Die Identität des Christen im Blick auf Jesus
Ich saß vor einiger Zeit im großen Büro eines Industriemanagers. Dann sagte er: „Ach, Pastor Busch, wissen Sie, heute weiß doch kein Mensch mehr, was Christentum ist. Wissen Sie, das ist so ein Konglomerat. Wissen Sie, was Christentum ist?“
„Ja“, sagte ich, „ich weiß es. Können Sie mir das deutlich in einem Satz sagen?“
„Ja“, antwortete ich.
Nun, in dem Hochhaus mit Glaswänden ringsum und dem Blick über rauchende Schornsteine und riesige Fabrikanlagen, sagte ich: „Halten Sie sich fest, ich will Ihnen sagen, wer ein Christ ist. Ein Christ ist ein Mensch, der sagen kann: ‚Ich glaube, dass Jesus Christus mein Herr ist, der mich verlorenen und verdammten Menschen erlöst hat.‘
Herr Generalrektor, er hat uns erlöst, erworben und gewonnen von allen Sünden, vom Tod und von der Gewalt des Teufels. Er hat den Teufel auch schon besiegt, nicht mit Gold oder Silber, sondern mit seinem heiligen, teuren Blut und seinem unschuldigen Leiden und Sterben.
Auch ich gehöre ihm. Sehen Sie, dahin geht Jesu Leidenschaft: dass Sie das sagen können, nicht mehr wie ein Konfirmant herunterrasseln, sondern als Bekenntnis Ihres Lebens.“
Die Leidenschaft Jesu für die Ehre Gottes
Zweiter Teil von Jesu Leidenschaft! Jesu Leidenschaft zielt zweitens auf die Ehre Gottes, auf die Ehre Gottes!
Hier war Gott im Tempel in Jerusalem. Doch der Tempel war zu einem netten Religions- und Geschäftsbetrieb geworden. Oft fragt man sich, ob nicht die Tempel unserer Tage ebenfalls so sind.
Man wünscht sich, dass in der Kirche alles so reibungslos funktionieren würde wie in den Kirchensteuerämtern. Aber was machen wir aus Gott? Er erscheint auf Koppelschlössern, über Haustüren, als Fluch oder als Ausruf im Café: „Ach Gott, ich habe meinen Regenschirm vergessen!“ Was machen wir aus Gott?
Die Geschichte erzählt, wie Jesus leidenschaftlich den Tempel ausräumt. Er wirft die Leute raus! Wenn wir an ihrer Stelle gewesen wären, wären wir wohl aus der Kirche ausgetreten, oder? Wir wären nicht mehr hingegangen.
Täuschen Sie sich nicht: Gott kann auch hinausweisen! An jenem Tag, so sagt die Bibel, wird er sagen: „Geht hin, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer.“ Jesus kann auch hinauswerfen! Täuschen Sie sich nicht!
Nun wirft er hier im Tempel Menschen hinaus, weil es ihm um die Ehre Gottes geht. Jesus weiß, welch große Realität Gott ist. Wissen Sie das auch? Jesus weiß, dass Gott die größte Wirklichkeit ist und dass sich diese kleine Menschenwelt um ihn drehen muss – und nicht umgekehrt.
Das war eine große Entdeckung der Menschen. Früher glaubte man, die Sonne drehe sich um die Erde. Eines Tages entdeckt man, dass wir uns um die Sonne drehen. Wer das nicht akzeptiert, gilt als ein bisschen dumm, oder?
Warum übertragen wir das nicht auf unser ganzes Leben? Warum verlangen wir im Geistlichen und im Irdischen, dass sich die Welt um uns dreht? Die Menschen sollen sich um uns drehen, oder? Da ist die liebe alte Oma, die meint, alles müsse sich um sie drehen. Und dieser Prima Donna, alles müsse sich um sie drehen. Und der junge Mann, der mit dem Moped durch die Gegend fährt, dem sind zehntausend Menschen egal – für ihn dreht sich alles um ihn.
Nein! Jeder ist eine kleine Sonne, um die sich etwas drehen muss. Meine Freunde, wollen wir nicht endlich kapieren, dass die moderne Wissenschaft weiß, dass sich die Erde um die Sonne dreht – und dass sich der Mensch um Gott drehen muss und nicht um sich selbst?
Gott muss im Mittelpunkt stehen!
Vater, Herr Jesus, wir wollen leidenschaftlich von dir sagen, dass wir dich so ernst nehmen, dass du im Mittelpunkt stehst.
Die Einladung zur Hingabe an Gottes Leidenschaft
Ach, liebe Freunde, wir drehen uns nicht um Gott. Wir sind gewissermaßen Meteoriten, die ziellos und ohne Plan durch den Weltraum irren. Jesus ist gekommen, um uns aus diesem wilden Zustand herauszuführen und uns auf eine Bahn zu bringen, auf der sich unser Leben endlich um den lebendigen Gott dreht.
Lassen Sie ihn im Mittelpunkt Ihres Lebens stehen. Fragen Sie sich: Was will er? Was sind seine Gebote? Und dann entdecken Sie seine Liebe, die in Jesus sichtbar wird. Oh, dieser Heiland will uns immer näher in seine Bahn um Gott hereinziehen.
Ich muss hier kurz innehalten, denn ich möchte noch ein drittes Anliegen ansprechen. Wir sprachen bereits von der Leidenschaft Jesu, Menschen zu erretten, und zweitens von seiner Leidenschaft, die Ehre Gottes herzustellen. Nun soll ein drittes Thema folgen, das uns hier erzählt wird.
Es ist nicht dazu gedacht, dass wir wieder draußen bei den Festspielen auf dem Stuhl sitzen, das aufgeregte Spiel ansehen und dann nach Hause gehen und sagen: „Tja, doch komisch mit diesem Jesus.“ Die Leidenschaft Jesu, die auf Errettung und auf die Ehre Gottes ausgerichtet ist, wird uns hier berichtet, damit sie uns packt und entzündet.
Sehen Sie, hier packt mich eine Angst. Geht es Ihnen auch so? Spüren Sie, dass die Leidenschaft Jesu Sie retten will? Regt sich etwas in Ihnen, wenn Sie daran denken, dass Jesus die Ehre Gottes in Ihrem Leben herstellen will? Erwacht da etwas in Ihnen?
Jesus ist wie ein Feuer Gottes, ein herrliches, glänzendes Feuer, das uns entzünden will. Er möchte uns engagieren und in seine Leidenschaft hineinziehen.
Meine Freunde, ich muss gestehen: Seit ich ihm gehöre, habe ich eine Leidenschaft, errettet zu werden und Kind Gottes zu sein. Und ich ringe darum, dass Gott geehrt wird. Diese Leidenschaft wird uns nicht einfach serviert, wie Leuten in der Loge eines Theaters. Nein, die Leidenschaft Jesu will uns anstecken, mitreißen, entzünden und herausfordern.
Die Flamme der göttlichen Leidenschaft in Liedern
Wenn ich in meinem Gesangbuch blättere oder in unserem Liederbuch – wir Essener haben ein eigenes Liederbuch für die Jugendarbeit – dann finde ich in diesen Liedern immer Menschen, die so sprechen, als hätten sie die göttliche Leidenschaft Jesu gesehen und seien von dieser Flamme mitentzündet worden.
Lassen Sie mich zum Schluss einen Vers zitieren, in dem wir dieses Mit-Hineingenommensein spüren: Wem anders soll ich mich ergeben?
O König, der am Kreuz verblich,
hier opfricht dir mein Gut und Leben,
mein ganzes Herz ergießt sich dir,
dir schwör ich zu der Kreuzeswahn,
als Streiter und als Untertan.
