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Haus

1. Petrus 2,4-10
Die Gemeinde Jesu, die Kirche, ist ein Haus. Petrus beantwortet die Fragen: Worauf ist es gebaut? Woraus ist es gebaut? Wofür ist es gebaut? - Predigt aus der Stiftskirche Stuttgart

Die heilige christliche Kirche, was soll das? Die Gemeinschaft der Heiligen, was bringt das? Die Gemeinde Jesu, was ist das, liebe Freunde?

Die einen sagen: Das ist ein Baum, ein alter Baum. Seine Wurzeln reichen tief in die Geschichte hinein. Aus dem 2000 Jahre alten Stamm sind viele Äste und Zweige hervorgegangen. In seinem Grün haben sich Vögel aller Art eingenistet, die nach verschiedenen Kirchentonarten jubilieren. Manchmal treibt er tolle Blüten, aber mit seinen Früchten ist’s nicht so weit her. Ob ihm auch das allgemeine Baumsterben zu schaffen macht? Noch aber lässt sich in seinem Schatten gut leben und genüsslich ruhen, Kirche ist ein Baum, sagen die einen.

Und die andern sagen: Das ist eine Wiese, eine bunte Wiese. Blumen und Unkraut gedeihen nebeneinander. Lasst beides wachsen, hat schon Jesus gemahnt. Hirten hüten ihre Herd­en drauf und passen besonders auf die schwarzen Schafe auf. Manchmal bekommen sich große oder kleine Tiere in die Wolle und kämpfe futterneidisch heftig gegeneinander. Gewiss passt das nicht zu ihr­er Lammesart, aber leider kommt auch der Wolf zuweilen im Schafs­pelz. Nur gut, dass ein Ende abzusehen ist, denn die alttestamentliche Verheißung gilt: "Dann werden die Wölfe bei den Lämmern wohnen und die Panther bei den Böcken lagern, Kühe und Bären werden zusammen weiden". Kirche ist eine Wiese, sagen die andern.

Und die Dritten sagen: Das ist ein Platz, ein weiter Platz. So wie der städtische Marktplatz offen ist für alle, für Eilige und Bummler, für Einkäufer und Spaziergänger, für Demonstranten und Feuer­schlucker, so ist dieser kirchliche Sammelplatz offen für jeder­mann, für Kirchgänger und Naturanbeter, für Engagierte und Rand­siedler, für Begeisterte und Mitläufer. Ob einer nur durchläuft oder verweilt oder gar die umgestülpte Mütze vor sich hinhält, ist sein Problem, denn der blaue Himmel wölbt sich über Gerechte und Ungerechte. Wer wagte schon, aus diesem Treffplatz für viele einen Parkplatz für wenige zu machen? Kirche ist ein Platz, sagen die Dritten.

Aber der Apostel sagt etwas anderes, etwas ganz anderes: Kirche ist kein Baum und keine Wiese und kein Platz, sondern ein Haus. Damit wir aber nicht gleich an ein Wohnhaus oder Geschäfts­haus oder Hochhaus oder Hinterhaus denken, fügt er hinzu, dass es ein geistliches Haus sei, also ein Haus von besonderer Art. Architekten haben es nicht konzipiert. Bauleute haben es nicht hochgezogen. Handwerker haben es nicht ausgebaut. Gott selber hat sich die Hände schmutzig gemacht und einen Bau erstellt, der sich mit keinem andern Bauwerk dieser Erde messen lässt. Kirche ist ein Haus, sagt der Apostel.

Und wenn an diesem ersten Ferienwochenende viele aufgebrochen sind, um vielleicht den Petersdom in Rom oder Notre-Dame in Paris oder die Westminster-Abbey in London zu besichtigen, so sind wir traurig Zurückgebliebenen ein­geladen, dieses Haus Gottes zu bestaunen. Petrus betätigt sich als fachkundiger Führer, bittet freundlichst herein und beantwortet hauptsächlich drei Fragenkreise: Worauf ist es gebaut? Woraus ist es gebaut? Wofür ist es gebaut? Nehmen wir uns die Ruhe und Zeit, ihm zu folgen.

1. Worauf ist es gebaut?

Das ist die Frage nach dem Fundament des Hauses Gottes.

Denken Sie einmal an den Tempel von Jerusalem, erklärt der Apostel: Den hätte man auch auf einer Sandbank oder auf einer Geröllhalde erstellen können, nur wäre er dann keine 20 Jahre alt geworden. Die Leute suchten deshalb nach einem fest­en Untergrund und stießen dabei auf einen gewaltigen Brocken. "Der taugt bestimmt nicht!", urteilten die Fachleute und ließen ihn mit dem Bauschutt abfahren. An der Südostecke wurde der sperrige Koloss kurzerhand abgekippt. Aber genau dort blieb das über 100- Tonnen-Ding nicht nutzlos liegen, sondern wurde überraschender­weise zum Grund- und Eckstein des mächtigen Baus. Heute noch ist er in der 28. Steinlage zu erkennen. Er bildet den Grund. Er setzt die Maße. Er ist sozusagen strukturbestimmend. Der Tempel Gottes ruht auf einem Stein.

Und das ist beim Hause Gottes nicht anders. Sicher hätte man es auch auf Sandbänken kluger Gedanken oder auf Geröllhalden frommer Ideen erstellen können, nur wäre es dann längst vom Erdboden verschwunden. Die ersten Christen suchten nach einem festen Untergrund und stießen dabei auf den, der gewaltig predigte und nicht wie die Schriftgelehrten. "Der taugt bestimmt nicht!", urteilten die religiösen Fachleute und ließen ihn mit zwei andern Verbrechern kalt abfahren. Auf der Müll­kippe Jerusalems, auf Golgatha, wurde er um die Ecke gebracht. Aber genau dort blieb dieser Jesus Christus nicht hängen. Gott machte ihn zum Grund- und Eckstein seiner Gemeinde. Heute noch ist er in jeder Lage zu erkennen. Er bildet den Grund mit seinem Namen, auch wenn immer wieder andere Gründe genannt worden sind. Der Reeder Marcion zum Beispiel baute auf sein selbst zurechtge­stutztes Jesusbild, der Schwärmer Müntzer baute auf das sogenannte innere Licht, der Vordenker Rosenberg baute auf den völkischen Heiland, aber alle haben sich verbaut. "Einen andern Grund kann niemand legen, außer dem, der gelegt ist." Jesus bildet den Grund.

Und er setzt die Maße mit seinem Kreuz, auch wenn immer wieder andere Maße gesetzt worden sind. Im Mittelalter zum Beispiel war es das Maß der Macht, im 19. Jahrhundert war es das Maß der Ver­nunft, heute ist es vielleicht das Maß des Friedens. Passen wir auf, dass wir uns nicht vermessen, wenn wir nicht beim Maß des Kreuzes bleiben, nämlich bei der unermesslichen Barmherzigkeit Gottes im Tod des Sohnes. Jesus setzt das Maß.

Und er ist struk­turbestimmend, auch wenn immer wieder andere Strukturen bestimmen wollten: die Vereinsstruktur oder die Gesellschaftssatzung oder das Initiativstatut. Aber Gemeinde Jesu ist kein frommer Verein, auch keine geschlossene Gesellschaft, erst recht keine Bürger­initiative zur Erhaltung religiöser Fassaden. Allein seine Person, sein Wort und seine Gaben strukturieren dieses Haus. Jesus ist strukturbestimmend. Er trägt alles, er hält alles, er bestimmt alles.

Jesus ist das Fundament. Darauf ist gebaut.

2. Woraus ist gebaut?

Das ist die Frage nach dem Material des Hauses Gottes.

Denken Sie wieder an den Tempel von Jerusalem, fährt der Apostel fort. Der ist aus vielen Steinen zusammengesetzt. Man muss sich das einmal näher anschauen. Irgendwo lagen die Steine in der Gegend herum, ohne Wert, ohne Funktion, wahr­scheinlich sogar ein Hindernis. Ein Stein für sich allein ist nahezu nichts. Und dann kam einer, hat diese Nichtse eingeladen, sie liebevoll behauen und gerichtet, sie verständnisvoll einge­fügt und eingepasst, ja, sie als Bausteine wertvoll gemacht. Jeder hat seine Funktion. Der dort gehört zur Umfassungsmauer und schützt den Raum; wenn er fehlen würde, hätte die Wand ein Loch. Und der dort gehört zu den Stufen und bildet die Treppe; wenn der fehlen würde, könnte niemand auf die Empore steigen. Und der dort gehört zum Pfeiler und trägt die Dachlast; wenn der fehlen würde, bräche das ganze Gewölbe herunter. Jeder noch so kleine Stein hat seine wichtige Bedeutung. Im Verbund mit andern wird er von andern getragen und trägt andere.

Der Tempel Gottes besteht aus vielen Steinen - und das ist beim Hause Gottes nicht anders. Das ist aus vielen lebendigen Steinen, lebendigen Menschen zu­sammengesetzt. Man muss sich das einmal wieder vergegenwärtigen. Irgendwo hängen sie in der Gegend herum, ohne Wert, ohne Funktion, oft genug als Hindernis für andere. Der Mensch allein ist nahezu nichts. Und dann kommt einer, der diesen Nichts einlädt, ihn liebevoll von Sünde reinigt und befreit, ihn verständnisvoll in seinen Bau einfügt und einpasst, ja, ihn als lebendigen Stein wert­voll macht. Jeder hat bei ihm seine Funktion. Der gehört zum Jugendkreis und spielt die Gitarre; wenn der fehlen würde, gäbe es nur einen miesen Gesang. Und der gehört zum Gemeindedienst und trägt die Blätter aus; wenn der fehlen würde, bräche der Kontakt in die Häuser ab. Und der gehört zur Nachbarschaftshilfe und bettet die Alten; wenn der fehlen würde, wäre die Einsamkeit in der Stadt noch größer. Jeder noch so kleine Mensch hat seine große Bedeutung.

Vielleicht fühlen Sie sich gegenwärtig unter Wert verkauft. Vielleicht bedrückt Sie Ihre bescheidene Rolle im Geschäft. Vielleicht bedrängt Sie Ihr nutzloses Dasein im Altenheim. Vielleicht leiden Sie daran, dass man auf einem ge­sättigten Arbeitsmarkt schon mit 19 oder 25 Jahren total übrig ist. Hören Sie, bei Gott sind Sie nie übrig. Bei Gott sind Sie nie nutzlos. Bei Gott sind Sie nie unter Wert verkauft. Er will Sie in seine Gemeinde einfügen. Ohne Sie hat sein Haus ein Loch. Und dort werden Sie merken, dass Sie von andern getragen werden und Sie die Kraft bekommen, andere zu tragen und zu ertragen.

Lebendige Steine sind das Material. Daraus ist gebaut.

3. Wofür ist gebaut?

Das ist die Frage nach dem Zweck des Hauses Gottes.

Denken Sie noch einmal an den Tempel von Jerusalem, fügt der Apostel an. Sicher gingen schon Leute hin, um ein Geschäft zu machen. Schnell waren Tische und Bänke aufgestellt und ein fröhliches Feilschen kam in Gange. Jesus aber marschierte mit der Geißel durch den Rummel und kippte die Läden um. Als Markt­halle wurde der Tempel nicht gebaut. Sicher gingen auch schon Leute hin, um ein Kunstwerk zu besichtigen. Heilige Traditionsstücke hatten dort ihren Standplatz. Aber die Bundeslade und die Gesetzestafeln sind keine Ausstellungstücke. Als Museum wurde der Tempel nicht gebaut.

Der Tempel Gottes ist das Diensthaus - und das ist beim Hause Gottes nicht anders. Sicher könnte man dort auch seine Geschäfte machen wollen oder einiges Sehenswerte aus der Geschichte studieren, aber dazu ist die Gemeinde Jesu nicht da. Sie ist dienstlich beauftragt, die Wohltaten Gottes zu ver­kündigen. Sie ist in Dienst genommen, die Guttaten Gottes weiterzusagen. Sie ist geradezu dienstverpflichtet, die Großtaten Got­tes laut werden zu lassen. Jeder muss es hören, der beruflich oder privat nicht gerade zu den Auserwählten gehört: Du gehörst zum auserwählten Geschlecht Gottes. Jeder muss es hören, der wahrlich nicht zur Hautevolée zählt: Du zählst zum königlichen Priestertum. Jeder soll es hören, der sich zu den Verlorenen und Verlassenen rechnet: Du wirst zum Volk seines Eigentums gerechnet. Diese Verse sind die Magna Charta dafür, dass Gott keinen abschreiben will.

Ob es der hilflose Säugling auf dem Arm der Mutter ist, der nachher zur Taufe getragen wird und auf dem noch ein Hauch der Ewigkeit liegt, oder ob es der gebeugte Greis ist am Arm der Pflegerin, der noch ein Hofrunde macht und der schon vom Tode gezeichnet, alle sind von Gott um Jesu willen geschätzt, ge­liebt, geadelt. So wie weltliche Botschafter ein V.I.P. auf ihr­em Ausweis tragen und damit unter dem besonderen Schutz ihres Staates stehen, so tragen seine Leute dieses "very important person", eine sehr wichtige Person, auf ihren Papieren und stehen unter dem besonderen Schutz dieses Herrn. Und wenn uns Zweifel und Skrupel und Fragen zu schaffen machen, ob denn das wahr sei, dann haben wir es hier schwarz auf weiß: Ihr seid's, doch, Ihr seid's.

Dies unermüdlich weiterzusagen ist der Zweck der Gemeinde Jesu.

Damit beschließt Petrus seine Führung durch Gottes Haus. Aber im Gegensatz zu allen Fremdenführern, die am Schluss ihre Gäste verabschieden und ihnen eine gute Reise wünschen, lädt er seine Hörer herzlichst ein: Wollen Sie nicht auch in diesem Haus bleiben?

Amen.