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Der Heilige hat eine Herde. Er ist allein der gute Hirt. Aber Helfer kann er gebrauchen, die unter ihm und für ihn an die Arbeit gehen. Machen wir uns das wieder klar, und handeln danach. - Predigt zum Sonntag des guten Hirten aus der Stiftskirche Stuttgart.


Machen wir uns am Sonntag Misericordias Domini, am Sonntag des guten Hirten, wieder folgendes klar, liebe Gemeinde:

Der Heilige hat eine Herde. Gott hat keinen Zweckverband gewollt, der all diejenigen verbindet, die für einen guten Zweck ihr Geld und ihre Zeit opfern. Gott hat keine Interessengemeinschaft gegründet, die all diejenigen zusammenschließt, die am Sonntagmorgen das gleiche In­teresse haben. Gott hat keinen Heimatverein ins Leben gerufen, der all diejenigen umfasst, die zur Erhaltung religiösen Brauchtums ihren Obolus geben. Gott hat eine Herde gesammelt, und zwar aus allen Stämmen, Völkern und Nationen. Die schwarzen Schafe hat er nicht ausgemerzt. Die sturen Böcke hat er nicht ausgemustert. Die braven Lämmer hat er nicht bevorzugt. Buntscheckig, artverschieden, lust­ig gemischt ist Gottes Gemeinde, die er liebt. Der Heilige hat eine Herde. Machen wir uns das wieder klar. Und die Herde hat einen Hirten. Gott hat keine Hammelherde gewollt, die irgendeinem Leithammel auf den Fersen bleibt. Gott hat keine Schafsköpfe gesammelt, die nur einem Dickkopf folgen. Gott hat kein Rudel in die Welt gesetzt, das wild und herrenlos durch die Gegend jagt. Jesus Christ­us wurde über dem Hirtenfeld von Bethlehem ausgerufen. Er sah die Leute zerstreut und verschmachtet wie Schafe, die keinen Hirten haben. Unter unsäglichen Mühen hat er sie zusammengesucht und unter Einsatz seines ganzen Lebens hat er sie zusammengehalten. Nun hat zwar nicht jedes kleine und große Tier einen Privathirten, aber alle miteinander haben sie einen Erzhirten, der von sich sagen konnte: “Ich bin der gute Hirte. Meine Schafe hören meine Stimme und ich kenne sie und sie folgen mir und niemand wird sie aus meiner Hand reißen.” Die Herde hat einen Hirten. Machen wir uns das wieder klar.

Und der Hirte hat einen Helfer. Gott hat keinen Teilhaber gewollt, der mit gleichen Teilen am Geschäft beteiligt ist. Gott hat keinen Aktionär gewünscht, der nur an den Dividenden interessiert ist. Gott hat keinen Kompagnon gerufen, der seine Vorstellungen und Ideen mit einbringt. Er ist allein der gute Hirt, der kein Kitzlein aus seiner Aufsicht entlässt. Aber Helfer kann er gebrauchen, Stifte, Handlanger, Gehilfen, die unter ihm und für ihn an die Arbeit gehen. Pfarrer gehören dazu, die sich gerne als Pastoren, zu deutsch: Hirten titulieren lassen und oft von ihren Schäflein reden. Aber ihnen ist kein Krummstab übertragen, der sie als Oberhirten ausweist. Niemand darf sich als Leithammel aufspiel­en, dem kritiklos zu folgen wäre. Pfarrer sind Helfer. Und Kirchen­gemeinderäte gehören dazu, die Woche für Woche sich dazu wählen ließen, die Herdenprobleme mit zu bedenken. Vor all ihren Entscheidungen, Beschlüssen und Maßnahmen müssen sie den Eigentümer fragen und nachher ihm Rechenschaft ablegen. Kirchengemeinderäte sind Helfer. Und Jugendkreisleiter gehören dazu, die Woche für Woche in der Kinder- oder Jugendstunde ihren Lämmerstall oder besser: ihren Sack Flöhe hüten. Aber es ist nicht ihr Völklein, das sie recht und schlecht in Schranken halten, sondern immer sein Volk. Jugendkreisleiter sind Helfer. Und Väter gehören dazu, die eine Familie gründen, Mütter gehören dazu, die nach den Kindern schauen, Onkels und Tanten gehören dazu, die ein Patenamt übernommen haben, alle gehören dazu, die irgendwo ein Stücklein Verantwortung für andere tragen. Nein, wir sein keine Schafe, die man für dumm ver­kaufen könnte. Wir sind kein Herdenvieh, das blind vor sich hin­ grast. Wir alle sind Helfer des guten Hirten, dem Gottes Herde gehört. Der Hirte hat einen Helfer. Machen wir uns das wieder klar, und handeln danach.

Damit dies besser gelingt, wird uns der Helfer­dienst beschrieben, die Helferart vorgestellt und der Helferlohn angekündigt.

1. Der Helferdienst kann sich nicht darin erschöpfen, dass der Helfer morgens den Stall aufreißt und die Tiere in die Freiheit entlässt. Aus lauter Furcht vor autoritären Strukturen macht er gar nichts und lässt jedem Vierbeiner seinen freien Lauf. Jeder soll nach seiner Façon satt werden, der eine im Vorgarten, der andere im Getreidefeld und der dritte im Blumenbeet. “Freiheit, die ich meine, die mein Herz erfüllt.” Aber das darf doch nicht wahr sein! Und der Helferdienst kann sich auch nicht darin erschöpfen, dass der Helfer mittags Siesta hält und gar nicht merkt, wie manche Tiere schwach sind und seine Fürsorge bräuchten. Aus lauter Bequemlich­keit pflegt er schon, aber nur seine Ruhe. Die Heilkräuter aus Gottes Naturapotheke werden dem Tierlein schon wieder auf die Beine helfen. “3 Tage Regen, 3 Tage Schnee, morgen tut es nimmer weh.” Aber das kann doch nicht wahr sein! Und der Helferdienst kann sich erst recht nicht darin erschöpfen, dass der Helfer abends die Herde abzählt und dem Hirten den Verlust von einem Tier mitteilt. Aus lauter Großzügigkeit macht er sich keine Gedanken und hakt den Schönheitsfehler ab. Was ist schon 0,3 oder 0,2 % Verlust bei einer 3- oder 5%-igen Inflationsrate? Wer ausschert, soll sich scheren! Mich schert das nicht. Aber mit solchem Helferdienst ist doch dem Hirten ein Bärendienst erwiesen. Helfer entlassen nicht in die Freiheit, sondern führen auf die Weide. Wie sollen sie freien Lauf lassen, wenn sie wissen, dass man sich dabei verläuft oder totläuft? Keiner kann nach seiner Façon selig werden, der eine im Islam, der andere in der Esoterik, der dritte in der Anthroposophie. “Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, als allein der Name Jesus.” Deshalb müssen Kinder und Schüler, Studenten und Auszubildende, Erwachsene und Senioren immer wieder zu den Weideplätzen des Wortes Gottes wie Gottesdienst und Bibelkreise und Freizeiten hingewiesen und hingeführt werden, weil nur dort das Brot und das Wasser des Lebens zu haben ist. Weiden heißt führen. Und Helfer pflegen nicht ihre Ruhe, sondern ihre Schafe. Viele sind krank und können das Haus nicht mehr verlassen. Viele sind alt und können die Treppen nicht mehr bewältig­en. Viele sind angeschlagen und haben den Anschluss verpasst. Mit dem Wissen um eine Apotheke an der Ecke und einer Sozialstation im Gemeindehaus können wir uns nicht beruhigen. Ein Besuch ist oft mehr wert als ein Medikament und der Einsatz der Schwester muss un­sere Handreichung herausfordern. Oft würde schon ein Anruf oder ein Kärtchen wie ein Lichtstrahl hinter den heruntergelassenen Jalousien wirken. Weiden heißt pflegen. Und Helfer hauen nicht einfach ab, sondern suchen das Verlorene. Bei diesem Hirten, und so hat es Kierkegaard gesagt, denkt man nie kollektiv, sondern immer singulär. Jeder Einzelne ist für ihn ein unersetzlicher Wert. Und wenn sein Nutzwert gleich null ist, weil er niemand mehr nützt, wenn sein Marktwert nicht mehr gefragt ist, weil er nichts mehr bringt, wenn sein Schätzwert nur noch Zahlen hinterm Komma sind, weil er nur schlechte Zeugnisse vorlegen kann, so ist doch sein Liebhaberwert bei Gott unermesslich. Es gibt keinen, der keinen Wert mehr hätte, weil Gott ihn liebt und das ist der Mehrwert des Menschen. Er kennt nur wertvolle Leute, deshalb schlägt bei ihm jeder Ver­lust zu Buche und deshalb muss jeder gesucht werden. Weiden heißt suchen und pflegen und führen. Das ist der Helferdienst, den Jesus will. Dann das andere.

2. Die Helferart kann sich nicht darin ausdrücken, dass der Helfer schon morgens missmutig zur Arbeit schleicht. Wie ein Mühlrad klappert es in seinem Kopf: “Helfer heiß’ ich, Handlanger bin ich. Weiden soll ich, aber lernen will ich. In mir stecken doch ganz andere Möglichkeiten. Auf der Weide kann ich mich nicht selbst verwirklichen. Lernen will ich, studieren, einen Posten bekommen, Meister, Doktor, Chef klingt schon anders als Hirtenhelfer. Bin ich nicht unter Wert verkauft?” Aber solche Art darf doch nicht wahr sein! Die Helferart kann sich auch nicht darin ausdrücken, dass der Helfer den Mittag lang unwillig die Stunden zählt. Wie eine Drehorgel geht es ihm durch den Sinn: “Was krieg’ ich denn dafür? Für einen Appel und ein Ei steh ich bei Wind und Wetter immer draußen. Von Schlechtwettergeld hat noch niemand gesprochen, geschweige denn von Stundenlohn, oder Angestelltentarif oder gar BAT. Die Fünftagewoche und der Achtstundentag ist ein frommer Wunsch. Und Sonntagsarbeit ist bei mir schon lange eingeführt. Bin ich nicht schlicht ausgenützt?” Aber solche Art kann doch nicht wahr sein! Und die Helferart kann sich erst recht nicht darin ausdrücken, dass der Helfer abends resigniert die Schippe aus der Hand legt. Wie die Schwermut kommt es ihn an: “Wenn ich wenigstens Kleinhirte wäre, Eigner von zwei Dutzend Schafen, wenn ich wenigstens Teilhaber wäre, der einmal zu eigenem Sach’ kommt, wenn ich wenigstens Oberhelfer oder Haupthelfer wäre, aber nur Hirtenhelfer? Bin ich nicht am falschen Platz?” Aber solche missmutige, unwillige und resignierende Helferart ist nicht Jesu Art, die wir nachahmen sollen. Er war sich nicht zu gut, seinen hohen Posten beim Vater aufzugeben und dafür die kleine Rolle des Hirten zu übernehmen. Er war sich nicht zu schade, andern die Richtung zu weisen und Tag und Nacht für sie da zu sein. Er war sich nicht zu fein, verlorene, gefallene, verschmutzte Geschöpfe aus dem Dreck zu heben und sie heimzutragen. Freundlich und geduldig sagt er: “Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe.” Bei diesem Hirten sind wir nicht unter Wert verkauft. Es gibt keinen wertvolleren Dienst, als andere vor dem Hungern und Verdursten zu bewahren. Bosse, die herrschen wollen, haben wir gerade genug. Helfer, die zum Leben helfen, tun not. Bei diesem Hirten sind wir nicht schlicht ausgenützt. Es keine gibt nützlichere Aufgabe, als anderen vom guten Hirten zu erzählen. Alle brauchen die Nachricht, dass dieser eine und kein anderer regieren will und regieren wird. Bei diesem Herrn sind wir nicht am falschen Platz. Es gibt keine wichtigere Aufgabe, als andere auf seine Weiden zu führen, denn nur dort wird uns nichts mangeln, selbst dann, wenn es durchs finstere Tal geht. Helfer sind doch nicht an die kurze Leine gelegt, sondern von seiner starken Hand geführt. Damit sind sie die freiesten Menschen auf Gottes Erdboden. Weil sie unter dem persönlichen Schutz des Hirten stehen, deshalb haben sie nichts und niemand zu fürchten und deshalb tun sie ihren Dienst gerne, freiwillig und fröhlich. Das ist die Hirtenart, die Jesus will.

3. Der Helferlohn ist dabei nicht unter den Teppich gekehrt. Die Frage der Bezahlung wird nicht kommentarlos ausgeklammert. Ein Arbeiter ist seines Lohnes wert, dieses Wort Jesu gilt. Nur kann der Helferlohn nicht darin bestehen, dass der Helfer 18 Mark pro Stunde auf die Hand bekommt. Dieser Herr zahlt nicht in DM, auch nicht in Dollars oder Dänischen Kronen, sondern in “unvergänglichen Kronen der Herrlichkeit”. Das ist die himmlische Währung, die keiner Kursschwankungen unterworfen ist. Wer sie kennenlernen will, der schaue nicht nach den Kronen von Siegern, Königen, Kaisern, sondern nach der Krone des Hirten. Sie ist nicht aus Gold gearbeitet. Sie ist nicht aus Platin getrieben. Sie ist nicht mit Edelsteinen besetzt. Aus Dornen ist sie gearbeitet. Aus Dornen ist sie geflochten. Mit Dornen ist sie besetzt. Die Krone des Erzhirten ist eine Dornenkrone. Eine andere können wir auch nicht erwarten. Das Material, mit dem er uns krönen will, ist dornig. Aber unter seinen Händen wandelt es sich zum unvergleichlichen Schmuck. So kommt es, dass unsere Niederlagen, die wir erleben, nicht dornige Erfahrungen bleiben, sondern goldenes Material der Krone werden. So kommt es, dass unsere Enttäuschungen, die wir erleben, nicht dornige Erlebnisse bleiben, sondern goldenes Material der Krone werden. So kommt es, dass unsere Rückschläge, die wir erleben, nicht dornige Widerfahrnisse bleiben, sondern goldenes Material der Krone werden. Nichts ist so dornig, als dass es nicht zum goldenen Material werden könnte. Die Wandlung der Dornen in die Krone ist der Helferlohn des Hirten­helfers. Am Tag seiner Erscheinung wird es auch dem Letzten dämmern: “Er gibt mehr Lohn, als man erwarten kann, kein kühler Trunk ist unvergolten blieben. Er gibt dafür die ganze Segensflut. Der Herr ist gut.” Bis dahin lasst uns an die Arbeit gehen unter der Misericordias Domini, das ist die Barmherzigkeit des Herrn.

Amen

[Predigtmanuskript; nicht wortidentisch mit der Aufnahme]