Die Erfahrung von Bedrängnis und Gottes Rettung
2. Korinther 1,8
Wir wollen euch, liebe Brüder, nicht verschweigen, welche Bedrängnis uns in der Provinz Asien widerfahren ist. Wir waren überaus beschwert und über unsere Kraft hinaus belastet, sodass wir sogar das Leben verloren glaubten. Für uns selbst hielten wir es für beschlossen, sterben zu müssen.
Das geschah jedoch, damit wir unser Vertrauen nicht auf uns selbst setzen, sondern auf Gott, der die Toten auferweckt. Er hat uns aus solcher Todesnot errettet und wird uns auch weiterhin erretten. Auf ihn setzen wir unsere Hoffnung.
Dazu helft auch ihr durch eure Fürbitte für uns, damit wegen uns für die Gabe, die uns gegeben ist, durch viele Personen viel Dank dargebracht werde.
Reflexionen über Wohlstand und Glück
Wenn ich abends vor dem schönen Buffet in diesem Haus stehe, werde ich immer an meine Jugend erinnert. Sieben, acht, zehn Jahre lang lag nichts auf dem Tisch. Das vergisst man nie, besonders wenn der Tisch heute so reich gedeckt ist.
Einer meiner Konfirmanden sagte einmal zu mir: „Ihr habt es gut gehabt, ihr durftet hungern.“ Ich habe viel erzählt, wie mir in dieser Zeit kleine Lichtblicke geholfen haben. Er meinte, das müsse das Schönste vom Schönen sein. So habe ich verstanden, wie mir im Leben in dieser Hungerzeit vieles klar wurde.
Wenn man heute durch unser Land fährt, kann man es kaum fassen, dass wir so etwas nach der totalen Katastrophe noch einmal erleben dürfen. Unsere lieben Geschwister, die 14 Jahre in russischer Gefangenschaft waren und bis nach Zentralasien verbannt wurden, erleben heute, wie das letzte Dorf herausgeputzt ist. Dort herrscht ein Wohlstand ohnegleichen: nicht nur ein Auto, sondern zwei Autos an jedem Haus, dazu alles, was dazugehört, Urlaubsplanungen und das ganze Glück dieser Welt.
Es ist sehr interessant, wie reich unsere Zeit ist – reicher als jede andere Zeit vor uns. Ich behaupte, es gibt kein Volk auf der Welt, das solchen Reichtum besitzt wie unser deutsches Volk. Die Amerikaner haben nie eine soziale Absicherung wie wir heute. Hier kann man selbstverständlich alles einfordern. Wer nie Krankenkasse bezahlt hat, bekommt trotzdem alles gratis über andere Sozialfürsorge.
Das ist eine ungeheure Sache, die in keinem anderen Land der Welt vorstellbar ist. Ich habe Ihnen gesagt: 1,4 Milliarden Menschen können sich niemals in ihrem Leben auch nur eine Medizin leisten. Uns geht es wahnsinnig gut – wahnsinnig gut.
Wenn man sich jedoch so umhört, hat man nicht den Eindruck, dass die Leute wirklich glücklich sind. In jedem indischen Slum sind die Menschen glücklicher, in jeder südamerikanischen Favela sind die Leute glücklicher als bei uns. Dennoch sagt die Statistik, dass 94 Prozent der Menschen sich als glücklich bezeichnen und nur sechs Prozent als unglücklich.
Folgt man dieser Statistik weiter, ist es interessant: 40 Prozent sagen, sie seien erschöpft und erschlagen, und 17 Prozent kämpfen mit Sorgen und Ängsten. Was ist das Heilmittel, das die Leute fordern? Sie verlangen: Unser Glück muss garantiert werden, es muss irgendwo festgeschrieben sein – mit Wellness und aller äußeren Versorgung. So sieht es in der Welt aus, wenn wir uns ein wenig umschauen.
Die wahre Quelle des Glücks und die Bedeutung von Krisen
Aber Sie wissen ja, wie es im Leben plötzlich gehen kann: Es sind gar nicht die entscheidenden Dinge für unser Glück. Auch nicht der Urlaubsanspruch, den wir haben, sondern das, was uns im Leben wirklich ausmacht. Das sind plötzlich die Krisen, die aufbrechen.
Ein Freund von mir ist ein großer Baumzüchter und Vorsitzender der Baumzüchter Deutschlands. Ich habe ihn gebeten, den Bauern im Hochland Äthiopiens, in dreitausend Meter Höhe, ein paar praktische Tipps für ihren Obstanbau zu geben. Dort machen sie hervorragende Äpfel.
Er ist zurückgekommen und hatte Tränen in den Augen. Ich fragte ihn, was passiert sei. Er erzählte, es sei ganz furchtbar gewesen. Sie seien mit dem Pickup die Straße entlang gefahren, und da liefen all die Frauen, die ihre schweren Lasten auf dem Kopf trugen. Er fragte sie, wie schwer die Last sei. Sie sagten 48 Kilo.
Dann nahmen sie zwei Mädchen mit, etwa 13 Jahre alt, und fragten, wie schwer ihr Kopf sei. Auch 48 Kilo. Wohin gehe der Weg? 28 Kilometer bis zum nächsten Markt, 300 Meter bergauf.
Als die Mädchen die Last wieder abgeladen hatten, waren sie glücklich. Er fragte, was sie mit dem Geld machen, das sie heute auf dem Markt erlösen würden. Die Mädchen sagten, sie kaufen Bleistifte, damit sie in die Schule gehen können.
Albrecht Schnell sagte, dass er nicht gewusst habe, dass Menschen so schrecklich leiden. Das war für ihn ein Schock. Er sagte, er wolle sein ganzes Leben anders strukturieren.
Bei uns gibt es andere Krisen im Leben, die uns plötzlich zur Besinnung bringen. Manche sagen: „Seitdem mir der liebste Mensch wegstorben ist, sind die Werte bei mir ganz anders gesetzt.“
Eine Frau erzählte: „Als mein Mann noch lebte, habe ich alles für ihn eingerichtet, und alles war klar. Seit dem Tag ist mein Leben sinnlos geworden.“
Dann gibt es die Krankheitskrisen in unserem Leben, die so schwer sind, dass man sie kaum tragen kann.
Die meisten Menschen, mit denen wir zusammenkommen, haben dieses äußere Wohlfühlleben oft nur oberflächlich. In Wirklichkeit sind sie verzweifelt und hoffnungslos in ihrer Krise.
Die Bedeutung von Besuchen und das Teilen von Leid
Und wenn ich heute darüber spreche, meine ich, dass uns das hilft, auch Menschen nahezukommen, sie zu erreichen und anzusprechen. Wie viele haben es mir bei den Besuchen gesagt! Und Besuche sind ja das A und O für uns Christen.
Wenn irgendwo noch die Türen offenstehen, müssen wir diese offenen Türen nutzen. Bei den Besuchen dürfen diese auch nicht zu lang sein. Wir müssen sehr sensibel sein, damit wir den Leuten nicht auf die Nerven fallen. Doch dann öffnen sich Menschen plötzlich und sagen: „Ich kann nicht mehr, die Last ist zu groß, ich weiß nicht mehr ein noch aus.“ Manche gestehen sogar, dass das Leben zur unerträglichen Last geworden ist.
Obwohl dieses Leben so üppig und so reich ist, und man alles hat, was man sich erträumen kann, kann das doch die Seele nicht sättigen. Das sagt heute jeder gottlose Mensch, mit dem wir zusammenkommen. Das Äußere ist doch gar nicht entscheidend. „Ich habe keinen Sinn mehr im Leben“, sagen viele.
Noch einmal: Was es war, das in unserem Leben auch die Scherben hervorgerufen hat, ist gar nicht so entscheidend. Dabei ist es wunderbar, dass Menschen, die durch dieses schwere Leben gehen, uns oft auf beste Weise davon erzählen können.
Zeugnisse von Glauben und Leiden
Ich glaube, am ersten Abend habe ich Ihnen hier erzählt, wie beeindruckend ich es finde, wenn Menschen, denen man äußerlich ansieht, dass sie gelähmt sind, leiden oder große Schmerzen haben, plötzlich erzählen, was ihnen das Leben bedeutet.
Die Großmutter unseres früheren Kultusministers Wilhelm Hahn, der Theologieprofessor in Heidelberg war und lange Zeit württembergischer Kultusminister, lebte im Baltikum. Sie war mit dem berühmten Evangelisten Traugott Hahn verheiratet. Diese Großmutter, Lalla Hahn, war schwerkrank und litt unter Dauerschmerzen. Sie war nie schmerzfrei, und das über viele Jahre hinweg.
Eines Tages besuchte ein Mann aus der Gemeinde diese Lalla Hahn. Er berichtete dem Evangelisten Traugott Hahn: „Ich war bei Ihrer Frau zu Besuch, und das, was sie mir gesagt hat, war mehr wert als hundert Predigten von Ihnen.“
Der Evangelist Traugott Hahn war in ganz Deutschland unterwegs und ein gefragter Redner. Doch was diese Frau unter Schmerzen dem Besucher mitgegeben hatte, in wenigen Sätzen, war mehr als hundert Predigten des gesegneten Evangelisten. Denn es kam aus dem Leiden heraus und immer wieder aus der Tiefe.
Die Kraft des Glaubens in schweren Lebenslagen
Und gerade in diesen Tagen ist es für uns eine große Hilfe, dass wir selbst unsere Position neu bestimmen in dem Ganzen, was wir leben, und uns fragen, wo unser Platz ist.
Für mich war es eine große Bereicherung in meinem Leben, dass ich noch den Naturwissenschaftler Doktor Paul Müller kennenlernen durfte. In der Schule hatten wir das Chemiebuch von Dietrich Müller. Dieser Doktor Paul Müller war Studienrat und hatte seinen Doktor über Paläontologie gemacht, speziell über die Foraminiferen im Schwäbischen Meer – das sind Urtiere, die dort gelebt haben.
Mit 28 Jahren erhielt er vom Arzt die Mitteilung, dass er multiple Sklerose hat. Er war ein junger Mensch voller großer Hoffnung. Manche kannten Paul Müller noch; er wohnte damals so ungünstig, dass man in seinem Haus schon im Garten viele Stufen hochsteigen musste. Als er mit 49 Jahren pensioniert wurde, war er ganz auf die Seite geworfen. Er fragte sich: Was ist mein Leben überhaupt noch wert? Was soll ich denn noch tun?
Paul Müller sprach sehr gern und ganz praktisch über dieses Thema. Ich erinnere mich noch an eine Hofacker-Konferenz in der Stuttgarter Liederhalle. Dort haben wir diesen alten Mann, der schon weit über achtzig war und im Rollstuhl saß, noch einmal auf die Bühne gehoben. In wenigen Sätzen sagte er das, was Karl Fried Hartmann in seinem Lied ausdrückt: Für ihn hatte das Leiden nur Segen und eine ganz große Bedeutung.
Er sagte immer bei den wichtigsten Sätzen: "Eine unheilbare Krankheit kommt nicht aus dem Zufall, sondern aus Gottes Weisheit und Liebe. Allein unserem Gott gehört die Ehre."
Paul Müller hatte schon mit 14 Jahren seinen Vater verloren. Er selbst war als junger Mann im Krieg und hat viele Erschütterungen miterlebt. Dabei hat er sein Leben fest mit Jesus verbunden – das war ihm ganz wichtig. Er war ein großer Forscher der Natur.
Wenn man liest, was Paul Müller schon vor dreißig oder vierzig Jahren zum Umweltschutz gesagt hat, wird deutlich: Christen dürfen nicht achtlos mit der kostbaren Schöpfung umgehen. Er erklärte die Wunder der Schöpfung und sagte immer: Die Frage der Schöpfung ist nicht, ob man über die Schöpfungsberichte und die Tage streiten darf, sondern ob es Zufall oder Plan ist. Das war ihm wichtig.
Er war von dem großen naturwissenschaftlichen Gelehrten Freiherr von Hüne geprägt, der anders dachte als beispielsweise Wilder-Smith heute. Auch unter Evangelikalen gibt es verschiedene Denkweisen. Von Hüne sagte, wir müssen anders herkommen. Ja, die Jahrmillionen müssen wir als Naturwissenschaftler so sehen, aber hinter dieser ganzen Entwicklung steht der Plan Gottes, der das will.
Das Entscheidende ist, dass dieser Sinn mein Leben zusammenhält und mich gerade auch in schweren Dingen führt. Ihm war wichtig, dass wir Gott nicht anklagen. Er sagte immer, wir dürfen murren, und rief besonders die Schwermütigen, Verbitterten, Einsamen und Schwachen dazu auf, das Evangelium ganz praktisch für sich zu hören.
Dann sagte er: Unser Herr kann auch durch geschwächte Menschen etwas Großes und Segensvolles ausführen.
Paul Müller ist im Alter von siebenundachtzig Jahren heimgegangen. Das war nach fast sechzig Jahren schwerster Krankheit, Multiple Sklerose. Diese Krankheit hat ihn nicht eingeengt. In wie vielen Versammlungen und Freizeitstätten hat er gesprochen! Er hat immer davon erzählt, wie gerade das Leiden ihm geholfen hat, sein Leben richtig zu verstehen und zu begreifen.
Die Prägung Stuttgarts durch Glaubenszeugnisse
Viele, die nicht aus Stuttgart kommen – das ist ja schon ein Fehler, wenn man nicht aus Stuttgart kommt – kennen nicht, wie unser Stuttgart geprägt wurde. Es gibt ja noch andere Plätze, die Gott segnet, aber sie wissen nicht, wie sehr unser Stuttgart geprägt ist. Sie beneiden uns um unser Stuttgart und sagen: "Bei euch ist die Welt noch intakt, und da lebt ja noch das Reich Gottes." Haben sie eine Ahnung, wie sehr es von der Auszehrung betroffen wurde?
In der Tat lebten wir in Stuttgart noch lange vom Erbe der Vergangenheit. Wenn man zurückblickt, wie das in Stuttgart war, dass es ein so reiches Erbe gab, kommen natürlich Namen wie der Liederdichter Knapp in den Sinn. Wir erinnern uns auch an Ludwig Hofacker, der nur kurze Zeit in Stuttgart wirken konnte. Aber Stuttgart wurde am meisten geprägt von einer Kaufmannsfrau, Charlotte Reilen.
Charlotte Reilen heiratete bereits mit 18 Jahren einen Kaufmann. Stuttgart – das ist da, wo heute das Kaufhaus Breuninger steht – damals war dort das Kaufhaus Reilen. Das war eine wichtige Stelle in Stuttgart. Sie lebten damals unbekümmert, so wie man im 19. Jahrhundert in Stuttgart lebte: im Reichtum, im Wohlstand. Anfang des 19. Jahrhunderts war das ein Glück und ein Leben, natürlich mit einer ganz seichten Christlichkeit. Man nahm zwar ab und zu an Gottesdiensten teil, aber das ging nicht sehr tief.
Bei der Geburt des dritten Kindes, schon beim ersten Kind, wurde Charlotte Reilen sehr krank. Es war ein heimtückisches Nervenfieber, bei dem die Ärzte nicht genau wussten, was los war. 1828, bei der Geburt des dritten Kindes, lag sie gerade im Wochenbett. Ihr drittes Kind war geboren, als ihr zweites Kind, der zweijährige Sohn Julius, an Diphtherie erkrankte – dieser Luftröhrenentzündung. Innerhalb weniger Tage erstickte das Kind grausam und starb.
Diese Frau war erschrocken und fragte sich: "Was ist mein Leben? Krise, was ist mein Leben?" Sie fragte plötzlich: "Warum ist Gott so hart mit mir?" Sie sagte sicher: "Ich habe ja gar nicht nach Gott gefragt." Sie fühlte sich von Gott bestraft und fiel in eine tiefe Dunkelheit und Anfechtungen. "Gott will mich strafen, ich habe mich zu wenig um ihn gekümmert", dachte sie.
In ihrer Verzweiflung ging sie in die Stuttgarter Leonhardskirche. Dort fand gerade ein Gottesdienst statt. Es war genau die Kirche, in der Ludwig Hofacker gepredigt hatte, aber nun predigte ein anderer Pietist. Sie hörte das Bibelwort, und dieses traf sie so sehr, dass sie sagte: "Mir ist die Sonne aufgegangen, die Sonne, die durch die Wolken bricht." Sie begriff die Gnade, sie verstand Vergebung, sie begriff ihr Leben.
Voller Freude kam sie nach Hause und erzählte ihrem Mann davon. Doch er sagte: "Du spinnst, du bist verrückt, du musst ins Krankenhaus." Bei uns in Stuttgart sagt man: "Du musst nach Wien, denn dort ist das psychiatrische Landeskrankenhaus. Du bist verrückt, und du bleibst verrückt." Das wurde so schlimm, dass er es nicht ertragen konnte, wie seine Frau plötzlich fromm wurde. Hals über Kopf riss er aus – ohne sich von seiner Frau, den drei Kindern oder dem Geschäft zu verabschieden – und ging nach Amerika.
Es war eine ernste Ehekrise. Er konnte nicht mit der "verrückten" Frau zusammenleben. Das war damals der Rausch der Freiheit 1848, der große Traum Amerika, das Land der Freiheit und der neuen politischen und sozialen Verhältnisse. Die Charlotte Reilen trug das durch.
Ich habe immer wieder entdeckt, was das bedeutete. Eine Frau erzählte mir einmal, sie höre immer die Kantate von Johann Sebastian Bach: "Ich will den Kreuzstab gerne tragen", wenn ihr Mann nachts wegging und bei einer anderen Frau war. Sie betete für ihren Mann. Dann geschah es, dass er in Amerika bei einer Zeltevangelisation bekehrt wurde und als gläubiger Christ zurückkam.
Den letzten Rest gab es, als er den Hauslehrer nebenan im Zimmer hörte, wie er den Kindern biblische Geschichten erzählte. Er sagte: "So will ich auch glauben können." Er erlebte eine klare Bekehrung. Dieses Kaufmannsehepaar Reilen hat unser Stuttgart geprägt.
Man könnte fast sagen: Was wäre geworden, wenn das Kind nicht gestorben wäre? Aber vielleicht sind das nur unsere menschlichen Gedanken. Gott kann uns manchmal erst durch schwere Ereignisse aus dem Taumel holen – das ist eine Erfahrung.
Charlotte Reilen hatte ein Auge für unterernährte Kinder und Kinder, die in der Kinderarbeit waren. Sie gründete Armenanstalten für Kinder und errichtete Mädchenschulen. Das Möhrige Gymnasium in Stuttgart war eine Förderanstalt für Mädchen, weil sich sonst niemand für sie einsetzte.
Sie gab ein Armengesangbuch heraus, ein christliches Hausbüchlein mit Liedern. Sie eröffnete den ersten Missionsverein in Stuttgart. Sie gründete das Stuttgarter Mutterhaus, das Diakonissenhaus in der Rotenbergstraße. Außerdem begann sie eine Hauswirtschaftsschule und die Sonntagsschule – die jedoch nicht von Pfarrern, sondern als Laienbewegung innerhalb der Kirche geleitet wurde.
Sie gründete Kinderheime. Mein Urgroßvater war Hausdiener im Büro bei den Reilens. Er starb schon früh, aber es gab eine große Bewegung über Stuttgart hinweg.
Sie sorgte dafür, dass William Busch nach Stuttgart kam. Nach ihren Ideen wurde das Bild vom schmalen und breiten Weg gemalt, das Sie alle kennen. Dieses berühmte Bild entstand nach den ersten Skizzen von Charlotte Reilen und hat große Bedeutung.
Unser Stuttgart wurde von einer Frau geprägt – einer Hausfrau im 19. Jahrhundert, die in einer guten Welt lebte. Sie trieb Männer wie den Prälaten Kapff zur Aktion und führte sie. Sie eröffnete eine Dienstmädchenschule und finanzierte all dies mit ihrem eigenen Geld, obwohl das in einem Geschäftshaus nicht selbstverständlich war.
Das Wunderbare ist, was Gott tun kann, indem er Menschen zurechtbringt.
Die Geschichte der Elisabeth von Thüringen und ihr Dienst an den Armen
Lassen Sie mich einen großen Sprung zurückgehen. Wir machten mit unseren Mitarbeitern einen Betriebsausflug nach Marburg. Dort sagte unser Vorsitzender, Dr. Fritz Laubach, der in Marburg wohnt, dass er immer wieder Stadtführungen im Auftrag der Stadtverwaltung macht. Er würde uns auch gern das Marburg zeigen.
Wir begannen in der Elisabethkirche. Ich, als Schussel, wusste natürlich überhaupt nicht, welche Elisabeth gemeint war. Man denkt ja, welche Elisabeth? Dann erzählte er uns die Geschichte von Elisabeth, die bereits mit vier Jahren verlobt wurde – als ungarische Königstochter mit dem elfjährigen Landgrafensohn. Mit vierzehn Jahren feierte sie auf der Wartburg Hochzeit, und zwei Jahre später war ihr Mann tot.
Das war eine sechzehnjährige Frau, und alles war zerstört. In der Familie neidet man ihr das Geld, das ihr gehörte, und dann nahm man ihr alles weg. Sie sagt so: „Also, Herr, willst du bei uns sein?“ Sie nimmt diese Demütigung tief an und zieht nach Marburg – unter dem Rat ihres Seelsorgers.
Dort sucht sie die elendesten Menschen auf, die man finden kann. Das waren Kranke mit stinkenden Wunden, die sie verband und deren Wunden sie wusch. Sie betreute die Ärmsten. Man muss das einmal lesen, was diese Frau, Elisabeth von Thüringen, die in Marburg war, in ihrem kurzen Leben vollbracht hat. Mit 24 Jahren ist sie gestorben. Durch die Krise hat sie durch Jesus das Leben gefunden und sich im Dienst verströmt.
Das müssen wir unseren jungen Leuten wieder erzählen. Wir sagen immer wieder: Das haben wir doch erlebt, das Leben besteht nicht aus den vielen Gütern, die man aufnimmt. Es besteht nicht aus Wellness, Reisen und Luxus – obwohl es auch geschmeckt hat – auch nicht aus Essen. Es besteht aus viel, viel mehr.
Mein Leben soll eine Röhre werden, durch die der lebendige Christus seine Liebe zu den Ärmsten dieser Welt weitergeben kann. Und ich soll das weiterfließen lassen, damit die Elenden, die Verlassenen und die Armen etwas davon haben und etwas spüren von der Barmherzigkeit Gottes in dieser herzlosen Welt.
Die Wirkung von Hedwig von Redern und ihr Dienst
Wenn wir immer wieder von den Liederdichtern sprechen, denke ich dabei besonders an Hedwig von Redern. Ihr Vater war Brigadegeneral, und Hedwig ist in dieser Soldatenwelt aufgewachsen. Zusammen mit ihrer Schwester unternahm sie große Reisen. Sie erzählt, wie sie einmal in einem Hotel in München abgestiegen ist, übermütig, wie junge Mädchen eben sind.
An der Rezeption erhielt sie ein Telegramm, auf dem stand: „Vater gestorben.“ Zuerst konnte sie das gar nicht begreifen. Sie hatten sich doch gerade so fröhlich verabschiedet, und ihr Vater schien gesund zu sein. Doch dann wurde ihr klar: Mein Vater ist wirklich gestorben. Dieser plötzliche Verlust war ein schrecklicher Schmerz für sie. In dieser Welt stand sie nun da, und der Vater, der Mittelpunkt der Familie, war weggerissen.
Hedwig von Redern beschreibt, wie furchtbar schwer diese Zeit in ihrem Leben war. Inmitten dieser großen Not brannte auch noch ihr elterlicher Stammsitz ab. Äußerlich hatte sie nichts mehr. Sie fragte sich: Was will Gott eigentlich mit meinem Leben? Warum legt er mir so viel Schweres auf?
Später kam sie nach Berlin und besuchte dort Versammlungen. Zur Zeit von Hedwig von Redern war gerade die große Zeit des Berliner CVJM. Dort wirkten zum Beispiel Graf Pückler und Eberhard von Rothkirch. Eberhard von Rothkirch hatte im Siebzigerkrieg ein Bein verloren und litt sehr darunter, ein Krüppel zu sein. Doch Jesus hatte ihn aus dieser Krise herausgeholt.
Hedwig von Redern nahm an diesen Versammlungen teil. Der Graf Pückler, der als Seelsorger wirkte, sprach sie an und sagte: „Du verkapselst dich in deinem Schmerz, du bemitleidest dich darin. Du musst heraustreten, du musst das unter die Füße kriegen.“
Zuerst war Hedwig verärgert. Man möchte ja immer nur liebevolle Trostworte hören. Ein hartes Seelsorgewort lehnt man oft ab. Doch Hedwig von Redern machte erste Schritte und löste sich langsam von ihrem Schmerz.
Wieder war es die Sonntagsschularbeit, die ihr half. Auch hier waren Laien aktiv, wie zum Beispiel Graf Bernsdorf. In seinem Keller hielt er Kinderstunden ab. Graf Pückler sagte zu Hedwig: „Hilf doch mal beim Grafen Bernsdorf bei der Kinderkirche.“ Hedwig antwortete: „Das kann ich nicht.“ Doch er ermutigte sie: „Probier’s doch mal, fang einfach an, den Kindern biblische Geschichten zu erzählen.“
So begann Hedwig von Redern diesen ersten Schritt zu wagen. Und dann ging es weiter. Sie machte Krankenbesuche im Krankenhaus von Moabit. Das fiel ihr gar nicht schwer. Doch bald wurden die Pfarrer eifersüchtig. Sie verboten ihr die Besuche mit der Begründung, es sei Sektiererei. Daraufhin suchte sie andere Möglichkeiten.
Schließlich richtete sie eine Schutzmann-Bibelstunde in einem Raum der Molkerei Bolle in Berlin ein. Damals war Bolle die größte Molkerei und ein großes Unternehmen. Hedwig war sehr ideenreich. Als Hudson Taylor nach Berlin kam und ihr begegnete, sagte er: „Wie liebe ich diese mütterlichen Frauen, die gerade an Männern so viel bewirken können!“
Das war eine Zeit, in der Frauen in der Gesellschaft angeblich wenig galten. Doch gerade Hedwig von Redern hat sehr viel bewirkt. Sie dichtete auch das schöne Lied „Bleib an dem Platz, wo Gott dich hingestellt hat.“
Ich freue mich immer wieder, wenn Menschen in die Mission gerufen werden. Trotzdem ist das Erste und Normalste, sich an dem Platz zu bewähren, an dem Gott einen hingestellt hat. Dort soll man aus der Kraft Jesu leben und sein Zeuge sein.
Genau das hat Hedwig von Redern getan. Und Sie wissen, wie sie durch ihre Lieder gewirkt hat.
Gaben und Berufung im Dienst
Was war das? Dieses Lied kenne ich nicht, den Weg weiß ich auch nicht. Du weißt ihn wohl – das Lied der baltischen Märtyrer, das Marion von Kloth dort im Gefängnis gesungen hat, 1919, kurz vor der Erschießung. Die Pastoren, die nicht aus dem Baltikum geflohen sind, haben erst aus dem schweren Leid heraus begriffen: „Ich muss mich lösen.“
Mir ist dabei wichtig: Jesus gibt die Gaben. Ich halte es nicht für richtig, immer so intensiv danach zu forschen, was genau meine Gaben sind. Manche Menschen stehen ständig vor dem Spiegel und sagen: „Ich bin schön, ich bin hübsch, ich bin klug, ich bin gewillt“ – und suchen nach ihren Gaben. Ich denke, wir dürfen ganz bescheiden sein. Wenn der Herr mich an diesem Platz braucht, dann gibt er mir die nötigen Gaben.
Ich habe oft erlebt, dass Menschen an Orten, an denen man es gar nicht erwartet hätte, plötzlich von Jesus die nötigen Begabungen bekommen haben. Es hat gar nichts mit großen Ämtern zu tun. Es besteht immer die Gefahr, dass junge Leute sagen: „Ich fühle mich so, ich werde vielleicht der Nachfolger von Billy Graham, ich habe den Eindruck, in der Jungscharstunde kann ich auch mitreißend wirken.“ Es besteht die Gefahr, die eigenen Gaben zu überschätzen. Viel wichtiger ist, dass man merkt: Auch in schwierigen Aufgaben sollst du diesen Schritt wagen. Jetzt ist es nötig, jetzt brauchen wir jemanden.
Ich habe immer gern 18-jährige junge Leute mit der Jugendarbeit betraut – 14- bis 18-Jährige, das heißt, man ist noch kaum älter. Aber wenn Jesus dich sendet und beauftragt, dann kannst du dieses Amt auch wahrnehmen. Du wirst dort gebraucht, und das ist gut so.
Krisen können große Wendepunkte in unserem Leben sein, und sie sollen es auch sein – ganz besonders Krankheiten. Bei allen interessanten Biografien findet man immer wieder, dass plötzlich Knotenpunkte im Leben entstanden sind. Hedwig von Redern schreibt in ihrer Biografie: „Das sind die Knotenpunkte in meinem Leben, wo das Alte infrage gestellt wurde und das Neue begann.“ Es sind die Stellen, an denen der Herr ganz besonders an mir gearbeitet hat und ich eine neue Beauftragung und Führung erlebt habe.
Dabei geht es genau darum, wie wir vorhin bei Paulus gehört haben: Nicht mehr auf sich selbst zu blicken. Es geschieht, dass wir unser Vertrauen nicht von uns selbst haben, sondern vom Herrn, der Tote zum Leben erweckt. Und er kann das tun – so, wie er Paulus immer wieder neuen Mut und neue Zuversicht geschenkt hat.
Wenn ich aus diesen Beispielen noch einen herausgreifen darf, dann ist es ein Leben, das unter einem ganz besonderen Stern stand. Er ist mit dem späteren Kaiser Friedrich aufgewachsen, war der spielgefährdete, jugendgefährdete und engste Vertraute am preußischen Hof in Berlin. Sein Vater war Minister in Preußen. Das war Friedrich von Bodelschwingh, der mit Kaiser Friedrich aufwuchs, der später an Kehlkopfkrebs starb.
Sie kennen seine Demut: Als er Pfarrer wurde, sagte er nicht: „Ich als Adliger, wo kann ich jetzt hin?“ Er ging nach Paris zu den Deutschen, die dort als Gastarbeiter ihr schlichtes Dasein fristeten – als Straßenkehrer. In Paris wurde er Pfarrer für die deutschen Straßenkehrer. Er wohnte in einer ganz einfachen Wohnung und hing an seiner Tür ein Schild: „Herein ohne anzuklopfen.“ Er ließ seine Wohnungstür auch nachts nicht abschließen. Er wurde mehrfach bestohlen, doch das hinderte ihn nicht daran, die Tür offen zu lassen.
Als seine Gesundheit schlechter wurde, zog er mit seinen Kindern nach Delwig in Westfalen. Sie kennen die erschütternde Geschichte, die man kaum erzählen kann, weil sie so erschüttert: Innerhalb von vier Wochen über Weihnachten starben alle vier Kinder am Keuchhusten.
Er beschrieb, wie er hoffte und betete, wie die Kinder an den Saal geführt wurden, wo das Geschwisterlein lag, und wie er darüber sprach. Er berichtete auch den Großeltern alles, die Vorfreude des letzten Kindes auf den Himmel und wie ihn das bewegte. Danach schrieb er, dass er sich eine Bank auf dem Friedhof zimmerte, um dort vor dem Grabeshügel zu sitzen, wo die vier Kinder beerdigt waren, und darüber nachzudenken.
Er sagte: „Als unsere vier Kinder gestorben waren, merkte ich erst, wie hart Gott gegen Menschen sein kann. Und darüber bin ich barmherzig geworden gegen andere.“ Für Bodelschwingh war es die Berufung, nach Bielefeld zu gehen, wo damals ein kleines Heim mit dreizehn geisteskranken, fallsüchtigen und epileptischen Menschen bestand. Diese Aufgabe nahm er an.
Er schrieb seiner Mutter, dass in dieser Heimsuchung für ihn immer mehr das Gefühl der Gewissheit Raum gewann, dass Gott nur Friedensgedanken mit uns und unseren Kindern hat. „Ach, wenn wir nur fort und fort auf seine heiligen Wege achten, dann kann er diese Friedensgedanken auch an uns ausführen.“
Bodelschwingh war einst mit 23 Jahren in Pommern Verwalter auf einem großen landwirtschaftlichen Gut. Zuerst dachte er, das sei sein Ruf. Dort war er bei einem Missionsfest, das ihn so bewegte, dass er unbedingt dabei sein wollte. Sein Pferd war festgebunden, und drinnen wurde gerade gepredigt. Als er kam, hieß es, dass es so wenig Arbeiter in der Ernte gebe. Er ritt heim und sagte: „Herr, sende mich, hier bin ich.“
Sein Weg führte nicht in die äußere Mission. Er gründete später die Bethel-Mission. Aber Gott hat sein Leben dort gebraucht. Und das ist so wichtig: Sie dürfen nicht an ihrem Schmerz stehen bleiben. Jesus ist kein Kaputtmacher, sondern er will aus Ihrem Leben etwas Neues schaffen.
Paul Humburg sagte einmal: „Wie die Oliven in die Mühle kommen – erst in der Mühle, wenn sie gemahlen sind, kann man das Öl haben. Und so ist es, wenn ein Pfarrer in die Mühle kommt, dann kriegt die Gemeinde das Öl.“ Manchmal wird erst durch schwere Lebensführungen der Segen Gottes sichtbar.
Das kann ich nur noch einmal sagen: In einer so herrlichen Umgebung, in der wir an Leib und Seele verwöhnt werden und nur danken können für all das Gute, das uns geschieht, sollten Sie es trotzdem annehmen. Nicht, dass Sie am Ende meinen, Sie müssten mir kondolieren, sondern wir wollen wach werden für die Wege Gottes.
So heißt es im Psalm: „Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten.“ Das ist eine Verheißung, die unser Herr gegeben hat und die er versprochen hat, dass sie in Erfüllung gehen wird.
Ich weiß nicht, wo Sie in Ihrem Leben schwere Wege gehen müssen oder ob Sie nur begleitend Anteil nehmen am schweren Schicksal Ihrer Tochter oder Ihres Sohnes, von Nachbarn oder Gemeindegliedern, die um uns herum sind.
Der große Schriftausleger Johann Tobias Beck, ein bedeutender Bibelmann und Professor in Basel im 19. Jahrhundert, hat den Tod von zwei Kindern und seiner Frau in großer Tiefe erlebt. Er sprach immer dagegen, die Bibelworte nur als Balsam zu nehmen. Man müsse sie richtig in das schwere Zerbrechen dieser Welt hineinnehmen. Er sagte: „Wenn das alles über dich hinwegkommt, dann geht es zum Letzten. Da ist die letzte Frage plötzlich da: Was gilt?“
Als sein Freund das Gleiche erlebte – der Tod seiner Frau –, und er ohne Trost war, schrieb Johann Tobias Beck ihm einen berühmten Brief. Darin schrieb er: Wenn er tauschen könnte, noch einmal seine Lieben, die gestorben sind, zurückzubekommen und dafür seine geistlichen Erfahrungen, die er in der schweren Zeit gemacht hat, aufgeben müsste, wisse er nicht, was er wählen sollte.
So groß sei ihm das Wort Gottes in dieser schweren Zeit geworden – und der Sieg Jesu. Ich hoffe, dass auch Sie es so erleben können und sagen: Gott hat einen ganz besonderen Segen für uns bereit. Ich möchte das lernen, mit Jesus diesen Segen in meinem Leben aufzunehmen, zu entdecken und auch an andere weiterzugeben.
Wenn wir das tun, dann öffnet sich uns ein ganzes Stück der Schrift neu. Ich halte es für richtig, dass diese Zeit des Leidens nicht wert sei der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll. Wir wissen, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen müssen.
Man kann das leicht nachsprechen, aber zum Durchleben braucht man oft den Mut. Ich darf Ihnen nur sagen: So viele haben mir bezeugt, welch großer Segen darauf liegt.
Wir wollen beten: Lieber Herr, dir sei Dank, dass du durch deinen Geist uns im Leiden tröstest und dass wir zu dir aufsehen dürfen, dem Anfänger und Vollender des Glaubens. Wir sehen nicht auf die zerbrechende Welt, sondern freuen uns auf die Vollendung in der Herrlichkeit bei dir.
Wir wissen, dass auch wir noch durch dieses dunkle Tal hindurchmüssen, wo du uns alles abstreifst, was zu dieser Welt gehört. Wir wollen dazu sagen: In der Freude, dass du uns neu einkleiden wirst in der Herrlichkeit.
Wir möchten jetzt ganz besonders für die bitten, die schwer geführt sind, die Not haben und im Glauben so angefochten sind. Hilf uns, dass wir keine Sprüche machen, sondern ihnen deinen Trost vermitteln und ihnen deinen Sieg zusprechen können.
So dürfen wir uns auch an diesem Abend unter deinen Schutz, deine Bewahrung und deinen Segen stellen. Amen.
Das Leben und Wirken von Friedrich von Bodelschwingh
Wenn ich aus diesen Beispielen einfach noch eines herausgreifen darf, dann möchte ich einen auswählen, dessen Leben unter einem ganz besonderen Stern stand. Er ist mit dem späteren Kaiser Friedrich aufgewachsen, war dessen spielgefährtet und jugendgefährtet enger Vertrauter am preußischen Hof in Berlin. Sein Vater war Minister in Preußen, und dieser Mann war Friedrich von Bodelschwing, der mit Kaiser Friedrich aufwuchs, der später an Kehlkopfkrebs starb.
Sie kennen seine Demut: Als er Pfarrer war, sagte er nicht: „Ich als Adliger, wo kann ich jetzt hin?“ Stattdessen ging er nach Paris, zu den Deutschen, die dort als Gastarbeiter ihr schlichtes Leben als Straßenkehrer fristeten. In Paris wurde er Pfarrer für die deutschen Straßenkehrer. Er wohnte in einer ganz einfachen Wohnung und hing an seine Türen den Schild: „Herein ohne anzuklopfen.“
Er verschloss auch nachts seine Wohnungstür nicht. Er wurde mehrfach bestohlen, doch das hinderte ihn nicht daran, die Tür offen zu lassen. Als seine Gesundheit sich verschlechterte, zog er mit seinen Kindern nach Delwig in Westfalen. Sie kennen sicher die erschütternde Geschichte, die man kaum erzählen kann, weil sie so tief erschüttert: Innerhalb von vier Wochen über Weihnachten starben alle vier Kinder am Keuchhusten.
Er hat es selbst beschrieben, wie sie hofften und beteten, wie die Kinder zum Saal geführt wurden, um das Geschwisterlein zu sehen, und wie er darüber sprach. Er berichtete auch den Großeltern alles, die Vorfreude des letzten Kindes auf den Himmel und wie ihn das bewegte. Danach schrieb er, dass er sich eine Bank auf dem Friedhof zimmerte, auf der er vor dem Grabeshügel sitzen wollte, wo die vier Kinder beerdigt waren, um darüber nachzudenken.
Er sagte: „Als unsere vier Kinder gestorben waren, merkte ich erst, wie hart Gott gegen Menschen sein kann. Und darüber bin ich barmherzig geworden gegen andere.“ Für Bodelschwing war es die Berufung, nach Bielefeld zu gehen, wo damals ein kleines Heim mit dreizehn geisteskranken, fallsüchtigen oder epileptischen Menschen bestand. Diese Aufgabe nahm er an.
Er schrieb seiner Mutter, dass in dieser Heimsuchung für ihn immer mehr das Gefühl der Gewissheit Raum gewann, dass Gott nur Friedensgedanken mit uns und unseren Kindern hat. Wenn wir nur fortwährend auf seine heiligen Wege achten, kann er diese Friedensgedanken auch an uns ausführen.
Bodelschwing war einst im Alter von 23 Jahren in Pommern Verwalter auf einem dieser großen landwirtschaftlichen Güter. Zuerst glaubte er, das sei sein Ruf. Dort war er bei einem Missionsfest, das ihn sehr beschäftigte, und wollte unbedingt dabei sein. Das Pferd war festgebunden – so war seine Jugend – und drinnen wurde gerade gepredigt, dass es so wenig Arbeiter in der Ernte gäbe.
Er ritt heim und sagte: „Herr, sende mich, hier bin ich.“ Sein Weg führte nicht in die äußere Mission, doch er gründete später die Bethel-Mission. Gott hat trotzdem sein Leben dort gebraucht, und das ist so wichtig: Sie dürfen nicht an ihrem Schmerz stehen bleiben. Jesus ist kein Kaputtmacher, sondern er will aus ihrem Leben etwas Neues schaffen.
Paul Humburg sagte einmal: „Wie die Oliven in die Mühle kommen, erst in der Mühle, wenn sie gemahlen sind, kann man das Öl haben.“ Und so ist es, sagte Paul Humburg: „Wenn ein Pfarrer in die Mühle kommt, dann bekommt die Gemeinde das Öl.“ Manchmal zeigt sich der Segen Gottes erst durch schwere Lebensführungen.
Das kann ich nur noch einmal betonen, gerade in einer so herrlichen Umgebung, in der wir an Leib und Seele verwöhnt werden und nur danken können für all das Gute, das uns geschieht. Trotzdem passen Sie auf, dass Sie nicht meinen, Sie müssten mir am Ende kondolieren. Wir wollen wach werden für die Wege Gottes, das, was im Psalm heißt: „Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten.“ Das ist eine Verheißung, die unser Herr gegeben und versprochen hat.
Ich weiß nicht, wo Sie in Ihrem Leben schwere Wege gehen müssen oder ob Sie nur begleitend sagen: „Ich nehme Anteil an dem schweren Schicksal meiner Tochter oder meines Sohnes“ oder anderer Nachbarn oder Gemeindeglieder, die um uns herum sind.
Der große Schriftausleger Johann Tobias Beck, ein bedeutender Bibelmann und Professor in Basel im 19. Jahrhundert, erlebte den Tod von zwei Kindern und den Tod seiner Frau in großer Tiefe. Er sprach immer dagegen, die Bibelworte nur als Balsam zu nehmen. Stattdessen müsse man sie richtig in das schwere Zerbrechen dieser Welt hineinnehmen und sagen: Wenn das alles über dich hinwegkommt, dann kommt die letzte Frage: Was gilt?
Später, als sein Freund das Gleiche erlebte und seine Frau starb, ohne Trost zu finden, schrieb Johann Tobias Beck ihm einen berühmten Brief. Er schrieb, wenn er tauschen könnte und seine Lieben zurückbekäme, aber dafür seine geistlichen Erfahrungen in der schweren Zeit zurückgeben müsste, wisse er nicht, was er wählen sollte. So groß sei ihm das Wort Gottes in dieser schweren Zeit geworden – und der Sieg Jesu.
Ich hoffe, dass auch Sie es so erleben können und sagen: Gott hat einen ganz besonderen Segen für uns bereit, und ich möchte lernen, diesen Segen mit Jesus in meinem Leben aufzunehmen, ihn zu entdecken und auch weiterzugeben an andere. Wenn wir das tun, wird uns ein ganzes Stück der Schrift neu geöffnet.
Ich achte darauf, dass dieses Zeitleiden nicht wert sei der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll. Wir wissen: „Denn denen, die Gott lieben, dienen alle Dinge zum Besten.“ Man kann das leicht nachsprechen, aber zum Durchleben hat man oft nicht den Mut. Ich darf Ihnen nur sagen, so viele haben mir bezeugt, welch großer Segen darauf liegt.
Wir wollen beten: Lieber Herr, dir sei Dank, dass du durch deinen Geist uns im Leiden tröstest und dass wir aufsehen dürfen zu dir, dem Anfänger und Vollender des Glaubens. Wir sehen nicht auf die zerbrechende Welt, sondern freuen uns auf die Vollendung in der Herrlichkeit bei dir.
Wir wissen, dass auch wir noch durch dieses dunkle Tal hindurch müssen, wo du uns alles abstreifst, was zu dieser Welt gehört. Wir wollen dazu sagen in der Freude, dass du uns neu einkleiden wirst in der Herrlichkeit.
Wir möchten jetzt ganz besonders für die bitten, die schwer geführt sind, die Not haben und im Glauben so angefochten sind. Hilf uns, dass wir nicht bloß Sprüche machen, sondern dass wir ihnen deinen Trost vermitteln und ihnen deinen Sieg zusprechen.
So dürfen wir uns an diesem Abend unter deinen Schutz, deine Bewahrung und deinen Segen stellen. Amen.
Schlussgebet um Trost und Bewahrung
Wir wollen beten. Lieber Herr, dir sei Dank, dass du uns durch deinen Geist im Leiden tröstest und dass wir zu dir aufsehen dürfen, dem Anfänger und Vollender des Glaubens.
Wir sehen nicht auf die zerbrechliche Welt, sondern freuen uns auf die Vollendung in der Herrlichkeit bei dir. Wir wissen, dass auch wir noch durch dieses dunkle Tal hindurchgehen müssen, wo du uns all das abstreifst, was zu dieser Welt gehört.
Wir wollen dazu Ja sagen, in der Freude, dass du uns neu einkleiden wirst in der Herrlichkeit.
Besonders möchten wir jetzt für die bitten, die schwer geführt werden, die Not haben und im Glauben so angefochten sind. Hilf uns, dass wir keine leeren Sprüche machen, sondern ihnen deinen Trost vermitteln und ihnen deinen Sieg zusprechen können.
So dürfen wir uns an diesem Abend unter deinen Schutz, deine Bewahrung und deinen Segen stellen. Amen.