Trost und Erhebung durch Glaubenslieder
Wunderbar, dass Sie zu diesem Thema gekommen sind, das dennoch vom Glauben handelt.
Ich denke, in den schweren Stunden des Lebens ist es besonders wichtig, Lieder zu singen – den Kummer sich vom Herzen zu singen, wie wir unser erstes Buch überschrieben hatten. Denn der Kummer: Ich denke, jeder von Ihnen hat schon durchwachte Nächte, große Enttäuschungen erlebt, Sorgen um liebe Menschen, Nöte mit Krankheit und unlösbare Dinge.
In solchen Zeiten ist es besonders hilfreich, wenn man Psalmen beten kann, Lieder singen kann oder, wenn einem nicht mehr nach Singen ist, einfach die Lieder noch lesen kann. Dabei sollte man sich nicht an den schweren Stunden, an den Tiefen oder an den Schmerzen festklammern, sondern sich wieder mit den Liedern erheben.
Wenn man dieses Lied hört, denkt man an Karoline Riem, die es gedichtet hat – das muss eine Frau gewesen sein, der es wunderbar ging. "Jubel, mein Herze" – das klingt nach einem überströmenden Herzen: Mir geht es gut, ich freue mich an meinem Heiland, ich freue mich an meinem Leben.
Doch das genaue Gegenteil ist der Fall. Sie war eine sehr krankheitlich angeschlagene Frau.
Das Leben und Wirken von Karoline Riem
Karoline Riem wurde im Jahr 1847 geboren. Ihr Vater war im Rauhen Haus tätig, einem Ort in Hamburg, den Johann Hinrich Wichern gegründet hatte. Dort wuchs sie auf, und ihr Vater war Inspektor. Er leitete dieses Werk fünfundzwanzig Jahre lang mit. Als Wichern krankheitsbedingt nicht mehr arbeiten konnte, hoffte ihr Vater sehr, seine Nachfolge antreten zu dürfen.
Er besaß auch das nötige Talent dafür. Doch dann kam es zu bösen Anschuldigungen und ungerechten Verdächtigungen. Schließlich blieb ihm nichts anderes übrig, als zu kündigen. Für die junge Karoline war das ein großer Schlag. Sicherlich litt die ganze Familie sehr darunter. Der geniale Wichern wollte seinen Sohn als Nachfolger einsetzen und schaffte auf diese Weise den Inspektor Riem aus dem Weg.
Karoline selbst wollte Lehrerin werden. Sie hatte den Wunsch, jungen Menschen das Rüstzeug fürs Leben mitzugeben. Doch ihre Gesundheit war stark angeschlagen. Sie konnte nicht viel arbeiten, war immer wieder krank und musste oft pausieren.
Schließlich wurde sie dem Deutschen Frauenmissionsgebetsbund als Reisesekretärin anvertraut. Darüber war sie glücklich und sagte: „Meine Schwester ist in der Mission, ich möchte gerne auch diesen Dienst unterstützen. Beten für die Missionare ist das Wichtigste.“ Doch erneut machte ihr die Krankheit schwer zu schaffen und legte sie matt. Der Frauenmissionsbund musste sie leider wieder entlassen. Man sagte: „Was nützt uns eine Reisesekretärin, die zwar ein brennendes Herz für den Herrn hat und die Arbeit eigentlich machen möchte, aber doch krank ist?“
Glaube trotz Leid und Krankheit
Und wenn Sie jetzt noch einmal diesen Vers 1 anschauen: „Bringe ihm Dank mit lautem Freudengesang, er lässt mich völlig gesunden.“ Eigentlich war das, was sie erhofft und erbeten hatte, etwas, das der Herr ihr in diesem Leben nicht geschenkt hat.
Doch sie blieb nicht hängen am Trauergesang, am Jammern oder Klagen. Stattdessen singt sie: „Juble, mein Herze, der Heiland gehört mir, der Heiland ist für mich erstanden. Dem Heiland darf ich vertrauen, er will mich leiden, und in seiner Führung darf fröhlich ich vorwärts nun schreiten.“
Dieses Lied habe ich noch gar nicht so lange als eines meiner Lieblingslieder entdeckt. Es ist wunderbar, wenn man hört, was diese Frau erlebt hat. Sie selbst hat nicht erfahren, wovon sie so glücklich singt, aber sie weiß: „Es gilt mir, der Heiland gehört mir, ich gehöre ihm, und er wird richtig für mich sorgen.“ Er wird mich leiden, und er betrügt mich nicht.
Drei Verse – Sie haben das Gesangbuch noch aufgeschlagen – singen Sie jetzt noch weiter. Vielleicht ist Ihnen die Karoline Riem noch ein bisschen ans Herz gewachsen, ebenso dieses Lied, das leider im Gesangbuch nicht enthalten ist, aber hier wunderbar zu finden ist. Man kann es ganz neu sehen und singen: „Lass freudig dein Danklied erklingen.“
Nicht erst, wenn der Herr unsere Wünsche erfüllt, wenn der Herr das macht, was wir uns erträumen oder erbitten, was wir für nötig halten. Sondern der Herr wird es recht machen. Das hat Karoline Riem erfahren, besonders in den Versen vier bis sechs.
Die Bedeutung der Glaubenslieder in schweren Zeiten
Die Glaubenslieder waren stets Triumflieder gegen die schreckliche Not.
Als das Evangelium nach Uganda kam, waren die ersten Märtyrer die Page des ugandischen Königs der Baganda. Diese verweigerten dem König den Dienst, der damals in unreinen sexuellen Praktiken lebte. Sie starben den Feuertod. In den Flammen sangen sie Jesuslieder.
Die Hugenotten, die Calvinisten, hatten nur die Psalmen. Die Ausbreitung des Evangeliums erfolgte über diese Psalmen, die überall in Paris und anderen Orten gesungen wurden. Selbst an den Scheiterhaufen sangen die zum Tod Verurteilten diese Lieder – bis man ihnen zuvor die Zunge aus dem Mund riss. Denn das war das mächtigste Zeugnis.
Diese biblischen Psalmen sind in unseren Gesangbüchern nicht so verbreitet wie in den reformierten, calvinistischen Kirchen Deutschlands, Hollands, des Niederrheins und anderer Orte. Dort werden noch viele Psalmen gesungen. Deshalb verdient dies eine kurze Erwähnung.
Heinrich Schütz und die Psalmen
Auch Heinrich Schütz, ein Liedermacher, der vor allem die Melodien komponierte, hat die Psalmen Davids ganz besonders geliebt. Als er heiratete, vertonte er eine erste Sammlung der Psalmen Davids als Brautgabe für seine geliebte Magdalena.
Doch diese Magdalena starb nach sechs Jahren, und Heinrich Schütz heiratete nie wieder. Er hatte zwei kleine Kinder. Das ist für uns sehr wichtig zu wissen. Wer ein wenig mit der Musik von Heinrich Schütz vertraut ist, weiß, was das bedeutet.
Im Jahr 1625 erlitt er großes Leid: Zuerst starb die Schwester seiner Frau, Maria, innerhalb von drei Tagen an Typhus. Maria war verlobt mit einem Hofrat und Konsistorialpräsidenten, Doktor Mende. Kurz darauf begann seine Frau plötzlich zu sprechen und sagte, sie müsse auch sterben. Sie war erst 24 Jahre alt, die kleinen Kinder waren noch da, und sie hatte die Blattern, eine damals verbreitete Pestkrankheit.
In dieser schweren Zeit lebte sie mit den biblischen Psalmen: „Herr, straft mich nicht in deinem Zorn“ und „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt“. Als sie dann still einschlief, vertonte Heinrich Schütz die restlichen Psalmen Davids. Er vertonte alle 150 Psalmen der Bibel.
Viele von Ihnen, die gerne in Chören singen, werden besonders schätzen, was das bedeutet. In unserem Gesangbuch finden wir immer wieder Melodien von Heinrich Schütz, zum Beispiel in dem Lied „Wohl denen, die da wandeln vor Gott in Heiligkeit“. Das ist eine Psalmenmelodie von Heinrich Schütz.
Oder im Lied „Nun jauchzt dem Herrn, alle Welt, kommt her zu seinem Dienst“ – auch diese Melodie stammt von Heinrich Schütz. Ebenso im Lied „Kommt, Herr, des Königs Aufgebot“ finden wir eine Melodie von ihm, die uns so vertraut ins Ohr gesungen wurde.
Singen als Trost für Kranke und Alte
Ich habe in meiner Tätigkeit im Gemeindedienst immer wieder erlebt, dass es für unsere Alten und Kranken zu den schwersten Dingen gehört, aus dem Gemeindegottesdienst ausgeschlossen zu sein.
Deshalb ist es besonders schön, wenn man gemeinsam mit unseren Kranken und Alten singt. Meine Frau macht das auch, wenn wir zu zweit unterwegs sind. Wir singen dann mit unseren alten Stimmen eines dieser Glaubenslieder. Es ist wunderbar, wie sie plötzlich mitsingen – unsere Alten und Kranken, die sich auf das Sterben vorbereiten.
Ich möchte noch ein Wort von Heinrich Schütz vorlesen, das er sagt:
„Der getreue Gott wolle zu diesen letzten betrübten Zeiten sein heiliges, reines, unverfälschtes Wort in Kirchen und Schulen und bei jedem Hausvater in seinem Haus wie durch reine gottselige Lehrer als auch durch geist- und trostreiche Lieder und Psalmen wohnen lassen bis zu seines lieben Sohnes, unseres Erlösers und Seligmachers gewünschter Zukunft, damit wir desselben in Liebe, Geduld und fröhlicher Hoffnung erwarten und zu derselben stets bereits erfunden werden.“
Bertha Schmidt-Eller: Vom schweren Familienleben zur christlichen Schriftstellerin
Ich habe noch einmal eine Frau für Sie: Bertha Schmidt, als jüngstes von acht Kindern in Leipzig geboren. Doch schon, als sie drei Jahre alt war, starb ihre Mutter. Der Vater, ein Kaufmann, war verzweifelt. Acht Kinder und keine Mutter mehr – er musste wieder heiraten. Für die Frau, die dieses Erbe antrat, war es sehr schwer.
Stellen Sie sich vor, acht Kinder anzutreten. Für die Halbwaisen war es ebenfalls nicht leicht. Die Stiefmutter versuchte, mit Strenge und Ordnung die Kinderschar in Schach zu halten. Die Großen widerstanden ihr sehr, und die Kleinen litten, denn ihnen fehlte die Mutterliebe. Es gab keine Extrasachen, also keine Süßigkeiten oder mal ein schönes Kleidchen. Hauptsache war, alles war ordentlich und sauber, alles stand richtig in Reih und Glied. Die Kinder litten sehr darunter.
Als Bertha in die Schule kam, merkte ihr Lehrer bald, dass sie Begabung zum Schreiben hatte. Sie schrieb bereits kleine Geschichten und Erzählungen. Sie fand einen Verleger, der Interesse an ihren Geschichten hatte. Doch er sagte: „Bertha Schmidt ist doch überhaupt kein Name. Schmidt, Schmidt und Müller, alles in Ehren, aber damit kann man keine Literatur machen oder Schriftstellerin werden. Sie wohnen doch in Eller, einem Stadtteil von Düsseldorf. Nennen Sie sich doch einfach Schmidt-Eller, das klingt doch schon fast halb adlig.“ Und so machte sie es dann.
Ihre Bücher erschienen unter dem Namen Bertha Schmidt-Eller. Vielleicht kennen einige von Ihnen noch diese Bücher. Als junge Frau habe ich sie gelesen und auch heute noch manches daraus. Doch sie floh aus dieser Familie, in der die echte Mutter fehlte. Sie floh in eine Ehe mit einem 38 Jahre älteren Mann und kam vom Regen in die Traufe. Sie dachte, jetzt geht es los, der Himmel steht mir offen, eine eigene Familie, ein Mann, der mich liebt. Aber es war ganz anders.
Sie bekam einen Sohn, doch sie merkte, dass sie ihr Leben mit diesem Mann nicht mehr teilen konnte. Es war grausam. Sie musste sich trennen. Sie können sich vorstellen, was das damals bedeutete: In den dreißiger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts war eine geschiedene Frau etwas, das nichts Richtiges sein konnte. Sie hatte keinen Beruf, nichts gelernt. Mit ihrer Schriftstellerei hielt sie sich über Wasser – und ihr kleines Kind dazu.
Dann kam das Dritte Reich. Christliche Erzählungen waren verpönt und verboten. Und da stand sie da, mit ihrem kleinen Kind. Vom Vater konnte sie keine Unterstützung erwarten, und von ihrem Mann, den sie verlassen hatte, auch nicht. Als ihr Kind krank wurde, ging sie verzweifelt zu einem Arzt und sagte: „Sie müssen mir helfen, mein Kind stirbt sonst, aber ich habe kein Geld.“ Er antwortete: „Ich suche gerade eine Arzthelferin. Wenn Sie wollen, lerne ich Sie an.“ Sie entgegnete: „Aber ich kann ja nichts.“ Er sagte: „Ich lerne Sie an. Wenn Sie geschickt sind und willig zum Lernen, dann lerne ich Sie an.“
Sie war geschickt und willig. Sie wollte und konnte einsteigen. Sie konnte lernen und fand bei diesem Arzt eine neue Berufsausbildung. Später wurde sie Werkschwester. Sie musste allerdings ihren Sohn eine Zeit lang in ein Internat geben, weil sie dauernd nur arbeitete, lernte und schaffte. Mit 14 Jahren konnte sie ihn endlich wieder zurückholen.
Nach dem Krieg kam der Verleger Brockhaus zu ihr und sagte: „Unser Land liegt übel da. Wir brauchen dringend wieder Autoren, die auch christliche Literatur schreiben. Könnten Sie nicht wieder einsteigen?“ Das wollte sie natürlich gerne. Ihr erstes Buch, das sie nach dem Krieg schrieb, wurde gleich ein Bestseller: „Vergib uns unsere Schuld“. Es wurde zweihunderttausendmal verkauft. Das war damals eine Sensation.
Bertha Schmidt-Ellers Lied und seine Bedeutung
Und sie schrieb dieses Lied, das Sie alle sicher kennen:
Zünde an dein Feuer, Herr, im Herzenmeer,
hell möge es brennen, lieber Heil an dir.
Die nächste Zeile ist mir ganz neu aufgefallen.
Kann ich sie wirklich mitsingen und mitbeten?
Was ich bin und habe, soll dein Eigen sein.
Können wir das nur so flott singen?
Oder können wir es wirklich von Herzen mitsprechen,
so wie diese Bertha Schmidt-Eller es wollte?
Herr, alles dir, ohne dich bin ich nichts mehr.
Du bist die Quelle des Lebens und der Freude,
Quelle, du machst das Dunkel meiner Seele hell.
Das hat sie erlebt: das Dunkel,
und der Herr hat sie herausgeholt.
Du hörst mein Beten, hilfst aus aller Not.
Jesus, mein Heiland, mein Herr und Gott.
„Ein feste Burg ist unser Gott“ – Entstehung und Bedeutung
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eines der bekanntesten Lieder evangelischen Singens ist der Choral „Ein feste Burg ist unser Gott“. Merkwürdigerweise wird er heute nur noch sehr selten gesungen. Manche sagen, wir seien friedlicher geworden und wollten immer in der Burg bleiben. Deshalb seien die Begriffe vom Kampf verschwunden.
Wenn man jedoch genauer hinschaut, fragt man sich, wann dieses Lied eigentlich entstanden ist. Aha, das war sicher beim Reichstag in Worms, als Luther sagte: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders.“ Doch das ist nicht der Entstehungsort des Liedes, auch nicht die Wartburg.
Interessanterweise entstand das Lied im Jahr 1527, in einem Jahr, in dem sich die evangelische Predigt weit in Deutschland ausgebreitet hatte. Viele zuvor schwierige Fragen waren gelöst. Doch Martin Luther stürzte in furchtbare seelische Abgründe.
Wer aus eigener Erfahrung weiß, was Schwermut ist und was Angriffe des Feindes bedeuten, kann das nachvollziehen. Luther schrieb damals, Satan selbst wüte mit aller seiner Macht gegen ihn. Er empfand diese satanischen Angriffe ganz persönlich in seinem Glaubensleben.
Hinzu kam körperliche Krankheit, die oft mit seelischen Leiden verbunden ist: ein schweres Steinleiden und eine weitere Krankheit. Er hatte einen Druck auf der Brust, was dazu beitrug, dass er oft verzweifelt war und tiefen Anfechtungen ausgesetzt war. Schon früh am Morgen ließ er mehrfach seinen Seelsorger rufen, meinte, er müsse sterben, und wollte Absolution, also Vergebung der Sünden, empfangen.
Er brach ohnmächtig unter der Tür zusammen. Man brachte ihn mit einem Eimer Wasser wieder zum Leben. Realistisch rechnete er mit seinem nahen Tod. Freunde standen um sein Bett und wollten ihn trösten.
Besonders in dieser schweren Krankheitsnot fühlte er, dass er vor dem Tod und vor der Macht der Hölle stand. Er sagte: „Ich habe in diesen großen Anfechtungen fast Christus verloren, umgetrieben von den Fluten der Verzweiflung.“ Er war sehr froh, dass andere in diesen Nöten für ihn gebetet hatten und ihn aus der Tiefe der Hölle gerissen, geschützt und gedeckt hatten.
In dieser großen persönlichen Schwäche – Sie wissen, wie das einen niederdrückt – brach die Pest in Wittenberg aus. Das war furchtbar. Das Sterben breitete sich in der Stadt aus. Der Kurfürst verfügte, die ganze Universität von Wittenberg müsse dringend nach Jena übersiedeln.
Luther sagte jedoch: „Der Hirte darf nicht weg von seiner Herde, ich muss bleiben.“ Es wäre schlimm, wenn der Hirte sich in Sicherheit brächte. Seine Frau war schwanger, aber er blieb trotzdem. Er sagte: „Auch wenn ich sterbe, ich bleibe bei meiner Gemeinde. Ein guter Hirte lässt sein Leben für die Schafe; aber ein Mietling sieht den Wolf kommen und flieht.“
Nur ganz wenige Studenten blieben zurück. Für sie hielt er weiterhin Vorlesungen, besuchte die Kranken, auch die Pestkranken, tröstete die Angefochtenen und die Trauernden und machte Mut, die Schrecken des Todes zu überwinden.
Dann kam eine Nachricht, die ihn noch besonders niedergedrückt hat – es kam alles zusammen. Ein guter Freund von ihm, Leonhard Kaiser, ein großer Bekenner des Evangeliums und Prediger, wollte seinen sterbenden Vater in Passau besuchen. Er brach auf, um zu ihm zu gehen. Doch in Passau wurde er aufgegriffen, weil dort Kaiser und Reich die alte katholische Lehre verteidigten.
Leonhard Kaiser wurde in der Stadt Schärding auf dem Scheiterhaufen zum Tod verurteilt und verbrannt. Luther war verzweifelt. Warum durfte der Teufel so wütend einen so treuen Zeugen des Evangeliums hinwegnehmen? Das konnte doch nicht sein! Dass der Teufel noch solche Macht besaß!
Leonhard Kaiser war ein Bekenner des Evangeliums. Genau in dieser Zeit wurden die ersten Leute aus Luthers Haus, die im Pfarrhaus wohnten, krank. Sein Freund Bugenhagen wurde von der Pest ergriffen, Luther fühlte sich selbst sterbenselend, auch sein Sohn Hans war schwer erkrankt.
In diesen schweren Tagen schrieb Luther: „Äußerlich sind Kämpfe, innerlich Ängste, und zwar sehr bittere. Christus sucht uns heim. Ein Trost bleibt, dass wir dem wütenden Satan wenigstens das Wort Gottes entgegensetzen, um die Seelen der Gläubigen zu retten, auch wenn er die Leiber verschlingt. Darum befiehlt uns den Brüdern und dir selbst, dass ihr für uns betet, dass wir die Hand des Herrn tapfer ertragen und des Satans Macht und List besiegen, sei es durch Tod oder Leben.“
Die Pestseuche endete im Dezember 1527 so plötzlich, wie sie gekommen war. Luthers Frau gebar ein gesundes Kind, Elisabeth. Die Hausbewohner wurden wieder gesund.
Am Neujahrstag des folgenden Jahres 1528 schrieb Luther in einem Brief: „Der Satan hängt sich mit mächtigen Stricken an ihn, um ihn in die Tiefe zu ziehen. Er vertraut aber fest auf den Sieg von Jesus. Und weil andere für ihn beteten, konnte er überwinden und siegen.“
In diesen Nöten entstand dieses trutzige Kampflied nach Psalm 46: „Der Herr Zebaot ist mit uns, der Gott Jakobs ist unser Schutz.“
Drei Jahre später wurde das Lied dann zum ersten Mal gedruckt:
„Ein feste Burg ist unser Gott,
ein gute Wehr und Waffen;
er hilft uns frei aus aller Not,
die uns jetzt hat betroffen.
Der altböse Feind, mit Ernst,
der es jetzt meint,
groß macht und viel ist sein Grausamrüstung,
ist auf Erden nichts seinesgleichen.
Mit unserer Macht ist nichts getan,
wir sind gar bald verloren.
Es streitet für uns der rechte Mann,
den Gott hat selbst erkoren.
Fragst du, wer der ist?
Der heißt Jesus Christ, der Herr Zebaoth,
und ist kein anderer Gott;
das Feld muss er behalten.
Und wenn die Welt voll Teufel wär
und wollt uns gar verschlingen,
so fürchten wir uns nicht so sehr,
es soll uns doch gelingen.
Der Fürst dieser Welt, wie sauer er sich stellt,
tut er uns doch nichts;
das macht er ist Gericht,
ein Wörtlein kann ihn fällen.“
Frauen im Glaubenszeugnis des 19. und 20. Jahrhunderts
Aber jetzt machen wir einen Sprung in das zwanzigste Jahrhundert, und ich möchte von einer Frau erzählen. Heute gibt es viele Frauen, die predigen. Friede Hensler hat uns gebeten, nachdem wir die zwei dicken Bücher geschrieben haben, noch ein weiteres Buch zu verfassen. Sie predigt selbst. Doch wir sagen: Nein, Kampfparolen wollen wir nicht hören, die Frauen nämlich. Der Streit soll nicht von Frauen predigt werden.
Natürlich rufen Frauen seit den Tagen des Neuen Testaments als Osterzeugen die frohe Botschaft des Evangeliums aus – auch in ihren Liedern. Eine solche Frau, die in ihrer Jugend sehr schüchtern war, ist Hedwig von Redern. Sie war die Tochter eines Generals. Hedwig von Redern reiste im Alter von zwanzig Jahren in die Schweiz. Sie hing sehr an ihrem Vater. 1866 wurde sie in Berlin geboren, und ihr Vater brachte sie zum Bahnhof, verabschiedete sie und sagte: „Nütze es, lerne es, erlebe und reife in deinem Leben.“ So herrlich war es, hinauszugehen.
Auf dem Rückweg, in einem Hotel in München, kam der Portier und überreichte ihr ein Telegramm. Ihr Vater war plötzlich gestorben. Wer war das? Ein Großvater? Nein, es war ihr Vater, der Kapitän, an dem sie so hing. Das traf sie unheimlich schwer, wie ein Blitz. Sie sagte: „Dein Vater, du bist gemeint.“ Die Frage stellte sich: „Was will Gott? Warum tut er das?“ Sie konnte mit niemandem darüber reden. Trauer durfte sie nicht zeigen, denn als Tochter aus einem Soldatenhaus durfte sie nicht weich werden oder Gefühle zeigen – das wäre eine Schande gewesen.
Sie fand Frieden im Wort Gottes. „Du wirst es ja nachher erfahren, sei still“, so lautete die Botschaft, warum das alles so ist. Doch wenige Wochen nach dem Tod ihres Vaters brannte ihr väterlicher Stammsitz in der Mark Brandenburg vollständig nieder. Der 500 Jahre alte Familienbesitz war verloren, und es gab kein Geld, um ihn wieder aufzubauen. Sie war verzweifelt und heimatlos – Hedwig von Redern. Jetzt fiel alles zusammen, es wurde kalt und dunkel. War das Gottes Liebe? Nein, es sah anders aus. Sie fühlte sich verfolgt und zertrampelt von Gott. Sie fragte: „Was ist der Gärtner, der so mit den Trieben umgeht, mit meinem Leben? Mein Leben ist ein Strumpf, ein abgeschlagener, verstümmelter Stumpf.“
Dann traf sie in Berlin gläubige Jesusleute. Da war der Graf Pückler, der die christliche Studentenarbeit leitete, und Ebert von Rothkirch, der sie gegründet hatte. Dort in der Gemeinschaft – das ist ganz wichtig, wenn wir große Anfechtungen des Glaubens erleben – braucht man Gemeinschaft, so wie sie auf La Högen war. Das brauchen wir in solchen Augenblicken, weil andere uns helfen können.
Diese Gemeinschaft sagte ihr: „Du darfst nicht in deinem Schmerz versinken. Das ist Sünde, wenn du immer wieder um deinen Schmerz kreist. Du musst einen Dienst tun, du darfst Gottes Güte vertrauen und ihm dienen.“ Sie sagt: „Herr, du hast mir die Augen geöffnet.“ Es begann mit der Sonntagsschule, in der sie vom Grafen von Bernsdorf gebraucht wurde. Die Sonntagsschule wurde meist von Laien gehalten, die diese wichtigen Gottesdienste gestalteten. Hedwig von Redern hielt Sonntagsschule für freche Berliner Jungs, erzählte biblische Geschichten und wurde immer mutiger.
Hudson Taylor, als er durch Berlin kam, sagte: „Wir brauchen mütterliche Menschen. Frauen haben eine wichtige Bedeutung im Reich Gottes. Sie müssen nicht am Predigtpult stehen, sie wirken viel mehr im Leben.“ Hedwig von Redern richtete eine Schutzmann-Bibelstunde ein und bekam von der Molkerei Bolle kostenlos die Räume. Dort baute sie eine große Arbeit für die Schutzmänner von Berlin auf und schrieb viele schöne Verse.
Ich möchte jetzt nicht von all ihren Versen sprechen, die alle kennen. Wenn nach der Erde Leid und Schmerzen kommen, heißt es: „Hier hast du meine beiden Hände, bleib auf dem Platz, wo Gott dich hingestellt hat.“ Sie kennen all diese Verse. Stattdessen will ich von einem schönen Lied sprechen, „Weiß ich den Weg auch nicht“. Dieses Lied wurde durch Marion von Klot im Baltikum bekannt. Damals, 1919, herrschten Wirren der Revolution im Baltikum.
Marion von Klot lernte dieses Lied in einem Gemeindegottesdienst in Riga kennen. Dort wurde es gesungen, als der Pastor von den Russen einen Ausweisungsbefehl nach Sibirien erhielt. Es gab einen kurzen Abschiedsgottesdienst, und das neue Lied von Hedwig von Redern, „Weiß ich den Weg auch nicht“, wurde gesungen. Später wurde es auch gesungen, als ein Vetter des Pastors von Wildern erschossen wurde. Marion von Klot sang es als Solo am Grab ihres Vaters, als junges Mädchen.
Dann kam die große Not, als 1919 die Bolschewisten die Macht übernahmen. Die deutsche Landwehr rückte aus, viele flohen damals von den Deutschen. Innerhalb von vier Monaten wurden 3.654 Todesurteile von den Revolutionären vollstreckt – damals im Baltikum. Marion von Klot, weil sie adlig war, wurde ins Rigaer Zentralgefängnis gebracht. Dort waren bis zu dreißig Personen in einer Zelle, qualvoll zusammengepfercht. Viele Gefangene starben in wenigen Tagen an Typhus.
Doch abends, wenn es still war, sang Marion von Klot dieses Lied. Man hörte es überall, aus ihrer Zelle heraus, durch die Gitterstäbe: „Weiß ich den Weg auch nicht, du weißt ihn wohl.“ Das machte die Seele still und friedvoll. „Es ist doch umsonst, dass ich mich sorgend mühe, das ängstlich schlägt mein Herz, sei es spät, sei es früh.“
Auch Trogothan war damals unter den Märtyrern, ebenso der russische Erzbischof Platon. Sie wurden alle erschossen. Nur wenige Minuten, bevor die deutsche Landwehr sie hätte befreien können, wurden sie getötet. Im Mai 1919 rief Marion von Klot vor ihrer Erschießung noch: „Jetzt nur nicht schwach werden.“
Es ist wunderbar, wie solche Lieder Menschen begleitet haben. Die schönste Sache ist nicht nur, wie sie entstanden sind, sondern wie sie im Leben von Menschen großen Trost gegeben haben.
Die Bedeutung der alten Glaubenslieder für junge Christen
Warum eigentlich? Ich habe es aufgegeben, heute mit jungen Christen darüber zu reden. Junge Christen sagen: „Die singen wir nicht mehr.“ Gut, euch fehlt ein Schatz.
Neulich hat mir jemand ganz keck gesagt: „Wir wollen keine Kriegslieder mehr singen.“ Ihr werdet es noch erleben, müssen wir ihnen sagen, wenn es ganz hart kommt, was euch noch durchdringt. Das komprimierte Bibelwissen, die komprimierte Bibelsprache in diesen herrlichen Liedern – das macht sie so groß.
Das beginnt schon bei den Liedern von Paul Gerhardt. Diese Lieder haben einst Dietrich Bonhoeffer geprägt. Er kam aus einem nur äußerlich christlichen Haus, in dem man nicht in die Kirche ging. Seine Konfirmation wurde durch die Lieder Paul Gerhardts so begleitet, dass er begriff, was Jesus Nachfolge bedeutet, und ganz tief im Glauben wuchs.
Das sind die Lieder in unserem Leben. Lassen Sie sie wirken, und wir wollen jetzt dieses Lied singen.
Luise von Hain und ihr Abschied vom Elternhaus
Wir machen einen Sprung zurück, etwa 270 Jahre in die Vergangenheit. Es war die Zeit des Rokoko, die Epoche von Johann Sebastian Bach und mancher bekannter Persönlichkeiten.
In einem Forsthaus in der Nähe des Grafen von Nassau-Itstein war der Förster beschäftigt. Dort hielt man Familienandachten ab. Eine adlige Familie von Hain lebte dort. Die Tochter Luise las morgens ihrem Vater wie gewohnt aus der Bibel vor. Dabei stieß sie auf die Worte Jesu: „Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert.“ Dieses Wort traf sie tief, denn die Frage, wie viel Gehorsam sie ihren Eltern schulde und wie weit sie sich ihnen unterordnen müsse, beschäftigte sie sehr. Plötzlich fühlte sie sich durch dieses Wort befreit.
Luise ging in ihr Zimmer und schrieb einen Abschiedsbrief, in dem sie erklärte, warum sie ihr Elternhaus verlässt. Es war das Jahr 1744 in Itstein im Taunus, im Haus des Oberjägermeisters von Hain. Sie liebte ihre Eltern sehr, doch sie litt darunter, dass das Glaubensleben im Elternhaus nur äußerlich, formal, lau und träge war. Sie selbst war erfüllt von einer ganz herzlichen, brennenden Jesusliebe.
Es wurde ihr immer bewusster, dass im Evangelium steht, wer Jesus nicht liebt, der sei verflucht. Viele Menschen haben zwar Glauben „bis zum Kopf“, aber keine brennende Liebe zu Jesus, kein warmes Herz für ihn. Das konnte sie nicht ertragen. Am herzöglichen Hof in Itstein gab es festliche Bälle und Bankette. Kleiderluxus und Kosmetik waren im Rokoko von großer Bedeutung. Als Mädchen aus adligem Haus musste sie daran teilnehmen, doch sie wollte an den Leiden Christi teilhaben und ihm allein dienen.
Sie schrieb aus dem nächsten Ort einen Brief an ihre Eltern, in dem sie darlegte, dass sie zu den Herrnhutern gehen wolle. Die Herrnhuter hatten damals einen schlechten Ruf, wurden verspottet und verhöhnt. Sie hatten mit dem Grafen Zinzendorf eine urchristliche Lebensgemeinschaft gegründet. Man nannte ihn den „närrischen Grafen“ oder „verrückten Grafen“ und lachte über die Gemeinschaft als verrückte Spinner.
Die Herrnhuter hatten sich damals in der Wetterau, ganz in der Nähe, angesiedelt. Das Gebiet liegt nordöstlich von Frankfurt. Dort bauten sie die Siedlung Herrnhag auf und lebten in Familiengemeinschaften zusammen. Es gab Männerhäuser und Schwesternhäuser. Doch die Herzlichkeit und Liebe suchte Luise, und genau dort wollte sie hingehen. Für ihre Eltern war das sehr schwer zu akzeptieren.
Der Vater machte sich sofort auf den Weg, um seine Tochter zurückzuholen. Im autoritären Denken der damaligen Zeit sagte er: „Das ist doch ein Splendender Diat, den muss man doch kurieren.“ Zinzendorf schrieb sogar persönlich einen Brief an den Vater und bat ihn: „Lassen Sie doch Ihre Tochter, die ohnehin ein bisschen melancholisch zu sein scheint, in ihrer Ruhe und Seligkeit. Ich finde, dass sie eine bestimmte und festgelegte Person ist und in ihren Dingen solide.“
Schließlich erkannte der Vater, dass man in Glaubensdingen nichts erzwingen darf, und ließ sie ziehen. Für Luise von Hain war das der glücklichste Tag ihres Lebens. Endlich konnte sie sich ganz der Herrnhuter Gemeinschaft anschließen. Sie sagte, es sei, als hätte sie auf einmal hundert Väter und Mütter wiedergefunden. Es war für sie wie für ein Kind, das aus der Fremde in sein Mutterhaus zu seinen Lieben zurückkehrt.
Wir wissen, wie wertvoll es ist, Glaubensgeschwister zu finden, mit denen man leben kann. Luise wirkte dort in einer Tätigkeit, die man heute als diakonisch bezeichnen würde. Damals gab es dieses Amt noch nicht, aber sie übernahm eine solche Aufgabe. Sie wurde sogar Leiterin eines Schwesternhauses und betreute Kinder.
Sie schrieb: „Ich hatte mit tausend Sorgen und Kummer zu kämpfen, den das mir anvertraute Amt bei der Menge der Kinder mit sich brachte. Liebe empfangen und weiterschenken. Essen, Trinken, Lernen, Nähen und so weiter werden zu lauter Gottesdiensten. Unser Wandel, unsere Liebe zum Heiland, unsere Treue im Großen und Kleinen, die Erzählung, wie der Heiland gegen uns gesinnt ist, die sollen die Kinder reizen. Ich bin mir sicher, dass ich mit meiner einfältigen Liebe weiterkommen werde als mit den ausgesuchtesten großen Leitbildern.“
Luise von Hain dichtete 28 Lieder, doch eines davon ist besonders bekannt. Ich gestehe, es ist eine große Schuld meines Lebens, dass ich in 40 Jahren Gemeindetätigkeit mich gescheut habe, dieses Lied mit der Gemeinde zu singen. Dabei gehört es zu den schönsten Liedern, die ich kenne: „Weil ich Jesus Schäflein bin.“ Dieses Lied fasst alles zusammen.
Man kann es sogar auf der Intensivstation eines Krankenhauses beten. Sie werden erleben, dass, wenn der Arzt sagt, die Patientin liegt schon im Koma, und Sie einen Vers aus „Des Hirten Armen Schoss“ sprechen, plötzlich die Hände unter der Decke zusammengehen. Selbst im Unbewussten spricht dieses Lied hinein – ein Geschenk von Luise von Hain.
„Weil ich Jesus Schäflein bin, freue ich mich nur immerhin über meinen guten Hirten, der mich wohl weiß zu bewirten, der mich liebt, der mich kennt und bei meinem Namen nennt.“
Zu diesem Lied gibt es drei Melodien. Deshalb wird es oft nicht gesungen, weil jeder eine andere kennt. Ich kenne alle drei und liebe alle drei. Silcher hat eine wunderschöne Melodie dazu komponiert. Christian Gregor von der Brüdergemeinde hat ebenfalls eine Melodie geschaffen:
„Unter seinem sanften Stab gehe ich aus und ein und habe unaussprechlich gute Weide, dass ich keinen Mangel leide. Und so oft ich durstig bin, führt er mich zum Brunnenquell hin.“
Das ist besonders wichtig in Zeiten des Alters, wenn die Altersschwermut uns niederdrückt. Dann sollten wir singen und uns mit solchen Versen aufrichten.
Sollte ich nun nicht fröhlich sein, ich beglücktes Schäflein, denn nach diesen schönen Tagen werde ich endlich heimgetragen in des Hirten Arm und Schoß. Amen, ja, mein Glück ist groß.
Karl Barth, der große Theologe, wurde einmal gefragt, ob er seinen ganzen Glauben in einem kurzen Satz zusammenfassen könne, trotz seiner dicken theologischen Werke. Er antwortete: „Ja, weil ich Jesus Schäflein bin.“
Können Sie Ihren ganzen Glauben zusammenfassen? Alles, was Sie im Leben und im Sterben hält?
Friedrich Räter und das Lied des Vertrauens
Ich möchte jetzt noch auf ein Lied eingehen, das aus unserer Vergangenheit stammt. Es stammt aus dem vorigen Jahrhundert, genauer gesagt aus dem Jahr 1815 in Wuppertal. Dort wurde auch meine Mutter geboren, in Elberfeld, das heute zu Wuppertal gehört, da die Städte zusammengelegt wurden. In dieser Gegend kommt auch die Familie Frist her.
In Wuppertal lebte damals ein junger Kaufmann, etwa dreißig Jahre alt. Wie viele junge Leute damals – und auch heute – war er von den Börsennachrichten fasziniert. Wenn man den höchsten Kursstand sieht, denkt man sofort: „Da muss ich investieren und Aktien kaufen!“ Damals handelte man vor allem mit Handelsgütern, also mit Waren und Materialien.
Dieser junge Mann war besonders vom Indigo-Handel begeistert. Indigo wurde damals in Wuppertal stark gebraucht, um Stoffe zu färben. Er dachte: „Hätte ich vor einem halben Jahr Indigo gekauft, hätte ich schon viel Geld verdienen können.“ Also setzte er alles auf eine Karte. Er nahm sein ganzes Geld und kaufte Indigo.
Doch dann, nachdem er das Indigo gekauft hatte, sank der Preis plötzlich und sehr schnell. Der Preis war oft davon abhängig, ob ein Schiff unterging oder ob die Ware auf dem Seeweg ankam. Der Mann hieß Friedrich Räter. Er konnte nachts vor Sorgen nicht mehr schlafen. Plötzlich wurde ihm klar: „Ich werde mein Geld wohl nie wiedersehen. Warum habe ich mich auf diesen verrückten Handel eingelassen, auf diesen Börsenhandel mit Indigo? Das macht doch keinen Sinn!“
Er saß an seinem Schreibtisch, konnte nicht schlafen, war erst dreißig Jahre alt und fragte sich: „Kann ich überhaupt noch beten? Kann ich mein Leben noch Gott anvertrauen?“ Aus dieser Situation heraus entstand das Lied:
„Harre meine Seele, harre des Herrn.
Alles ihm befehle, hilft er doch so gern.
Sei unverzagt, bald der Morgen tagt,
und ein neuer Frühling folgt dem Winter nach.
In allen Stürmen, in aller Not
wird er dich beschirmen, der treue Gott.“
Friedrich Räter erlebte das Wunder, dass Gott ihn aus diesem ganzen Handel herausführte und er unbeschadet davonkam. Doch das war nicht das Wichtigste. Sie wissen, wie viele Wunden in unserem Leben bleiben. Trotzdem ist es wahr, dass ich mich diesem Herrn anvertrauen darf.
Und so singen wir jetzt: „Harre meine Seele, harre des Herrn!“
Helga Winkel und das Lied des Durchhaltens
Sie haben tapfer durchgehalten. Jetzt kommt noch die letzte Geschichte. Es geht um eine Liederdichterin, die noch lebt – die einzige, von der wir sprechen. Über ihr Leben kann man eigentlich nicht so viel sagen, aber ihr Lied kennen und lieben alle.
Sie heißt Helga Winkel. Mit 19 Jahren kam sie schon als Diakonisse nach Eidlingen, gleich nach dem Krieg. Sie war damals eingetreten, weil sie Jesus dienen wollte. Mit sechzehn Jahren war sie zum lebendigen Glauben gekommen, obwohl sie aus einer nichtchristlichen Familie stammte. Sie brannte für Jesus.
Doch sie war immer kraftlos und müde. Sie dachte: „Das kann doch nicht sein, ich möchte doch dienen, ich möchte doch für Jesus da sein, ich möchte doch mein Leben einsetzen.“ Sie ging von Arzt zu Arzt, bis festgestellt wurde, dass sie Diabetes hat. Viele kennen Diabetes im Alter, und das ist schon schlimm, aber der Jugenddiabetes ist sehr schwierig und sehr einschränkend für die Person, die ihn hat.
Helga Winkel durchlebte viele Höhen und Tiefen. Sie merkte, dass Gott ihr diese Krankheit nicht wegnehmen würde, obwohl sie darum gebetet hatte. Dennoch erfuhr sie Gottes Hilfe und seine Güte ganz besonders.
Neuerdings ist ihr Lied leider im evangelischen Kirchengesangbuch verändert worden, wie so manches andere auch. Für uns Ältere, die wir vieles auswendig kennen, ist es immer wieder ein Stolperstein, wenn wir auf neue Textversionen treffen. Diese Veränderung ist ärgerlich, denn erstens lebt die Dichterin noch. Man hätte sie zumindest fragen müssen: Bist du damit einverstanden, wenn wir dein Lied verändern? Und sie hätte wahrscheinlich Nein gesagt.
Denn sie hat bewusst diesen Vers gedichtet: „Weil ich durch dich dem Tod entrissen ward, prägt tief in mich her deine Lammesart.“ Damit wollte sie sagen: „Ich gehe den Kreuzesweg. Ich sage Ja dazu, demütig und still, wie der Vater mich führt.“
Im Gesangbuch heißt es jetzt: „Weil ich durch dich den Tod entrissen bin, prägt tief in mich Herr deines Leidens Sinn.“ Das ist auch richtig. Aber was Helga Winkel eigentlich ausdrücken wollte, ist: So wie das Lamm, das still zur Schlachtbank geführt wird, tut das, was der Vater will, so war auch Jesus gehorsam dem Vater.
Heute lebt Helga Winkel im betreuten Altenheim der Eidlinger Schwestern. Ich habe mit diesem Lied unheimlich viel erlebt, und ich glaube, viele von Ihnen auch, besonders in besonderen Situationen. Wir singen es oft bei Kranken und Alten. Besonders denke ich jetzt an eine Freundin, die schon lange am Ziel ist.
Sie war mit Leib und Seele Stationsschwester im Robert-Bosch-Krankenhaus und wollte Kranken dienen. Sie hat sich aufgeopfert und eingesetzt. Dann sagte sie eines Tages: „Ich habe eine schlimme Krankheit, die Nerven sterben ab.“ Sie konnte immer weniger, schließlich wurde sie ganz früh pensioniert.
Dann saß sie im Rollstuhl, ihre Beine versagten den Dienst. Schließlich brauchte sie einen Elektrorollstuhl, weil sie das Rad nicht mehr antreiben konnte. Mit letzter Mühe konnte sie noch mit dem Finger einen Knopf bewegen, um den Elektrorollstuhl zu steuern. Sie war noch keine fünfzig Jahre alt.
An ihrem Geburtstag gingen zwei Freundinnen und ich zu ihr. Auch die Sprache war stark eingeschränkt, die Stimmbänder gelähmt. Wir fragten: „Brigitte, du hast so gern gesungen, was dürfen wir dir zum Geburtstag singen?“ Mit viel Mühe brachte sie es heraus: „Herr, weil mich festhält deine starke Hand.“
Wenn Sie den Schluss dieser Strophe kennen, wissen Sie sicher, wie es weitergeht: „Ich preise Dich, dein Wille, Herr, ist gut.“ Wenn man diese Elendsfigur im Rollstuhl sieht und ihr strahlendes Gesicht, weiß man: Der Herr meint es gut mit mir. Er hat nicht das getan, was ich mir gewünscht hätte, aber sein Wille ist gut.
Das wünsche ich Ihnen und mir: dass wir in jeder Situation das sagen können – das Lob Gottes, „Ich preise Dich“. Dieses Lob gilt nicht nur für erfahrene Wunder. Das Lob kommt uns ganz selbstverständlich über die Lippen, wenn der Herr uns herausgeholt hat. Aber auch dann, wenn alles anders läuft, als wir es uns wünschen.
„Ich preise Dich, dein Wille, Herr, ist gut“ – auch wenn du es ganz anders machst, als ich es mir wünsche. Auch wenn mein Leben ganz anders verläuft, als ich es geplant habe, als ich dachte. Auch wenn ich denke: „Ich könnte dir doch dienen.“ Du weißt den Weg. Wie wir vorher sagten: „Du weißt den Weg für mich, das ist genug.“
Und ich preise Dich: „Dein Wille, Herr, ist gut.“ Vor jedem von uns liegt die Zukunft verhüllt. Wir wissen nicht, was der Herr für uns noch vorhat. Im Alter sind manche Schmerzen ein Licht zum Loslassen, zum Hergeben. So klammern wir uns nicht an irdische Dinge, an die Gesundheit und an alles, was uns so wichtig ist.
Wir wissen: Der Herr wird es recht machen. Wir wollen uns ihm ganz anvertrauen und auch die Zukunft aus seiner Hand nehmen. Wenn wir nur einen Schritt weitersehen, wissen wir: Der Herr geht selbst mit!
Dieses Lied wollen wir jetzt noch zum Abschluss singen: „Herr, weil mich festhält deine starke Hand!“
Schlussgebet des Dankes und der Zuversicht
Lieber Herr Jesus Christus, wir danken dir, dass du immer wieder durch dein Wort zu uns redest – auch wenn unser Glaube am Verlöschen ist, wenn uns die Angst überwältigt und wenn wir ohnmächtig sind und nicht mehr weiter können.
Vielen Dank auch für den Schatz der vielen Glaubenszeugen vor uns und um uns herum. Sie sprechen uns immer wieder dieses Zusprechen zu: dass du niemanden loslässt und keinen von deiner Hand entlässt, sondern uns ganz fest hältst.
Das wollen wir jetzt auch erbitten: dass du unseren Glauben durch dein Wort festmachst. Dass wir uns durch diese Lieder ermahnen lassen und immer wieder dieses Zusprechen hören.
Auch auf manchen schweren Wegen, auf denen wir geführt werden, wollen wir danken und loben können, weil du da bist und weil du größer bist als alles, was uns bedrängen mag.
Ganz herzlichen Dank, Herr, für diesen Schatz! Amen!
